478 lines
39 KiB
HTML
478 lines
39 KiB
HTML
<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 3.2//EN">
|
|
|
|
<html>
|
|
<head>
|
|
<meta name="generator" content="HTML Tidy for Windows (vers 25 March 2009), see www.w3.org">
|
|
<meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=us-ascii">
|
|
|
|
<title>Karl Marx - Die Klassenkaempfe in Frankreich 1848 bis 1850 - IV</title>
|
|
</head>
|
|
|
|
<body bgcolor="#FFFFFC">
|
|
<p align="center"><a href="me07_064.htm"><font size="2">III - Folgen des 13. Juni 1849</font></a>
|
|
| <a href="me07_009.htm"><font size="2">Inhalt und Einleitung</font></a></p>
|
|
|
|
<p><small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 7, "Die
|
|
Klassenkämpfe in Frankreich 1848-1850", S. 95-107<br>
|
|
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1960</small></p>
|
|
|
|
<p align="center"><font size="5">IV<br>
|
|
Die Abschaffung des allgemeinen Stimmrechts 1850</font></p>
|
|
|
|
<p><b><a name="S95"><95></a></b> (Die Fortsetzung der vorstehenden drei Kapitel findet sich
|
|
in der "Revue" des letzten erschienenen, fünften und sechsten Doppelheftes der "Neuen
|
|
Rheinischen Zeitung". <Siehe Band 7, S. 438-440 und 446-456> Nachdem hier zuerst die
|
|
große, 1847 in England ausgebrochene Handelskrise geschildert und aus ihren
|
|
Rückwirkungen auf den europäischen Kontinent die Zuspitzung der dortigen politischen
|
|
Verwicklungen zu den Revolutionen des Februar und März 1848 erklärt worden, wird dann
|
|
dargestellt, wie die im Laufe von 1848 wieder eingetretene, 1849 noch höher gesteigerte
|
|
Prosperität des Handels und der Industrie den revolutionären Aufschwung lähmte und
|
|
die gleichzeitigen Siege der Reaktion möglich machte. Speziell von Frankreich heißt es
|
|
dann:) <Geschrieben von Engels zur Ausgabe von 1895></p>
|
|
|
|
<p>Dieselben Symptome zeigten sich in <i>Frankreich</i> seit 1849 und besonders seit Anfang 1850.
|
|
Die Pariser Industrien sind vollauf beschäftigt, und auch die Baumwollfabriken von Rouen und
|
|
Mülhausen gehen ziemlich gut, obwohl hier die hohen Preise des Rohstoffes, wie in England,
|
|
hemmend eingewirkt haben. Die Entwicklung der Prosperität in Frankreich wurde zudem
|
|
besonders befördert durch die umfassende Zollreform in Spanien und durch die Herabsetzung
|
|
der Zölle auf verschiedene Luxusartikel in Mexiko; nach beiden Märkten hat die Ausfuhr
|
|
französischer Waren bedeutend zugenommen. Die Vermehrung der Kapitalien führte in
|
|
Frankreich zu einer Reihe von Spekulationen, denen die Ausbeutung der kalifornischen Goldminen
|
|
auf großem Fuß zum Vorwand diente. Eine Menge von Gesellschaften tauchte auf, deren
|
|
niedrige Aktienbeträge und deren sozialistisch gefärbte Prospekte direkt an den
|
|
Geldbeutel der Kleinbürger und Arbeiter appellieren, die aber samt und sonders auf jene
|
|
reine Prellerei hinauslaufen, welche den Franzosen und Chinesen allein eigentümlich ist.
|
|
Eine dieser Gesellschaften wird sogar direkt von der <a name="S96"><b><96></b></a>
|
|
Regierung protegiert. Die Einfuhrzölle in Frankreich in den ersten neun Monaten betrugen
|
|
1848 - 63 Millionen Francs, 1849 - 95 Millionen Francs und 1850 - 93 Millionen Francs. Sie
|
|
stiegen übrigens im Monat September 1850 wieder um mehr als eine Million gegen den gleichen
|
|
Monat 1849. Die Ausfuhr ist ebenfalls 1849 und noch mehr 1850 gestiegen. Der schlagendste Beweis
|
|
der wiederhergestellten Prosperität ist die Wiedereinführung der Barzahlungen der Bank
|
|
durch das Gesetz vom 6. August 1850. Am 15. März 1848 war die Bank bevollmächtigt
|
|
worden, ihre Barzahlungen einzustellen. Ihre Notenzirkulation, mit Einschluß der
|
|
Provinzialbanken, betrug damals 373 Millionen Francs (14.920.000 £). Am 2. November 1849
|
|
betrug diese Zirkulation 482 Millionen Francs oder 19.280.000 £; Zuwachs von 4.360.000
|
|
£, und am 2. September 1850 - 496 Millionen Francs oder 19.840.000 £; Zuwachs von
|
|
etwa 5 Millionen Pfund. Es trat dabei keine Depreziation der Noten ein; umgekehrt, die vermehrte
|
|
Zirkulation der Noten war begleitet von beständig wachsender Aufhäufung von Gold und
|
|
Silber in den Kellern der Bank, so daß im Sommer 1850 der Barvorrat sich auf ungefähr
|
|
14 Millionen £ belief, eine in Frankreich unerhörte Summe. Daß die Bank so in
|
|
den Stand gesetzt wurde, ihre Zirkulation und damit ihr tätiges Kapital um 123 Millionen
|
|
Francs oder 5 Millionen Pfund zu erhöhen, beweist schlagend, wie richtig <a href=
|
|
"me07_064.htm#S76">unsre Behauptung in einem früheren Heft</a> war, daß die
|
|
Finanzaristokratie durch die Revolution nicht nur nicht gestürzt, sondern sogar noch
|
|
verstärkt worden ist. Noch augenscheinlicher wird dies Resultat durch folgende
|
|
Übersicht über die französische Bankgesetzgebung der letzten Jahre. Am 10. Juni
|
|
1847 wurde die Bank bevollmächtigt, Noten von 200 Francs auszugeben; die niedrigste Note war
|
|
bisher 500 Francs. Ein Dekret vom 15. März 1848 erklärte die Noten der Bank von
|
|
Frankreich für gesetzliche Münze und enthob die Bank der Verpflichtung, sie gegen bar
|
|
einzulösen. Ihre Notenausgabe wurde beschränkt auf 350 Millionen Francs. Sie wurde
|
|
gleichzeitig bevollmächtigt, Noten von 100 Francs auszugeben. Ein Dekret vom 27. April
|
|
verfügte die Verschmelzung der Departementalbanken mit der Bank von Frankreich; ein andres
|
|
Dekret vom 2. Mai 1848 erhöhte ihre Notenausgabe auf 452 Millionen Francs. Ein Dekret vom
|
|
22. Dezember 1849 steigerte das Maximum der Notenausgabe auf 525 Millionen Francs. Endlich
|
|
führte das Gesetz vom 6. August 1850 die Austauschbarkeit der Noten gegen Geld wieder ein.
|
|
Diese Tatsachen, die fortwährende Steigerung der Zirkulation, die Konzentration des ganzen
|
|
französischen Kredits in den Händen der Bank und die Anhäufung alles
|
|
französischen Goldes und Silbers in den Bankgewölben, <a name=
|
|
"S97"><b><97></b></a> führten Herrn Proudhon zu dem Schluß, daß die Bank
|
|
jetzt ihre alte Schlangenhaut abstreifen und sich in eine Proudhonsche Volksbank metamorphosieren
|
|
müsse. Er brauchte nicht einmal die Geschichte der englischen Bankrestriktion von 1797-1819
|
|
zu kennen, er brauchte nur seinen Blick über den Kanal zu richten, um zu sehen, daß
|
|
dies für ihn in der Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft unerhörte Faktum
|
|
weiter nichts war, als ein höchst normales bürgerliches Ereignis, das jetzt nur in
|
|
Frankreich zum erstenmal eintrat. Man sieht, daß die angeblich revolutionären
|
|
Theoretiker, die nach der provisorischen Regierung in Paris das große Wort führten,
|
|
ebenso unwissend waren über die Natur und die Resultate der ergriffenen Maßregeln wie
|
|
die Herren von der provisorischen Regierung selbst.</p>
|
|
|
|
<p>Trotz der industriellen und kommerziellen Prosperität, deren sich Frankreich momentan
|
|
erfreut, laboriert die Masse der Bevölkerung, die 25 Millionen Bauern, an großer
|
|
Depression. Die guten Ernten der letzten Jahre haben die Getreidepreise in Frankreich noch viel
|
|
tiefer gedrückt als in England, und die Stellung verschuldeter, vom Wucher ausgesogener und
|
|
von Steuern gedrückter Bauern kann dabei nichts weniger als glänzend sein. Die
|
|
Geschichte der letzten drei Jahre hat indes zur Genüge bewiesen, daß diese Klasse der
|
|
Bevölkerung durchaus keiner revolutionären Initiative fähig ist.</p>
|
|
|
|
<p>Wie die Periode der Krise später eintritt auf dem Kontinent als in England, so die der
|
|
Prosperität. In England findet stets der ursprüngliche Prozeß statt; es ist der
|
|
Demiurg des bürgerlichen Kosmos. Auf dem Kontinent treten die verschiedenen Phasen des
|
|
Zyklus, den die bürgerliche Gesellschaft immer von neuem durchläuft, in sekundärer
|
|
und tertiärer Form ein. Erstens führte der Kontinent nach England
|
|
unverhältnismäßig mehr aus als nach irgendeinem anderen Land. Diese Ausfuhr nach
|
|
England hängt aber wieder ab von dem Stand Englands, besonders zum überseeischen Markt.
|
|
Dann führt England nach den überseeischen Ländern
|
|
unverhältnismäßig mehr aus als der gesamte Kontinent, so daß die
|
|
Quantität des kontinentalen Exports nach diesen Ländern immer abhängig ist von der
|
|
jedesmaligen überseeischen Ausfuhr Englands. Wenn daher die Krisen zuerst auf dem Kontinent
|
|
Revolutionen erzeugen, so ist doch der Grund derselben stets in England gelegt. In den
|
|
Extremitäten des bürgerlichen Körpers muß es natürlich eher zu
|
|
gewaltsamen Ausbrüchen kommen als in seinem Herzen, da hier die Möglichkeit der
|
|
Ausgleichung größer ist als dort. Andererseits ist der Grad, worin die kontinentalen
|
|
Revolutionen auf England zurückwirken, zugleich der Thermometer, an dem es sich zeigt,
|
|
inwieweit diese Revolutionen wirklich die bürgerlichen Lebensverhältnisse in Frage
|
|
stellen, oder wieweit sie nur ihre politischen Formationen treffen.</p>
|
|
|
|
<p><b><a name="S98"><98></a></b> Bei dieser allgemeinen Prosperität, worin die
|
|
Produktivkräfte der bürgerlichen Gesellschaft sich so üppig entwickeln, wie dies
|
|
innerhalb der bürgerlichen Verhältnisse überhaupt möglich ist, kann von einer
|
|
wirklichen Revolution keine Rede sein. Eine solche Revolution ist nur in den Perioden
|
|
möglich, wo diese <i>beiden Faktoren</i>, die <i>modernen</i> Produktivkräfte und die
|
|
<i>bürgerlichen Produktionsformen</i>, miteinander <i>in Widerspruch</i> geraten. Die
|
|
verschiedenen Zänkereien, in denen sich jetzt die Repräsentanten der einzelnen
|
|
Fraktionen der kontinentalen Ordnungspartei ergehen und gegenseitig kompromittieren, weit
|
|
entfernt zu neuen Revolutionen Anlaß zu geben, sind im Gegenteil nur möglich, weil die
|
|
Grundlage der Verhältnisse momentan so sicher und, was die Reaktion nicht weiß, so
|
|
<i>bürgerlich</i> ist. An ihr werden alle die bürgerliche Entwicklung aufhaltenden
|
|
Reaktionsversuche ebensosehr abprallen wie alle sittliche Entrüstung und alle begeisterten
|
|
Proklamationen der Demokraten. <i>Eine neue Revolution ist nur möglich im Gefolge einer
|
|
neuen Krisis. Sie ist aber auch ebenso sicher wie diese.</i></p>
|
|
|
|
<p>Gehen wir nun nach <i>Frankreich</i> über.</p>
|
|
|
|
<p>Der Sieg, den das Volk in Verbindung mit den Kleinbürgern in den Wahlen vom 10. März
|
|
errungen hatte, wurde von ihm selbst annulliert, indem es die neue Wahl vom 28. April
|
|
provozierte. Vidal war, außer in Paris, auch im Niederrhein gewählt. Das Pariser
|
|
Komitee, in dem die Montagne und die Kleinbürgerschaft stark vertreten waren,
|
|
veranlaßte ihn, für den Niederrhein zu akzeptieren. Der Sieg vom 10. März
|
|
hörte auf ein entscheidender zu sein; der Termin der Entscheidung wurde abermals
|
|
hinausgeschoben, die Spannkraft des Volks wurde erschlafft, es wurde an legale Triumphe
|
|
gewöhnt statt der revolutionären. Der revolutionäre Sinn des 10. März, die
|
|
Rehabilitierung der Juniinsurrektion, wurde endlich vollständig vernichtet durch die
|
|
Kandidatur Eugène Sues, des sentimental-kleinbürgerlichen Sozialphantasten, die das
|
|
Proletariat höchstens als einen Witz, den Grisetten zu Gefallen akzeptieren konnte. Dieser
|
|
wohlmeinenden Kandidatur gegenüber stellte die Ordnungspartei, kühner geworden durch
|
|
die schwankende Politik der Gegner, einen Kandidaten auf, der den Junisieg repräsentieren
|
|
sollte. Dieser komische Kandidat war der spartanische Familienvater Leclerc, dem indes die
|
|
heroische Rüstung durch die Presse Stück für Stück vom Leibe gerissen wurde
|
|
und der bei der Wahl auch eine glänzende Niederlage erlebte. Der neue Wahlsieg am 28. April
|
|
machte die Montagne und die Kleinbürgerschaft übermütig. Sie frohlockte schon in
|
|
dem Gedanken, auf rein legalem Wege und ohne durch eine neue Revolution das Proletariat wieder in
|
|
den Vordergrund zu schieben, am Ziel ihrer Wünsche ankommen zu können; sie rechnete
|
|
fest darauf, bei den neuen Wahlen von 1852 durch das allgemeine Stimmrecht Herrn Ledru- <a name=
|
|
"S99"><b><99></b></a> Rollin in den Präsidentenstuhl und eine Majorität von
|
|
Montagnards in die Versammlung zu bringen. Die Ordnungspartei, durch die Erneuerung der Wahl,
|
|
durch die Kandidatur Sues und durch die Stimmung der Montagne und Kleinbürgerschaft
|
|
vollkommen sichergestellt, daß diese unter allen Umständen entschlossen seien, ruhig
|
|
zu bleiben, antwortete auf die beiden Wahlsiege mit dem <i>Wahlgesetz</i>, das das allgemeine
|
|
Stimmrecht abschaffte.</p>
|
|
|
|
<p>Die Regierung hütete sich wohl, diesen Gesetzvorschlag auf ihre eigene Verantwortlichkeit
|
|
hin zu machen. Sie machte der Majorität eine scheinbare Konzession, indem sie den
|
|
Großwürdenträgern dieser Majorität, den siebzehn Burggrafen, seine
|
|
Ausarbeitung übertrug. Nicht die Regierung schlug also der Versammlung, die Majorität
|
|
der Versammlung schlug sich selbst die Aufhebung des allgemeinen Stimmrechts vor.</p>
|
|
|
|
<p>Am 8. Mai wurde das Projekt in die Kammer gebracht. Die ganze sozialdemokratische Presse erhob
|
|
sich wie ein Mann, um dem Volk würdevolle Haltung, calme majestueux <majestätische
|
|
Ruhe>, Passivität und Vertrauen auf seine Vertreter zu predigen. Jeder Artikel dieser
|
|
Journale war ein Geständnis, daß eine Revolution vor allem die sogenannte
|
|
revolutionäre Presse vernichten müsse und daß es sich also jetzt um ihre
|
|
Selbsterhaltung handle. Die angeblich revolutionäre Presse verriet ihr ganzes Geheimnis. Sie
|
|
unterzeichnete ihr eigenes Todesurteil.</p>
|
|
|
|
<p>Am 21. Mai brachte die Montagne die vorläufige Frage zur Debatte und trug auf Verwerfung
|
|
des ganzen Projekts an, weil es die Verfassung verletze. Die Ordnungspartei antwortete, man werde
|
|
die Verfassung verletzen, wenn es nötig sei, man brauche es jetzt indes nicht, weil die
|
|
Verfassung jeder Deutung fähig sei und weil die Majorität über die richtige
|
|
Deutung allein kompetent entscheide. Den zügellos wilden Angriffen von Thiers und
|
|
Montalembert setzte die Montagne einen anständigen und gebildeten Humanismus entgegen. Sie
|
|
berief sich auf den Rechtsboden; die Ordnungspartei verwies sie auf den Boden, worauf das Recht
|
|
wächst, auf das bürgerliche Eigentum. Die Montagne wimmerte: Ob man denn wirklich mit
|
|
aller Gewalt Revolutionen heraufbeschwören wolle? Die Ordnungspartei erwiderte: Man werde
|
|
sie abwarten.</p>
|
|
|
|
<p>Am 22. Mai wurde die vorläufige Frage erledigt mit 462 gegen 227 Stimmen. Dieselben
|
|
Männer, die mit so feierlicher Gründlichkeit bewiesen hatten, daß die
|
|
Nationalversammlung und jeder einzelne Deputierte abdanke, wenn er das Volk, seinen
|
|
Vollmachtgeber, abdanke, harrten auf ihren Sitzen aus, suchten nun plötzlich statt ihrer das
|
|
Land, und zwar durch Petitionen, handeln <a name="S100"><b><100></b></a> zu lassen und
|
|
saßen noch ungerührt da, als am 31. Mai das Gesetz glänzend durchging. Sie
|
|
suchten sich zu rächen durch einen Protest, worin sie ihre Unschuld an der Notzucht der
|
|
Konstitution zu Protokoll gaben, einen Protest, den sie nicht einmal offen niederlegten, sondern
|
|
dem Präsidenten hinterrücks in die Tasche schmuggelten.</p>
|
|
|
|
<p>Eine Armee von 150.000 Mann in Paris, die lange Verschleppung der Entscheidung, die
|
|
Abwiegelung der Presse, die Kleinmütigkeit der Montagne und der neugewählten
|
|
Repräsentanten, die majestätische Ruhe der Kleinbürger, vor allem aber die
|
|
kommerzielle und industrielle Prosperität verhinderten jeden Revolutionsversuch von seiten
|
|
des Proletariats.</p>
|
|
|
|
<p>Das allgemeine Wahlrecht hatte seine Mission erfüllt. Die Majorität des Volkes hatte
|
|
die Entwicklungsschule durchgemacht, zu der es allein in einer revolutionären Epoche dienen
|
|
kann. Es mußte beseitigt werden durch eine Revolution oder durch die Reaktion.</p>
|
|
|
|
<p>Einen noch größeren Aufwand von Energie entwickelte die Montagne bei einer bald
|
|
darauf vorkommenden Gelegenheit. Der Kriegsminister d'Hautpoul hatte von der Tribüne herab
|
|
die Februarrevolution eine unheilvolle Katastrophe genannt. Die Redner der Montagne, die, wie
|
|
immer, sich durch sittlich entrüstetes Gepolter auszeichneten, wurden vom Präsidenten
|
|
Dupin nicht zum Wort zugelassen. Girardin schlug der Montagne vor, sofort in Masse auszutreten.
|
|
Resultat: Die Montagne blieb sitzen, aber Girardin wurde als unwürdig aus ihrem Schoß
|
|
hinausgeworfen.</p>
|
|
|
|
<p>Das Wahlgesetz bedurfte noch einer Vervollständigung, eines neuen
|
|
<i>Preßgesetzes</i>. Dies ließ nicht lange auf sich warten. Ein Vorschlag der
|
|
Regierung, vielfach verschärft durch Amendements der Ordnungspartei, erhöhte die
|
|
Kautionen, setzte einen Extrastempel auf die Feuilletonromane (Antwort auf die Wahl von
|
|
Eugène Sue), besteuerte alle in wöchentlichen oder monatlichen Lieferungen
|
|
erscheinenden Schriften bis zu einer gewissen Bogenzahl und verfügte schließlich,
|
|
daß jeder Artikel eines Journals mit der Unterschrift des Verfassers versehen sein
|
|
müsse. Die Bestimmungen über die Kaution töteten die sogenannte revolutionäre
|
|
Presse; das Volk betrachtete ihren Untergang als eine Genugtuung für die Abschaffung des
|
|
allgemeinen Wahlrechts. Indes erstreckte sich weder die Tendenz noch die Wirkung des neuen
|
|
Gesetzes allein auf diesen Teil der Presse. Solange die Zeitungspresse anonym war, erschien sie
|
|
als Organ der zahl- und namenlosen öffentlichen Meinung; sie war die dritte Macht im Staate.
|
|
Durch die Unterzeichnung jedes Artikels wurde eine Zeitung zu einer bloßen Sammlung von
|
|
schriftstellerischen Beiträgen mehr oder minder bekannter Individuen. Jeder Artikel sank zu
|
|
einer Annonce herab. Bisher hatten die Zeitungen als das Papiergeld der öffentlichen Meinung
|
|
<a name="S101"><b><101></b></a> zirkuliert; jetzt lösten sie sich auf in mehr oder
|
|
minder schlechte Solawechsel, deren Güte und Zirkulation von dem Kredit nicht nur des
|
|
Ausstellers, sondern auch des Indossenten abhing. Die Presse der Ordnungspartei hatte, wie zur
|
|
Aufhebung des allgemeinen Wahlrechts, so auch zu den äußersten Maßregeln gegen
|
|
die schlechte Presse provoziert. Indes war die gute Presse selbst in ihrer unheimlichen
|
|
Anonymität der Ordnungspartei und noch mehr ihren einzelnen provinzialen Repräsentanten
|
|
unbequem. Sie verlangte sich gegenüber nur noch den bezahlten Schriftsteller mit Namen,
|
|
Wohnort und Signalement. Vergebens jammerte die gute Presse über den Undank, mit dem man
|
|
ihre Dienste belohne. Das Gesetz ging durch, die Bestimmung der Namennennung traf sie vor allem.
|
|
Die Namen der republikanischen Tagesschriftsteller waren ziemlich bekannt; aber die respektablen
|
|
Firmen des "Journal des Débats", der "Assemblée Nationale", des "Constitutionnel"
|
|
usw. usw. machten eine jämmerliche Figur mit ihrer hochbeteuernden Staatsweisheit, als sich
|
|
die mysteriöse Kompanie auf einmal zersetzte in käufliche Penny-a-liners
|
|
<Zeilenschinder> von langer Praxis, die für bares Geld alle möglichen Sachen
|
|
verteidigt hatten, wie Granier de Cassagnac, oder in alte Waschlappen, die sich selbst
|
|
Staatsmänner nannten, wie Capefigue, oder in kokettierende Nußknacker, wie Herr
|
|
Lemoinne vom "Débats".</p>
|
|
|
|
<p>In der Debatte über das Preßgesetz war die Montagne bereits auf einen solchen Grad
|
|
moralischer Verkommenheit herabgesunken, daß sie sich darauf beschränken mußte,
|
|
den glänzenden Tiraden einer alten louis-philippistischen Notabilität, des Herrn Victor
|
|
Hugo, Beifall zuzuklatschen.</p>
|
|
|
|
<p>Mit dem Wahlgesetz und dem Preßgesetz tritt die revolutionäre und demokratische
|
|
Partei von der offiziellen Schaubühne ab. Vor ihrem Aufbruch nach Hause, kurz nach
|
|
Schluß der Session, erließen die beiden Fraktionen der Montagne, die sozialistischen
|
|
Demokraten und die demokratischen Sozialisten, zwei Manifeste, zwei testimonia paupertatis
|
|
<Armutszeugnisse>, worin sie bewiesen, daß, wenn nie die Gewalt und der Erfolg auf
|
|
ihrer Seite, sie sich doch stets auf der Seite des ewigen Rechts und aller übrigen ewigen
|
|
Wahrheiten befunden hätten.</p>
|
|
|
|
<p>Betrachten wir nun die Partei der Ordnung. Die "N. Rh. Z." sagte <a href=
|
|
"me07_064.htm#S76">Heft 3, pag. 16</a>: "Den Restaurationsgelüsten der vereinigten
|
|
Orleanisten und Legitimisten gegenüber vertritt Bonaparte den Titel seiner
|
|
tatsächlichen Macht, die Republik; den Restaurationsgelüsten Bonapartes gegenüber
|
|
vertritt die Partei der Ordnung den Titel ihrer gemeinsamen Herrschaft, die Republik; den
|
|
Orleanisten gegenüber vertreten die Legitimisten, den Legitimisten gegenüber <a name=
|
|
"S102"><b><102></b></a> vertreten die Orleanisten den Status quo, die Republik. Alle diese
|
|
Fraktionen der Ordnungspartei, deren jede ihren eigenen König und ihre eigene Restauration
|
|
in petto hat, machen wechselseitig den Usurpations- und Erhebungsgelüsten ihrer Rivalen
|
|
gegenüber die gemeinsame Herrschaft der Bourgeoisie, die Form geltend, worin die besonderen
|
|
Ansprüche neutralisiert und vorbehalten bleiben - die Republik ... Und Thiers sprach wahrer,
|
|
als er ahnte, wenn er sagte: 'Wir, die Royalisten, sind die wahren Stützen der
|
|
konstitutionellen Republik'."</p>
|
|
|
|
<p>Diese Komödie der républicains malgré eux <Republikaner wider
|
|
Willen>, der Widerwille gegen den Status quo und die beständige Befestigung desselben;
|
|
die unaufhörlichen Reibungen Bonapartes und der Nationalversammlung; die stets erneuerte
|
|
Drohung der Ordnungspartei, sich in ihre einzelnen Bestandteile zu sondern, und das stets
|
|
wiederholte Zusammenschließen ihrer Fraktionen; der Versuch jeder Fraktion, jeden Sieg
|
|
gegen den gemeinsamen Feind in eine Niederlage der zeitweiligen Alliierten zu verwandeln; die
|
|
wechselseitigen Eifersüchtelei, Ranküne, Abhetzung, das unermüdliche Ziehen der
|
|
Schwerter, das immer wieder mit einem baisser-Lamourette endigt - diese ganze unerquickliche
|
|
Komödie der Irrungen entwickelte sich nie klassischer als während der letzten sechs
|
|
Monate.</p>
|
|
|
|
<p>Die Partei der Ordnung betrachtete das Wahlgesetz zugleich als einen Sieg gegen Bonaparte.
|
|
Hatte die Regierung nicht abgedankt, indem sie der Siebzehnerkommission die Redaktion und die
|
|
Verantwortlichkeit ihres eignen Vorschlags überließ? Und beruhte nicht die
|
|
Hauptstärke Bonapartes gegenüber der Versammlung darauf, daß er der Erwählte
|
|
der sechs Millionen war? - Bonaparte seinerseits behandelte das Wahlgesetz als eine Konzession an
|
|
die Versammlung, womit er die Harmonie der legislativen mit der exekutiven Gewalt erkauft habe.
|
|
Zum Lohn verlangte der gemeine Aventurier eine Vermehrung seiner Zivilliste um drei Millionen.
|
|
Durfte die Nationalversammlung in einen Konflikt mit der Exekutiven treten in einem Augenblick,
|
|
wo sie die große Majorität der Franzosen in den Bann erklärt hatte? Sie fuhr
|
|
ärgerlich auf, sie schien es auf das Äußerste treiben zu wollen, ihre Kommission
|
|
verwarf den Antrag, die bonapartistische Presse drohte und verwies auf das enterbte, seines
|
|
Stimmrechts beraubte Volk, eine Menge geräuschvoller Transaktionsversuche fanden statt, und
|
|
die Versammlung gab schließlich nach in der Sache, rächte sich aber zugleich im
|
|
Prinzip. Statt der jährlichen prinzipiellen Vermehrung der Zivilliste um drei Millionen
|
|
bewilligte sie ihm eine Aushülfe von 2.160.000 frs. Nicht zufrieden damit, machte sie selbst
|
|
erst diese Konzession, <a name="S103"><b><103></b></a> nachdem Changarnier sie
|
|
unterstützt hatte, der General der Ordnungspartei und der aufgedrungene Protektor
|
|
Bonapartes. Sie bewilligte also die 2 Millionen eigentlich nicht dem Bonaparte, sondern dem
|
|
Changarnier.</p>
|
|
|
|
<p>Dies de mauvaise grâce <widerstrebend> hingeworfene Geschenk wurde von Bonaparte
|
|
ganz im Sinne des Gebers aufgenommen. Die bonapartistische Presse polterte von neuem gegen die
|
|
Nationalversammlung. Als nun erst bei der Debatte des Preßgesetzes das Amendement wegen der
|
|
Namennennung gemacht wurde, das sich wieder speziell gegen die untergeordneten Blätter, die
|
|
Vertreter der Privatinteressen Bonapartes richtete, brachte das bonapartistische Hauptblatt, das
|
|
"Pouvoir" einen offenen und heftigen Angriff gegen die Nationalversammlung. Die Minister
|
|
mußten das Blatt vor der Versammlung verleugnen; der Gerant des Pouvoir wurde vor die
|
|
Schranken der Nationalversammlung zitiert und zur höchsten Geldstrafe, zu 5.000 frs.
|
|
verurteilt. Den anderen Tag brachte das "Pouvoir" einen noch viel frecheren Artikel gegen die
|
|
Versammlung, und als Revanche der Regierung verfolgte das Parkett sogleich mehrere
|
|
legitimistische Journale wegen Verletzung der Konstitution.</p>
|
|
|
|
<p>Endlich kam man an die Frage von der Vertagung der Kammer. Bonaparte wünschte sie, um
|
|
ungehindert von der Versammlung operieren zu können. Die Ordnungspartei wünschte sie,
|
|
teils zur Durchführung ihrer Fraktionsintrigen, teils zur Verfolgung der Privatinteressen
|
|
der einzelnen Deputierten. Beide bedurften ihrer, um in den Provinzen die Siege der Reaktion zu
|
|
befestigen und weiterzutreiben. Die Versammlung vertagte sich daher vom 11. August bis zum 11.
|
|
November. Da aber Bonaparte keineswegs verhehlte, daß es ihm nur darum zu tun sei, die
|
|
lästige Aufsicht der Nationalversammlung loszuwerden, drückte die Versammlung dem
|
|
Vertrauensvotum selbst den Stempel des Mißtrauens gegen den Präsidenten auf. Von der
|
|
permanenten Kommission von 28 Mitgliedern, die als Tugendwächter der Republik während
|
|
der Ferien ausharrten, wurden alle Bonapartisten ferngehalten. Statt ihrer wurden sogar einige
|
|
Republikaner vom "Siècle" und "National" hineingewählt, um dem Präsidenten die
|
|
Anhänglichkeit der Majorität an die konstitutionelle Republik darzutun.</p>
|
|
|
|
<p>Kurz vor und besonders unmittelbar nach der Vertagung der Kammer schienen die beiden
|
|
großen Fraktionen der Ordnungspartei, die Orleanisten und die Legitimisten, sich
|
|
versöhnen zu wollen, und zwar durch eine Verschmelzung der beiden Königshäuser,
|
|
unter deren Fahnen sie kämpfen. Die Blätter waren voll von
|
|
Versöhnungsvorschlägen, die am Krankenbett Louis-Philippes zu St Leonards diskutiert
|
|
worden seien, als der Tod Louis-Philippes <a name="S104"><b><104></b></a> plötzlich
|
|
die Situation vereinfachte. Louis-Philippe war der Usurpator, Heinrich V. der Beraubte, der Graf
|
|
von Paris dagegen, bei der Kinderlosigkeit Heinrichs V., sein rechtmäßiger Thronerbe.
|
|
Jetzt war der Verschmelzung der beiden dynastischen Interessen jeder Vorwand genommen. Gerade
|
|
jetzt aber entdeckten die beiden Fraktionen der Bourgeoisie erst, daß nicht die
|
|
Schwärmerei für ein bestimmtes Königshaus sie trennte, sondern daß vielmehr
|
|
ihre getrennten Klasseninteressen die beiden Dynastien auseinanderhielten. Die Legitimisten, die
|
|
ins Hoflager Heinrichs V. nach Wiesbaden gepilgert waren, gerade wie ihre Konkurrenten nach St.
|
|
Leonards, erhielten hier die Nachricht vom Tode Louis-Philippes. Sogleich bildeten sie ein
|
|
Ministerium in partibus infidelium, das meist aus Mitgliedern jener Kommission von
|
|
Tugendwächtern der Republik bestand und das bei Gelegenheit eines im Schoß der Partei
|
|
vorkommenden Haders mit der unumwundensten Proklamation des Rechts von Gottes Gnaden hervortrat.
|
|
Die Orleanisten jubelten über den kompromittierenden Skandal, den dies Manifest in der
|
|
Presse hervorrief, und verhehlten keinen Augenblick ihre offene Feindschaft gegen die
|
|
Legitimisten.</p>
|
|
|
|
<p>Während der Vertagung der Nationalversammlung traten die Departementalvertretungen
|
|
zusammen. Ihre Majorität sprach sich für eine mehr oder weniger verklausulierte
|
|
Revision der Verfassung aus, d.h., sie sprach sich aus für eine nicht näher bestimmte
|
|
monarchische Restauration, für eine <i>"Lösung"</i>, und gestand zugleich, daß
|
|
sie zu inkompetent und zu feig sei, diese Lösung zu finden. Die bonapartistische Fraktion
|
|
legte diesen Wunsch der Revision sogleich im Sinne der Verlängerung der Präsidentschaft
|
|
Bonapartes aus.</p>
|
|
|
|
<p>Die verfassungsmäßige Lösung, die Abdankung Bonapartes im Mai 1852, die
|
|
gleichzeitige Wahl eines neuen Präsidenten durch sämtliche Wähler des Landes, die
|
|
Revision der Verfassung durch eine Revisionskammer in den ersten Monaten der neuen
|
|
Präsidentschaft ist für die herrschende Klasse durchaus unzulässig. Der Tag der
|
|
neuen Präsidentenwahl wäre der Tag des Rendezvous für sämtliche feindliche
|
|
Parteien, der Legitimisten, der Orleanisten, der Bourgeoisrepublikaner, der Revolutionäre.
|
|
Es müßte zu einer gewaltsamen Entscheidung zwischen den verschiedenen Fraktionen
|
|
kommen. Gelänge es selbst der Ordnungspartei, über die Kandidatur eines neutralen
|
|
Mannes außerhalb der dynastischen Familien sich zu vereinigen, so träte ihm wieder
|
|
Bonaparte gegenüber. Die Ordnungspartei ist in ihrem Kampf mit dem Volk genötigt,
|
|
beständig die Gewalt der Exekutive zu vermehren. Jede Vermehrung der Gewalt der Exekutive
|
|
vermehrt die Gewalt ihres Trägers Bonaparte. In demselben Maße daher, wie die
|
|
Ordnungspartei ihre gemeinsame Macht verstärkt, verstärkt sie die Kampfmittel der
|
|
dynastischen Präten- <a name="S105"><b><105></b></a> sionen Bonapartes, verstärkt
|
|
sie seine Chance, am Tage der Entscheidung gewaltsam die konstitutionelle Lösung zu
|
|
vereiteln. Er wird sich dann ebensowenig der Ordnungspartei gegenüber an dem einen
|
|
Grundpfeiler der Verfassung stoßen, als sie dem Volk gegenüber beim Wahlgesetz an dem
|
|
anderen. Er würde scheinbar sogar der Versammlung gegenüber an das allgemeine Wahlrecht
|
|
appellieren. Mit einem Wort, die konstitutionelle Lösung stellt den ganzen politischen
|
|
Status quo in Frage, und hinter der Gefährdung des Status quo sieht der Bürger das
|
|
Chaos, die Anarchie, den Bürgerkrieg. Er sieht seine Einkäufe und Verkäufe, seine
|
|
Wechsel, seine Heiraten, seine notariellen Verträge, seine Hypotheken, seine Grundrenten,
|
|
Mietzinse, Profite, seine sämtlichen Kontrakte und Erwerbsquellen auf den ersten Sonntag im
|
|
Mai 1852 in Frage gestellt, und diesem Risiko kann er sich nicht aussetzen. Hinter der
|
|
Gefährdung des politischen Status quo verbirgt sich die Gefahr des Zusammenbrechens der
|
|
ganzen bürgerlichen Gesellschaft. Die einzig mögliche Lösung im Sinne der
|
|
Bourgeoisie ist die Aufschiebung der Lösung. Sie kann die konstitutionelle Republik nur
|
|
retten durch eine Verletzung der Konstitution, durch die Verlängerung der Gewalt des
|
|
Präsidenten. Dies ist auch das letzte Wort der Ordnungspresse nach den langwierigen und
|
|
tiefsinnigen Debatten über die "Lösungen", denen sie sich nach der Session der
|
|
Generalräte hingab. Die großmächtige Ordnungspartei sieht sich so zu ihrer
|
|
Beschämung genötigt, die lächerliche, ordinäre und ihr verhaßte Person
|
|
des Pseudo-Bonaparte ernsthaft zu nehmen.</p>
|
|
|
|
<p>Diese schmutzige Figur täuschte sich ebenfalls über die Ursachen, die sie mehr und
|
|
mehr mit dem Charakter des notwendigen Mannes bekleideten. Während seine Partei Einsicht
|
|
genug hatte, die wachsende Bedeutung Bonapartes den Verhältnissen zuzuschreiben, glaubte er,
|
|
sie allein der Zauberkraft seines Namens und seiner ununterbrochenen Karikierung Napoleons zu
|
|
verdanken. Er wurde täglich unternehmender. Den Wallfahrten nach St. Leonards und Wiesbaden
|
|
setzte er seine Rundreisen durch Frankreich entgegen. Die Bonapartisten hatten so wenig Vertrauen
|
|
auf den magischen Effekt seiner Persönlichkeit, daß sie ihm überall Leute der
|
|
Gesellschaft vom 10. Dezember, dieser Organisation des Pariser Lumpenproletariats, massenweise in
|
|
Eisenbahnzüge und Postchaisen verpackt, als Claqueure mitschickten. Sie legten ihrer
|
|
Marionette Reden in den Mund, die je nach dem Empfang in den verschiednen Städten die
|
|
republikanische Resignation oder die ausdauernde Zähigkeit als den Wahlspruch der
|
|
präsidentiellen Politik proklamierten. Trotz aller Manöver waren diese Reisen nichts
|
|
weniger als Triumphzüge.</p>
|
|
|
|
<p>Nachdem Bonaparte so das Volk begeistert zu haben glaubte, setzte er sich in Bewegung, die
|
|
Armee zu gewinnen. Er ließ auf der Ebene von Satory bei <a name=
|
|
"S106"><b><106></b></a> Versailles große Revuen abhalten, bei denen er die Soldaten
|
|
durch Knoblauchwürste, Champagner und Zigarren zu kaufen suchte. Wenn der echte Napoleon in
|
|
den Strapazen seiner Eroberungszüge seine ermatteten Soldaten durch momentane
|
|
patriarchalische Vertraulichkeit aufzumuntern wußte, so glaubte der Pseudo-Napoleon, die
|
|
Truppen riefen zum Dank: Vive Napoleon, vive le saucisson! <Es lebe Napoleon, es lebe die
|
|
Wurst> d.h.: Es lebe die Wurst, es lebe der Hanswurst!</p>
|
|
|
|
<p>Diese Revuen brachten den lange verhaltenen Zwiespalt zwischen Bonaparte und seinem
|
|
Kriegsminister d'Hautpoul einerseits und Changarnier andererseits zum Ausbruch. In Changarnier
|
|
hatte die Ordnungspartei ihren wirklichen neutralen Mann gefunden, bei dem von eigenen
|
|
dynastischen Ansprüchen keine Rede sein konnte. Ihn hatte sie zum Nachfolger Bonapartes
|
|
bestimmt. Changarnier war dazu durch sein Auftreten am 29. Januar und 13. Juni 1849 der
|
|
große Feldherr der Ordnungspartei geworden, der moderne Alexander, dessen brutales
|
|
Dazwischenfahren in den Augen des zaghaften Bürgers den gordischen Knoten der Revolution
|
|
zerhauen hatte. Im Grunde ebenso lächerlich wie Bonaparte, war er so auf höchst
|
|
wohlfeile Weise zu einer Macht geworden und wurde von der Nationalversammlung dem
|
|
Präsidenten zur Überwachung gegenübergestellt. Er selbst kokettierte, z.B. bei der
|
|
Dotationsfrage mit der Protektion, die er Bonaparte schenkte, und trat immer
|
|
übermächtiger gegen ihn und die Minister auf. Als bei Gelegenheit des Wahlgesetzes eine
|
|
Insurrektion erwartet wurde, verbot er seinen Offizieren, vom Kriegsminister oder vom
|
|
Präsidenten irgendwelche Befehle anzunehmen. Die Presse trug noch dazu bei, die Gestalt
|
|
Changarniers zu vergrößern. Bei dem gänzlichen Mangel an großen
|
|
Persönlichkeiten sah sich natürlich die Ordnungspartei gedrungen, die ihrer ganzen
|
|
Klasse fehlende Kraft einem einzelnen Individuum anzudichten und dies so zum Ungeheuren
|
|
aufzuschwellen. So entstand der Mythus von Changarnier, dem <i>"Bollwerk der Gesellschaft"</i>.
|
|
Die anmaßende Scharlatanerie, die geheimnisvolle Wichtigtuerei, womit Changarnier sich dazu
|
|
herabließ, die Welt auf seinen Schultern zu tragen, bildet den lächerlichsten Kontrast
|
|
mit den Ereignissen wahrend und nach der Revue von Satory, die unwiderleglich bewiesen, daß
|
|
es nur eines Federstrichs Bonapartes des unendlich Kleinen, bedürfe, um diese phantastische
|
|
Ausgeburt der bürgerlichen Angst, um den Koloß Changarnier auf die Dimensionen der
|
|
Mittelmäßigkeit zurückzuführen und ihn, den gesellschaftsrettenden Heros, in
|
|
einen pensionierten General zu verwandeln.</p>
|
|
|
|
<p>Bonaparte hatte sich schon seit längerer Zeit an Changarnier gerächt, indem er den
|
|
Kriegsminister zu Disziplinarstreitigkeiten mit dem unbequemen <a name=
|
|
"S107"><b><107></b></a> Protektor provozierte. Die letzte Revue bei Satory brachte endlich
|
|
den alten Groll zum Eklat. Die konstitutionelle Entrüstung Changarniers kannte keine Grenze
|
|
mehr, als er die Kavallerieregimenter mit dem verfassungswidrigen Ruf: Vive l'Empereur! <Es
|
|
lebe der Kaiser!> vorbeidefilieren sah. Bonaparte, um allen unangenehmen Debatten über
|
|
diesen Ruf in der bevorstehenden Kammersession zuvorzukommen, entfernte den Kriegsminister
|
|
d'Hautpoul, indem er ihn zum Gouverneur von Algier ernannte. An seine Stelle setzte er einen
|
|
zuverlässigen alten General aus der Kaiserzeit, der an Brutalität Changarnier
|
|
vollständig gewachsen war. Damit aber die Entlassung d'Hautpouls nicht als eine Konzession
|
|
an Changarnier erscheine, versetzte er zu gleicher Zeit den rechten Arm des großen
|
|
Gesellschaftsretters, den General Neumayer, von Paris nach Nantes. Neumayer war es gewesen, der
|
|
bei der letzten Revue die gesamte Infanterie bewogen hatte, mit eisigem Stillschweigen an dem
|
|
Nachfolger Napoleons vorbeizudefilieren. Changarnier, in Neumayer selbst getroffen, protestierte
|
|
und drohte. Umsonst Nach zweitägigen Verhandlungen erschien das Versetzungsdekret Neumayers
|
|
im "Moniteur", und dem Heros der Ordnung blieb nichts übrig, als sich der Disziplin zu
|
|
fügen oder abzudanken.</p>
|
|
|
|
<p>Der Kampf Bonapartes mit Changarnier ist die Fortsetzung seines Kampfes mit der Partei der
|
|
Ordnung. Die Wiedereröffnung der Nationalversammlung am 11. November findet daher unter
|
|
drohenden Auspizien statt. Es wird der Sturm im Glase Wasser sein. Im wesentlichen muß das
|
|
alte Spiel fortgehen. Die Majorität der Ordnungspartei wird indes trotz des Geschreies der
|
|
Prinzipienritter ihrer verschiedenen Fraktionen gezwungen sein, die Gewalt des Präsidenten
|
|
zu verlängern. Ebensosehr wird Bonaparte, trotz aller vorläufigen Protestationen, schon
|
|
durch den Geldmangel geknickt, diese Verlängerung der Gewalt als einfache Delegation aus den
|
|
Händen der Nationalversammlung hinnehmen. So wird die Lösung hinausgeschoben, der
|
|
Status quo forterhalten, eine Fraktion der Ordnungspartei von der anderen kompromittiert,
|
|
geschwächt, unmöglich gemacht, die Repression gegen den gemeinsamen Feind, die Masse
|
|
der Nation, ausgedehnt und erschöpft, bis die ökonomischen Verhältnisse selbst
|
|
wieder den Entwicklungspunkt erreicht haben, wo eine neue Explosion diese sämtlichen
|
|
hadernden Parteien mit ihrer konstitutionellen Republik in die Luft sprengt.</p>
|
|
|
|
<p>Zur Beruhigung des Bürgers muß übrigens gesagt werden, daß der Skandal
|
|
zwischen Bonaparte und der Ordnungspartei das Resultat hat, eine Menge kleiner Kapitalisten auf
|
|
der Börse zu ruinieren und ihr Vermögen in die Taschen der großen
|
|
Börsenwölfe zu spielen.</p>
|
|
</body>
|
|
</html>
|