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<title>"Neue Rheinische Zeitung" - Gerichtliche Untersuchung gegen die "Neue Rheinische
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Zeitung"</title>
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<p align="center"><a href="me05_190.htm"><font size="2">Vereinbarungssitzung vom 4. Juli
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(Zweiter Teil)</font></a> <font size="2">|</font> <a href="../me_nrz48.htm"><font size=
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"2">Inhalt</font></a> <font size="2">|</font> <a href="me05_202.htm"><font size="2">Die
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auswärtige deutsche Politik und die letzen Ereignisse in Prag</font></a></p>
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<small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 198-201<br>
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Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971</small> <br>
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<h1>Gerichtliche Untersuchung gegen die "Neue Rheinische Zeitung"</font></p>
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<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 41 vom 11. Juli 1848]</font></p>
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<p><b><a name="S198"><198></a></b> *<i>Köln</i>, 10. Juli. Gestern sind <i>elf</i>
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Setzer unserer Zeitung und Herr Clouth als Zeugen vorgeladen worden, um Dienstag, den 11 Juli,
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vor dem Instruktionsamt zu erscheinen. Es handelt sich immer noch darum, den Autor des
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angeschuldeten Artikels <Siehe <a href="me05_166.htm">"Verhaftungen"</a>> auszumitteln.
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Wir erinnern uns, daß zur Zeit der alten <i>"Rheinischen Zeitung"</i> zur Zeit der Zensur
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und des Ministeriums Arnim, als man den Einsender des famosen "Ehegesetzentwurfs" ausmitteln
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wollte, weder zur Haussuchung noch zum Verhör der Setzer und des Druckereibesitzers
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geschritten wurde. Seit der Zeit haben wir allerdings eine Revolution erlebt, die das
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Unglück bat, von Herrn Hansemann anerkannt zu werden.</p>
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<p>Wir müssen noch einmal auf die <i>"Entgegnung"</i> des Herrn Staatsprokurator
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<i>Hecker</i> vom 5. Juli zurückkommen. <siehe <a href="me05_175.htm">"Gerichtliche
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Untersuchung gegen die 'Neue RheinischeZeitung'"</a>></p>
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<p>Herr Hecker straft uns in dieser Entgegnung <i>Lügen</i> in bezug auf die eine oder die
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andere ihm zugeschriebene Äußerung. Wir haben vielleicht jetzt die Mittel in der
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Hand, die Berichtigung zu berichtigen, aber wer bürgt uns dafür, daß in diesem
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ungleichen Kampf nicht abermals mit § 222 oder § 367 des Strafgesetzbuches
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geantwortet wird?</p>
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<p>Die <i>Entgegnung</i> des Herrn <i>Hecker</i> endet mit folgenden Worten:</p>
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<p><font size="2">"Die in dem Artikel" (d[e] d[ato] Köln, 4. Juli) "enthaltenen
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<i>Verleumdungen resp. Beleidigungen</i> gegen den Herrn Oberprokurator Zweiffel und die
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Gendarmen, welche die Verhaftung vollzogen haben, werden in der <i>gerichtlichen
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Untersuchung</i>, die deshalb eingeleitet werden wird, <i>ihre Würdigung</i>
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finden."</font></p>
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<p><i>Ihre Würdigung</i>! Haben <i>die schwarz-rot-goldnen</i> Farben in den unter dem
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Ministerium <i>Kamptz</i> eingeleiteten "gerichtlichen Untersuchungen" ihre
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<i>"Würdigung"</i> gefunden?</p>
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<p><b><a name="S199"><199></a></b> Schlagen wir das Strafgesetzbuch nach. Wir lesen
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§ 367:</p>
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<p><font size="2">"Des Vergehens der Verleumdung ist schuldig, wer an öffentlichen Orten,
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oder in einer authentischen und öffentlichen Urkunde, oder in einer gedruckten oder
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ungedruckten Schrift, welche angeschlagen, verkauft oder ausgeteilt worden ist, irgend jemanden
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solcher Tatsachen beschuldigt, die, <i>wenn sie wahr wären</i>, denjenigen, dem sie Schuld
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gegeben werden, einer kriminal- oder zuchtpolizeilichen Verfolgung, oder auch nur der
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Verachtung oder dem Hasse der Bürger aussetzen würden."</font></p>
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<p>§ 370: "Wird die den Gegenstand der Beschuldigung ausmachende Tatsache in
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<i>gesetzlicher</i> Art als wahr erwiesen, so ist der Urheber der Beschuldigung von aller
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Strafe frei. Als <i>gesetzlicher</i> Beweis wird nur derjenige angesehen, der aus einem
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<i>Urteile</i> oder aus irgendeiner andern <i>authentischen Urkunde</i> hervorgeht."</p>
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<p>Zur Erläuterung dieses Paragraphen fügen wir noch § 368 hinzu:</p>
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<p><font size="2">"Demzufolge wird der Urheber der Beschuldigung zu seiner Verteidigung
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<i>nicht mit dem Gesuche gehört</i>, <i>den Beweis darüber aufzunehmen</i>; er kann
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ebensowenig als <i>Entschuldigungsgrund</i> anführen, daß die <i>Beweisstücke
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oder die Tatsache notorisch</i> oder daß die Beschuldigungen, die zu der Verfolgung
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Anlaß geben, aus fremden Blättern <i>oder sonstigen Druckschriften</i> abgeschrieben
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oder ausgezogen worden seien." <Alle Hervorhebungen im Text des Strafgesetzbuches von
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Marx></font></p>
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<p>Die Kaiserzeit mit ihrem ganzen raffinierten Despotismus leuchtet aus diesen Paragraphen
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heraus.</p>
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<p>Dem <i>gewöhnlichen</i> Menschenverstande nach wird jemand <i>verleumdet</i>, wenn man
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ihn erdichteter Tatsachen bezichtigt; aber im <i>außergewöhnlichen</i> Verstand des
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Strafgesetzbuchs wird er verleumdet, wenn man ihm <i>wirkliche</i> Tatsachen vorwirft,
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Tatsachen, die <i>bewiesen</i> werden können, aber nur nicht auf eine <i>exzeptionelle</i>
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Art, nur nicht durch ein <i>Urteil</i>, durch eine <i>amtliche Urkunde</i>. Wundertätige
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Kraft der Urteile und amtlichen Urkunden! Nur <i>verurteilte</i>, nur <i>amtlich
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beurkundete</i> Tatsachen sind <i>wahre</i>, sind <i>wirkliche</i> Tatsachen. Hat je ein
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Gesetzbuch den gewöhnlichsten Menschenverstand ärger <i>verleumdet</i>? Hat je die
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Bürokratie eine ähnliche chinesische Mauer zwischen sich und der Öffentlichkeit
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aufgeworfen? Mit dem Schild dieses Paragraphen bedeckt, sind Beamte und Deputierte
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<i>unverletzlich</i> wie konstitutionelle Könige. <i>Begehen</i> mögen diese Herren
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so viele Tatsachen, "die sie dem Haß und der Verachtung der Bürger preisgeben", als
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sie für gut finden, aber ausgesprochen, geschrieben, gedruckt dürfen diese Tatsachen
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nicht werden unter Strafe des Verlustes der bürgerlichen Rechte, nebst obligater
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Gefängnis- und Geldstrafe. Es lebe die durch die §§ 367, 368, 370 gemilderte
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Preß- und Redefreiheit! Du wirst ungesetzlich eingesperrt. Die Presse denunziert die
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Ungesetzlichkeit. <i>Resultat</i>: Die Denunziation findet ihre <i>"Würdigung"</i> in
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einer <a name="S200"><b><200></b></a> "gerichtlichen Untersuchung" wegen "Verleumdung"
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des ehrwürdigen Beamten, der die Ungesetzlichkeit begangen hat, es sei denn, daß ein
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Wunder geschieht und über die Ungesetzlichkeit, die er heute begeht, schon gestern ein
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<i>Urteil</i> gefällt worden ist.</p>
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<p>Kein Wunder, daß die rheinischen Juristen, und unter ihnen der
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<i>Volksrepräsentant Zweiffel</i>, gegen eine <i>Polenkommission</i> mit absoluter
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Vollmacht gestimmt! Von ihrem Standpunkt aus mußten die Polen wegen <i>"Verleumdung"</i>
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der Colomb, Steinäcker, Hirschfeld, Schleinitz, pommerscher Landwehrmänner und
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altpreußischer Gendarmen zur Entziehung ihrer bürgerlichen Rechte nebst obligater
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Gefängnis- und Geldstrafe verurteilt werden. So wäre die eigentümliche
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Pazifizierung Posens rühmlichst gekrönt.</p>
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<p>Und welcher Widerspruch, mit Bezugnahme auf diese §§ des Strafgesetzbuchs das
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Gerücht von der Drohung des Fertigwerdens mit "dem 19. März, den Klubs und der
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Preßfreiheit" <Siehe <a href="me05_169.htm">"Verhaftungen", S. 168</a>> eine
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<i>Verleumdung</i> zu taufen! Als wäre nicht die Anwendung der §§ 367, 368, 370
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des Strafgesetzbuchs auf politische Reden und Schriften die wirkliche definitive Abfertigung
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des 19. März und der Klubs und der Preßfreiheit! Was ist ein Klub ohne Redefreiheit?
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Und was ist die Redefreiheit mit §§ 367, 368, 370 des Strafgesetzbuchs? Und was ist
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der 19. März ohne Klubs und Redefreiheit? Rede- und Preßfreiheit durch die
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<i>Tat</i> unterdrücken, gibt es einen schlagendern Beweis, daß nur die
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<i>Verleumdung</i> von der <i>Absicht</i> dieser Tat fabeln konnte? Hütet euch, die
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gestern auf dem Gürzenich abgefaßte Adresse zu unterschreiben. Das Parquet wird eure
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Adresse <i>"würdigen",</i> indem es eine <i>"gerichtliche Untersuchung"</i> einleitet
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wegen <i>"Verleumdung"</i> von <i>Hansemann-Auerswald,</i> oder dürfen nur die
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<i>Minister</i> ungestraft verleumdet werden, verleumdet im Sinn des französischen
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Strafgesetzbuchs, dieses in Lapidarstil ausgehauenen Kodex' der politischen Sklaverei? Besitzen
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wir verantwortliche Minister und unverantwortliche Gendarmen?</p>
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<p>Nicht also der angeschuldigte Artikel kann seine Würdigung finden durch die Anwendung
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der Paragraphen über die <i>"Verleumdung im juristischen Sinn"</i>, der Verleumdung im
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Sinne einer <i>despotischen</i>, den gesunden Menschenverstand empörenden <i>Fiktion</i>.
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Was darin seine Würdigung finden kann, das sind einzig und allein die Errungenschaften der
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Märzrevolution, das ist der Höhegrad, den die Kontrerevolution erreicht hat, das ist
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die Waghalsigkeit, womit die Bürokratie die Waffen, die sich noch im Arsenal der alten
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Gesetzgebung finden, gegen das neue politische Leben hervorholen und geltend machen darf. Diese
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Anwendung des Kalumnieartikels bei Angriffen auf <a name="S201"><b><201></b></a>
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<i>Volksrepräsentanten</i>, welch prächtiges Mittel, die Herrn der Kritik und die
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Presse der Jury zu entziehen?</p>
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<p>Gehen wir von der Klage der <i>Verleumdung</i> über zur Klage der <i>Beleidigung</i>.
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Da begegnet uns § 222, der also lautet:</p>
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<p><font size="2">"Wenn eine oder mehre obrigkeitliche Personen aus dem Verwaltungs- oder
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gerichtlichen Fache <i>in der Ausübung ihrer Amtspflichten</i> oder aus <i>Veranlassung
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dieser Ausübung</i> irgendeine Beleidigung durch <i>Worte</i> erfahren, welche dahin
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zielen, ihre Ehre oder ihre Delikatesse anzugreifen, so wird derjenige, welcher sie auf diese
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Art beleidigt hat, mit Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren bestraft."</font></p>
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<p>Herr <i>Zweiffel</i> funktionierte, als der Artikel der "Neuen Rheinischen Zeitung"
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erschien, als <i>Volksrepräsentant zu Berlin</i> und keineswegs als <i>obrigkeitliche
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Person aus dem gerichtlichen Fach zu Köln</i>. Da er keine Amtsverrichtungen ausübte,
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war es tatsächlich unmöglich, ihn in Ausübung seiner Amtsverrichtungen oder aus
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Veranlassung dieser Ausübung zu beleidigen. Die Ehre und Delikatesse der Herren Gendarmen
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aber stände nur dann unter der Schutzwache dieses Artikels, wenn man sie <i>durch
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Worte</i> (par parole) beleidigt hätte. Wir haben aber <i>geschrieben</i> und nicht
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<i>gesprochen,</i> und par écrit <durch Schriften> ist nicht par parole. Was
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bleibt also übrig? Die Moral, mit mehr Umsicht von dem letzten Gendarmen als von dem
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ersten Prinzen zu sprechen, und namentlich die höchst irritablen Herren vom Parquet nicht
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anzutasten sich zu erfrechen. Das Publikum machen wir noch einmal darauf aufmerksam, daß
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an verschiedenen Orten gleichzeitig, so zu Köln, zu Düsseldorf, zu Koblenz
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<i>dieselben</i> Verfolgungen begonnen haben. Sonderbare Methode des Zufalls!</p>
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<p><font size="2">Geschrieben von Karl Marx.</font></p>
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