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<TITLE>Leo Trotzki: Die USA werden am Krieg teilnehmen</TITLE>
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</TR>
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</TABLE>
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<HR size="1">
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<H2>Leo Trotzki</H2>
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<H1>Die USA werden am Krieg teilnehmen</H1>
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<P>1. Oktober 1939</P>
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<P>Dieser Artikel erschien erstmals in der <EM>New York Times</EM> vom 4. Oktober 1939, wobei deren Redakteure allerdings drei Absätze gegen Ende des Artikels gestrichen hatten. </P>
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<P>Die Politik der Sowjetunion, voller Überraschungen selbst für
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interessierte Beobachter, ergibt sich in Wirklichkeit aus des Kreml’s
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traditioneller Sicht der internationalen Beziehungen, die ungefähr
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wie folgt formuliert werden könnten:
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</P>
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<P>Seit langer Zeit hat die ökonomische Bedeutung nicht nur von
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Frankreich, sondern auch von England, aufgehört, den Ausmaßen
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ihrer kolonialen Besitzungen zu entsprechen. Ein neuer Krieg würde
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wahrscheinlich diese Imperien zum Zusammenbruch bringen. (Nicht
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zufällig, so sagt man sich im Kreml, hat der smarte Opportunist
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Mohandas K. Gandhi, bereits die Forderung nach der Unabhängigkeit
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von Indien erhoben). Sein Schicksal an das von Britannien und
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Frankreich zu binden, wenn die Vereinigten Staaten nicht hinter ihnen
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stehen, bedeutet, sich von vorneherein zum Untergang zu verurteilen.
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</P>
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<P>Die »Operationen« an der Westfront während des
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ersten Monats des Krieges haben Moskau nur in ihrer Einschätzung
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bestärkt. Frankreich und England entschließen sich nicht
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zur Verletzung der Neutralität von Belgien und der Schweiz —
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diese Verletzung ist absolut unvermeidlich, wenn der wirkliche Krieg
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sich weiterentwickelt — genausowenig, wie sie ernsthafte
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Angriffe auf die Siegfriedlinie führen. Anscheinend wollen sie
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überhaupt keinen Krieg führen, ohne von vorneherein die
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Garantie zu haben, daß die Vereinigten Staaten sich nicht mit
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ihrer Niederlage abfinden werden.
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</P>
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<P>Moskau denkt, daß also die gegenwärtige konfuse und
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unentschlossene Führung der Operationen seitens Frankreich und
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Großbritannien eine Art von militärischer Bummelstreik
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gegen die USA darstellen, aber kein Krieg gegen Deutschland.
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</P>
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<P>Unter diesen Umständen wurde der Pakt vom August zwischen
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Josef Stalin und Adolf Hitler unvermeidlich durch die Übereinkunft
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vom September ergänzt<SUP><A CLASS="sdfootnoteanc" NAME="sdfootnote1anc" HREF="391001a.htm#sdfootnote1sym"><SUP>1</SUP></A></SUP>.
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Die wirkliche Bedeutung der algebraischen Formeln dieses neuen
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diplomatischen Dokuments werden durch den Verlauf des Krieges in den
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nächsten Wochen geklärt werden.
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</P>
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<P>Es ist höchst unwahrscheinlich, daß Moskau jetzt an
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Hitlers Seite gegen die Kolonialmächte intervenieren wird.
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Stalin ging den höchst unpopulären Block mit Hitler nur
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ein, um den Kreml vor den Risiken und Erschütterungen eines
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Krieges zu bewahren. Danach fand er sich selbst in einen kleinen
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Krieg verwickelt, um seinen Block mit Hitler zu rechtfertigen. In den
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Ritzen des großen Krieges, wird Moskau versuchen, weitere neue
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Eroberungen im Baltikum und dem Balkan zu erringen.
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</P>
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<P>Es ist jedoch nötig, diese provinziellen Eroberungen aus der
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Perspektive des Weltkrieges zu betrachten. Wenn Stalin die neuen
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Provinzen behalten will, dann wird er früher oder später
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gezwungen sein, die Existenz seiner Macht aufs Spiel zu setzen. All
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seine Politik ist darauf ausgerichtet, diesen Moment
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hinauszuschieben.
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</P>
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<P>Aber wenn es schwierig ist, eine direkte militärische
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Kooperation Moskaus mit Berlin an der Westfront zu erwarten, wäre
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es äußerster Leichtsinn, die wirtschaftliche Unterstützung
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zu unterschätzen, die die Sowjetunion, mithilfe der deutschen
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Technologie, vor allem im Transportwesen, der deutschen Armee
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zukommen lassen kann. Die Bedeutung der englisch-französichen
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Blockade wird dadurch sicherlich nicht aufgehoben, aber doch
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bedeutend geschwächt.
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</P>
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<P>Der deutsch-sowjetische Pakt wird unter diesen Umständen
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zwei Konsequenzen haben: Er wird die Dauer des Krieges erheblich
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verlängern, und er wird den Moment des Eintritts der USA in den
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Krieg näher bringen.
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</P>
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<P>Für sich genommen, ist dieser Kriegseintritt völlig
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unvermeidlich. London wollte sich glauben machen, daß Hitlers
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Ambitionen nicht über die Donauebenen hinausgehen würden,
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und meinte, Britannien heraushalten zu können. Gleichermaßen
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glauben einige Leute auf dem amerikanischen Kontinent, sich hinter
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einem papiernen Wandschirm der Isolation von dem »rein
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europäischen« Irrsin fernhalten zu können. Ihre
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Hoffnungen sind vergeblich. Es geht um einen Kampf um <EM>Weltherrschaft</EM>,
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und die Vereinigten Staaten werden sich da nicht heraushalten können.
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</P>
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<P>Die Intervention der USA, die die Orientierung nicht nur von
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Moskau, sondern auch von Rom verändern könnte, ist jedoch
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noch Zukunftsmusik. Die Empiriker des Kreml stehen mit beiden Beinen
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auf dem Boden der Gegenwart. Sie glauben nicht an den Sieg von
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Britannien und Frankreich, und folglich halten sie zu Deutschland.
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</P>
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<P>Um die Sowjetpolitik in allen ihren Wendungen verstehen zu können,
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muß man vor allem die absurde Idee fallen lassen, daß
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Stalin die internationale Revolution mit kriegerischen Mitteln
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befördern will. Wenn der Kreml zu diesem Ziel strebte, wie
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könnte er seinen Einfluß über die internationale
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Arbeiterbewegung im Tausch für die Besetzung einiger
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Grenzgebiete aufopfern?
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</P>
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<P>Das Schicksal der Revolution wird nicht in Galizien bestimt, noch
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in Estland, Lettland oder Bessarabien. Es wird in Deutschland
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entschieden, aber dort unterstützt Stalin Hitler. Es wird in
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Frankreich und in Britannien entschieden, aber dort hat Stalin den
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kommunistischen Parteien einen Todesstoß versetzt. Genausowenig
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wird die Kommunistische Partei der USA den Folgen des
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Septemberabkommens entgehen können. Polen wird wieder
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auferstehen, die Kommunistische Internationale niemals mehr.
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</P>
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<P>In Wirklichkeit gibt es keine Regierung in Europa oder der ganzen
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Welt, die gegenwärtig die Revolution mehr fürchtet als die
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privilegierte Kaste, die die Sowjetunion beherrscht. Der Kreml sieht
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sich selbst nicht als stabil an, und Revolutionen sind ansteckend.
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Gerade weil der Kreml die Revolution fürchtet, fürchtet er
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den Krieg, der zu Revolution führt.
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</P>
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<P>Es ist wahr, daß der Kreml in den besetzten Gebieten daran
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geht, die großen Eigentümer zu enteignen. Aber das ist
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keine Revolution, die von den Massen durchgeführt wird, sondern
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ein administrativer Vorgang, mit dem das Regime der UdSSR in die
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neuen Territorien ausdehnt werden soll. Morgen wird der Kreml in den
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»befreiten« Gebieten erbarmungslos die Arbeiter und
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Bauern niederschlagen, um sie zur Unterwerfung unter die totalitäre
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Bürokratie zu zwingen. Hitler hat keine Angst vor solch einer
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»Revolution« an seinen Grenzen — und aus seiner
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Sicht hat er völlig recht.
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</P>
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<P>Um die neu gefundenen Freunde gegeneinander aufzubringen, macht
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die englisch-französische Propaganda alle Anstrengungen, um
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Hitler als das wahre Instrument Stalins darzustellen. Das ist das
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Gegenteil von den Tatsachen. In dem Septemberabkommen wie auch in dem
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Pakt vom August ist Hitler der aktive Teil. Stalin spielt eine
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untergeordnete Rolle, paßt sich an, marschiert zu Hitlers
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Musik, und er geht nicht über das hinaus, was er tun muß,
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wenn er nicht mit Hitler brechen will. Hitlers Politik ist offensiv,
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mit weltweiten Perspektiven. Stalins Politk ist defensiv und
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provinziell. Hitler will das britische Empire weit aufbrechen und die
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Grundlagen für einen Krieg mit den USA vorbereiten. Stalin
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unterstützt ihn, um ihn vom Osten abzulenken. In jeder Etappe
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seines Plans weiß Hitler genug, um ein neues System von
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»Freundschaften« zu zimmern. Im August versicherte er
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sich Stalins Neutralität und seiner wirtschatlichen
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Zusammenarbeit — für den Angriff auf Polen. Im September
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machte er Stalin zu einem interessierten Partner für seinen
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Kampf gegen Frankreich und Großbritannien. Die Hälfte
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Polens ist kein zu hoher Preis hierfür. Wie auch immer, wenn
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Hitler den Krieg verliert, wird er auch Polen verlieren. Wenn, dank
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Stalin, er siegreich daraus hervorgeht, wird er erneute alle Fragen
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des Ostens auf die Tagesordnung setzen.
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</P>
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<P>Angesichts der Schwierigkeit, wenn nicht gar Unmöglichkeit,
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daß Deutschland einen langanhaltenden Krieg durchstehen kann,
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will Hitler stattdessen eine Serie von schnellen Schlägen. Heute
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braucht Hitler wieder eine Atempause. Stalin, wie zuvor, braucht
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Frieden. Folglich Stalins Eifer, Hitler zu helfen, eine Kapitulation
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von Frankreich und England zu erreichen. Sicherlich, die
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Unterzeichnung eines Friedens an der Westfront würde Hitlers
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Hände freimachen gegen die UdSSR. Wenn sich jedoch der Kreml an
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Hitlers »Friedensoffensive« angehängt hat, dann weil
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er eine kurzfristige Politik verfolgt. Stalin ist ein Taktiker, kein
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Stratege. Mehr noch, nach der Teilung Polens hat er seine
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Handlungsfreiheit verloren.
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</P>
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<P>Um den Kreml zu einer Änderung seiner Politik zu bringen,
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bleibt nur ein Weg, aber ein sicherer. Es ist nötig, Hitler
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einen derart entscheidenden Schlag zu versetzen, daß der Kreml
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aufhört, ihn zu fürchten. In diesem Sinne ist es möglich
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zu sagen, daß der bedeutendste Schlüssel für die
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Politik des Kreml nunmehr in Washington liegt.
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</P>
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<P>Übersetzung ins Deutsche: © Copyright Lüko Willms, 28.8.2000. Aus dem Englischen
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nach »Writings 1939-40«, Pathfinder Press, NY, 1973, S. 94-97</P>
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<P CLASS="sdfootnote"><A CLASS="sdfootnotesym" NAME="sdfootnote1sym" HREF="391001a.htm#sdfootnote1anc">1</A>In
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dieser Vereinbarung wurde Ostpolen als sowjetisches Gebiet anerkannt
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und ein Bevölkerungsaustausch vereinbart — Deutsche wurden
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aus den nicht vom deutschen Reich beherrschten Gebieten „heim
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ins Reich“ transferiert.
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</P>
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<TR>
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<TD ALIGN="center" width="49%" height=20 valign=middle><A href="../../index.shtml.html"><SMALL>Gesamtübersicht "MLWerke"</SMALL></A></TD>
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<TD ALIGN="center" width="49%" height=20 valign=middle> <A href="../default.htm"><SMALL>Lew Trotzki</SMALL></A></TD>
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<SMALL>Verwendung zur Herstellung von Druckwerken oder für andere elektronische Publikationen auf Datenträgern oder im Netz nur nach Rücksprache. <A HREF="../../ies/kontakt.htm">Kontakt</A>
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