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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>Karl Marx - Enthuellungen ueber den Kommunisten-Prozess zu Koeln</TITLE>
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<P><SMALL>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 8, 3. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1960, Berlin/DDR. S. 414-417</SMALL>
<P ALIGN="CENTER"><A HREF="me08_409.htm"><FONT SIZE=2>I. Vorl&auml;ufiges</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="me08_405.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="me08_418.htm"><FONT SIZE=2>III. Das Komplott Cherval</FONT></A></P>
<P ALIGN="CENTER">II</P>
<FONT SIZE=5><P ALIGN="CENTER">Das Archiv Dietz</P>
</FONT><B><P><A NAME="S414">&lt;414&gt;</A></B> Das bei den Angeklagten vorgefundene "Manifest der Kommunistischen Partei", vor der Februarrevolution gedruckt, seit Jahren im Buchhandel befindlich, konnte seiner Form und Bestimmung nach nicht das Programm eines "Komplotts" sein. Die saisierten <I>Ansprachen </I>der Zentralbeh&ouml;rde besch&auml;ftigten sich ausschlie&szlig;lich mit dem Verh&auml;ltnis der Kommunisten zur k&uuml;nftigen Regierung der Demokratie, also nicht mit der Regierung Friedrich Wilhelms IV. Die "Statuten" endlich waren Statuten einer geheimen Propagandagesellschaft, aber der Code p&eacute;nal enth&auml;lt keine Strafen gegen geheime Gesellschaften. Als letzte Tendenz dieser Propaganda wird die Zertr&uuml;mmerung der bestehenden Gesellschaft ausgesprochen, aber der preu&szlig;ische Staat ist schon einmal untergegangen und kann noch zehnmal wieder untergehen und definitiv untergehen, ohne da&szlig; der bestehenden Gesellschaft auch nur ein Haar ausf&auml;llt. Die Kommunisten k&ouml;nnen den Aufl&ouml;sungsproze&szlig; der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft beschleunigen helfen und dennoch der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft die Aufl&ouml;sung des preu&szlig;ischen Staates &uuml;berlassen. Wessen direkter Zweck es w&auml;re, den preu&szlig;ischen Staat zu st&uuml;rzen, und wer zu diesem Behuf die Zertr&uuml;mmerung der Gesellschaft als Mittel lehrte, der gliche jenem verr&uuml;ckten Ingenieur, der die Erde sprengen wollte, um einen Misthaufen aus dem Weg zu r&auml;umen.</P>
<P>Aber wenn das Endziel des Bundes der <I>Umsturz der Gesellschaft</I>, so ist sein Mittel notwendig die <I>politische Revolution</I>, und er impliziert den Umsturz des preu&szlig;ischen Staates, wie ein Erdbeben den Umsturz des H&uuml;hnerstalles impliziert. Aber die Angeklagten gingen nun einmal von der frevelhaften Ansicht aus, da&szlig; die jetzige preu&szlig;ische Regierung auch ohne sie fallen werde. Sie stifteten daher keinen Bund zum Sturz der jetzigen preu&szlig;ischen Regierung, sie machten sich keines "hochverr&auml;terischen Komplotts" schuldig.</P>
<B><P><A NAME="S415">&lt;415&gt;</A></B> Hat man die ersten Christen je angeklagt, ihr Zweck sei, den ersten besten r&ouml;mischen Winkelpr&auml;fekten zu st&uuml;rzen? Die preu&szlig;ischen Staatsphilosophen von Leibniz bis Hegel haben an der Absetzung Gottes gearbeitet, und wenn ich Gott absetze, setze ich auch den K&ouml;nig von Gottes Gnaden ab. Hat man sie aber wegen Attentat auf das Haus Hohenzollern verfolgt?</P>
<P>Man konnte also die Sache drehen und wenden, wie man wollte, das vorgefundene Corpus delicti verschwand wie ein Gespenst vor dem Tageslicht der &Ouml;ffentlichkeit. Es blieb bei der Klage des Anklagesenats, da&szlig; <I>"kein objektiver Tatbestand" </I>vorliege, und die "Partei <I>Marx</I>" war b&ouml;swillig genug, w&auml;hrend der 1<SUP>1</SUP>/<SUB>2</SUB> Jahre, die die Untersuchung w&auml;hrte, <I>kein Jota zu dem vorliegenden Tatbestand </I>zu liefern.</P>
<P>Diesem Mi&szlig;stand mu&szlig;te abgeholfen werden. Die Partei Willich-Schapper, in Verbindung mit der Polizei, half ihm ab. Sehen wir, wie Herr Stieber, der Geburtshelfer dieser Partei, sie in den K&ouml;lner Proze&szlig; eingef&uuml;hrt. (Siehe die Zeugenaussage Stiebers in der Sitzung vom 18. Oktober 1852.)</P>
<P>W&auml;hrend Stieber sich im Fr&uuml;hling 1851 in London befand, angeblich die Besucher der Industrieausstellung vor Stiebern und Diebern zu sch&uuml;tzen, sandte ihm das Berliner Polizeipr&auml;sidium die Kopie der bei <I>Nothjung </I>gefundenen Papiere,</P>
<I><FONT SIZE=2><P>"namentlich"</I>, schw&ouml;rt Stieber, "wurde ich auf das Archiv der Verschw&ouml;rung aufmerksam gemacht, welches nach den bei <I>Nothjung gefundenen Papieren in London bei einem gewissen Oswald Dietz liegen und die ganze Korrespondenz der Bundesmitglieder enthalten mu&szlig;te</I>".</P>
</FONT><P>Das Archiv der Verschw&ouml;rung? Die ganze Korrespondenz der Bundesmitglieder? Aber Dietz war der Sekret&auml;r der Willich-Schapperschen Zentralbeh&ouml;rde. Befand sich also das Archiv einer Verschw&ouml;rung bei ihm, so war es das Archiv der Willich-Schapperschen Verschw&ouml;rung. Fand sich bei Dietz eine Bundeskorrespondenz, so konnte es nur die Korrespondenz des den K&ouml;lner Angeklagten feindlichen Sonderbundes sein. Aus der Musterung der bei Nothjung vorgefundenen Dokumente folgt indessen noch mehr, n&auml;mlich da&szlig; nichts darin auf den Oswald Dietz als Archivverwahrer hinwies. Wie sollte Nothjung auch in Leipzig wissen, was der "Partei <I>Marx</I>" zu London selbst unbekannt war.</P>
<P>Stieber konnte nicht direkt sagen: Nun passen Sie auf, meine Herren Geschwornen! Ich habe unerh&ouml;rte Entdeckungen in London gemacht. Leider beziehen sie sich auf eine Verschw&ouml;rung, womit die K&ouml;lner Angeklagten nichts zu schaffen und wor&uuml;ber die K&ouml;lner Geschwornen nicht zu richten haben, die aber den Vorwand hergab, die Beschuldigten 1<SUP>1</SUP>/<SUB>2</SUB> Jahre <A NAME="S416"><B>&lt;416&gt;</A></B> im Zellengef&auml;ngnis zu logieren. So konnte Stieber nicht sprechen. Nothjungs Intervention war unerl&auml;&szlig;lich, um die in London gemachten Enth&uuml;llungen und aufgest&ouml;berten Dokumente in einen Scheinzusammenhang mit dem K&ouml;lner Proze&szlig; zu bringen.</P>
<P>Stieber schw&ouml;rt nun, ein Mensch habe sich ihm erbeten, das Archiv f&uuml;r bares Geld von Oswald Dietz zu kaufen. Die Tatsache ist einfach die: Ein gewisser Reuter, preu&szlig;ischer Mouchard, der nie einer kommunistischen Gesellschaft angeh&ouml;rt hat, wohnte in demselben Haus mit Dietz, erbrach dessen Pult, w&auml;hrend er abwesend war, und stahl seine Papiere. Da&szlig; Herr Stieber ihn f&uuml;r diesen Diebstahl bezahlt hat, ist glaublich, w&uuml;rde Stieber aber schwerlich vor einer Reise nach Vandiemensland besch&uuml;tzt haben, w&auml;re das Man&ouml;ver w&auml;hrend seiner Anwesenheit in London bekannt geworden.</P>
<P>Am 5. August 1851 erhielt Stieber zu Berlin "in einem starken Paket in Wachsleinwand" von London das Archiv Dietz, n&auml;mlich einen Haufen von Dokumenten, von "sechzig einzelnen Piecen". So schw&ouml;rt Stieber und schw&ouml;rt zugleich, da&szlig; dieses Paket, das er am <I>f&uuml;nften </I>August 1851 erhielt, unter andern Briefe des leitenden Kreises Berlin vom <I>zwanzigsten </I>August 1851 enthielt. Wollte man nun behaupten, Stieber begehe einen Meineid, wenn er versichert, am 5. August 1851 Briefe vom 20. August 1851 erhalten zu haben, so w&uuml;rde er mit Recht antworten, da&szlig; ein k&ouml;niglich preu&szlig;ischer Rat dasselbe Recht hat wie der Evangelist Matth&auml;us, n&auml;mlich chronologische Wunder zu begehen.</P>
<P>En passant. &lt;Beil&auml;ufig.&gt; Aus der Aufz&auml;hlung der der Partei Willich-Schapper entwandten Dokumente und aus den Daten dieser Dokumente folgt, da&szlig; diese Partei, obgleich durch den Einbruch des Reuter gewarnt, noch fortw&auml;hrend Mittel fand, sich Dokumente stehlen und sie an die preu&szlig;ische Polizei gelangen zu lassen.</P>
<P>Als Stieber sich im Besitz des in starker Wachsleinwand eingewickelten Schatzes fand, wurde ihm unendlich wohl. "Das ganze Gewebe", schw&ouml;rt er, "lag klar vor meinen Augen enth&uuml;llt." Und was barg der Schatz in bezug auf die "Partei Marx" und die K&ouml;lner Angeklagten? Nach Stiebers eigener Aussage nichts, gar nichts als</P>
<FONT SIZE=2><P>"eine Originalerkl&auml;rung mehrerer Mitglieder der Zentralbeh&ouml;rde, welche offenbar den Kern der 'Partei Marx' bilden, d.d. London den 17. September 1850, betreffend ihren Austritt aus der Kommunisten-Gesellschaft infolge des bekannten Bruchs am 15. September 1850".</P>
</FONT><B><P><A NAME="S417">&lt;417&gt;</A></B> So sagt Stieber selbst, aber auch in dieser harmlosen Aussage vermag er nicht einfach das Faktum zu sagen. Er ist gezwungen, es in eine h&ouml;here Potenz zu erheben, um ihm polizeiliche Wichtigkeit zu geben. Jene Originalerkl&auml;rung enth&auml;lt n&auml;mlich nichts als eine in drei Zeilen bestehende Anzeige der Majorit&auml;tsmitglieder der ehemaligen Zentralbeh&ouml;rde und ihrer Freunde, da&szlig; sie aus dem <I>&ouml;ffentlichen Arbeiterverein </I>der Great Windmill Street austreten, nicht aber aus einer <I>"Kommunisten-Gesellschaft"</I>.</P>
<P>Stieber konnte seinen Korrespondenten die Wachsleinwand und seiner Beh&ouml;rde die Portokosten ersparen. Er brauchte nur verschiedene deutsche Bl&auml;tter vom September 1850 durchzustiebern, und Stieber fand gedruckt, schwarz auf wei&szlig;, eine Erkl&auml;rung des "Kernes der Partei Marx", worin sie mit ihrem Austritt aus dem Fl&uuml;chtlingskomitee zugleich ihren Austritt aus dem Arbeiterverein der Great Windmill Street anzeigt.</P>
<P>Das n&auml;chste Resultat der Stieberschen Recherchen war also die unerh&ouml;rte Entdeckung, da&szlig; der "Kern der Partei Marx" aus dem &ouml;ffentlichen Verein der Great Windmill Street am 17. September 1850 ausgetreten sei. "Das ganze Gewebe des k&ouml;lnischen Komplotts lag klar vor seinen Augen enth&uuml;llt." Das Publikum aber traute seinen Augen nicht. </P></BODY>
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