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<title>Friedrich Engels - Der deutsche Bauernkrieg - VII</title>
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<body bgcolor="#FFFFFC">
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<p><small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 7,S. 409-413<br>
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Dietz Verlag, Berlin/DDR 1960</small></p>
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<p align="center"><a href="me07_400.htm"></a><a href="me07_400.htm"><font size="2">VI - [Der
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thüringische, elsässische und östreichische Bauernkrieg]</font></a> <font size=
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"2">|</font> <a href="me07_327.htm"><font size="2">Inhalt</font></a></p>
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<p align="center"><font size="5">VII</font></p>
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<p align="center"><font size="5">[Die Folgen des Bauernkriegs]</font></p>
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<p><b><a name="S409"><409></a></b> Mit dem Rückzuge Geismaiers auf venetianisches
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Gebiet hatte das letzte Nachspiel des Bauernkriegs sein Ende erreicht. Die Bauern waren
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überall wieder unter die Botmäßigkeit ihrer geistlichen, adligen oder
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patrizischen Herren gebracht; die Verträge, die hie und da mit ihnen abgeschlossen waren,
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wurden gebrochen, die bisherigen Lasten wurden vermehrt durch die enormen Brandschatzungen, die
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die Sieger den Besiegten auferlegten. Der großartigste Revolutionsversuch des deutschen
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Volks endigte mit schmählicher Niederlage und momentan verdoppeltem Druck. Auf die Dauer
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jedoch verschlimmerte sich die Lage der Bauernklasse nicht durch die Unterdrückung des
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Aufstandes. Was Adel, Fürsten und Pfaffen aus ihnen jahraus, jahrein herausschlagen konnten,
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das wurde schon vor dem Krieg sicher herausgeschlagen; der deutsche Bauer von damals hatte dies
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mit dem modernen Proletarier gemein, daß sein Anteil an den Produkten seiner Arbeit sich
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auf das Minimum von Subsistenzmitteln beschränkte, das zu seinem Unterhalt und zur
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Fortpflanzung der Bauernrace erforderlich war. Im Durchschnitt war also hier nichts mehr zu
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nehmen. Manche wohlhabenderen Mittelbauern sind freilich ruiniert, eine Menge von Hörigen in
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die Leibeigenschaft hineingezwungen, ganze Striche Gemeindeländereien konfisziert, eine
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große Anzahl Bauern durch die Zerstörung ihrer Wohnungen und die Verwüstung ihrer
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Felder sowie durch die allgemeine Unordnung in die Vagabondage oder unter die Plebejer der
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Städte geworfen worden. Aber Kriege und Verwüstungen gehörten zu den
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alltäglichen Erscheinungen jener Zeit, und im allgemeinen stand die Bauernklasse eben zu
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tief für eine dauernde Verschlechterung ihrer Lage durch erhöhte Steuern. Die folgenden
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Religionskriege und endlich der Dreißigjährige Krieg mit seinen stets wiederholten,
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massenhaften Verwüstungen und Entvölkerungen haben die Bauern weit schwerer getroffen
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als der Bauernkrieg; namentlich der Dreißigjährige Krieg vernichtete den bedeutendsten
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Teil der im Ackerbau angewandten Produktivkräfte und brachte dadurch und durch <a name=
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"S410"><b><410></b></a> die gleichzeitige Zerstörung vieler Städte die Bauern,
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Plebejer und ruinierten Bürger auf lange Zeit bis zum irischen Elend in seiner schlimmsten
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Form herab.</p>
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<p>Wer an den Folgen des Bauernkriegs am meisten litt, war die <i>Geistlichkeit</i>. Ihre
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Klöster und Stifter waren verbrannt, ihre Kostbarkeiten geplündert, ins Ausland
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verkauft oder eingeschmolzen, ihre Vorräte waren verzehrt worden. Sie hatte überall am
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wenigsten Widerstand leisten können, und zu gleicher Zeit war die ganze Wucht des
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Volkshasses am schwersten auf sie gefallen. Die andern Stände, Fürsten, Adel und
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Bürgerschaft, hatten sogar eine geheime Freude an der Not der verhaßten Prälaten.
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Der Bauernkrieg hatte die Säkularisation der geistlichen Güter zugunsten der Bauern
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populär gemacht, die weltlichen Fürsten und zum Teil die Städte gaben sich daran,
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diese Säkularisation zu <i>ihrem</i> Besten durchzuführen, und bald waren in
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protestantischen Ländern die Besitzungen <(<i>1850</i>) Bistümer> der
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Prälaten in den Händen der Fürsten oder der Ehrbarkeit. Aber auch die Herrschaft
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der geistlichen Fürsten war angetastet worden, und die weltlichen Fürsten verstanden
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es, den Volkshaß nach dieser Seite hin zu exploitieren. So haben wir gesehen, wie der Abt
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von Fulda vom Lehnsherrn zum Dienstmann Philipps von Hessen degradiert wurde. So zwang die Stadt
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Kempten den Fürstabt, ihr eine Reihe wertvoller Privilegien, die er in der Stadt
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besaß, für einen Spottpreis zu verkaufen.</p>
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<p>Der <i>Adel</i> hatte ebenfalls bedeutend gelitten. Die meisten seiner Schlösser waren
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vernichtet, eine Anzahl der angesehensten Geschlechter war ruiniert und konnte nur im
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Fürstendienst eine Existenz finden. Seine Ohnmacht gegenüber den Bauern war
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konstatiert; er war überall geschlagen und zur Kapitulation gezwungen worden; nur die Heere
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der Fürsten hatten ihn gerettet. Er mußte mehr und mehr seine Bedeutung als
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reichsunmittelbarer Stand verlieren und unter die Botmäßigkeit der Fürsten
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geraten.</p>
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<p>Die <i>Städte</i> hatten im ganzen auch keinen Vorteil vom Bauernkrieg. Die Herrschaft
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der Ehrbarkeit wurde fast überall wieder befestigt; die Opposition der Bürgerschaft
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blieb für lange Zeit gebrochen. Der alte patrizische Schlendrian schleppte sich so, Handel
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und Industrie nach allen Seiten hin fesselnd, bis in die französische Revolution fort. Von
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den Fürsten wurden zudem die Städte verantwortlich gemacht für die momentanen
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Erfolge, die die bürgerliche oder plebejische Partei in ihrem Schoß während des
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Kampfes errungen hatte. Städte, die schon früher den Gebieten der Fürsten
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angehörten, wurden schwer gebrandschatzt, ihrer Privilegien beraubt und schutzlos unter die
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habgierige Willkür der Fürsten geknechtet (Frankenhausen, Arnstadt, Schmalkalden,
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Würzburg etc. etc.), Reichsstädte wurden fürstlichen Territorien ein- <a name=
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"S411"><b><411></b></a> verleibt (z.B. Mühlhausen) oder doch in die moralische
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Abhängigkeit von angrenzenden Fürsten gebracht, wie viele fränkische
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Reichsstädte.</p>
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<p>Wer unter diesen Umständen vom Ausgang des Bauernkriegs allein Vorteil zog, waren die
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<i>Fürsten</i>. Wir sahen schon gleich im Anfang unserer Darstellung, wie die mangelhafte
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industrielle, kommerzielle und agrikole Entwicklung Deutschlands alle Zentralisation der
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Deutschen zur <i>Nation</i> unmöglich machte, wie sie nur eine lokale und provinzielle
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Zentralisation zuließ und wie daher die Repräsentanten dieser Zentralisation innerhalb
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der Zersplitterung, die Fürsten, den einzigen Stand bildeten, dem jede Veränderung der
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bestehenden gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse zugute kommen mußte. Der
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Entwicklungsgrad des damaligen Deutschlands war so niedrig und zu gleicher Zeit so
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ungleichförmig in den verschiedenen Provinzen, daß neben den weltlichen
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Fürstentümern noch geistliche Souveränetäten, städtische Republiken und
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souveräne Grafen und Barone bestehen konnten; aber sie drängte zu gleicher Zeit, wenn
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auch sehr langsam und matt, doch immer auf die <i>provinzielle</i> Zentralisation, d.h. auf die
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Unterordnung der übrigen Reichsstände <(<i>1875</i>) irrtümlich:
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Reichsstädte> unter die Fürsten hin. Daher konnten am Ende des Bauernkriegs nur die
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Fürsten gewonnen haben. So war es auch in der Tat. Sie gewannen nicht nur relativ, dadurch
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daß ihre Konkurrenten, die Geistlichkeit, der Adel, die Städte, geschwächt
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wurden; sie gewannen auch absolut, indem sie die spolia opima (Hauptbeute) von allen übrigen
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Ständen davontrugen. Die geistlichen Güter wurden zu ihrem Besten säkularisiert;
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ein Teil des Adels, halb oder ganz ruiniert, mußte sich nach und nach unter ihre Oberhoheit
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geben; die Brandschatzungsgelder der Städte und Bauernschaften flossen in ihren Fiskus, der
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obendrein durch die Beseitigung so vieler städtischen Privilegien weit freieren Spielraum
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für seine beliebten Finanzoperationen gewann.</p>
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<p>Die Zersplitterung Deutschlands, deren Verschärfung und Konsolidierung das Hauptresultat
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des Bauernkriegs war, war auch zu gleicher Zeit die Ursache seines Mißlingens.</p>
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<p>Wir haben gesehen, wie Deutschland zersplittert war, nicht nur in zahllose unabhängige,
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einander fast total fremde Provinzen, sondern auch wie die Nation in jeder dieser Provinzen in
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eine vielfache Gliederung von Ständen und Ständefraktionen auseinanderfiel. Außer
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Fürsten und Pfaffen finden wir Adel und Bauern auf dem Land, Patrizier, Bürger und
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Plebejer in den Städten, lauter Stände, deren Interessen einander total fremd waren,
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wenn sie sich nicht durchkreuzten und zuwiderliefen. Über allen diesen komplizierten
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Interessen, obendrein, noch das des Kaisers und des Papstes. Wir haben gesehen, <a name=
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"S412"><b><412></b></a> wie schwerfällig, unvollständig und je nach den
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Lokalitäten ungleichförmig diese verschiedenen Interessen sich schließlich in
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drei große Gruppen formierten; wie trotz dieser mühsamen Gruppierung jeder Stand gegen
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die der nationalen Entwicklung durch die Verhältnisse gegebene Richtung opponierte, seine
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Bewegung auf eigene Faust machte, dadurch nicht nur mit allen konservativen, sondern auch mit
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allen übrigen opponierenden Ständen in Kollision geriet und schließlich
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unterliegen mußte. So der Adel im Aufstand Sickingens, die Bauern im Bauernkrieg, die
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Bürger in ihrer gesamten zahmen Reformation. So kamen selbst Bauern und Plebejer in den
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meisten Gegenden Deutschlands nicht zur gemeinsamen Aktion und standen einander im Wege. Wir
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haben auch gesehn, aus welchen Ursachen diese Zersplitterung des Klassenkampfs und die damit
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gegebene vollständige Niederlage der revolutionären und halbe Niederlage der
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bürgerlichen Bewegung hervorging.</p>
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<p>Wie die lokale und provinzielle Zersplitterung und die daraus notwendig hervorgehende lokale
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und provinzielle Borniertheit die ganze Bewegung ruinierte; wie weder die Bürger noch die
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Bauern, noch die Plebejer zu einem konzentrierten, nationalen Auftreten kamen; wie die Bauern
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z.B. in jeder Provinz auf eigne Faust agierten, den benachbarten insurgierten Bauern stets die
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Hülfe verweigerten und daher in einzelnen Gefechten nacheinander von Heeren aufgerieben
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wurden, die meist nicht dem zehnten Teil der insurgierten Gesamtmasse gleichkamen - das wird wohl
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aus der vorhergehenden Darstellung jedem klar sein. Die verschiedenen Waffenstillstände und
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Verträge der einzelnen Haufen mit ihren Gegnern konstituieren ebensoviel Akte des Verrats an
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der gemeinsamen Sache, und die einzig mögliche Gruppierung der verschiedenen Haufen nicht
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nach der größeren oder geringeren Gemeinsamkeit ihrer eignen Aktion, sondern nach der
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Gemeinsamkeit des speziellen Gegners, dem sie erlagen, ist der schlagendste Beweis für den
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Grad der Fremdheit der Bauern verschiedner Provinzen gegeneinander.</p>
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<p>Auch hier bietet sich die Analogie mit der Bewegung von 1848-50 wieder von selbst dar. Auch
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1848 kollidierten die Interessen der oppositionellen Klassen untereinander, handelte jede
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für sich. Die Bourgeoisie, zu weit entwickelt, um sich den feudal-bürokratischen
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Absolutismus noch länger gefallen zu lassen, war doch noch nicht mächtig genug, die
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Ansprüche andrer Klassen den ihrigen sofort unterzuordnen. Das Proletariat, viel zu schwach,
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um auf ein rasches Überhüpfen der Bourgeoisperiode und auf seine eigne baldige
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Eroberung der Herrschaft rechnen zu können, hatte schon unter dem Absolutismus die
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Süßigkeiten des Bourgeoisregiments zu sehr kennengelernt und war überhaupt viel
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zu entwickelt, um auch nur für einen Moment in der Emanzipation der Bourgeoisie seine eigne
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Emanzipation zu sehen. Die Masse <a name="S413"><b><413></b></a> der Nation,
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Kleinbürger, Kleinbürgergenossen (Handwerker) und Bauern, wurde von ihrem zunächst
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noch natürlichen Alliierten, der Bourgeoisie, als schon zu revolutionär, und
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stellenweise vom Proletariat, als noch nicht avanciert genug, im Stich gelassen; unter sich
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wieder geteilt, kam auch sie zu nichts und opponierte rechts und links ihren Mitopponenten. Die
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Lokalborniertheit endlich kann 1525 unter den Bauern nicht größer gewesen sein, als
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sie unter den sämtlichen in der Bewegung beteiligten Klassen von 1848 war. Die hundert
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Lokalrevolutionen, die daran sich anknüpfenden hundert ebenso ungehindert
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durchgeführten Lokalreaktionen, die Aufrechthaltung der Kleinstaaterei etc. etc. sind
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Beweise, die wahrlich laut genug sprechen. <i>Wer nach den beiden deutschen Revolutionen von 1525
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und 1848 und ihren Resultaten noch von Föderativrepublik faseln kann, verdient nirgend
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anders hin als ins Narrenhaus.</i></p>
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<p>Aber die beiden Revolutionen, die des sechzehnten Jahrhunderts und die von 1848-50, sind trotz
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aller Analogien doch sehr wesentlich voneinander verschieden. Die Revolution von 1848 beweist,
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wenn auch nichts für den Fortschritt Deutschlands, doch für den Fortschritt
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Europas.</p>
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<p>Wer profitierte von der Revolution von 1525? Die Fürsten. - Wer profitierte von der
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Revolution von 1848? Die <i>großen</i> Fürsten, Östreich und Preußen.
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Hinter den kleinen Fürsten von 1525 standen, sie an sich kettend durch die Steuer, die
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kleinen Spießbürger, hinter den großen Fürsten von 1850, hinter
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Östreich und Preußen, sie rasch unterjochend durch die Staatsschuld, stehen die
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modernen großen Bourgeois. Und hinter den großen Bourgeois stehn die Proletarier.</p>
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<p>Die Revolution von 1525 war eine deutsche Lokalangelegenheit. Engländer, Franzosen,
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Böhmen, Ungarn hatten ihre Bauernkriege schon durchgemacht, als die Deutschen den ihrigen
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machten. War schon Deutschland zersplittert, so war Europa es noch weit mehr. Die Revolution von
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1848 war keine deutsche Lokalangelegenheit, sie war ein einzelnes Stück eines großen
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europäischen Ereignisses. Ihre treibenden Ursachen, während ihres ganzen Verlaufs, sind
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nicht auf den engen Raum eines einzelnen Landes, nicht einmal auf den eines Weltteils
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zusammengedrängt. Ja, die Länder, die der Schauplatz dieser Revolution waren, sind
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gerade am wenigsten bei ihrer Erzeugung beteiligt. Sie sind mehr oder weniger bewußt- und
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willenlose Rohstoffe, die umgemodelt werden im Verlauf einer Bewegung, an der jetzt die ganze
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Welt teilnimmt, einer Bewegung, die uns unter den bestehenden gesellschaftlichen
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Verhältnissen allerdings nur als eine fremde Macht erscheinen kann, obwohl sie
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schließlich nur unsre eigne Bewegung ist. Die Revolution von 1848 bis 1850 kann daher nicht
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enden wie die von 1525.</p>
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