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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<title>Lew Dawidowitsch Trotzki - Die &ouml;sterreichische Krise,
die Sozialdemokratie und der Kommunismus</title>
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<H2>Lew Dawidowitsch Trotzki</H2>
<H1>Die &ouml;sterreichische Krise, die Sozialdemokratie
<BR>und der Kommunismus</H1>
<P>Istanbul, 13. November 1929</P>
<HR size="1">
<P>Die &ouml;sterreichische Krise bietet einen Teilaspekt der allgemeinen Krise der Demokratie, - der Grundform der b&uuml;rgerlichen Herrschaft. Zu hohe Spannung des internationalen Klassenkampfes f&uuml;hrt zum Kurzschlu&szlig; der Diktatur, die Sicherungen der Demokratie schlagen eine nach der anderen durch. Dieser Proze&szlig; begann an der europ&auml;ischen Peripherie, in den r&uuml;ckst&auml;ndigsten L&auml;ndern, den schw&auml;chsten Gliedern der kapitalistischen Kette, aber er schreitet unaufhaltsam weiter fort. Die sogenannte Krise des Parlamentarismus ist der politische Ausdruck der allgemeinen Krise der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft. Die Demokratie steht und f&auml;llt mit dem Kapitalismus. Die Sozialdemokratie verteidigt die schon &uuml;berlebte Demokratie und treibt damit die soziale Entwicklung in die Sackgasse des Faschismus.
<P>
Die &ouml;sterreichische Sozialdemokratie zog ihre Kraft vor allem aus der au&szlig;erordentlich schwachen Position, in die die &ouml;sterreichische Bourgeoisie nach Krieg und Revolution geraten war, und aus der damit verkn&uuml;pften wirtschaftlichen und politischen Unselbst&auml;ndigkeit des Landes. Als Retter und Stabilisator des b&uuml;rgerlichen Regimes war die &ouml;sterreichische Sozialdemokratie in der Lage, sich agitatorisch bald von der nationalen, bald von der internationalen (anglo-amerikanischen) Bourgeoisie zu distanzieren. In der ersten Phase der Stabilisierung der b&uuml;rgerlichen Herrschaft nach der Revolution war die Sozialdemokratie eindeutig eine direkte Agentur des ausl&auml;ndischen Kapitals. Das erlaubte ihr nicht nur, die Verantwortung f&uuml;r alle Schwierigkeiten auf die nationale Bourgeoisie abzuw&auml;lzen, sondern ihr gegen&uuml;ber auch eine weitaus kritischere Haltung einzunehmen, als es sich die Sozialdemokratien anderer L&auml;nder, einschlie&szlig;lich der deutschen Sozialdemokratie, leisten konnten. Mit fortschreitender Konsolidierung der b&uuml;rgerlichen Herrschaft beschuldigte die Sozialdemokratie immer h&auml;ufiger die nationale Bourgeoisie, nur eine Exekutive des angels&auml;chsischen Kapitals zu sein. Den Arbeitern gegen&uuml;ber konnte sie nun aber die Unverletzlichkeit des Privateigentums folgenderma&szlig;en rechtfertigen: &raquo;Mit unserer eigenen Bourgeoisie k&ouml;nnten wir schon fertigwerden, - aber es handelt sich um die anglo-amerikanische&laquo;.
<P>
Die b&uuml;rgerlichen Parteien haben ihre Eigenart im selben Ma&szlig;e eingeb&uuml;&szlig;t, wie sie gezwungen waren, auf die Stimme ihres angels&auml;chsischen Herrn zu h&ouml;ren. Die Sozialdemokratie spielt im Grunde die gleiche Rolle, mu&szlig; aber, da sie sich auf die Arbeiter st&uuml;tzt, dem Block der b&uuml;rgerlichen Parteien gegen&uuml;ber eine oppositionelle Haltung einnehmen. Einzig diese &raquo;Opposition&laquo; gibt ihr die M&ouml;glichkeit, die Bourgeoisie zu retten. Die gleiche Situation hat sich in Deutschland ergeben und hat dort die Fortexistenz der Sozialdemokratie erm&ouml;glicht. Aber weil die deutsche Bourgeoisie weitaus st&auml;rker und selbst&auml;ndiger ist, mu&szlig;te sich die Sozialdemokratie hier sehr viel eindeutiger und offener anpassen, mit ihr koalieren und vor den Arbeitermassen direkte Verantwortung &uuml;bernehmen; das schuf gute Entwicklungsm&ouml;glichkeiten f&uuml;r die deutsche Kommunistische Partei.
<P>
&Ouml;sterreich ist einem kleinen K&ouml;rper mit gro&szlig;em Kopf vergleichbar. Die Hauptstadt ist in H&auml;nden der Sozialdemokratie, die freilich im Parlament nur &uuml;ber weniger als die H&auml;lfte der Sitze (43 Prozent) verf&uuml;gt. Dies labile Gleichgewicht besteht dank der konservativ-vers&ouml;hnlerischen Politik der Sozialdemokratie und beg&uuml;nstigt die Position des Austromarxismus ganz au&szlig;erordentlich. Was er im Wiener Gemeinderat leistet, reicht hin, um ihn in den Augen der Arbeiter von den b&uuml;rgerlichen Parteien zu unterscheiden, und f&uuml;r das, was er nicht zustande bringt, n&auml;mlich das Wichtigste, kann er stets die b&uuml;rgerlichen Parteien verantwortlich machen. W&auml;hrend der Austromarxismus die Bourgeoisie in Artikeln und Reden entlarvt, macht er sich - wie schon gesagt - die internationale Abh&auml;ngigkeit &Ouml;sterreichs zunutze, um die Arbeiter daran zu hindern, sich gegen ihre Klassenfeinde zu erheben. &raquo;In Wien sind wir stark, aber im Lande noch schwach. Au&szlig;erdem gibt es &uuml;ber uns m&auml;chtige Herren. Wir m&uuml;ssen unsere Positionen in der Demokratie halten und ... warten&laquo;. Das ist der Grundgedanke der austromarxistischen Politik. All das hat den Austromarxismus bisher instandgesetzt, die Rolle des &raquo;linken&laquo; Fl&uuml;gels der II. Internationale zu spielen und gegen&uuml;ber der Kommunistischen Partei, die noch dazu Fehler auf Fehler h&auml;ufte, alle seine Positionen zu verteidigen.
<P>
Die &ouml;sterreichische Sozialdemokratie half der Entente, mit der ungarischen Revolution fertigzuwerden, sie half der eigenen Bourgeoisie, aus der Nachkriegskrise herauszukommen und bot dem angeschlagenen Privateigentum ein demokratisches Refugium. W&auml;hrend der ganzen Nachkriegszeit war sie somit das wichtigste Instrument der b&uuml;rgerlichen Herrschaft &uuml;ber die Arbeiterklasse.
<P>
Aber dies Herrschaftsinstrument ist zugleich eine Organisation f&uuml;r sich, mit einer gro&szlig;en B&uuml;rokratie und einer verselbst&auml;ndigten Arbeiteraristokratie, die spezifische Interessen und Anspr&uuml;che haben. Diese B&uuml;rokratie ist nach Lebensweise, Sitten und Ideen durchaus kleinb&uuml;rgerlich, - st&uuml;tzt sich aber auf die Arbeiterklasse und mu&szlig; st&auml;ndig deren Unzufriedenheit f&uuml;rchten. Hieraus entstehen die meisten Reibungen und Konflikte zwischen Bourgeoisie und Sozialdemokratie, zwischen Herr und Knecht.
<P>
Die Sozialdemokratie hat die Arbeiterklasse in ein Netz von politischen, gewerkschaftlichen, st&auml;dtischen, kulturellen und sportlichen Organisationen verstrickt; dennoch geben die reformistisch-pazifistischen Methoden allein der Bourgeoisie noch nicht die n&ouml;tige Sicherheit. Das haben die Julitage des Jahres 1927 drastisch bewiesen.
<P>
Und daraus erw&auml;chst die soziale Funktion des &ouml;sterreichischen Faschismus. Er ist der zweite Knecht der Bourgeoisie, ganz anders als der erste und ihm feind. Die unteren Schichten der Sozialdemokratie werden durch einen zwar fehlgeleiteten, doch proletarischen Klasseninstinkt vorw&auml;rtsgetrieben. Die unteren Schichten des Faschismus ziehen ihre Energie aus der Ausweglosigkeit des Kleinb&uuml;rgertums und der deklassierten Elemente, an denen &Ouml;sterreich so reich ist. Die f&uuml;hrenden Gruppen der Sozialdemokratie b&auml;ndigen den Klasseninstinkt mit Ordnungsparolen und demokratischen Institutionen. Die f&uuml;hrenden Gruppen des Faschismus stellen dem verzweifelten, heruntergekommenen Kleinb&uuml;rgertum einen rettenden Umsturz in Aussicht, der &raquo;die Marxisten&laquo; hindern soll, fortan die Prosperit&auml;t von Landwirtschaft, Handel und Gewerbe zu blockieren.
<P>
So bietet &Ouml;sterreich eine klassische Widerlegung der spie&szlig;b&uuml;rgerlichen &raquo;Theorie&laquo;, wonach der Faschismus eine Folge des revolution&auml;ren Bolschewismus ist. Je klarer, schreiender und unertr&auml;glicher der Widerspruch zwischen den Erfordernissen der historischen Situation und der praktischen Politik der sozialdemokratischen Massenpartei wird, desto bedeutender ist die Rolle, die der Faschismus im Lande spielen kann. In &Ouml;sterreich wie in allen anderen L&auml;ndern tritt der Faschismus als notwendige Erg&auml;nzung der Sozialdemokratie auf, lebt von ihr und kommt mit ihrer Hilfe zur Macht.
<P>
Der Faschismus ist der legitime Spro&szlig; der formalen Demokratie in ihrer Verfallszeit. Die Prinzipien der Demokratie werden in &Ouml;sterreich in h&ouml;chst aufschlu&szlig;reicher Weise ad absurdum gef&uuml;hrt. Der Sozialdemokratie fehlen nur wenige Prozent W&auml;hlerstimmen zur (absoluten) Mehrheit. Man kann aber sagen - und das ist kein Paradox, sondern die nackte Wahrheit, da&szlig; das politische Gleichgewicht der Sozialdemokratie nicht auf den 43 Prozent der Stimmen beruht, die sie hat, sondern auf den 7 Prozent, die ihr zur Majorit&auml;t fehlen. Die Grundlagen des Kapitalismus blieben unangetastet, selbst wenn die Sozialdemokratie die Stimmenmehrheit erobern k&ouml;nnte. Aber ein solcher Stimmengewinn ist keineswegs sicher. Es ist unsinnig, zu glauben, man k&ouml;nne durch Propaganda alles erreichen.
<P>
Unterstellt man, die &ouml;sterreichische Gesellschaft w&uuml;rde sich auch weiterhin im Rahmen der Demokratie bewegen, so gibt es doch gar keinen Anhaltspunkt daf&uuml;r, da&szlig; die &ouml;sterreichische Sozialdemokratie im Laufe der n&auml;chsten f&uuml;nfundzwanzig oder f&uuml;nfzig Jahre notwendigerweise die Mehrheit bekommen wird. Das Wirtschaftsleben des kapitalistischen Europa wird durch die Entwicklung der Vereinigten Staaten und der &uuml;brigen &uuml;berseeischen L&auml;nder au&szlig;erordentlich bedroht. Der wirtschaftliche Niedergang &Ouml;sterreichs, der selbst bei friedlicher Entwicklung unaufhaltsam ist, w&uuml;rde der Sozialdemokratie eher Stimmenverluste als -gewinne bringen. Obwohl also eine Fortdauer der Bourgeoisherrschaft der Nation Verfall und kulturellen Niedergang bringt und obwohl die &uuml;berw&auml;ltigende Mehrheit des Proletariats - des R&uuml;ckgrats der Nation - durchaus bereit ist, den &Uuml;bergang zum Sozialismus zu vollziehen, folgt nach der Logik der Demokratie, da&szlig; dieser &Uuml;bergang unstatthaft ist, weil ein kleiner Prozentsatz von W&auml;hlern, die ungebildetsten, r&uuml;ckst&auml;ndigsten und verkommensten, sich aus dem Kampf heraushalten, in v&ouml;lliger Unwissenheit verharren und im entscheidenden Augenblick bereit sind, ihre Stimmen und F&auml;uste dem Faschismus zu leihen.
<P>
Die Demokratie hat den Gipfel der Absurdit&auml;t erreicht. In der Epoche der organischen und methodischen Entwicklung des Kapitalismus, die mit der systematischen sozialen Differenzierung der Bev&ouml;lkerung Hand in Hand ging, kam der Demokratie gro&szlig;e historische Bedeutung zu - auch f&uuml;r die Erziehung des Proletariats. In Europa hat sie ihre bedeutendste Rolle gespielt. Aber in der Epoche des Imperialismus, des Verfallskapitalismus, ist die Demokratie in eine Sackgasse geraten. In &Ouml;sterreich wurde die Verfassung von Sozialdemokraten gemacht, und die Sozialdemokratie hat, weil sie die Hauptstadt beherrscht, &uuml;beraus gro&szlig;e Bedeutung. Man erwartet, hier demokratische Formen des &Uuml;bergangs von der Demokratie zum Sozialismus in besonders reiner Form zu sehen. Aber die Wirklichkeit ist ganz anders. Die Politik wird von den angreifenden faschistischen Banden auf der einen und den zur&uuml;ckweichenden, halbbewaffneten sozialdemokratischen Arbeitern auf der andern Seite bestimmt, w&auml;hrend ein alter Polizist der Habsburger Schule als Dirigent dieses demokratischen Orchesters auftritt.
<P>
Der Faschismus ist der zweite Treuh&auml;nder der Bourgeoisie. Ebenso wie die Sozialdemokratie, ja, in noch ausgepr&auml;gterer Form, hat der Faschismus seine eigene Armee, eigene Interessen und eigene Bewegungsgesetze. In Italien mu&szlig;te er sich bekanntlich, um die b&uuml;rgerliche Gesellschaft zu retten und zu konsolidieren, nicht nur zur Sozialdemokratie, sondern auch zu den b&uuml;rgerlichen Parteien in scharfen Gegensatz bringen. Das gleiche kann man in Polen beobachten. Man darf die Sache nicht so darstellen, als handelten alle politischen Organe der Bourgeoisie in v&ouml;lliger Harmonie miteinander. Gl&uuml;cklicherweise ist es anders. Die wirtschaftliche Anarchie wird durch die politische erg&auml;nzt. Der Faschismus n&auml;hrt sich von der Sozialdemokratie, aber er mu&szlig; ihr den Sch&auml;del einschlagen, um an die Macht zu kommen. Die &ouml;sterreichische Sozialdemokratie tut, was sie kann, um ihm diese chirurgische Operation zu erleichtern.
<P>
Man kann sich kaum etwas Absurderes vorstellen als Otto Bauers Argumentation, derzufolge Gewalt nur zur Verteidigung der bestehenden Demokratie angewandt werden darf. In die Sprache des Klassenkampfs &uuml;bersetzt hei&szlig;t das: Gewalt ist erlaubt, um die Interessen der staatlich organisierten Bourgeoisie zu verteidigen, Gewalt ist verboten, wenn es um die Errichtung eines Arbeiterstaats geht.
<P>
Diese Theorie wird juristisch formuliert. Otto Bauer kaut die alten Formeln Lassalles &uuml;ber Recht und Revolution wieder. Aber Lassalle sprach vor Gericht, und dort waren seine Argumente treffend. Aber der Versuch, aus einem juristischen Duell mit dem Staatsanwalt Geschichtsphilosophie zu machen, dient nur der Feigheit zum Vorwand. Nach Bauer ist Gewalt nur statthaft, um auf einen schon vollzogenen Staatsstreich zu antworten, wenn der Boden des &raquo;Rechts&laquo; nicht mehr gegeben ist, nicht aber 24 Stunden vorher, um ihn zu verhindern. Mit Hilfe dieser Konzeption zieht Bauer die Scheidelinie zwischen Austromarxismus und Bolschewismus, als w&auml;ren das zwei Rechts-Schulen. In Wirklichkeit liegt der Unterschied darin, da&szlig; der Bolschewismus die Herrschaft der Bourgeoisie st&uuml;rzen, die Sozialdemokratie sie verewigen will. Kein Zweifel, da&szlig; Bauer, k&auml;me es zum Staatsstreich, Folgendes erkl&auml;ren w&uuml;rde: wir haben die Arbeiter nicht gegen die Faschisten in Bewegung gebracht, als sie verfassungsfeindliche Banden organisierten und die gesetzliche Ordnung bedrohten, und wir noch &uuml;ber m&auml;chtige Organisationen, eine legale Presse, 43 Prozent der Abgeordneten und den Wiener Gemeinderat verf&uuml;gten; jetzt haben die Faschisten den Staatsapparat in H&auml;nden und st&uuml;tzen sich auf ihr selbstgeschaffenes Recht, wir aber haben weder Feuer noch Wasser, stehen au&szlig;erhalb der Gesetze, haben keine legalen Beziehungen zu den Massen, die zudem entt&auml;uscht und unterdr&uuml;ckt sind und in gro&szlig;er Zahl zu den Faschisten &uuml;berlaufen; unter diesen Umst&auml;nden zum Aufstand rufen - das k&ouml;nnen nur verbrecherische Abenteurer oder Bolschewisten. Nach dieser theoretischen Wendung um 180 Grad w&auml;ren die Austromarxisten sich selbst doch g&auml;nzlich treu geblieben. Die Parole der inneren Abr&uuml;stung &uuml;bersteigt in ihrer reaktion&auml;ren Gemeinheit alles, was wir bisher von seiten der Sozialdemokratie zu h&ouml;ren bekamen. Diese Herrschaften bitten die Arbeiter anst&auml;ndig, sich angesichts des bewaffneten b&uuml;rgerlichen Staates zu entwaffnen. Die faschistischen Banden sind doch nur Hilfstruppen der Bourgeoisie; heute aufgel&ouml;st, k&ouml;nnen sie jeden Augenblick wieder in noch gr&ouml;&szlig;erer Zahl und mit besserer Bewaffnung zusammengetrommelt werden. Aber den Arbeitern wird niemand Waffen geben, wenn die Sozialdemokratie sie mit Hilfe des b&uuml;rgerlichen Staates erst einmal entwaffnet hat. Nat&uuml;rlich f&uuml;rchtet die Sozialdemokratie die Waffen der Faschisten; aber sie f&uuml;rchtet die Waffen in den H&auml;nden der Arbeiter fast noch mehr. Heute hat die Bourgeoisie vor dem B&uuml;rgerkrieg noch Angst, - erstens ist der Ausgang ungewi&szlig;, zweitens will sie keine wirtschaftlichen Ersch&uuml;tterungen. Die Entwaffnung der Arbeiter sichert die Bourgeoisie vor dem B&uuml;rgerkrieg und maximiert zugleich die Chancen eines faschistischen Staatsstreichs.
<P>
Die innere Abr&uuml;stung &Ouml;sterreichs ist eine Forderung der Ententel&auml;nder, in erster Linie Frankreichs, in zweiter - Englands. Der offizi&ouml;se franz&ouml;sische &raquo;Temps&laquo; erkl&auml;rt Schober in strengem Ton, da&szlig; die innere Abr&uuml;stung im Interesse des Auslands wie des Privateigentums liege. Hendersons Rede im Unterhaus galt dem gleichen Thema. Indem er die &ouml;sterreichische Demokratie verteidigte, verteidigte er die Vertr&auml;ge von Versailles und Saint-Germain. Die &ouml;sterreichische Sozialdemokratie dient hier - wie in allen wichtigen Fragen - der Bourgeoisie der Siegerl&auml;nder nur als Relaisstation.
<P>
Die Sozialdemokratie kann und will die Macht nicht &uuml;bernehmen. Aber die Bourgeoisie meint, da&szlig; die Disziplinierung der Arbeiter durch die Sozialdemokratie f&uuml;r sie zu kostspielig wird. Die Bourgeoisie insgesamt braucht den Faschismus, um die Sozialdemokratie in Zaum zu halten und sie bei g&uuml;nstiger Gelegenheit beiseite zu schleudern. Der Faschismus will die Macht und ist imstande, sie sich zu holen. Hat er sie, wird er sie voll und ganz dem Finanzkapital zur Verf&uuml;gung stellen. Aber das ist ein Weg sozialer Ersch&uuml;tterungen, die ebenfalls gro&szlig;e Unkosten mit sich bringen. Dies erkl&auml;rt das Z&ouml;gern der Bourgeoisie, den inneren Kampf ihrer sozialen Schichten, und bestimmt die Politik, die sie in der n&auml;chsten Zeit vermutlich einschlagen wird: die Sozialdemokratie mittels des Faschismus dazu zu zwingen, der Bourgeoisie behilflich zu sein, die Verfassung so zu &auml;ndern, da&szlig; alle Vorteile der Demokratie und des Faschismus vereint werden: Faschismus als Kern, Demokratie als Schale - bei Wegfall der Unkosten f&uuml;r demokratische Reformen und, wenn m&ouml;glich, unter Vermeidung der Unkosten eines faschistischen Staatsstreichs.
<P>
Wird die Bourgeoisie damit Erfolg haben? Ganz, bis zum Ende und auf lange Sicht bestimmt nicht. Mit anderen Worten: die Bourgeoisie kann kein Regime schaffen, das es ihr gestatten w&uuml;rde, sich friedlich ebensowohl auf die Arbeiter wie auf das ruinierte Kleinb&uuml;rgertum zu st&uuml;tzen und sich weder die Kosten f&uuml;r soziale Reformen, noch diejenigen aufzuladen, die aus den Ersch&uuml;tterungen des B&uuml;rgerkriegs erwachsen. Die Widerspr&uuml;che sind zu gro&szlig;, - sie m&uuml;ssen in der einen oder der anderen Richtung durchbrechen.
<P>
In jedem Falle ist die &ouml;sterreichische &raquo;Demokratie&laquo; verloren. Nach dem jetzigen Schlaganfall kann sie sich nat&uuml;rlich wieder erholen und eine Zeitlang dahinvegetieren, ein Bein nachschleppend und mit lallender Zunge. Mag sein, da&szlig; ein weiterer Schlag n&ouml;tig ist, um sie ganz umzubringen. Aber ihr Schicksal ist bereits entschieden.
<P>
Der Austromarxismus hat jetzt eine Zeit der S&uuml;hne f&uuml;r seine politischen Verbrechen vor sich. Die Sozialdemokratie, die die Bourgeoisie vor dem Bolschewismus gerettet hat, tr&auml;gt zur Rettung der Bourgeoisie vor der Sozialdemokratie bei. Es w&auml;re unsinnig, die Augen davor zu verschlie&szlig;en, da&szlig; der Sieg des Faschismus nicht nur die physische Ausrottung der wenig zahlreichen Kommunisten nach sich ziehen w&uuml;rde, sondern auch die erbarmungslose Vernichtung aller sozialdemokratischen Organisationen und St&uuml;tzpunkte. In dieser Hinsicht (wie in mancher anderen) wiederholt die Sozialdemokratie nur die Geschichte des Liberalismus, dessen sp&auml;te Tochter sie ist. Mehr als einmal in der Geschichte haben die Liberalen der feudalen Reaktion geholfen, mit den Volksmassen fertig zu werden, - nachher liquidierte die Reaktion dann die Liberalen selbst.
<P>
Anscheinend hat es sich die Geschichte zur Aufgabe gemacht, die Prognosen und Direktiven der Komintern von 1923 an restlos zu widerlegen: die Einsch&auml;tzung der revolution&auml;ren Lage in Deutschland von 1923, der internationalen Rolle der Vereinigten Staaten und des anglo-amerikanischen Konflikts; die Orientierung auf einen revolution&auml;ren Aufschwung in den Jahren 1924-25; die Einsch&auml;tzung der Triebkr&auml;fte und Perspektiven der chinesischen Revolution (1925-27), des englischen Tradeunionismus (1925-27), der Industrialisierung und der Kulaken in der UdSSR usw., usw. Das gleiche widerf&auml;hrt jetzt der Einsch&auml;tzung der &raquo;dritten Periode&laquo; und des &raquo;Sozialfaschismus&laquo;. Molotow hat die Entdeckung gemacht, da&szlig; Frankreich in der ersten Reihe der revolution&auml;ren Bewegung steht. In Wirklichkeit ist es - unter den europ&auml;ischen L&auml;ndern - &Ouml;sterreich, wo gegenw&auml;rtig eine revolution&auml;re Situation besteht, wobei es sehr charakteristisch ist, da&szlig; der Ansatzpunkt einer m&ouml;glichen revolution&auml;ren Entwicklung nicht im Kampf zwischen Kommunismus und &raquo;Sozialfaschismus&laquo; liegt, sondern im Konflikt zwischen Sozialdemokratie und Faschismus. Nun wird deutlich, da&szlig; sich die ungl&uuml;ckselige Kommunistische Partei in eine Sackgasse verrannt hat.
<P>
Ja, der Konflikt zwischen Sozialdemokratie und Faschismus ist jetzt das wichtigste Faktum der &ouml;sterreichischen Politik. Die Sozialdemokratie weicht zur&uuml;ck, verliert an Boden, kriecht auf dem Bauche, bittet um Gnade und gibt eine Position nach der anderen auf. Aber der Konflikt hat nichtsdestoweniger einen sehr realen Charakter: es geht um den Kopf der Sozialdemokratie. Ein weiteres Vorr&uuml;cken der Faschisten kann und mu&szlig; die sozialdemokratischen Arbeiter, ja selbst einen Teil des sozialdemokratischen Apparats dazu bringen, sehr viel weiter zu gehen als bis zu der Grenze, die Seitz, Bauer und Co. f&uuml;r sie gezogen haben. Ebenso wie sich mehr als einmal aus dem Konflikt zwischen Liberalismus und Monarchie eine revolution&auml;re Situation entwickelt hat, die dann beiden Gegnern &uuml;ber den Kopf wuchs, so kann aus dem Konflikt zwischen Sozialdemokratie und Faschismus - den beiden antagonistischen Gesch&auml;ftsf&uuml;hrern der Bourgeoisie - eine revolution&auml;re Lage entstehen, die bald beiden &uuml;ber den Kopf w&auml;chst.
<P>
Was w&auml;re ein proletarischer Revolution&auml;r wert gewesen, der in einer Zeit b&uuml;rgerlicher Revolution nicht verstanden h&auml;tte, den Konflikt zwischen Liberalismus und Monarchie richtig einzusch&auml;tzen, und der, statt ihn f&uuml;r revolution&auml;re Zwecke zu nutzen, die beiden Gegner in einen Topf geworfen h&auml;tte? Und was taugt ein Kommunist, der den Konflikt zwischen Faschismus und Sozialdemokratie mit der simplen und inhaltsleeren Formel vom Sozialfaschismus verdeckt?
<P>
Eine solche Position - blo&szlig;es Geschrei und steriler Linksradikalismus - versperrt der Kommunistischen Partei von vornherein den Weg zu den sozialdemokratischen Arbeitern und gibt den rechten Str&ouml;mungen im kommunistischen Lager reiche Nahrung. Einer der Gr&uuml;nde f&uuml;r das Erstarken der rechten Gruppen liegt darin, da&szlig; sie mit ihrer Kritik wirklich schwache Stellen des offiziellen Kommunismus treffen. Im gleichen Ma&szlig;e, wie sich die Partei als unf&auml;hig erweist, sich den Weg zu den sozialdemokratischen Arbeitern zu bahnen, findet die Rechte Opposition Zugang zum sozialdemokratischen Apparat. Unverst&auml;ndnis f&uuml;r das Wesen revolution&auml;ren Krisen, politischer Minimalismus und die Perspektive der ewigen Vorbereitung - das sind die charakteristischen Z&uuml;ge der Politik der Rechten. Sie m&uuml;ssen sich am st&auml;rksten f&uuml;hlen, wenn die Leitung der Komintern versucht, auf administrativem Wege eine revolution&auml;re Situation zu simulieren. In solchen F&auml;llen gewinnen die Kritiken von rechts einen Schein von &Uuml;berzeugungskraft. Sie haben aber mit revolution&auml;rer Strategie nichts gemein. In den revolution&auml;rsten Augenblicken haben die Rechten eine opportunistische Politik unterst&uuml;tzt (in Deutschland, China und England). Durch Kritik des b&uuml;rokratischen Putschismus verbessern sie ihren Ruf, um im entscheidenden Augenblick dann wieder die Rolle der Bremse zu &uuml;bernehmen.
<P>
Die Politik der wildgewordenen Zentristen gibt nicht nur den Rechten Nahrung, sondern gie&szlig;t Wasser auf die M&uuml;hle des Austromarxismus. Nichts kann die Sozialdemokratie in n&auml;chster Zeit retten - nur die falsche Politik des offiziellen Kommunismus.
<P>
Was hei&szlig;t eigentlich &raquo;Sozialfaschismus&laquo;? Auch wenn die verlegenen &raquo;Theoretiker&laquo; einander an Subtilit&auml;t &uuml;berb&ouml;ten, k&ouml;nnten sie nichts anderes sagen, als da&szlig; darunter die Bereitschaft der Sozialdemokratie zu verstehen ist, die Grundlagen der b&uuml;rgerlichen Herrschaft (und ihre eigenen Positionen in diesem System) gegen die Arbeiter mit Waffengewalt zu verteidigen. Aber sind dazu nicht ausnahmslos alle &raquo;demokratischen&laquo; Parteien bereit? Haben wir je die Demokratie f&uuml;r ein Regime des sozialen Friedens gehalten? Haben nicht Kerenski und Zeretelli die Bauern und Arbeiter im Honigmond der demokratischen Revolution massakriert? Haben nicht die franz&ouml;sischen Radikalen vor wie nach dem Krieg die Armee gegen Streikende eingesetzt? Und ist nicht die Geschichte der Herrschaft der Republikanischen und der Demokratischen Partei in den Vereinigten Staaten zugleich die Geschichte blutiger Repressalien gegen Streikende? Wenn all das Faschismus ist, dann ist die Geschichte der Klassengesellschaft die Geschichte des Faschismus, dann gibt es in der Welt ebensoviele Faschismen wie b&uuml;rgerliche Parteien: Liberal-Faschisten, Radikal-Faschisten, National-Faschisten usw. Aber welchen Sinn haben dann diese Bezeichnungen? Keinen. &raquo;Faschismus&laquo; ist dann nur ein marktschreierisches Synonym f&uuml;r Klassengewalt.
<P>
Im August 1914 haben wir die Sozialdemokratie als &raquo;sozialimperialistisch&laquo; bezeichnet. Damit gaben wir zu verstehen, da&szlig; die Sozialdemokratie eine der Arbeiterklasse angepa&szlig;te Sonderform des Imperialismus ist. Der Imperialismus vereinigt die Sozialdemokratie mit ausnahmslos allen b&uuml;rgerlichen Parteien. Der &raquo;Sozialismus&laquo; stellt sie ihnen gegen&uuml;ber. Der Terminus &raquo;Sozialimperialismus&laquo; charakterisiert diese ihre Situation vollst&auml;ndig.
<P>
Der Faschismus ist aber - will man nicht t&ouml;richt mit Worten spielen - keineswegs ein allen b&uuml;rgerlichen Parteien gemeinsamer Zug, sondern eine besondere b&uuml;rgerliche Partei, die f&uuml;r spezielle Bedingungen und Aufgaben geeignet ist, sich gegen die anderen b&uuml;rgerlichen Parteien stellt und ihre Gewalt gerade gegen die Sozialdemokratie richtet.
<P>
Man kann hierauf erwidern, da&szlig; die Feindschaft der b&uuml;rgerlichen Parteien untereinander von nur sehr relativer Bedeutung ist. Das ist richtig, aber das ist eine Binsenwahrheit. die uns keinen Schritt weiter bringt. Da&szlig; alle b&uuml;rgerlichen Parteien, vom Faschismus bis zur Sozialdemokratie, die Verteidigung der b&uuml;rgerlichen Herrschaft h&ouml;her stellen als ihre programmatischen Differenzen, schafft diese Differenzen ebensowenig aus der Welt wie ihren Kampf untereinander und unsere Pflicht, aus diesem Kampf Nutzen zu ziehen.
<P>
Die &ouml;sterreichische Sozialdemokratie f&auml;llt mehr als jede andere Partei der II. Internationale mit der Arbeiterklasse zusammen. Schon aus diesem Grund setzt die Entwicklung der revolution&auml;ren Krise in diesem Lande eine Reihe schwerwiegender innerer Krisen der Sozialdemokratie voraus. Da eine solche Differenzierung sich bisher nicht vollzogen hat, ist es vor allem nicht ausgeschlossen, da&szlig; sich in &Ouml;sterreich eine &raquo;unabh&auml;ngige&laquo; Partei von der offiziellen Sozialdemokratie abspaltet, die der Kommunistischen Partei mit einem Schlage - wie es in Deutschland der Fall war - eine Massenbasis schafft. Das mu&szlig; nicht geschehen, ist aber den Umst&auml;nden nach sehr wahrscheinlich. Die Aussicht auf eine m&ouml;gliche Spaltung der Sozialdemokratie unter dem Druck der revolution&auml;ren Krise darf keinesfalls die Kritik der Kommunistischen Partei an den zuk&uuml;nftigen &raquo;Unabh&auml;ngigen&laquo; mildern. Die Notwendigkeit, die Linken vom Schlage Max Adlers oder einer neueren Variante schonungslos zu entlarven, mu&szlig; nicht nochmals demonstriert werden. Aber es w&auml;re verh&auml;ngnisvoll, nicht vorauszusehen, da&szlig; sich im Laufe des Kampfes gegen den Faschismus unvermeidlich gro&szlig;e Massen sozialdemokratischer Arbeiter der Kommunistischen Partei n&auml;hern und sich dennoch auch weiterhin als Sozialdemokraten f&uuml;hlen und verstehen werden.
<P>
Es ist Pflicht der Kommunistischen Partei, vor diesen Arbeitern den b&uuml;rgerlichen Charakter der Sozialdemokratie zu kritisieren um ihnen zu zeigen, da&szlig; die Politik der Sozialdemokratie eine Politik der Kapitulation vor dem Faschismus ist. Je mehr sich die Krise zuspitzt, desto mehr wird die kommunistische Kritik durch die Erfahrung der Massen gerechtfertigt.
<P>
Aber Sozialdemokratie und Faschismus in einem Augenblick, wo die sozialdemokratischen Arbeiter t&ouml;dlichen Ha&szlig; und ihre F&uuml;hrer t&ouml;dliche Furcht gegen&uuml;ber dem Faschismus empfinden, miteinander zu identifizieren, hei&szlig;t, sich in Widerspruch zur realen politischen Konstellation bringen, die Massen mi&szlig;trauisch gegen den Kommunismus machen und die Bindung an ihre F&uuml;hrer festigen.
<P>
Es ist leicht vorherzusehen, da&szlig; die Identifizierung von Sozialdemokratie und Faschismus die Gefahr einer Idealisierung der linken Sozialdemokratie heraufbeschw&ouml;rt, sobald diese bei einem ernsteren Zusammensto&szlig; mit dem Faschismus sich abspaltet. Die historische Erfahrung zeigt das. Erinnern wir uns, da&szlig; die Identifizierung von Sozialdemokratie und Faschismus zum ersten Mal von dem ungl&uuml;ckseligen V. Kongre&szlig; proklamiert worden ist, und da&szlig; sie ihr (antithetisches) Komplement in der Kapitulation vor Purcell, Tschiang Kai-schek, Radic und Lafolette gefunden hat. Das ist ganz logisch. Wer die &auml;u&szlig;erste Linke der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft mit ihrer &auml;u&szlig;ersten Rechten, also den Austromarxismus mit dem Faschismus identifiziert, bereitet unweigerlich die Kapitulation der kommunistischen Partei vor der linken Sozialdemokratie im kritischsten Augenblick vor.<A name="ZA" HREF="291113a.htm#A">(A)</A>
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Diese Frage ist mit den k&uuml;nftigen Losungen der &ouml;sterreichischen Arbeiterklasse eng verbunden: R&auml;te und Diktatur des Proletariats. Im allgemeinen h&auml;ngen beide Parolen direkt miteinander zusammen. R&auml;te entstehen nur unter den Bedingungen einer revolution&auml;ren Situation - wenn es eine m&auml;chtige Massenbewegung gibt, die Kommunistische Partei eine starke Stellung hat und eine immer gr&ouml;&szlig;ere Rolle spielt, d.h. unter Bedingungen, wie sie vor und w&auml;hrend der Machteroberung durch das Proletariat bestehen.
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Aber in &Ouml;sterreich kann es leichter als in anderen L&auml;ndern dazu kommen, da&szlig; die R&auml;te-Parole nicht mit der Losung &raquo;Diktatur des Proletariats&laquo; zusammenf&auml;llt, sondern im Gegenteil die R&auml;te in Bastionen gegen die Diktatur des Proletariats verwandelt werden. Es ist besonders wichtig, dies zu verstehen und vorherzusehen, weil die Epigonen (Sinowjew, Stalin und andere) aus der R&auml;te-Losung einen vulg&auml;ren Fetisch gemacht haben, indem sie den Klasseninhalt durch die blo&szlig;e Organisationsform ersetzten.
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Es ist keineswegs ausgeschlossen, da&szlig; die &ouml;sterreichische Sozialdemokratie sich, wenn nicht heute, dann in der folgenden Etappe des Kampfes, gezwungen sieht, den Generalstreik auszurufen (wie der englische Gewerkschaftsrat im Jahre 1926) und sogar die Bildung von R&auml;ten zu sanktionieren, um die F&uuml;hrung umso sicherer in der Hand zu behalten. Man m&uuml;&szlig;te dann Friedrich Adler und Genossen aus der Reserve hervorholen. Max Adler oder ein anderer, der noch weiter &raquo;links&laquo; steht, wird aufs neue beweisen, da&szlig; R&auml;te plus Demokratie einen kombinierten Staat ergeben, und da&szlig; damit die Notwendigkeit entf&auml;llt, um die Macht und die Diktatur zu k&auml;mpfen. Nicht nur die sozialdemokratischen, sondern auch die kommunistischen Arbeiter, die daran gew&ouml;hnt sind, Tag f&uuml;r Tag zu h&ouml;ren, da&szlig; Sozialdemokratie und Faschismus ein und dasselbe sind, werden von einer solchen Entwicklungsphase des Kampfes zwischen Sozialdemokratie und Faschismus &uuml;berrascht sein. Und doch w&uuml;rde diese Etappe nur ein komplizierteres, besser organisiertes System des Verrats der proletarischen Interessen durch die Sozialdemokratie bedeuten. Denn unter F&uuml;hrung der Austromarxisten w&auml;ren die Arbeiterr&auml;te nicht Organe der proletarischen Machteroberung, sondem ein Instrument, um das Proletariat zu hindern, die (bestehende) Macht anzugreifen.
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In Deutschland w&auml;re ein solcher Versuch - wenigstens in gro&szlig;em Stil - jetzt nicht m&ouml;glich, weil dort die Kommunistische Partei schon zu stark ist. Ganz anders in &Ouml;sterreich. Falls sich die Ereignisse rasch entwickeln, kann die Krise ihren H&ouml;hepunkt erreichen, ehe noch die &ouml;sterreichische Kommunistische Partei ihre Isolierung und Schw&auml;che &uuml;berwunden hat. Die R&auml;te k&ouml;nnten in H&auml;nden der Austromarxisten zum Werkzeug werden, das Proletariat zum zweiten Male um die Frucht einer revolution&auml;ren Situation zu betr&uuml;gen, zum zweiten Male die b&uuml;rgerliche Gesellschaft zu retten, wobei diesmal unweigerlich eine offen faschistische Herrschaft die Folge w&auml;re. Es er&uuml;brigt sich, zu sagen, da&szlig; in diesem Falle die Rippen der Sozialdemokratie selbst unter dem Stiefel des Faschismus krachen w&uuml;rden. Die Politik kennt keine Dankbarkeit.
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Die Parolen &raquo;Arbeiterr&auml;te&laquo; und &raquo;Diktatur des Proletariats&laquo; haben gegenw&auml;rtig in &Ouml;sterreich nur propagandistischen Wert. Nicht deshalb, weil &Ouml;sterreich von einer revolution&auml;ren Situation weit entfernt w&auml;re, sondern weil das b&uuml;rgerliche Regime in &Ouml;sterreich mit einem zureichenden System von Sicherheitsventilen - in Gestalt der Sozialdemokratie - ausgestattet ist. Was immer die Schw&auml;tzer und Phrasendrescher sagen m&ouml;gen, - die Aufgabe der KP&Ouml; besteht gegenw&auml;rtig nicht darin, &raquo;die Massen&laquo; - welche? - &raquo;zu bewaffnen&laquo; - womit? - &raquo;und sie in den entscheidenden Kampf zu f&uuml;hren&laquo;, sondern darin, sie &raquo;geduldig aufzukl&auml;ren&laquo; (Lenin im April 1917). Der Erfolg dieser propagandistischen Arbeit wird umso rascher und gewaltiger eintreten, je besser die Kommunistische Partei begreift, was unter ihren Augen vor sich geht.
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Zu allererst mu&szlig; daher die stumpfsinnige, haltlose und vorschnelle Identifizierung von Sozialdemokratie und Faschismus aufgegeben werden.
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Dann mu&szlig; den &ouml;sterreichischen Kommunisten die Erfahrung von 1918-19 und die Rolle der Sozialdemokratie im R&auml;tesystem in Erinnerung gerufen werden.
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Der &raquo;inneren Abr&uuml;stung&laquo; mu&szlig; die Losung der Bewaffnung der Arbeiter entgegengestellt werden. Diese Losung ist jetzt weit aktueller als die der R&auml;te und der Diktatur des Proletariats. Nennt man Bauer einen Faschisten, wird es der Arbeiter nicht verstehen. Aber er wird uns vollkommen verstehen, wenn wir ihm sagen, da&szlig; Bauer die Arbeiter endg&uuml;ltig entwaffnen und hilflos den Faschisten ausliefern will, - weil das seiner politischen Erfahrung entspricht.
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Man darf nicht glauben, da&szlig; man mit Schreien, Heulen, radikalen Parolen die eigene Ohnmacht wettmachen kann. Man mu&szlig; aufh&ouml;ren, die wirkliche Entwicklung in das simple Schema der Stalin und Molotow zu zw&auml;ngen. Man mu&szlig; begreifen, da&szlig; beide nichts verstehen. Der erste Schritt zur Wiederbelebung mu&szlig; die Wiederaufnahme der Linken Opposition in die Partei sein. Aber in &Ouml;sterreich wie andernorts braucht es offenbar noch ein paar historische Nachhilfestunden, ehe der Kommunismus auf den richtigen Weg kommt. Die Aufgabe der Opposition ist es, diese Entwicklung vorzubereiten. Und ist die Linke Opposition in &Ouml;sterreich auch numerisch schwach (selbst im Verh&auml;ltnis zur Kommunistischen Partei), so hat sie doch dieselbe Aufgabe: Propaganda zu treiben und geduldig aufzukl&auml;ren. Es bleibt nur zu w&uuml;nschen, da&szlig; es der &ouml;sterreichischen kommunistischen Opposition in B&auml;lde gelingt, ein regelm&auml;&szlig;ig erscheinendes Organ - wom&ouml;glich eine Wochenzeitung - zu schaffen, deren Propaganda nicht allzusehr hinter den Ereignissen zur&uuml;ckbleibt.
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Die Schaffung eines solchen Organs bedarf gro&szlig;er Anstrengungen. Aber es ist eine unaufschiebbare Aufgabe. Darum mu&szlig; sie gel&ouml;st werden.
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<P>Anmerkungen von Trotzki
<P><A NAME="A" HREF="291113a.htm#ZA">A</A> Ich kann mich dar&uuml;ber hier nicht weiter auslassen; die Frage wurde in aller Ausf&uuml;hrlichkeit in meiner Kritik des Komintern-Programms er&ouml;rtert.
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<P><SMALL>Pfad: &laquo;../tr/&raquo;<BR>
Verkn&uuml;pfte Dateien: <A href="http://www.mlwerke.de/css/format.css">&laquo;../css/format.css&raquo;</A><BR>
Quelle: die nicht mehr existierende Seite "Linksruck"Linksruck</A>
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