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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>Karl Marx - Enthuellungen ueber den Kommunisten-Prozess zu Koeln</TITLE>
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<P><SMALL>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 8, 3. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1960, Berlin/DDR. S. 409-413</SMALL>
<P ALIGN="CENTER"><A HREF="me08_405.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="me08_414.htm"><FONT SIZE=2>II. Das Archiv Dietz</FONT></A></P>
<P ALIGN="CENTER">I</P>
<FONT SIZE=5><P ALIGN="CENTER">Vorl&auml;ufiges</P>
</FONT><B><P><A NAME="S409">&lt;409&gt;</A></B> Nothjung wurde am 10. Mai 1851 in Leipzig verhaftet, kurz darauf B&uuml;rgers, R&ouml;ser, Daniels, Becker usw. Am 4. Oktober 1852 erschienen die Verhafteten vor den K&ouml;lner Assisen unter der Anklage "hochverr&auml;terischen Komplotts" gegen den preu&szlig;ischen Staat. Die Untersuchungshaft - Zellengef&auml;ngnis - hatte also an 1<SUP>1</SUP>/<SUB>2</SUB> Jahre gew&auml;hrt.</P>
<P>Bei der Verhaftung von Nothjung und B&uuml;rgers fand man das "Manifest der Kommunistischen Partei" vor, die "Statuten des Bundes der Kommunisten" (einer kommunistischen Propagandagesellschaft), zwei Ansprachen der Zentralbeh&ouml;rde dieses Bundes, endlich einige Adressen und Druckschriften. Nachdem die Verhaftung des Nothjung schon acht Tage bekannt war, fielen Haussuchungen und Verhaftungen in K&ouml;ln vor. Wenn also noch etwas zu finden gewesen w&auml;re, so war es jetzt sicher verschwunden. In der Tat beschr&auml;nkte sich der Fang auf einige irrelevante Briefe. 1<SUP>1</SUP>/<SUB>2</SUB> Jahre sp&auml;ter, als die Verhafteten endlich vor den Geschworenen erschienen, war das bona fide &lt;als echt erkannte&gt; Material der Anklage auch nicht um ein einziges Dokument vermehrt. Dennoch hatten s&auml;mtliche Beh&ouml;rden des preu&szlig;ischen Staats, wie das &ouml;ffentliche Ministerium (vertreten durch v. Seckendorf und Saedt) versichert, die angestrengteste und vielseitigste T&auml;tigkeit entwickelt. Womit waren sie also besch&auml;ftigt? Nous verrons! &lt;Wir werden sehen!&gt;</P>
<P>Die ungew&ouml;hnliche Dauer der Untersuchungshaft wurde in der sinnreichsten Weise motiviert. Erst hie&szlig; es, die s&auml;chsische Regierung wolle B&uuml;rgers und Nothjung nicht an Preu&szlig;en ausliefern. Das Gericht zu K&ouml;ln reklamierte vergeblich bei dem Ministerium zu Berlin, das Ministerium zu Berlin vergeblich bei den Beh&ouml;rden in Sachsen. Indes, der s&auml;chsische Staat lie&szlig; sich erweichen. B&uuml;rgers und Nothjung wurden ausgeliefert. Endlich, <A NAME="S410"><B>&lt;410&gt;</A></B> Oktober 1851 war die Sache so weit gediehen, da&szlig; die Akten dem Anklagesenat des K&ouml;lner Appellhofs Vorlagen. Der Anklagesenat entschied, "da&szlig; kein objektiver Tatbestand f&uuml;r die Anklage vorliege und - die Untersuchung daher von neuem beginnen m&uuml;sse". Der Diensteifer der Gerichte war unterdes angefacht worden durch ein eben erlassenes Disziplinargesetz, das die preu&szlig;ische Regierung bef&auml;higte, jeden ihr mi&szlig;liebigen richterlichen Beamten zu beseitigen. Diesmal also wurde der Proze&szlig; sistiert, weil kein Tatbestand vorlag. In dem folgenden Assisenquartal mu&szlig;te er aufgehoben werden, weil zuviel Tatbestand vorlag. Der Aktensto&szlig;, hie&szlig; es, sei so enorm, da&szlig; der Ankl&auml;ger sich nicht durcharbeiten k&ouml;nne. Er arbeitete sich nach und nach durch, der Anklageakt wurde den Verhafteten zugestellt, die Er&ouml;ffnung der Verhandlungen f&uuml;r den 28. Juli zugesagt. Unterdes war aber das gro&szlig;e Regierungstriebrad des Prozesses, Polizeidirektor Schulz, erkrankt. Die Angeklagten hatten auf Schulzens Gesundheit drei fernere Monate zu sitzen. Zum Gl&uuml;ck starb Schulz, das Publikum ward ungeduldig, die Regierung mu&szlig;te den Vorhang aufziehen.</P>
<P>W&auml;hrend dieser ganzen Periode hatten die Polizeidirektion in K&ouml;ln, das Polizeipr&auml;sidium in Berlin, die Ministerien der Justiz und des Innern fortw&auml;hrend in den Gang der Untersuchung eingegriffen, in derselben Weise, wie sp&auml;ter ihr w&uuml;rdiger Repr&auml;sentant Stieber als Zeuge in die &ouml;ffentlichen Gerichtsverhandlungen zu K&ouml;ln eingriff. Es gelang der Regierung, ein Geschworenengericht zustande zu bringen, wie es in den Annalen der Rheinprovinz unerh&ouml;rt ist. Neben Mitgliedern der hohen Bourgeoisie (Herstadt, Leiden, Joest) st&auml;dtisches Patriziat (von Bianca, vom Rath), Krautjunker (H&auml;bling von Lanzenauer, Freiherr von F&uuml;rstenberg etc.), zwei preu&szlig;ische Regierungsr&auml;te, darunter ein k&ouml;niglicher Kammerherr (von M&uuml;nch-Bellinghausen), endlich ein preu&szlig;ischer Professor (Kr&auml;usler). In dieser Jury waren also s&auml;mtliche der in Deutschland herrschenden Klassen vertreten, und nur sie waren vertreten.</P>
<P>Vor dieser Jury, scheint es, konnte die preu&szlig;ische Regierung den geraden Weg einschlagen und einen einfachen Tendenzproze&szlig; machen. Die von B&uuml;rgers, Nothjung etc. als echt anerkannten und bei ihnen selbst abgefa&szlig;ten Dokumente bewiesen zwar kein Komplott; sie bewiesen &uuml;berhaupt keine Handlung, die durch den Code p&eacute;nal vorgesehen ist, allein sie bewiesen unwiderleglich die Feindschaft der Angeklagten gegen die bestehende Regierung und die bestehende Gesellschaft. Was der Verstand des Gesetzgebers vers&auml;umte, konnte das Gewissen der Geschworenen nachholen. War es nicht eine List der Angeklagten, ihre Feindschaft gegen die bestehende Gesellschaft so einzurichten, da&szlig; sie gegen keine Paragraphen des Gesetz <A NAME="S411"><B>&lt;411&gt;</A></B> buchs verstie&szlig;? H&ouml;rt eine Krankheit auf ansteckend zu sein, weil sie in der Nomenklatur der Medizinalpolizeiordnung fehlt? H&auml;tte sich die preu&szlig;ische Regierung darauf beschr&auml;nkt, aus dem tats&auml;chlich vorliegenden Material die Sch&auml;dlichkeit der Angeklagten nachzuweisen, und die Jury sich damit begn&uuml;gt, sie durch ihr "Schuldig" unsch&auml;dlich zu machen, wer konnte Regierung und Jury angreifen? Niemand als der bl&ouml;de Schw&auml;rmer, der einer preu&szlig;ischen Regierung und den in Preu&szlig;en herrschenden Klassen St&auml;rke genug zutraut, auch ihren Feinden, solange sie sich auf dem Gebiete der Diskussion und der Propaganda halten, freien Spielraum gew&auml;hren zu k&ouml;nnen.</P>
<P>Indes, die preu&szlig;ische Regierung hatte sich selbst von dieser breiten Heerstra&szlig;e politischer Prozesse abgeschnitten. Durch die ungew&ouml;hnliche Verschleppung des Prozesses, durch die direkten Eingriffe des Ministeriums in den Gang der Untersuchung, durch die geheimnisvollen Hinweisungen auf ungeahnte Schrecken, durch Prahlereien mit Europa umstrickender Verschw&ouml;rung, durch die eklatant brutale Behandlung der Gefangenen war der Proze&szlig; zu einem proces monstre &lt;Monsterproze&szlig;&gt; aufgeschwellt, die Aufmerksamkeit der europ&auml;ischen Presse auf ihn gelenkt und die argw&ouml;hnische Neugierde des Publikums aufs h&ouml;chste gespannt. Die preu&szlig;ische Regierung hatte sich in eine Position gedr&auml;ngt, wo die Anklage anstandshalber Beweise liefern und die Jury anstandshalber Beweise verlangen mu&szlig;te. Die Jury stand wieder selbst vor einer andern Jury, vor der Jury der &ouml;ffentlichen Meinung.</P>
<P>Um den ersten Fehlgriff gutzumachen, mu&szlig;te die Regierung einen zweiten begehen. Die Polizei, die w&auml;hrend der Untersuchung als Instruktionsrichter &lt;Untersuchungsrichter&gt; fungierte, mu&szlig;te w&auml;hrend der Verhandlungen als Zeuge auftreten. Neben den normalen Ankl&auml;ger mu&szlig;te die Regierung einen anormalen hinstellen, neben die Prokuratur die Polizei, neben einen Saedt und Seckendorf einen Stieber mit seinem Wermuth, seinem Vogel Greif und seinem Goldheimchen. Die Intervention einer dritten Staatsgewalt vor Gericht war unvermeidlich geworden, um der juristischen Anklage Tatsachen, nach deren Schatten sie vergeblich jagte, durch die Wunderwirkungen der Polizei fortlaufend zu liefern. Das Gericht begriff so sehr diese Stellung, da&szlig; Pr&auml;sident, Richter und Prokurator mit der r&uuml;hmlichsten Resignation ihre Rolle wechselweise an den Polizeirat und Zeugen Stieber abtraten und best&auml;ndig hinter Stieber verschwanden. Ehe wir nun fortgehen zur Beleuchtung dieser Polizeioffenbarungen, auf denen der "objektive Tatbestand" beruht, den der Anklagesenat nicht zu finden wu&szlig;te, noch eine Vorbemerkung.</P>
<B><P><A NAME="S412">&lt;412&gt;</A></B> Aus den Papieren, die man bei den Angeklagten abfa&szlig;te, wie aus ihren eignen Aussagen ergab sich, da&szlig; eine deutsche kommunistische Gesellschaft existiert hatte, deren Zentralbeh&ouml;rde urspr&uuml;nglich in London sa&szlig;. Am 15. September 1850 spaltete sich diese Zentralbeh&ouml;rde. Die Majorit&auml;t - der Anklageakt bezeichnet sie als <I>"Partei Marx" </I>- verlegte den Sitz der Zentralbeh&ouml;rde nach K&ouml;ln. Die Minorit&auml;t - sp&auml;ter von den K&ouml;lnern aus dem Bunde gesto&szlig;en - etablierte sich als selbst&auml;ndige Zentralbeh&ouml;rde zu London und stiftete hier und auf dem Kontinent einen Sonderbund. Der Anklageakt nennt diese Minorit&auml;t und ihren Anhang die <I>"Partei Willich-Schapper"</I>.</P>
<P>Saedt-Seckendorf behaupten, rein pers&ouml;nliche Mi&szlig;helligkeiten h&auml;tten die Spaltungen der Londoner Zentralbeh&ouml;rden veranla&szlig;t. Lange vor Saedt-Seckendorf hatte schon der "ritterliche Willich" &uuml;ber die Gr&uuml;nde der Spaltung die infamsten Ger&uuml;chte in der Londoner Emigration herumgeklatscht und an Herrn Arnold Ruge, diesem f&uuml;nften Rad am Staatswagen der europ&auml;ischen Zentraldemokratie, und &auml;hnlichen Leuten bereitwillige Gossen in die deutsche und die amerikanische Presse gefunden. Die Demokratie begriff, wie leicht sie sich den Sieg &uuml;ber die Kommunisten machte, wenn sie den "ritterlichen Willich" zum Repr&auml;sentanten der Kommunisten improvisierte. Der "ritterliche Willich" begriff seinerseits, da&szlig; die "Partei Marx" die Gr&uuml;nde der Spaltung nicht enth&uuml;llen konnte, ohne eine geheime Gesellschaft in Deutschland zu verraten und ohne speziell die K&ouml;lner Zentralbeh&ouml;rde der v&auml;terlichen Sorgfalt der preu&szlig;ischen Polizei preiszugeben. Diese Umst&auml;nde existieren jetzt nicht mehr, und wir zitieren daher einige wenige Stellen aus dem letzten Protokolle der Londoner Zentralbeh&ouml;rde d.d. 15. September 1850.</P>
<P>In der Motivierung seines Antrages auf Trennung sagt Marx unter anderem w&ouml;rtlich: "An die Stelle der kritischen Anschauung setzt die Minorit&auml;t eine dogmatische, an die Stelle der materialistischen eine idealistische. Statt der wirklichen Verh&auml;ltnisse wird ihr der <I>blo&szlig;e Wille </I>zum Triebrad der Revolution. W&auml;hrend wir den Arbeitern sagen: Ihr habt 15, 20, 50 Jahre B&uuml;rgerkriege und V&ouml;lkerk&auml;mpfe durchzumachen, nicht nur um die Verh&auml;ltnisse zu &auml;ndern, sondern um euch selbst zu &auml;ndern und zur politischen Herrschaft zu bef&auml;higen, sagt ihr im Gegenteil: 'Wir m&uuml;ssen gleich zur Herrschaft kommen, oder wir k&ouml;nnen uns schlafen legen.' W&auml;hrend wir speziell die deutschen Arbeiter auf die unentwickelte Gestalt des deutschen Proletariats hinweisen, schmeichelt ihr aufs plumpste dem Nationalgef&uuml;hl und dem Standesvorurteil der deutschen Handwerker, was allerdings popu- <A NAME="S413"><B>&lt;413&gt;</A></B> l&auml;rer ist. Wie von den Demokraten das Wort Volk zu einem heiligen Wesen gemacht wird, so von euch das Wort <I>Proletariat</I>. Wie die Demokraten schiebt ihr der revolution&auml;ren Entwicklung die Phrase der Revolution unter" etc. etc.</P>
<P>Herr Schapper sagte in seiner Antwort w&ouml;rtlich:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Ich habe die hier angefochtene Ansicht ausgesprochen, weil ich &uuml;berhaupt in dieser Sache enthusiastisch hin. Es handelt sich darum, ob wir im Anfange selbst k&ouml;pfen oder gek&ouml;pft werden." (Schapper versprach sogar, in einem Jahre, also am 15. September 1851, gek&ouml;pft zu sein.) "In Frankreich werden die Arbeiter drankommen und damit wir in Deutschland. W&auml;re das nicht, so w&uuml;rde ich mich allerdings schlafen legen, und dann k&ouml;nnte ich eine andere materielle Stellung haben. Kommen wir dran, so k&ouml;nnen wir solche Ma&szlig;regeln ergreifen, da&szlig; wir die Herrschaft des Proletariats sichern. Ich bin fanatisch f&uuml;r diese Ansicht, die Zentralbeh&ouml;rde aber hat das Gegenteil gewollt" etc. etc.</P>
</FONT><P>Man sieht: Es waren nicht pers&ouml;nliche Gr&uuml;nde, die die Zentralbeh&ouml;rde spalteten. Es w&auml;re indes ebenso falsch, von prinzipieller Differenz zu sprechen. Die Partei Schapper-Willich hat nie auf die Ehre Anspruch gemacht, eigne Ideen zu besitzen. Was ihr geh&ouml;rt, ist das eigent&uuml;mliche Mi&szlig;verst&auml;ndnis fremder Ideen, die sie als Glaubensartikel fixiert und als Phrase sich angeeignet zu haben meint. Nicht minder unrichtig w&auml;re es, die Partei Willich-Schapper mit der Anklage als "Partei der Tat" zu bezeichnen, es sei denn, da&szlig; man unter Tat einen unter Wirtshauspolterei, erlogenen Konspirationen und inhaltslosen Scheinverbindungen versteckten M&uuml;&szlig;iggang versteht. </P></BODY>
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