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<title>"Neue Rheinische Zeitung" - Der daenisch-preussische Waffenstillstand</title>
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<p align="center"><a href="me05_390.htm"><font size="2">Sturz des Ministeriums der
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Tat</font></a> <font size="2">|</font> <a href="../me_nrz48.htm"><font size=
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"2">Inhalt</font></a> <font size="2">|</font> <a href="me05_398.htm"><font size="2">Die Krisis
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und die Kontrerevolution</font></a></p>
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<small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 393-397<br>
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Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959</small><br>
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<h1>Der dänisch-preußische Waffenstillstand</font></p>
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<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 99 vom 10. September 1848]</font></p>
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<p><b><a name="S393"><393></a></b> **<i>Köln</i>, 9. September. Wir kommen nochmals
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auf den dänischen Waffenstillstand zurück - die Gründlichkeit der
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Nationalversammlung, die, statt rasch und energisch zu beschließen und neue Minister zu
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<i>erzwingen</i>, die Ausschüsse in aller Gemächlichkeit beraten läßt und
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die Beendigung der Ministerkrise dem lieben Gott überläßt -, diese
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Gründlichkeit, die "den mangelnden Mut von unsern lieben Bekannten" nur schlecht
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verhüllt, gibt uns die Zeit dazu.</p>
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<p>Der Krieg in Italien war bei der demokratischen Partei stets unpopulär und ist selbst
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bei den Wiener Demokraten seit geraumer Zeit unpopulär geworden. Die preußische
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Regierung vermochte den Sturm des öffentlichen Unwillens über den posenschen
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Vernichtungskrieg durch Fälschungen und Lügen nur um wenige Wochen
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zurückzuhalten. Der Prager Straßenkampf <Siehe <a href="me05_080.htm">"Der Prager
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Aufstand"</a> und <a href="me05_108.htm">"Demokratischer Charakter des Aufstandes"</a>>
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erregte, trotz aller Bemühungen der nationalen Presse, im Volk Sympathien nur für die
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Besiegten, nicht aber für die Sieger. Aber der Krieg in Schleswig-Holstein ist von Anfang
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auch im <i>Volk</i> populär gewesen. Woher kommt dies?.</p>
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<p>Während die Deutschen in Italien, in Posen, in Prag die <i>Revolution
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bekämpften</i>, haben sie in Schleswig-Holstein <i>die Revolution unterstützt</i>.
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Der dänische Krieg ist der erste <i>Revolutionskrieg</i>, den Deutschland führt. Und
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darum haben wir uns, ohne dem meerumschlungenen bürgerlichen Schoppenenthusiasmus die
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geringste Stammverwandtschaft zu bezeigen, von Anfang an für energische Führung des
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dänischen Kriegs erklärt.</p>
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<p>Schlimm genug für Deutschland, wenn sein erster Revolutionskrieg der komischste Krieg
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ist, der je geführt wurde!</p>
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<p><b><a name="S394"><394></a></b> Zur Sache. Die Dänen sind ein Volk, das in der
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unbeschränktesten kommerziellen, industriellen, politischen und literarischen
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Abhängigkeit von Deutschland steht. Es ist bekannt, daß die faktische Hauptstadt von
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Dänemark nicht Kopenhagen, sondern Hamburg ist, daß die dänische Regierung alle
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Vereinigte-Landtags-Experimente der in den Barrikaden entschlafenen preußischen ein
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ganzes Jahr lang nachmachte, daß Dänemark alle seine literarischen Lebensmittel,
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ebensogut wie seine materiellen, über Deutschland bezieht und daß die dänische
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Literatur - mit Ausnahme Holbergs - ein matter Anklatsch der deutschen ist.</p>
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<p>So ohnmächtig Deutschland auch von jeher war, es hat die Genugtuung, daß die
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skandinavischen Nationen und namentlich Dänemark unter seine Botmäßigkeit
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geraten sind, daß es <i>ihnen</i> gegenüber sogar noch revolutionär und
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progressiv ist.</p>
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<p>Wollt ihr Beweise? Lest die Polemik der skandinavischen Nationen untereinander, seit die
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Idee des Skandinavismus aufgetaucht ist. Der Skandinavismus besteht in der Begeisterung
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für die brutale, schmutzige, seeräuberische, altnordische Nationalität, für
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jene tiefe Innerlichkeit, die ihre überschwenglichen Gedanken und Gefühle nicht in
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Worte bringen kann, wohl aber in Taten, nämlich in Roheit gegen Frauenzimmer, permanente
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Betrunkenheit und mit tränenreicher Sentimentalität abwechselnde Berserkerwut.</p>
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<p>Der Skandinavismus und die meerumschlungene schleswig-holsteinische Stammverwandtschaft
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tauchten zugleich in den Ländern des Königs von Dänemark auf. Sie gehören
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zusammen; sie haben sich gegenseitig hervorgerufen, bekämpft und dadurch am Leben
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erhalten.</p>
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<p>Der Skandinavismus war die Form, in der die Dänen an die Unterstützung der
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Schweden und Norweger appellierten. Aber wie es der christlich-germanischen Nation immer geht:
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Sogleich erhob sich der Streit, wer der echte Christlichgermane, der wahre Skandinavier sei.
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Der Schwede erklärte den Dänen für "verdeutscht" und entartet, der Norweger den
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Schweden und den Dänen, der Isländer alle drei. Natürlich, je roher eine Nation,
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je näher ihre Sitten und Lebensart der altnordischen, desto "skandinavischer" war sie.</p>
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<p>Vor uns liegt das "Morgenbladet" von Christiania vom 18. November 1846. Dies anmutige
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Blättchen enthält in einem Artikel über Skandinavismus folgende heitere
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Stellen:</p>
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<p>Nachdem es den ganzen Skandinavismus als einen bloß von den Dänen in ihrem
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Interesse hervorgerufenen Bewegungsversuch geschildert, sagt es von den Dänen:</p>
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<p><font size="2">"Was hat dies muntere, lebensfrohe Volk mit der alten, düstern und
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wehmutsvollen Kämpenwelt (med den gamle, alvorlige og vemodsfulde Kjämpeverden) zu <a
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name="S395"><b><395></b></a></font> schaffen? Wie kann diese Nation mit ihrer - wie ein
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dänischer Schriftsteller selbst zugibt - lenksamen und sanftmütigen
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Willensbeschaffenheit glauben, in Geistesverwandtschaft zu stehen mit der alten Vorzeit derben,
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kraftvollen und energischen Männern? Und wie können diese Menschen mit der
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südlich-weichen Aussprache sich einbilden, eine nordische Zunge zu sprechen? Und obwohl es
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ein Hauptzug unserer und der schwedischen Nation wie auch der alten Nordbewohner ist, daß
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die Gefühle sich mehr ins <i>Innerste</i> der Seele zurückziehen, ohne sich
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näher im <i>Äußern</i> zu zeigen, so glauben doch diese gefühlvollen und
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herzlichen Menschen, die so leicht zu verwundern, zu bewegen, zu bestimmen sind, deren
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Geistesbewegungen sich so rasch und deutlich in ihrem Äußern abdrücken,
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daß sie in einer nordischen Form gegossen, daß sie von verwandter Natur sind mit
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den beiden andern skandinavischen Nationen!"</p>
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<p>Das "Morgenbladet" erklärt nun diese Entartung aus der Verbindung mit Deutschland und
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der Verbreitung deutschen Wesens in Dänemark. Die Deutschen hätten zwar</p>
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<p><font size="2">"ihr heiligstes Eigentum, ihr nationales Gepräge verloren; aber so
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kraftlos und matt die deutsche Nationalität auch ist, so gibt es doch eine in der Welt,
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die noch kraftloser und matter ist, nämlich die dänische. Während die deutsche
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Sprache im Elsaß, Waadt und an der slawischen Grenze zurückgedrängt wird" (!!
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damals blieben die Verdienste der Netzbrüder noch im stillen), "hat sie gegen die
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dänische Grenze reißende Fortschritte gemacht."</font></p>
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<p>Die Dänen hätten nun den Deutschen eine Nationalität entgegenstellen
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müssen und hätten zu diesem Zweck den Skandinavismus erfunden; die dänische
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Nationalität sei widerstandslos gewesen,</p>
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<p><font size="2">"denn die dänische Nation war, wie gesagt, obwohl sie die deutsche
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Sprache nicht angenommen, doch <i>wesentlich verdeutscht</i>. Der Verfasser hat selbst in einem
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dänischen Blatte anerkannt gesehen, daß die <i>dänische</i> Nationalität
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<i>von der deutschen nicht wesentlich verschieden</i> sei."</font></p>
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<p>Soweit "Morgenbladet".</p>
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<p>Allerdings, es läßt sich nicht leugnen, daß die Dänen eine halbweg
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zivilisierte Nation sind. Unglückliche Dänen!</p>
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<p>Mit demselben Recht, mit dem die Franzosen Flandern, Lothringen und Elsaß genommen
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haben und Belgien früher oder später nehmen werden, mit demselben Recht nimmt
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Deutschland Schleswig: mit dem Recht der Zivilisation gegen die Barbarei, des Fortschritts
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gegen die Stabilität. Und selbst wenn die Verträge für Dänemark wären
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- was noch sehr zweifelhaft ist -, dies Recht gilt mehr als alle Verträge, weil es das
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Recht der geschichtlichen Entwickelung ist.</p>
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<p>Solange die schleswig-holsteinsche Bewegung eine rein bürgerlich-friedliche,
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gesetzliche Philisteragitation blieb, erregte sie nur die Begeisterung <a name=
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"S396"><b><396></b></a> wohlmeinender Kleinbürger. Als daher vor der
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Februarrevolution der jetzige Dänenkönig bei seiner Thronbesteigung für seine
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Gesamtstaaten eine freisinnige Verfassung mit gleicher Zahl Abgeordneter für die
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Herzogtümer wie für Dänemark versprach und die Herzogtümer dagegen
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opponierten, trat der kleinbürgerliche Lokalcharakter der schleswig-holsteinschen Bewegung
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unangenehm hervor. Es handelte sich damals nicht so sehr um einen Anschluß an Deutschland
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- wo war damals ein Deutschland? - als um Trennung von Dänemark und Konstituierung eines
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kleinen selbständigen Lokalstaats.</p>
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<p>Aber die Revolution brach herein und gab der Bewegung einen andern Charakter. Die
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schleswig-holsteinsche Partei mußte entweder zugrunde gehen oder selbst eine Revolution
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wagen. Sie wagte die Revolution, und sie hatte recht: Die dänischen Zusagen, vor der
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Revolution sehr günstig, waren nach der Revolution ungenügend; der Anschluß an
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Deutschland, früher eine Phrase, konnte jetzt eine Bedeutung erhalten; Deutschland hatte
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eine Revolution, und Dänemark machte sie, wie immer, auf kleinstädtischem Fuße
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nach.</p>
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<p>Die schleswig-holsteinsche Revolution und die aus ihr hervorgegangene provisorische
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Regierung hatte anfangs selbst noch einen sehr spießbürgerlichen Charakter. Aber der
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Krieg zwang sie bald auf demokratische Bahnen. Schleswig-Holstein hat durch diese Regierung, in
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der lauter altliberale Biedermänner, ehemalige Geistesverwandte von Welcker, Gagern,
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Camphausen sitzen, demokratischere Gesetze erhalten als irgendein anderer deutscher Staat. Von
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allen deutschen Versammlungen ist die Kieler Landesversammlung die einzige, die nicht nur auf
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allgemeinem Stimmrecht, sondern auch auf direkter Wahl beruht. Der ihr von der Regierung
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vorgelegte Verfassungsentwurf ist der demokratischste, der je in deutscher Sprache
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abgefaßt worden. Schleswig-Holstein, bisher politisch von Deutschland ins Schlepptau
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genommen, ist durch den Revolutionskrieg plötzlich zu fortgeschritteneren Institutionen
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gekommen als das ganze übrige Deutschland.</p>
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<p>Der Krieg, den wir in Schleswig-Holstein führen, ist also ein wirklicher
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Revolutionskrieg.</p>
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<p>Und wer ist von Anfang an auf Seite Dänemarks gewesen? Die drei
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kontrerevolutionärsten Mächte Europas: <i>Rußland</i>, <i>England</i> und die
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<i>preußische Regierung</i>. Die preußische Regierung hat, solange sie konnte,
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einen bloßen <i>Scheinkrieg</i> geführt - man denke an Wildenbruchs Note, an die
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Bereitwilligkeit, mit der sie auf englisch-russische Vorstellungen hin den Rückzug aus
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Jütland befahl, und schließlich an den zweimaligen Waffenstillstand! Preußen,
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England und Rußland sind die drei Mächte, die die deutsche Revolution und ihre erste
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Folge, die deutsche Einheit, am meisten zu fürchten haben: Preußen, weil es dadurch
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aufhört zu existieren, England, weil der <a name="S397"><b><397></b></a> deutsche
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Markt dadurch seiner Exploitation entzogen wird, Rußland, weil die Demokratie dadurch
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nicht nur an die Weichsel, sondern selbst bis an die Düna und den Dnjepr vorrücken
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muß. Preußen, England und Rußland haben komplottiert gegen
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Schleswig-Holstein, gegen Deutschland und gegen die Revolution.</p>
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<p>Der Krieg, der möglicherweise jetzt aus den Beschlüssen in Frankfurt entstehen
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kann, würde ein Krieg Deutschlands gegen Preußen, England und Rußland sein.
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Und gerade solch ein Krieg tut der einschlummernden deutschen Bewegung not - ein Krieg gegen
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die drei Großmächte der Kontrerevolution, ein Krieg, der Preußen in
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Deutschland <i>wirklich</i> aufgehn, der die Allianz mit Polen zum unumgänglichsten
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Bedürfnis macht, der die Freilassung Italiens sofort herbeiführt, der gerade gegen
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die alten kontrerevolutionären Alliierten Deutschlands von 1792 bis 1815 gerichtet ist,
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ein Krieg, der "das Vaterland in Gefahr" bringt und gerade dadurch rettet, indem er den Sieg
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<i>Deutschlands</i> vom Siege der Demokratie abhängig macht.</p>
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<p>Die Bourgeois und Junker in Frankfurt mögen sich keine Illusionen darüber machen:
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Beschließen sie, den Waffenstillstand zu verwarfen, so beschließen sie ihren
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eigenen Sturz, geradesogut wie die Girondins in der ersten Revolution, die am 10. August
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tätig waren und für den Tod des Exkönigs stimmten, damit ihren eigenen Sturz am
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31. Mai vorbereiteten. Nehmen sie dagegen den Waffenstillstand an, so beschließen sie
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ebenfalls ihren eigenen Sturz, so begeben sie sich unter die Botmäßigkeit von
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Preußen und haben gar nichts mehr zu sagen. Sie mögen wählen.</p>
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<p>Wahrscheinlich ist die Nachricht vom Sturz Hansemanns noch vor der 1. Abstimmung nach
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Frankfurt gekommen. Vielleicht wird sie bedeutend auf die Abstimmung influieren, besonders weil
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das erwartete Ministerium Waldeck und Rodbertus bekanntlich die Souveränität der
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Nationalversammlung anerkennt.</p>
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<p>Wir werden sehen. Aber wir wiederholen es <Siehe <a href="me05_386.htm#S389">"Der
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dänische Waffenstillstand", S. 389</a>>: Die Ehre Deutschlands ist in schlechten
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Händen!</p>
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<p><font size="2">Geschrieben von Friedrich Engels.</font></p>
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