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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>John Reed: 10 Tage die die Welt ersch&uuml;tterten</TITLE>
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VIII. DIE KONTERREVOLUTION
</H3>
<P>
<P>
Am anderen Tag, Sonntag, dem 11. November, zog Kerenski, auf einem Schimmel
reitend und unter Glockengel&auml;ute, mit seinen Kosaken in Zarskoje Selo
ein. Von den H&uuml;geln au&szlig;erhalb der Stadt konnte man die goldenen
T&uuml;rme und bunten Kuppeln sehen, das in der sp&auml;therbstlich tr&uuml;ben
Fl&auml;che sich endlos dehnende graue H&auml;usermeer der Hauptstadt und
dar&uuml;ber hinaus den stahlfarbenen Golf von Finnland. Er war ohne K&auml;mpfe
eingezogen. Jetzt aber beging er eine gro&szlig;e Torheit. Er lie&szlig;
um sieben Uhr das 2. Zarskoselski-
<P>
Sch&uuml;tzenregiment auffordern, die Waffen niederzulegen. Die Soldaten
erkl&auml;rten, da&szlig; sie neutral bleiben wollten, da&szlig; sie ihre
Waffen aber nicht aus der Hand geben w&uuml;rden. Kerenski gab ihnen zehn
Minuten Zeit, nach deren Ablauf sie sich seinem Befehl unterworfen haben
sollten. Das erz&uuml;rnte die Soldaten. Acht Monate hatten sie sich mittels
ihrer Komitees selbst regiert, und dies schmeckte gar zu sehr nach dem alten
Regime. Wenig sp&auml;ter er&ouml;ffnete die Kosakenartillerie das Feuer
auf die Kasernen und t&ouml;tete acht Mann. Von diesem Moment an gab es in
Zarskoje Selo keinen neutralen Soldaten mehr. Petrograd erwachte unter
Gewehrfeuer und dem dumpfen Ger&auml;usch marschierender Soldaten. Unter
grauem Himmel fegte ein eisiger Wind, der Vorbote baldigen Schnees. Bei
Tagesanbruch hatten starke Abteilungen der Offizierssch&uuml;ler das
Milit&auml;rhotel und die Telegrafenagentur genommen, und die Geb&auml;ude
mu&szlig;ten unter schweren Opfern zur&uuml;ckerobert werden. Die Telefonzentrale
war von Matrosen belagert, die hinter Barrikaden aus F&auml;ssern, Kisten
und Eisenblechen in der Mitte der Morskaja lagen oder an der Ecke der Gorochowaja
und dem St.Isaaks-Platz Schutz suchten und wild schossen, sobald sich in
dem Geb&auml;ude das geringste bewegte. Automobile, die Rote-Kreuz-Flagge
tragend, fuhren heraus und hinein. Die Matrosen lie&szlig;en sie passieren.
Albert Rhys Williams war in der Telefonzentrale gewesen und hatte diese in
einem Roten-Kreuz-Auto, das scheinbar voller Verwundeter war, verlassen.
Wie er berichtete, fuhr das Auto eine Weile in der Stadt herum und dann auf
Umwegen nach der Michailowski-Offiziersschule, dem Hauptquartier der
Konterrevolution. Dort war im Hofe ein franz&ouml;sischer Offizier, der das
Kommando zu haben schien. Auf diese Weise wurden Munition und Lebensmittel
in die Telefonzentrale geschmuggelt, und auch sonst besorgten eine ganze
Menge solcher angeblichen Sanit&auml;tswagen in Wirklichkeit den Kurierdienst
und Munitionstransport f&uuml;r die Offizierssch&uuml;ler. Zu ihrer
Verf&uuml;gung hatten diese f&uuml;nf oder sechs Panzerwagen, die von der
aufgel&ouml;sten englischen Panzerdivision stammten. Louise Bryant sah am
St.-Isaaks-Platz einen dieser Panzerwagen aus der Admiralit&auml;t herauskommen
und seinen Weg nach der Telefonzentrale nehmen. Als pl&ouml;tzlich direkt
an der Ecke der Gogolja der Panzerwagen eine Panne hatte, begannen einige
hinter einem Haufen Holz verschanzte Matrosen den Wagen zu beschie&szlig;en.
Das in dem Turm des Ungeheuers plazierte Maschinengewehr schwenkte herum,
und ein Hagel von Geschossen fuhr unterschiedslos in die Holzhaufen und in
die sich dr&auml;ngenden Menschenmassen. In dem Torweg, in dem Miss Bryant
stand, waren sieben Menschen erschossen worden, darunter zwei kleine Jungen.
Dann sprangen pl&ouml;tzlich die Matrosen auf und st&uuml;rmten trotz des
Feuerregens nach vorn, den Wagen umringend und mit wildem Gebr&uuml;ll ihre
Bajonette immer und immer wieder in die Ausguckl&ouml;cher bohrend. Der Fahrer
tat, als w&auml;re er verwundet, und die Matrosen lie&szlig;en ihn frei -
doch gleich darauf sahen sie ihn in die Duma laufen, wo er zum Dank f&uuml;r
ihren Gro&szlig;mut die Schauergeschichten &uuml;ber die bolschewistischen
Greuel um eine weitere vermehren half. Unter den Toten war ein englischer
Offizier.... Sp&auml;ter berichteten die Zeitungen von einem franz&ouml;sischen
Offizier, der in einem Panzerwagen der Offizierssch&uuml;ler gefangengenommen
und in die Peter-Pauls-Festung gebracht worden war. Die franz&ouml;sische
Gesandtschaft dementierte dies zwar sofort; aber einer der Stadtr&auml;te
best&auml;tigte mir die Richtigkeit der Zeitungsmeldung und f&uuml;gte hinzu,
da&szlig; er selber die Freilassung des Offiziers aus dem Gef&auml;ngnis
bewirkt habe. Wie immer die offizielle Haltung der Gesandtschaften der alliierten
M&auml;chte gewesen sein mag, fest steht, da&szlig; franz&ouml;sische und
englische Offiziere in diesen Tagen eine au&szlig;erordentliche Aktivit&auml;t
entfaltet und sogar an den Exekutivsitzungen des Komitees zur Rettung des
Vaterlandes teilgenommen haben. Den ganzen Tag &uuml;ber h&ouml;rten in allen
Stadtvierteln die Scharm&uuml;tzel zwischen Offizierssch&uuml;lern und
Rotgardisten nicht auf, fanden K&auml;mpfe zwischen den Panzerwagen der beiden
Parteien statt. Gewehrsalven, vereinzeltes Schie&szlig;en und schrilles
Maschinengewehrgeknatter waren fern und nah zu h&ouml;ren. Die eisernen Jalousien
der Gesch&auml;ftsh&auml;user waren heruntergelassen; aber die Gesch&auml;fte
nahmen ihren gewohnten Gang, und selbst die Lichtspieltheater, au&szlig;en
in v&ouml;lliger Finsternis liegend, hatten Hochbetrieb. Die Stra&szlig;enbahnen
liefen, das Telefon funktionierte. Wenn man bei der Zentrale anrief, konnte
man am H&ouml;rer deutliches Schie&szlig;en vernehmen. Der Smolny war
ausgeschaltet; aber die Duma und das Komitee zur Rettung des Vaterlandes
waren in st&auml;ndiger Verbindung mit allen Offizierssch&uuml;lern und mit
Kerenski in Zarskoje Selo. Um sieben Uhr morgens kam eine Patrouille Soldaten,
Matrosen und Rotgardisten in die Wladimirski-Offiziersschule. Sie gaben den
Offizierssch&uuml;lern zwanzig Minuten Zeit, die Waffen niederzulegen. Das
Ultimatum wurde zur&uuml;ckgewiesen. Eine Stunde sp&auml;ter versuchten die
Eingeschlossenen abzumarschieren, aber heftiges Gewehrfeuer von der Ecke
der Grebezkaja und dem Bolschoi-Prospekt jagten sie wieder zur&uuml;ck.
Sowjettruppen umstellten das Geb&auml;ude und begannen es zu beschie&szlig;en.
Zwei Panzerautos fuhren hin und her, das Haus mit einem Hagel von
Maschinengewehrkugeln &uuml;bersch&uuml;ttend. Die Offizierssch&uuml;ler
telefonierten um Hilfe. Die Kosaken wagten nicht zu kommen, da ihre Kasernen
von gro&szlig;en Matrosenabteilungen umstellt waren, die &uuml;ber zwei
Gesch&uuml;tze verf&uuml;gten. Die Pawlowski-Schule war gleichfalls umzingelt,
und die Mehrzahl der Michailowski-Offizierssch&uuml;ler k&auml;mpfte in den
Stra&szlig;en. Um halb zw&ouml;lf kamen drei Feldgesch&uuml;tze an. Eine
weitere Aufforderung an die Offizierssch&uuml;ler, sich zu ergeben, wurde
mit der Erschie&szlig;ung von zwei unter dem Schutze einer
Parlament&auml;rflagge gekommenen Sowjetdelegierten beantwortet. Daraufhin
begann ein regelrechtes Bombardement. M&auml;chtige L&ouml;cher wurden in
die Mauern der Schule gerissen. Die Offizierssch&uuml;ler wehrten sich
verzweifelt, Tod und Verderben in die Reihen der immer wieder vorst&uuml;rmenden
Rotgardisten jagend. Kerenski telefonierte von Zarskoje, da&szlig; man sich
auf keinerlei Verhandlungen mit dem Revolution&auml;ren Milit&auml;rkomitee
einlassen sollte. Rasend vor Zorn &uuml;ber die abgeschlagenen Angriffe und
den Anblick ihrer sich h&auml;ufenden Toten begannen die Sowjettruppen das
Geb&auml;ude mit einem geradezu h&ouml;llischen Wirbel von Stahl und Flammen
zu &uuml;bersch&uuml;tten. Ihre eigenen Offiziere vermochten dem furchtbaren
Bombardement keinen Einhalt zu gebieten. Ein Kommissar vom Smolny, namens
Kirillow, machte den Versuch, das Feuer zum Stoppen zu bringen. Er w&auml;re
fast gelyncht worden. Das Blut der Rotgardisten war zum Kochen gekommen.
Um halb drei hi&szlig;ten die Offizierssch&uuml;ler die wei&szlig;e Flagge.
Sie waren bereit zu kapitulieren, wenn ihnen ihr Leben garantiert w&uuml;rde.
Das wurde ihnen versprochen. Im Handumdrehen waren Tausende von Rotgardisten
und Soldaten durch die Fenster, T&uuml;ren und Granatl&ouml;cher geklettert,
und noch ehe es verhindert werden konnte, hatten sie f&uuml;nf
Offizierssch&uuml;ler gepackt und niedergeschlagen. Der Rest, zirka zweihundert,
wurde in kleinen Gruppen m&ouml;glichst unauff&auml;llig in die
Peter-Pauls-Festung eskortiert. Trotzdem wurde einer der Trupps unterwegs
von der Menge gestellt und acht weitere Offiziere get&ouml;tet. Von den Soldaten
und Rotgardisten waren &uuml;ber hundert gefallen. Zwei Stunden sp&auml;ter
erhielt die Duma die telefonische Mitteilung, da&szlig; die Sieger gegen
die Ingenieurschule marschierten. Ein Dutzend Mitglieder gingen sofort, um
unter ihnen die letzte Proklamation des Komitees zur Rettung des Vaterlandes
und der Revolution zu verteilen. Verschiedene kamen nicht zur&uuml;ck...Alle
anderen Schulen ergaben sich ohne Widerstand, und die Offizierssch&uuml;ler
wurden, ohne da&szlig; ihnen ein Leid geschah, nach der Peter-Pauls-Festung
und nach Kronstadt gebracht...
<P>
Die Telefonzentrale hielt sich bis zum Nachmittag, als ein bolschewistisches
Panzerauto erschien und die Matrosen den Platz st&uuml;rmten. Die zu Tode
erschrockenen Telefonistinnen eilten schreiend hin und her. Die
Offizierssch&uuml;ler rissen s&auml;mtliche Abzeichen von ihren Uniformen,
und einer war bereit, Williams zu geben, was er fordern w&uuml;rde, wenn
er ihm nur seinen Mantel leihen wollte. &AElig;Sie werden uns t&ouml;ten,
sie werden uns t&ouml;ten", schrien sie; viele von ihnen hatten im Winterpalast
das Versprechen gegeben, nie mehr die Waffen gegen das Volk zu erheben. Williams
wollte vermitteln, wenn Antonow freigelassen w&uuml;rde. Das geschah dann
sofort. Antonow und Williams sprachen darauf zu den siegreichen Matrosen,
die infolge ihrer zahlreichen Todesopfer &auml;u&szlig;erst erregt waren.
Sie erreichten, da&szlig; die Offizierssch&uuml;ler ein weiteres Mal davonkamen,
bis auf ein paar, die in ihrem Schrecken &uuml;ber die D&auml;cher zu entkommen
versucht oder sich in den Bodenkammern versteckt hatten und dort entdeckt
und &uuml;ber die Stra&szlig;e geschleudert wurden. Die erm&uuml;deten, blut-
und staubbedeckten siegreichen Matrosen und Arbeiter drangen in den Schaltraum
ein, wohin viele der h&uuml;bschen jungen M&auml;dchen, die vor Angst und
Schrecken kaum auf ihren F&uuml;&szlig;en zu stehen vermochten, sich
gefl&uuml;chtet hatten. Nicht einer wurde ein Leid zugef&uuml;gt.
Angsterf&uuml;llt dr&auml;ngten sie sich in den Ecken zusammen; als sie jedoch
merkten, da&szlig; ihnen nichts geschah, lie&szlig;en sie ihrem Ha&szlig;
freien Lauf. &AElig;Puh, dieses dreckige dumme Volk, diese Narren!" Die Matrosen
und Rotgardisten waren in Verlegenheit. &AElig;Bestien, Schweine!" kreischten
die M&auml;dchen, w&auml;hrend sie entr&uuml;stet nach ihren M&auml;nteln
und H&uuml;ten griffen. Wie romantisch hatten sie es gefunden, ihren schneidigen,
jungen Rittern, den vornehmen Offizierssch&uuml;lern, die f&uuml;r ihren
geliebten Zaren k&auml;mpften, die Patronen zuzureichen oder ihnen die Wunden
zu verbinden. Aber diese hier waren doch nur gew&ouml;hnliche Arbeiter und
Bauern, niederes Volk! Der kleine Wischnjak, Kommissar des Revolution&auml;ren
Milit&auml;rkomitees, versuchte die M&auml;dchen zum Bleiben zu bewegen.
Er war &auml;u&szlig;erst h&ouml;flich. &AElig;Ihre Arbeitsbedingungen sind
doch so schlecht", sagte er. &AElig;Die Telefon&auml;mter standen bisher
unter der Leitung der Stadtduma. Sie verdienen pro Monat sechzig Rubel und
m&uuml;ssen zehn und mehr Stunden daf&uuml;r arbeiten. Das wird von jetzt
ab anders werden. Die Regierung beabsichtigt, den Telefonbetrieb der Kontrolle
des Post- und Telegrafenministeriums zu unterstellen. Man wird ihre
Geh&auml;lter sofort auf hundertf&uuml;nfzig Rubel erh&ouml;hen und ihre
Arbeitszeit verk&uuml;rzen. Als Angeh&ouml;rige der arbeitenden Klasse sollten
Sie dar&uuml;ber froh sein."
<P>
&AElig;Was, Angeh&ouml;rige der arbeitenden Klasse? Will der Mensch damit
sagen, da&szlig; es etwas Gemeinsames zwischen uns und diesen - diesen Tieren
gebe? Bleiben? - Nein, und wenn sie uns tausend Rubel b&ouml;ten!" Und
hochm&uuml;tig verlie&szlig;en die M&auml;dchen das Geb&auml;ude. Die Monteure
und Arbeiter der Zentrale blieben. Aber die Schaltapparatur mu&szlig;te unbedingt
bedient werden. Die Aufrechterhaltung des Telefonbetriebes war
unerl&auml;&szlig;lich. Nur ein halbes Dutzend erfahrene Telefonistinnen
hatte sich zur Verf&uuml;gung gestellt. Man rief nach Freiwilligen. Zirka
hundert Matrosen, Soldaten und Arbeiter kamen. Die sechs M&auml;dchen rannten
hin und her, unterrichtend, helfend, scheltend. Und allm&auml;hlich begannen,
wenn auch mit Ach und Krach, die Dr&auml;hte zu summen. Vor allem galt es,
den Smolny mit den Kasernen und den Fabriken zu verbinden. Dann mu&szlig;ten
die Duma und die Offiziersschulen ausgeschaltet werden. Am sp&auml;ten Nachmittag
wu&szlig;te es die ganze Stadt, und Hunderte von Bourgeois kreischten
zornentbrannt: &AElig;Narren, Teufel! Wie lange soll das noch so gehen? Wartet
nur, bis die Kosaken kommen!" Die D&auml;mmerung begann zu sinken. Durch
den menschenleeren Newski fegte ein eisiger Wind. Vor der Kasaner Kathedrale
war eine Menschenansammlung. Die gewohnten endlosen Debatten. Ein paar Arbeiter,
einige Soldaten, Kr&auml;mer, B&uuml;roangestellte und dergleichen. &AElig;Aber
Lenin wird es niemals schaffen, die Deutschen zum Frieden zu bewegen", rief
einer. Darauf entgegnete ein junger Soldat mit Heftigkeit &AElig;Wer hat
aber daran schuld? Nur euer Kerenski, der verfluchte Bourgeois! Zum Teufel
mit Kerenski! Wir wollen ihn nicht! Wir wollen Lenin..." Vor der Duma war
ein Offizier mit einer wei&szlig;en Armbinde laut fluchen damit
besch&auml;ftigt, Plakate von der Mauer zu rei&szlig;en. Auf einem dieser
Plakate war zu lesen:
<P>
&AElig;A n d i e B e v &ouml; l k e r u n g P e t r o g r a d s !
<P>
In dieser ernsten Stunde, wo die Stadtduma die Pflicht h&auml;tte, alles
zu tun, um die Bev&ouml;lkerung zu beruhigen, die Lieferung von Brot und
anderen notwendigen Gegenst&auml;nden sicherzustellen, haben die rechten
Sozialrevolution&auml;re und die Kadetten in pflichtvergessener Weise die
Duma in ein Nest der Konterrevolution verwandelt, indem sie den Versuch machten,
einen Teil der Bev&ouml;lkerung gegen den anderen aufzuhetzen, um auf diese
Weise den Sieg der Kornilow-Kerenski zu erm&ouml;glichen. Anstatt ihre Pflicht
zu tun, haben die rechten Sozialrevolution&auml;re und die Kadetten aus der
Duma eine Arena politischer Angriffe gegen die Sowjets der Arbeiter-, Soldaten-
und Bauerndeputierten, gegen die revolution&auml;re Regierung des Friedens,
des Brotes und der Freiheit gemacht. B&uuml;rger Petrograds! Wir, die von
euch gew&auml;hlten bolschewistischen Stadtr&auml;te, sagen euch, da&szlig;
die rechten Sozialrevolution&auml;re und Kadetten einen
konterrevolution&auml;ren Vorsto&szlig; unternommen haben und in
pflichtvergessener Weise die Bev&ouml;lkerung dem Hunger und dem
B&uuml;rgerkrieg entgegenf&uuml;hren. Wir, die Vertreter von 183.000
W&auml;hlern, erachten es als unsere Pflicht, die Aufmerksamkeit unserer
W&auml;hler auf die Vorg&auml;nge in der Duma zu lenken, und wir erkl&auml;ren,
da&szlig; wir jede Verantwortung f&uuml;r die schrecklichen, aber unvermeidlichen
Konsequenzen ablehnen..."
<P>
In der Ferne fielen noch immer gelegentliche Sch&uuml;sse. Sonst lag die
Stadt ruhig, kalt, wie ersch&ouml;pft von den furchtbaren Kr&auml;mpfen,
die sie gesch&uuml;ttelt hatten. Im Nikolaisaal ging die Sitzung der Duma
zu Ende. Selbst hier war man ein wenig bet&auml;ubt. Einer nach dem anderen
berichteten die Kommissare: Einnahme der Telefonzentrale,
Stra&szlig;enk&auml;mpfe, Eroberung der Wladimirski-Schule. &AElig;Die Duma",
erkl&auml;rte Trupp, &AElig;unterst&uuml;tzt die Demokratie in ihrem Kampfe
gegen jedes versuchte Willk&uuml;rregiment. Wie immer der Kampf ausgehen
mag, die Duma wird stets gegen Lynchjustiz und Folter sein." Der Kadett Konowski,
ein gro&szlig;er alter Mann mit grausamem Gesicht: &AElig;Wenn die Truppen
der rechtm&auml;&szlig;igen Regierung nach Petrograd kommen, werden sie diese
Aufr&uuml;hrer niederschie&szlig;en. Das ist keine Lynchjustiz." Protestrufe
im ganzen Saal, selbst aus den Reihen seiner eigenen Partei. Zweifel und
Niedergeschlagenheit herrschten hier. Die Konterrevolution war im Erliegen.
Im Zentralkomitee der Sozialrevolution&auml;ren Partei hatte der linke
Fl&uuml;gel die Oberhand; Awxentjew war zur&uuml;ckgetreten. Ein Kurier
berichtete, da&szlig; das Begr&uuml;&szlig;ungskomitee, das man zum Empfang
Kerenskis nach dem Bahnhof geschickt hatte, verhaftet worden sei. In den
Stra&szlig;en h&ouml;rte man, aus dem S&uuml;den oder S&uuml;dwesten kommend,
den dumpfen Donner einer entfernten Kanonade. Kerenski kam noch immer nicht...
<P>
Nur drei Zeitungen waren erschienen - &AElig;Prawda", &AElig;Delo Naroda"
und &AElig;Nowaja Shisn". Alle besch&auml;ftigten sich sehr eingehend mit
der neuen &AElig;Koalitionsregierung". Das sozialrevolution&auml;re Blatt
forderte eine Regierung ohne Kadetten und ohne Bolschewiki. Gorki war voller
Hoffnungen; der Smolny habe Zugest&auml;ndnisse gemacht. Die Umrisse einer
rein sozialistischen Regierung seien im Begriff, sich herauszubilden - aus
allen Parteien zusammengesetzt, mit Ausnahme der Bourgeoisie. Die &AElig;Prawda"
spottete: &AElig;Wir lachen &uuml;ber diese Koalition mit politischen Parteien,
deren prominenteste Mitglieder aus kleinen Journalisten mit zweifelhaftem
Ruf bestehen. Unsere ,Koalition', das ist die Koalition des Proletariats
und der revolution&auml;ren Armee mit den armen Bauern."
<P>
An den Mauern die gro&szlig;sprecherische Ank&uuml;ndigung des Wikshel, der
mit einem Streik drohte, wenn nicht beide Seiten sich zu Zugest&auml;ndnissen
bereit f&auml;nden: &AElig;Die Sieger in diesen K&auml;mpfen, die Retter
des Landes werden weder die Bolschewiki sein noch das Komitee zur Rettung
des Vaterlandes und der Revolution, noch die Truppen Kerenskis - sondern
wir, der Verband der Eisenbahner..." Rotgardisten k&ouml;nnten unm&ouml;glich
mit so komplizierten Aufgaben fertig werden, wie der Betrieb der Eisenbahn
es ist. Was die Provisorische Regierung anbelangt, so hat sie sich unf&auml;hig
gezeigt, die Macht festzuhalten... &AElig;Wir lehnen es ab, unsere Dienste
irgendeiner Partei zu leihen, die nicht eine auf dem Vertrauen der gesamten
Demokratie basierte Regierung ist..." Im Smolny fand ich aufs h&ouml;chste
gesteigerte Aktivit&auml;t, die aller Erm&uuml;dung zu spotten schien. In
der Gewerkschaftszentrale stellte mich Losowski einem Delegierten der Eisenbahner
von der Nikolai-Bahn vor, der erz&auml;hlte, da&szlig; die Eisenbahner riesige
Versammlungen abhielten und das Vorgehen ihrer F&uuml;hrer verurteilten.
&AElig;Alle Macht den Sowjets", rief er, auf den Tisch schlagend. &AElig;Die
Oboronzy (Vaterlandsverteidiger) im Zentralkomitee spielen das Spiel Kornilows.
Sie haben versucht, eine Abordnung zum Stawka (Generalstabs-Hauptquartier
des Feldheeres. <I>Anm.d.Red</I>.) zu schicken; aber wir haben sie in Minsk
festgenommen. Unsere Ortsgruppe hat die Einberufung einer Gesamtrussischen
Konferenz verlangt, und sie lehnen die Einberufung ab." Es war dieselbe Lage
wie in den Sowjets und in den Armeekomitees. Eine nach der anderen spalteten
sich die demokratischen Organisationen Ru&szlig;lands und begannen ihre
Stellungnahme zu &auml;ndern. Die Genossenschaften wurden von inneren
K&auml;mpfen zerrissen. In den Sitzungen der Bauernexekutive gab es
st&uuml;rmische Auseinandersetzungen. Sogar die Kosaken waren nicht mehr
einig.
<P>
Im oberen Stock arbeitete mit Volldampf unerm&uuml;dlich das Revolution&auml;re
Milit&auml;rkomitee. Ich sah die M&auml;nner frisch und kr&auml;ftig sich
Tag und Nacht in dieses schreckliche Getriebe st&uuml;rzen und wankend und
vor M&uuml;digkeit blind, heiser und schmutzig wieder herauskommen, um auf
den Boden hinzusinken und zu schlafen. Das Komitee zur Rettung des Vaterlandes
und der Revolution war als au&szlig;erhalb der Gesetze stehend erkl&auml;rt
worden. Allenthalben riesige Haufen neuer Proklamationen.
<P>
&AElig;....Die Verschw&ouml;rer, die weder von der Garnison noch von der
arbeitenden Klasse unterst&uuml;tzt werden, rechneten vor allem auf ihren
&Uuml;berraschungsangriff. Ihr Plan wurde rechtzeitig durch den F&auml;hnrich
Blagonrawow und dank der revolution&auml;ren Wachsamkeit eines Rotgardisten,
dessen Namen &ouml;ffentlich bekanntgemacht werden wird, entdeckt. Das Zentrum
des Komplotts war das sogenannte Komitee zur Rettung des Vaterlandes und
der Revolution. Der Anf&uuml;hrer war Polkownikow, die Befehle waren von
Goz unterzeichnet, dem ehemaligen Mitglied der Provisorischen Regierung,
der auf sein Ehrenwort hin freigelassen worden war... Indem es diese Tatsachen
der Aufmerksamkeit der Petrograder Bev&ouml;lkerung unterbreitet, ordnet
das Revolution&auml;re Milit&auml;rkomitee die Verhaftung aller an der
Verschw&ouml;rung Beteiligten an. Sie werden vor das Revolutionstribunal
gestellt werden." Aus Moskau kam die Meldung, da&szlig; Kosaken und
Offizierssch&uuml;ler den Kreml umzingelt und die Sowjettruppen zur Kapitulation
aufgefordert hatten. Diese waren darauf eingegangen. Aber als sie den Kreml
verlie&szlig;en, wurden sie &uuml;berfallen und niedergeknallt. Unbedeutende
Kr&auml;fte der Bolschewiki, die die Telefon- und Telegrafenzentrale besetzt
gehalten hatten, waren von Offizierssch&uuml;lern wieder vertrieben worden.
Die Offizierssch&uuml;ler hielten das Stadtinnere besetzt. Rundherum begannen
aber die Sowjettruppen aufzumarschieren, und die Stra&szlig;enk&auml;mpfe
dehnten sich &uuml;ber die ganze Stadt aus. Auf der Seite der Sowjets standen
zehntausend Garnisonsoldaten und einige wenige Rotgardisten, auf der Seite
der Regierung sechstausend Offizierssch&uuml;ler, zweitausendf&uuml;nfhundert
Kosaken und zweitausend Wei&szlig;gardisten.
<P>
Der Petrograder Sowjet war versammelt, und eine T&uuml;r weiter das neue
Zentralexekutivkomitee, die Dekrete und Verordnungen besprechend, die in
unaufh&ouml;rlichem Strom von dem oben tagenden Rat der Volkskommissare
einliefen: &Uuml;ber die Ratifizierung und Ver&ouml;ffentlichung von Gesetzen,
&uuml;ber die Durchf&uuml;hrung des Achtstundentages, &uuml;ber die Grundlagen
des Volksbildungssystems, wie sie von Lunatscharski vorgeschlagen wurden,
usw. usw. Nur einige hundert Menschen nahmen an beiden Versammlungen teil,
die meisten bewaffnet. Der Smolny war fast menschenleer, mit Ausnahme der
Wachen, die damit besch&auml;ftigt waren, an den Saalfenstern Maschinengewehre
aufzustellen, die die Flanken des Geb&auml;udes beherrschten. Im
Zentralexekutivkomitee sprach ein Delegierter des Wikshel: &AElig;Wir fahren
die Truppen keiner Partei...Wir haben ein Komitee zu Kerenski geschickt,
um ihm zu sagen, da&szlig;, falls er den Marsch auf Petrograd fortsetzt,
wir seine Verbindungslinien unterbrechen werden..." Er wiederholte die gewohnte
Forderung nach einer Konferenz aller sozialistischen Parteien zur Bildung
einer neuen Regierung. Kamenew antwortete vorsichtig. Die Bolschewiki
w&uuml;rden an einer solchen Konferenz gern teilnehmen. Der Schwerpunkt liege
indessen nicht in der Zusammensetzung einer solchen Regierung, sondern darin,
ob sie das Programm des Sowjetkongresses akzeptieren w&uuml;rde...Das
Zentralexekutivkomitee hatte &uuml;ber die von den linken
Sozialrevolution&auml;ren und den Sozialdemokraten abgegebene Erkl&auml;rung
beraten und den Vorschlag einer proportionellen Vertretung in der Konferenz,
selbst mit Einschlu&szlig; von Delegierten der Armeekomitees und der
Bauernsowjets, angenommen.
<P>
Im gro&szlig;en Saal berichtete Trotzki &uuml;ber die Ereignisse des Tages:
&AElig;Wir haben den Wladimirski-Offizierssch&uuml;lern die M&ouml;glichkeit
gegeben, zu kapitulieren. Wir waren gewillt, Blutvergie&szlig;en zu vermeiden.
Da nun jetzt aber doch Blut geflossen ist, bleibt nur ein Weg: erbarmungsloser
Kampf. Es w&auml;re kindisch, zu glauben, da&szlig; der Sieg auf andere Weise
zu erreichen ist. Es geht jetzt um die Entscheidung. Jeder hat jetzt das
Revolution&auml;re Milit&auml;rkomitee zu unterst&uuml;tzen. Alle Vorr&auml;te
an Stacheldraht, Benzin und Waffen sind uns zu melden. Wir haben die Macht
erobert. Jetzt m&uuml;ssen wir sie halten!" Der Menschewik Joffe machte den
Versuch, die Erkl&auml;rung seiner Partei zu verlesen; aber Trotzki lehnte
ab, eine Prinzipiendebatte zuzulassen. &AElig;Wir haben unsere Debatten jetzt
auf die Stra&szlig;e verlegt", rief er. &AElig;Wir alle, und ich im besonderen,
&uuml;bernehmen die Verantwortung f&uuml;r alles, was jetzt geschieht." Soldaten
von der Front und von Gattschina sprachen. Einer vom Todesbataillon, der
481.Artilleriebrigade: &AElig;Wenn die Soldaten in den Sch&uuml;tzengr&auml;ben
dies h&ouml;ren, werden sie rufen: ;Das ist unsere Regierung!'" Ein
Offizierssch&uuml;ler aus Peterhof erz&auml;hlte, da&szlig; er und zwei andere
sich geweigert h&auml;tten, gegen die Sowjets zu marschieren. Als seine Kameraden
von der Verteidigung des Winterpalastes zur&uuml;ckgekehrt seien, h&auml;tten
sie ihn, ihren Kommissar, aufgefordert, nach dem Smolny zu gehen und ihre
Dienste der wirklichen Revolution anzubieten. Dann noch einmal Trotzki, feurig,
unerm&uuml;dlich, Befehle gebend, Fragen beantwortend. &AElig;Die
Kleinb&uuml;rger w&uuml;rden, um die Arbeiter, Soldaten und Bauern
niederzuzwingen, sich mit dem Teufel selber verbinden", sagte er. W&auml;hrend
der letzten beiden Tage waren zahlreiche F&auml;lle von Trunkenheit beobachtet
worden. &AElig;Nicht trinken, Genossen! Niemand sei nach acht Uhr abends
auf der Stra&szlig;e, wenn er es nicht mu&szlig;, m seiner Wachpflicht
nachzukommen. &Uuml;berall, wo Alkohol vermutet wird, m&uuml;ssen Nachforschungen
angestellt und der Alkohol vernichtet werden. Gegen die Verk&auml;ufer ist
r&uuml;cksichtslos vorzugehen!" Vom Revolution&auml;ren Milit&auml;rkomitee
wurde die Delegation der Wiborger Sektion gerufen, dann die Mitglieder aus
den Putilow-Werken. Sie eilten hinaus. &AElig;F&uuml;r jeden ermordeten
Revolution&auml;r", erkl&auml;rte Trotzki, &AElig;werden wir f&uuml;nf
Konterrevolution&auml;re niederschie&szlig;en."
<P>
Wir fuhren in die Stadt zur&uuml;ck. In die hellerleuchtete Duma str&ouml;mte
eine un&uuml;bersehbare Menschenmenge. Im unteren Saal Weinen und Schluchzen;
eine sich dr&auml;ngende Menge vor einem schwarzen Brett, wo eine Liste der
in den Kampftagen gefallenen oder als gefallen gemeldeten Offizierssch&uuml;ler
angeschlagen war - in Wirklichkeit waren die meisten heil und gesund
zur&uuml;ckgekehrt...Oben im Alexandersaal tagte das Komitee zur Rettung
des Vaterlandes und der Revolution. Offiziere mit goldenen und roten
Achselst&uuml;cken fielen auf, die bekannten Gesichter menschewistischer
und sozialrevolution&auml;rer Intellektueller, die kalten Augen und
gro&szlig;spurige Pracht von Bankiers und Diplomaten, von Beamten des alten
Regimes, und elegant gekleidete Frauen. Die M&auml;dchen aus der Telefonzentrale
berichteten. Ein M&auml;dchen nach dem anderen stieg auf die Trib&uuml;ne
- armselige und doch ach so gern die gro&szlig;e Dame spielende kleine
M&auml;dchen, mit schmalen Gesichtern und abgetretenen Schuhen. Ein M&auml;dchen
nach dem anderen, geschmeichelt vom Beifall all dieser &AElig;feinen" Leute
aus Petrograd, der Offiziere, der Kapitalisten, der gro&szlig;en politischen
Namen - ein M&auml;dchen nach dem anderen erz&auml;hlte, was sie Furchtbares
unter der Gewalt des Proletariats erlitten habe, und bekundete ihre unwandelbare
Treue f&uuml;r alles, was seit je bestand und m&auml;chtig war.
<P>
Im Nikolaisaal tagte wieder die Duma. Der B&uuml;rgermeister erz&auml;hlte
hoffnungsvoll, da&szlig; die Petrograder Regimenter sich ihrer Handlungen
zu sch&auml;men beg&ouml;nnen; die Propaganda mache Fortschritte...Emiss&auml;re
kamen und gingen. Sie berichteten Schauergeschichten &uuml;ber die Schandtaten
der Bolschewiki, inst&auml;ndigst bittend, doch die Offizierssch&uuml;ler
zu retten... &AElig;Die Bolschewiki", meinte Trupp, &AElig;k&ouml;nnen nur
moralisch &uuml;berwunden werden, nicht durch die Gewalt der Bajonette."
<P>
An der Front war die Situation nicht gerade gl&auml;nzend. Der Feind hatte
mit Gesch&uuml;tzen armierte Panzerz&uuml;ge herangebracht. Die
Sowjetkr&auml;fte, meist Rotgardisten, waren ohne Offiziere und einheitlichen
Plan. Nur f&uuml;nftausend Mann regul&auml;re Truppen hatten sich ihnen
angeschlossen. Der Rest der Garnison war teils besch&auml;ftigt, den Aufstand
der Offizierssch&uuml;ler niederzuschlagen, teils unschl&uuml;ssig, wie er
sich verhalten sollte. Um zehn Uhr abends sprach Lenin zu einer
Delegiertenversammlung der Stadtregimenter, und diese entschieden sich mit
&uuml;berw&auml;ltigender Mehrheit f&uuml;r den Kampf. Ein Komitee aus f&uuml;nf
Soldaten wurde gew&auml;hlt, das als Generalstab fungieren sollte, und in
der ersten Morgenstunde verlie&szlig;en die Regimenter in voller
Kampfbereitschaft ihre Kasernen. Ich sah sie auf meinem Nachhauseweg durch
die stillen Stra&szlig;en der erobrten Stadt marschieren, in dem Gleichschritt
langgedienter Soldaten, die Gewehre tadellos ausgerichtet.
<P>
Zur selben Zeit fand im Zentralb&uuml;ro des Wikshel in der Sadowaja die
Konferenz aller sozialistischen Parteien statt, in der die Frage der Bildung
einer neuen Regierung er&ouml;rtert wurde. Abramowitsch, f&uuml;r das Zentrum
der Menschewiki sprechend, erkl&auml;rte, da&szlig; es weder Sieger noch
Besiegte geben sollte und das Geschehene vergessen werden m&uuml;&szlig;te.
Die linkssozialistischen Parteien stimmten dem zu. Im Namen der rechten
Menschewiki schlug Dan den Bolschewiki folgende Waffenstillstandsbedingungen
vor: Die Rotgardisten m&uuml;&szlig;ten entwaffnet, die Petrograder Garnison
der Oberhoheit der Duma unterstellt werden; Kerenskis Truppen sollten keinen
Schu&szlig; tun und keine Verhaftungen vornehmen. Ein Ministerium aus allen
sozialistischen Parteien, unter Ausschlu&szlig; der Bolschewiki, solle gebildet
werden. F&uuml;r den Smolny gaben Rjasanow und Kamenew die Erkl&auml;rung
ab, da&szlig; ein Koalitionsministerium aus allen sozialistischen Parteien
annehmbar w&auml;re. Den Vorschlag Dans jedoch lehnten sie ab. Die
Sozialrevolution&auml;re waren geteilt. Das Exekutivkomitee der Bauernsowjets
und die Volkssozialisten lehnten die Zulassung der Bolschewiki glatt ab.
Nach heftigen K&auml;mpfen wurde eine Kommission gew&auml;hlt, die eine
brauchbaren Arbeitsplan ausarbeiten sollte. Die ganze Nacht hindurch stritt
man sich in dieser Kommission, ebenso den ganzen n&auml;chsten Tag und dann
noch einmal die Nacht hindurch. Schon einmal, am 9.November, war unter
F&uuml;hrung von Martow und Gorki ein &auml;hnlicher Versuch der
Verst&auml;ndigung gemacht worden; aber angesichts des Vormarsches Kerenskis
und der zunehmenden Aktivit&auml;t des Komitees zur Rettung des Vaterlandes
hatten sich die rechten Menschewiki, die Sozialrevolution&auml;re und die
Volkssozialisten pl&ouml;tzlich zur&uuml;ckgezogen. Jetzt hatte die
Niederschlagung des Aufstandes der Offizierssch&uuml;ler ihnen Respekt
eingefl&ouml;&szlig;t.
<P>
Montag, der12., war ein Tag des Zweifelns. Die Augen ganz Ru&szlig;lands
waren auf die graue Ebene jenseits der Tore Petrograds gerichtet, wo alle
verf&uuml;gbaren Kr&auml;fte der alten Ordnung gegen die noch unorganisierte
Macht der neuen, noch unbekannten, aufmarschiert waren. In Moskau war ein
Waffenstillstand abgeschlossen worden. Beide Parteien verhandelten in Erwartung
des Ausgangs der K&auml;mpfe in der Hauptstadt. W&auml;hrenddem eilten auf
schnellen Z&uuml;gen die Delegierten vom Sowjetkongre&szlig; durch ganz
Ru&szlig;land, bis weit nach Asien hinein, um zu Hause zu berichten, was
unerh&ouml;rt gro&szlig;es geschehen war. Und in m&auml;chtigen Wellen drangen
die Nachrichten von dem geschehenen Wunder durch das weite Land. In den gespannt
aufhorchenden St&auml;dten und den entlegensten D&ouml;rfern begann es zu
kochen und zu brodeln - Sowjets und Revolution&auml;re Milit&auml;rkomitees
gegen Dumas, Semstwos und Regierungskommissare; Rotgardisten gegen
Wei&szlig;gardisten; Stra&szlig;enkampf und leidenschaftliche Reden. Entscheidend
f&uuml;r alles war der Ausgang des Ringens in Petrograd. Der Smolny war nahezu
leer, die Duma voller Menschen und l&auml;rmend. Der alte B&uuml;rgermeister
erhob in seiner gewohnten, w&uuml;rdevollen Weise Protest gegen den Aufruf
der bolschewistischen Stadtr&auml;te. &AElig;Die Duma", sagte er, &AElig;ist
kein Zentrum der Konterrevolution. Die Duma nimmt an den gegenw&auml;rtigen
K&auml;mpfen zwischen den Parteien keinen Anteil. Doch in einer Zeit, wo
es im Lande keine legale Macht gibt, ist der einzige Mittelpunkt der Ordnung
die st&auml;dtische Selbstverwaltung. Die friedliche Bev&ouml;lkerung erkennt
diese Tatsache an; die fremden Gesandtschaften erkennen nur solche Dokumente
an, die vom B&uuml;rgermeister der Stadt gegengezeichnet sind.
<P>
Das Denken des Europ&auml;ers erkennt eine andere Lage nicht an, da die
st&auml;dtische Selbstvewaltung das einzige Organ ist, das die Interessen
der B&uuml;rger sch&uuml;tzen kann. Die Stadt ist gezwungen, allen Organisationen
Unterkunft zu gew&auml;hren, die sie darum angehen, und deshalb kann die
Duma die Verteilung irgendwelcher Zeitungen innerhalb des Dumageb&auml;udes
nicht verbieten. Unser Arbeitsgebiet w&auml;chst st&auml;ndig, und wir brauchen
volle Freiheit des Handelns, unsere Rechte m&uuml;ssen von beiden Parteien
akzeptiert werden...Wir sind vollkommen neutral. Als die Telefonzentrale
von den Offizierssch&uuml;lern besetzt war, ordnete der Oberst Polkownikow
die Ausschaltung des Smolny aus dem Telefonnetz an, ich habe jedoch protestiert,
und die Telefonverbindung blieb bestehen.." Von den bolschewistischen
B&auml;nken kam ironisches Lachen; von den B&auml;nken der Rechten
Verw&uuml;nschungen. &AElig;Und jetzt", fuhr Schrejder fort, &AElig;bezeichnen
sie uns als Konterrevolution&auml;re und verd&auml;chtigen uns bei der
Bev&ouml;lkerung. Sie berauben uns unserer Transportmittel, indem sie unsere
letzten Kraftwagen wegnehmen Es wird nicht unser Fehler sein, wenn der Hunger
in die Stadt einzieht. Proteste haben keinen Zweck..." Kobosew, ein Bolschewik,
stellte in Zweifel, ob die st&auml;dtischen Kraftwagen vom Revolution&auml;ren
Milit&auml;rkomitee beschlagnahmt worden seien. Wenn ja, d&uuml;rfte das
von irgenwelchen nicht autorisierten Personen angeordnet worden sein. &AElig;Der
B&uuml;rgermeister", fuhr er fort, &AElig;erz&auml;hlt uns, da&szlig; wir
aus der Duma keine politische Versammlung machen sollen. Dabei macht hier
jeder einzelne Menschewik und Sozialrevolution&auml;r nichts anderes als
Parteipropaganda, und am Eingang verteilen sie ihre illegalen Zeitungen,
,Iskra'(Der Funke), ,Soldatski Golos' und ,Rabotschaja Gaseta', die zum Aufstand
aufrufen. Was w&uuml;rden sie sagen, w&uuml;rden wir Bolschewiki auch anfangen,
hier unsere Zeitungen zu verteilen. Wir haben die st&auml;dtische
Selbstverwaltung nicht angegriffen, und wir werden das nicht tun. Sie haben
einen Aufruf an die Bev&ouml;lkerung erlassen, und wir haben ein Recht, das
gleiche zu tun..."
<P>
Ihm folgte der Kadett Schingarjow, der erkl&auml;rte, da&szlig; es keine
gemeinsame Sprache geben k&ouml;nne mit Leuten, die vor den Staatsanwalt
gebracht zu werden verdienen und die sich des Verbrechens des Hochverrats
schuldig gemacht haben...Er forderte von neuem den Ausschlu&szlig; aller
Bolschewiki aus der Duma. Dies wurde indessen abgelehnt, da pers&ouml;nliche
Anklagen gegen die Mitglieder, die in der st&auml;dtischen Verwaltung sehr
t&auml;tig waren, nicht vorgebracht werden konnten. Zwei
Menschewiki-Internationalisten erkl&auml;rten, da&szlig; der Aufruf der
bolschewistischen Stadtr&auml;te die direkte Aufhetzung zum Blutvergie&szlig;en
sei. &AElig;Alle, die gegen die Bolschewiki sind, sind nat&uuml;rlich
Konterrevolution&auml;re", sagte Pinkewitsch, &AElig;ich wei&szlig; dann
nur nicht, wo der Unterschied zwischen Revolution und Anarchie liegen soll...Die
Bolschewiki st&uuml;rzen sich auf die Leidenschaften der z&uuml;gellosen
Massen; wir haben f&uuml;r uns nur die moralische Kraft. Wir werden gegen
die Metzeleien und Gewalttaten beider Seiten protestieren, unsere Aufgabe
ist es, einen friedlichen Ausweg zu finden."
<P>
&AElig;Die Plakate unter dem Titel ,An den Pranger', die das Volk auffordern,
die Menschewiki und Sozialrevolution&auml;re zu vernichten", sagte Nasarjew,
&AElig;sind ein Verbrechen, das ihr Bolschewiki nicht von euch abwaschen
k&ouml;nnt. Die Schrecken des gestrigen Tages sind nur das Vorspiel f&uuml;r
die Dinge, die ihr mit einer solchen Proklamation vorbereitet...Ich war immer
bestrebt, euch mit den anderen Parteien auszus&ouml;hnen, heute aber f&uuml;hle
ich f&uuml;r euch nur noch Verachtung!" Die bolschewistischen Stadtr&auml;te
sprangen auf, sich gegen die heiseren, ha&szlig;erf&uuml;llten Zurufe und
drohend erhobenen F&auml;uste zornig zur Wehr setzend...
<P>
Au&szlig;erhalb des Saales lief ich dem Stadtbaumeister in die Arme, dem
Menschewisten Gomberg und drei oder vier Berichterstattern. Alle waren sie
voller Hoffnung. &AElig;Schauen Sie!" sagten sie. &AElig;Die Feiglinge
f&uuml;rchten uns. Sie wagen es nicht, die Duma zu verhaften! Ihr
Revolution&auml;res Milit&auml;rkomitee wagt es nicht, einen Kommissar hierher
zu schicken. An der Ecke der Sadowaja habe ich heute gesehen, wie ein Rotgardist
einen jungen Zeitungsverk&auml;ufer hindern wollte, den ,Soldatski Golos'
zu verkaufen. Der Junge lachte ihn einfach aus, und eine Volksmenge wollte
den Banditen lynchen. Das Ganze kann nur noch wenige Stunden dauern. Selbst
wenn Kerenski nicht k&auml;me, h&auml;tten sie nicht die Leute, um eine Regierung
zu bilden. Was f&uuml;r ein Bl&ouml;dsinn! Ich habe geh&ouml;rt, da&szlig;
sie im Smolny sich eben selber herumzanken!" Kurze Zeit darauf nahm mich
einer meiner sozialrevolution&auml;ren Freunde beiseite. &AElig;Ich wei&szlig;,
wo sich das Komitee zur Rettung des Vaterlandes verborgen h&auml;lt", sagte
er. &AElig;W&uuml;nschen Sie hinzugehen, um mit ihnen zu sprechen?" Es
d&auml;mmerte schon. Die Stadt hatte ihr normales Aussehen wiedergewonnen
- die Jalousien waren hochgezogen, die Lichter brannten, und in den Stra&szlig;en
wogten leidenschaftlich debattierende Menschenmassen langsam auf und nieder.
Er f&uuml;hrte mich zum Newski Nr.86, durch eine Passage in einen von hohen
Wohngeb&auml;uden umgebenen Hof. Vor der Wohnung Nr.229 klopfte er nach einem
verabredeten System an die T&uuml;r. Wir h&ouml;rten schlurfende Schritte,
das Zuschlagen einer inneren T&uuml;r. Dann wurde die T&uuml;r, vor der wir
standen, einen Spalt breit ge&ouml;ffnet, und das Gesicht einer Frau erschien.
ES war eine mild blickende Dame mittleren Alters. &AElig;Kirill", rief sie,
&AElig;es ist alles in Ordnung!" Im Speiseraum, wo auf dem Tisch ein dampfender
Samowar und Teller mit Brot und Fisch standen, kam hinter einem Fenstervorhang
ein Mann in einer Uniform hervor, und ein anderer, wie ein Arbeiter gekleidet,
kam aus einem Schrank heraus. Sie waren froh, mit einem amerikanischen
Berichterstatter sprechen zu k&ouml;nnen. Beide erz&auml;hlten mir, da&szlig;
die Bolschewiki sie erschie&szlig;en w&uuml;rden, wenn sie sie erwischten.
Ihre Namen wollten sie nicht nennen. Aber beide waren sie
Sozialrevolution&auml;re. &AElig;Warum drucken ihre Zeitungen eigentlich
diese schrecklichen L&uuml;gen?" fragte ich. Ohne sich beleidigt zu f&uuml;hlen,
antwortete der Offizier: &AElig;Gewi&szlig;, ich wei&szlig;, aber was
k&ouml;nnen wir tun?!" Er hob die Schultern. &AElig;Sie werden begreifen,
da&szlig; wir noch eine gewisse Stimmung im Volk erzeugen m&uuml;ssen." Der
andere unterbrach ihn. &AElig;Das mit den Bolschewiki ist doch nur ein Abenteuer.
Sie haben keine Intellektuellen. Die Ministerien werden nicht arbeiten.
Ru&szlig;land ist nicht eine einzelne Stadt, sonder ein ausgedehntes Reich.
Wir wissen, da&szlig; ihre Herrlichkeit nur ein paar Tage dauern kann, und
haben beschlossen, uns auf die Seite ihres st&auml;rksten Gegners zu stellen
- Kerenskis - und bei der Wiederherstellung der Ordnung behilflich zu sein."
&AElig;Das ist alles sehr gut", sagte ich, &AElig;aber warum verbinden Sie
sich mit den Kadetten?" Der Pseudoarbeiter l&auml;chelte. &AElig;Um die Wahrheit
zu sagen, die Massen folgen zur Zeit den Bolschewiki. Wir k&ouml;nnen nicht
eine Handvoll Soldaten auf die Beine bringen. Wir haben auch keine brauchbaren
Waffen. Bis zu einem gewissen Grade haben die Bolschewiki recht. Es gibt
gegenw&auml;rtig in Ru&szlig;land in der Tat nur zwei Parteien von nennenswerter
Macht, die Bolschewiki und die Reaktion&auml;re, die sich hinter den
Rocksch&ouml;&szlig;en der Kadetten verbergen. Die Kadetten bilden sich ein,
uns ausnutzen zu k&ouml;nnen. In Wirklichkeit werden sie von uns
ausgen&uuml;tzt. Wenn wir die Bolschewiki zerschmettert haben, werden wir
uns gegen die Kadetten wenden." &AElig;Denken Sie die Bolschewiki in die
neue Regierung aufzunehmen?" Er kratzte sich den Kopf. &AElig;Das ist ein
Problem", gab er zu. &AElig;L&auml;&szlig;t man sie nicht hinein, dann werden
sie nat&uuml;rlich keine Ruhe geben. Zum mindesten haben sie die Aussicht,
in der Konstituante - wenn wir eine bekommen sollten - das Z&uuml;nglein
an der Waage zu bilden." &AElig;Und dann", meinte der Offizier, &AElig;entsteht
damit die Frage der Zulassung der Kadetten in die neue Regierung, und aus
denselben Gr&uuml;nden. Wie Sie wissen, sind die Kadetten nicht aufrichtig
f&uuml;r die Konstituierende Versammlung - nicht, wenn man die Bolschewiki
jetzt vernichten kann." Er sch&uuml;ttelte den Kopf. &AElig;Die Politik ist
f&uuml;r uns Russen keine leichte Sache. Ihr Amerikaner seid geborene Politiker;
ihr habt darin eine lange Tradition. Unsere Erfahrungen auf diesem Gebiet
sind kaum ein Jahr alt!" &AElig;Was halten Sie von Kerenski?" fragte ich.
&AElig;Kerenski, das ist der Hauptschuldige an den S&uuml;nden der Provisorischen
Regierung", antwortete der andere. &AElig;Kerenski selbst hat uns die Koalition
mit der Bourgeoisie aufgezwungen. Sein R&uuml;cktritt, mit dem er gedroht
hat, h&auml;tte eine neue Regierungskrise bedeutet, knapp sechs Wochen vor
der Konstituierenden Versammlung, und das wollten wir verhindern." &AElig;Aber
lief es denn nicht sowieso darauf hinaus?" &AElig;Allerdings, aber wie konnten
wir das wissen! Die Kerenski und Awxentjew haben uns betrogen. Goz ist ein
wenig radikaler. Ich bin f&uuml;r Tschernow, der ein wirklicher
Revolution&auml;r ist.... Lenin hat uns erst heute wissen lassen, da&szlig;
er sich dem Eintritt Tschernows in die Regierung nicht widersetzen w&uuml;rde.
Auch wir wollen die Kerenskiregierung loswerden, wir hielten es aber f&uuml;r
besser, bis zur Konstituierenden Versammlung zu warten... Anfangs war ich
f&uuml;r die Bolschewiki, doch das Zentralkomitee meiner Partei hat sich
einstimmig gegen sie ausgesprochen - was blieb mir da zu tun? Ch mu&szlig;te
mich der Parteidisziplin f&uuml;gen... in einer Woche wird die bolschewistische
Regierung zusammenbrechen; wenn die Sozialrevolution&auml;re einfach beiseite
stehen und warten k&ouml;nnten, so w&uuml;rde die Regierung ihnen zufallen.
Aber wenn wir eine einzige Woche warten, wird das Land so desorganisiert
sein, da&szlig; das den Sieg der deutschen Imperialisten bedeuten wird. Das
lie&szlig; uns den Aufstand beginnen, obwohl nur zwei Regimenter der Soldaten
uns ihre Unterst&uuml;tzung zugesagt hatten - und die wandten sich noch gegen
uns... So blieben uns nur die Offizierssch&uuml;ler.. &AElig;Wie ist's mit
den Kosaken?" Der Offizier seufzte. &AElig;Die haben sich nicht ger&uuml;hrt.
Zuerst hatten sie erkl&auml;rt, da&szlig; sie marschieren w&uuml;rden, wenn
die Infanterie sie unterst&uuml;tzte. Au&szlig;erdem sagten sie, da&szlig;
sie ihre Leute bei Kerenski h&auml;tten und ihren Teil auf sich n&auml;hmen...
Schlie&szlig;lich meinten sie, da&szlig; die Kosaken seit jeher in dem Rufe
st&auml;nden, der Erbfeind der Demokratie zu sein... Und zu guter Letzt:
,Die Bolschewiki haben versprochen, uns unser Land zu lassen. F&uuml;r uns
besteht also keine Gefahr. Wir bleiben neutral.'"
<P>
W&auml;hrend dieser ganzem Unterhaltung kamen und gingen fortgesetzt Leute,
in der Mehrzahl Offiziere, die aber keine Achselst&uuml;cke trugen. Wir sahen
sie in dem Vorraum und h&ouml;rten ihr unterdr&uuml;cktes temperamentvolles
Sprechen. Von Zeit zu Zeit &ouml;ffnete sich eine in einen Baderaum
f&uuml;hrende T&uuml;r, und wir erhaschten durch die etwas zur&uuml;ckgezogenen
Portieren den fl&uuml;chtigen Anblick eines kr&auml;ftig gebauten Offiziers
in der Uniform eines Obersten, der, auf der Toilette sitzend, mit einem
Schreibblock auf den Knien, eifrig schrieb. Ich erkannte den Obersten
Polkownikow, den ehemaligen Kommandanten von Petrograd, f&uuml;r dessen
Verhaftung das Revolution&auml;re Milit&auml;rkomitee ein Verm&ouml;gen gegeben
h&auml;tte. &AElig;Unser Programm?" sagte der Pseudoarbeiter. &AElig;Da ist
es: &Uuml;bergabe des Landes an die Bodenkomitees, uneingeschr&auml;nkte
Beteiligung der Arbeiter an der Industriekontrolle, ein energisches
Friedensprogramm, aber kein der Welt gestelltes Ultimatum in der Art des
bolschewistischen Manifests. Die Bolschewiki k&ouml;nnen ihre den Massen
gegebenen Versprechen nicht halten, nicht einmal im Land selbst. Wir werden
es ihnen nicht gestatten. Sie stahlen uns unser Landprogramm, um sich die
Hilfe der Bauern zu sichern. Das ist unanst&auml;ndig. Wenn sie wenigstens
bis zur Konstituierenden Versammlung gewartet h&auml;tten..." &AElig;Es handelt
sich nicht nur um die Konstituierende Versammlung", fiel der Offizier ein.
&AElig;Wenn die Bolschewiki hier einen sozialistischen Staat errichten wollen,
dann k&ouml;nnen wir mit ihnen unter keinen Umst&auml;nden zusammenarbeiten.
Kerenski hat einen gro&szlig;en Fehler begangen, als er im Rat der Russischen
Republik seinen gegen die Bolschewiki erlassenen Haftbefehl bekanntgab und
diesen so die M&ouml;glichkeit gab, ihren Gegenzug zu tun." &AElig;Aber was
haben Sie jetzt vor?" fragte ich. Die beiden M&auml;nner sahen einander an.
&AElig;In ein paar Tagen werden Sie sehen. Sollten wir gen&uuml;gend Truppen
auf unserer Seite haben, dann denken wir nat&uuml;rlich an keinen Kompromi&szlig;
mit den Bolschewiki. Wenn nicht, werden wir vielleicht dazu gezwungen sein."
Wieder drau&szlig;en auf dem Newski, bestiegen wir die Stra&szlig;enbahn,
das hei&szlig;t, wir mu&szlig;ten auf dem Trittbrett stehen. Der Wagen war
v&ouml;llig &uuml;berf&uuml;llt. Die Plattform senkte sich tief herunter
und schleifte fast am Boden entlang. Die Fahrt bis zum Smolny d&uuml;nkte
uns endlos. Meschowski, ein liebensw&uuml;rdiger, schm&auml;chtiger, kleiner
Mensch, kam mit besorgtem Gesicht die Halle entlang. Wir h&ouml;rten von
ihm, da&szlig; die Streiks in den Ministerien ihre Wirkung zu tun begannen.
Der Rat der Volkskommissare hatte zwar die Ver&ouml;ffentlichung der
Geheimvertr&auml;ge beschlossen, aber Neratow, der damit beauftragte Beamte,
war verschwunden und hatte die Dokumente mit sich genommen. Sie befanden
sich jetzt wahrscheinlich in der britischen Gesandtschaft. Schlimmer als
alles das war indessen der Streik der Banken. &AElig;Ohne Geld", erkl&auml;rte
Menshinski, &AElig;sind wir hilflos. Die Geh&auml;lter der Eisenbahner, der
Post- und Telegrafenangestellten m&uuml;ssen gezahlt werden; aber die Banken
sind geschlossen, und auch die Staatsbank, gewisserma&szlig;en der
Schl&uuml;ssel der ganzen Situation, hat ihren Betrieb eingestellt.
S&auml;mtliche Bankangestellten Ru&szlig;lands haben sich verleiten lassen,
die Arbeit niederzulegen. Lenin hat jedoch befohlen, die Tresore der Staatsbank
mit Dynamit aufzusprengen, und eben jetzt ist ein Dekret heraus, das die
Wiederer&ouml;ffnung der Privatbanken anordnet. Andernfalls w&uuml;rden sie
mit Gewalt ge&ouml;ffnet werden." Im Petrograder Sowjet herrschte entschlossener
Siegeswille, dr&auml;ngten sich bewaffnete M&auml;nner. Trotzki berichtete:
&AElig;Die Kosaken beginnen sich von Krasnoje Selo zur&uuml;ckzuziehen."
(Jubelnder Beifall.) &AElig;Die k&auml;mpfe fangen jedoch erst an. In Pulkowo
sind schwere K&auml;mpfe im Gange. Alle verf&uuml;gbaren Kr&auml;fte m&uuml;ssen
sofort dorthin. Die Nachrichten aus Moskau sind nicht erfreulich. Der Kreml
ist in der Hand der Offizierssch&uuml;ler. Die Arbeiter haben nur wenig Waffen.
Entscheidend wird aber auch dort sein, was hier in Petrograd geschieht. An
der Front finden unsere Friedens- und Landdekrete begeisterte Aufnahme. Kerenski
&uuml;berschwemmt die Sch&uuml;tzengr&auml;ben mit Schauergeschichten &uuml;ber
das in blut und Flammen untergehende Petrograd, &uuml;ber unz&auml;hlige,
von den Bolschewiki gemordete Frauen und Kinder; aber kein Mensch glaubt
sie. Die Kreuzer ,Oleg', ,Aurora' und ,Respublika' ankern in der Newa. Ihre
Gesch&uuml;tze beherrschen die Zug&auml;nge zur Stadt." &AElig;Warum sind
Sie nicht bei den Rotgardisten?" ruft eine rauhe Stimme. &AElig;Ich bin eben
im Begriff zu gehen", antwortete Trotzki und verlie&szlig; die Trib&uuml;ne.
Das Gesicht noch blasser als gew&ouml;hnlich, schritt er, von besorgten Freunden
umringt, den Seitengang des Saals hinunter und sprang in das bereits wartende
Automobil. Kamenew sprach jetzt, einen Bericht von dem Verlauf der
Verst&auml;ndigungskonferenz gebend. Die von den Menschewiki vorgeschlagenen
Waffenstillstandsbedingungen seien, sagte er, mit Verachtung verworfen worden.
Sogar die Zweigvereine des Eisenbahnerverbandes h&auml;tten sich dagegen
erkl&auml;rt. &AElig;Ausgerechnet in dem Moment, da wir die Macht erobert
haben und uns anschicken, ganz Ru&szlig;land mit eisernem Besen auszukehren,
glauben sie folgende drei Kleinigkeiten von uns fordern zu k&ouml;nnen: 1.
Sollen wir die Macht wieder aus der Hand geben, 2. Die Soldaten veranlassen,
den Krieg fortzusetzen, und 3. Die Bauern ihre Landforderungen vergessen
machen." Lenin nahm kurz das Wort, um auf die Anklagen der
Sozialrevolution&auml;re zu antworten. &AElig;Sie werfen uns vor, ihr Landdekret
gestohlen zu haben. Wenn das der Fall ist, ziehen wir vor ihnen den Hut.
Es ist f&uuml;r uns gerade gut genug." So ging die Versammlung noch lange
weiter. Ein F&uuml;hrer nach dem anderen stand auf, um zu erkl&auml;ren,
zu argumentieren, zu ermahnen; Soldaten und Arbeiter, ihrem Denken und
F&uuml;hlen Ausdruck gebend... Die Teilnehmerschaft in st&auml;ndiger Bewegung,
wechselnd, sich unabl&auml;ssig erneuernd. Von Zeit zu Zeit wurde nach den
Mitgliedern der einen oder anderen Truppe gerufen, die zur Front gehen sollten;
andere, Abgel&ouml;ste, Verwundete oder vom Smolny Waffen und
Ausr&uuml;stungsgegenst&auml;nde Holende, kamen herein... Als wir gegen drei
Uhr morgens den Saal verlie&szlig;en, kam uns mit freudestrahlendem Gesicht
Golzman vom Revolution&auml;ren Milit&auml;rkomitee entgegengelaufen.
&AElig;Alles steht gl&auml;nzend!" schrie er, meine Hand packend. &AElig;Hier
ein Telegramm von der Front. Kerenski ist erledigt. Da, schauen Sie." Er
hielt uns ein Blatt Papier unter die Nase, fl&uuml;chtig mit Bleistift
bekritzelt. Als er sah, da&szlig; wir es nicht zu entziffern vermochten,
las er uns den Inhalt laut deklamierend vor:
<P>
<P align=right>
&AElig;Pulkowo, Stab, 2.10 Uhr morgens.
<P>
Die Nacht vom 30. zum 31. Oktober wird in der Geschichte fortleben. Kerenskis
Versuch, konterrevolution&auml;re Truppen gegen die Hauptstadt der Revolution
zu f&uuml;hren, ist endg&uuml;ltig gescheitert. Kerenski ist auf dem
R&uuml;ckzug. Wir marschieren vorw&auml;rts. Die Soldaten, Matrosen und Arbeiter
Petrograds haben gezeigt, da&szlig; sie f&auml;hig und entschlossen sind,
dem Willen und der Autorit&auml;t der Demokratie mit der Waffe in der Hand
Geltung zu verschaffen. Die Bourgeoisie hat versucht, die revolution&auml;re
Armee zu isolieren. Kerenski wollte sie mit der Gewalt der Kosaken zerbrechen.
Beide Pl&auml;ne sind elend gescheitert. Die gro&szlig;e Idee der Herrschaft
der Arbeiter-und-Bauern-Demokratie hat die Armee zusammengeschwei&szlig;t
und ihren Willen gest&auml;hlt. Das ganze Land wird von heute an wissen,
da&szlig; die Macht der Sowjets keine Eintagserscheinung ist, sondern eine
unbezwingbare Tatsache. Die Niederlage Kerenskis ist die Niederlage der
Gro&szlig;grundbesitzer, der Bourgeoisie und der Kornilowleute im allgemeinen.
Die Niederlage Kerenskis sichert dem Volk das Recht auf ein friedliches,
freies Leben, auf Land, Brot, und auf die Regierung. Die Pulkowoer
Truppenabteilung hat mit ihrem k&uuml;hnen Vorsto&szlig; die Sache der
Arbeiter-und-Bauern-Revolution gest&auml;rkt. Die Vergangenheit kehrt nicht
wieder. Noch wird es K&auml;mpfe, Hindernisse, Opfer geben. Doch der Weg
ist klar und der Sieg ist sicher.
<P>
Das revolution&auml;re Ru&szlig;land und die Sowjetmacht blicken voller Stolz
auf ihre vom Obersten Walden gef&uuml;hrte Pulkowoer Abteilung. Ewiges Andenken
den Gefangenen! Ruhm und Ehre den Kriegern der Revolution, den Soldaten und
den Offizieren, die dem Volk die Treue hielten!
<P>
Es lebe das revolution&auml;re sozialistische Ru&szlig;land!
<P>
Im Namen des Rates der Volkskommissare:
<P>
<I>L. Trotzki</I>."
<P>
<P>
Auf unserm Nachhauseweg den Snamenskiplatz &uuml;berquerend, sahen wir auf
dem Nikolaibahnhof eine aufgeregte Menschenansammlung. Es waren einige tausend
in Waffen starrende Matrosen. Zu ihnen redete von der Bahnhofstreppe aus
ein Mitglied des Wikshel: &AElig;Genossen! Wir k&ouml;nnen euch nicht nach
Moskau fahren. Wir sind neutral. Wir fahren weder die Truppen der einen noch
die der anderen Seite. Wir k&ouml;nnen euch nicht nach Moskau mitnehmen,
wo schon jetzt ein schrecklicher B&uuml;rgerkrieg w&uuml;tet." Die Matrosen
schrien wild auf den Redner ein und begannen vorw&auml;rtszudr&auml;ngen.
Pl&ouml;tzlich wurde eine ander T&uuml;r aufgerissen, und zwei oder drei
Bremser und Heizer standen dort. &AElig;Hier herein, Genossen!" riefen sie.
&AElig;Wir bringen euch nach Moskau - oder Wladiwostok, wohin ihr wollt.
Es lebe die Revolution!"
</BODY></HTML>