emacs.d/clones/www.mlwerke.de/me/me10/me10_231.htm
2022-08-25 20:29:11 +02:00

26 lines
No EOL
12 KiB
HTML

<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 3.2//EN">
<HTML>
<HEAD>
<META HTTP-EQUIV="Content-Type" CONTENT="text/html; charset=ISO-8859-1">
<TITLE>Friedrich Engels - Ein beruehmter Sieg</TITLE>
</HEAD>
<BODY LINK="#0000ff" VLINK="#800080" BGCOLOR="#ffffaf">
<FONT SIZE=2><P>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 10, S. 231-234<BR>
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1961</P>
</FONT><H2>Friedrich Engels</H2>
<H1>Ein ber&uuml;hmter Sieg</H1>
<FONT SIZE=2><P>Geschrieben am 15. Mai 1854.<BR>
Aus dem Englischen.</P>
</FONT><P><HR></P>
<FONT SIZE=2><P>["New-York Daily Tribune" Nr. 4098 vom 6. Juni 1854, Leitartikel]</P>
</FONT><B><P><A NAME="S231">&lt;231&gt;</A></B> Die englischen Zeitungen ergehen sich in z&uuml;gellosen Ausbr&uuml;chen des Spottes &uuml;ber die Tatsache, da&szlig; General Osten-Sacken vom Zaren f&uuml;r seine Teilnahme im letzten Gefecht zwischen den alliierten Flotten und den Befestigungen zur Verteidigung des Odessaer Hafens ausgezeichnet wurde. Sie beanspruchen den Sieg in diesem Gefecht durchaus f&uuml;r die Alliierten und stellen das Frohlocken ihres Feindes nur als eine neue Abart moskowitischer Aufschneiderei und kaiserlicher Verlogenheit dar. Da wir weder f&uuml;r den Zaren noch f&uuml;r Osten-Sacken besondere Sympathie hegen, obwohl letzterer zweifellos ein kluger und entschlossener Mann ist (er ist der Bruder des gleichnamigen Generals, der in den F&uuml;rstent&uuml;mern ein Armeekorps kommandiert), mag es vielleicht der M&uuml;he wert sein, die Verdienste seines Sieges bei Odessa etwas sorgf&auml;ltiger in Augenschein zu nehmen und sich, soweit m&ouml;glich, zu vergewissern, auf welcher Seite die Aufschneiderei und der Schwindel wirklich zu finden sind, besonders da dies der erste und einzige Kampf zwischen den Alliierten und den Russen ist, von dem wir bisher &uuml;berhaupt einen Bericht haben.</P>
<P>Wie aus den offiziellen Dokumenten beider Seiten hervorgeht, war das Ziel des Erscheinens der alliierten Flotte vor Odessa, den Gouverneur aufzufordern, als Genugtuung f&uuml;r die auf eine britische Parlament&auml;rflagge abgefeuerte Salve alle im Hafen befindlichen britischen, franz&ouml;sischen und russischen Schiffe auszuliefern. Sie h&auml;tten jedoch wissen m&uuml;ssen, da&szlig; er eine solche Aufforderung nicht beachten w&uuml;rde, und h&auml;tten deshalb darauf vorbereitet sein m&uuml;ssen, das mit Gewalt zu nehmen, was sie vergebens gefordert hatten; falls ihnen das nicht gel&auml;nge, erlitten sie eine wirkliche Niederlage, welchen Verlust sie dem Feind auch immer zugef&uuml;gt h&auml;tten.</P>
<P>Worum ging es also? Schon das Dekret der russischen Regierung, das Osten-Sacken zum Befehlshaber des von ihm beherrschten gewaltigen, direkt <A NAME="S232"><B>&lt;232&gt;</A></B> im R&uuml;cken der Donauarmee gelegenen Gebietes ernannte, und die Tatsache, da&szlig; er die Stadt Odessa zu seinem Aufenthaltsort w&auml;hlte, zeigt die Bedeutung, die die Russen diesem Punkt nat&uuml;rlicher- und richtigerweise beima&szlig;en. Odessa ist der Ort, wo ihnen eine feindliche Landung den gr&ouml;&szlig;ten Schaden zuf&uuml;gen k&ouml;nnte. Dort w&uuml;rde der Feind nicht nur alle Ressourcen einer gro&szlig;en Stadt, sondern auch die der Kornkammer ganz Europas finden, dort w&uuml;rde er auch der Kommunikations- und R&uuml;ckzugslinie der russischen Armee m der T&uuml;rkei am n&auml;chsten sein. Unter diesen Umst&auml;nden m&uuml;ssen die beiden Admirale gewu&szlig;t haben, da&szlig; die Stadt von einer starken Garnison verteidigt wird und da&szlig; jeder Landungsversuch, soviel Matrosen und Seesoldaten sie auch f&uuml;r diesen Zweck aufbringen k&ouml;nnten, sofort zur&uuml;ckgeschlagen werden w&uuml;rde. Aber ohne Landung und die zumindest vor&uuml;bergehende Besetzung des Hafens, wenn nicht der Stadt, konnten sie nicht erwarten, die dort jetzt festgehaltenen britischen und franz&ouml;sischen Schiffe zu befreien. Die einzige ihnen verbliebene Aussicht, ihr Ziel zu erreichen, w&auml;re gewesen, die Stadt selbst aufs heftigste zu bombardieren, um das Verbleiben f&uuml;r jeden Truppenk&ouml;rper &auml;u&szlig;erst unsicher zu machen und dann die Befreiung der Schiffe zu versuchen. Doch es ist zweifelhaft, ob dieses Ziel durch eine Bombardierung einer gro&szlig;en Stadt mit sehr breiten Stra&szlig;en und ausgedehnten Pl&auml;tzen erreicht worden w&auml;re, wo verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig wenig Raum von brennbaren Geb&auml;uden eingenommen wird. Deshalb mu&szlig;ten die Admirale gewu&szlig;t haben, da&szlig; sie, wenn ihre Forderung an Osten-Sacken abgelehnt w&uuml;rde, keine Mittel h&auml;tten, sie zu erzwingen. Sie glaubten jedoch, da&szlig; nach dem Beschu&szlig; einer Parlament&auml;rflagge etwas gegen Odessa unternommen werden m&uuml;sse, und so f&uuml;hrten sie ihren Auftrag aus.</P>
<P>Der Zugang nach Odessa von der Seeseite wurde durch sechs Batterien verteidigt, die mit vierzig oder f&uuml;nfzig Gesch&uuml;tzen mit einem Kaliber von 24 und 48 Pfund ausger&uuml;stet gewesen sein m&uuml;ssen. Von diesen Batterien wurden nur zwei oder drei in das Gefecht einbezogen, da sich die Angreifer au&szlig;er Reichweite der &uuml;brigen hielten. Gegen diese Batterien wurden acht Dampffregatten mit ungef&auml;hr 100 Kanonen zum Einsatz gebracht; da jedoch bei dieser Art des Man&ouml;vrierens die Kanonen nur auf einer Seite der Schiffe benutzt werden konnten, wurde die zahlenm&auml;&szlig;ige &Uuml;berlegenheit der Gesch&uuml;tze der Alliierten bedeutend vermindert. In bezug auf das Kaliber m&uuml;ssen sie ungef&auml;hr gleich gewesen sein, denn wenn ein 24-Pfund-Gesch&uuml;tz einem langen 32pf&uuml;nder unterlegen ist, m&uuml;&szlig;te eine 48pf&uuml;nder aus schwerem Metall sicher den 56- oder 68pf&uuml;ndigen Bombenkanonen gleich sein, die keine vollen Pulverladungen aushalten k&ouml;nnen. Schlie&szlig;lich ist die Verwundbarkeit von Schiffen, verglichen mit Brustwehren und die durch die Schiffsbewegung <A NAME="S233"><B>&lt;233&gt;</A></B> verursachte Treffunsicherheit derma&szlig;en, da&szlig; selbst eine noch gr&ouml;&szlig;ere zahlenm&auml;&szlig;ige &Uuml;berlegenheit der Artillerie einer Flotte &uuml;ber diejenige der Strandbatterien zugunsten der letzteren einige Vorteile l&auml;&szlig;t. Das beweist der Kampf bei Eckerf&ouml;rde in Schleswig (1849), wo zwei Batterien mit 20 Gesch&uuml;tzen ein Schiff mit 84 Gesch&uuml;tzen zerst&ouml;rten, eine Fregatte mit 44 Gesch&uuml;tzen kampfunf&auml;hig machten und eroberten und zwei schwer best&uuml;ckte Dampfer zur&uuml;ckschlugen.</P>
<P>Solange sich das Gefecht auf die Artillerie und die acht Dampfer beschr&auml;nkte, kann es als ein ziemlich ebenb&uuml;rtiges bezeichnet werden, selbst wenn man die &Uuml;berlegenheit in bezug auf Reichweite und Treffsicherheit der englisch-franz&ouml;sischen Gesch&uuml;tze, die sich im Kampf herausgestellt hat, in Betracht zieht. Die Folge davon war, da&szlig; das Zerst&ouml;rungswerk sehr langsam vonstatten ging. Zwei demontierte russische Gesch&uuml;tze waren das einzige Ergebnis eines mehrst&uuml;ndigen Feuers. Schlie&szlig;lich kamen die Alliierten n&auml;her und &auml;nderten ihre Taktik. Sie gaben das System auf, die Steinw&auml;lle der Batterien zu beschie&szlig;en, und warfen Bomben und Raketen auf die russischen Schiffe und Kriegsanlagen des Hafens und dessen Umkreis. Das wirkte. Das beschossene Ziel war gro&szlig; genug, da&szlig; jede Bombe einen brennbaren Teil treffen konnte, und so brannte bald alles. Das Pulvermagazin hinter jener Batterie am Molenkopf, die den wirksamsten Widerstand geleistet hatte und haupts&auml;chlich angegriffen worden war, flog in die Luft; das und die allgemeine Ausbreitung des Feuers zwangen ihre Besatzung schlie&szlig;lich, sich zur&uuml;ckzuziehen. Die russischen Artilleristen haben an diesem Punkt, wie gew&ouml;hnlich, sehr wenig Gewandtheit, aber au&szlig;erordentliche Tapferkeit bewiesen. Ihre Gesch&uuml;tze und Geschosse m&uuml;ssen sehr mangelhaft gewesen sein und ihr Pulver &auml;u&szlig;erst schwach.</P>
<P>Das war das einzige Ergebnis des ganzen Kampfes. Vier russische Gesch&uuml;tze der Batterie am Molenkopf waren zum Schweigen gebracht worden; all die anderen Batterien hatten kaum Schaden erlitten. Die Explosion des Pulvermagazins kann nicht sehr heftig gewesen sein; aus dessen Lage dicht hinter der Batterie ist ersichtlich, da&szlig; es das Magazin nur dieser Batterie war, das lediglich die Munition f&uuml;r einen einzigen Tag enthielt, ungef&auml;hr 60 oder 100 Geschosse f&uuml;r jedes der vier Gesch&uuml;tze; wenn wir nun die wahrscheinliche Anzahl der Geschosse abziehen, die im Verlaufe des Tages bereits verbraucht wurden, k&ouml;nnen kaum mehr als 3 Zentner Pulver verblieben sein. Wie gro&szlig; der den anderen Anlagen zugef&uuml;gte Schaden ist, k&ouml;nnen wir nicht beurteilen; die Alliierten konnten es nat&uuml;rlich nicht feststellen, w&auml;hrend die Russen die allerniedrigste Zahl angeben. Den russischen Berichten zufolge scheinen jedoch die niedergebrannten Schiffe <I>keine </I>Kriegsschiffe gewesen zu <A NAME="S234"><B>&lt;234&gt;</A> </B>sein, wie es die englisch-franz&ouml;sischen Berichte behaupten; au&szlig;er einigen Handelsschiffen waren es wahrscheinlich Transportschiffe und Passagierdampfer der Regierung. Wir erhielten &uuml;brigens vorher nie eine Nachricht, da&szlig; &uuml;berhaupt russische Kriegsschiffe in Odessa seien.</P>
<P>W&auml;hrend des Kampfes gelang es zwei franz&ouml;sischen und einem oder zwei englischen Handelsschiffen, aus dem Hafen zu entkommen; <I>sieben britische Handelsschiffe </I>werden dort bis auf den heutigen Tag festgehalten. Damit haben die "tapferen" Admirale ihre Forderung nicht durchgesetzt, und da sie ohne jedes positive Ergebnis den R&uuml;ckzug antreten mu&szlig;ten, ohne auch nur mehr als eine von sechs Batterien zum Schweigen gebracht zu haben, k&ouml;nnen sie sich als regelrecht zur&uuml;ckgeschlagen betrachten. Sie haben nur sehr wenig Leute verloren, doch wurden mehrere Schiffsr&uuml;mpfe besch&auml;digt, und der franz&ouml;sische Dampfer "Vauban" wurde einmal durch eine rotgl&uuml;hende Kugel in Brand gesetzt und mu&szlig;te sich eine Zeitlang aus dem Kampf zur&uuml;ckziehen.</P>
<P>Das ist das Fazit dessen, was die britische Presse "glorreiche Nachrichten aus Odessa" nennt und was in den Augen der Briten alle fr&uuml;heren Schw&auml;chen des Admirals Dundas wettgemacht hat. Dieser Kampf hat die Erwartungen der englischen &Ouml;ffentlichkeit soweit erregt, da&szlig; uns ernsthaft erz&auml;hlt wird, die Admirale h&auml;tten sich von der au&szlig;erordentlichen &Uuml;berlegenheit der Reichweite ihrer Gesch&uuml;tze &uuml;ber die russischen &uuml;berzeugt, und sich daraufhin endg&uuml;ltig zu dem Versuch entschlossen, Sewastopol zu bombardieren; sie seien in der Tat dorthin gefahren und h&auml;tten ein paar Sch&uuml;sse abgefeuert. Doch das ist der reinste Humbug, denn wer sich je eine Karte Sewastopols angesehen hat, wei&szlig;, da&szlig; ein Angriff auf jene Stadt und den Hafen, ob Bombardement oder nicht, wenn es sich nicht um ein reines Scheingefecht au&szlig;erhalb der Bucht handelt, in engen Gew&auml;ssern und im Bereich von Feldgesch&uuml;tzen stattfinden mu&szlig;.</P>
<P>Wir k&ouml;nnten dieser simplen Darstellung mit Recht hinzuf&uuml;gen, da&szlig; die Aufschneiderei unserer englischen Freunde &uuml;ber diesen Kampf - in dem sie v&ouml;llig zur&uuml;ckgeschlagen wurden und ihr Ziel g&auml;nzlich verfehlten - sich nicht sehr von dem allgemeinen Ton ihrer fr&uuml;heren Er&ouml;rterungen und Erkl&auml;rungen &uuml;ber den Krieg unterscheiden. Wie auch immer das Ergebnis des Kampfes sein sollte, ein unvoreingenommener Historiker mu&szlig;, so denken wir, in seinen Berichten aufzeichnen, da&szlig; seine fr&uuml;hen Stadien durch ebensoviel Humbug, Verdrehung, T&auml;uschung, diplomatische Tricks, milit&auml;rische Prahlerei und L&uuml;gen von seiten Englands wie von seiten Ru&szlig;lands gekennzeichnet waren.</P>
</BODY>
</HTML>