emacs.d/clones/www.mlwerke.de/me/me16/me16_393.htm
2022-08-25 20:29:11 +02:00

55 lines
22 KiB
HTML

<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 3.2//EN">
<HTML>
<HEAD>
<META HTTP-EQUIV="Content-Type" CONTENT="text/html; charset=ISO-8859-1">
<TITLE>Friedrich Engels - Vorbemerkung zum Zweiten Abdruck "Der deutsche Bauernkrieg"</TITLE>
</HEAD>
<BODY BGCOLOR="#fffffc">
<P><SMALL>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 16, S. 393-400<BR>
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1962 </SMALL></P>
<P ALIGN="CENTER"><A HREF="../me07/me07_327.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="../me18/me18_512.htm"><FONT SIZE=2>Erg&auml;nzung der Vorbemerkung von 1870 zu "Der deutsche Bauernkrieg"</FONT></A></P>
<H2>Friedrich Engels</H2>
<H1>Vorbemerkung<BR>
[zum Zweiten Abdruck (1870)<BR>
"Der deutsche Bauernkrieg"]</H1>
<FONT SIZE=2><P>Geschrieben um den 11. Februar 1870.<BR>
Nach: Friedrich Engels,<BR>
"Der deutsche Bauernkrieg",<BR>
Zweiter Abdruck, Leipzig 1870.</P>
</FONT><P ALIGN="CENTER"><HR></P>
<B><P><A NAME="S393">&lt;393&gt;</A></B> Die nachstehende Arbeit wurde im Sommer 1850, noch unter dem unmittelbaren Eindruck der eben vollendeten Kontrerevolution, in London geschrieben; sie erschien im 5. und 6. Heft der "Neuen Rheinischen Zeitung. Politisch-&ouml;konomische Revue", redigiert von Karl Marx, Hamburg 1850. - Meine politischen Freunde in Deutschland w&uuml;nschen ihren Wiederabdruck, und ich komme ihrem Wunsche nach, da sie, zu meinem Leidwesen, auch heute noch zeitgem&auml;&szlig; ist.</P>
<P>Sie macht keinen Anspruch darauf, selbst&auml;ndig erforschtes Material zu liefern. Im Gegenteil, der gesamte auf die Bauernaufst&auml;nde und auf Thomas M&uuml;nzer sich beziehende Stoff ist aus Zimmermann genommen. Sein Buch, obwohl hie und da l&uuml;ckenhaft, ist immer noch die beste Zusammenstellung des Tats&auml;chlichen. Dabei hatte der alte Zimmermann Freude an seinem Gegenstand. Derselbe revolution&auml;re Instinkt, der hier &uuml;berall f&uuml;r die unterdr&uuml;ckte Klasse auftritt, machte ihn sp&auml;ter zu einem der Besten auf der &auml;u&szlig;ersten Linken in Frankfurt. Seitdem soll er freilich etwas gealtert haben. &lt;(<I>1875</I>)<I> </I>hinzugef&uuml;gter Satz &gt;</P>
<P>Wenn dagegen der Zimmermannschen Darstellung der innere Zusammenhang fehlt; wenn es ihr nicht gelingt, die religi&ouml;s-politischen Streitfragen jener Epoche als das Spiegelbild der gleichzeitigen Klassenk&auml;mpfe nachzuweisen; wenn sie in diesen Klassenk&auml;mpfen nur Unterdr&uuml;cker und Unterdr&uuml;ckte, B&ouml;se und Gute und den schlie&szlig;lichen Sieg der B&ouml;sen sieht; wenn ihre Einsicht in die gesellschaftlichen Zust&auml;nde, die sowohl den Ausbruch wie den Ausgang des Kampfes bedingten, h&ouml;chst mangelhaft ist, so war dies der Fehler der Zeit, in der das Buch entstand. Im Gegenteil, f&uuml;r seine Zeit ist es, eine r&uuml;hmliche Ausnahme unter den deutschen idealistischen Geschichtswerken, noch sehr realistisch gehalten.</P>
<P>Meine Darstellung versuchte, den geschichtlichen Verlauf des Kampfes nur in seinen Umrissen skizzierend, den Ursprung des Bauernkriegs, die <A NAME="S394"><B>&lt;394&gt;</A></B> Stellung der verschiedenen darin auftretenden Parteien, die politischen und religi&ouml;sen Theorien, in denen diese Parteien &uuml;ber ihre Stellung sich klarzuwerden suchen, endlich das Resultat des Kampfes selbst mit Notwendigkeit aus den historisch vorliegenden gesellschaftlichen Lebensbedingungen dieser Klassen zu erkl&auml;ren; also die damalige politische Verfassung Deutschlands, die Auflehnungen gegen sie, die politischen und religi&ouml;sen Theorien der Zeit nachzuweisen, nicht als Ursachen, sondern als Resultate der Entwicklungsstufe, auf der sich damals in Deutschland Ackerbau, Industrie, Land- und Wasserstra&szlig;en, Waren- und Geldhandel befanden. Diese, die einzig materialistische Geschichtsanschauung, geht nicht von mir aus, sondern von Marx und findet sich ebenfalls in seinen Arbeiten &uuml;ber die franz&ouml;sische Revolution von 1848/49 in derselben "Revue" &lt;Siehe Band 7, S. 9-107&gt; und im "Achtzehnten Brumaire des Louis Bonaparte" &lt;Siehe Band 8, S. 111-207&gt;.</P>
<P>Die Parallele zwischen der deutschen Revolution von 1525 und der von 1848/49 lag zu nahe, um damals ganz von der Hand gewiesen zu werden. Neben der Gleichf&ouml;rmigkeit des Verlaufs, wo immer ein und dasselbe f&uuml;rstliche Heer verschiedene Lokalaufst&auml;nde nacheinander niederschlug, neben der oft l&auml;cherlichen &Auml;hnlichkeit des Auftretens der St&auml;dteb&uuml;rger in beiden F&auml;llen brach indes doch auch der Unterschied klar und deutlich hervor:</P>
<P>"Wer profitierte von der Revolution von 1525? Die <I>F&uuml;rsten</I>. - Wer profitierte von der Revolution von 1848? Die <I>gro&szlig;en </I>F&uuml;rsten, &Ouml;streich und Preu&szlig;en. Hinter den kleinen F&uuml;rsten von 1525 standen, sie an sich kettend durch die Steuer, die kleinen Spie&szlig;b&uuml;rger, hinter den gro&szlig;en F&uuml;rsten von 1850, hinter &Ouml;streich und Preu&szlig;en, sie rasch unterjochend durch die Staatsschuld, stehen die modernen gro&szlig;en Bourgeois. Und hinter den gro&szlig;en Bourgeois stehn die Proletarier." &lt;Siehe Band 7, S. 413&gt;</P>
<P>Es tut mir leid, sagen zu m&uuml;ssen, da&szlig; in diesem Satz der deutschen Bourgeoisie viel zuviel Ehre erwiesen wurde. Die Gelegenheit haben sie gehabt, sowohl in &Ouml;streich wie in Preu&szlig;en, die Monarchie "rasch durch die Staatsschuld zu unterjochen"; nie und nirgends ist diese Gelegenheit benutzt worden.</P>
<P>&Ouml;streich ist durch den Krieg von 1866 der Bourgeoisie als Geschenk in den Scho&szlig; gefallen. Aber sie versteht nicht zu herrschen, sie ist ohnm&auml;chtig und unf&auml;hig zu allem. Nur eins kann sie: gegen die Arbeiter w&uuml;ten, sobald diese sich regen. Sie bleibt nur noch am Ruder, weil die <I>Ungarn </I>sie brauchen.</P>
<B><P><A NAME="S395">&lt;395&gt;</A></B> Und in Preu&szlig;en? Ja, die Staatsschuld hat sich allerdings rei&szlig;end vermehrt, das Defizit ist in Permanenz erkl&auml;rt, die Staatsausgaben wachsen von Jahr zu Jahr, die Bourgeois haben in der Kammer die Majorit&auml;t, ohne sie k&ouml;nnen weder Steuern erh&ouml;ht noch Anleihen aufgenommen werden - aber wo ist ihre Macht &uuml;ber den Staat? Noch vor ein paar Monaten, als wieder ein Defizit vorlag, hatten sie die beste Position. Sie konnten bei nur <I>einiger </I>Ausdauer h&uuml;bsche Konzessionen erzwingen. Was tun sie? Sie sehen es als eine gen&uuml;gende Konzession an, da&szlig; die Regierung ihnen <I>erlaubt</I>, ihr an 9 Millionen, nicht f&uuml;r <I>ein</I> Jahr, nein <I>j&auml;hrlich </I>und f&uuml;r alle Folgezeit zu F&uuml;&szlig;en zu legen.</P>
<P>Ich will die armen "Nationalliberalen" in der Kammer nicht mehr tadeln, als sie verdienen. Ich wei&szlig;, sie sind von denen, die hinter ihnen stehn, von der Masse der Bourgeoisie im Stich gelassen. Diese Masse <I>will </I>nicht herrschen. Sie hat 1848 noch immer in den Knochen.</P>
<P>Weshalb die deutsche Bourgeoisie diese merkw&uuml;rdige Feigheit entwickelt, dar&uuml;ber unten.</P>
<P>Im &uuml;brigen hat sich obiger Satz vollst&auml;ndig best&auml;tigt. Seit 1850 immer entschiedeneres Zur&uuml;cktreten der Kleinstaaten, die nur noch als Hebel f&uuml;r preu&szlig;ische oder &ouml;streichische Intrigen dienen, immer heftigere K&auml;mpfe zwischen &Ouml;streich und Preu&szlig;en um die Alleinherrschaft, endlich die gewaltsame Auseinandersetzung von 1866, wonach &Ouml;streich seine eignen Provinzen beh&auml;lt, Preu&szlig;en den ganzen Norden direkt oder indirekt unterwirft und die drei S&uuml;dweststaaten vorl&auml;ufig an die Luft gesetzt werden.</P>
<P>F&uuml;r die deutsche Arbeiterklasse ist bei dieser ganzen Haupt- und Staatsaktion nur dies von Bedeutung:</P>
<P>Erstens, da&szlig; die Arbeiter durch das allgemeine Stimmrecht die Macht erlangt haben, in der gesetzgebenden Versammlung sich direkt vertreten zu lassen.</P>
<P>Zweitens, da&szlig; Preu&szlig;en mit gutem Beispiel vorangegangen ist und drei andre Kronen von Gottes Gnaden verschluckt hat. Da&szlig; es <I>nach </I>dieser Prozedur noch dieselbe unbefleckte Krone von Gottes Gnaden besitzt, die es sich vorher zuschrieb, das glauben selbst die Nationalliberalen nicht.</P>
<P>Drittens, da&szlig; es in Deutschland nur noch einen ernsthaften Gegner der Revolution gibt - die preu&szlig;ische Regierung.</P>
<P>Und viertens, da&szlig; die Deutsch-Ostreicher sich jetzt endlich einmal die Frage vorlegen m&uuml;ssen, was sie sein wollen: Deutsche oder &Ouml;streicher? Wozu sie lieber halten wollen - zu Deutschland oder zu ihren au&szlig;erdeutschen transleithanischen Anh&auml;ngseln? Da&szlig; sie eins oder das andre aufgeben <A NAME="S396"><B>&lt;396&gt;</A></B> m&uuml;ssen, war schon lange selbstredend, ist aber immer von der kleinb&uuml;rgerlichen Demokratie vertuscht worden.</P>
<P>Was die sonstigen wichtigen Streitfragen von wegen 1866 betrifft, die seitdem bis zum &Uuml;berdru&szlig; zwischen den "Nationalliberalen" einerseits und der "Volkspartei" andrerseits verhandelt werden, so d&uuml;rfte die Geschichte der n&auml;chsten Jahre beweisen, da&szlig; diese beiden Standpunkte sich nur deshalb so heftig befehden, weil sie die entgegengesetzten Pole einer und derselben Borniertheit sind.</P>
<P>An den gesellschaftlichen Verh&auml;ltnissen Deutschlands hat das Jahr 1866 fast nichts ge&auml;ndert. Die paar b&uuml;rgerlichen Reformen - gleiches Ma&szlig; und Gewicht, Freiz&uuml;gigkeit, Gewerbefreiheit usw., alles in den der B&uuml;rokratie angemessenen Schranken - erreichen noch nicht einmal das, was die Bourgeoisie andrer westeurop&auml;ischer L&auml;nder l&auml;ngst besitzt, und lassen die Hauptschikane, das b&uuml;rokratische Konzessionswesen, unber&uuml;hrt. F&uuml;r das Proletariat werden ohnehin alle Freiz&uuml;gigkeits-, Indigenats-, Pa&szlig;aufhebungs- und andre Gesetze durch die landl&auml;ufige Polizeipraxis ganz illusorisch gemacht.</P>
<P>Was viel wichtiger ist als die Haupt- und Staatsaktion von 1866, das ist die Hebung der Industrie und des Handels, der Eisenbahnen, Telegraphen und ozeanischen Dampfschiffahrt in Deutschland seit 1848. Soweit dieser Fortschritt auch hinter dem gleichzeitig in England, selbst in Frankreich gemachten zur&uuml;cksteht, f&uuml;r Deutschland ist er unerh&ouml;rt und hat in zwanzig Jahren mehr geleistet, als sonst ein ganzes Jahrhundert tat. Deutschland ist erst jetzt ernstlich und unwiderruflich in den <I>Welthandel </I>hineingezogen worden. Die Kapitalien der Industriellen haben sich rasch vermehrt, die gesellschaftliche Stellung der Bourgeoisie hat sich dementsprechend gehoben. Das sicherste Kennzeichen industrieller Bl&uuml;te, der <I>Schwindel</I>, hat sich in reichem Ma&szlig;e eingestellt und Grafen und Herz&ouml;ge an seinen Triumphwagen gekettet. Deutsches Kapital baut jetzt russische und rum&auml;nische Eisenbahnen - m&ouml;ge ihm die Erde leicht sein! -, statt da&szlig; noch vor f&uuml;nfzehn Jahren deutsche Bahnen bei englischen Unternehmern betteln gingen. Wie ist es da m&ouml;glich, da&szlig; die Bourgeoisie sich nicht auch politisch die Herrschaft erobert hat, da&szlig; sie sich so feig gegen die Regierung benimmt?</P>
<P>Die deutsche Bourgeoisie hat das Ungl&uuml;ck, da&szlig; sie nach beliebter deutscher Manier zu sp&auml;t kommt. Ihre Bl&uuml;tezeit f&auml;llt in eine Periode, wo die Bourgeoisie der andern westeurop&auml;ischen L&auml;nder politisch schon im Niedergang begriffen ist. In England hat die Bourgeoisie ihren eigentlichen Repr&auml;sentanten, Bright, nicht anders in die Regierung bringen k&ouml;nnen als durch eine Ausdehnung des Stimmrechts, die in ihren Folgen der ganzen <A NAME="S397"><B>&lt;397&gt;</A></B> Bourgeoisherrschaft ein Ende machen mu&szlig;. In Frankreich, wo die Bourgeoisie als solche, als Gesamtklasse, nur zwei Jahre, 1849 und 1850, unter der Republik geherrscht hat, konnte sie ihre soziale Existenz nur fristen, indem sie ihre politische Herrschaft an Louis Bonaparte und die Armee abtrat. Und bei der so unendlich gesteigerten Wechselwirkung der drei fortgeschrittensten europ&auml;ischen L&auml;nder ist es heutzutage nicht mehr m&ouml;glich, da&szlig; in Deutschland die Bourgeoisie sich die politische Herrschaft gem&uuml;tlich einrichtet, wenn diese sich in England und Frankreich &uuml;berlebt hat.</P>
<P>Es ist eine Eigent&uuml;mlichkeit gerade der Bourgeoisie gegen&uuml;ber allen fr&uuml;heren herrschenden Klassen: in ihrer Entwicklung gibt es einen Wendepunkt, von dem an jede weitere Steigerung ihrer Machtmittel, vorab also ihrer Kapitalien, nur dazu beitr&auml;gt, sie zur politischen Herrschaft mehr und mehr unf&auml;hig zu machen. <I>"Hinter den gro&szlig;en Bourgeois stehn die Prolelarier." </I>In demselben Ma&szlig;, wie die Bourgeoisie ihre Industrie, ihren Handel und ihre Verkehrsmittel entwickelt, in demselben Ma&szlig; erzeugt sie Proletariat. Und an einem gewissen Punkt - der nicht &uuml;berall gleichzeitig oder auf gleicher Entwicklungsstufe einzutreten braucht - beginnt sie zu merken, da&szlig; dieser ihr proletarischer Doppelg&auml;nger ihr &uuml;ber den Kopf w&auml;chst. Von dem Augenblick an verliert sie die Kraft zur ausschlie&szlig;lichen politischen Herrschaft; sie sieht sich um nach Bundesgenossen, mit denen sie, je nach Umst&auml;nden, ihre Herrschaft teilt oder denen sie sie ganz abtritt.</P>
<P>In Deutschland ist dieser Wendepunkt f&uuml;r die Bourgeoisie bereits 1848 eingetreten. Und zwar erschrak die deutsche Bourgeoisie damals nicht so sehr vor dem deutschen wie vor dem franz&ouml;sischen Proletariat. Die Pariser Junischlacht 1848 zeigte ihr, was sie zu erwarten habe; das deutsche Proletariat war gerade erregt genug, um ihr zu beweisen, da&szlig; auch hier die Saat f&uuml;r dieselbe Ernte schon im Boden stecke; und von dem Tage an war der politischen Aktion der Bourgeoisie die Spitze abgebrochen. Sie suchte Bundesgenossen, sie verhandelte sich an sie um jeden Preis - und sie ist auch heute noch keinen Schritt weiter.</P>
<P>Diese Bundesgenossen sind s&auml;mtlich reaktion&auml;rer Natur. Da ist das K&ouml;nigtum mit seiner Armee und seiner B&uuml;rokratie, da ist der gro&szlig;e Feudaladel, da sind die kleinen Krautjunker, da sind selbst die Pfaffen. Mit allen diesen hat die Bourgeoisie paktiert und vereinbart, nur um ihre liebe Haut zu wahren, bis ihr endlich nichts mehr zu schachern blieb. Und je mehr das Proletariat sich entwickelte, je mehr es anfing sich als Klasse zu f&uuml;hlen, als Klasse zu handeln, desto schwachm&uuml;tiger wurden die Bourgeois. Als die wunderbar schlechte Strategie der Preu&szlig;en bei Sadowa &uuml;ber die, wunderbarerweise noch schlechtere, der &Ouml;streicher siegte, da war es <A NAME="S398"><B>&lt;398&gt;</A></B> schwer zu sagen, wer froher aufatmete - der preu&szlig;ische Bourgeois, der bei Sadowa mitgeschlagen war, oder der &ouml;streichische.</P>
<P>Unsre gro&szlig;en B&uuml;rger handeln 1870 noch geradeso, wie die Mittelb&uuml;rger von 1525 gehandelt haben. Was die Kleinb&uuml;rger, Handwerksmeister und Kr&auml;mer betrifft, so werden sie sich immer gleichbleiben. Sie hoffen in das Gro&szlig;b&uuml;rgertum sich emporzuschwindeln, sie f&uuml;rchten ins Proletariat hinabgesto&szlig;en zu werden. Zwischen Furcht und Hoffnung werden sie w&auml;hrend des Kampfes ihre werte Haut salvieren und nach dem Kampf sich dem Sieger anschlie&szlig;en. Das ist ihre Natur.</P>
<P>Mit dem Aufschwung der Industrie seit 1848 hat Schritt gehalten die soziale und politische Aktion des Proletariats, Die Rolle, die die deutschen Arbeiter heute in ihren Gewerkvereinen, Genossenschaften, politischen Vereinen und Versammlungen, bei den Wahlen und im sogenannten Reichstag spielen, beweist allein, welche Umw&auml;lzung Deutschland in den letzten zwanzig Jahren unvermerkt erlitten hat. Es gereicht den deutschen Arbeitern zur h&ouml;chsten Ehre, da&szlig; <I>sie allein </I>es durchgesetzt haben, Arbeiter und Vertreter der Arbeiter ins Parlament zu schicken, w&auml;hrend weder Franzosen noch Engl&auml;nder dies bis jetzt fertigbrachten.</P>
<P>Aber auch das Proletariat ist der Parallele mit 1525 noch nicht entwachsen. Die ausschlie&szlig;lich und lebensl&auml;nglich auf den Arbeitslohn angewiesene Klasse bildet noch immer bei weitem nicht die Mehrzahl des deutschen Volkes. Sie ist also auch auf Bundesgenossen angewiesen. Und diese k&ouml;nnen nur gesucht werden unter den Kleinb&uuml;rgern, unter dem Lumpenproletariat der St&auml;dte, unter den kleinen Bauern und den Ackerbautagl&ouml;hnern.</P>
<P>Von den <I>Kleinb&uuml;rgern </I>haben wir schon gesprochen. Sie sind h&ouml;chst unzuverl&auml;ssig, ausgenommen wenn man gesiegt hat, dann ist ihr Geschrei in den Bierkneipen unerme&szlig;lich. Trotzdem gibt es unter ihnen sehr gute Elemente, die sich den Arbeitern von selbst anschlie&szlig;en.</P>
<P>Das <I>Lumpenproletariat</I>, dieser Abhub der verkommenen Subjekte aller Klassen, der sein Hauptquartier in den gro&szlig;en St&auml;dten aufschl&auml;gt, ist von allen m&ouml;glichen Bundesgenossen der schlimmste. Dies Gesindel ist absolut k&auml;uflich und absolut zudringlich. Wenn die franz&ouml;sischen Arbeiter bei jeder Revolution an die H&auml;user schrieben: Mort aux voleurs! Tod den Dieben! und auch manche erschossen, so geschah das nicht aus Begeisterung f&uuml;r das Eigentum, sondern in der richtigen Erkenntnis, da&szlig; man vor allem sich diese Bande vom Hals halten m&uuml;sse. Jeder Arbeiterf&uuml;hrer, der diese Lumpen als Garde verwendet oder sich auf sie st&uuml;tzt, beweist sich schon dadurch als Verr&auml;ter an der Bewegung.</P>
<B><P><A NAME="S399">&lt;399&gt;</A></B> Die <I>kleinen Bauern</I> - denn die gr&ouml;&szlig;eren geh&ouml;ren zur Bourgeoisie - sind verschiedener Art. Entweder sind sie <I>Feudalbauern </I>und haben dem gn&auml;digen Herrn noch Frondienste zu leisten. Nachdem die Bourgeoisie vers&auml;umt hat, was ihre Schuldigkeit war, diese Leute von der Fronknechtschaft zu erl&ouml;sen, wird es nicht schwer sein, sie zu &uuml;berzeugen, da&szlig; sie nur noch von der Arbeiterklasse Erl&ouml;sung zu erwarten haben.</P>
<P>Oder sie sind <I>P&auml;chter</I>. In diesem Fall existiert meist dasselbe Verh&auml;ltnis wie in Irland. Die Pacht ist so hoch getrieben, da&szlig; der Bauer mit seiner Familie bei Mittelernten nur eben knapp leben kann, bei schlechten Ernten fast verhungert, die Pacht nicht zahlen kann und dadurch ganz von der Gnade des Grundbesitzers abh&auml;ngig wird. F&uuml;r solche Leute tut die Bourgeoisie nur dann etwas, wenn sie dazu gezwungen wird. Von wem sollen sie Heil erwarten, au&szlig;er von den Arbeitern?</P>
<P>Bleiben die Bauern, welche ihren eigenen <I>kleinen Grundbesitz </I>bewirtschaften. Diese sind meistens so mit Hypotheken belastet, da&szlig; sie vom Wucherer ebenso abh&auml;ngen wie die P&auml;chter vom Grundherrn. Auch ihnen bleibt nur ein knapper und noch dazu wegen der guten und schlechten Jahre &auml;u&szlig;erst unsichrer Arbeitslohn. Sie k&ouml;nnen am allerwenigsten von der Bourgeoisie etwas erwarten, denn sie werden ja grade von den Bourgeois, den wuchernden Kapitalisten ausgesogen. Aber sie h&auml;ngen meist sehr an ihrem Eigentum, obwohl es in Wirklichkeit nicht ihnen geh&ouml;rt, sondern dem Wucherer. Dennoch wird ihnen beizubringen sein, da&szlig; sie nur dann vom Wucherer befreit werden k&ouml;nnen, wenn eine vom Volk abh&auml;ngige Regierung die s&auml;mtlichen Hypothekenschulden in eine Schuld an den Staat verwandelt und dadurch den Zinsfu&szlig; erniedrigt. Und dies kann nur die Arbeiterklasse durchsetzen.</P>
<P>&Uuml;berall, wo mittlerer und gro&szlig;er Grundbesitz herrscht, machen die <I>Ackerbautagl&ouml;hner </I>die zahlreichste Klasse auf dem Lande aus. Dies ist in ganz Nord- und Ostdeutschland der Fall, und <I>hier </I>finden die Industriearbeiter der St&auml;dte ihre <I>zahlreichsten und nat&uuml;rlichsten Bundesgenossen</I>. Wie der Kapitalist dem industriellen Arbeiter, so steht der Grundbesitzer oder Gro&szlig;p&auml;chter dem Ackerbautagl&ouml;hner gegen&uuml;ber. Dieselben Ma&szlig;regeln, die dem einen helfen, m&uuml;ssen auch dem andern helfen. Die industriellen Arbeiter k&ouml;nnen sich nur befreien, wenn sie das Kapital der Bourgeois, d.h. die Rohprodukte, Maschinen und Werkzeuge und Lebensmittel, welche zur Produktion erforderlich sind, in das Eigentum der Gesellschaft, d.h. in ihr eignes, von ihnen gemeinsam benutztes verwandeln. Ebenso k&ouml;nnen die Landarbeiter nur aus ihrem scheu&szlig;lichen Elend erl&ouml;st werden, wenn vor allem ihr Hauptarbeitsgegenstand, das Land selbst, dem Privatbesitz der <A NAME="S400"><B>&lt;400&gt;</A></B> gro&szlig;en Bauern und noch gr&ouml;&szlig;eren Feudalherren entzogen und in gesellschaftliches Eigentum verwandelt und von Genossenschaften von Landarbeitern f&uuml;r ihre gemeinsame Rechnung bebaut wird. Und hier kommen wir auf den ber&uuml;hmten Beschlu&szlig; des Baseler internationalen Arbeiterkongresses: da&szlig; die Gesellschaft das Interesse habe, das Grundeigentum in gemeinsames, nationales Eigentum zu verwandeln. Dieser Beschlu&szlig; ist gefa&szlig;t worden haupts&auml;chlich f&uuml;r die L&auml;nder, wo gro&szlig;es Grundeigentum und, damit zusammenh&auml;ngend, Bewirtschaftung gro&szlig;er G&uuml;ter besteht und auf diesen gro&szlig;en G&uuml;tern ein Herr und viele Tagl&ouml;hner. Dieser Zustand ist aber im ganzen und gro&szlig;en in Deutschland noch immer vorherrschend, und daher war der Beschlu&szlig;, n&auml;chst England, gerade f&uuml;r <I>Deutschland h&ouml;chst zeitgem&auml;&szlig;</I>. Das Ackerbauproletariat, die Landtagl&ouml;hner - das ist die Klasse, aus der sich die Armeen der F&uuml;rsten der gro&szlig;en Masse nach rekrutieren; das ist die Klasse, die jetzt die gro&szlig;e Menge der Feudalherren und Junker kraft des allgemeinen Stimmrechts ins Parlament schickt; das ist aber auch die Klasse, die den industriellen Arbeitern der St&auml;dte am n&auml;chsten steht, die mit ihnen dieselben Lebensbedingungen teilt, die sogar noch tiefer im Elend steckt als sie. Diese Klasse, die ohnm&auml;chtig ist, weil sie zersplittert und zerstreut ist, deren verborgene Macht Regierung und Adel so gut kennen, da&szlig; sie absichtlich die Schulen verkommen lassen, damit sie nur ja unwissend bleibe, diese Klasse lebendig zu machen und in die Bewegung hineinzuziehen, das ist die n&auml;chste, dringendste Aufgabe der deutschen Arbeiterbewegung. Von dem Tage an, wo die Masse der Landtagl&ouml;hner ihre eigenen Interessen verstehen gelernt hat, von dem Tage an ist eine reaktion&auml;re, feudale, b&uuml;rokratische oder b&uuml;rgerliche Regierung in Deutschland unm&ouml;glich.</P></BODY>
</HTML>