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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>Friedrich Engels - Deutscher Sozialismus in Versen und Prosa</TITLE>
</HEAD>
<BODY BGCOLOR="#fffffc">
<P ALIGN="CENTER"><A href="../default.htm">Zur&uuml;ck zum Gesamtverzeichnis Karl Marx/Friedrich Engels - Werke</A></P>
<SMALL>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 4, S. 207 - 247<BR>
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1972 </SMALL></P>
<H2>[Friedrich Engels]</H2>
<H1>Deutscher Sozialismus in Versen und Prosa</H1>
<FONT SIZE=2>Geschrieben Ende 1846 bis Anfang 1847.</FONT>
<HR>
<FONT SIZE=2><P ALIGN="RIGHT">["Deutsche-Br&uuml;sseler-Zeitung" Nr. 73 vom 12. September 1847]</P>
</FONT><P ALIGN="CENTER">1</P>
<I><P ALIGN="CENTER">Karl Beck: "'Lieder Vom armen Mann'<BR>
oder die Poesie des wahren Sozialismus"</P>
</I><B><P><A NAME="S207">&lt;207&gt;</A></B> Die "Lieder vom armen Mann" beginnen mit einem Liede an ein reiches Haus.</P>
<P ALIGN="CENTER">An das Haus Rothschild</P>
<P>Um Mi&szlig;verst&auml;ndnissen vorzubeugen, redet der Dichter Gott mit "HERR" und das Haus Rothschild mit <I>Herr </I>an.</P>
<P>Gleich in der Ouvert&uuml;re konstatiert er seine kleinb&uuml;rgerliche Illusion, da&szlig; das Gold nach Rothschilds "Launen herrscht"; eine Illusion, die eine ganze Reihe von Einbildungen &uuml;ber die Macht des Hauses Rothschild nach sich zieht.</P>
<P>Nicht die Vernichtung der wirklichen Macht Rothschilds, der gesellschaftlichen Zust&auml;nde, worauf sie beruht, droht der Dichter; er w&uuml;nscht nur ihre menschenfreundliche Anwendung. Er jammert, da&szlig; die Bankiers keine sozialistischen Philanthropen sind, keine Schw&auml;rmer, keine Menschheitsbegl&uuml;cker, sondern eben Bankiers. Bock besingt die feige kleinb&uuml;rgerliche Mis&egrave;re, den "armen Mann", den pauvre honteux &lt;versch&auml;mten Armen&gt; mit seinen armen, frommen und inkonsequenten W&uuml;nschen, den "kleinen Mann" in allen seinen Formen, nicht den stolzen, drohenden und revolution&auml;ren Proletarier. Die Drohungen und Vorw&uuml;rfe, womit Beck das Haus Rothschild &uuml;bersch&uuml;ttet, wirken allem guten Willen zum Trotz noch burlesker auf den Leser als eine Kapuzinerpredigt. Sie beruhen auf der kindlichsten Illusion &uuml;ber die Macht <A NAME="S208"><B>&lt;208&gt;</A></B> der Rothschilde, auf einer g&auml;nzlichen Unkenntnis des Zusammenhangs dieser Macht mit den bestehenden Zust&auml;nden, auf einer vollkommenen T&auml;uschung &uuml;ber die Mittel, welche die Rothschilde anwenden mu&szlig;ten, um eine Macht zu werden und um eine Macht zu bleiben. Der Kleinmut und der Unverstand, die weibliche Sentimentalit&auml;t, die j&auml;mmerliche, prosaisch-n&uuml;chterne Kleinb&uuml;rgerlichkeit, welche die Musen dieser Leier sind, tun sich vergebens Gewalt an, um f&uuml;rchterlich zu werden. Sie werden nur l&auml;cherlich. Ihr forcierter Ba&szlig; schl&auml;gt best&auml;ndig in ein komisches Falsett um, ihre dramatische Darstellung des gigantischen Ringens eines Enceladus bringt es nur zu den possierlichen Gliederverrenkungen eines Hampelmanns.</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Nach deinen Launen herrscht das Gold<BR>
.....................................................................<BR>
O w&auml;r' dein Werk so sch&ouml;n! O w&auml;re<BR>
Dein Herz so gro&szlig; wie deine Macht! p. 4.</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Es ist schade, da&szlig; Rothschild die <I>Macht </I>und unser Dichter das <I>Herz </I>hat. "W&auml;ren sie beide vereint, w&auml;r's f&uuml;r die Erde zuviel." (Herr Ludwig von Baierland .)</P>
<P>Die erste Gestalt, die Rothschild gegen&uuml;bergestellt wird, ist nat&uuml;rlich der S&auml;nger selbst, und zwar der <I>deutsche </I>S&auml;nger, der in "hohen, heiligen Mansarden" wohnt.</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Es t&ouml;nt von Recht und Licht und Freiheit,<BR>
Vom echten GOTT in seiner Dreiheit,<BR>
Die liedergesegnete Laute der Barden:<BR>
Da folgt das horchende Menschenkind<BR>
Den Geistern. p. 5.</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Dieser dem Motto der "Leipziger Allgemeinen Zeitung" entlehnte "GOTT", der auf den Juden Rothschild, schon weil er dreieinig ist, keinen Effekt macht, &uuml;bt dagegen auf die deutsche Jugend ganz magische Wirkungen aus.</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Es mahnt die wiedergenesene Jugend<BR>
...................................................................<BR>
Und der Begeisterung zeugender Samen<BR>
Geht auf in hundert herrlichen Namen. p. 6.</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Rothschild urteilt anders &uuml;ber die deutschen Poeten:</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Das Lied, was uns die Geister geboten,<BR>
Du nennst es Hunger nach Ruhm und Broten. [p. 6.]</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Trotzdem, da&szlig; die Jugend mahnt und ihre hundert herrlichen Namen aufgehen, deren Herrlichkeit eben darin besteht, da&szlig; sie bei der blo&szlig;en Begei- <A NAME="S209"><B>&lt;209&gt;</A></B> sterung stehenbleiben, trotzdem, da&szlig; "mutig zum Kampf die H&ouml;rner blasen", da&szlig; "das Herz so laut in der Nacht pocht".</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Das t&ouml;richte Herz, es f&uuml;hlt die Bedr&auml;ngnis<BR>
Von einer g&ouml;ttlichen Empf&auml;ngnis. p. 7.</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Dies t&ouml;richte Herz, diese Jungfrau Maria! - trotzdem,</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>da&szlig; Die Jugend, ein finstrer <I>Saul </I>(von Karl Beck,<BR>
Leipzig bei Engelmann 1840),<BR>
Mit GOTT und mit sich selber grollt [p. 8],</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>trotz alledem und alledem h&auml;lt Rothschild den bewaffneten Frieden aufrecht, der nach Becks Glauben von ihm allein abh&auml;ngt.</P>
<P>Die Zeitungsnachricht, da&szlig; der heilige Kirchenstaat Rothschild den Erl&ouml;serorden geschickt hat, bietet unserem Dichter Gelegenheit nachzuweisen, da&szlig; Rothschild kein Erl&ouml;ser ist, wie sie ebensogut zu dem gleich interessanten Beweis Anla&szlig; geben konnte, da&szlig; Christus zwar ein Erl&ouml;ser, aber dennoch kein Ritter des Erl&ouml;serordens war.</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Du ein Erl&ouml;ser? p. 11.</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Und er beweist ihm nun, da&szlig; er nicht in bitterer Nacht, wie Christus, <I>rang</I>, da&szlig; er nie hingeopfert habe die stolze, die irdische Macht</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>F&uuml;r eine milde, begl&uuml;ckende Sendung,<BR>
Vom gro&szlig;en GEIST dir anvertraut. p. 11.</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Man mu&szlig; dem gro&szlig;en GEIST nachsagen, da&szlig; er nicht viel Geist in der Auswahl seiner Mission&auml;re beweist und sich wegen <I>milden </I>Stiftungen an den unrechten Mann adressiert. Das einzig <I>Gro&szlig;e </I>an ihm sind die Buchstaben.</P>
<P>Das wenige Talent Rothschilds zum Erl&ouml;ser wird ihm nun an drei F&auml;llen ausf&uuml;hrlich nachgewiesen: an seinem Benehmen gegen&uuml;ber der Julirevolution, den Polen und den Juden.</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Auf stand das mutige Frankenkind, p. 12,</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>mit einem Wort, die Julirevolution brach aus.</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Warst du bereit? Erklang dein Gold<BR>
Wie Lerchengezwitscher jubelnd und hold<BR>
Zum Lenz, der in der Welt sich r&uuml;hrte?<BR>
Der, was an sehnlichen W&uuml;nschen tief<BR>
In unsrer Brust versch&uuml;ttet schlief,<BR>
Verj&uuml;ngt zur&uuml;ck ins Leben f&uuml;hrte? p. 12.</P></DIR>
</DIR>
</FONT><B><P><A NAME="S210">&lt;210&gt;</A></B> Der Lenz, der sich r&uuml;hrte, war der Lenz der Bourgeois, dem allerdings das Gold, Rothschilds Gold so gut wie jedes andere, wie Lerchengezwitscher jubelnd und hold erklingt. Allerdings, die W&uuml;nsche, die w&auml;hrend der Restauration nicht nur in der Brust, sondern auch in den Carbonari-Venten versch&uuml;ttet schliefen, wurden damals verj&uuml;ngt ins Leben gef&uuml;hrt, und Becks <I>armer Mann </I>hatte das Nachsehen. Sobald &uuml;brigens Rothschild von den soliden Basen der neuen Regierung sich &uuml;berzeugt hatte, lie&szlig; er unbedenklich seine Lerchen zwitschern - gegen &uuml;bliche Zinsen - versteht sich.</P>
<P>Becks g&auml;nzliche Befangenheit in den kleinb&uuml;rgerlichen Illusionen beweist die Apotheose Laffittes gegen&uuml;ber Rothschild:</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Dicht rankt sich an deine beneideten Hallen<BR>
Ein heiliggesprochenes B&uuml;rgerhaus, p. 13,</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P ALIGN="JUSTIFY">n&auml;mlich das Laffittes. Der begeisterte Kleinb&uuml;rger ist stolz auf die B&uuml;rgerlichkeit seines Hauses gegen&uuml;ber den beneideten Hallen des Hotel Rothschild. Sein Ideal, der Laffitte seiner Einbildung, mu&szlig; nat&uuml;rlich auch recht einfach b&uuml;rgerlich wohnen; das Hotel Laffitte schrumpft zusammen zu einem deutschen B&uuml;rgerhaus. Laffitte selbst wird geschildert als ein segnend Waltender, Herzensreiner, wird verglichen mit Mucius Sc&auml;vola, soll sein Verm&ouml;gen geopfert haben, um <I>den </I>Menschen und das Jahrhundert (denkt Beck vielleicht an den Pariser "Si&egrave;cle"?) auf den Strumpf zu bringen. Ein schw&auml;rmender Knabe wird er genannt, schlie&szlig;lich ein Bettler. Sein Begr&auml;bnis wird r&uuml;hrend geschildert:</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Es ging im Leichenzuge mit<BR>
Ged&auml;mpften Schritts die Marseillaise. p. 14.</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Neben der Marseillaise marschierten die Wagen der k&ouml;niglichen Familie und dicht hinter ihnen Herr Sauzet, Herr Duch&acirc;tel und s&auml;mtliche ventrus und loups-cerviers &lt;B&auml;uche und habgierige Wucherer&gt; der Deputiertenkammer.</P>
<P>Wie aber mu&szlig; die Marseillaise erst ihren Schritt <I>ged&auml;mpft </I>haben, als Laffitte nach der Julirevolution seinen Komp&egrave;re &lt;vom Franz&ouml;sischen "comp&egrave;re", doppelsinnig: einerseits Gevatter, andererseits Komplice&gt;, den Herzog von Orleans, im Triumph auf das Hotel de Ville &lt;Pariser Rathaus&gt; f&uuml;hrte und das frappante Wort aussprach, da&szlig; <I>von nun an die Bankiers herrschen w&uuml;rden</I>?</P>
<P>Bei den <I>Polen </I>beschr&auml;nken sich die Vorw&uuml;rfe ganz darauf, da&szlig; Rothschild nicht wohlt&auml;tig genug gegen die Emigration gewesen sei. Hier wird der Angriff auf Rothschild zu einer ganz kleinst&auml;dtischen Anekdote und verliert allen Schein eines Angriffs auf die in Rothschild repr&auml;sentierte Geldmacht <A NAME="S211"><B>&lt;211&gt;</A></B> &uuml;berhaupt. Die Bourgeois haben bekanntlich &uuml;berall, wo sie herrschen, die Polen sehr liebreich und sogar enthusiastisch empfangen.</P>
<P>Ein Beispiel des Katzenjammers: Ein Pole tritt auf, bettelt und betet. Rothschild gibt ihm einen Silberling, der Pole</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Nimmt freudezitternd das Silberst&uuml;ck<BR>
Und segnet dich und deinen Samen [p. 16],</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>eine Lage, wovor das Polen-Comit&eacute; in Paris die Polen bisher im ganzen sichergestellt hat. Der ganze Auftritt mit den Polen dient unserm Poeten nur dazu, sich selbst in Positur zu werfen:</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Ich aber schleudre des Bettlers Gl&uuml;ck<BR>
Ver&auml;chtlich in deinen Beutel zur&uuml;ck.<BR>
In der beleidigten Menschheit Namen! p. 16.</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>zu welchem Treffer in den Beutel gro&szlig;e &Uuml;bung und Geschicklichkeit im Werfen geh&ouml;rt. Schlie&szlig;lich stellt sich Beck von einer Klage wegen Realinjurie sicher, indem er nicht im eigenen Namen, sondern in dem der Menschheit funktioniert.</P>
<P>Schon p. 9 wurde Rothschild aufgemutzt, da&szlig; er den B&uuml;rgerbrief aus &Ouml;sterreichs fetter Kaiserstadt angenommen hat,</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Wo dein gehetzter Glaubensgenosse<BR>
Sein Licht und seine Luft bezahlt.</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Ja, Beck glaubt, da&szlig; Rothschild mit diesem Wiener B&uuml;rgerbrief der Freien Gl&uuml;ck erworben hat.</P>
<P>Jetzt wird p. 19 die Frage an ihn gestellt:</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Hast du den eignen Stamm befreit,<BR>
Der ewig hofft und ewig duldet?</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Rothschild h&auml;tte also der Erl&ouml;ser der Juden werden sollen. Und wie sollte Rothschild dies anfangen? Die Juden hatten ihn zum <I>K&ouml;nig </I>gew&auml;hlt, weil er das schwerste Gold besa&szlig;. Er h&auml;tte sie lehren sollen, wie man das Gold verachtet, "wie man f&uuml;rs Wohl der Welt entbehrt". p. 21.</P>
<P>Er h&auml;tte die Eigenliebe, die List und den Wucher aus ihrem Ged&auml;chtnis streichen, mit einem Wort, er h&auml;tte als Moral- und Bu&szlig;prediger im Sack und in der Asche auftreten sollen. Die brave Forderung unseres Poeten ist dieselbe, als wenn er von Louis-Philippe verlangte, er solle den Bourgeois der Julirevolution lehren, das Eigentum abzuschaffen. Wenn beide so verr&uuml;ckt w&auml;ren, so w&uuml;rden sie alsbald ihre Macht verlieren, aber weder die Juden den <A NAME="S212"><B>&lt;212&gt;</A></B> Schacher, noch die Bourgeois das Eigentum sich aus dem Ged&auml;chtnis streichen.</P>
<P>p. 24 wird dem Rothschild vorgeworfen, da&szlig; er des B&uuml;rgers Mark aussaugt, als w&auml;re es nicht w&uuml;nschenswert, da&szlig; dem B&uuml;rger das Mark ausgesogen wird.</P>
<P>p. 25 soll er die F&uuml;rsten verf&uuml;hrt haben. <I>Sollen </I>sie nicht <I>verf&uuml;hrt </I>werden?</P>
<P>Wir haben schon Beweise genug gehabt von der m&auml;rchenhaften Macht, die Beck dem Rothschild andichtet. Aber es geht immer crescendo &lt;ansteigend&gt;. Nachdem er sich p. 26 in Phantasien ergangen hat, was er (Beck) nicht alles tun w&uuml;rde, wenn er Propri&eacute;taire &lt;Eigent&uuml;mer&gt; der <I>Sonne </I>w&auml;re, n&auml;mlich noch nicht den hundertsten Teil von dem, was die Sonne ohne ihn tut - f&auml;llt ihm pl&ouml;tzlich ein, da&szlig; Rothschild nicht allein der <I>S&uuml;nder </I>ist, sondern neben ihm auch noch andere Reiche existieren. Allein:</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Du sa&szlig;est beredt im Lehrerstuhle,<BR>
Es lernten die Reichen in deiner Schule;<BR>
Du mu&szlig;test sie f&uuml;hren ins Leben hinein,<BR>
Du konntest ihr Gewissen sein.<BR>
Sie sind verwildert - du hast es geduldet,<BR>
Sie sind verworfen - du hast es verschuldet. p. 27.</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Also die Entwickelung des Handels und der Industrie, die Konkurrenz, die Konzentration des Eigentums, die Staatsschulden und Agiotage &lt;das B&ouml;rsenspiel&gt;, kurz die ganze Entwickelung der modernen b&uuml;rgerlichen Gesellschaft h&auml;tte Herr von Rothschild verhindern k&ouml;nnen, wenn er nur etwas <I>gewissenhafter </I>gewesen w&auml;re. Es geh&ouml;rt wirklich toute la d&eacute;solante naivet&eacute; de la po&eacute;sie allemande &lt;die ganze trostlose Naivit&auml;t der deutschen Dichtkunst&gt; dazu, um zu wagen, solche Ammenm&auml;rchen drucken zu lassen. Rothschild wird f&ouml;rmlich in Aladdin verwandelt.</P>
<P>Noch nicht zufrieden, verleiht Beck dem Rothschild</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Der Sendung schwindelnde Gr&ouml;&szlig;e,<BR>
.............................................................<BR>
zu lindern <I>der Welt gesamte Leiden </I>[p. 28],</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>eine Sendung, welche alle Kapitalisten der ganzen Welt zusammen nicht im entferntesten zu erf&uuml;llen verm&ouml;gen. Sieht unser Dichter denn nicht, da&szlig; er um so l&auml;cherlicher wird, je erhabener und gewaltiger er werden will? da&szlig; alle seine Vorw&uuml;rfe gegen Rothschild in die h&uuml;ndischsten Schmeicheleien umschlagen? da&szlig; er die Macht Rothschilds auf eine Weise feiert, wie sie der <A NAME="S213"><B>&lt;213&gt;</A></B> durchtriebenste Panegyriker nicht feiern k&ouml;nnte? Rothschild mu&szlig; sich selbst Beifall zuklatschen, wenn er sieht, als welche gigantische Schreckgestalt seine kleine Pers&ouml;nlichkeit im Hirn eines deutschen Poeten sich widerspiegelt.</P>
<P>Nachdem unser Poet sich bisher die romanhaften und unwissenden Phantasien eines deutschen Kleinb&uuml;rgers &uuml;ber die Macht eines gro&szlig;en Kapitalisten, wenn er nur guten Willen h&auml;tte, versifiziert hat, nachdem er die Phantasie dieser Macht aufs H&ouml;chste geschwindelt hat in seiner Sendung schwindelnder Gr&ouml;&szlig;e, spricht er die moralische Entr&uuml;stung des Kleinb&uuml;rgers &uuml;ber den Abstand zwischen Ideal und Wirklichkeit in einem pathetischen Paroxysmus aus, der sogar die Lachmuskeln eines pennsylvanischen Qu&auml;kers in krampfhafte Aktion setzen w&uuml;rde:</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Weh mir, wenn ich in langer Nacht (21. Dezember)<BR>
Mit hei&szlig;er Stirn es durchgedacht<BR>
..........................................................<BR>
Dann hob sich <I>b&auml;umend </I>meine Locke,<BR>
Mir war's, als ri&szlig; ich an GOTTES Herzen,<BR>
Ein Gl&ouml;ckner an der Feuerglocke p. 28,</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>was dem alten Mann gewi&szlig; der letzte Nagel an seinem Sarge war. Er glaubt, die "Geister der Geschichte" h&auml;tten ihm da Gedanken anvertraut, die er noch leise noch laut sagen <I>d&uuml;rfe</I>. Ja, er kommt zu dem verzweifelten Entschlu&szlig;, in seinem Grabe noch den Cancan zu tanzen:</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Doch einst im modernden Leichentuch<BR>
Wird wonnig schaudern mein Gerippe,<BR>
Wenn nieder zu mir (dem Gerippe) die Kunde taucht,<BR>
Da&szlig; auf den Alt&auml;ren das Opfer raucht. p. 29.</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Der Knabe Karl f&auml;ngt an, mir f&uuml;rchterlich zu werden</P>
<P>Der Gesang &uuml;ber das Haus Rothschild w&auml;re geschlossen. Folgt nun, wie gew&ouml;hnlich bei den <I>modernen </I>Lyrikern, eine gereimte Reflektion &uuml;ber diesen Gesang und die Rolle, die der Dichter in ihm gespielt hat.</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Ich wei&szlig;, es kann<BR>
Dein m&auml;chtiger Arm mich blutig schlagen p. 30,</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>d.h. ihm f&uuml;nfzig aufz&auml;hlen lassen. Der &Ouml;sterreicher vergi&szlig;t den Haselstock nie. Dieser Gefahr gegen&uuml;ber st&auml;rkt ihn das Hochgef&uuml;hl:</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Wie's GOTT <I>befahl </I>und sonder Zagen,<BR>
So sang ich offen, was ich sann. [p. 30.]</P></DIR>
</DIR>
</FONT><B><P><A NAME="S214">&lt;214&gt;</A></B> Der deutsche Poet singt immer auf Befehl. Nat&uuml;rlich, der Herr ist verantwortlich, nicht der Knecht, und so hat Rothschild es mit GOTT zu tun, nicht mit Beck, seinem Knecht. Es ist &uuml;berhaupt die Methode der <I>modernen </I>Lyriker:</P>
<P>1. mit der Gefahr zu renommieren, der sie sich in ihren harmlosen Ges&auml;ngen auszusetzen glauben;</P>
<P>2. Pr&uuml;gel zu bekommen und sich dann Gott zu befehlen.</P>
<P>Das Lied "An das Haus Rothschild" schlie&szlig;t mit einigen Hochgef&uuml;hlen &uuml;ber eben dasselbe Lied, dem hier verleumderisch nachgesagt wird:</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Frei ist's und stolz, es darf dich meistern,<BR>
Dir sagen, worauf es gl&auml;ubig schw&ouml;rt p. 32,</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>n&auml;mlich auf seine eigene, in diesem Schlu&szlig; nachgewiesene Vortrefflichkeit. Wir f&uuml;rchten, da&szlig; Rothschild den Beck nicht wegen des Liedes, sondern wegen dieses Meineides den Gerichten denunzieren wird.</P>
<FONT SIZE=2><P ALIGN="RIGHT">["Deutsche-Br&uuml;sseler-Zeitung" Nr. 74 vom 16. September 1847]</P>
</FONT><P ALIGN="CENTER">O, streutet Ihr den goldenen Segen!</P>
<P>Die Reichen werden aufgefordert, dem <I>D&uuml;rftigen </I>eine Unterst&uuml;tzung angedeihen zu lassen,</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Bis dir der Flei&szlig; ein sicheres Habe<BR>
F&uuml;r Weib und Kind gewann. [p. 35.]</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Und alles dies geschehe:</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Da&szlig; du <I>gut </I>verbleiben k&ouml;nnest,<BR>
Ein <I>B&uuml;rger</I> und ein <I>Mann</I>, [p .35]</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>also summa summarum ein guter <I>B&uuml;rgersmann</I>. Beck ist hiermit auf sein Ideal reduziert.</P>
<P ALIGN="CENTER">Knecht und Magd</P>
<P>Der Poet besingt zwei gottgef&auml;llige Seelen, die, wie h&ouml;chst langweilig beschrieben wird, erst nach vielj&auml;hrigem Knickern und moralischem Lebenswandel dazu kommen, ein keusches Ehebett zu besteigen.</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Sich k&uuml;ssen? sie t&auml;ten es sch&auml;mig! Sich necken? sie t&auml;ten es leise!<BR>
Ach, Blumen waren es wohl, doch waren es Blumen im Eise;<BR>
<A NAME="S215"><B>&lt;215&gt;</A></B> Ein Tanz auf Kr&uuml;cken, O Gott! ein armer versp&auml;teter Falter,<BR>
Der halb ein bl&uuml;hendes Kind und halb ein verwelkender Alter. [p. 50.]</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Statt mit dieser einzigen guten Strophe im ganzen Gedicht zu schlie&szlig;en, l&auml;&szlig;t er sie hinterher noch jauchzen und beben, und zwar aus Freude am kleinen Eigentum, da&szlig; "am <I>eigenen </I>Herd die <I>eigenen </I>Pf&uuml;hle sich heben", eine Phrase, die nicht ironisch, sondern mit ernsten Wehmutstr&auml;nen ausgesprochen wird. Aber auch damit noch nicht:</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Nur Gott ist ihr Herr, der die Sterne beruft, zu leuchten, wenn's nachtet,<BR>
Den Knecht, der die Kette zerbricht, mit seligem Auge betrachtet. [p. 50.]</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Somit w&auml;re denn alle Pointe gl&uuml;cklich abgebrochen. Der Kleinmut und die Unsicherheit Becks verraten sich immer darin, da&szlig; er jedes Gedicht m&ouml;glichst lang ausspinnt und nie enden kann, bis er durch eine Sentimentalit&auml;t seine Kleinb&uuml;rgerei dokumentiert hat. Die Kleistschen Hexameter scheinen absichtlich gew&auml;hlt zu sein, um den Leser dieselbe Langeweile ertragen zu lassen, die die beiden Liebenden w&auml;hrend ihrer langen Pr&uuml;fungszeit sich durch ihre feige Moralit&auml;t zuziehen.</P>
<P ALIGN="CENTER">Der Tr&ouml;deljude</P>
<P>In der Beschreibung des Tr&ouml;deljuden finden sich einige naive, nette Sachen, z.B.:</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Die Woche flieht, die Woche bietet<BR>
Nur f&uuml;nf der Tage deinem Flei&szlig;.<BR>
O, spute dich, du Atemloser,<BR>
Wirb, wirb um deinen Tagelohn.<BR>
Am Samstag will es nicht der <I>Vater</I>,<BR>
Am Sonntag will es nicht der <I>Sohn</I>. [p. 55]</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Sp&auml;ter aber verf&auml;llt Beck ganz in den liberal-jugdeutschen Judensabbel. Die Poesie h&ouml;rt so sehr auf, da&szlig; man glauben k&ouml;nnte, eine skroful&ouml;se Rede der skroful&ouml;sen s&auml;chsischen St&auml;nde-Kammer zu h&ouml;ren: Du kannst nicht Handwerker werden, nicht "Kr&auml;mermeister", nicht Ackerbauer, nicht Professor, aber die medizinische Karriere steht dir frei. Dies wird poetisch so ausgedr&uuml;ckt:</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Sie g&ouml;nnen dir kein Handgewerke,<BR>
Sie g&ouml;nnen dir kein Ackerfeld.<BR>
Du darfst ja nicht zur Jugend sprechen<BR>
Von eines Lehrers hohem Pf&uuml;hl;<BR>
........................................................<BR>
Du darfst im Land die Kranken heilen. [p. 57.]</P></DIR>
</DIR>
</FONT><B><P><A NAME="S216">&lt;216&gt;</A></B> K&ouml;nnte man in dieser Weise nicht die preu&szlig;ische Gesetzsammlung in Verse setzen und Herrn Ludewigs von Baierland Verse in Musik?</P>
<P>Nachdem der Jude seinem Sohn vordeklamiert:</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Du mu&szlig;t ja schaffen, mu&szlig;t erraffen<BR>
In steter Gier nach Gut und Geld, [p. 57]</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>tr&ouml;stet er ihn:</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Doch <I>ehrlich </I>bleibst du fort und fort. [p. 58.]</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P ALIGN="CENTER">Lorelei</P>
<P>Diese Lorelei ist niemand anders als das Gold.</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Da trat in des Gem&uuml;tes Reinheit<BR>
Mit breiten Wogen die Gemeinheit,<BR>
Und jedes Heil ertrank. [p. 64.]</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>In dieser Gem&uuml;tss&uuml;ndflut und dem Ertrinken des Heils liegt eine h&ouml;chst niederschlagende Mischung von Plattheit und Bombast. Folgen triviale Tiraden &uuml;ber die Verwerflichkeit und Immoralit&auml;t des Geldes.</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Sie (die Minne) sp&auml;ht nach Talern, nach Juwelen,<BR>
Nach Herzen nicht und gleichen Seelen,<BR>
Und eines H&uuml;ttleins Raum. [p. 67.]</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>H&auml;tte das Geld nicht mehr getan, als das deutsche Sp&auml;hen nach Herzen und gleichen Seelen und der Schillerschen <I>kleinsten H&uuml;tte, </I>in der f&uuml;r ein gl&uuml;cklich liebend Paar Raum ist, um den Kredit zu bringen, so w&auml;ren seine revolution&auml;ren Wirkungen schon anzuerkennen.</P>
<P ALIGN="CENTER">Trommellied</P>
<P>In diesem Gedicht zeigt unser sozialistischer Poet wieder, wie er durch seine Befangenheit in der deutschen Kleinb&uuml;rgermis&egrave;re fortw&auml;hrend gezwungen wird, den wenigen Effekt zu verderben, den er hervorbringt.</P>
<P>Es zieht ein Regiment mit klingendem Spiele aus. Das Volk fordert die Soldaten auf, mit ihm gemeinschaftliche Sache zu machen. Man freut sich, da&szlig; der Dichter endlich Mut fa&szlig;t. Aber, o weh, schlie&szlig;lich erf&auml;hrt man, da&szlig; es sich blo&szlig; um Kaisers Namenstag handelt und die Anrede des Volks nur die tr&auml;umerische, verheimlichte Improvisation eines J&uuml;nglings bei der Parade ist. Wahrscheinlich eines Gymnasiasten:</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>So tr&auml;umt ein J&uuml;ngling, dem's Herze brennt. [p. 76.]</P></DIR>
</DIR>
</FONT><B><P><A NAME="S217">&lt;217&gt;</A></B> W&auml;hrend derselbe Stoff mit derselben Pointe, von Heine behandelt, die bitterste Satire auf das deutsche Volk enthalten w&uuml;rde, kommt bei Beck nur eine Satire auf den Dichter selbst heraus, der sich selbst mit dem ohnm&auml;chtig schw&auml;rmenden J&uuml;ngling identifiziert. Bei Heine werden die Schw&auml;rmereien des B&uuml;rgers absichtlich in die H&ouml;he geschraubt, um sie nachher ebenso absichtlich in die Wirklichkeit herabfallen zu lassen, bei Beck ist es der Dichter selbst, der sich diesen Phantasien assoziiert und nat&uuml;rlich auch den Schaden mit tr&auml;gt, wenn er in die Wirklichkeit herunterst&uuml;rzt. Bei dem einen f&uuml;hlt sich der B&uuml;rger emp&ouml;rt &uuml;ber die Keckheit des Dichters, bei dem andern beruhigt durch seine Seelenverwandtschaft mit ihm. Die Prager Insurrektion bot ihm &uuml;brigens Gelegenheit, ganz andere Dinge als diese Farce zu reproduzieren.</P>
<P ALIGN="CENTER">Der Auswanderer</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Ich brach den Zweig vom Stamme,<BR>
Der F&ouml;rster gab Rapport,<BR>
Da band der Herr mich stramme<BR>
Und schlug mir diese Schramme. [p. 86.]</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Fehlt nur noch, da&szlig; auch der <I>Rapport </I>in &auml;hnlichen Versen vorgetragen wird.</P>
<P ALIGN="CENTER">Der Stelzfu&szlig;</P>
<P>Hier sucht der Dichter zu erz&auml;hlen und scheitert auf eine wirklich j&auml;mmerliche Weise. Diese vollendete Ohnmacht zu erz&auml;hlen und darzustellen, die sich in dem ganzen Buch zeigt, ist charakteristisch f&uuml;r die Poesie des wahren Sozialismus. Der wahre Sozialismus bietet in seiner Unbestimmtheit keine Gelegenheit, einzelne zu erz&auml;hlende Fakta an allgemeine Verh&auml;ltnisse anzukn&uuml;pfen und ihnen dadurch die frappante, bedeutende Seite abzugewinnen. Die wahren Sozialisten h&uuml;ten sich deshalb auch in ihrer Prosa sehr vor der Geschichte. Wo<I> </I>sie ihr nicht entgehen k&ouml;nnen, begn&uuml;gen sie sich damit, entweder philosophisch zu konstruieren oder einzelne Ungl&uuml;cksf&auml;lle und <I>soziale Casus </I>in ein trockenes und langweiliges Register einzutragen. Auch geht ihnen allen in Prosa und Poesie das zum Erz&auml;hlen n&ouml;tige Talent ab, was mit der Unbestimmtheit ihrer ganzen Anschauungsweise zusammenh&auml;ngt.</P>
<P ALIGN="CENTER">Die Kartoffel</P>
<FONT SIZE=2><P ALIGN="RIGHT">Melodie: "Morgenrot, Morgenrot!"</P><DIR>
<DIR>
<B><P><A NAME="S218">&lt;218&gt;</A></B> Heilig Brot!<BR>
Da&szlig; du kamst f&uuml;r unsre Not.<BR>
Da&szlig; du kamst <I>um Himmels Willen<BR>
</I>In die Welt, das Volk zu stillen -<BR>
Fahre wohl, du bist nun tot! [p. 105.]</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>In der zweiten Strophe hei&szlig;t er die Kartoffel:</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>... den kleinen Rest,<BR>
Der aus Eden uns geblieben,</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>und charakterisiert die Kartoffelkrankheit:</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Unter Engeln tobt die Pest!</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>&nbsp;In der dritten Strophe r&auml;t Beck dem <I>armen Mann, </I>Trauer anzulegen:</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Armer Mann!<BR>
Gehe hin, leg Trauer an.<BR>
V&ouml;llig bist du nun gerichtet,<BR>
Ach, dein Letztes ist vernichtet.<BR>
<I>Weine, wer noch weinen kann!</P>
</I><P>Tot im Sand<BR>
Liegt dein Gott, du trauernd Land.<BR>
La&szlig; jedoch den Trost dir sagen:<BR>
Kein Erl&ouml;ser ward erschlagen,<BR>
Der nicht wieder auferstand! [p. 106.]</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Weine, wer da weinen kann, mit dem Dichter! W&auml;re er nicht so arm an Energie, wie sein <I>armer Mann </I>an gesunden Kartoffeln, so w&uuml;rde er sich &uuml;ber den Stoff gefreut haben, den die Kartoffel, dieser Bourgeoisgott, einer der Pivots &lt;Drehpunkte&gt; der bestehenden b&uuml;rgerlichen Gesellschaft, vorigen Herbst erhielt. Die Grundbesitzer und B&uuml;rgersleute Deutschlands h&auml;tten dies Gedicht ohne Schaden in den Kirchen absingen lassen k&ouml;nnen.</P>
<P>Beck verdient f&uuml;r diesen Effort einen Kranz von Kartoffelbl&uuml;ten.</P>
<P ALIGN="CENTER">Die alte Jungfer</P>
<P>Wir gehen auf dies Gedicht nicht n&auml;her ein, da es gar kein Ende nimmt und sich in uns&auml;glich langweiliger Breite &uuml;ber volle neunzig Seiten ausdehnt.</P>
<B><P><A NAME="S219">&lt;219&gt;</A></B> Die alte Jungfer, die in zivilisierten L&auml;ndern meist nur nominell vorkommt, ist in Deutschland allerdings ein bedeutender "sozialer Casus".</P>
<P>Die allergew&ouml;hnlichste Manier, sozialistisch.selbstgef&auml;llig zu reflektieren, besteht darin, zu sagen, es sei alles gut, wenn nur nicht auf der andern Seite die Armen w&auml;ren. Bei jedem beliebigen Stoff kann diese Reflexion angestellt werden. Der eigentliche Gehalt dieser Reflexion ist die philanthropisch-heuchlerische Kleinb&uuml;rgerlichkeit, die mit den <I>positiven </I>Seiten der bestehenden Gesellschaft vollkommen einverstanden ist und nur dar&uuml;ber jammert, da&szlig; auch die <I>negative </I>Seite der Armut daneben besteht, die &uuml;ber und &uuml;ber in der gegenw&auml;rtigen Gesellschaft befangen ist und nur w&uuml;nscht, da&szlig; diese Gesellschaft <I>ohne ihre Existenzbedingungen </I>fortexistieren m&ouml;ge.</P>
<P>Beck stellt in diesem Gedicht diese Reflexion oft m&ouml;glichst trivial an, z.B. bei Gelegenheit des Christfestes:</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>O Zeit, die mild des Menschen Herz erbaut,<BR>
Du w&auml;rest milder und doppelt traut -<BR>
Wenn nicht in der Brust des <I>armen </I>Buben,<BR>
Der elternlos in die festlichen Stuben<BR>
Des reichen Spielgenossen schaut,<BR>
Der Neid mit seiner ersten S&uuml;nde<BR>
Bei w&uuml;ster Gottesl&auml;sterung st&uuml;nde!<BR>
Ja .........................................................<BR>
.... s&uuml;&szlig;er, kl&auml;nge beim Weihnachtslicht<BR>
Der Kinder Jubel in meinem Geh&ouml;re,<BR>
Wenn nur in feuchten H&ouml;hlen nicht<BR>
Auf schlechter Streu das Elend fr&ouml;re. [p. 49.]</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Er finden sich &uuml;brigens sch&ouml;ne Einzelheiten in diesem formlosen und endlosen Gedicht, z.B. die Darstellung des Lumpenproletariats:</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Was t&auml;glich und unverdrossen<BR>
Nach Kehricht sucht in verpesteten Gossen;<BR>
Was wie der Spatz nach Futter schweift,<BR>
Was T&ouml;pfe flickt und Scheren schleift,<BR>
Was starren Fingers die W&auml;sche steift,<BR>
Was keuchend schiebt des Karrens Wucht,<BR>
Beladen mit kaum gereifter Frucht,<BR>
Und weinerlich singt: Wer kauft, wer kauft?<BR>
Was um den Heller im Schmutze rauft;<BR>
Was t&auml;glich an den Steinen der Ecken<BR>
Den Gott besingt, an den es glaubt,<BR>
Kaum wagt die H&auml;nde hinzustrecken,<BR>
<A NAME="S220"><B>&lt;220&gt;</A></B> Dieweil das Betteln nicht erlaubt;<BR>
Was tauben Ohrs in Hungers N&ouml;ten<BR>
Die Harfen spielt und bl&auml;st die Fl&ouml;ten,<BR>
Jahraus, jahrein denselben Chor -<BR>
Vor allen Fenstern, an jedem Tor -<BR>
Die Kindermagd zum Tanze stimmt,<BR>
Doch selber nicht das Lied vernimmt;<BR>
Was nachts die gro&szlig;e Stadt erhellt<BR>
Und selbst kein Licht im Hause hat;<BR>
Was Lasten tr&auml;gt, was Holz zerspellt,<BR>
Was herrenlos, was herrensatt;<BR>
Was beten und kuppeln und stehlen l&auml;uft,<BR>
Den Rest des Gewissens w&uuml;st vers&auml;uft. [p. 158-160.]</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Beck erhebt sich hier zum ersten Male &uuml;ber die gew&ouml;hnliche deutschb&uuml;rgerliche Moralit&auml;t, indem er diese Verse einem alten Bettler in den Mund legt, dessen Tochter seine Einwilligung zu einem Rendezvous mit einem Offizier verlangt. Er gibt ihr darauf in obigen Versen eine erbitterte Schilderung der Klassen, wozu ihr Kind dann geh&ouml;ren w&uuml;rde, greift seine Einwendungen aus ihrer unmittelbaren Lebenslage und h&auml;lt ihr keine Moralpredigt, was anzuerkennen ist.</P>
<P ALIGN="CENTER">Du sollst nicht stehlen</P>
<P>Der moralische Bediente eines Russen, den der Bediente selbst als braven Gebieter qualifiziert, bestiehlt seinen scheinbar schlummernden Herrn in der Nacht, um seinen alten Vater zu unterst&uuml;tzen. Der Russe schleicht ihm nach und sieht &uuml;ber seine Schultern, da er eben das nachfolgende Brieflein an denselbigen Alten richtet:</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Nimm das Geld! Ich hab' gestohlen!<BR>
Vater, bete zum Erl&ouml;ser,<BR>
Da&szlig; er mir von seinem Throne<BR>
Einst Verzeihung senden m&ouml;ge!<BR>
Schaffen will ich und verdienen,<BR>
Von der Streu den Schlummer hetzen,<BR>
Bis ich meinem braven Gebieter<BR>
Das Geraubte kann ersetzen. [p. 241.]</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Der brave Gebieter des moralischen Dienstboten ist so ger&uuml;hrt &uuml;ber diese furchtbaren Entdeckungen, da&szlig; er nicht sprechen kann, jedoch segnend seine Hand auf das Haupt des Knechtes legt.</P><DIR>
<DIR>
<B><FONT SIZE=2><P><A NAME="S221">&lt;221&gt;</A></B> Aber der ist eine <I>Leiche -<BR>
</I>Und <I>es brach sein Herz im Schrecken</I>. [p. 242.]</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Kann man etwas Komischeres schreiben? Beck sinkt hier unter Kotzebue und Iffland herab, die Bediententrag&ouml;die &uuml;bertrifft noch das b&uuml;rgerliche Trauerspiel.</P>
<P ALIGN="CENTER">Neue G&ouml;tter und alte Leiden</P>
<P>In diesem Gedicht werden Ronge, die Lichtfreunde, die Neujuden, der Barbier, die W&auml;scherin, der Leipziger B&uuml;rger mit seiner gelinden Freiheit oft treffend verh&ouml;hnt. Zum Schlu&szlig; verteidigt sich der Poet gegen die Philister, die ihn deshalb anklagen werden, obgleich auch er</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Das Lied vom Licht<BR>
In Sturm und Nacht hinausgesungen. [p. 298.]</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Er tr&auml;gt dann selbst eine sozialistisch modifizierte, auf eine Art von Naturdeismus begr&uuml;ndete Lehre der Bruderliebe und praktischen Religion vor und macht so eine Seite seiner Gegner gegen die andere geltend. So kann Beck nie enden, bis er sich selbst wieder verdorben hat, weil er selbst zu sehr in der deutschen Misere befangen ist und zuviel auf sich, auf den Dichter in seinem Dichten reflektiert. Der S&auml;nger ist &uuml;berhaupt wieder eine fabelhaft zugestutzte, abenteuerlich sich aufspreizende Figur bei den <I>modernen </I>Lyrikern. Er ist keine aktive, in der wirklichen Gesellschaft stehende Person, welche dichtet, sondern "<I>der </I>Dichter", der in den Wolken schwebt, welche Wolken aber nichts anderes sind als die nebelhaften Phantasien des deutschen B&uuml;rgers. - Beck f&auml;llt immer vom abenteuerlichsten Bombast in die allern&uuml;chternste B&uuml;rgerprosa und von einem kleinen kriegerischen Humor gegen die bestehenden Zust&auml;nde in ein sentimentales Abfinden mit ihnen. Jeden Augenblick ertappt er sich, da&szlig; er selbst es ist, de quo fabula narratur &lt;&uuml;ber den die Geschichte erz&auml;hlt wird&gt;. Seine Lieder wirken daher nicht revolution&auml;r, sondern wie</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Drei Brausep&uuml;lverchen,<BR>
Das Blut zu stillen. [p. 293.]</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Den Schlu&szlig; des ganzen Bandes bildet daher auch ganz passend der folgende schlaffe Jammer der Resignation:</P><DIR>
<DIR>
<I><FONT SIZE=2><P>Wann soll es auf der Erden,<BR>
O Gott, ertr&auml;<A NAME="S222">glich werden?<BR>
</I><B>&lt;222&gt;</A></B> Ich bin an <I>Sehnsucht </I>doppelt frisch,<BR>
Drum an Geduld ein doppelt M&uuml;der. [p. 324.]</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Beck hat unstreitig mehr Talent und urspr&uuml;nglich auch mehr Energie als die Mehrzahl des deutschen Literatenpacks. Sein einziges Leiden ist die deutsche Misere, zu deren theoretischen Formen auch der pomphaft-weinerliche Sozialismus und die jungdeutschen Reminiszenzen Becks geh&ouml;ren. Ehe nicht in Deutschland die gesellschaftlichen Gegens&auml;tze eine sch&auml;rfere Form erhalten haben durch eine bestimmtere Sonderung der Klassen und momentane Eroberung der politischen Herrschaft durch [die] Bourgeoisie, ist f&uuml;r einen deutschen Poeten in Deutschland selbst wenig zu hoffen. Einerseits ist es ihm in der deutschen Gesellschaft unm&ouml;glich, revolution&auml;r aufzutreten, weil die revolution&auml;ren Elemente selbst noch zu unentwickelt sind, andererseits wirkt die ihn von allen Seiten umgehende chronische Misere zu erschlaffend, als da&szlig; er sich dar&uuml;ber erheben, sich frei zu ihr verhalten und sie verspotten k&ouml;nnte, ohne selbst wieder in sie zur&uuml;ckzufallen. Einstweilen kann man allen deutschen Poeten, die noch einiges Talent haben, nichts raten, als auszuwandern in zivilisierte L&auml;nder.</P>
<FONT SIZE=2><P ALIGN="RIGHT">["Deutsche-Br&uuml;sseler-Zeitung" Nr. 93 vom 2l. November 1847]</P>
</FONT><P ALIGN="CENTER">2</P>
<I><P ALIGN="CENTER">Karl Gr&uuml;n: "&Uuml;ber Goethe vom menschlichen Standpunkte".<BR>
Darmstadt, 1846.</P>
</I><P>Herr Gr&uuml;n erholt sich von den Strapazen seiner "Sozialen <I>Bewegung </I>in Frankreich und Belgien", indem er einen Blick auf den sozialen <I>Stillstand </I>seines Vaterlandes wirft. Er sieht sich zur Abwechselung einmal den alten Goethe "vom menschlichen Standpunkte" an. Er hat seine Siebenmeilenstiefel mit Pantoffeln vertauscht, sich in den Schlafrock geworfen und dehnt sich selbstzufrieden in seinem Armsessel:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Wir schreiben keinen Kommentar, nur was auf der Hand liegt, nehmen wir mit." p. 244.</P>
</FONT><P>Er hat sich's recht behaglich gemacht:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Rosen und Kamelien hatte ich mir ins Zimmer gesetzt, Reseda und Veilchen ins offene Fenster", p. III. "Und vor allem keine Kommentare! ... Sondern hier, die s&auml;mtlichen Werke auf den Tisch und etwas Rosen- und Resedaduft ins Zimmer! Wir wollen sehen, wie weit wir damit kommen ... Ein Schuft gibt mehr als er hat!" p. IV, V.</P>
</FONT><B><P><A NAME="S223">&lt;223&gt;</A></B> Bei aller Nonchalance verrichtet Herr Gr&uuml;n indes die gr&ouml;&szlig;ten Heldentaten in diesem Buche. Aber das wird uns nicht wundern, nachdem wir von ihm selbst geh&ouml;rt haben, da&szlig; er der Mann ist, der "an der <I>Nichtigkeit </I>der &ouml;ffentlichen und Privatverh&auml;ltnisse verzweifeln wollte" (p. III), der "Goethes Z&uuml;gel empfand, wenn er sich im &Uuml;berschwenglichen und Unf&ouml;rmlichen zu verlieren drohte" (ibid.), der "das Vollgef&uuml;hl menschlicher Bestimmung" in sich tr&auml;gt, "der unsere Seele geh&ouml;rt - und ging' es in die H&ouml;lle!" (p. IV.) Wir wundern uns &uuml;ber nichts mehr, nachdem wir erfahren haben, da&szlig; er schon fr&uuml;her "einmal eine Frage an den Feuerbachschen Menschen gerichtet" hat, die zwar "leicht zu beantworten" war, aber doch f&uuml;r den besagten Menschen zu schwierig gewesen zu sein scheint (p. 277); wenn wir sehen, wie Herr Gr&uuml;n p. 198 das "Selbstbewu&szlig;tsein aus einer Sackgasse holt", p. 102 sogar "an den Hof des russischen Kaisers" gehen will und p. 305 mit Donnerstimme in die Welt hinausruft: "Wer durch ein Gesetz einen neuen Zustand aussprechen will, welcher dauern soll, <I>der sei Anathema</I>!" Wir sind aufs &auml;u&szlig;erste gefa&szlig;t, wenn Herr Gr&uuml;n p. 187 unternimmt, "seine Nasenspitze an den Idealismus zu legen" und ihn "zum Stra&szlig;enjungen zu machen", wenn er darauf spekuliert, "Eigent&uuml;mer zu werden", ein "reicher, reicher Eigent&uuml;mer, den Zensus zahlen zu k&ouml;nnen, um in die Repr&auml;sentantenkammer der Menschheit einzur&uuml;cken, um auf die Liste der Geschwornen zu kommen, welche &uuml;ber menschlich und unmenschlich entscheiden".</P>
<P>Wie sollte ihm das nicht gelingen, ihm, der "auf dem namenlosen Grund des allgemeinen Menschlichen" steht? (p. 182.) Ihn schrecken nicht einmal "die Nacht und ihre <I>Greuel</I>" (p. 312), als da sind Mord, Ehebruch, Dieberei, Hurerei, Unzucht und hoff&auml;rtiges Wesen. Freilich gesteht er p. 99 ein, er habe auch schon "den unendlichen Schmerz empfunden, wenn der Mensch sich auf dem Punkte seiner Nichtigkeit ertappt", freilich "ertappt" er sich vor den Augen des Publikums auf diesem "Punkte", bei Gelegenheit des Satzes:</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Du gleichst dem Geist, den Du begreifst,<BR>
Nicht mir -</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>und zwar folgenderma&szlig;en:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Dies Wort ist, wie wenn Blitz und Donner zusammenfallen und zu gleicher Zeit Erde sich auft&auml;te. In diesem Wort ist der Vorhang am Tempel zerrissen, die Gr&auml;ber tun sich auf ... die G&ouml;tterd&auml;mmerung ist hereingebrochen und das alte Chaos ... die Sterne fahren widereinander, ein einziger Kometenschwanz brennt im Nu die kleine Erde weg, und alles, was ist, ist nur noch Qualm und Rauch und Dunst. Und wenn man sich die gr&auml;&szlig;lichste Zerst&ouml;rung denkt, ... so ist das alles <I>noch gar nichts </I>gegen die Vernichtung. die in diesen neun W&ouml;rtern liegt!" p. 235, 236.]</P>
</FONT><B><P><A NAME="S224">&lt;224&gt;</A></B> Freilich, "an der aller&auml;u&szlig;ersten Grenze der Theorie", n&auml;mlich auf p. 295, "l&auml;uft es" dem Herrn Gr&uuml;n "wie eiskaltes Wasser den R&uuml;cken hinab, ein wahrer Schrecken durchzittert seine Glieder" - aber in dem allen &uuml;berwindet er weit, denn er ist ja Mitglied "des gro&szlig;en Freimaurerordens der Menschheit"! (p. 317.)</P>
<P>Take it all in all &lt;Alles in allem genommen&gt;, so wird Herr Gr&uuml;n mit solchen Eigenschaften auf jedem Felde sich bew&auml;hren. Ehe wir zu seiner ergiebigen Betrachtung Goethes &uuml;bergehen, wollen wir ihn auf einige Nebenschaupl&auml;tze seiner T&auml;tigkeit begleiten.</P>
<P>Zuerst auf das Feld der Naturwissenschaft, denn "das Wissen von der Natur" ist nach p. 247 "die einzig positive Wissenschaft" und zugleich "nicht minder die Vollendung des humanistischen" (vulgo &lt;gemeinhin&gt; menschlichen) "Menschen". Sammeln wir sorgf&auml;ltig, was uns Herr Gr&uuml;n von dieser einzig positiven Wissenschaft Positives verk&uuml;ndigt. Er l&auml;&szlig;t sich zwar nicht weitl&auml;uftig auf sie ein, er l&auml;&szlig;t nur, so zwischen Tag und Dunkel in seinem Zimmer auf und ab gehend, einiges fallen, aber er verrichtet darum "nicht minder" die "positivsten" Mirakel.</P>
<P>Bei Gelegenheit des Holbach zugeschriebenen "Syst&egrave;me de la nature" enth&uuml;llt er:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Es kann hier nicht auseinandergesetzt werden, wie das System der Natur auf der H&auml;lfte des Weges abbricht, wie es an dem Punkte abbricht, <I>wo aus der Notwendigkeit des Zerebralsystems die Freiheit und die Selbstbestimmung herausschlagen m&uuml;&szlig;ten</I>." p. 70.</P>
</FONT><P>Herr Gr&uuml;n k&ouml;nnte ganz genau den Punkt angehen, wo "aus der Notwendigkeit des Zerebralsystems" dies und jenes "herausschl&auml;gt" und der Mensch also auch auf die innere Seite seines Sch&auml;dels Ohrfeigen bekommt. Herr Gr&uuml;n k&ouml;nnte die sichersten und detailliertesten Nachrichten geben &uuml;ber einen Punkt, der sich bisher den Beobachtungen g&auml;nzlich entzog, n&auml;mlich &uuml;ber den Produktionsproze&szlig; des Bewu&szlig;tseins im Gehirn. Aber leider! in einem Buche &uuml;ber Goethe vom menschlichen Standpunkte "kann dies nicht auseinandergesetzt werden".</P>
<P>Dumas, Playfair, Faraday und Liebig huldigten bisher arglos der Ansicht, der Sauerstoff sei ein ebenso geschmackloses wie geruchloses Gas. Herr Gr&uuml;n aber, der da wei&szlig;, da&szlig; alles <I>Saure </I>auf der Zunge <I>bei&szlig;t</I>, erkl&auml;rt p. 75 den "Sauerstoff" f&uuml;r "bei&szlig;end". Desgleichen bereichert er p. 229 die Akustik und Optik mit neuen Tatsachen; indem er dort "ein reinigendes Tosen und <A NAME="S225"><B>&lt;225&gt;</A></B> Leuchten" vor sich gehen l&auml;&szlig;t, stellt er die reinigende Kraft des Schalls und des Lichtes au&szlig;er Zweifel.</P>
<P>Nicht zufrieden mit diesen gl&auml;nzenden Bereicherungen der "einzig positiven Wissenschaft", nicht zufrieden mit der Theorie der inwendigen Ohrfeigen, entdeckt Herr Gr&uuml;n p. 94 einen neuen Knochen:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Werther ist der Mensch, dem der Wirbelknochen fehlt, der noch nicht Subjekt geworden ist."</P>
</FONT><P>Die bisherige falsche Ansicht war, der Mensch habe an die zwei Dutzend Wirbelknochen. Herr Gr&uuml;n reduziert diese vielen Knochen nicht nur auf ihre normale Einheit, sondern entdeckt auch noch, da&szlig; dieser Exklusiv-Wirbelknochen die merkw&uuml;rdige Eigenschaft hat, den Menschen zum "Subjekt" zu machen. Das "Subjekt" Herr Gr&uuml;n verdient f&uuml;r diese Entdeckung einen Extra-Wirbelknochen.</P>
<P>Unser beil&auml;ufiger Naturforscher fa&szlig;t schlie&szlig;lich seine "einzig positive Wissenschaft" von der Natur folgenderma&szlig;en zusammen:</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=1><P>"Ist nicht der Kern der Natur<BR>
Menschen im Herzen?</P></DIR>
</DIR>
</FONT><FONT SIZE=2><P>Der Kern der Natur ist Menschen im Herzen. Im Menschenherzen ist der Kern der Natur. Die Natur hat ihren Kern im Herzen des Menschen." p. 250.</P>
</FONT><P>Und wir setzen hinzu mit Herrn Gr&uuml;ns Erlaubnis: Menschen im Herzen ist der Kern der Natur. Im Herzen ist der Kern der Natur Menschen. In des Menschen Herzen hat die Natur ihren Kern.</P>
<P>Mit dieser eminenten "positiven" Aufkl&auml;rung verlassen wir das naturwissenschaftliche Feld, um zur <I>&Ouml;konomie </I>&uuml;berzugehen, die leider nach dem Obigen <I>keine </I>"positive Wissenschaft" ist. Dessenungeachtet verf&auml;hrt Herr Gr&uuml;n auch hier auf gut Gl&uuml;ck &auml;u&szlig;erst "positiv".</P>
<FONT SIZE=2><P>"Individuum setzte sich wider Individuum, <I>und so</I> entstand die allgemeine Konkurrenz." p. 211.</P>
</FONT><P>Das hei&szlig;t, die d&uuml;stre und mysteri&ouml;se Vorstellung der deutschen Sozialisten von der "allgemeinen Konkurrenz" trat ins Leben, "und so entstand die Konkurrenz". Gr&uuml;nde werden nicht angegeben, ohne Zweifel, weil die &Ouml;konomie keine positive Wissenschaft ist.</P>
<FONT SIZE=2><P>"Im Mittelalter war das schn&ouml;de Metall noch gebunden durch Treue, Minne und Devotieren; diese Fessel zersprengte das sechzehnte Jahrhundert, und das Geld wurde frei." p. 241.</P>
</FONT><P>MacCulloch und Blanqui, die bisher in dem Irrtum befangen waren, das Geld sei "im Mittelalter gebunden" gewesen durch die mangelnde Kommuni- <A NAME="S226"><B>&lt;226&gt;</A></B> kation mit Amerika und die Granitmassen, welche die Adern des "schn&ouml;den Metalls" in den Andes bedeckten, MacCulloch und Blanqui werden Herrn Gr&uuml;n f&uuml;r diese Enth&uuml;llung eine Dankadresse votieren.</P>
<P>Der <I>Geschichte</I>, die ebenfalls keine "positive Wissenschaft" ist, sucht Herr Gr&uuml;n einen positiven Charakter zu geben, indem er den Tatsachen der Tradition eine Reihe von Tatsachen seiner Imagination gegen&uuml;berstellt.</P>
<P>Pag. 91 "erdolcht sich Addisons Cato ein Jahrhundert vor Werther auf der englischen B&uuml;hne" und beweist dadurch einen merkw&uuml;rdigen Lebens&uuml;berdru&szlig;. Er "erdolcht" sich hiernach n&auml;mlich, als sein 1672 geborner Verfasser noch ein S&auml;ugling war.</P>
<P>Pag. 175 berichtigt Herr Gr&uuml;n Goethes "Tag- und Jahreshefte" dahin, da&szlig; 1815 von den deutschen Regierungen die Pre&szlig;freiheit keineswegs "ausgesprochen", sondern nur "versprochen" wurde. Er ist also alles nur ein Traum, was uns die sauerl&auml;ndischen und sonstigen Spie&szlig;b&uuml;rger Erschreckliches von den vier Jahren Pre&szlig;freiheit 1815 bis 1819 zu erz&auml;hlen wissen, wie damals alle ihre kleinen Schmutzereien und Skandalosa durch die Presse ans Licht gezogen wurden und wie endlich die Bundesbeschl&uuml;sse von 1819 dieser Schreckensherrschaft der &Ouml;ffentlichkeit ein Ende machten.</P>
<P>Herr Gr&uuml;n erz&auml;hlt uns ferner, da&szlig; die freie Reichsstadt Frankfurt gar kein Staat war, sondern "nichts als ein St&uuml;ck b&uuml;rgerlicher Gesellschaft". p. 19. &Uuml;berhaupt gehe es in Deutschland keine Staaten, und man fange endlich "mehr und mehr an, die eigent&uuml;mlichen Vorz&uuml;ge dieser Staatslosigkeit Deutschlands einzusehen", p. 257, welche Vorz&uuml;ge besonders in der gro&szlig;en Wohlfeilheit der Stockpr&uuml;gel bestehen. Die deutschen Selbstherrscher werden also sagen m&uuml;ssen: "la soci&eacute;t&eacute; civile, c'est moi" &lt;"die b&uuml;rgerliche Gesellschaft bin ich"&gt; - wobei sie sich aber schlecht stehen, denn nach p. 101 ist die b&uuml;rgerliche Gesellschaft nur "eine Abstraktion".</P>
<P>Wenn aber die Deutschen keinen Staat haben, so haben sie daf&uuml;r "einen ungeheuren Wechsel auf die Wahrheit, und dieser Wechsel mu&szlig; realisiert werden, ausgezahlt, in klingende M&uuml;nze umgesetzt". p. 5. Dieser Wechsel ist ohne Zweifel auf demselben B&uuml;ro zahlbar, wo Herr Gr&uuml;n den "Zensus" zahlt, "um in die Repr&auml;sentantenkammer der Menschheit einzur&uuml;cken".</P>
<FONT SIZE=2><P ALIGN="RIGHT">!"Deutsche-Br&uuml;sseler-Zeitung" Nr. 94 vom 25. November 1847]</P>
</FONT><P>Die wichtigsten "positiven" Aufschl&uuml;sse erhalten wir indes &uuml;ber die franz&ouml;sische Revolution, &uuml;ber deren "Bedeutung" er eine eigne "Zwischen- <A NAME="S227"><B>&lt;227&gt;</A></B> rede" h&auml;lt. Er beginnt mit dem Orakelspruch, der Gegensatz zwischen historischem Recht und Vernunftrecht sei ein durchaus wichtiger, denn beide seien historischen Ursprungs. Ohne Herrn Gr&uuml;ns ebenso neue wie wichtige Entdeckung, da&szlig; auch das Vernunftrecht im Laufe der Geschichte entstanden sei, irgendwie herabsetzen zu wollen, wagen wir die bescheidne Bemerkung, da&szlig; ein stilles Zwiegespr&auml;ch im stillen K&auml;mmerlein mit den ersten B&auml;nden der "Histoire parlementaire" von <I>Buchez </I>ihm zeigen d&uuml;rfte, welche Rolle dieser Gegensatz in der Revolution gespielt hat.</P>
<P>Herr Gr&uuml;n zieht es indes vor, uns einen ausf&uuml;hrlichen Beweis von der Schlechtigkeit der Revolution zu geben, der sich schlie&szlig;lich auf den einzigen, aber zentnerschweren Vorwurf reduziert: da&szlig; sie den "Begriff des Menschen nicht untersucht habe". In der Tat ist eine so grobe Unterlassungss&uuml;nde unverzeihlich. H&auml;tte die Revolution nur den Begriff des Menschen untersucht, so w&auml;re &lt;In "Deutsche-Br&uuml;sseler-Zeitung": war&gt; von einem neunten Thermidor, von einem achtzehnten Brumaire keine Rede; Napoleon begn&uuml;gte sich mit der Generals-Charge und schrieb vielleicht auf seine alten Tage ein Exerzierreglement "vom menschlichen Standpunkte". - Weiter erfahren wir zur Aufkl&auml;rung "&uuml;ber die Bedeutung der Revolution", da&szlig; der Deismus sich im Grunde vom Materialismus nicht unterscheide, und warum nicht. Wir sehen daraus mit Vergn&uuml;gen, da&szlig; Herr Gr&uuml;n seinen Hegel noch nicht ganz vergessen hat. Vergl. z.B. Hegels "Geschichte der Philosophie", III., p. 458, 459, 463 der zweiten Ausgabe. - Dann wird, ebenfalls zur Aufkl&auml;rung "&uuml;ber die Bedeutung der Revolution", mehres &uuml;ber Konkurrenz mitgeteilt, wovon wir oben die Hauptsache vorwegnahmen, ferner lange Ausz&uuml;ge aus Holbachs Schriften gegeben, um zu beweisen, da&szlig; er die Verbrechen aus dem Staat erkl&auml;rte; nicht minder wird "die Bedeutung der Revolution" durch eine reichliche Blumenlese aus des Thomas Morus' "Utopia" erl&auml;utert, welche "Utopia" wieder dahin erl&auml;utert wird, da&szlig; sie Anno 1516 nichts Geringeres als - "das <I>heutige </I>England" p. 225 bis in die geringsten Einzelheiten prophetisch darstellte. Und endlich, nach allen diesen auf beil&auml;ufig 36 Seiten breitgetretenen Vues und Consid&eacute;rants &lt;Ansichten und Erw&auml;gungen&gt; folgt das Schlu&szlig;urteil p. 226: "Die Revolution ist die Verwirklichung des Machiavellismus." Warnendes Exempel f&uuml;r alle, die den Begriff des" Menschen" noch nicht untersucht haben!</P>
<P>Zum Trost f&uuml;r die armen Franzosen, die nichts erreicht haben als die Verwirklichung des Machiavellismus, l&auml;&szlig;t Herr Gr&uuml;n p. 73 ein Balsamtr&ouml;pflein fallen:</P>
<B><FONT SIZE=2><P><A NAME="S228">&lt;228&gt;</A></B> "Das franz&ouml;sische Volk war im l8. Jahrhundert der Prometheus unter den V&ouml;lkern, der die <I>menschlichen Rechte </I>denen der G&ouml;tter gegen&uuml;ber geltend machte."</P>
</FONT><P>Heften wir uns nicht daran, da&szlig; es also doch wohl "den Begriff des Menschen untersucht" haben mu&szlig;te, oder daran, da&szlig; es die menschlichen Rechte nicht "denen der G&ouml;tter", sondern denen des K&ouml;nigs, des Adels und der Pfaffen "gegen&uuml;ber geltend machte", lassen wir diese Bagatellen und verh&uuml;llen wir in stiller Trauer unser Haupt: denn dem Herrn Gr&uuml;n selbst passiert hier etwas "Menschliches".</P>
<P>Herr Gr&uuml;n vergi&szlig;t n&auml;mlich, da&szlig; er in fr&uuml;heren Schriften (vgl. z.B. den Artikel im 1. Bande der "Rheinischen Jahrb&uuml;cher", die "soziale Bewegung" usw.) eine gewisse Entwicklung &uuml;ber die Menschenrechte aus den "Deutsch-Franz&ouml;sischen Jahrb&uuml;chern" nicht nur breitgetreten, "popularisiert", sondern sogar mit dem echtesten Plagiarien-Eifer ins Unsinnige outriert hatte. Er vergi&szlig;t, da&szlig; er dort die Menschenrechte als die Rechte des Epiciers &lt;Kr&auml;mers&gt;, des Spie&szlig;b&uuml;rgers usw. an den Pranger gestellt hatte, und macht sie hier pl&ouml;tzlich zu "den <I>menschlichen </I>Rechten", zu den Rechten des "Menschen". Dasselbe passiert dem Herrn Gr&uuml;n p. 251, 252, wo "das Recht, das mit uns geboren und von dem leider keine Frage ist", aus dem "Faust" in "dein Naturrecht, dein Menschenrecht, das Recht, von innen heraus zu wirken und sein eigenes Werk zu genie&szlig;en" verwandelt wird; obwohl Goethe es direkt in Gegensatz bringt mit "Gesetz und Rechten", die "sich wie eine ew'ge Krankheit <I>forterben</I>",<B> </B>d.h. mit dem traditionellen Recht des ancien r&eacute;gime &lt;der alten Ordnung&gt;, zu dem nur die "<I>angebornen</I>, unverj&auml;hrbaren und unver&auml;u&szlig;erlichen Menschenrechte" der Revolution, keineswegs aber die Rechte "<I>des </I>Menschen" den Gegensatz bilden. Diesmal freilich mu&szlig;te Herr Gr&uuml;n seine Antezedentien vergessen, damit Goethe nicht den menschlichen Standpunkt verliere.</P>
<P>Ganz &uuml;brigens hat Herr Gr&uuml;n noch nicht vergessen, was er aus den "Deutsch-Franz&ouml;sischen Jahrb&uuml;chern" und andern Schriften derselben Richtung gelernt hat. Pag. 210 definiert er z.B. die dermalige franz&ouml;sische Freiheit als "die Freiheit von unfreien (!), allgemeinen (!!) Wesen (!!!)". Dies Unwesen ist entstanden aus dem <I>Gemeinwesen </I>von p. 204 und 205 der "Deutsch-Franz&ouml;sischen Jahrb&uuml;cher" und den &Uuml;bersetzungen dieser Seiten in die kurrente Sprache des dermaligen deutschen Sozialismus. Die wahren Sozialisten haben &uuml;berhaupt die Gewohnheit, Entwicklungen, die ihnen unverst&auml;ndlich bleiben, weil sie von der Philosophie abstrahieren und juristische, &ouml;konomische usw. Ausdr&uuml;cke enthalten, im Handumdrehen in eine einzige kurze, mit philosophischen Ausdr&uuml;cken versetzte Phrase zu- <A NAME="S229"><B>&lt;229&gt;</A></B> sammenzufassen und diesen Unsinn zu beliebigem Gebrauch auswendig [zu] lernen. Auf diese Weise ist das juristische "Gemeinwesen" der "Deutsch-Franz&ouml;sischen Jahrb&uuml;cher" in obiges philosophisch-unsinnige "allgemein Wesen" verwandelt worden, die politische Befreiung, die Demokratie hat in der "Befreiung vom unfreien allgemeinen Wesen" ihre philosophische kurze Formel erhalten, und diese kann der wahre Sozialist in die Tasche stecken, ohne bef&uuml;rchten zu m&uuml;ssen, da&szlig; seine Gelehrsamkeit ihm zu schwer falle.</P>
<P>Auf p. XXVI exploitiert Herr Gr&uuml;n in &auml;hnlicher Weise, was in der "Heiligen Familie" &uuml;ber Sensualismus und Materialismus gesagt ist, wie er den Wink jener Schrift, da&szlig; in den Materialisten des vorigen Jahrhunderts, u.a. in Holbach, Ankn&uuml;pfungspunkte f&uuml;r die sozialistische Bewegung der Gegenwart zu finden seien, zu obenerw&auml;hnten Zitaten aus Holbach nebst sozialistischer Interpretation derselben benutzt.</P>
<P>Gehen wir &uuml;ber zur <I>Philosophie</I>. Gegen diese hegt Herr Gr&uuml;n eine gr&uuml;ndliche Verachtung. Er verk&uuml;ndigt uns schon p. VII, da&szlig; er "f&uuml;rder nichts mehr mit Religion, Philosophie und Politik zu schaffen hat", da&szlig; diese drei "gewesen sind und sich nie wieder aus ihrer Aufl&ouml;sung erheben werden" und da&szlig; er von ihnen allen und namentlich von der Philosophie "weiter nichts &uuml;brigbeh&auml;lt als den Menschen <I>und </I>das gesellschaftsf&auml;hige, soziale Wesen". Das gesellschaftsf&auml;hige, gesellschaftliche Wesen und der obige menschliche Mensch sind allerdings hinreichend, um uns &uuml;ber den unrettbaren Untergang von Religion, Philosophie und Politik zu tr&ouml;sten. Aber Herr Gr&uuml;n ist viel zu bescheiden. Er hat nicht nur den "humanistischen Menschen" und diverse "Wesen" von der Philosophie "&uuml;brigbehalten", sondern erfreut sich auch des Besitzes einer, wenn auch verworrenen, doch betr&auml;chtlichen Masse Hegelscher Tradition. Wie w&auml;re das Gegenteil auch m&ouml;glich, nachdem er vor verschiedenen Jahren vor Hegels B&uuml;ste zu wiederholten Malen and&auml;chtig gekniet hat? Man wird uns bitten, dergleichen skurrile und skandal&ouml;se Personalia &lt;pers&ouml;nliche Dinge&gt; aus dem Spiele zu lassen; aber Herr Gr&uuml;n selbst hat dies Geheimnis dem Pre&szlig;bengel anvertraut. Wir werden diesmal nicht sagen, wo. Wir haben dem Herrn Gr&uuml;n bereits so h&auml;ufig seine Quellen mit Kapitel und Vers zitiert, da&szlig; wir auch einmal den gleichen Dienst von Herrn Gr&uuml;n verlangen k&ouml;nnen. Um ihm gleich wieder einen Beweis von unserer Gef&auml;lligkeit zu geben, wollen wir ihm vertrauen, da&szlig; er die schlie&szlig;liche Entscheidung in der Streitfrage vom freien Willen, die er p. 8 gibt, aus Fouriers "Trait&eacute; de l'Association", Abschnitt "du libre arbitre", genommen hat. Nur, da&szlig; die Theorie vom <A NAME="S230"><B>&lt;230&gt;</A></B> freien Willen eine "Verirrung des <I>deutschen </I>Geistes" sei, ist eine eigent&uuml;mliche "Verirrung" des Herrn Gr&uuml;n selbst.</P>
<P>Wir kommen Goethe endlich n&auml;her. Auf p. 15 weist Herr Gr&uuml;n das Recht Goethes nach zu existieren. Goethe und Schiller sind n&auml;mlich die Aufhebung des Gegensatzes zwischen "tatlosem Genu&szlig;", d.h. Wieland, und "genu&szlig;loser Tat", d.h. Klopstock. "Lessing stellte den Menschen zuerst auf sich selbst." (Ob ihm Herr Gr&uuml;n dies akrobatische Kunstst&uuml;ck wohl nachmachen kann?) - In dieser philosophischen Konstruktion haben wir alle Quellen des Herrn Gr&uuml;n zusammen. Die Form der Konstruktion, die Grundlage des Ganzen - der weltbekannte Hegelsche Kunstgriff der Vermittelung der Gegens&auml;tze. "Der auf sich selbst gestellte Mensch" - Hegelsche Terminologie, angewandt auf Feuerbach. "Tatloser Genu&szlig;" und "Genu&szlig;lose Tat", dieser Gegensatz, &uuml;ber den Herr Gr&uuml;n Wieland und Klopstock obige Variationen spielen l&auml;&szlig;t, ist entlehnt aus den S&auml;mtlichen Werken von M[oses] He&szlig;. Die einzige Quelle, die wir vermissen, ist die Literaturgeschichte selbst, die von den obigen Siebensachen nicht das Geringste wei&szlig; und daf&uuml;r von Herrn Gr&uuml;n mit Recht ignoriert wird.</P>
<P>Da wir gerade von Schiller sprechen, d&uuml;rfte folgende Bemerkung des Herrn Gr&uuml;n an ihrem Orte sein: "Schiller war alles, was man sein kann, wofern man nicht Goethe ist." p. 311. Pardon, man kann auch Monsieur Gr&uuml;n sein. - &Uuml;brigens pfl&uuml;gt unser Autor hier mit dem Kalbe Ludewigs von Baierland:</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Rom, Dir fehlt das, was Neapel hat, diesem just, was Du besitzest;<BR>
W&auml;ret ihr beide vereint, w&auml;r's f&uuml;r die Erde zu viel.</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Durch diese Geschichtskonstruktion ist Goethes Auftreten in der deutschen Literatur vorbereitet. "Der Mensch", von Lessing "auf sich selbst gestellt", kann nur unter den H&auml;nden Goethes zu weiteren Evolutionen fortschreiten. Herrn Gr&uuml;n geb&uuml;hrt n&auml;mlich das Verdienst, "den Menschen" in Goethe entdeckt zu haben, nicht den nat&uuml;rlichen, von Mann und Weib vergn&uuml;glich und fleischlich erzeugten Menschen, sondern den Menschen im h&ouml;heren Sinne, den dialektischen Menschen, das Caput mortuum &lt;Destillationsprodukt&gt; im Tiegel, in welchem Gott Vater, Sohn und heiliger Geist kalziniert worden, den cousin germain &lt;das Geschwisterkind&gt; des Homunculus aus dem "Faust" - kurz, nicht den Menschen, von dem Goethe spricht, sondern "<I>den</I> Menschen", von dem Herr Gr&uuml;n spricht. Wer ist nun "der Mensch", von dem Herr Gr&uuml;n spricht?</P>
<FONT SIZE=2><P>"Es ist nichts als <I>menschlicher </I>Inhalt in Goethe". [p. XVI.] - Pag. XXI h&ouml;ren wir, "da&szlig; Goethe <I>den Menschen </I>so darstellte und dachte, <I>wie wir ihn heute verwirklichen</I> <A NAME="S231"><B>&lt;231&gt;</A></B> <I>wollen</I>". - Pag. XXII: "Der heutige Goethe, und das sind seine Werke, ist ein <I>wahrer Kodex des Menschentums</I>". - Goethe "ist die <I>vollendete Menschlichkeit</I>". Pag. XXV. -"Goethes Dichtungen sind (!) <I>das Ideal der menschlichen Gesellschaft</I>." Pag. 12. -"Goethe konnte kein nationaler Dichter werden, weil er zum <I>Dichter des Menschlichen </I>bestimmt war." Pag. 25. - Trotzdem aber soll nach p. 14 <I>"unser Volk" </I>- also die Deutschen - in Goethe "sein eigenes Wesen verkl&auml;rt erblicken".</P>
</FONT><P>Hier haben wir den ersten Aufschlu&szlig; &uuml;ber "das Wesen des Menschen", und wir d&uuml;rfen uns dabei um so mehr auf Herrn Gr&uuml;n verlassen, als er ohne Zweifel "den Begriff des Menschen" aufs gr&uuml;ndlichste "untersucht hat". Goethe stellt "den Menschen" so dar, wie Herr Gr&uuml;n ihn verwirklichen will, und zugleich stellt er das deutsche Volk verkl&auml;rt dar - hiernach ist "der Mensch" niemand anders als "der verkl&auml;rte Deutsche". Dies wird &uuml;berall best&auml;tigt. Wie Goethe "kein nationaler Dichter", sondern "der Dichter des Menschlichen" ist, so ist auch das deutsche Volk "kein nationales" Volk, sondern das Volk "des Menschlichen". Darum hei&szlig;t es auch p. XVI: "Goethes Dichtungen, aus dem Leben hervorgegangen, ... hatten und haben mit der Wirklichkeit nichts zu schaffen." Gerade wie "der Mensch", gerade wie die Deutschen. Und p. 4: "Noch zur Stunde will der <I>franz&ouml;sische </I>Sozialismus <I>Frankreich </I>begl&uuml;cken, die <I>deutschen </I>Schriftsteller haben <I>das menschliche Geschlecht </I>vor Augen." (W&auml;hrend "das menschliche Geschlecht" sie mehrenteils nicht "vor Augen", sondern vor einer ziemlich entgegengesetzten K&ouml;rperstelle zu "haben" pflegt.) So freut sich Herr Gr&uuml;n auch an zahllosen Stellen dar&uuml;ber, da&szlig; Goethe "den Menschen <I>von innen heraus </I>befreien" wollte (z.B. p. 225), welche echt germanische Befreiung noch immer nicht <I>"heraus" </I>kommen will.</P>
<P>Konstatieren wir also diesen ersten Aufschlu&szlig;: "Der Mensch" ist der <I>"verkl&auml;rte" Deutsche</I>.</P>
<FONT SIZE=2><P ALIGN="RIGHT">["Deutsche-Br&uuml;sseler-Zeitung" Nr. 95 vom 28. November 1847]</P>
</FONT><P>Verfolgen wir nun den Herrn Gr&uuml;n in der Anerkennung, die er "dem Dichter des Menschlichen", dem "menschlichen Inhalt in Goethe" zollt. Sie wird uns am besten enth&uuml;llen, wer "der Mensch" ist, von dem Herr Gr&uuml;n spricht. Wir werden finden, da&szlig; Herr Gr&uuml;n hier die geheimsten Gedanken des wahren Sozialismus enth&uuml;llt, wie er denn &uuml;berhaupt durch seine Sucht, alle seine Kumpane zu &uuml;berschreien, dazu verleitet wird, Dinge in die Welt hinauszututen, die die &uuml;brige Genossenschaft lieber verschwiege. Es war ihm &uuml;brigens um so leichter, Goethe in den "Dichter des Menschlichen" zu verwandeln, als Goethe selbst die Worte: Mensch und menschlich in einem gewissen emphatischen Sinne zu gebrauchen pflegt. Goethe gebrauchte sie <A NAME="S232"><B>&lt;232&gt;</A></B> freilich nur in dem Sinne, wie sie zu seiner Zeit und sp&auml;ter auch von Hegel angewandt, wie das Pr&auml;dikat menschlich besonders den Griechen im Gegensatz zu heidnischen und christlichen Barbaren beigelegt wurde, lange bevor diese Ausdr&uuml;cke durch Feuerbach ihren mysteri&ouml;s-philosophischen Inhalt erhielten. Bei Goethe namentlich haben sie meist eine sehr unphilosophische, fleischliche Bedeutung. Erst Herrn Gr&uuml;n geb&uuml;hrt das Verdienst, Goethe zum Sch&uuml;ler Feuerbachs und zum wahren Sozialisten gemacht zu haben.</P>
<P>Wir k&ouml;nnen hier nat&uuml;rlich &uuml;ber Goethe selbst nicht ausf&uuml;hrlich sprechen. Wir machen nur auf einen Punkt aufmerksam. - Goethe verh&auml;lt sich in seinen Werken auf eine zweifache Weise zur deutschen Gesellschaft seiner Zeit. Bald ist er ihr feindselig; er sucht der ihm widerw&auml;rtigen zu entfliehen, wie in der "Iphigenie" und &uuml;berhaupt w&auml;hrend der italienischen Reise, er rebelliert gegen sie als G&ouml;tz, Prometheus und Faust, er sch&uuml;ttet als Mephistopheles seinen bittersten Spott &uuml;ber sie aus. Bald dagegen ist er ihr befreundet, "schickt" sich in sie, wie in der Mehrzahl der "Zahmen Xenien" und vielen prosaischen Schriften, feiert sie, wie in den "Maskenz&uuml;gen", ja verteidigt sie gegen die andr&auml;ngende geschichtliche Bewegung, wie namentlich in allen Schriften, wo er auf die franz&ouml;sische Revolution zu sprechen kommt. Es sind nicht nur einzelne Seiten des deutschen Lebens, die Goethe anerkannt, gegen andre, die ihm widerstreben. Es sind h&auml;ufiger verschiedene Stimmungen, in denen er sich befindet; es ist ein fortw&auml;hrender Kampf in ihm zwischen dem genialen Dichter, den die Misere seiner Umgebung anekelt, und dem behutsamen Frankfurter Ratsherrnkind, resp. Weimarschen Geheimrat, der sich gen&ouml;tigt sieht, Waffenstillstand mit ihr zu schlie&szlig;en und sich an sie zu gew&ouml;hnen. So ist Goethe bald kolossal, bald kleinlich; bald trotziges, spottendes, weltverachtendes Genie, bald r&uuml;cksichtsvoller, gen&uuml;gsamer, enger Philister. Auch Goethe war nicht imstande, die deutsche Mis&egrave;re zu besiegen; im Gegenteil, sie besiegte ihn, und dieser Sieg der Mis&egrave;re &uuml;ber den gr&ouml;&szlig;ten Deutschen ist der beste Beweis daf&uuml;r, da&szlig; sie "von innen heraus" gar nicht zu &uuml;berwinden ist. Goethe war zu universell, zu aktiver Natur, zu fleischlich, um in einer Schillerschen Flucht ins Kantsche Ideal Rettung vor der Mis&egrave;re zu suchen; er war zu scharfblickend, um nicht zu sehen, wie diese Flucht sich schlie&szlig;lich auf die Vertauschung der platten mit der &uuml;berschwenglichen Mis&egrave;re reduzierte. Sein Temperament, seine Kr&auml;fte, seine ganze geistige Richtung wiesen ihn aufs praktische Leben an, und das praktische Leben, das er vorfand, war miserabel. In diesem Dilemma, in einer Lebenssph&auml;re zu existieren, die er verachten mu&szlig;te, und doch an diese Sph&auml;re als die einzige, in welcher er sich bet&auml;tigen konnte, gefesselt zu sein, in diesem Dilemma hat sich Goethe fortw&auml;hrend befunden, und je &auml;lter er wurde, desto mehr zog <A NAME="S233"><B>&lt;233&gt;</A> </B>sich der gewaltige Poet, de guerre lasse &lt;des Haders m&uuml;de&gt;, hinter den unbedeutenden Weimarschen Minister zur&uuml;ck. Wir werfen Goethe nicht &agrave; la B&ouml;rne und Menzel vor, da&szlig; er nicht liberal war, sondern da&szlig; er zu Zeiten auch Philister sein konnte, nicht, da&szlig; er keines Enthusiasmus f&uuml;r deutsche Freiheit f&auml;hig war, sondern da&szlig; er einer spie&szlig;b&uuml;rgerlichen Scheu vor aller gegenw&auml;rtigen gro&szlig;en Geschichtsbewegung sein stellenweise hervorbrechendes, richtigeres &auml;sthetisches Gef&uuml;hl opferte; nicht, da&szlig; er Hofmann war, sondern da&szlig; er zur Zeit, wo ein Napoleon den gro&szlig;en deutschen Augiasstall ausschwemmte, die winzigsten Angelegenheiten und menus plaisirs &lt;kleinen Vergn&uuml;gungen (die mit Nebenausgaben verbunden sind)&gt; eines der winzigsten deutschen H&ouml;flein mit feierlichem Ernst betreiben konnte. Wir machen &uuml;berhaupt weder vom moralischen, noch vom Parteistandpunkte, sondern h&ouml;chstens vom &auml;sthetischen und historischen Standpunkte aus Vorw&uuml;rfe; wir messen Goethe weder am moralischen, noch am politischen, noch am "menschlichen" Ma&szlig;stab. Wir k&ouml;nnen uns hier nicht darauf einlassen, Goethe im Zusammenhange mit seiner ganzen Zeit, mit seinen literarischen Vorg&auml;ngern und Zeitgenossen, in seinem Entwicklungsgange und in seiner Lebensstellung darzustellen. Wir beschr&auml;nken uns daher darauf, einfach das Faktum zu konstatieren.</P>
<P>Wir werden sehen, nach welcher dieser Seiten hin Goethes Werke "ein wahrer Kodex des Menschentums", "die vollendete Menschlichkeit", das "Ideal der menschlichen Gesellschaft" sind.</P>
<P>Nehmen wir zuerst die Kritik der bestehenden Gesellschaft durch Goethe vor, um dann zu der positiven Darstellung des "Ideals der menschlichen Gesellschaft" &uuml;berzugehen. Es versteht sich bei der Reichhaltigkeit des Gr&uuml;nschen Buchs von selbst, da&szlig; wir bei beiden nur einige charakteristische Glanzstellen hervorheben.</P>
<P>In der Tat verrichtet Goethe als Kritiker der Gesellschaft Wunder. Er "verdammt die Zivilisation" p. 34-36, indem er einige romantische Klagen dar&uuml;ber verlauten l&auml;&szlig;t, da&szlig; sie alles Charakteristische, Unterscheidende an den Menschen verwische. Er "weissagt die Welt der Bourgeoisie" p. 78, indem er im "Prometheus" tout honnement &lt;ganz einfach&gt; die Entstehung des Privateigentums schildert. Er ist p. 229 "der Weltrichter ..., der Minos der Zivilisation". Aber das alles sind nur Bagatellen.</P>
<P>Pag. 253 zitiert Herr Gr&uuml;n: "Katechisation":</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Bedenk, o Kind, woher sind diese Gaben?<BR>
Du kannst nichts von dir selber haben. -<BR>
<A NAME="S234"><B>&lt;234&gt;</A></B> Ei, alles hab' ich vom Papa.<BR>
Und der, woher hat's der? - Vom Gro&szlig;papa. -<BR>
Nicht doch! Woher hat's denn der Gro&szlig;papa bekommen?<BR>
Der hat's <I>genommen</I>.</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Hurra! schmettert Herr Gr&uuml;n aus vollem Halse, la propri&eacute;t&eacute; c'est le vol - leibhaftiger Proudhon!</P>
<P>Leverrier mit seinem Planeten mag nach Hause gehen und seinen Orden an Herrn Gr&uuml;n abtreten - denn hier ist mehr denn Leverrier, hier ist sogar mehr denn Jackson und Schwefel&auml;therrausch. Wer den f&uuml;r viele friedliche Bourgeois allerdings beunruhigenden Diebstahlsatz Proudhons auf die ungef&auml;hrlichen Dimensionen des obigen Goetheschen Epigramms reduziert hat, den lohnt nur der grand cordon &lt;Gro&szlig;kordon (Ordensband)&gt; der Ehrenlegion.</P>
<P>Der <I>"B&uuml;rgergeneral" </I>macht schon mehr Schwierigkeiten. Herr Gr&uuml;n besieht ihn einige Zeit von allen Seiten, schneidet wider Gewohnheit einige zweifelhafte Grimassen, wird bedenklich: "allerdings ... ziemlich fade ... die Revolution ist damit nicht verurteilt" p. 150 ... Halt! jetzt hat er's! was ist der Gegenstand, um den es sich handelt? Ein <I>Topf Milch </I>und so: "Vergessen wir nicht, da&szlig; es hier wieder ... die <I>Eigentumsfrage </I>ist, welche in den Vordergrund ger&uuml;ckt wird" p. 151.</P>
<P>Wenn sich in der Stra&szlig;e des Herrn Gr&uuml;n zwei alte Weiber um einen gesalzenen Heringskopf zanken, so lasse Herr Gr&uuml;n sich die M&uuml;he nicht verdrie&szlig;en, aus seinem "rosen-" und resedaduftenden Zimmer herabzusteigen und sie zu benachrichtigen, da&szlig; auch bei ihnen "die Eigentumsfrage es ist, welche in den Vordergrund ger&uuml;ckt wird". Der Dank aller Wohldenkenden wird ihm die sch&ouml;nste Belohnung sein.</P>
<FONT SIZE=2><P ALIGN="RIGHT">"Deutsche-Br&uuml;sseler-Zeitung" Nr. 96 vom 2. Dezember 1847]</P>
</FONT><P>Eine der gr&ouml;&szlig;ten kritischen Taten hat Goethe verrichtet, als er den <I>"Werther" </I>schrieb. "Werther" ist keineswegs, wie die bisherigen Leser Goethes "vom menschlichen Standpunkte" glaubten, ein blo&szlig;er sentimentaler Liebesroman.</P>
<FONT SIZE=2><P>Im "Werther" "hat der menschliche Inhalt eine so ad&auml;quate Form gefunden, da&szlig; in keiner Literatur der Welt etwas gefunden werden kann, was ihm such nur im entferntesten an die Seite gesetzt zu werden verdiente" p. 96. "Die Liebe Werthers zu Lotten ist ein blo&szlig;er Hebel, ein Vehikel der Trag&ouml;die des radikalen Gef&uuml;hlapantheismus ... Werther ist der Mensch, dem der Wirbelknochen fehlt, der noch nicht Subjekt <A NAME="S235"><B>&lt;235&gt;</A></B> geworden ist" p .93, 94. Werther erschie&szlig;t sich nicht aus Verliebtheit, sondern "weil er, das ungl&uuml;ckselige pantheistische Bewu&szlig;tsein, mit der Welt nicht aufs reine kommen konnte" p. 94. "'Werther' stellt den ganzen verrotteten Zustand der Gesellschaft mit k&uuml;nstlerischer Meisterschaft dar, er fa&szlig;t die sozialen Mi&szlig;st&auml;nde bei ihrer tiefsten Wurzel, bei dem religi&ouml;s-philosophischen Fundament" (welches "Fundament" bekanntlich viel j&uuml;nger ist als die "Mi&szlig;st&auml;nde"), "bei der unklaren, nebul&ouml;sen Erkenntnis ... Reine, durchl&uuml;ftete Begriffe vom wahren Menschentum" (und vor allem Wirbelknochen, Herr Gr&uuml;n, Wirbelknochen!), "das w&auml;re auch der Tod jener Misere, jener wurmstichigen, durchl&ouml;cherten Zust&auml;nde, die man das b&uuml;rgerliche Leben nennt!" [p. 95.]</P>
</FONT><P>Ein Beispiel, wie "'Werther' den verrotteten Zustand der Gesellschaft mit k&uuml;nstlerischer Meisterschaft" darstellt. Werther schreibt:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Abenteuer? warum brauche ich das alberne Wort ... unsre b&uuml;rgerlichen, unsre falschen Verh&auml;ltnisse, das sind die Abenteuer, das sind die Ungeheuer!"</P>
</FONT><P>Dieser Jammerschrei eines schw&auml;rmerischen Tr&auml;nensacks &uuml;ber den Abstand zwischen der b&uuml;rgerlichen Wirklichkeit und seinen nicht minder b&uuml;rgerlichen Illusionen &uuml;ber diese Wirklichkeit, dieser mattherzige, einzig auf Mangel an der ordin&auml;rsten Erfahrung beruhende Sto&szlig;seufzer wird von Herrn Gr&uuml;n auf p. 84 f&uuml;r tiefschneidende Kritik der Gesellschaft ausgegeben. Herr Gr&uuml;n behauptet sogar, die in obigen Worten ausgesprochene "verzweiflungsvolle Qual des Lebens, dieser krankhafte Reiz, die Dinge auf den Kopf zu stellen, damit sie wenigstens einmal ein andres Ansehen bek&auml;men"(!), habe "sich zuletzt das Bette der franz&ouml;sischen Revolution gegraben". Die Revolution, oben die Verwirklichung des Machiavellismus, wird hier zur blo&szlig;en Verwirklichung der Leiden des jungen Werthers. Die Guillotine vom Revolutionsplatz ist nur das matte Plagiat von Werthers Pistole.</P>
<P>Hiernach versteht es sich ganz von selbst, da&szlig; Goethe auch in <I>"Stella" </I>nach p. 108 "einen sozialen Stoff" behandelt, obgleich hier nur "h&ouml;chst lumpige Zust&auml;nde" (p. 107) geschildert werden. Der wahre Sozialismus ist viel kulanter als unser Herr Jesus. Wo zwei oder drei beisammen sind, sie brauchen es gar nicht einmal in seinem Namen zu sein, so ist er mitten unter ihnen und hat "einen sozialen Stoff". Er wie sein J&uuml;nger Herr Gr&uuml;n hat &uuml;berhaupt eine frappante &Auml;hnlichkeit mit "jenem platten, selbstzufriedenen Schn&uuml;ffelwesen, das sich um alles bek&uuml;mmert, ohne etwas zu ergr&uuml;nden" (p. 47).</P>
<P>Unsere Leser erinnern sich vielleicht eines Briefes, den Wilhelm Meister im letzten Bande der "Lehrjahre" an seinen Schwager schreibt, worin nach einigen ziemlich platten Glossen &uuml;ber den Vorteil, in wohlhabenden Verh&auml;ltnissen heranzuwachsen, die Superiorit&auml;t des Adels &uuml;ber die Spie&szlig;b&uuml;rger anerkannt und die ungeordnete Stellung der letzteren wie aller &uuml;brigen nicht- <A NAME="S236"><B>&lt;236&gt;</A></B> adligen Klassen als einstweilen unab&auml;nderlich sanktioniert wird. Nur dem einzelnen soll es m&ouml;glich sein, unter gewissen Umst&auml;nden sich mit dem Adel auf gleiches Niveau zu stellen. Herr Gr&uuml;n bemerkt hierzu:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Was Goethe von den Vorz&uuml;gen der h&ouml;heren Klassen der Gesellschaft sagt, ist <I>durchaus wahr</I>, wenn man h&ouml;here Klasse mit gebildeter Klasse f&uuml;r identisch nimmt, und dies ist bei Goethe der Fall" (p. 264).</P>
</FONT><P>Wobei es fernerhin sein Bewenden hat.</P>
<P>Kommen wir zu dem vielbesprochenen Hauptpunkt: dem Verh&auml;ltnis Goethes zur Politik und zur franz&ouml;sischen Revolution. Hier kann man aus dem Buche des Herrn Gr&uuml;n lernen, was es hei&szlig;t, durch dick und d&uuml;nn waten; hier bew&auml;hrt sich die Treue des Herrn Gr&uuml;n.</P>
<P>Damit Goethes Verhalten gegen&uuml;ber der Revolution gerechtfertigt erscheine, mu&szlig; Goethe nat&uuml;rlich &uuml;ber der Revolution stehen, sie schon, ehe sie existierte, &uuml;berwunden haben. Wir erfahren daher schon p. XXI:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Goethe war der <I>praktischen </I>Entwicklung seiner Zeit so weit vorausgeeilt, da&szlig; er sich gegen sie nur abweisend, nur abwehrend verhalten zu k&ouml;nnen glaubte."</P>
</FONT><P>Und p. 84, bei Gelegenheit "Werthers", der, wie wir sahen, schon die ganze Revolution in nuce &lt;im Keim&gt; enth&auml;lt: "Die Geschichte steht auf 1789, Goethe steht auf 1889." Desgleichen mu&szlig; Goethe p. 28, 29 "das ganze Freiheitsgeschrei in wenigen Worten gr&uuml;ndlich abtun", indem er bereits in den siebziger Jahren in den "Frankfurter gelehrten Anzeigen" einen Artikel drucken l&auml;&szlig;t, der gar nicht von der Freiheit spricht, die die "Schreier" verlangen, sondern nur &uuml;ber die Freiheit als solche, den Begriff der Freiheit einige allgemeine und ziemlich n&uuml;chterne Reflektionen anstellt. Ferner: Weil Goethe in seiner Doktordissertation die These aufstellte, jeder Gesetzgeber sei sogar verpflichtet, einen bestimmten Kultus einzuf&uuml;hren - eine These, die Goethe selbst als ein blo&szlig;es am&uuml;santes Paradoxon, veranla&szlig;t durch allerlei kleinst&auml;dtischen Frankfurter Pfaffenkrakeel, behandelt (was Herr Gr&uuml;n <I>selbst </I>zitiert) - so "lief der Student Goethe den ganzen Dualismus der Revolution und des heutigen franz&ouml;sischen Staats an den Schuhsohlen ab" p. 26, 27. Es scheint, als wenn Herr Gr&uuml;n die "abgelaufenen Schuhsohlen" des "Studenten Goethe" geerbt und damit die Siebenmeilenstiefel seiner "sozialen Bewegung" versohlt habe.</P>
<P>Jetzt geht uns nat&uuml;rlich ein neues Licht auf &uuml;ber Goethes Ausspr&uuml;che in bezug auf die Revolution. Jetzt ist es klar, da&szlig; er, der hoch &uuml;ber ihr stand, der sie schon vor f&uuml;nfzehn Jahren "abgetan", "an den Schuhsohlen ab- <A NAME="S237"><B>&lt;237&gt;</A></B> gelaufen", sie um ein Jahrhundert devanciert hatte, keine Sympathie f&uuml;r sie haben, sich nicht f&uuml;r ein Volk von "Freiheitsschreiern" interessieren konnte, mit dem er bereits Anno dreiundsiebenzig im reinen war. Jetzt hat Herr Gr&uuml;n leichtes Spiel. Goethe mag noch so banale Erbweisheit in zierliche Distichen setzen, noch so philisterhaft borniert &uuml;ber sie r&auml;sonieren, noch so spie&szlig;b&uuml;rgerlich zur&uuml;ckschaudern vor dem gro&szlig;en Eisgang, der sein friedfertiges Poeten-Winkelchen bedroht, er mag sich so kleinlich, so feig, so lakaienhaft benehmen, wie er will, er kann es seinem geduldigen Scholiasten nicht zu arg machen. Herr Gr&uuml;n hebt ihn auf seine unerm&uuml;dlichen Schultern und tr&auml;gt ihn durch den Dreck; ja, er &uuml;bernimmt den ganzen Dreck auf Rechnung des wahren Sozialismus, damit nur Goethes Stiefel rein bleiben. Von der "Campagne in Frankreich" bis zur "Nat&uuml;rlichen Tochter" &uuml;bernimmt Herr Gr&uuml;n p. 133-170 alles, alles ohne Ausnahme, er beweist ein Devouement, das einen Buchez zu Tr&auml;nen r&uuml;hren k&ouml;nnte. Und wenn alles nicht hilft, wenn der Dreck gar zu tief ist, dann wird die h&ouml;here soziale Exegese vorgespannt, dann paraphrasiert Herr Gr&uuml;n wie folgt:</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Frankreichs traurig Geschick, die Gro&szlig;en m&ouml;gen's bedenken,<BR>
Aber bedenken f&uuml;rwahr sollen es Kleine noch mehr.<BR>
Gro&szlig;e gingen zugrunde; doch wer besch&uuml;tzte die Menge<BR>
Wider &lt;Bei Goethe: gegen&gt; die Menge? Da war Menge der Menge Tyrann.</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>"Wer besch&uuml;tzt", schreit Herr Gr&uuml;n aus Leibeskr&auml;ften, mit Sperrschrift, Fragezeichen und allen "Vehikeln der Trag&ouml;die des radikalen Gef&uuml;hlspantheismus" [p. 93], "wer besch&uuml;tzt namentlich die besitzlose Menge, den sogenannten P&ouml;bel, wider die besitzende Menge, den gesetzgebenden P&ouml;bel?" p. 137. "Wer besch&uuml;tzt namentlich" Goethe gegen Herrn Gr&uuml;n?</P>
<P>In dieser Weise erkl&auml;rt Herr Gr&uuml;n die ganze Reihe altkluger B&uuml;rgerregeln aus den venezianischen "Epigrammen", welche "wie von der Hand des <I>Herkules </I>Ohrfeigen austeilen, die uns erst jetzt recht behaglich" (nachdem die Gefahr f&uuml;r den Spie&szlig;b&uuml;rger vor&uuml;ber ist) "zu klatschen scheinen, da wir eine gro&szlig;e und <I>bittre </I>Erfahrung" (allerdings sehr bitter f&uuml;r den Spie&szlig;b&uuml;rger) "hinter uns haben" p. 136.</P>
<P>Aus der <I>"Belagerung von Mainz"</P>
</I><FONT SIZE=2><P>"mochte" Herr Gr&uuml;n "um alles in der Welt die folgende Stelle nicht &uuml;bergehen: 'Dienstag ... eilte ich, meinen F&uuml;rsten ... zu <I>verehren, </I>wobei mir das <I>Gl&uuml;ck </I>ward, dem Prinzen usw. ... <I>meinem immer gn&auml;digen Herrn, aufzuwarten</I>'" usw.</P>
</FONT><P>Die Stelle, wo Goethe dem Leibkammerdiener, Leibhahnrei und Leib- <A NAME="S238"><B>&lt;238&gt;</A></B> kuppler des K&ouml;nigs von Preu&szlig;en, Herrn Rietz, seine untert&auml;nige Devotion zu F&uuml;&szlig;en legt, findet Herr Gr&uuml;n nicht angemessen zu zitieren.</P>
<FONT SIZE=2><P ALIGN="RIGHT">["Deutsche-Br&uuml;sseler-Zeitung" Nr. 97 vom 5. Dezember 1847]</P>
</FONT><P>Bei Gelegenheit des <I>"B&uuml;rgergenerals" </I>und der <I>"Ausgewanderten" </I>erfahren wir:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Goethes ganze Antipathie gegen die Revolution, sooft sie sich in dichterischer Weise &auml;u&szlig;erte, betraf dieses ewige Weh und Ach, da&szlig; er die Menschen aus <I>wohlverdienten </I>und <I>wohlerlebten </I>Besitzzust&auml;nden vertrieben sah, welche von Intriganten, Neidischen usw. in Anspruch genommen wurden ... dieses selbe <I>Unrecht der Beraubung</I> ... Seine <I>h&auml;usliche</I>, <I>friedliche </I>Natur emp&ouml;rte sich gegen eine Verletzung des Besitzrechts, die, von der <I>Willk&uuml;r </I>ausge&uuml;bt, ganze Menschenmassen in Flucht und Elend jagte" p. 151.</P>
</FONT><P>Schreiben wir diese Stelle ohne weiteres auf Rechnung "des Menschen", dessen "friedliche, h&auml;usliche Natur" sich in "wohlverdienten und wohlerlebten", also, gerade herausgesagt, wohlerworbenen "Besitzzust&auml;nden" so behaglich f&uuml;hlt, da&szlig; sie die Sturmflut der Revolution, die diese Zust&auml;nde sans facon &lt;ohne Umst&auml;nde&gt; wegschwemmt, f&uuml;r "Willk&uuml;r", f&uuml;r das Werk von "Intriganten, Neidischen" usw. erkl&auml;rt.</P>
<P>Da&szlig; Herr Gr&uuml;n die b&uuml;rgerliche Idylle <I>"Hermann </I>und <I>Dorothea"</I>, ihre zaghaften und altklugen Kleinst&auml;dter, ihre jammernden Bauern, die mit abergl&auml;ubischer Furcht vor der sansk&uuml;lottischen Armee und vor den Greueln des Kriegs ausrei&szlig;en, "mit der reinsten Freude genie&szlig;t" (p. 165), das wundert uns hiernach nicht. Herr Gr&uuml;n</P>
<FONT SIZE=2><P>"nimmt sogar beruhigt vorlieb mit der engherzigen Mission, welche am Ende dem deutschen Volke ... zugeteilt wird:</P><DIR>
<DIR>
<P>Nicht dem Deutschen geziemt es, die f&uuml;rchterliche Bewegung<BR>
Fortzuleiten und auch zu schwanken &lt;bei Goethe: wanken&gt; hierhin und dorthin".</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Herr Gr&uuml;n tut recht daran, mitleidige Tr&auml;nen zu vergie&szlig;en f&uuml;r die Opfer der schweren Zeitl&auml;ufte und in patriotischer Verzweiflung &uuml;ber solche Schicksalsschl&auml;ge gegen Himmel zu blicken. Es gibt ohnehin der Verderbten und Entarteten genug, die kein "menschliches" Herz im Busen tragen, die lieber im republikanischen Lager in die Marseillaise einstimmen, ja wohl gar in Dorotheens verlassenem K&auml;mmerlein laszive Witze rei&szlig;en. Herr Gr&uuml;n ist ein Biedermann, den die Gef&uuml;hllosigkeit entr&uuml;stet, mit welcher z.B. ein <A NAME="S239"><B>&lt;239&gt;</A></B> Hegel auf die im Sturmschritt der Geschichte zertretenen "stillen Bl&uuml;mlein" herabsieht und &uuml;ber "die Litanei von Privattugenden der Bescheidenheit, Demut, Menschenliebe und Mildt&auml;tigkeit" spottet, die "gegen welthistorische Taten und deren Vollbringer" erhoben wird. Herr Gr&uuml;n tut recht daran. Es wird ihm im Himmel wohl belohnet werden.</P>
<P>Schlie&szlig;en wir die "menschlichen" Glossen &uuml;ber die Revolution mit folgendem: "Ein wirklicher Komiker d&uuml;rfte es sich herausnehmen, den <I>Konvent</I> <I>selbst unendlich l&auml;cherlich </I>zu <I>finden</I>", und bis dieser "wirkliche Komiker" sich finde, gibt Herr Gr&uuml;n einstweilen die n&ouml;tigen Instruktionen dazu, p. 151, 152.</P>
<P>&Uuml;ber Goethes Verh&auml;ltnis zur Politik nach der Revolution gibt Herr Gr&uuml;n ebenfalls &uuml;berraschende Aufschl&uuml;sse. Nur ein Beispiel. Wir wissen bereits, welchen tiefgef&uuml;hlten Groll "der Mensch" gegen die Liberalen in seinem Herzen tr&auml;gt. Der "Dichter des Menschlichen" darf nat&uuml;rlich nicht in die Grube fahren, ohne sich ganz speziell mit ihnen auseinandergesetzt, ohne den Herren Welcker, Itzstein und Konsorten einen ausdr&uuml;cklichen Denkzettel angehangen zu haben. Diesen Denkzettel sp&uuml;rt unser "selbstzufriedenes Schn&uuml;ffelwesen" in folgender "Zahmen Xenie" auf (p. 319):</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Das ist doch nur der alte Dreck.<BR>
Werdet doch gescheiter!<BR>
Tretet nicht immer denselben Fleck,<BR>
So geht doch weiter!</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Goethes Urteil: "Nichts ist widerw&auml;rtiger als die <I>Majorit&auml;t</I>, denn sie besteht aus wenigen kr&auml;ftigen Vorg&auml;ngern, aus Schelmen, die sich akkommodieren, aus Schwachen, die sich assimilieren, und der Masse, die nachtrollt, ohne nur im mindesten zu wissen, was sie will" - dies echte Spie&szlig;b&uuml;rgerurteil, dessen Unwissenheit und Kurzsichtigkeit nur auf dem beschr&auml;nkten Terrain eines deutschen Sedezstaats m&ouml;glich ist, gilt Herrn Gr&uuml;n f&uuml;r "die Kritik des sp&auml;teren" (d.h. modernen) "Gesetzesstaats". Wie wichtig es sei, erfahre man "z.B. in jeder beliebigen Deputiertenkammer" (p. 268). Hiernach sorge der "Bauch" der franz&ouml;sischen Kammer nur aus Unwissenheit so vortrefflich f&uuml;r sich und seinesgleichen. Ein paar Seiten weiter, p. 271, ist dem Herrn Gr&uuml;n "die <I>Julirevolution</I>" "fatal", und schon p. 34 wird der <I>Zollverein </I>scharf getadelt, weil er "dem Nackten, Frierenden die Lappen zur Bedeckung seiner Bl&ouml;&szlig;e noch <I>verteuert</I>, um die St&uuml;tzen des Throns (!!), die freisinnigen Geldherren" (die bekanntlich im ganzen Zollverein "dem Thron" opponieren) "etwas wurmfester zu machen". Die "Nackten" und "Frierenden" werden bekanntlich in Deutschland &uuml;berall von den Spie&szlig;- <A NAME="S240"><B>&lt;240&gt;</A></B> b&uuml;rgern vorgeschoben, wo es gilt, die Schutzz&ouml;lle oder irgendeine andre progressive Bourgeoisma&szlig;regel zu bek&auml;mpfen" und "der Mensch" schlie&szlig;t sich ihnen an.</P>
<P>Welche Aufschl&uuml;sse gibt uns nun Goethes Kritik der Gesellschaft und des Staats durch Herrn Gr&uuml;n &uuml;ber "das Wesen des Menschen"?</P>
<P>Zuerst besitzt "der Mensch" nach p. 264 einen ganz entschiedenen Respekt vor den "gebildeten St&auml;nden" im allgemeinen und eine geziemende Deferenz gegen einen hohen Adel im besondern. Dann aber zeichnet er sich durch eine gewaltige Furcht vor jeder gro&szlig;en Massenbewegung, vor aller energischen gesellschaftlichen Aktion aus, bei deren Herannahen er sich entweder sch&uuml;chtern in seinen Ofenwinkel verkriecht oder mit Sack und Pack eiligst davonl&auml;uft. Solange sie dauert, ist die Bewegung "eine bittere Erfahrung" f&uuml;r ihn, kaum ist sie vorbei, so pflanzt er sich breit aufs Proszenium und teilt mit der Hand des Herkules Ohrfeigen aus, die ihm erst jetzt recht behaglich zu klatschen scheinen, und findet die ganze Geschichte "unendlich l&auml;cherlich". Dabei h&auml;ngt er mit ganzer Seele an "wohlverdienten und wohlerlebten Besitzzust&auml;nden"; im &uuml;brigen besitzt er eine sehr "h&auml;usliche und friedliche Natur", ist gen&uuml;gsam und bescheiden und w&uuml;nscht, in seinen kleinen, stillen Gen&uuml;ssen durch keine St&uuml;rme gest&ouml;rt zu werden. "Der Mensch weilt gern im Beschr&auml;nkten" (p. 191, lautet so der erste <I>Satz </I>des "zweiten Teils"); er beneidet niemanden und dankt seinem Sch&ouml;pfer, wenn man ihn in Ruhe l&auml;&szlig;t. Kurz, "der Mensch", von dem wir schon sahen, da&szlig; er ein geborner <I>Deutscher </I>ist, f&auml;ngt allm&auml;hlich an, einem <I>deutschen Kleinb&uuml;rger </I>aufs Haar zu gleichen.</P>
<P>In der Tat, worauf reduziert sich Goethes durch Herrn Gr&uuml;n vermittelte Kritik der Gesellschaft? Was findet "der Mensch" an der Gesellschaft auszusetzen? Erstens, da&szlig; sie seinen Illusionen nicht entspricht. Aber diese Illusionen sind gerade die Illusionen des ideologisierenden, besonders des jugendlichen Spie&szlig;b&uuml;rgers - und wenn die spie&szlig;b&uuml;rgerliche Wirklichkeit diesen Illusionen nicht entspricht, so kommt das nur daher, weil sie Illusionen sind. Sie entsprechen daf&uuml;r um so vollst&auml;ndiger der spie&szlig;b&uuml;rgerlichen Wirklichkeit. Sie unterscheiden sich von ihr nur, wie sich &uuml;berhaupt der ideologisierende Ausdruck eines Zustandes von diesem Zustande unterscheidet, und von ihrer Realisierung kann daher weiter keine Rede sein. Ein schlagendes Exempel hierf&uuml;r liefern Herrn Gr&uuml;ns Glossen zu "Werther".</P>
<P>Zweitens richtet sich die Polemik "des Menschen" gegen alles, was das deutsche Spie&szlig;b&uuml;rgerregime bedroht. Seine ganze Polemik gegen die Revolution ist die eines Spie&szlig;b&uuml;rgers. Sein Ha&szlig; gegen die Liberalen, die Julirevolution, die Schutzz&ouml;lle spricht sich aufs unverkennbarste als der Ha&szlig; des <A NAME="S241"><B>&lt;241&gt;</A></B> gedr&uuml;ckten, stabilen Kleinb&uuml;rgers gegen den unabh&auml;ngigen, progressiven Bourgeois aus. Geben wir hierf&uuml;r noch zwei Beispiele.</P>
<P>Die Bl&uuml;te der Kleinb&uuml;rgerei war bekanntlich das Zunftwesen. Pag. 40 sagt Herr Gr&uuml;n, im Sinne Goethes, also "des Menschen", sprechend: "Im Mittelalter verband die Korporation den <I>starken Mann </I>sch&uuml;tzend mit andern <I>Starken</I>. Die Zunftb&uuml;rger jener Zeit sind "starke M&auml;nner" vor "dem Menschen".</P>
<P>Aber das Zunftregime war zu Goethes Zeit bereits im Verfall, die Konkurrenz brach von allen Seiten herein. Goethe ergie&szlig;t sich als echter Spie&szlig;b&uuml;rger in einer Stelle seiner Memoiren, die Herr Gr&uuml;n p. 88 zitiert, in herzzerrei&szlig;enden Klagen &uuml;ber die anfangende Verfaulung der Kleinb&uuml;rgerei, &uuml;ber den Ruin wohlhabender Familien, &uuml;ber den damit verbundenen Verfall des Familienlebens, Lockerung der h&auml;uslichen Bande und sonstigen B&uuml;rgerjammer, der in zivilisierten L&auml;ndern mit verdienter Verachtung behandelt wird. Herr Gr&uuml;n, der in dieser Stelle eine famose Kritik der modernen Gesellschaft wittert, kann seine Freude so wenig m&auml;&szlig;igen, da&szlig; er ihren ganzen "menschlichen Inhalt" mit Sperrschrift drucken l&auml;&szlig;t.</P>
<P>Gehen wir jetzt zum positiven "menschlichen Inhalt" in Goethe &uuml;ber. Wir k&ouml;nnen jetzt rascher gehen, da wir "dem Menschen" einmal auf der F&auml;hrte sind.</P>
<P>Berichten wir vor allen Dingen die erfreuliche Wahrnehmung, da&szlig; "Wilhelm Meister das elterliche Haus desertiert" und im "Egmont" "die Br&uuml;sseler B&uuml;rger auf Privilegien und Freiheiten bestehen", aus keinem andern Grunde, als um "Menschen zu werden" p. XVII.</P>
<P>Herr Gr&uuml;n ertappte schon einmal den alten Goethe auf Proudhonschen Wegen. Er hat dies Vergn&uuml;gen p. 320 noch einmal:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Was er wollte, was wir alle wollen, unsre Pers&ouml;nlichkeit retten, die <I>Anarchie</I> im wahren Sinne des Worts, dar&uuml;ber spricht Goethe also:</P><DIR>
<DIR>
<P>Warum mir aber in neuster Welt<BR>
Anarchie gar so wohl gef&auml;llt?<BR>
Ein jeder lebt nach seinem Sinn,<BR>
Das ist nun also auch mein Gewinn" usw.</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Herr Gr&uuml;n ist &uuml;berselig, die echt "menschliche" gesellschaftliche Anarchie, die von Proudhon zuerst verk&uuml;ndigt und von den deutschen wahren Sozialisten durch Akklamation adoptiert worden ist, bei Goethe wiederzufinden. Diesmal versieht er sich indes. Goethe spricht von der schon existierenden "Anarchie in neuster Welt", die sein Gewinn schon "ist", und wonach jeder nach seinem Sinn lebt, d.h. von der durch die Aufl&ouml;sung des <A NAME="S242"><B>&lt;242&gt;</A></B> Feudal- und Zunftwesens, durch das Emporkommen der Bourgeoisie, die Verbannung des Patriarchalismus aus dem gesellschaftlichen Leben der gebildeten Klassen herbeigef&uuml;hrten Unabh&auml;ngigkeit im geselligen Verkehr. Von des Herrn Gr&uuml;n beliebter <I>zuk&uuml;nftiger </I>Anarchie im h&ouml;hern Sinne kann also schon aus <I>grammatischen </I>Gr&uuml;nden keine Rede sein. Goethe spricht hier &uuml;berhaupt nicht von dem, "was er wollte", sondern von dem, was er vorfand.</P>
<P>Doch so ein kleines Versehen darf nicht st&ouml;ren. Daf&uuml;r haben wir ja das Gedicht:&#9;"Eigentum".</P><DIR>
<DIR>
<FONT SIZE=2><P>Ich wei&szlig;, da&szlig; mir nichts angeh&ouml;rt<BR>
Als der Gedanke, der ungest&ouml;rt<BR>
Aus meiner Seele will flie&szlig;en,<BR>
Und jeder g&uuml;nstige Augenblick,<BR>
Den mich ein liebendes Geschick<BR>
Von Grund aus l&auml;&szlig;t genie&szlig;en.</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Wenn es nicht klar ist, da&szlig; in diesem Gedicht "das bisherige Eigentum in Rauch aufgeht" (p. 320), so steht Herrn Gr&uuml;n der Verstand, still.</P>
<FONT SIZE=2><P ALIGN="RIGHT">["Deutsche-Br&uuml;sseler-Zeitung" Nr. 98 vom 9. Dezember 1847]</P>
</FONT><P>Doch &uuml;berlassen wir diese kleinen exegetischen Nebenbelustigungen des Herrn Gr&uuml;n ihrem Schicksal. Ihre Zahl ist ohnehin Legion, und die eine f&uuml;hrt immer zu noch &uuml;berraschenderen als die andere. Sehen wir uns lieber wieder nach "dem Menschen" um.</P>
<P>"Der Mensch weilt gern im Beschr&auml;nkten", h&ouml;rten wir. Der Spie&szlig;b&uuml;rger tut desgleichen.</P>
<FONT SIZE=2><P>"Goethes Erstlinge waren <I>rein sozialer</I>" (d.h. menschlicher) "Natur ... Goethe hielt sich ans <I>Allern&auml;chste</I>,<I> Kleinste</I>,<I> H&auml;uslichste</I>" p. 88.</P>
</FONT><P>Das erste, was wir Positives am Menschen entdecken, ist die Freude am "kleinsten, h&auml;uslichen" Stilleben des Kleinb&uuml;rgers.</P>
<FONT SIZE=2><P>"Wenn wir einen Platz in der Welt finden", sagt Goethe von Herrn Gr&uuml;n res&uuml;miert, "da mit unsern Besitzt&uuml;mern zu ruhen, ein Feld, uns zu n&auml;hren, ein Haus, uns zu decken, haben wir da nicht ein Vaterland?"</P>
</FONT><P>Und, ruft Herr Gr&uuml;n aus,</P>
<FONT SIZE=2><P>"wie ist uns heute das Wort aus der Seele geschrieben?" p. 32.</P>
</FONT><P>"Der Mensch" tr&auml;gt wesentlich eine redingote &agrave; la propri&eacute;taire &lt;einen gehrock des Wohlhabenden&gt; und gibt sich auch dadurch als Vollblut-Epicier &lt;Vollblut-Spie&szlig;b&uuml;rger&gt; zu erkennen.</P>
<P>Der deutsche B&uuml;rger ist h&ouml;chstens momentan, in seiner Jugend Frei- <A NAME="S243"><B>&lt;243&gt;</A> </B>heitsschw&auml;rmer, wie jedermann wei&szlig;. "Der Mensch" hat dieselbe Eigenschaft. Herr Gr&uuml;n erw&auml;hnt mit Wohlgefallen, wie Goethe in seinen sp&auml;teren Jahren den noch im "G&ouml;tz", diesem "Produkt eines freien und ungezogenen Knaben", spukenden "Freiheitsdrang" "verdammt", und zitiert sogar den feigen Widerruf in extenso &lt;ausf&uuml;hrlich&gt; p. 43. Was Herr Gr&uuml;n sich unter Freiheit vorstellt, mag man daraus abnehmen, da&szlig; er ebendaselbst die Freiheit der Franz&ouml;sischen Revolution mit der fryen Schwyzer zur Zeit von Goethes Schweizerreise, also die moderne konstitutionelle und demokratische Freiheit mit der Patrizier- und Zunftherrschaft mittelalterlicher Reichsst&auml;dte und vollends mit der urgermanischen Roheit viehz&uuml;chtender Alpenst&auml;mme identifiziert. Die Montagnards des Berner Oberlandes unterscheiden sich ja nicht einmal dem Namen nach von den Montagnards des Nationalkonvents! &lt;Wortspiel:" montagnards" - w&ouml;rtlich "Bergbewohner" so nannten sich such die Jakobiner, die Vertreter der Bergpartei im Konvent w&auml;hrend der Franz&ouml;sischen Revolution&gt;</P>
<P>Der ehrsame B&uuml;rger ist ein gro&szlig;er Feind aller Frivolit&auml;t und Religionssp&ouml;tterei: "Der Mensch" desgleichen. Wenn Goethe sich in dieser Beziehung an diversen Stellen echt b&uuml;rgerlich aussprach, so geh&ouml;rt dies Herrn Gr&uuml;n auch zum "menschlichen Inhalt in Goethe". Und damit man es recht glauben m&ouml;ge, sammelt Herr Gr&uuml;n nicht nur diese Goldk&ouml;rner, sondern setzt p. 62 noch gar manches Beherzigenswerte von seinem Eignen hinzu, da&szlig; die "Religionssp&ouml;tter ... hohle T&ouml;pfe und Tr&ouml;pfe" seien usw. Was seinem Herzen als "Menschen" und B&uuml;rger alle Ehre macht.</P>
<P>Der B&uuml;rger kann nicht ohne einen "lieben K&ouml;nig", einen teuren Landesvater leben. "Der Mensch" auch nicht. Daher hat Goethe p. 129 an Karl August einen "vortrefflichen F&uuml;rsten". Der wackre Herr Gr&uuml;n, der Anno 1846 noch f&uuml;r "vortreffliche F&uuml;rsten" schw&auml;rmt!</P>
<P>Den B&uuml;rger interessiert eine Begebenheit insofern, als sie direkt auf seine Privatverh&auml;ltnisse einwirkt.</P>
<FONT SIZE=2><P>"Selbst die Begebenheiten des Tages werden Goethe zu fremden Objekten, die ihn in der <I>b&uuml;rgerlichen Beh&auml;bigkeit </I>entweder st&ouml;ren oder f&ouml;rdern, die ihm ein &auml;sthetisches oder <I>menschliches </I>Interesse abgewinnen k&ouml;nnen, nie aber ein politisches" p. 20.</P>
</FONT><P>Herr Gr&uuml;n "gewinnt hiernach einer Sache ein menschliches Interesse ab", wenn er merkt, da&szlig; sie ihn "in der b&uuml;rgerlichen Beh&auml;bigkeit entweder st&ouml;rt oder f&ouml;rdert". Herr Gr&uuml;n gesteht hier m&ouml;glichst geradeheraus, da&szlig; die b&uuml;rgerliche Beh&auml;bigkeit die Hauptsache f&uuml;r "den Menschen" ist.</P>
<P>"Faust" und "Wilhelm Meister" geben Herrn Gr&uuml;n zu besondern Kapiteln Anla&szlig;. Nehmen wir zuerst den "Faust".</P>
<B><P><A NAME="S244">&lt;244&gt;</A></B> Pag. 116 erfahren wir:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Dadurch, da&szlig; Goethe dem Geheimnis der Pflanzen-Organisation auf die Spur kam", wird er "erst in den Stand gesetzt, seinen humanistischen Menschen" (gibt es denn kein Mittel, dem "menschlichen" Menschen aus dem Wege zu gehen), "den Faust, fertig zu gestalten. <I>Denn </I>Faust wird ebensowohl ... als auch durch die Naturwissenschaft auf den Gipfel seiner eigenen Natur (!) gef&uuml;hrt."</P>
</FONT><P>Wir haben unsre Exempel davon gehabt, wie auch "der humanistische Mensch" Herr Gr&uuml;n "durch die Naturwissenschaft auf den Gipfel seiner eigenen Natur gef&uuml;hrt wird". Man sieht, wie dies in der Rasse liegt.</P>
<P>Wir h&ouml;ren dann p. 231 ,da&szlig; das "Tiergeripp' und Totenbein" in der ersten Szene "die Abstraktion unsres ganzen Lebens" bedeutet - &uuml;berhaupt verf&auml;hrt Herr Gr&uuml;n mit dem "Faust" geradeso, als ob er die Offenbarung Sankt Johannis' des Theologen vor sich h&auml;tte. Der Makrokosmus bedeutet "die Hegelsche Philosophie", die damals, als Goethe diese Szene schrieb (1806), zuf&auml;llig nur noch im Kopfe Hegels und h&ouml;chstens im Manuskripte der "Ph&auml;nomenologie" existierte, das Hegel zu derselben Zeit ausarbeitete. Was geht den "menschlichen Inhalt" die Zeitrechnung an?</P>
<P>Die Schilderung des heruntergekommenen Heiligen R&ouml;mischen Reichs im zweiten Teil des "Faust" versteht Herr Gr&uuml;n p. 240 ohne weiteres f&uuml;r eine Schilderung der Monarchie Ludwigs XIV., "womit", f&uuml;gt er hinzu, "wir <I>von selbst </I>die Konstitution und die Republik haben!" "Der Mensch" "hat" nat&uuml;rlich alles "von selbst", was andre Leute sich erst mit M&uuml;he und Arbeit herstellen m&uuml;ssen.</P>
<P>Pag. 246 vertraut uns Herr Gr&uuml;n, da&szlig; der zweite Teil des "Faust" nach seiner naturwissenschaftlichen Seite hin "der moderne Kanon geworden, wie Dantes 'G&ouml;ttliche Kom&ouml;die' der Kanon des Mittelalters war". Zur Nachahmung f&uuml;r die Naturforscher, die bisher hinter dem zweiten Teil des "Faust" sehr wenig, und f&uuml;r die Historiker, die hinter dem ghibellinischen Parteigedicht des Florentiners ganz etwas andres als einen "Kanon des Mittelalters" gesucht hatten! Es scheint, als ob Herr Gr&uuml;n die Geschichte mit &auml;hnlichen Augen ansieht, wie Goethe nach p. 49 seine eigne Vergangenheit: "In Italien &uuml;berschaute Goethe seine Vergangenheit <I>aus den Augen </I>des belvederischen Apoll", welche Augen pour comble de malheur &lt;um das Ungl&uuml;ck voll zu machen&gt; nicht einmal Aug&auml;pfel haben.</P>
<I><P>Wilhelm Meister</I> ist "Kommunist", d.h. "in der Theorie, auf dem Boden der &auml;sthetischen Anschauung" (!!) p. 254.</P><DIR>
<DIR>
<B><FONT SIZE=2><P><A NAME="S245">&lt;245&gt;</A></B> Er hat sein' Sach' auf nichts gestellt,<BR>
Und sein geh&ouml;rt die ganze Welt p. 257.</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>Nat&uuml;rlich, er hat Geld genug, und die Welt geh&ouml;rt ihm, wie sie jedem Bourgeois geh&ouml;rt, ohne da&szlig; er sich die M&uuml;he zu geben braucht, "Kommunist auf dem Boden der &auml;sthetischen Anschauung" zu werden. - Unter den Auspizien des Nichts, worauf Wilhelm Meister sein' Sach' gestellt hat und welches, wie p. 256 zu ersehen, ein gar weitl&auml;uftiges und inhaltsschweres, "Nichts" ist, wird auch der Katzenjammer abgeschafft. Herr Gr&uuml;n "trinkt alle Neigen aus, ohne Nachwehen, ohne Kopfschmerz". Desto besser f&uuml;r "den Menschen", der nun ungestraft dem stillen Trunke huldigen darf. F&uuml;r die Zeit, wo dieses alles erf&uuml;llet wird, entdeckt Herr Gr&uuml;n inzwischen schon das Kommerslied des "wahren Menschen" in dem: "Ich hab mein' Sach' auf nichts gestellt" - "dieses Lied wird man singen, wenn die Menschheit sich ihrer w&uuml;rdig eingerichtet hat"; nur hat Herr Gr&uuml;n es auf drei Strophen reduziert und die f&uuml;r die Jugend und "den Menschen" unpassenden Stellen ausgemerzt.</P>
<P>Goethe stellt im "W[ilhelm] M[eister]"</P>
<FONT SIZE=2><P>"das Ideal der menschlichen Gesellschaft auf". "Der Mensch ist kein lehrendes, sondern ein lebendes, handelndes und wirkendes Wesen." "Wilhelm Meister ist dieser Mensch." "Das Wesen des Menschen ist die T&auml;tigkeit"</P>
</FONT><P>(ein Wesen, das er mit jedem Floh teilt) p. 257, 258, 261.</P>
<P>Zum Schlu&szlig; die "Wahlverwandtschaften". Diesen ohnehin moralischen Roman moralisiert Herr Gr&uuml;n noch mehr, so da&szlig; es fast scheint, als ob es ihm darum zu tun w&auml;re, die "Wahlverwandtschaften" als passendes Schulbuch f&uuml;r h&ouml;here T&ouml;chterschulen zu empfehlen. Herr Gr&uuml;n erkl&auml;rt, Goethe habe</P>
<FONT SIZE=2><P>"unterschieden zwischen Liebe und Ehe, und zwar so, da&szlig; ihm die Liebe das <I>Suchen der Ehe</I> war und die Ehe die <I>gefundene</I>, vollendete Liebe", p. 286.</P>
</FONT><P>Wonach also die Liebe das Suchen "der gefundenen Liebe" ist. Dies wird weiter dahin erl&auml;utert, da&szlig; nach "der Freiheit der Jugendliebe" die Ehe als "Schlu&szlig;verh&auml;ltnis der Liebe" einzutreten hat (p. 287). Gerade wie in zivilisierten L&auml;ndern ein weiser Familienvater seinen Sohn erst einige Jahre austoben l&auml;&szlig;t und ihm dann als "Schlu&szlig;verh&auml;ltnis" eine passende Ehefrau aussucht. W&auml;hrend man aber in zivilisierten L&auml;ndern l&auml;ngst dar&uuml;ber hinweg ist, in diesem "Schlu&szlig;verh&auml;ltnis" etwas moralisch Bindendes zu sehen, w&auml;hrend dort im Gegenteil der Mann sich Maitressen h&auml;lt und die Frau ihm daf&uuml;r H&ouml;rner aufsetzt, rettet den Herrn Gr&uuml;n wieder der Spie&szlig;b&uuml;rger:</P>
<B><FONT SIZE=2><P><A NAME="S246">&lt;246&gt;</A></B> "Hat der Mensch wirklich freie Wahl gehabt, ... gr&uuml;nden zwei Menschen ihren Bund auf ihren beiderseitigen vern&uuml;nftigen Willen" (von Leidenschaft, Fleisch und Blut ist dabei keine Rede), "so h&ouml;rt die Weltansicht eines <I>Libertin</I> &lt;<I>L&uuml;stlings</I>&gt;<I> </I>dazu, die St&ouml;rung dieses Verh&auml;ltnisses als eine Kleinigkeit, als nicht so leid- und ungl&uuml;cksvoll zu betrachten, wie Goethe es getan hat. Von <I>Libertinage</I> &lt;<I>Ausschweifung</I>&gt; aber kann bei Goethe keine Rede sein" p. 288.</P>
</FONT><P>Diese Stelle qualifiziert die sch&uuml;chterne Polemik gegen die Moral, die sich Herr Gr&uuml;n von Zeit zu Zeit erlaubt. Der Spie&szlig;b&uuml;rger ist zu der Einsicht gekommen, da&szlig; man den jungen Leuten um so eher etwas durchgehen lassen mu&szlig;, als gerade die liederlichsten Jungen nachher die besten Ehem&auml;nner werden. Sollten sie sich aber nach der Hochzeit noch etwas zuschulden lassen kommen - dann keine Gnade, keine Barmherzigkeit f&uuml;r sie; denn "es geh&ouml;rt die Weltansicht eines Libertins dazu".</P>
<P>"Weltansicht eines Libertins!" "Libertinage!" Man sieht "den Menschen" so leibhaftig als m&ouml;glich vor Augen, wie er die Hand aufs Herz legt und mit freudigem Stolze ausruft: Nein! ich bin rein von aller Frivolit&auml;t, von "Kammern und Unzucht", ich habe nie das Gl&uuml;ck einer zufriedenen Ehe mutwillig gest&ouml;rt, ich hab' immer Treu und Redlichkeit ge&uuml;bt und mich nie gel&uuml;sten lassen nach meines N&auml;chsten Weib - ich bin kein "Libertin"!</P>
<P>"Der Mensch" hat recht. Er ist nicht gemacht f&uuml;r galante Abenteuer mit sch&ouml;nen Frauenzimmern, er hat nie auf Verf&uuml;hrung und Ehebruch spekuliert, er ist kein "Libertin", sondern ein Mann von Gewissen, ein ehr- und tugendsamer deutscher Spie&szlig;b&uuml;rger. Er ist</P><DIR>
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<FONT SIZE=2><P>... l'&eacute;picer pacifique,<BR>
Fumant sa pipe au fond de sa boutique;<BR>
Il craint sa femme et son ton arrogant;<BR>
De la maison il lui laisse l'empire,<BR>
Au moindre signe ob&eacute;it sans mot dire<BR>
Et vit ainsi cocu, battu, content.</P>
<P>&lt;... der friedliche Kr&auml;mer,<BR>
der seine Pfeife hinten im Laden raucht;<BR>
er f&uuml;rchtet seine Frau und ihren arroganten Ton;<BR>
die Herrschaft &uuml;ber das Haus &uuml;berl&auml;&szlig;t er ihr,<BR>
auf den geringsten Wink gehorcht er stumm.<BR>
So lebt er denn geh&ouml;rnt, geschlagen und zufrieden.&gt;</P>
<P>(Parny, "Goddam" &lt; englischer Fluch; in Frankreich Spottname f&uuml;r Engl&auml;nder &gt;, chant III.)</P></DIR>
</DIR>
</FONT><B><P><A NAME="S247">&lt;247&gt;</A></B> Es bleibt uns nur noch eine Bemerkung zu machen. Wenn wir in den vorstehenden Zeilen Goethe nur nach einer Seite hin betrachtet haben, so ist das lediglich die Schuld des Herrn Gr&uuml;n. Er stellt Goethe nach seiner kolossalen Seite hin gar nicht dar. &Uuml;ber alle Sachen, in denen Goethe wirklich gro&szlig; und genial war, schl&uuml;pft er entweder eilig hinweg, wie &uuml;ber die "R&ouml;mischen Elegien" des "Libertins" Goethe, oder er gie&szlig;t einen breiten Strom von Trivialit&auml;ten &uuml;ber sie aus, der nur beweist, da&szlig; er mit ihnen nichts anzufangen wei&szlig;. Dagegen sucht er mit einem bei ihm sonst nicht h&auml;ufigen Flei&szlig; alle Philistereien, alle Spie&szlig;b&uuml;rgerlichkeiten, alle Kleinigkeiten auf, stellt sie zusammen, outriert sie echt literatenm&auml;&szlig;ig und freut sich jedesmal, wenn er seine eigene Borniertheit auf die Autorit&auml;t des, oft noch entstellten, Goethe st&uuml;tzen kann.</P>
<P>Nicht das Gebelfer Menzels, nicht die beschr&auml;nkte Polemik B&ouml;rnes war die Rache der Geschichte daf&uuml;r, da&szlig; Goethe sie jedesmal verleugnete, wenn sie ihm Aug in Auge gegen&uuml;ber trat. Nein,</P><DIR>
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<FONT SIZE=2><P>So wie Titania in Feen- und Zauberland<BR>
Klaus Zetteln in den Armen fand,</P></DIR>
</DIR>
</FONT><P>so hat Goethe eines Morgens den Herrn Gr&uuml;n in seinen Armen gefunden. Die Apologie des Herrn Gr&uuml;n, der warme Dank, den er Goethen f&uuml;r jedes philistr&ouml;se Wort stammelt, das ist die bitterste Rache, die die beleidigte Geschichte &uuml;ber den gr&ouml;&szlig;ten deutschen Dichter verh&auml;ngen konnte.</P>
<P>Herr Gr&uuml;n aber "kann mit dem Bewu&szlig;tsein die Augen schlie&szlig;en, da&szlig; er der Bestimmung, Mensch zu sein, keine Schande gemacht hat" (p. 248).</P>
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</BODY>
</HTML>