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<TITLE>John Reed: 10 Tage die die Welt erschütterten</TITLE>
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<BODY bgcolor="#FFFFFF">
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IV. DER STURZ DER PROVISORISCHEN REGIERUNG
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Mittwoch, 7. November. Ich hatte mich sehr spät erhoben. Vom Peter -
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Paul schlug bereits die Mittagsglocke, als ich den Newski hinunterschritt.
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Der Tag war kalt und ungemütlich. Vor den geschlossenen Türen der
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Staatsbank standen Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett. ÆWozu gehört
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ihr?" fragte ich, Æzur Regierung?" ÆDie Regierung ist futsch.
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Slawa Bogu" (Gott sei Dank). Das war alles was ich herausbekam. Die
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Straßenbahnen fuhren wie gewöhnlich, nicht nur innen
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überfüllt, sondern auch außen behangen mit Männern,
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Frauen und kleinen Jungen, die sich anklammerten, wo nur ein Plätzchen
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sich fand. Die Läden waren geöffnet, und die Straßen schienen
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sogar weniger unruhig als am Abend vorher. Die Mauern der Häuser waren
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in der Nacht mit unzähligen gegen den Aufstand gerichteten Appellen
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beklebt - an die Bauern, an die Frontsoldaten, an die Petrograder Arbeiter.
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Einer lautete wie folgt:
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<P>
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Æ V o n d e r P e t r o g r a d e r S t a d t d u m a !
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Die Stadtduma bringt den Bürgern zur Kenntnis, daß sie in einer
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außerordentlichen Sitzung vom 6. November ein Komitee für die
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öffentliche Sicherheit gebildet hat, das sich zusammensetzt aus Mitgliedern
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der Zentralduma und den Stadtbezirksdumas sowie aus Vertretern der folgenden
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revolutionären demokratischen Organisationen: Zentralexekutivkomitee
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der Sowjets, Gesamtrussisches Exekutivkomitee der Bauerndeputierten, die
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Armeeorganisationen, Zentroflot, Petrograder Sowjet der Arbeiter- und
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Soldatendeputierten (!), Gewerkschaftsrat u. a. Zu erreichen sind die Mitglieder
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des Komitees für öffentliche Sicherheit im Haus der Stadtduma.
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Telefon Nr.15-40, 223-77, 138-36. 7. November1917"
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<P>
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Dies war (mir wurde das erst später klar) die Kriegserklärung der
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Duma an die Bolschewiki. Ich kaufte eine Nummer des ÆRabotschi Put",
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wie es schien die einzige Zeitung, die zu haben war, und etwas später,
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aus zweiter Hand, von einem Soldaten, für fünfzig Kopeken ein Exemplar
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des ÆDen". Das in Großformat in der beschlagnahmten Druckerei
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der ÆRusskaja Wolja" hergestellte Blatt der Bolschewiki enthielt auf
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der Vorderseite in großen Lettern die Parolen: <I>ÆAlle Macht
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den Sowjets der Arbeiter, Soldaten und Bauern! Friede, Land, Brot!"</I> Der
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Leitartikel war von Sinowjew gezeichnet, der sich, wie Lenin, verborgen halten
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mußte. Er begann: ÆJeder Soldat und jeder Arbeiter, jeder wahre
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Sozialist und jeder ehrliche Demokrat begreift, daß es heute nur zwei
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Möglichkeiten gibt. Entweder - die Macht verbleibt in den Händen
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der Bourgeoisie und der Gutsbesitzer, das hieße: Unterdrückung
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der revolutionären Arbeiter, Soldaten und Bauern, Fortsetzung des Krieges,
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unvermeidliche Hunger und Tod ...,oder die revolutionären Arbeiter,
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Soldaten und Bauern übernehmen die Macht, das wäre die völlige
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Zerschmetterung der Gutsbesitzertyrannei, die Niederlage der Kapitalisten,
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sofortiger Vorschlag eines gerechten Friedens. Die Bauern würden das
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Land erhalten, die Arbeiter die Kontrolle über die Industrie, die Hungernden
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Brot, der wahnsinnige Krieg ginge zu Ende!"
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<P>
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Der ÆDen" enthielt - allerdings sehr unvollständige - Nachrichten
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über die Ereignisse der letzten bewegten Nacht: Besetzung der
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Telefonzentrale, der Telegrafenagentur und des Baltischen Bahnhofs durch
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die Bolschewiki; die Offiziersschüler von Peterhof außerstande,
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nach Petrograd zu kommen; die Kosaken unentschlossen; Verhaftung einiger
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Minister; Erschießung Mejers, des Chefs der Stadtmiliz. Verhaftungen,
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Gegenverhaftungen; Handgemenge zwischen Soldaten, Offiziersschülern
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und Rotgardisten! An der Ecke der Morskaja traf ich den Hauptmann Gomberg,
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Sekretär der Militärsektion der menschewistischen Sozialpatrioten.
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Auf meine Frage, ob der Aufstand wirklich stattgefunden habe, zuckte ermüde
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die Achseln. ÆTschort snajet" (Weiß der Teufel.) ÆVielleicht
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gelingt es den Bolschewiki in der Tat die Macht an sich zu reißen;
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aber sie werden sie keine drei Tage halten können. Es fehlen ihnen die
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Männer, die fähig wären, die Regierungsgeschäfte zu
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führen. Vielleicht ist es ganz gut, sie den Versuch machen zu lassen.
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Sie werden um so schneller abwirtschaften..." Das Militärhotel an der
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Ecke des St. Isaak - Platzes war von bewaffneten Matrosen umstellt. In der
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Hotelhalle waren viele elegante junge Offiziere, aufgeregt auf und ab gehend
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oder miteinander flüsternd. Die Matrosen ließen niemand heraus.
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Plötzlich ein Gewehrschuß, darauf das Geknatter einer ganzen Salve.
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Ich rannte hinaus. Am Marienpalast, dem Sitz des Rates der Russischen Republik,
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schien sich etwas ereignet zu haben. Quer über den weiten Platz waren
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in langen Reihen Soldaten mit schußbereiten Gewehren aufmarschiert
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und starrten zu Dach des Gebäudes empor. ÆProvokazia! Auf uns
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wurde geschossen!" schrie einer, während ein anderer zur Tür lief.
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An der Westecke des Palastes stand ein Panzerauto, rotbeflaggt und mit roten,
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noch frischen Schriftzeichen: ÆSRSD" (Sowjet der Arbeiter- und
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Soldatendeputierten). Seine Geschütze waren auf den St.-Isaaks-Platz
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gerichtet. Am Ausgang der Nowaja Uliza erhob sich, die Passage versperrend,
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eine Barrikade aus Kisten, Fässern, einer alten Matratze, einem
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umgestürzten Wagen. Am Ende des Moika- Ufers lag, denn Zugang hindernd,
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ein großer Haufen geschnittenen Holzes. Auch entlang der ganzen
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Häuserfront waren Holzklötze, die von einem in der Nachbarschaft
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lagernden Stapel stammten, zu einer Brustwehr aufgeschichtet. ÆErwarten
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Sie denn hier Kämpfe?" fragte ich. ÆDas wird bald losgehen",
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antwortete aufgeregt ein Soldat. ÆGehen Sie weg, Genosse, sonst werden
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Sie zu Schaden kommen. Sie müssen von dort drüben kommen." Dabei
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zeigte er in Richtung der Admiralität. ÆWer muß kommen?"
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ÆDas kann ich nicht sagen, Brüderchen", antwortete er und spuckte
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aus.
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<P>
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Vor dem Tore des Palastes eine Ansammlung von Matrosen und Soldaten, denen
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ein Matrose von dem Ende des Rates der Russischen Republik erzählte:
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ÆWir gingen hinein, postierten an allen Ausgängen unsere Genossen,
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und dann ging ich zu dem den Vorsitz führenden Konterrevolutionär
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hin und sagte einfach: ,Schluß mit dem Rat. Geht schnell nach Hause.'"
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Die Umstehenden lachten. Alle möglichen Ausweispapiere schwingend, gelang
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es mir, bis zur Tür der Pressegalerie vorzudringen. Dort aber hielt
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mich ein riesiger Matrose an, der, als ich ihm meinen Ausweis zeigte,
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lächelnd sagte: ÆLieber Genosse, wenn Sie St. Michael selber
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wären, könnten Sie doch nicht passieren." Durch die Scheiben der
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Tür bemerkte ich das wutverzerrte Gesicht und die gestikulierenden Arme
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eines dort eingeschlossenen französischen Korrespondenten .....
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<P>
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Nicht weit entfernt stand, von einem Haufen Soldaten umringt, ein kleiner
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graubärtiger Mann in der Uniform eines Generals, mit vor Erregung hochrotem
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Gesicht. ÆIch bin General Alexejew", schrie er, Æals Ihr vorgesetzter
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Offizier und Mitglied des Rates der Russischen Republik fordere ich Sie auf,
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mich passieren zu lassen." Der Posten kratzte sich den Kopf, im unklaren,
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was er machen sollte. Er rief einen sich nähernden Offizier heran, der
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sehr aufgeregt wurde, als er sah, wen er vor sich hatte, und stramm
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militärisch grüßte, noch ehe er begriff, was er tat.
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ÆExzellenz", stammelte er in der unter dem alten Regime üblichen
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Manier, Æder Zutritt zum Palast ist strikt untersagt, und ich habe
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keine Befugnis-." Ein Automobil kam vorüber. Ich erkannte den im Wagen
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sitzenden Goz, der die Situation anscheinend sehr belustigend fand und laut
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lachte. Dann ein zweites Auto, auf dem Vordersitz bewaffnete Soldaten, im
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Wageninnern verhaftete Mitglieder der Provisorischen Regierung. Plötzlich
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sah ich Peters, ein lettisches Mitglied des Revolutionären
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Militärkomitees, über den Platz gelaufen kommen. ÆIch denke,
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Sie hatten alle diese Herrschaften schon gestern abend festgesetzt", sagte
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ich, auf das Auto weisend. ÆAch", antwortete er mit einer unzufriedenen
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Grimasse, Ædiese Dummköpfe haben die meisten wieder laufen lassen,
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noch ehe wir uns klargeworden waren, was wir eigentlich wollten...." Den
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Woskressenski- Prospekt hinunter waren gewaltige Scharen Matrosen aufmarschiert,
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dahinter, soweit das Auge reichte, Soldaten. Wir gingen durch den Admiraltejski-
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Prospekt zum Winterpalast. Sämtliche Zugänge zum Schloßplatz
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waren von Wachen besetzt, die niemand passieren ließen, und quer über
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den ganzen westlichen Teil des Platzes zog sich ein Truppenkordon, von einem
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Haufen aufgeregter Bürger umlagert. Mit Ausnahme einiger weiter entfernter
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Soldaten, die aus dem Schloßhof Holz zu holen schienen, um es an der
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Vorderseite zu einer Art Brustwehr aufzustapeln, war alles ruhig. Es war
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nicht möglich, herauszubekommen, ob die Wachen zur Regierung gehörten
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oder zu den Sowjets. Unsere im Smolny ausgestellten Passierscheine nützten
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uns indessen nichts, und so näherten wir uns der Linie von einer anderen
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Seite, zeigten mit wichtiger Miene unsere amerikanischen Pässe vor,
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erklärten, daß wir in Æamtlichen Geschäften!" kämen
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und - schlüpften durch. An der Tür nahmen uns die gleichen alten
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Palastdiener in ihren mit gelben Messingknöpfen besetzten Uniformen
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mit rot- und goldverziertem Kragen höflich unsere Hüte und Mäntel
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ab, und wir gingen nach oben. In den dunklen, trüben, ihrer Wandverkleidung
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beraubten Korridoren lungerten einige alte Diener herum, und vor Kerenskis
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Tür schritt ein junger Offizier auf und nieder, seinen Schnurrbart kauend.
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Wir fragten, ob wir den Ministerpräsidenten sprechen könnten. Er
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verbeugte sich höflich und schlug die Hacken zusammen.
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ÆNein, ich bedauere", sagte er auf französisch. ÆAlexander
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Fjodorowitsch ist sehr beschäftigt..." Er musterte uns einen Moment
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und fügte hinzu: ÆEr ist gar nicht hier..." ÆWo ist er denn?"
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ÆEr ist zur Front gefahren. Wissen Sie, er hatte nicht einmal
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genügend Brennstoff für sein Auto, wir waren daher gezwungen, die
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Hilfe des englischen Hospitals in Anspruch zu nehmen." ÆSind die Minister
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hier?" ÆDie tagen hier in irgendeinem Raum. Wo, weiß ich nicht."
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ÆWas meinen Sie, werden die Bolschewiki kommen?" ÆGewiß,
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die kommen sicher, Ich erwarte jede Minute die telefonische Meldung, daß
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sie anrücken. Wir sind jedoch bereit. Wir haben die Offiziersschüler
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hier. In der Vorderseite des Palastes. Dort, durch diese Tür."
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ÆKönnen wir dort hinein?" ÆNein, gewiß nicht. Das
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ist nicht gestattet." Hastig schüttelte er uns allen die Hand und ging
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davon. Wir wandten uns der verbotenen Tür zu, die durch eine den Saal
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teilende provisorische Wand führte und von außen verschlossen
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war. Von der anderen Seite hörten wir Stimmen. Irgendwer lachte. Sonst
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Grabesstille in den weiten Räumen des alten Palastes. Ein alter Diener
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kam herbeigelaufen. ÆAber nicht doch, Barin, da können Sie nicht
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hinein." ÆWarum ist die Tür verschlossen?" ÆUm die Soldaten
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festzuhalten", versetzte er, und einige Minuten später etwas von ÆTee
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holen wollen" murmelnd, ging er nach dem hinteren Teil des Saals davon. Wir
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öffneten die Tür. Unmittelbar vor uns standen ein paar Wachen,
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die indes nichts sagten. Am Ende des Korridors war ein großer
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geschmückter Raum mit vergoldeter Deckenverzierung und riesigen
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Kristallkronleuchtern und dahinter mehrere kleine Zimmer mit dunkler
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Holztäfelung. Auf dem Parkettboden lagen zu beiden Seiten lange Reihen
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schmutziger Matratzen und Decken, auf denen sich faul Soldaten rekelten.
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Überall war ein wüstes Durcheinander von Zigarettenenden, Brotresten,
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Kleidungsstücken und leeren Weinflaschen. In der schier unerträglichen
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Atmosphäre von Tabaksqualm und ungewaschenen Menschenmassen kamen immer
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mehr Soldaten zum Vorschein, mit den roten Achselstücken der
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Offiziersschulen. Einer hatte eine Flasche weißen Burgunders, die offenbar
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aus den Kellereien des Palastes stammte. Sie sahen uns verwundert nach, als
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wir so von Raum zu Raum wanderten, bis wir zu einer Reihe mächtiger
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Staatssalons kamen, deren lange schmutzige Fensterreihen nach dem
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Schloßplatz blickten. Die Wände bedeckten riesige Gemälde
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in massiven Goldrahmen, Schlachtenszenen aus der russischen Geschichte:
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Æ12. Oktober 1812" und Æ6. November 1812" und Æ16.-28.
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August 1813". Eines der Bilder war an der rechten oberen Ecke beschädigt.
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Das ganze war - nach dem Zustand der Wände und des Fußbodens zu
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urteilen - offenbar schon seit Wochen eine einzige große Kaserne. Auf
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den Fensterbänken sah ich schußfertige Maschinengewehre, zwischen
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den Lagerstätten Gewehrpyramiden. In die Betrachtung der Bilder versunken,
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fühlte ich plötzlich zu meiner Linken einen intensiven Alkoholdunst.
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Dann eine Stimme in hartem, aber fließendem Französisch: ÆAh,
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die Herrschaften sind Ausländer. Ihre Art, die Bilder zu bewundern,
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sagt mir das." Ein kleiner, gedunsener Mensch, der, als er die Mütze
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lüftete, einen kahlen Kopf zeigte. ÆAmerikaner? Sehr erfreut.
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Ich bin Stabshauptmann Wladimir Arzybaschew. Ganz zu ihren Diensten." Er
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schien absolut nicht verwundert, daß vier Ausländer, darunter
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eine Frau, die Kampfstellungen einer Armee durchwandern, die jeden Augenblick
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den Angriff erwartet. Er beklagte den Zustand Rußlands. ÆWenn
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es nur die Bolschewiki wären". Sagte er. Æaber die ganze
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glänzende Tradition der russischen Armee ist niedergebrochen. Blicken
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Sie um sich. Die Leute, die Sie hier sehen, sind alles Offiziersschüler,
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Anwärter für die Offizierslaufbahn. Aber haben sie das Aussehen
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von Gentlemen? Kerenski hat die Offiziersschulen allen geöffnet, auch
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dem einfachen Soldaten, sofern er nur ein Examen zu machen in der Lage war.
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Natürlich sind nun sehr, sehr viele von der Revolution angesteckt..."
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Ohne Umstände wechselte er das Thema. ÆIch möchte lieber
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heute als morgen Rußland verlassen. Ich habe mich entschlossen, zur
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amerikanischen Armee zu gehen. Wollen Sie das bitte bei ihrem Konsul in die
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Wege leiten? Ich gebe ihnen meine Adresse." Da half kein Protest; er schrieb
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sie auf ein stück Papier, und gleich schien ihm leichter ums Herz zu
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sein. Ich habe sie heute noch: Æ2. Offiziersschule Oranienbaum, Alter
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Petershof". ÆWir hatten heute morgen Parade", fuhr er fort, während
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er uns durch die Zimmer führte. ÆDas Frauenbataillon hat beschlossen,
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zur Regierung zu halten." ÆIst das Frauenbataillon im Palast?" ÆJa,
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in den hinteren Räumen. Dort ist es in Sicherheit, wenn es zu Kämpfen
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kommen sollte." Seufzend: ÆDie Verantwortung ist groß." Wir standen
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einen Augenblick am Fenster und blickten auf den Platz vor dem Palast hinunter,
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wo drei Kompanien Offiziersschüler in langen Mänteln und bewaffnet
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aufmarschiert waren. Ein hochgewachsener, energisch blickender Offizier,
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in dem ich Stankewitsch, den Chef des Militärkommissariats der
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Provisorischen Regierung erkannte, sprach zu ihnen. Nach einigen Minuten
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schulterten zwei der Kompanien ihre Gewehre, stießen drei scharfe Hurras
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aus und marschierten über den Platz durchs Rote Tor der Stadt zu. ÆSie
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wollen die Telefonzentrale besetzen", sagte irgendjemand. Drei Kadetten standen
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neben uns, und wir kamen ins Gespräch. Sie erzählten, sie seien
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aus den Reihen der einfachen Soldaten in die Schule gekommen, und nannten
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uns ihre Namen: Robert Olew, Alexej Wassilenko und Erni Sachs, ein Este.
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Aber jetzt wollten sie nicht mehr Offizier werden, weil die Offiziere sehr
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unbeliebt seien. Sie wußten anscheinend nicht recht, was sie tun sollten.
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Fest stand jedenfalls, daß sie nicht sehr glücklich waren.
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<P>
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Bald aber fingen sie an, große Reden zu führen. ÆWenn die
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Bolschewiki kommen, werden wir ihnen zeigen, was kämpfen heißt.
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Die wagen es ja nicht. Das sind doch alles Feiglinge. Wenn wir aber doch
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überwältigt werden sollten, nun ja, dann behält jeder eine
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Patrone für sich selbst..." Da plötzlich in nicht allzu weiter
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Entfernung Gewehrfeuer. Draußen auf dem Platze begannen die Leute zu
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rennen und warfen sich flach auf den Boden. Die an den Ecken haltenden Droschken
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rasten davon. Auch im Palast war allgemeine Aufregung, Soldaten liefen wild
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durcheinander, ihre Gewehre und Patronengürtel greifend und schreiend:
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ÆSie kommen, sie kommen!"... Nach einigen Minuten war alles wieder
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ruhig. Die Droschken kamen zurück, und die am Boden liegenden Leute
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erhoben sich. Durchs Rote Tor kamen die Offiziersschüler gezogen, nicht
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mehr ganz im Schritt marschierend, einer von ihnen auf zwei Kameraden
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gestützt. Wir verließen den Palast ziemlich spät. Am Platze
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waren die Wachen verschwunden. Das weite Halbrund der Regierungsgebäude
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lag wie ausgestorben. Wir gingen in das Hotel France, um zu essen. Wir waren
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noch bei der Suppe, als der Kellner mit todblassem Gesicht hereinkam und
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uns aufforderte, für den Rest des essens in den Hauptspeisesaal im hinteren
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teil des Hauses zu kommen, weil die Lichter ausgemacht werden sollten. ÆEs
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wird eine große Schießerei geben", sagte er. Als wir wieder an
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der Morskaja anlangten, herrschte tiefe Dunkelheit. Nur an der Ecke des Newski
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flackerten ein paar Straßenlaternen. Darunter stand ein großer
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Panzerwagen mit laufendem Motor, der schwarze Rauchwolken ausstieß.
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Ein kleiner Junge war daran hochgeklettert und starrte in den Lauf eines
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Maschinengewehrs. Überall standen Matrosen und Soldaten, offenbar auf
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irgend etwas wartend. Wir gingen zum Roten Tor zurück. Auch dort war
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ein Haufe von Soldaten versammelt, zu den hellerleuchteten Fenstern des
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Winterpalastes hinaufstarrend und laut miteinander redend.
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<P>
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ÆAber nein, Genossen!" hörte ich einen sagen. ÆWir können
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unmöglich schießen. Das Frauenbataillon ist drinnen. Man würde
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sagen, wir schössen auf russische Frauen." Am Newski kam wieder ein
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Panzerauto um die Ecke gebogen, und ein Mann schrie, seinen Kopf aus dem
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Türmchen heraussteckend: ÆLos, hinüber und angegriffen!"
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Der Führer eines anderen Autos kam heran und schrie, den Lärm des
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arbeitenden Motor übertönend: ÆDas Komitee sagt, wir sollen
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warten. Die haben da Artillerie hinter ihren Holzstapeln..." Straßenbahnen
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fuhren hier nicht, man sah kaum einen Fußgänger, die Laternen
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waren gelöscht. Ein paar Straßen weiter jedoch ging das Leben
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seinen gewohnten Gang: überfüllte Straßenbahnen, auf und
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nieder wogende Menschenmassen, erleuchtete Schaufenster, die Reklamezeichen
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der Lichtspieltheater. Wir hatten Einlaßkarten für das Ballett
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des Marientheaters - alle Theater waren geöffnet -; wir fanden es jedoch
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draußen interessanter.... In der Dunkelheit bahnten wir uns mühsam
|
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unseren Weg über Haufen geschnittenen Holzes, die den Zugang zur
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Polizeibrücke versperrte, und sahen vor dem Stroganowpalast einige Soldaten,
|
|
beschäftigt, ein Dreizollfeldgeschütz in Stellung zu bringen. Soldaten
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in den allerverschiedensten Uniformen liefen ziellos hin und her,
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unablässig redend... Den Newski hinab promenierten unübersehbare
|
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Menschenmassen. Die ganze Stadt war offenbar unterwegs. An jeder
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Straßenecke Ansammlungen und hitzige Debatten. Wachposten standen an
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den Kreuzungen, jeweils ein Dutzend Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett.;
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rotgesichtige alte Männer in kostbaren Pelzmänteln drohten ihnen
|
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mit der Faust, elegant gekleidete Frauen kreischten Verwünschungen.
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Die Soldaten lächelten verlegen, gaben ausweichende Antworten... Panzerwagen
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fuhren die Straße auf und ab. Sie trugen die Namen der alten Zaren
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- Oleg, Rurik, Swjatoslaw - und in riesengroßen Buchstaben aufgemalt
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die Aufschrift ÆRSDRP" (Rossiskaja Sozial- Demokratitscheskaja Rabotschaja
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Partija - Sozialdemokratische Arbeiterpartei Rußlands). Am Michailowski
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erschien ein Mann, den Arm voller Zeitungen, und war sofort umringt von einer
|
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wütenden Menge, die, einen Rubel, fünf und zehn Rubel bietend,
|
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sich um die Zeitungen raufte. Es war ÆRabotschi i Soldat", ein vierseitiges
|
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Blättchen in kleinem Format und Riesenlettern, das den Sieg der
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proletarischen Revolution und die Befreiung der noch immer in den Kerkern
|
|
schmachtenden Bolschewiki ankündigte und die Truppen der Front zur
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|
Verteidigung der Revolution aufforderte. Im übrigen enthielt das Blatt
|
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nichts wesentlich Neues... An der Ecke der Sadowaja waren über zweitausend
|
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Menschen versammelt und starrten zum Dach eines hohen Gebäudes empor,
|
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wo ab und zu ein kleiner roter Funke aufglühte. ÆSeht!" sagte
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ein hochgewachsener Bauer hinaufzeigend. ÆEin Provokateur. Gleich wird
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er auf die Leute schießen..." Anscheinend dachte niemand daran, den
|
|
Vorgang zu untersuchen.
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<P>
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Wir waren am Smolny, dessen massige Fassade ganz in Licht getaucht war. Aus
|
|
dem Dämmer der angrenzenden Straßen ergossen sich endlose Scharen
|
|
dunkler Gestalten. Ein unaufhörliches An- und Abfahren von Automobilen
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und Motorrädern. Aus dem Torweg ratterte ein riesiges elefantenfarbenes
|
|
Panzerauto mit zwei vom Turm flatternden roten Fahnen. Es war kalt, und die
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|
am äußeren Tor postierten Rotgardisten hatten ein Feuer
|
|
angezündet. Auch am Innentor war ein Feuer, bei dessen flackerndem Schein
|
|
die Wachen schwerfällig unsere Ausweise durchbuchstabierten und uns
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von oben bis unten musterten. Von den zu beiden Seiten des Torweges aufgestellten
|
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vier Maschinengewehren waren die Segeltuchdecken abgenommen, und von den
|
|
Bodenstücken hingen die Patronengurte herab. Unter den Bäumen im
|
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Hofe stand eine dunkle Herde Panzerautos mit ratterndem Motor. Die endlos
|
|
langen, kahlen, fast dunklen Korridore hallten wider von dem dumpfen Getöse
|
|
marschierender Füße, von Rufen und Schreien. Aus dem Treppenhaus
|
|
wälzte sich eine dunkle Menge: Arbeiter in Blusen und runden schwarzen
|
|
Pelzmützen, die meisten mit Gewehren bewaffnet; Soldaten in rauhen,
|
|
erdfarbenen Mänteln und grauen, flachgedrückten Pelzmützen;
|
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dann und wann ein Führer - Lunatscharski, Kamenew - inmitten dahineilender,
|
|
aufgeregt redender Gruppen, mit abgespannten besorgten Gesichtern, riesige
|
|
Aktenbündel unter dem Arm. Die außerordentliche Sitzung des
|
|
Petrograder Sowjets war eben vorüber. Ich hielt Kamenew an, einen
|
|
beweglichen Mann mit breitem, lebhaften Gesicht und kurzem gedrungenem Hals.
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Ohne Umstände zu machen , las er mir in fließendem Französisch
|
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die eben angenommene Resolution vor: ÆDer Petrograder Sowjet der Arbeiter-
|
|
und Soldatendeputierten begrüßt die siegreiche Revolution des
|
|
Proletariats und der Garnison Petrograds. Der Sowjet hebt insbesondere die
|
|
Geschlossenheit, Organisiertheit und Disziplin sowie die völlige
|
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Einmütigkeit hervor, die die Massen bei diesem außergewöhnlich
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|
unblutigen und außergewöhnlich erfolgreichen Aufstand an den Tag
|
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gelegt haben. Der Sowjet bringt seine unerschütterliche Überzeugung
|
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zum Ausdruck, daß die Arbeiter-und-Bauern-Regierung, die von der Revolution
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als Sowjetregierung geschaffen wird und die dem städtischen Proletariat
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die Unterstützung seitens der ganzen Masse der armen Bauernschaft sichert,
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unbeirrt zum Sozialismus schreiten wird, dem einzigen Mittel zur Rettung
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des Landes vor den unsagbaren Leiden und Schrecken des Krieges. Die neue
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Arbeiter-und-Bauern-Regierung wird sofort allen kriegführenden Völkern
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einen gerechten demokratischen Frieden anbieten. Sie wird sofort das Eigentum
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der Gutsbesitzer an Grund und Boden aufheben und den Boden den Bauern
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übergeben. Sie wird die Arbeiterkontrolle über die Produktion und
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Verteilung der Produkte sowie die allgemeine Kontrolle des Volkes über
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die Banken einführen und diese gleichzeitig in ein einziges
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Staatsunternehmen verwandeln. Der Petrograder Sowjet der Arbeiter- und
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Soldatendeputierten fordert alle Arbeiter und die gesamte Bauernschaft auf,
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die Arbeiter- und Bauernrevolution mit aller Energie und Hingabe zu
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unterstützen. Der Sowjet bringt seine Überzeugung zum Ausdruck,
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daß die städtischen Arbeiter im Bunde mit der armen Bauernschaft
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eine unbeugsame kameradschaftliche Disziplin an den Tag legen und die straffste
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revolutionäre Ordnung schaffen werden, die für den Sieg des Sozialismus
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notwendig ist. Der Sowjet ist überzeugt, daß das Proletariat der
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westeuropäischen Länder uns helfen wird, die Sache des Sozialismus
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zum vollen und dauernden Siege zu führen." ÆDann meinen Sie also
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gesiegt zu haben?" Er zuckte die Schultern. ÆVorläufig haben wir
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noch schrecklich viel zu tun. Wir stehen erst am Anfang." Auf der Treppe
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traf ich Rjasanow, den stellvertretenden Vorsitzenden der Gewerkschaften,
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der finster blickend an seinem grauen Bart kaute. ÆVerrückt! Total
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verrückt!" schrie er. ÆDie europäischen Arbeiter denken gar
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nicht daran, zu marschieren. Das ganze Rußland..." Er hob den Arm zu
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einer zerstreuten Geste und rannte davon. Rjasanow und Kamenew hatten beide
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gegen den Aufstand gesprochen und waren von Lenin scharf zurechtgewiesen
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worden. Es war eine bedeutsame Sitzung gewesen. Im Namen des Revolutionären
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Militärkomitees hatte Trotzki das Ende der Provisorischen Regierung
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verkündet. ÆDie Eigentümlichkeit bürgerlicher Regierungen
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ist, daß sie das Volk betrügen. Wir, die Sowjets der Arbeiter-,
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Soldaten- und Bauerdeputierten, sind im Begriff, ein Experiment zu machen,
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das in der Geschichte nicht seinesgleichen hat. Wir gehen daran, eine Regierung
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zu bilden, die kein anderes Ziel kennen wird als das Wohlergehen der Arbeiter-,
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Soldaten- und Bauernmassen."
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<P>
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Lenin war erschienen. Von ungeheurem Beifallssturm begrüßt, sagte
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er die siegreiche Erhebung des Proletariats in der ganzen Welt voraus.
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<P>
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Sinowjew: ÆDas russische Proletariat hat mit dem heutigen Tage seine
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Schuld gegenüber dem internationalen Proletariat beglichen. Wir haben
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einen fürchterlichen Schlag gegen den Krieg geführt, einen
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tödlichen Schlag gegen alle Imperialisten und gegen den Henker Wilhelm
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im besonderen."
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<P>
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Dann hatte Trotzki mitgeteilt, daß man die Front von dem Sieg der
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Revolution in Kenntnis gesetzt habe, daß aber bisher keine Antwort
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eingetroffen sei. Gegen Petrograd seien vielmehr Truppen in Anmarsch, und
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man müsse an diese eine Delegation entsenden, um ihnen die Wahrheit
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mitzuteilen. Rufe. ÆIhr greift dem Willen des Gesamtrussischen
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Sowjetkongresses vor!" Was Trotzki zu der kühlen Bemerkung veranlaßte:
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ÆEs ist der Aufstand der Petrograder Arbeiter und Soldaten, der dem
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Sowjetkongreß vorgegriffen hat." Wir hatten Mühe, uns durch die
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lärmenden Massen hindurchzuzwängen, die den Eingang des großen
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Sitzungssaales belagerten. In qualvoller Enge saßen hier auf ihren
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Sitzen, auf allen Fensterbänken, auf dem Rand der Tribüne die Vertreter
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der Arbeiter und Soldaten ganz Rußlands. Die einen in betretenem Schweigen,
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die anderen wild erregt, erwarteten sie das Glockenzeichen des Präsidenten.
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Der Saal war nicht geheizt, aber die ungewaschenen Menschenleiber verbreiteten
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eine stickige Hitze. Über der Masse hing, schwer und atembeklemmend,
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stinkiger Zigarettenqualm. Dann und wann stieg jemand auf die Tribüne
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und forderte die Versammlung auf, das Rauchen einzustellen, worauf alle -
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die Raucher nicht ausgenommen - in den Ruf einstimmten: ÆNicht rauchen,
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nicht rauchen!" und unentwegt weiterqualmten. Ich fand einen Platz neben
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Petrowski, einem anarchistischen Delegierten aus dem Obuchow - Werk, der,
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unrasiert und schmutzig, sich vor Müdigkeit kaum aufrecht halten konnte.
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Er hatte drei Nächte hindurch, ohne zu schlafen, im Revolutionären
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Militärkomitee gearbeitet. Auf der Tribüne die Führer des
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alten Zentralexekutivkomitees - zum letztenmal saßen sie über
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den Sowjets, die sie vom ersten Tag an beherrscht und die sich nun gegen
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sie erhoben hatten. Die erste Etappe der russischen Revolution, die in ruhige
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Bahnen zu lenken sie sich so große Mühe gegeben hatten, war zu
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Ende. Ihre drei bedeutendsten Vertreter fehlten in der Versammlung. Kerenski
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auf der Flucht zur Front durch ein in Aufruhr geratenes Land. Der alte Adler
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Tscheidse, der sich in grimmiger Verachtung in seine georgischen Berge
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zurückgezogen hatte und dort an Schwindsucht darniederlag. Völlig
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geknickt sogar der immer optimistische Zereteli, aber doch entschlossen,
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zu erscheinen, um mit seiner glühenden Beredsamkeit für die verlorene
|
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Sache zu streiten. Goz war da. Neben ihm Dan, Liber, Bogdanow, Broido,
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Filippowski, bleich, hohläugig, schäumend vor Wut. Ihnen zu
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füßen kocht und brodelt die Masse der Delegierten des Zweiten
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Gesamtrussischen Sowjetkongresses, über ihren Häuptern arbeitete
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das Revolutionäre Militärkomitee bis zur Weißglut. Hier laufen
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alle Fäden des Aufstandes zusammen, hier ist der starke Arm der
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überall zupackt. Es war 10:40 abends.
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<P>
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Dan - ein magerer Mann mit sanftem Gesicht, in schlechtsitzender Uniform
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eines Militärarztes - gab das Glockenzeichen. Plötzlich gespannte
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Stille, die nur durch das Zanken und Streiten der Leute an der Tür
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unterbrochen wurde. ÆDie Macht ist in unseren Händen", begann
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er, hielt einen Moment inne und fuhr mit leiser Stimme fort: ÆGenossen!
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Der Kongreß tritt unter so ungewöhnlichen Umständen und in
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einem so außerordentlichen Moment zusammen, daß Sie es verstehen
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werden, warum das Zentralexekutivkomitee es für unnötig erachtet,
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sich mit einer politischen Rede an Sie zu wenden. Das wird ihnen umso klarer
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werden, wenn Sie daran denken, daß ich ein Mitglied des
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Zentralexekutivkomitees bin und daß in diesem Moment im Winterpalast
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unsere Parteigenossen beschossen werden, die pflichttreu nur die Aufgaben
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erfüllen, die das Zentralexekutivkomitee ihnen aufgetragen hat," (Bewegung).
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ÆIch erkläre die erste Sitzung des Zweiten Gesamtrussischen
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Sowjetkongresses der Arbeiter- und Soldatendeputierten für eröffnet!"
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<P>
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Die Wahl des Präsidiums erfolgte unter allgemeiner Unruhe. Awanessow
|
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gab bekannt, daß die Bolschewiki, die linken Sozialrevolutionäre
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und die Menschewiki - Internationalisten sich auf eine proportionelle Besetzung
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des Präsidiums geeinigt hätten. Einige Menschewiki protestierten.
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Ein bärtiger Soldat rief ihnen zu: ÆDenkt daran, wie ihr mit uns
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Bolschewiki verfuhrt, als wir in der Minderheit waren!" Resultat: 14 Bolschewiki,
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7 Sozialrevolutionäre, 3 Menschewiki und 1 Internationalist (Gorki -Gruppe).
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Gendelman erklärte für den rechten Flügel und das Zentrum
|
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der Sozialrevolutionäre, daß sie es ablehnten, in das Präsidium
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einzutreten; dieselbe Erklärung gab Chintschuk im Namen der Menschewiki
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ab; die Menschewiki -Internationalisten erklärten, daß sie bis
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zur Prüfung gewisser Umstände am Präsidium nicht teilnehmen
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könnten. Vereinzelter Beifall und Zischen. Eine Stimme: ÆRenegaten,
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und ihr nennt euch Sozialisten!" Ein Vertreter der ukrainischen Delegation
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verlangte einen Sitz, der ihm zugebilligt wurde. Die Männer des alten
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Zentralexekutivkomitees verließen die Tribüne. An ihre Stelle
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traten Trotzki, Kamenew, Lunatscharski, Frau Kollontai, Nogin. Im ganzen
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Saal stürmischer Beifall. Der Aufstieg der Bolschewiki war ungeheuer.
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Von der verachteten und gehetzten Sekte noch vor kaum vier Monaten, bis zu
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ihrer jetzigen Stellung als Führer des großen, in vollem Aufstand
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begriffenen Rußlands. Kamenew machte die Tagesordnung bekannt: 1.
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Übernahme der Macht, 2. Krieg und Friede, 3. Konstituierende Versammlung.
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Losowski erhob sich und teilte der Versammlung mit, daß sämtliche
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|
Fraktionen des Büros sich einig geworden waren, dem Kongreß
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vorzuschlagen, den Bericht des Petrograder Sowjets entgegenzunehmen und zu
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|
diskutieren, darauf den Mitgliedern des Zentralexekutivkomitees der Sowjets
|
|
sowie den Vertretern der verschiedenen politischen Parteien das Wort zu geben
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und dann erst zur Tagesordnung überzugehen. Da plötzlich ein ganz
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|
neuer Ton, tiefer als der Tumult der Menge, andauernd, beunruhigend - die
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|
scharfen Einschläge von Kanonen. Alles blickte ängstlich nach den
|
|
Fenstern, fieberhaft erregt. Martow, sich zu Wort meldend, schrie heiser:
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ÆDas ist der beginnende Bürgerkrieg, Genosse! Die allererste Frage
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muß sein: Wie können wir diese Krise friedlich überwinden?
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Wir müssen sofort prinzipiell und von einem politischen Standpunkt aus
|
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die Mittel und Wege diskutieren, durch die der Bürgerkrieg vermieden
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|
werden kann. In den Straßen erschießt man unsere Brüder.
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In diesem Moment, da noch vor der Eröffnung des Sowjetkongresses eine
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der revolutionären Parteien den Versuch macht, die Frage der macht durch
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eine militärische Verschwörung zu entscheiden..." (hier wurde seine
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|
Stimme einen Moment lang von rasenden Tumulten übertönt). ÆEs
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ist die Pflicht aller revolutionären Parteien, sich die Tatsachen vor
|
|
Augen zu führen. Die erste dem Kongreß vorliegende Frage ist die
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|
Frage der Macht, und diese Frage wird eben in den Straßen mittels der
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|
Gewalt der Waffen entschieden.... Wir müssen eine Macht schaffen, die
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|
von der gesamten Demokratie anerkannt wird. Wenn der Kongreß die Stimme
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|
der revolutionären Demokratie sein will, so darf er nicht mit gefalteten
|
|
Händen dasitzen angesichts des sich entwickelnden Bürgerkrieges,
|
|
den wir mit dem gefährliche Ausbruch der Konterrevolution bezahlen werden...
|
|
Die Möglichkeit einer friedlichen Lösung liegt allein in der Errichtung
|
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einer gemeinsamen demokratischen Gewalt... Wir müssen eine Delegation
|
|
wählen, um mit den andern sozialistischen Parteien und Organisationen
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zu verhandeln..." Und währenddem unaufhörlich das taktfeste dumpfe
|
|
Dröhnen der Kanonen. Die Delegierten aufeinander einschreiend... So,
|
|
unter dem krachen der Geschütze, in dunkler Nacht ´, mit Haß,
|
|
Furcht und sorglosem Wagen, kam das neue Rußland zur Welt. Martows
|
|
Vorschlag fand die Zustimmung der linken Sozialrevolutionäre und der
|
|
vereinigten Sozialdemokraten und wurde angenommen. Ein Soldat teilte mit,
|
|
daß der Gesamtrussische Bauernsowjet es abgelehnt habe, Delegierte
|
|
zum Kongreß zu entsenden; er schlug vor, ein Komitee zu ihnen zu senden,
|
|
das sie formell einladen sollte. ÆEinige Delegierte sind hier anwesend",
|
|
sagte er. ÆIch stelle den Antrag, daß man ihnen Stimmrecht gibt."
|
|
Das wurde angenommen.
|
|
<P>
|
|
Charrasch, in der Uniform eines Hauptmanns, ergriff hitzig das Wort: ÆDie
|
|
politischen Heuchler, die diesen Kongreß beherrschen, erzählen
|
|
uns, wir seien hier, um die Frage der Macht zu entscheiden. Dabei wird diese
|
|
Frage hinter unserm Rücken, noch ehe der Kongreß seine Arbeiten
|
|
begonnen hat, erledigt. Die Schläge, die in diesem Moment auf den
|
|
Winterpalast niederfallen, nageln den Sarg einer der politischen Partei,
|
|
die diese Abenteuer gewagt hat!" (Toben.) Ihm folgte Garra: Während
|
|
wir hier Friedensvorschläge diskutieren, schlägt man sich in den
|
|
Straßen. Die Sozialrevolutionäre und Menschewiki lehnen jede
|
|
Verantwortung für die jetzigen Vorgänge ab, und sie fordern alle
|
|
öffentlichen Gewalten zum entschiedenen Widerstand gegen jeden auf die
|
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gewaltsame Eroberung der Macht gerichteten Versuch auf." Kutschin, Delegierter
|
|
der Zwölften Armee und Vertreter der Trudowiki: Æ Ich bin hier
|
|
nur zur Information. Ich kehre jetzt zur Front zurück, deren sämtliche
|
|
Armeekomitees die Übernahme der Macht durch die Sowjets, knapp drei
|
|
Wochen vor dem Zusammentritt der Konstituierenden Versammlung, als einen
|
|
Dolchstoß in den Rücken der Armee und als ein Verbrechen gegen
|
|
das Volk betrachten." Lärm und Rufe: ÆLügner!" Als man ihn
|
|
wieder hört: ÆLaßt uns Schluß machen mit diesem
|
|
Petrograder Abenteuer! Ich fordere alle Delegierten auf, den Saal zu verlassen,
|
|
um das Land und die Revolution zu retten." Ohrenbetäubender Lärm.
|
|
Einige der Delegierten dringen drohend auf den die Tribüne verlassenden
|
|
Redner ein. Dann sprach Chintschuk, ein Offizier mit langem braunen Knebelbart,
|
|
verbindlich und überzeugend: ÆIch rede im Namen der Delegierten
|
|
von der Front. Die Armee ist auf diesem Kongreß unvollkommen vertreten,
|
|
die Armee erachtet den Sowjetkongreß in diesem Moment für
|
|
überflüssig angesichts der Tatsache, daß es nur noch drei
|
|
Wochen bis zur Eröffnung der Konstituierenden Versammlung sind" -Zurufe
|
|
und Lärm, der immer heftiger anwuchs. ÆDie Armee bestreitet dem
|
|
Sowjetkongreß jede Autorität!" - Die Soldaten begannen sich im
|
|
ganzen Saal zu erheben. ÆFür wen sprechen Sie? Wen vertreten Sie?"
|
|
riefen sie. ÆDas Zentralexekutivkomitee der Sowjets der Fünften
|
|
Armee, das Zweite F-Regiment, das Erste N-Regiment, die Dritten
|
|
S-Schützen..." ÆWann sind Sie gewählt worden? Sie vertreten
|
|
die Offiziere, nicht die Soldaten! Was sagen die Soldaten darüber?"
|
|
Beifall und toben. ÆWir Frontsoldaten lehnen jede Verantwortung ab
|
|
für alles, was geschehen ist und was noch geschieht, und wir halten
|
|
es für notwendig, alle selbstbewußten revolutionären Kräfte
|
|
für die Rettung der Revolution zu mobilisieren! Die Frontsoldaten werden
|
|
den Kongreß verlassen....Kämpfen muß man draußen auf
|
|
der Straße!" Wilder Lärm. ÆSie reden für den Stab -
|
|
nicht für die Armee!" ÆIch fordere alle pflichtbewußten
|
|
Soldaten auf, diesen Kongreß zu verlassen!"
|
|
<P>
|
|
ÆKornilowbandit! Konterrevolutionär! Provokateur!" wurde ihm
|
|
zugerufen. Für die Menschewiki erklärte Chintschuk, daß sie
|
|
die einzige Möglichkeit für eine friedliche Lösung in der
|
|
Einleitung von Verhandlungen mit der Provisorischen Regierung über die
|
|
Bildung eines neuen Kabinetts sähen, das sich auf alle Klassen der
|
|
Gesellschaft zu stützen hätte. Minutenlang war er außerstande,
|
|
weiterzusprechen. Mit fast zum Schreien gesteigerter Stimme verlas er dann
|
|
die menschewistische Erklärung: ÆDie von den Bolschewiki mit Hilfe
|
|
des Petrograder Sowjets ohne Konsultation der übrigen Fraktionen und
|
|
Parteien angezettelte militärische Verschwörung macht es uns
|
|
unmöglich, an dem Kongreß teilzunehmen. Wir ziehen unsere Delegationen
|
|
darum zurück. Die anderen Gruppen fordern wir auf, unserem Beispiel
|
|
zu folgen und in einer Besprechung zur Lage Stellung zu nehmen."
|
|
ÆDeserteur!" schallte es zu ihm hinauf. Wildes, fast ununterbrochenes
|
|
toben, in dem der Sozialrevolutionär Gendelman nur zeitweilig zu hören
|
|
war, als er gegen die Beschießung des Winterpalastes protestierte.
|
|
ÆWir sind entschieden gegen diese Art Anarchie." Er hatte kaum geendet,
|
|
da schwang sich blitzenden Auges ein junger Soldat mit magerem Gesicht auf
|
|
die Tribüne, mit einer Handbewegung Ruhe heischend. ÆGenossen!"
|
|
rief er, und der Lärm legte sich: ÆIch heiße Peterson. Ich
|
|
spreche für die Zweiten Lettischen Schützen. Ihr habt die
|
|
Ausführungen der Vertreter der Armeekomitees gehört. Diese
|
|
Ausführungen würden einen Wert haben, wenn die Männer, die
|
|
sie machten, berechtigt wären, sich die <I>Vertreter der Armee</I> zu
|
|
nennen." (Stürmischer Beifall.) <I>ÆAber sie sind nicht die Vertreter
|
|
der Soldaten."</I> Mit erhobener Faust: ÆSeit langem schon fordert
|
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die Zwölfte Armee die Neuwahl des Sowjets und des Armeekomitees. Aber
|
|
wie euer Zentralexekutivkomitee hat auch unser Komitee es abgelehnt, die
|
|
Vertreter der Massen bis Ende September zusammenzuberufen, sodaß die
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|
Reaktionäre die Möglichkeit hatten, ihre eigenen falschen Delegierten
|
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zu diesem Kongreß zu entsenden. Laßt euch sagen, was die Meinung
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der lettischen Soldaten schon seit langem ist: Keine papiernen Resolutionen,
|
|
keine Reden mehr, sondern taten! Wir müssen die Macht in unsere Hände
|
|
nehmen! Mögen die falschen Delegierten nur den Kongreß verlassen.
|
|
Die Armee ist nicht mit ihnen." Beifallssturm durchraste den Saal. In den
|
|
ersten Augenblicken der Tagung, durch die sich überstürzenden
|
|
Ereignisse betäubt und geängstigt durch den Kanonendonner, hatten
|
|
die Delegierten geschwankt. Wohl eine Stunde lang waren Hammerschlag auf
|
|
Hammerschlag von der Rednertribüne herniedergesaust, sie zwar
|
|
zusammenschweißend, aber auch niederdrückend. Standen sie wirklich
|
|
allein? Erhob sich Rußland gegen sie? War es wahr, daß die Armee
|
|
gegen Petrograd marschierte? Dann war dieser hellhäutige junge Soldat
|
|
gekommen und hatte gesprochen, und mit einemmal war ihnen die Wahrheit offenbar.
|
|
<I>Das</I> war die Stimme der Soldaten. Die Millionen der Arbeiter und Bauern
|
|
im Soldatenrock waren Männer wie sie, die fühlten und dachten wie
|
|
sie. Weitere Soldaten... Gsheltschak, für die Frontdelegierten, teilte
|
|
mit, daß nur eine kleine Mehrheit von ihnen den Beschluß gefaßt
|
|
habe, den Kongreß zu verlassen, und daß die <I>bolschewistischen
|
|
Mitglieder an der Abstimmung nicht einmal teilgenommen hätten</I>.
|
|
ÆHunderte von Frontdelegierten", erklärte er, Æwurden ohne
|
|
Teilnahme der Soldaten gewählt, weil die Armeekomitees aufgehört
|
|
haben, die wirklichen Vertreter der Soldatenmassen zu sein..." Ein anderer,
|
|
Lukjanow, rief, daß Offiziere, wie Charrasch und Chintschuk, nicht
|
|
berechtigt seien, die Armee auf diesem Kongreß zu vertreten - sie vertreten
|
|
allein das Oberkommando. ÆDie wirklichen Bewohner der
|
|
Schützengräben wünschen aufrichtig den Übergang der Macht
|
|
in die Hände der Sowjets, und sie erhoffen sich davon sehr viel!" Das
|
|
Blatt wendete sich. Dann sprach Abramowitsch für den ÆBund", das
|
|
Organ der jüdischen Sozialdemokraten - mit funkelnden Augen hinter dicken
|
|
Brillengläsern, schäumend vor Wut: ÆWas hier in Petrograd
|
|
vor sich geht, ist schändlich! Die Vertreter des Bundes schließen
|
|
sich der Erklärung der Menschewiki und Sozialrevolutionäre an und
|
|
werden den Kongreß verlassen." Mit lauter Stimme und erhobener Faust:
|
|
ÆUnsere Pflicht gegenüber dem russischen Proletariat gestattet
|
|
es uns nicht, hier zu bleiben und die Verantwortung für diese verbrechen
|
|
zu übernehmen. Da die Beschießung des Winterpalastes nicht
|
|
aufhört, hat die Stadtduma zusammen mit den Menschewiki und
|
|
Sozialrevolutionären und dem Exekutivkomitee des Bauernsowjets den
|
|
Beschluß gefaßt, mit der Provisorischen Regierung unterzugehen,
|
|
und wir werden uns jetzt zu ihnen begeben! Unbewaffnet werden wir unsere
|
|
Brust den Maschinengewehren der Terroristen darbieten....Wir fordern alle
|
|
Delegierten dieses Kongresses auf..." (der Rest ging in einem Sturm von zurufen
|
|
und Drohungen unter, die sich zu einem Höllenlärm steigerten, als
|
|
fünfzig Delegierte aufstanden und den Kongreßsaal verließen...).
|
|
<P>
|
|
Kamenew schwang die Glocke: ÆSitzen bleiben! Wir fahren in unseren
|
|
Geschäften fort!" Und dann Trotzki, mit blassem, hartem Gesicht, voller
|
|
Verachtung, mit schneidender Stimme: ÆMögen sie gehen, die
|
|
Sozialkompromißler, diese Menschewiki, Sozialrevolutionäre, diese
|
|
Herrschaften vom ,Bund'. Was sind sie anderes wert, als auf den Kehrichthaufen
|
|
der Geschichte gefegt zu werden!" Rjasanow stellte im Namen der Bolschewiki
|
|
fest, daß auf Ersuchen der Stadtduma das Revolutionäre
|
|
Militärkomitee eine Delegation nach dem Winterpalast geschickt habe,
|
|
um Verhandlungen anzubieten. ÆWir haben alles getan, was in unseren
|
|
Kräften stand, um Blutvergießen zu verhindern..." Wir eilten hinweg,
|
|
blieben aber doch eine Moment lang vor dem Zimmer stehen, in dem in fieberhafter
|
|
Eile das Revolutionäre Militärkomitee arbeitete. Keuchend kamen
|
|
und gingen Kuriere. Nach allen Richtungen der Stadt eilten Kommissare davon,
|
|
ausgerüstet mit Vollmacht über Leben und Tod der Bürger. Die
|
|
Tür öffnete sich. Eine Wolke verbrauchter Luft und Zigarettenqualms
|
|
drang heraus. Drinnen, beim Schein einer abgeblendeten elektrischen Lampe,
|
|
beugten sich aufgelöste Gesichter über eine große Karte.
|
|
Genosse Josefow -Duchwinski, ein lächelnder junger Bursche mit hellblondem
|
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Haarschopf, stellte uns Passierscheine aus. Als wir in die kalte Nacht
|
|
hinaustraten, fanden wir die Frontseite des Smolny in einen riesigen Park
|
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ankommender und abfahrender Automobile verwandelt, deren Lärm von dumpfen
|
|
Kanonenschüssen übertönt wurde, die in gemessenen abständen
|
|
aufeinander folgten. Vom Dröhnen seines Motors geschüttelt, stand
|
|
dort ein großes Lastauto. Männer mit Gewehren verstauten
|
|
mächtige Bündel, die ihnen von unten zugeworfen wurden. ÆWohin
|
|
fahren Sie?" schrie ich hinauf. ÆÜberall hin! Durch die ganze
|
|
Stadt!" antwortete frohlockend ein kleiner Arbeiter. Wir zeigten unsere
|
|
Passierscheine. ÆFahren Sie mit uns!" luden Sie uns ein. ÆAber
|
|
es wird vielleicht geschossen werden!" Wir kletterten hinauf. Knarrend ging
|
|
der Hebel herum. Der Wagen ruckte vorwärts, und wir fielen nach hinten
|
|
auf die noch während des Fahrens Nachkletternden. Vorbei ging es an
|
|
dem inneren, dann an dem äußeren Tor des Smolny, mit den riesigen
|
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Feuern, die einen roten Schein über die Gesichter der herumstehenden
|
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bewaffneten Arbeiter gossen, in immer schnellerem Tempo den Suworowski- Prospekt
|
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entlang. Ein Genosse riß von einem Bündel die Umhüllung ab
|
|
und begann Händevoll Zeitungen aus dem Wagen hinauszuwerfen. Wir taten
|
|
es ihm nach, auf diese Weise einen dicken Schweif flatternder weißer
|
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Blätter hinter uns herziehend, während wir durch die dunklen
|
|
Straßen ratterten. Verspätete Passanten bückten sich nach
|
|
den Blättern, um sie aufzuheben, und von den Wachtfeuern an den
|
|
Straßenecken liefen die Wachen herbei, bemüht, die in der Luft
|
|
herumflatternden Blätter mit ihren Bajonetten aufzufangen. Dann und
|
|
wann tauchten aus dem Dunkel Bewaffnete auf, hoben das Gewehr und riefen
|
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ÆStoi". Aber unser Fahrer rief ihnen etwas Unverständliches zu
|
|
und wir rasten weiter. Bei dem Scheine der vorbeihuschenden Straßenlaternen
|
|
las ich eines der Blätter:
|
|
<P>
|
|
Æ A n d i e B ü r g e r R u ß l a n d s !
|
|
<P>
|
|
Die Provisorische Regierung ist gestürzt. Die Staatsmacht ist in die
|
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Hände des Organs des Petrograder Sowjets der Arbeiter- und
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Soldatendeputierten, des Revolutionären Militärkomitees,
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übergegangen, das an der Spitze des Petrograder Proletariats und der
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Petrograder Garnison steht. Die Sache, für die das Volk gekämpft
|
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hat: das sofortige Angebot eines demokratischen Friedens, die Aufhebung des
|
|
Eigentums der Gutsbesitzer an Grund und Boden, die Arbeiterkontrolle über
|
|
die Produktion, die Bildung einer Sowjetregierung - diese Sache ist gesichert.
|
|
<P>
|
|
Es lebe die Revolution der Arbeiter, Soldaten und Bauern!
|
|
<P>
|
|
<I> Das Revolutionäre Militärkomitee</I>
|
|
<P>
|
|
<I> des Petrograder Sowjets</I>
|
|
<P>
|
|
<I> der Arbeiter- und Soldatendeputierten"</I>
|
|
<P>
|
|
<I></I>Ein neben mir sitzender schlitzäugiger Mann mit einem
|
|
Mongolengesicht, in einen kaukasischen Mantel aus Ziegenfell gehüllt,
|
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warnte: ÆVorsicht! Hier sind die Fenster aus denen die Provokateure
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geschossen haben." Wir bogen an dem dunkel und fast menschenleer daliegenden
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Snamenskiplatz ein, und dann ging es den breiten Newski hinunter, während
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drei unserer Genossen mit schußbereitem Gewehr die Fenster im Auge
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behielten. Hinter uns eilten Menschen, sich nach unseren Blättern
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bückend. Kanonendonner war nicht mehr zu hören, und je mehr wir
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uns dem Viertel des Winterpalastes näherten, um so stiller und
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menschenleerer wurden die Straßen. Die Stadtduma war hell erleuchtet.
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Weiter hinten sahen wir eine dunkle Volksmasse. Matrosen, die eine Kette
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bildeten, schrien uns ein wütendes Halt zu. Unser Motor stoppte, und
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wir kletterten hinunter. Eine erstaunliche Szene bot sich uns dar. An der
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Ecke des Jekaterina- Kanals, unter einer Bogenlampe, zog sich ein Kordon
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bewaffneter Matrosen quer über den Newski und versperrte einem in
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Viererreihen marschierenden Zug den Weg. Es mochten drei- oder vierhundert
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Menschen sein, Männer in Fräcken, elegant gekleidete Frauen, Offiziere.
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Unter ihnen erkannten wir viele Delegierte vom Kongreß, Führer
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der Menschewiki und Sozialrevolutionäre: Awxentjew, der rotbärtige
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Vorsitzende des Bauernsowjets, Sorokin, Kerenskis Sprecher, Chintschuk,
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Abramowitsch. An der Spitze marschierte weißbärtig der alte Schrejder,
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der Bürgermeister von Petrograd, und Prokopowitsch, der
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Ernährungsminister in der Provisorischen Regierung, den man am Morgen
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verhaftet, aber wieder freigelassen hatte. Ich sah Malkin, den Berichterstatter
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der ÆRussian Daily News". Æ Wir gehen zum Winterpalast, um zu
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sterben", rief er, anscheinend ganz vergnügt. Der Zug stockte, aber
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von der Spitze kam lautes Streiten. Schrejder und Prokopowitsch redeten auf
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den langen Matrosen ein, der das Kommando zu haben schien. ÆWir verlangen,
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durchgelassen zu werden!" schrien sie. ÆDiese Genossen kommen aus dem
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Sowjetkongreß! Schaut ihre Mandate an! Wir wollen zum Winterpalast!"
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Der Matrose schien im unklaren zu sein, was er tun sollte. Er kratzte sich
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den Kopf: Æich habe ausdrücklich Befehl vom Komitee, niemand zum
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Winterpalast zu lassen", brummte er. ÆIch will aber einen Kameraden
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schicken, damit er beim Smolny antelefoniert..." ÆWir bestehen darauf,
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durchgelassen zu werden! Wir sind ohne Waffen! Wir werden gehen, ob Sie es
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erlauben oder nicht!" schrie der alte Schrejder, der sehr aufgeregt war.
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ÆIch habe Befehl...", wiederholte der Matrose verdrießlich.
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ÆSchießt auf uns, wenn ihr wollt! Wir werden trotzdem gehen!
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Vorwärts!" - kam es von allen Seiten. ÆWir sind bereit zu sterben,
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wenn ihr den Mut habt, auf Russen und auf Genossen zu schießen! Wir
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bieten unsere Brust euren Gewehren dar!" ÆNein", sagte der Matrose
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mürrisch, Æich kann nicht gestatten, daß Sie weitergehen."
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ÆWas werden sie tun, wenn wir doch gehen? Werden Sie schießen?"
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ÆNein, ich schieße nicht auf Menschen, die keine Gewehre haben.
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Wir werden unbewaffnete Russen nicht niederschießen..."
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<P>
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ÆWir gehen weiter. Wie wollen Sie uns aufhalten?" ÆWir werden
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Sie schon irgendwie aufhalten", antwortete der Matrose, der anscheinend nicht
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mehr weiter wußte. ÆWir dürfen Sie nicht durchlassen. Etwas
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werden wir schon tun." ÆWas werden Sie tun, was?" Ein anderer Matrose
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kam jetzt heran, aufs höchste aufgebracht.
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<P>
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ÆWir werden euch das Fell versohlen!" schrie er grob. ÆUnd wenn
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nötig, werden wir euch zusammenschießen. Jetzt marsch nach Hause
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und laßt uns in Frieden!" Wütender Lärm und Schimpfen war
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die Antwort. Prokopowitsch war auf eine Art Kiste gestiegen, und seinen
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Regenschirm schwingend, hielt er eine Rede. ÆGenossen und Bürger!"
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- sagte er. ÆGegen uns wird grobe Gewalt angewandt!... Wir können
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unser unschuldiges Blut nicht der Gewalt dieser dummen Menschen ausliefern...Es
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ist unter unserer Würde, uns hier auf der Straße von Weichenstellern
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niederschießen zu lassen..." (Was er mit ÆWeichenstellern" meinte,
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ist mir ein Rätsel geblieben.) ÆLaßt uns zur Duma
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zurückkehren und beraten, wie man das Land und die Revolution am Besten
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retten kann!" Worauf der Zug in würdevollem Schweigen umschwenkte und
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zum Newski zurückmarschierte, immer in Viererreihen . Wir nützten
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die allgemeine Verwirrung aus, um an dem posten vorbeizuschlüpfen und
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in der Richtung des Winterpalastes weiterzugehen. Hier war alles dunkel,
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nichts regte sich außer den Posten der Soldaten und Rotgardisten. Der
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Kasaner Kathedrale gegenüber lag ein dreizölliges Feldgeschütz
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in der Mitte der Straße, vom Rückschlag des letzten Schusses
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herumgeschleudert. In jedem Torweg standen Soldaten, die sich leise unterhielten
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und zur Polizeibrücke hinunterlugten. Jemand sagte: ÆVielleicht
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haben wir Unrecht getan..." An den Ecken hielten Patrouillen alle
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Vorübergehenden an. Die Zusammensetzung dieser Patrouillen war interessant.
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Das Kommando über die regulären Truppen hatte immer ein
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Rotgardist....Das Schießen hatte aufgehört. Gerade als wir die
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Morskaja erreichten, hörten wir jemand schreien: ÆDie
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Offiziersschüler lassen sagen, wir möchten nur kommen und sie
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herausholen." Kommandorufe wurden laut, und in der Dämmerung sahen wir,
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wie die Masse sich vorwärts schob. Man hörte nichts als Schritte
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und das Klirren der Waffen. Wir schlossen uns den ersten Reihen an. Einem
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schwarzen Strome gleich die ganze Breite der Straße füllend, ohne
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Gesang, ohne Rufen, fluteten wir durch das Rote Tor, wo mein Vordermann uns
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leise zurief: ÆAchtung , Genossen, traut ihnen nicht, sie werden sicher
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schießen." Im Freien begannen wir zu rennen, uns tief hinunterbückend
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und zusammendrängend. Hinter dem Fuße der Alexandersäule
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stockten wir plötzlich. ÆWie viele von euch sind gefallen?" fragte
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ich. ÆIch weiß nicht. Vielleicht zehn..." Nach einigen Minuten
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der Verwirrung hatten die Massen ihre Sicherheit wiedererlangt, und ohne
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Befehl ging es weiter. In dem Lichtschein, der aus den Fenstern des
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Winterpalastes fiel, konnte ich sehen, daß die ersten zwei- bis dreihundert
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Mann Rotgardisten waren, zwischen ihnen nur einige wenige Soldaten. Wir
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erkletterten die aus Brennholz errichtete Barrikade, und auf der Innenseite
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herunterspringend, brachen wir in Siegesjubel aus, als wir auf einen Haufen
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Gewehre stießen, die die Offiziersschüler im Stich gelassen hatten.
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Die Türen zu beiden Seiten des Hauptportals standen offen, hellen
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Lichtschein auf die Straße werfend. Kein Laut drang aus dem riesigen
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Gebäude. Von der Masse geschoben, kamen wir zu dem rechten Eingang,
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der in einen großen, nackten, gewölbten Raum mündete, den
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Keller des Ostflügels, von dem ein Irrgarten von Korridoren und Treppen
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ausging. Große Kisten standen dort, auf die sich die Rotgardisten und
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Soldaten gierig stürzten, sie mit ihren Gewehren aufbrachen und den
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Inhalt: Teppiche, Vorhänge, Leinenzeug, Porzellanteller, Glassachen
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usw. herausrissen. Einer stolzierte mit einer Bronzeuhr auf der Schulter
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davon, ein anderer griff sich eine Straußenfeder und steckte sie an
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seinen Hut, Doch kaum hatte das Plündern begonnen, als auch schon der
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Ruf ertönte: ÆGenossen! Nichts anrühren, nichts nehmen, Eigentum
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des Volkes!" Und zwanzig Kehlen griffen den Ruf auf: ÆHalt! Alles
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zurücklegen, nichts nehmen, Volkseigentum!" Die Plünderer wurden
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gepackt, Damast und Teppiche wurden ihnen abgenommen, und zwei Männer
|
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trugen die Bronzeuhr wieder zurück. Ungestüm und hastig wurde alles
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wieder in die Kisten gepackt und durch freiwillige Posten bewacht. Das alles
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spielte sich völlig spontan ab. Durch die Korridore, die Treppen hinauf,
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immer leiser, tönte der Ruf: ÆRevolutionäre Disziplin! Eigentum
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des Volkes..." Wir gingen zum linken Eingang im Westflügel. Auch dort
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war man dabei, wieder Ordnung zu schaffen. ÆRäumt den Palast!"
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schrie ein Rotgardist aus einer der inneren Türen heraus. ÆKommt,
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Genossen, wir wollen zeigen, daß wir keine Diebe und Räuber sind.
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Alles verläßt den Palast außer den Kommissaren, bis wir
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Posten aufgestellt haben." Zwei Rotgardisten, ein Soldat und ein Offizier,
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standen dort mit Revolvern in den Händen; ein anderer Soldat saß
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hinter ihnen am Tisch, mit Feder und Papier. Überall waren Rufe:
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ÆAlles heraus, alles heraus!" von nah und fern zu hören, und
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schreiend, schimpfend und sich stoßend begannen die Massen durch die
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Tür zu drängen. Jeder einzelne wurde, als er herauskam, festgehalten
|
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und von einem Komitee, das sich rasch gebildet hatte, peinlich genau durchsucht.
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Was er nicht ganz einwandfrei als sein Eigentum nachweisen konnte, wurde
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ihm erbarmungslos abgenommen. Der Mann am Tisch schrieb alles auf, und die
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Sachen wurden in einen kleinen Raum gebracht. Die wunderlichsten Dinge wurden
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Da zusammengetragen: Bronzen, Tintenflaschen, Bettdecken mit dem kaiserlichen
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Monogramm, Kerzen, kleine Ölgemälde, Schreibunterlagen, Säbel
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mit goldenem Griff, Seife, die verschiedenartigsten Kleidungsstücke,
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Decken. Ein Rotgardist trug drei Gewehre, zwei davon hatte er den
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Offiziersschülern abgenommen; ein anderer vier mit Dokumenten vollgestopfte
|
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Aktentaschen. Die Sünder gaben entweder ihre Beute mürrisch preis,
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oder sie baten wie Kinder. Die Mitglieder des Komitees, alle gleichzeitig
|
|
redend, erklärten immer wieder, stehlen sei eines Vorkämpfers des
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|
Volkes unwürdig. Solche, die erwischt worden waren, blieben oft zurück
|
|
und halfen, ihre Kameraden zu durchsuchen. Auch die Offiziersschüler
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kamen heraus, in Gruppen zu dreien und vieren. Die Komiteemitglieder packten
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mit einigem Übermaß an Eifer die sowieso schon verängstigten
|
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Menschen und durchsuchten sie ebenfalls, wobei sie sie mit Bemerkungen wie:
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|
Provokateure, Kornilowleute, Konterrevolutionäre, Volksmörder usw.
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überschütteten, sie im übrigen aber ungeschoren ließen.
|
|
Auch die Offiziersschüler hatten die Taschen mit allem möglichen
|
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unbedeutenden Plunder gefüllt. Der Schreiber nahm ein Protokoll auf,
|
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und die gefundenen Sachen wurden in dem kleinen Zimmer angehäuft. Die
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|
Offiziersschüler wurden entwaffnet. Man fragte sie, ob sie je wieder
|
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die Waffen gegen das Volk erheben würden. Einer nach dem anderen antwortete:
|
|
ÆNein." Dann ließ man sie laufen. Wir fragten, ob wir hinein
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könnten. Das Komitee war sich darüber nicht klar, aber der Rotgardist
|
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erklärte entschieden, daß es verboten sei. ÆWer sind Sie
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überhaupt? Wie kann ich wissen, ob Sie nicht alle miteinander Kerenskileute
|
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sind?" (Wir waren fünf Personen, darunter zwei Frauen.)
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<P>
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ÆPlatz, Genosse!" Ein Soldat und ein Rotgardist erschienen in der
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Tür, die Menge zur Seite drängend, und andere Rotgardisten folgten
|
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mit aufgepflanzten Bajonetten. Hinter ihnen kamen einer nach dem anderen
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ein halbes Dutzend Zivilisten - die Mitglieder der Provisorischen Regierung.
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Zuerst Kischkin, das Gesicht müde und blaß. Dann Rutenberg, der
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finster zu Boden starrte; der nächste war Tereschtschenko, der scharf
|
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um sich blickte; er sah uns kalt an.... Sie gingen schweigend vorüber;
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die siegreichen Aufständischen drängten heran, um zu sehen, man
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hörte jedoch nur wenige wütende Zurufe. Erst später erfuhren
|
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wir, daß die Massen auf der Straße sie lynchen wollten; Schüsse
|
|
waren abgefeuert worden - die Matrosen hatten sie jedoch heil nach der
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|
Peter-Pauls-Festung gebracht... Inzwischen waren wir ungehindert in den Palast
|
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gegangen. Dort war ein fortwährendes Kommen und Gehen, ein Bestaunen
|
|
der neuentdeckten Zimmer in dem riesigen Gebäude, ein Suchen nach
|
|
verborgenen Offiziersschülern, die indes nicht existierten. Wir gingen
|
|
nach oben und durchwanderten Zimmer nach Zimmer. Dieser Teil des Palastes
|
|
war auch von andern Abteilungen betreten worden, die von der anderen Seite
|
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der Newa kamen. Die Gemälde, Statuen, die Wandbehänge und Teppiche
|
|
der großen Staatssäle waren unversehrt; in den Büros aber
|
|
waren Pulte und Schränke durchwühlt, die Papiere auf dem Boden
|
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verstreut, und in den Wohnräumen die Bezüge von den Betten gerissen;
|
|
die Kleiderschränke standen weit offen. Die am meisten geschätzte
|
|
Beute waren Kleider, die das arbeitende Volk vor allem benötigte. In
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|
einem Zimmer, in dem Möbel aufgespeichert waren, kamen wir dazu, als
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zwei Soldaten die kostbare spanische Lederpolsterung von den Stühlen
|
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abschnitten. Sie erklärten uns, daß sie sich davon Stiefel machen
|
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wollten... Die alten Palastdiener in ihren blauen und roten, goldgestickten
|
|
Uniformen standen nervös herum, gewohnheitsmäßig immer und
|
|
immer wiederholend: ÆSie können da nicht hineingehen, Herr! Es
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ist verboten...." Wir gelangten endlich zu dem Saal, in dem die Minister
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|
vor kurzem noch den ganzen Tag und die ganze Nacht getagt und die Diener
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sie an die Rotgardisten verraten hatten. Die lange, mit grünem Tuch
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überzogene Tafel war noch so, wie sie sie verlassen hatten, als man
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|
sie verhaftete. Vor jedem jetzt leeren Sitz Feder, Tinte und Papier; die
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Blätter bekritzelt mit den Anfängen von Aktionsplänen,
|
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flüchtigen Skizzen von Proklamationen und Manifesten, die meisten davon
|
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wieder ausgestrichen, nachdem ihre Zwecklosigkeit sich herausgestellt hatte,
|
|
der Rest des Blattes mit verstreuten geometrischen Zeichnungen bedeckt, von
|
|
den Schreibern hingemalt, während sie verzweifelt zuhörten, wie
|
|
Minister nach Minister ihre zwecklosen Pläne entwickelten. Ich nahm
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|
eines dieser bekritzelten Blätter, auf dem ich die Handschrift Konowalows
|
|
erkannte, das folgendermaßen begann: ÆDie Provisorische Regierung
|
|
fordert alle Klassen auf, die Provisorische Regierung zu unterstützen..."
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|
Während dieser ganzen Zeit, das darf nicht vergessen werden, war die
|
|
Regierung, obgleich der Palast umzingelt war, in ständiger Verbindung
|
|
mit de Front und dem übrigen Rußland. Die Bolschewiki hatten am
|
|
frühen Morgen das Kriegsministerium eingenommen, aber sie wußten
|
|
weder etwas von der Telegrafenstation in den Bodenräumen, noch wußten
|
|
sie etwas von der geheimen Telefonverbindung, die es mit dem Winterpalast
|
|
verband. In diesen Bodenräumen hatte ein junger Offizier den ganzen
|
|
Tag gesessen und eine Flut von Aufrufen und Proklamationen ins Land
|
|
hinausgesandt; als er hörte, daß der Palast gefallen war, hatte
|
|
er einfach die Mütze aufgesetzt und war seelenruhig hinausspaziert...
|
|
<P>
|
|
In interessiertes Schauen versunken, hatten wir geraume Zeit nicht bemerkt,
|
|
daß sich die Haltung der Soldaten und Rotgardisten um uns herum uns
|
|
gegenüber verändert hatte. Als wir so von Zimmer zu Zimmer wanderten,
|
|
blieb uns eine kleine Gruppe ständig auf den Fersen; als wir die große
|
|
Gemäldegalerie erreichten, in der wir am Nachmittag mit den
|
|
Offiziersschülern zusammengewesen waren, war diese Gruppe auf etwa hundert
|
|
Mann angewachsen. Ein Riese von Soldat trat uns entgegen, mit finsterem Argwohn:
|
|
ÆWer sind Sie?" brummte er. ÆWas tun sie hier?" Die anderen
|
|
drängten heran, starrten uns an und fingen an zu murren.
|
|
ÆProvokateure!" hörte ich jemand sagen. ÆPlünderer!"
|
|
Ich zeigte unsere Ausweise vom Revolutionären Militärkomitee. Der
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|
Soldat nahm sie behutsam, drehte sie hin und her, verständnislos.
|
|
Augenscheinlich konnte er nicht lesen. Sie zurückgebend, spie er auf
|
|
den Fußboden. ÆPapiere", sagte er verächtlich. Der Haufe
|
|
begann näher zu rücken. Ich erkannte plötzlich einen Offizier,
|
|
der hilflos dreinschaute, ich rief ihn an. Er drängte sich durch die
|
|
Menge zu uns heran. ÆIch bin der Kommissar", sagte er mir. ÆWer
|
|
sind Sie? Was ist los?" Ich zeigte unsere Papiere. ÆSie sind
|
|
Ausländer?" fragte er in fließendem Französisch. ÆEs
|
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ist hier sehr gefährlich..." Dann wandte er sich zu der Menge, unsere
|
|
Papiere emporhaltend. ÆGenossen", rief er, Ædiese Leute hier
|
|
sind ausländische Genossen - von Amerika. Sie sind hierhergekommen,
|
|
um ihren Landsleuten von dem Mut und der revolutionären Disziplin der
|
|
proletarischen Armee zu berichten!" ÆWoher wissen Sie das?" erwiderte
|
|
der riesenhafte Soldat. ÆIch sage ihnen, es sind Provokateure! Sie
|
|
erzählen uns, daß sie hergekommen sind, um die revolutionäre
|
|
Disziplin der proletarischen Armee zu sehen. Aber sie sind durch den ganzen
|
|
Palast gewandert, woher wissen wir, ob sie nicht ihre Taschen voll haben?"
|
|
ÆRichtig!" brüllten die anderen, vorwärtsdrängend.
|
|
ÆGenossen! Genossen!" mahnte der Offizier, dem der Schweiß auf
|
|
der Stirn stand. ÆIch bin der Kommissar des Revolutionären
|
|
Militärkomitees. Vertraut ihr mir? Nun gut, ich sage euch, daß
|
|
diese Ausweise mit denselben Namen gezeichnet sind wie mein eigener Ausweis!"
|
|
Er führte uns durch den Palast und durch eine Tür hinaus zum Newa-
|
|
Ufer. Beim Ausgang wurden uns vom Komitee die Taschen durchsucht...
|
|
<P>
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|
ÆSie sind mit knapper Not davongekommen", sagte er, indem er sich das
|
|
Gesicht abwischte. ÆWas ist mit dem Frauenbataillon geschehen?" fragten
|
|
wir. ÆOh - die Frauen!" er lachte. Ædie hatten sich alle in einem
|
|
der hinteren Räume zusammengedrängt. Wir wußten nicht, was
|
|
mit ihnen anfangen. Viele hatten hysterische Anfälle, es war furchtbar.
|
|
Wir haben sie schließlich zum Finnischen Bahnhof gebracht und in einen
|
|
Zug nach Lewaschowo gesetzt, dort haben sie ein Lager..." Wir kamen hinaus
|
|
in die kalte Nacht voller verhaltener Erregung, in der sich schattenhaft
|
|
die Truppen bewegten und Wachposten laut die Passanten anriefen. Vom
|
|
gegenüberliegenden Ufer, wo sich die dunkle Masse der Peter-Pauls-Festung
|
|
erhob, kam heiseres Rufen...Zu unseren Füßen war der Bürgersteig
|
|
mit herabgefallenem Stuck vom Gesims des Winterpalastes übersät.
|
|
Dort waren zwei Geschosse vom Kreuzer ÆAurora" eingeschlagen. Weiteren
|
|
Schaden hatte das Artilleriefeuer nicht verursacht... Es war mittlerweile
|
|
drei Uhr morgens vorbei. Auf dem Newski brannten wieder alle
|
|
Straßenlaternen. Der Kanonendonner war verstummt. Nur die um die Feuer
|
|
hockenden Soldaten und Rotgardisten erinnerten an den Krieg. Sonst war die
|
|
Stadt ruhig, so ruhig wie vielleicht nie in ihrer ganzen Geschichte. In dieser
|
|
Nacht gab es keinen einzigen Überfall oder Diebstahl.
|
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<P>
|
|
Das Gebäude der Stadtduma war vollständig erleuchtet. Wir stiegen
|
|
zu dem mit einer Galerie versehenen Alexandersaal hinauf, wo rotverhüllt
|
|
die großen goldumrahmten Kaiserbilder hingen. Etwa hundert Menschen
|
|
waren um die Rednertribüne versammelt. Skobelew sprach gerade. Er forderte
|
|
die Erweiterung des Komitees für die öffentliche Sicherheit, die
|
|
Zusammenfassung aller antibolschewistischen Elemente in einer großen
|
|
Organisation, die den Namen ÆKomitee zu Rettung des Vaterlandes und
|
|
der Revolution" tragen sollte. Die Bildung dieses Komitees - das zu einem
|
|
der gefährlichsten Gegner der Bolschewiki werden sollte und in der folgenden
|
|
Woche an die Öffentlichkeit trat, zeitweise unter seinem eigenen
|
|
Parteinamen, dann wider als das absolut unparteiische Komitee für die
|
|
öffentliche Sicherheit - erfolgte in unserem Beisein. Dan, Goz, Awxentjew
|
|
waren da, einige der rebellierenden Sowjetdelegierten, Mitglieder des
|
|
Exekutivkomitees der Bauernsowjets, der alte Prokopowitsch und sogar Mitglieder
|
|
des Rates der Russischen Republik, unter ihnen Winawer und andere
|
|
Angehörige der Kadettenpartei. Liber erklärte, daß die
|
|
Einberufung der Sowjets unrechtmäßig sei und daß das alte
|
|
Zentralexekutivkomitee der Sowjets seine Funktion immer noch ausübe.
|
|
Ein Aufruf an das Land wurde beraten. Wir bemühten uns um eine Droschke.
|
|
ÆWohin?" Als der Kutscher hörte,, daß wir zum Smolny wollten,
|
|
schüttelte er den Kopf. ÆNein", sagte er, Æda ist der Teufel
|
|
los!" Erst nach vielem Umhersuchen fanden wir einen Kutscher, der bereit
|
|
war, uns zu fahren. Er verlangte dreißig Rubel und hielt zwei Straßen
|
|
vom Smolny entfernt. Die Fenster des Smolny waren noch erleuchtet. Autos
|
|
fuhren an und ab. Um die Wachfeuer drängten sich Posten, jeden Ankommenden
|
|
gierig nach den letzten Neuigkeiten ausfragend. In den Korridoren war ein
|
|
Gewimmel eilender, hohläugiger und schmutziger Männer. In einigen
|
|
Räumen lagen Menschen schlafend auf dem Fußboden, ihre Gewehre
|
|
neben sich. Trotz de ausgeschiedenen Delegierten war der Sitzungssaal
|
|
gedrängt voll. Als wir hereinkamen, verlas Kamenew gerade die Liste
|
|
der verhafteten Minister. Als der Name Tereschtschenko genannt wurde, erfolgte
|
|
donnernder Applaus, Ausrufe der Zufriedenheit, Gelächter; Rutenberg
|
|
wurde weniger beachtet; und bei der Nennung Paltschinskis brach ein wilder
|
|
Sturm los, wütende Rufe.... Es wurde mitgeteilt, daß Tschudnowski
|
|
zum Kommissar des Winterpalastes ernannt worden war. Eine dramatische
|
|
Unterbrechung folgte jetzt. Ein riesenhafter Bauer, das bärtige Gesicht
|
|
vor Wut verzerrt, stieg auf die Bühne und schlug mit der Faust auf den
|
|
Tisch des Präsidiums: ÆWir Sozialrevolutionäre verlangen
|
|
die sofortige Freilassung der im Winterpalast verhafteten sozialistischen
|
|
Minister! Genossen! Wißt ihr, daß unsere vier Genossen, die ihr
|
|
Leben und ihre Freiheit im Kampfe gegen die Tyrannei des Zaren aufs Spiel
|
|
gesetzt haben, in die Peter-Pauls-Festung geworfen wurden, das historische
|
|
Grab der Freiheit?" Seine weiteren Ausführungen gingen im Lärm
|
|
unter. Ein anderer Delegierter kletterte neben ihn auf die Bühne, zum
|
|
Präsidium gewendet: ÆWerden die Vertreter der revolutionären
|
|
Massen hier ruhig tagen, während die Ochrana der Bolschewiki ihre
|
|
Führer foltert?" Trotzki bot mit einer Geste Ruhe: ÆSollen wir
|
|
diese sogenannten Genossen, die wir dabei erwischt haben, als sie mit dem
|
|
Abenteurer Kerenski die Vernichtung der Sowjets vorbereiteten - sollen wir
|
|
sie vielleicht mit Glacéhandschuhen anfassen? Sie waren nach dem 16.
|
|
Und 18. Juli uns gegenüber auch nicht sehr höflich! In diesem Moment,
|
|
wo die Sozialpatrioten und die Schwachherzigen uns verlassen haben, wo die
|
|
ganze Aufgabe der Verteidigung und der Rettung der Revolution auf unsern
|
|
schultern ruht, heißt es vor allem: arbeiten, arbeiten, arbeiten! Wir
|
|
sind entschlossen, lieber zu sterben als nachzugeben." Von Zarskoje Selo
|
|
kam ein Kommissar, keuchen und kotbedeckt vom schnellen Ritt: ÆDie
|
|
Garnison von Zarskoje Selo wacht an den Toren Petrograds, bereit, die Sowjets
|
|
und das Revolutionäre Militärkomitee zu verteidigen." Wilder Jubel.
|
|
ÆDas von der Front abgesandte Radfahrerkorps ist in Zarskoje angekommen.
|
|
Die Soldaten sind mit uns. Sie erkennen die Macht der Sowjets an, die
|
|
Notwendigkeit der Sofortigen Übergabe des Landes an die Bauern und die
|
|
Durchführung der Arbeiterkontrolle über die Industrie. Das in Zarskoje
|
|
stationierte 5. Radfahrerbataillon steht zu uns." Danach sprach der Delegierte
|
|
des 3. Radfahrerbataillons. Inmitten tobender Begeisterung erzählte
|
|
er, wie vor drei Tagen das Radfahrerkorps von der Südwestfront zur
|
|
ÆVerteidigung Petrograds" abkommandiert worden war. Die Soldaten ahnten
|
|
aber, was dieser Befehl bedeutete. Auf der Station Peredolsk trafen sie mit
|
|
Vertretern des in Zarskoje stationierten 5. Bataillons zusammen. Eine gemeinsame
|
|
Versammlung fand statt, und es zeigte sich, daß Æunter den Radfahrern
|
|
nicht einer gewillt war, das Blut seiner Brüder zu vergießen oder
|
|
eine Regierung der Kapitalisten und Gutsbesitzer zu verteidigen"! Im Namen
|
|
der Menschewiki-Internationalisten schlug Kapelinski die Wahl eines Komitees
|
|
vor, das eine friedliche Lösung des Bürgerkrieges finden sollte.
|
|
ÆEs gibt keine friedliche Lösung!" schrie die Menge. ÆSieg
|
|
ist die einzige Lösung." Der Vorschlag wurde mit überwältigender
|
|
Mehrheit abgelehnt, und die Menschewiki-Internationalisten verließen
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unter einem Hagel ironischer Zurufe den Kongreß. Die Delegierten hatten
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ihre anfängliche Ängstlichkeit endgültig überwunden.
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Kamenew rief von der Tribüne herab hinter ihnen her: ÆDie
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Menschewiki-Internationalisten behaupten, für eine ,friedliche Lösung'
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zu sein, aber sie haben immer gegen die Tagesordnung und für die
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Erklärung jener gruppen gestimmt, die den Kongreß verlassen wollten.
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Es ist offensichtlich, daß sich all diese Renegaten schon vorher geeinigt
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hatten, den Kongreß zu verlassen." Die Versammlung beschloß,
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das Ausscheiden der Parteien unbeachtet zu lassen, und wandte sich der
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Ausarbeitung des Aufrufes an die Arbeiter, Soldaten und Bauern Rußlands
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zu.
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Æ A n d i e A r b e i t e r S o l d a t e n u n d B a u e r n !
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Der Zweite Gesamtrussische Kongreß der Sowjets der Arbeiter- und
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Soldatendeputierten ist eröffnet. Auf diesem Kongreß ist die gewaltige
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Mehrheit der Sowjets vertreten. Auf dem Kongreß ist auch eine Reihe
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von Delegierten der Bauernsowjets anwesend. Die Vollmachten des paktiererischen
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Zentralexekutivkomitees sind abgelaufen. Gestützt auf den Willen der
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gewaltigen Mehrheit der Arbeiter, Soldaten und Bauern, gestützt auf
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den in Petrograd vollzogenen siegreichen Aufstand der Arbeiter und der Garnison,
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nimmt der Kongreß die Macht in seine Hände. Die Provisorische
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Regierung ist gestürzt. Die meisten Mitglieder der Provisorischen Regierung
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sind bereits verhaftet. Die Sowjetmacht wird sofort allen Völkern einen
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demokratischen Frieden und den sofortigen Waffenstillstand an allen Fronten
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anbieten. Sie wird die entschädigungslose Übergabe der Gutsbesitzer-,
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Kron- und Klosterländereien in die Verfügungsgewalt des Bauernkomitees
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sichern, sie wird die Rechte der Soldaten schützen, indem sie die volle
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Demokratisierung der Armee durchführt, sie wird die Arbeiterkontrolle
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über die Produktion einführen und die rechtzeitige Einberufung
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der Konstituierenden Versammlung gewährleisten, sie wird dafür
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sorgen, daß die Städte und Dörfer mit Gegenständen des
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dringendsten Bedarfs beliefert werden, sie wird allen in Rußland lebenden
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Völkern das wirkliche recht auf Selbstbestimmung sichern. Der Kongreß
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beschließt: Die ganze Macht geht allerorts an die Sowjets der Arbeiter-,
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Soldaten- und Bauerndeputierten über, die eine wirkliche revolutionäre
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Ordnung zu gewährleisten haben. Der Kongreß ruft die Soldaten
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in den Schützengräben zur Wachsamkeit und Standhaftigkeit auf.
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Der Sowjetkongreß ist überzeugt, daß die revolutionäre
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Armee es verstehen wird, die Revolution gegen jegliche Anschläge des
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Imperialismus zu verteidigen, bis die neue Regierung den Abschluß eines
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demokratischen Friedens erzielt hat, den sie unmittelbar allen Völkern
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anbieten wird. Die neue Regierung wird alle Maßnahmen treffen, um durch
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eine entschlossene Politik von Requisitionen und Besteuerungen der besitzenden
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Klassen die revolutionäre Armee mit allem Nötigen zu versorgen,
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und wird auch die Lage der Soldatenfamilien verbessern. Die Kornilowleute
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- Kerenski, Kaledin u. a. - versuchen, Truppen gegen Petrograd zu führen.
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Einige Truppenteile, die Kerenski auf betrügerische Weise in Bewegung
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gesetzt hatte, sind auf die Seite des aufständischen Volkes
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übergegangen.
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<I>Soldaten, setzt dem Kornilowmann Kerenski aktiven Widerstand entgegen!
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Seid auf der Hut!</I>
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<I>Eisenbahner, haltet die Truppentransporte an, die Kerenski gegen Petrograd
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schickt!</I>
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<I>Soldaten, Arbeiter, Angestellte! Das Schicksal der Revolution und das
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Schicksal des demokratischen Friedens liegt in euren Händen! </I>
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<I> E s l e b e d i e R e v o l u t i o n !</I>
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<I> Der Gesamtrussische Kongreß der Sowjets</I>
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<I> der Arbeiter- und Soldatendeputierten</I>
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<I> Die Delegierten der Bauernsowjets.</I>"
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Es war genau 5 Uhr 17 morgens, als, vor Müdigkeit schwankend, Krylenko
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auf die Bühne trat, ein Telegramm in der Hand: ÆGenossen! Ein
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Telegramm der Nordfront. Die Zwölfte Armee entbietet dem Sowjetkongreß
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ihre Grüße und meldet die Bildung eines Revolutionären
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Militärkomitees, das das Kommando über die Nordfront übernommen
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hat." Stürmischer Jubel. Weinende Männer, einander umarmend.
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ÆGeneral Tscheremissow erkennt das Komitee an. Der Kommissar der
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Provisorischen Regierung , Woitinski, ist zurückgetreten." So hatten
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sich Lenin und die Petrograder Arbeiter für den Aufstand entschieden.
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Der Petrograder Sowjet hatte die Provisorische Regierung niedergezwungen
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und dem Sowjetkongreß den Staatsstreich aufgedrängt. Nun hieß
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es: Rußland gewinnen und dann - die Welt! Würde Rußland
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folgen und sich erheben? Und die übrige Welt, was würde sie tun?
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Würden die Völker dem Rufe folgen und aufstehen zu einem roten
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Weltsturm?
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Obgleich schon sechs Uhr früh, war es noch ganz dunkel und ziemlich
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kalt. Nur ein schwaches, kaum merkliches Dämmern stahl sich über
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die stillen Straßen, ließ die Wachtfeuer matter erscheinen. Der
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Vorbote eines drohenden, sich grau über Rußland erhebenden Tages.
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