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<TITLE>Franz Mehring: Karl Marx - Die Internationale auf der Höhe</TITLE>
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<!--Hier war ein falsch terminierter Kommentar -->
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<TR>
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Kapitel</SMALL></A><!-- #EndEditable --></TD>
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Kapitel</SMALL></A><!-- #EndEditable --></TD>
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<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><A HREF="../default.htm"><SMALL>Franz
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Mehring</SMALL></A></TD>
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</TR>
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</TABLE>
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<HR size="1">
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<P><SMALL>Seitenzahlen nach: Franz Mehring - Gesammelte Schriften, Band 3. Berlin/DDR,
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1960, S. <!-- #BeginEditable "Seitenzahlen" -->394-442<!-- #EndEditable -->.<BR>
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1. Korrektur<BR>
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Erstellt am 30.10.1999</SMALL></P>
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<H2>Franz Mehring: Karl Marx - Geschichte seines Lebens</H2>
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<H1><!-- #BeginEditable "Titel" -->Dreizehntes Kapitel: Die Internationale auf
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der Höhe<!-- #EndEditable --></H1>
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<hr size="1">
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<!-- #BeginEditable "Text" -->
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<H3 ALIGN="CENTER">1. England, Frankreich, Belgien<A name="Kap_1"></A></H3>
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<P><B>|394|</B> Kurz ehe der erste Band des »Kapitals« erschien, hatte der zweite
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Kongreß der Internationalen vom 2. bis 8. September 1867 in Lausanne getagt.
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Er stand nicht auf der Höhe des Genfer Kongresses.</P>
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<P>Schon der Aufruf, den der Generalrat im Juli erließ, um zu einer zahlreichen
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Beschickung des Kongresses aufzufordern, fiel bei seinem Überblick über
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das dritte Jahr des Bundes durch eine größere Trockenheit auf. Nur
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aus der Schweiz wurde ein ständiger Fortschritt der Bewegung berichtet, und
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daneben aus Belgien, wo eine Niedermetzelung streikender Arbeiter in Marchienne
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das Proletariat aufgepeitscht hatte.</P>
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<P>Sonst wurde über die Hemmnisse geklagt, die der Propaganda in den verschiedenen
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Ländern durch verschiedene Umstände bereitet worden waren. Deutschland,
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das vor 1848 so tiefes Interesse an dem Studium der sozialen Frage genommen habe,
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sei durch seine Einheitsbewegung beansprucht. In Frankreich habe bei der geringen
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Freiheit, die die Arbeiterklasse genieße, die Ausdehnung des Bundes nicht
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so zugenommen, wie zu erwarten gewesen sei nach der tatkräftigen Unterstützung,
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die die französischen Arbeitseinstellungen durch die Internationale erfahren
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hätten. Es war damit auf die große Aussperrung der Pariser Bronzearbeiter
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im Frühjahr 1867 angespielt, die sich zu einem grundsätzlichen Kampf
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um die Koalitionsfreiheit ausgewachsen und mit einem Siege der Arbeiter geendet
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hatte.</P>
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<P>Auch England erfuhr einen leisen Tadel durch die Bemerkung, daß es mit
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der Wahlreform beschäftigt, die ökonomische Bewegung einen Augenblick
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aus dem Auge verloren habe. Nun aber war die Wahlreform erledigt. Disraeli hatte
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sie unter dem Druck der Massen in noch etwas umfassenderer Form bewilligen müssen,
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als Gladstone sie ursprünglich geplant hatte, nämlich für alle
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Mieter eines städtischen Hauses, welches immer die Miete sein mochte. So
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hoffte der Generalrat, die Stunde sei gekommen, wo die englischen Arbeiter die
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Nützlichkeit der Internationalen begrüßen würden.</P>
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<P><B><A NAME="S395">|395|</A></B> Endlich wies der Generalrat auf die Union hin,
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wo die Arbeiter in mehreren Staaten den Achtstundentag durchgesetzt hätten.
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Es wurde dann noch hervorgehoben, daß jede Sektion, ob groß oder klein,
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einen Delegierten schicken dürfe, Sektionen von mehr als 500 Mitgliedern
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je einen Delegierten für jedes weitere 500, und auf das Programm des Kongresses
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wurde gesetzt: 1. Durch welche praktischen Mittel kann die Internationale der
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Arbeiterklasse einen gemeinsamen Mittelpunkt für ihren Befreiungskampf schaffen,
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und 2. Wie kann die Arbeiterklasse den Kredit, den sie der Bourgeoisie und der
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Regierung verleiht, zu ihrer Emanzipation benutzen?</P>
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<P>Ging dies Programm schon einigermaßen ins Allgemeine, so fehlte auch
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die Denkschrift, die es im einzelnen begründet hätte. Als Vertreter
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des Generalrats erschienen in Lausanne namentlich Eccarius und der Musikinstrumentenmacher
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Dupont, der korrespondierende Sekretär für Frankreich, ein sehr fähiger
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Arbeiter, der bei der Abwesenheit Jungs den Vorsitz führte. Anwesend waren
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71 Delegierte, unter den Deutschen Kugelmann, F. A. Lange, Louis Büchner,
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der Kraft- und Stoff-Mann, und Ladendorf, ein braver bürgerlicher Demokrat,
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aber ein heftiger Gegner des Kommunismus. Weitaus überwog das romanische
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Element, neben wenigen Belgiern und Italienern Franzosen und französische
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Schweizer.</P>
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<P>Die Proudhonisten hatten sich diesmal gründlicher und schneller gerüstet
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als der Generalrat; schon ein Vierteljahr vor diesem hatten sie ein Programm aufgestellt,
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wonach Gegenseitigkeit als Grundlage des sozialen Verkehrs, Wertausgleichung der
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Dienstleistung, Kredit und Volksbanken, gegenseitige Versicherungsanstalten, die
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Stellung des Mannes und der Frau gegenüber der Gesellschaft, kollektive und
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individuelle Interessen, der Staat als Wächter und Schützer des Rechts,
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das Recht zu strafen und noch ein Dutzend ähnlicher Fragen verhandelt werden
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sollten. Es ergab sich daraus ein wirres Durcheinander, auf das hier um so weniger
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eingegangen zu werden braucht, als Marx mit alledem nichts zu tun hatte und die
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zum Teil sich widersprechenden Beschlüsse nur ein rein papiernes Dasein geführt
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haben.</P>
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<P>Mehr Glück als mit der Theorie hatte der Kongreß mit der Praxis.
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Er bestätigte den Generalrat mit dem Sitze in London, setzte den Jahresbeitrag
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jedes Mitgliedes auf 10 Centimes oder 1 Groschen fest und machte von der pünktlichen
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Zahlung dieser Beiträge das Recht zur Beschickung der Jahreskongresse abhängig.
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Ferner beschloß der Kongreß, daß die soziale Emanzipation der
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Arbeiter unzertrennlich von ihrer politischen Aktion, und die Erkämpfung
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politischer Freiheit die erste <A NAME="S396"></A><B>|396|</B> und absolute Notwendigkeit
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sei. Er legte sogar so hohen Wert auf diese Erklärung, daß er beschloß,
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sie jedes Jahr von neuem zu wiederholen. Und schließlich fand er auch den
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richtigen Standpunkt gegenüber der bürgerlichen Friedens- und Freiheitsliga,
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die sich neuerdings aus dem Schoße der radikalen Bourgeoisie aufgetan hatte
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und gleich nach ihm ihren ersten Kongreß in Genf abhielt. Allen Anbiederungsversuchen
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setzte er das einfache Programm entgegen: Wir werden euch gern unterstützen,
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soweit unseren eigenen Zwecken damit gedient ist.</P>
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<P>Seltsamer- oder auch nicht seltsamerweise erregte dieser weniger gelungene
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Kongreß in der bürgerlichen Welt viel größeres Aufsehen
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als sein Vorgänger, der freilich unter den noch mächtig nachschwingenden
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Wirkungen des Deutschen Krieges getagt hatte. Namentlich die englische Presse,
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an die Spitze die »Times«, für die Eccarius berichtete, bekundete lebhaftes
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Interesse für den Lausanner Kongreß, nachdem sie den vorigen noch gar
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nicht beachtet hatte. Es fehlte natürlich nicht an bürgerlichem Spotte,
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doch begann die Internationale sehr ernsthaft genommen zu werden. »Wurde der Kongreß«,
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so schrieb Frau Marx an den »Vorboten«, »mit seinem Stiefbruder, dem Friedenskongreß,
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verglichen, so fiel der Vergleich stets zugunsten des älteren Bruders aus,
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und man sah in dem einen eine drohende Schicksalstragödie, und in dem anderen
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nichts als Farce und Burleske.« Damit tröstete sich auch Marx, den die Debatten
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in Lausanne unmöglich erbauen konnten. »Les choses marchent... [Mehring übersetzt:
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Die Dinge marschieren]. Dabei ohne Geldmittel! Mit den Intrigen der Proudhonisten
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zu Paris, Mazzinis in Italien und eifersüchtigen Odger, Cremer, Potter zu
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London, mit den Schulze-Del[itzsch] und den Lassallianern in Deutschland! Wir
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können sehr zufrieden sein!« Engels aber meinte, daß es im ganzen ja
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doch bloß für die Katze sei, was in Lausanne beschlossen werde, wenn
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der Generalrat in London bleibe. Und in der Tat kam es hierauf an, denn mit dem
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dritten Lebensjahre der Internationalen schloß die Periode ihrer ruhigen
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Entwicklung ab, und eine Zeit heißer Kämpfe brach an.</P>
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<P>Schon wenige Tage, nachdem der Kongreß in Lausanne geschlossen worden
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war, ergab sich ein Zusammenstoß von weittragenden Folgen. Am 18. September
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1867 wurde in Manchester ein Polizeiwagen, der zwei verhaftete Fenier transportierte,
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am hellen Tage von bewaffneten Feniern angefallen, die den Wagen mit Gewalt erbrachen
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und die beiden Gefangenen befreiten, nachdem sie den begleitenden Polizeibeamten
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erschossen hatten. Die eigentlichen Täter wurden nicht entdeckt, doch aus
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den massenhaft verhafteten Feniern eine Anzahl ausgewählt, wegen Mordes angeklagt
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und drei davon, obgleich in einem höchst parteiischen <A NAME="S397"></A><B>|397|</B>
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Gerichtsverfahren kein schlüssiger Beweis gegen sie geführt werden konnte,
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durch den Strang hingerichtet. Die Sache machte in ganz England großes Aufsehen,
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das sich zu einer »fenischen Panik« auswuchs, als im Dezember eine von fenischer
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Seite veranstaltete Pulverexplosion vor den Mauern des Gefängnisses von Clerkenwell,
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einem Stadtviertel Londons, das fast ausschließlich von Kleinbürgern
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und Proletariern bewohnt wurde, zwölf Menschen tötete und mehr als hundert
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verwundete. Mit der fenischen Verschwörung hatte die Internationale an und
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für sich nichts zu tun, und die Explosion in Clerkenwell verurteilten Marx
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und Engels als eine große Torheit, die den Feniern selbst am meisten schade,
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indem sie die Sympathie der englischen Arbeiter für die irische Sache abkühle
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oder ganz ersticke. Aber die Art wie die englische Regierung die Fenier, die gegen
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eine schamlose, seit Jahrhunderten betriebene Unterdrückung ihrer irischen
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Heimat rebellierten, als gemeine Verbrecher verfolgte, mußte jedes revolutionäre
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Empfinden aufstürmen. Schon im Juni 1867 hatte Marx an Engels geschrieben:
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»Diese Saukerls rühmen es als englische Humanität, daß politische
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Gefangene nicht schlechter als Mörder, Straßenräuber, Fälscher
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und Päderasten behandelt werden.« Bei Engels kam hinzu, daß Lizzy Burns,
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auf die er seine Liebe für ihre verstorbene Schwester Mary übertragen
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hatte, eine feurige irische Patriotin war.</P>
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<P>Jedoch das lebhafte Interesse, das Marx für die irische Frage betätigte,
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hatte noch tiefere Zusammenhänge als die Sympathie für ein unterdrücktes
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Volk. Seine Studien hatten ihn zu der Überzeugung geführt, daß
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die Emanzipation der englischen Arbeiterklasse, von der wieder die Emanzipation
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des europäischen Proletariats abhing, die Befreiung der Irländer zur
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notwendigen Voraussetzung habe. Der Sturz der englischen Bodenoligarchie sei unmöglich,
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solange sie in Irland ihren stark verschanzten Vorposten behaupte. Sobald die
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Sache in die Hände des irischen Volkes gelegt, sobald es zu seinem eigenen
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Gesetzgeber und Regierer gemacht sei, sobald es autonom werde, sei die Vernichtung
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der Landaristokratie, die zum großen Teil aus den englischen Landlords bestände,
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unendlich viel leichter als in England, weil sie in Irland nicht nur eine einfache
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ökonomische Frage, sondern eine nationale Angelegenheit sei, weil die Landlords
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in Irland nicht wie in England, die traditionellen Würdenträger, sondern
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die tödlich gehaßten Unterdrücker der Nationalität seien.
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Verschwände die englische Armee und Polizei aus Irland, so sei die agrarische
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Revolution da.</P>
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<P>Was die englische Bourgeoisie angehe, so habe sie mit der englischen Aristokratie
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das Interesse gemein, Irland in ein bloßes Weideland zu <A NAME="S398"></A><B>|398|</B>
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verwandeln, das für den englischen Markt Fleisch und Wolle zu möglichst
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billigen Preisen liefere. Aber sie habe noch viel wichtigere Interessen an der
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jetzigen irischen Wirtschaft. Irland liefere durch die beständig zunehmende
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Konzentration der Pachten beständige Überschußbevölkerung
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für den englischen Arbeitsmarkt und drücke dadurch die Löhne sowie
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die materielle und moralische Position der englischen Arbeiterklasse herab. Die
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Arbeiterschaft aller industriellen und kommerziellen Zentren in England spalte
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sich in die feindlichen Lager der englischen und der irischen Proletarier. Der
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gewöhnliche englische Arbeiter hasse den irischen Arbeiter als einen Konkurrenten,
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fühle sich ihm gegenüber als Glied der herrschenden Nation, mache sich
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eben deswegen zum Werkzeug der Aristokraten und Kapitalisten gegen Irland und
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befestige damit deren Herrschaft über sich selbst. Der englische Proletarier
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hege religiöse, soziale und nationale Vorurteile gegen den irischen; er verhalte
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sich zu diesem ungefähr wie in den ehemaligen Sklavenstaaten der Union der
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weiße Arbeiter zu dem Nigger. Der Irländer zahle ihm mit Zinsen in
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der eigenen Münze. Er sehe in dem englischen Arbeiter zugleich den Mitschuldigen
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und das stupide Werkzeug der englischen Herrschaft über Irland. In diesem
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Antagonismus, der künstlich wach gehalten werde durch die Presse, die Kanzel,
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die Witzblätter, kurz alle den herrschenden Klassen zur Verfügung stehenden
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Mittel, wurzele die Ohnmacht der englischen Arbeiterklasse, trotz ihrer Organisation.</P>
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<P>Und dies Übel wälze sich über den Ozean fort. Der Antagonismus
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zwischen Engländern und Irländern hindere jede aufrichtige und ernsthafte
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Kooperation zwischen dem englischen und dem amerikanischen Proletariat. Wenn die
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soziale Revolution in England als der Metropole des Kapitals zu beschleunigen
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die wichtigste Aufgabe der Internationalen sei, so sei das einzige Mittel ihrer
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Beschleunigung, Irland unabhängig zu machen. Die Internationale müsse
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überall offene Partei für Irland nehmen, und es sei die besondere Aufgabe
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des Generalrats, in der englischen Arbeiterklasse das Bewußtsein wachzurufen,
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daß die nationale Emanzipation Irlands für sie keine Frage abstrakter
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Gerechtigkeit und menschlicher Gefühle sei, sondern die erste Bedingung ihrer
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eigenen sozialen Emanzipation.</P>
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<P>Dieser Aufgabe ist Marx in den nächsten Jahren mit aller Kraft gerecht
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geworden; wie er in der polnischen Frage, die seit dem Genfer Kongreß von
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der Tagesordnung der Internationalen geschwunden war, den Hebel zum Sturz der
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russischen, so sah er in der irischen Frage den Hebel zum Sturz der englischen
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Weltherrschaft. Er ließ sich auch dadurch <A NAME="S399"></A><B>|399|*</B>
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nicht anfechten, daß die »Intriganten« unter den Arbeitern, die ins nächste
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Parlament kommen wollten - er zählte selbst Odger, den bisherigen Präsidenten
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des Generalrats, dazu -, dadurch einen Vorwand erhielten, sich den bürgerlichen
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Liberalen anzuschließen. Denn Gladstone beutete die irische Frage, nun da
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sie brennend geworden war, zu einer Wahlparole aus, um wieder ans Ruder zu kommen.
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Der Generalrat richtete eine - natürlich erfolglose - Petition an die englische
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Regierung, worin gegen die Hinrichtung der drei in Manchester verurteilten Fenier
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als gegen einen Justizmord protestiert wurde, und veranstaltete in London öffentliche
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Meetings, um die Rechte Irlands zu verteidigen.</P>
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<P>Erregte er dadurch das Mißbehagen der englischen Regierung, so reizte
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er zugleich die französische Regierung zu einem Schlage gegen die Internationale.
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Bonaparte hatte drei Jahre lang der Entwicklung des Bundes ruhig zugesehen, um
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die aufsässige Bourgeoisie zu ängstigen; als die französischen
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Mitglieder sich ein Büro in Paris einrichteten, hatten sie den Pariser Polizeipräfekten
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und den Minister des Innern davon benachrichtigt, ohne von dem einen oder dem
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anderen eine Antwort zu erhalten. An kleinen Durchstechereien und Mogeleien hatte
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es allerdings nicht gefehlt. Als die Akten des Genfer Kongresses, da man dem Schwarzen
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Kabinett der bonapartistischen Post nicht traute, durch einen geborenen Schweizer
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und naturalisierten Engländer an den Generalrat gebracht werden sollten,
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hatte sie ihm die Polizei an der französischen Grenze wegstibitzt, und die
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französische Regierung stellte sich gegen die Beschwerde des Generalrats
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taub. Doch das Auswärtige Amt in London öffnete seine Ohren, und sie
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mußte den Raub herausgeben. In anderer Weise blitzte der Vizekaiser Rouher
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ab, als er die Veröffentlichung eines Manifestes, das die französischen
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Mitglieder auf dem Genfer Kongresse verlesen hatten, in Frankreich nur gestatten
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wollte, wenn »einige Worte des Dankes an den Kaiser eingeflochten würden,
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der für die Arbeiter so sehr viel getan habe«. Das wurde abgelehnt, obgleich
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die französischen Mitglieder sich sonst sehr hüteten, das lauernde Untier
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zu reizen, und deshalb von den bürgerlichen Radikalen als verkappte Bonapartisten
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verdächtigt wurden.</P>
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<P>Es mag dahingestellt bleiben, ob sie sich dadurch insoweit beirren ließen,
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an einigen zahmen Kundgebungen der radikalen Bourgeoisie gegen das Kaiserreich
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teilzunehmen, wie von französischen Schriftstellern behauptet wird. Die Gründe,
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|
die Bonaparte zum offenen Bruch mit der Arbeiterklasse veranlaßten, lagen
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jedenfalls tiefer. Die Streikbewegung, die die verheerende Krise von 1866 hervorgerufen
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hatte, nahm einen <A NAME="S400"></A><B>|400|</B> Umfang an, der ihn beunruhigte;
|
|
dann hatten die Pariser Arbeiter unter dem Einfluß der Internationalen mit
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|
den Berliner Arbeitern Friedensadressen ausgetauscht, als im Frühjahr 1867
|
|
wegen des Luxemburgischen Handels ein Krieg mit dem Norddeutschen Bunde drohte,
|
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und endlich erhob die französische Bourgeoisie ein so betäubendes Geschrei
|
|
nach »Rache für Sadowa«, daß in den Tuilerien der verwünscht gescheite
|
|
Gedanke auftauchte, ihr mit »liberalen« Zugeständnissen den Mund zu stopfen.</P>
|
|
<P>Unter diesen Umständen glaubte Bonaparte, mehr als eine Fliege mit einer
|
|
Klappe zu treffen, indem er zu einem Schlage gegen das Pariser Büro der Internationalen
|
|
ausholte, unter dem Vorgeben, in ihm einen Mittelpunkt der fenischen Verschwörung
|
|
entdeckt zu haben. Aber obgleich er die Mitglieder des Büros bei Nacht und
|
|
Nebel durch plötzliche Haussuchungen überfallen ließ, fand er
|
|
nicht die leiseste Spur einer geheimen Verschwörung. Um den Schlag ins Wasser
|
|
nicht zu einer allzu großen Blamage werden zu lassen, blieb nichts übrig,
|
|
als das Pariser Büro gerichtlich zu belangen, weil es eine nicht autorisierte
|
|
Gesellschaft von mehr als zwanzig Mitgliedern sei. Die Anklage wurde am 6. und
|
|
20. März gegen fünfzehn Mitglieder der Internationalen verhandelt, und
|
|
das gerichtliche Urteil lautete auf 100 Franken Strafe für jeden der Angeklagten
|
|
und Auflösung des Pariser Büros. Die höheren Instanzen bestätigten
|
|
dies Urteil.</P>
|
|
<P>Aber ehe es soweit kam, war schon ein neues Verfahren im Gange. Ankläger
|
|
wie Gerichtshof hatten die Angeklagten mit Sammethandschuhen angefaßt, und
|
|
in deren Namen hatte Tolain sich und sie in sehr gemäßigtem Tone verteidigt.
|
|
Jedoch schon zwei Tage nach dem ersten Verhandlungstermin, am 8. März, hatte
|
|
sich ein neues Büro aufgetan, und dieser offenkundige Hohn begrub die letzten
|
|
Einbildungen Bonapartes. Die neun Mitglieder des neuen Büros standen am 22.
|
|
Mai vor Gericht und wurden nach einer ebenso glänzenden wie scharfen Rede
|
|
Varlins zu je drei Monaten Gefängnis verurteilt. Damit war reiner Tisch zwischen
|
|
dem Kaiserreich und der Internationalen geschaffen, deren französischer Zweig
|
|
aus diesem endgültigen und offenkundigen Bruch mit dem Dezemberschlächter
|
|
neue Lebenskraft sog.</P>
|
|
<P>Auch mit der belgischen Regierung geriet die Internationale in einen heftigen
|
|
Zusammenstoß. Die Grubenbesitzer im Kohlenbecken von Charleroi trieben ihre
|
|
elend gelohnten Arbeiter durch unausgesetzte Plackereien zur Empörung, um
|
|
hinterher die bewaffnete Macht auf die unbewaffnete Menge loszulassen. Inmitten
|
|
des panischen Schreckens nahm sich der belgische Zweig der Internationalen der
|
|
mißhandelten Proletarier <A NAME="S401"></A><B>|401|*</B> an, enthüllte
|
|
in der Presse und auf öffentlichen Versammlungen ihre jämmerliche Lage,
|
|
unterstützte die Familien der Gefallenen und Verwundeten und sicherte den
|
|
Gefangenen gerichtlichen Beistand, worauf sie von den Geschworenen freigesprochen
|
|
wurden.</P>
|
|
<P>Dafür rächte sich der Justizminister de Bara, indem er vor der belgischen
|
|
Kammer in wüste Schmähungen gegen die Internationale ausbrach und ihr
|
|
mit Gewaltmaßregeln drohte, so namentlich mit dem Verbote ihres nächsten
|
|
Kongresses, der in Brüssel stattfinden sollte. Aber die Angegriffenen ließen
|
|
sich nicht verblüffen; sie antworteten in einem Schreiben, worin sie sagten,
|
|
sie ließen sich von einem Manne sowenig befehlen wie von einem Fasse Wacholderschnaps,
|
|
und der Kongreß werde in Brüssel stattfinden, möge es dem Justizminister
|
|
gefallen oder nicht.</P>
|
|
<H3 ALIGN="CENTER">2. Die Schweiz und Deutschland<A name="Kap_2"></A></H3>
|
|
<P>Der wirksamste Hebel des großen Aufschwungs, den die Internationale in
|
|
diesen Jahren nahm, war die allgemeine Streikbewegung, die in allen mehr oder
|
|
weniger kapitalistisch entwickelten Ländern durch den Krach von 1866 hervorgerufen
|
|
wurde.</P>
|
|
<P>Der Generalrat beförderte sie nie und nirgends, aber wo sie von selbst
|
|
ausbrach, half er mit Rat und Tat den Sieg der Arbeiter sichern, indem er die
|
|
internationale Solidarität des Proletariats mobilmachte. Er schlug den Kapitalisten
|
|
die bequeme Waffe aus der Hand, streikende Arbeiter durch den Zuzug ausländischer
|
|
Arbeitskräfte lahmzulegen; aus den unbewußten Hilfstruppen des gemeinsamen
|
|
Feindes warb er vielmehr opferfreudige Bundesgenossen; er verstand, den Arbeitern
|
|
jedes Landes, wohin sein Einfluß reichte, klarzumachen, daß es ihr
|
|
eigenes Interesse sei, die Lohnkämpfe ihrer ausländischen Klassengenossen
|
|
zu unterstützen.</P>
|
|
<P>Diese Tätigkeit der Internationalen erwies sich als überaus nachhaltig
|
|
und erwarb ihr ein europäisches Ansehen, das selbst weit über die wirkliche
|
|
Macht hinausreichte, die sie schon erworben hatte. Denn da die bürgerliche
|
|
Welt nicht begreifen wollte oder auch wirklich nicht begriff, daß die um
|
|
sich greifenden Streiks in dem Elend der Arbeiterklasse wurzelten, so suchte sie
|
|
ihre Ursache in den geheimen Umtrieben der Internationalen. Diese wurde ihr so
|
|
zu einem dämonischen Ungeheuer, das sie bei jedem Streik niederzuringen suchte.
|
|
Jeder große Streik begann sich zu einem Kampf um die Existenz der Internationalen
|
|
zu entwickeln <A NAME="S402"></A><B>|402|</B>*, und aus jedem dieser Kämpfe
|
|
ging sie mit neugestählter Kraft hervor.</P>
|
|
<P>Typische Erscheinungen dieser Art waren der Bauarbeiterstreik, der im Frühjahr
|
|
1868 in Genf sowie der Bandwirker- und Seidenfärberstreik, der im Herbste
|
|
desselben Jahres in Basel ausbrach und sich bis ins nächste Frühjahr
|
|
hinzog. In Genf begannen immerhin die Bauarbeiter den Kampf, indem sie eine Erhöhung
|
|
des Arbeitslohns und eine Verkürzung der Arbeitszeit forderten, aber die
|
|
Meister machten zur Bedingung eines Ausgleichs den Austritt der Arbeiter aus der
|
|
Internationalen. Diese Anmaßung wiesen die streikenden Arbeiter sofort zurück,
|
|
und dank der Hilfe, die ihnen der Generalrat aus England, Frankreich und anderen
|
|
Ländern zu sichern wußte, setzten sie trotzdem ihre ursprünglichen
|
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Forderungen durch. Ungleich frivoler noch trieb es der Kapitalistendünkel
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in Basel, wo den Bandwirkern einer Fabrik ohne jeden Anlaß ein paar Feierstunden,
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die sie am letzten Tage der Spätjahrmesse nach altem Herkommen zu beanspruchen
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hatten, unter der Drohung versagt wurden: Wer nicht gehorcht, fliegt hinaus! Ein
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Teil der Arbeiter gehorchte nicht und wurde am nächsten Tage, trotz der vierzehntägigen
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Kündigungsfrist, durch Polizisten von der Tür der Fabrik zurückgewiesen.
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Diese brutale Herausforderung peitschte die Arbeiterschaft Basels auf, und es
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kam zu monatelangen Kämpfen, die zuletzt in dem Versuche des Großen
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Rats gipfelten, die Arbeiter durch militärische Maßregeln und eine
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Art Belagerungszustandes einzuschüchtern.</P>
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<P>Als der Zweck der elenden Hetze enthüllte sich auch in Basel sehr bald
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die Vernichtung der Internationalen. Die Kapitalisten verschmähten für
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diesen Zweck weder grausame Mittel, indem sie den arbeitslos gewordenen Arbeitern
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die Wohnungen kündigten und ihnen den Kredit bei Bäckern, Fleischern
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und Krämern sperrten noch auch possierliche Sprünge wie die Entsendung
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eines Emissärs nach London, der die Geldmittel de, Generalrats ausforschen
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sollte. »Hätten diese guten orthodoxen Christen in den ersten Zeiten des
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Christentums gelebt, sie hätten vor allem dem Bankkredit des Apostels Paulus
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in Rom nachgespäht.« So scherzte Marx, anknüpfend an ein Wort der »Times«,
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die die Sektionen de Internationalen mit den ersten Christengemeinden verglichen
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hatte. Aber die Baseler Arbeiter hielten unbeirrt an der Internationalen fest
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und feierten ihren Sieg durch einen großen Zug auf den Markt, als die Kapitalisten
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endlich nachgegeben hatten. Auch sie erhielten reichliche Unterstützung aus
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anderen Ländern. Die Wellen, die diese Streiks aufregten, brandeten bis in
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die Vereinigten Staaten, wo die Internationale <A NAME="S403"></A><B>|403|</B>
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nun auch festen Fuß zu fassen begann; F. A. Sorge, ein Flüchtling von
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1848 her und nunmehriger Musiklehrer, gewann in New York eine ähnliche Stellung
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wie Becker in Genf.</P>
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<P>Vor allem bahnte die Streikbewegung der Internationalen den Weg nun aber auch
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nach Deutschland, wo sich bisher nur vereinzelte Sektionen gebildet hatten. Der
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Allgemeine Deutsche Arbeiterverein hatte sich nach schweren Kämpfen und Wirren
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zu einer stattlichen Körperschaft herausgewachsen und fuhr fort, sich in
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der erfreulichsten Weise zu entwickeln, zumal nachdem seine Mitglieder sich entschlossen
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hatten, Schweitzer zu ihrem anerkannten Führer zu wählen. Schweitzer
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saß auch als Vertreter für Elberfeld-Barmen im Norddeutschen Reichstage,
|
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in den sein alter Gegner Liebknecht durch den sächsischen Wahlkreis Stollberg-Schneeberg
|
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entsandt worden war. Beide waren hier alsbald heftig zusammengestoßen wegen
|
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ihrer entgegengesetzten Stellung zur nationalen Frage; während Schweitzer
|
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sich, im Sinne von Marx und Engels, auf den Boden stellte, den die Schlacht bei
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Königgrätz geschaffen hatte, bekämpfte Liebknecht den Norddeutschen
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Bund als ein Werk recht- und ruchloser Gewalt, das vor allem zertrümmert
|
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werden müsse, selbst mit augenblicklicher Hintansetzung sozialer Ziele.</P>
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<P>Liebknecht hatte im Herbst 1866 die Sächsische Volkspartei gründen
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helfen, mit einem radikal-demokratischen, aber noch nicht sozialistischen Programm,
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als deren Organ er seit dem Anfange des Jahres 1868 das »Demokratische Wochenblatt«
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in Leipzig herausgab. Sie rekrutierte sich überwiegend aus der sächsischen
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Arbeiterklasse und unterschied sich dadurch vorteilhaft von der Deutschen Volkspartei,
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in der sich, neben einer Handvoll ehrlicher Ideologen vom Schlage Johann Jacobys,
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Frankfurter Börsendemokraten, schwäbische Kantönlirepublikaner
|
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und sittlich empörte Bekämpfer des frevelhaften Rechtsbruchs befanden,
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den Bismarck durch die Verjagung einiger Mittel- und Kleinfürsten begangen
|
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hatte. In viel erfreulicherer Nachbarschaft befand sich die Sächsische Volkspartei
|
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mit dem Verbande der deutschen Arbeitervereine, der bei Lassalles erstem Auftreten
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und als Gegengewicht gegen dessen Agitation von der fortschrittlichen Bourgeoisie
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gegründet worden war, aber sich gerade im Kampfe mit den Lassalleanern nach
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links entwickelt hatte: zumal seitdem August Bebel, in dem Liebknecht einen treuen
|
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Kampfgenossen gefunden hatte, zum Vorsitzenden des Verbandes gewählt worden
|
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war.</P>
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<P>Gleich in seiner ersten Nummer wies das »Demokratische Wochenblatt« auf Schweitzer
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als einen Mann hin, dem sämtliche Vorkämpfer der sozialdemokratischen
|
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Sache den Rücken gekehrt hätten. Das waren <A NAME="S404"></A><B>|404|</B>
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inzwischen etwas alte Kamellen geworden, denn durch die Absage, die Schweitzer
|
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drei Jahre früher von Marx und Engels erhalten hatte, war er keinen Augenblick
|
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irre geworden in seiner Absicht, die deutsche Arbeiterbewegung zwar im Geiste
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Lassalles zu leiten, aber ebendeshalb sie nicht durch sklavisches Kleben an Lassalles
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Worten zu einer Sekte verknöchern zu lassen. So hatte er auch den ersten
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Band des »Kapitals« den deutschen Arbeitern zu vermitteln gesucht, früher
|
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und gründlicher als Liebknecht selbst, und im April 1868 wandte er sich persönlich
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an Marx, um dessen Rat wegen einer Herabsetzung der Eisenzölle einzuholen,
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die damals von der preußischen Regierung geplant wurde.</P>
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<P>Schon als korrespondierender Sekretär des Generalrats für Deutschland
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konnte sich Marx der Beantwortung einer Frage nicht entziehen, die der parlamentarische
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Arbeitervertreter eines industriereichen Wahlkreises an ihn gerichtet hatte. Aber
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|
Marx war auch sonst zu einer wesentlich anderen Ansicht über Schweitzers
|
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Tätigkeit gekommen. Obgleich er sie nur aus der Ferne beobachtete, erkannte
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er doch »unbedingt die Intelligenz und Energie« an, womit Schweitzer in der Arbeiterbewegung
|
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wirke, und in den Verhandlungen des Generalrats behandelte er ihn als einen Mann
|
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seiner Partei, ohne je ein Wort über Differenzpunkte fallenzulassen.</P>
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<P>An solchen Differenzpunkten fehlte es auch jetzt nicht. Selbst ihr persönliches
|
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Mißtrauen gegen Schweitzer gaben Marx und Engels noch nicht auf; wenn sie
|
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ihn auch nicht mehr im Verdacht hatten, mit Bismarck zu mogeln, so argwöhnten
|
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sie doch, seine Annäherung an Marx habe den Zweck, Liebknecht auszustechen;
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sie kamen von der Vorstellung nicht los, daß der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein
|
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eine »Sekte« sei und Schweitzer vor allem »seine eigene Arbeiterbewegung« haben
|
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wolle. Immer aber erkannten sie an, daß Schweitzers Politik der Politik
|
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Liebknechts weit überlegen sei.</P>
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<P>Marx meinte, Schweitzer sei unbedingt von allen damaligen Arbeiterführern
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in Deutschland der intelligenteste und energischste, und nur durch ihn sei Liebknecht
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gezwungen worden, sich zu erinnern, daß eine von der kleinbürgerlich-demokratischen
|
|
Bewegung unabhängige Arbeiterbewegung existiere. Ganz ähnlich urteilte
|
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Engels, der »Kerl« sei in der Auffassung der allgemeinen politischen Lage und
|
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der Stellung zu den anderen Parteien viel klarer und in der Darstellung geschickter
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als alle die anderen. »Er nannte ›alle alten Parteien, uns gegenüber, eine
|
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einzige reaktionäre Masse, deren Unterschiede für uns kaum ins Gewicht
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fallen‹. Er erkennt zwar an, daß 1866 und seine Folgen das Zaunkönigtum
|
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ruinieren, das Legitimitätsprinzip untergraben, die Reaktion erschüttern
|
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<A NAME="S405"></A><B>|405|*</B> und das Volk in Bewegung gesetzt haben, aber
|
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er zieht - jetzt - auch gegen die sonstigen Folgen, Steuerdruck usw., los und
|
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verhält sich gegen Bismarck viel ›korrekter‹, wie die Berliner sagen, als
|
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z.B. Liebknecht gegenüber den Exfürsten.« Über diese Taktik Liebknechts
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|
äußerte sich Engels bei anderer Gelegenheit, er hätte es satt,
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jede Woche die Lehre vorgekäut zu bekommen, daß »wir keine Revolution
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machen dürften, ehe nicht der Bundestag, der blinde Welfe und der biedere
|
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Kurfürst von Hessen restauriert und am gottlosen Bismarck grausame legitime
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Rache genommen« sei. Dabei lief ein gut Stück ärgerlicher Übertreibung
|
|
mit unter, aber ein gut Stück Wahrheit war auch daran.</P>
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|
<P>Marx hat später einmal gesagt, man habe bisher geglaubt, die christliche
|
|
Mythenbildung unter dem römischen Kaiserreich sei nur möglich gewesen,
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weil die Druckerei noch nicht erfunden gewesen sei. Es sei aber gerade umgekehrt.
|
|
Die Tagespresse und der Telegraph, der ihre Erfindungen im Nu über den ganzen
|
|
Erdboden ausstreue, fabrizierten mehr Mythen (und das Bourgeoisrind glaube und
|
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verbreite sie) an einem Tage, als früher in einem Jahrhundert hätten
|
|
fertiggebracht werden können. Ein besonders schlagender Beweis für die
|
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Richtigkeit dieser Ansicht ist die jahrzehntelang - und keineswegs nur von »Bourgeoisrindern«
|
|
- geglaubte Mär, Schweitzer habe die Arbeiterbewegung an Bismarck verraten
|
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wollen, worauf Liebknecht und Bebel sie wieder ins richtige Schick gebracht hätten.</P>
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<P>Es war gerade umgekehrt. Schweitzer vertrat den prinzipiell sozialistischen
|
|
Standpunkt, während das »Demokratische Wochenblatt« mit den partikularistischen
|
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Anhängern der »Exfürsten« und der liberalen Korruptionswirtschaft in
|
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Wien in einer Weise liebäugelte, die vom sozialistischen Standpunkt aus sich
|
|
nicht rechtfertigen ließ. Was Bebel in seinen »Denkwürdigkeiten« ausführt,
|
|
daß nämlich der Sieg Österreichs über Preußen zu wünschen
|
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gewesen wäre, weil die Revolution mit einem innerlich schwachen Staate, wie
|
|
Österreich, leichter fertig geworden sein würde als mit dem innerlich
|
|
starken Preußen, ist eine nachträgliche Erklärung, von der, wie
|
|
es sonst immer um sie stehen mag, in der gleichzeitigen Literatur nicht die geringste
|
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Spur zu entdecken ist.</P>
|
|
<P>Trotz seiner persönlichen Freundschaft für Liebknecht und seines
|
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persönlichen Mißtrauens gegen Schweitzer verkannte Marx den wirklichen
|
|
Stand der Dinge nicht. Er beantwortete Schweitzers Anfrage wegen Herabsetzung
|
|
der Eisenzölle, bei aller vorsichtigen Zurückhaltung in der Form, doch
|
|
in sachlich erschöpfender Weise. Schweitzer führte dann die Absicht
|
|
aus, die er schon vor drei Jahren gehabt hatte, und beantragte auf der Generalversammlung
|
|
des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins <A NAME="S406"></A><B>|406|*</B>, die
|
|
Ende August 1868 in Hamburg tagte, dessen Anschluß an die Internationale,
|
|
der freilich aus Rücksicht auf die deutschen Vereinsgesetze nicht formell,
|
|
sondern nur als Solidaritäts- und Sympathieerklärung erfolgen konnte.
|
|
Zu dieser Generalversammlung war Marx als Ehrengast eingeladen worden, um ihm
|
|
den Dank der deutschen Arbeiter für sein wissenschaftliches Werk abzustatten.
|
|
Auf eine vorläufige Anfrage Schweitzers antwortete er entgegenkommend, ist
|
|
dann aber doch nicht selbst nach Hamburg gekommen, so dringend ihn Schweitzer
|
|
darum ersuchte.</P>
|
|
<P>In seinem Dankschreiben für die »ehrenvolle Einladung« gab er die Vorarbeiten
|
|
des Generalrats für den Brüsseler Kongreß als Hindernisse seines
|
|
Kommens an, stellte aber mit »Freude« fest, daß die Tagesordnung der Generalversammlung
|
|
die Punkte enthielte, die in der Tat die Ausgangspunkte aller ernsten Arbeiterbewegungen
|
|
bildeten: Agitation für volle politische Freiheit, Regelung des Arbeitstags
|
|
und planmäßige, internationale Kooperation der Arbeiterklasse. Wenn
|
|
Marx jedoch an Engels schrieb, mit diesem Briefe habe er die Lassalleaner dazu
|
|
beglückwünscht, das Programm Lassalles aufgegeben zu haben, so ist wirklich
|
|
nicht abzusehen, was Lassalle an jenen drei Punkten auszusetzen gehabt haben würde.</P>
|
|
<P>Einen wirklichen Bruch mit den Überlieferungen Lassalles vollzog dagegen
|
|
Schweitzer selbst auf der Hamburger Generalversammlung, indem er gegen einen heftigen
|
|
Widerstand, und zuletzt nur dadurch, daß er die Kabinettsfrage stellte,
|
|
die Erlaubnis für sich und seinen Reichstagskollegen Fritzsche ertrotzte,
|
|
für Ende September einen allgemeinen deutschen Arbeiterkongreß nach
|
|
Berlin zu berufen, um eine gründliche, umfassende Organisation der Arbeiterschaft
|
|
zum Zwecke der Streiks ins Leben zu rufen. Schweitzer war durch die europäische
|
|
Streikbewegung belehrt worden; er überschätzte sie nicht, aber sah sehr
|
|
wohl ein, daß eine Arbeiterpartei, die auf der Höhe ihrer Aufgabe bleiben
|
|
wolle, die nun einmal mit elementarer Gewalt ausbrechenden Streiks nicht in ein
|
|
regelloses Durcheinander verlaufen lassen dürfe. Er schreckte deshalb vor
|
|
der Gründung gewerkschaftlicher Verbände nicht zurück, aber er
|
|
verkannte ihre Lebensbedingungen, indem er sie ebenso stramm organisieren wollte,
|
|
wie der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein organisiert war und gewissermaßen
|
|
nur als dessen untergeordnete Hilfstruppe.</P>
|
|
<P>Marx hat ihn vergebens vor diesem schweren Fehler gewarnt. Aus dem schriftlichen
|
|
Verkehr beider Männer haben sich von Schweitzer sämtliche Briefe, von
|
|
Marx aber nur der eine und vermutlich wichtigste vom 13. Oktober 1868 erhalten.
|
|
Der Form nach, in seinem loyalen <A NAME="S407"></A><B>|407|</B> Entgegenkommen
|
|
gegen Schweitzer, vollkommen tadellos, entwickelte er die gewichtigsten Bedenken
|
|
gegen die von Schweitzer geplante Organisation der Gewerkschaften, schwächte
|
|
aber den Eindruck dieser Kritik dadurch ab, daß er den von Lassalle gestifteten
|
|
Verein als eine »Sekte« kennzeichnete, die sich entschließen müsse,
|
|
in der Klassenbewegung aufzugehen. In seinem Antwortschreiben, dem letzten, das
|
|
er an Marx gerichtet hat, konnte sich Schweitzer mit Recht darauf berufen, er
|
|
sei stets bestrebt gewesen, mit der europäischen Arbeiterbewegung gleichen
|
|
Schritt zu halten.</P>
|
|
<P>Wenige Tage nach der Hamburger Generalversammlung tagte der Verband der deutschen
|
|
Arbeitervereine in Nürnberg. Auch er verstand die Zeichen der Zeit; seine
|
|
Mehrheit nahm die Hauptsätze aus den »Statuten« der Internationalen als politisches
|
|
Programm an und wählte das »Demokratische Wochenblatt« zum Organ des Verbandes,
|
|
worauf die Minderheit auf Nimmerwiedersehen verschwand. Dann lehnte die Mehrheit
|
|
einen Antrag auf Gründung von Altersversorgungskassen für Arbeiter unter
|
|
staatlicher Aufsicht zugunsten eines Antrags auf Einrichtung von Gewerksgenossenschaften
|
|
ab, die erfahrungsgemäß am besten für Alters-, Kranken- und Wanderunterstützungskassen
|
|
zu sorgen wüßten. Diese Begründung war schwächlicher als
|
|
die Berufung auf den Kampf zwischen Kapital und Arbeit, der in den Streiks aufloderte,
|
|
und auch der Anschluß an die Internationale wurde in Hamburg durch das gemeinsame
|
|
Interesse aller Arbeiterparteien begründet, während in Nürnberg
|
|
die Sache nicht so schroff aufgefaßt wurde. Schon wenige Wochen später
|
|
meldete das »Demokratische Wochenblatt« in fettem Druck den Anschluß an
|
|
das Nürnberger Programm, den die Deutsche Volkspartei auf einer Konferenz
|
|
in Stuttgart beschlossen hatte.</P>
|
|
<P>Immerhin hatte sich eine Annäherung zwischen dem Allgemeinen Deutschen
|
|
Arbeiterverein und dem Verbande der deutschen Arbeitervereine vollzogen, und Marx
|
|
hat sich damals redlich bemüht, durch unparteiisches Vermitteln zwischen
|
|
Liebknecht und Schweitzer die deutsche Arbeiterbewegung zu einigen. Gelungen ist
|
|
es ihm jedoch nicht. Die Nürnberger Vereine weigerten sich unter einem haltlosen
|
|
Vorwande, den Gewerkschaftskongreß zu beschicken, den Schweitzer und Fritzsche
|
|
nach Berlin berufen hatten. Der Kongreß war zahlreich besucht und führte
|
|
zur Gründung einer Reihe von »Arbeiterschaften«, die durch einen »Arbeiterschaftsverband«
|
|
zusammengefaßt wurden, an dessen Spitze tatsächlich Schweitzer stand.</P>
|
|
<P>Die Nürnberger Vereine gingen ihrerseits auf Grund eines Statuts, das
|
|
von Bebel entworfen worden war und den gewerkschaftlichen Lebensbedingungen <A NAME="S408"></A><B>|408|*</B>
|
|
viel gerechter wurde als das Statut Schweitzers, mit der Gründung von - wie
|
|
sie allzu pomphaft getauft wurden - »Internationalen Gewerksgenossenschaften«
|
|
vor, und nunmehr erboten sie sich zu Einigungs- und Verschmelzungsverhandlungen
|
|
mit der andern Richtung, erhielten jedoch eine schroffe Absage. Sie hätten
|
|
zuerst die Einigkeit gestört und könnten sich den Versuch sparen, durch
|
|
das Angebot eines Vertragsverhältnisses die von ihnen gestörte Einigkeit
|
|
wiederherzustellen; wäre es ihnen um die Sache zu tun, so könnten sie
|
|
sich dem Arbeiterschaftsverbande anschließen und innerhalb dieses Rahmens
|
|
für die ihnen gut scheinenden Änderungen wirken.</P>
|
|
<P>Konnte somit Marx die Zersplitterung der deutschen Arbeiterbewegung nicht hindern,
|
|
so durfte er doch den Anschluß beider Richtungen an die Internationale feststellen,
|
|
und so kam ihm der Gedanke, nunmehr, wo die Gesellschaft vorläufig, wenn
|
|
auch überall noch dünn, wenigstens ihr Hauptterrain umschreibe, den
|
|
Generalrat für das nächste Jahr nach Genf zu verlegen. Dabei wirkte
|
|
auch der Ärger über die französische Sektion in London mit, die,
|
|
gering an Zahl, um so größeren Lärm machte und durch den Beifall,
|
|
den sie dem albernen, den Mord Bonapartes predigenden Komödianten Pyat spendete,
|
|
der Internationalen manche Ungelegenheiten bereitete. Sie spektakelte nicht zuletzt
|
|
über die »Diktatur« des Generalrats, weil er ihrem Unfug nach Kräften
|
|
steuerte, und bereitete eine Anklage gegen ihn für den Brüsseler Kongreß
|
|
vor.</P>
|
|
<P>Glücklicherweise riet Engels dringend von dem gewagten Schritt ab. Um
|
|
der paar Esel willen dürfe die Sache nicht an Leute überantwortet werden,
|
|
die zwar viel guten Willen und auch wohl Instinkt, aber doch nicht das Zeug hätten,
|
|
die Bewegung zu leiten. Je großartiger sie werde, und nun auch nach Deutschland
|
|
übergreife, um so mehr müsse Marx sie in der Hand behalten. Alsbald
|
|
zeigte sich gerade in Genf, daß guter Wille und bloßer Instinkt allein
|
|
allerdings nicht genügten.</P>
|
|
<H3 ALIGN="CENTER">3. Die Agitation Bakunins<A name="Kap_3"></A></H3>
|
|
<P>Der dritte Kongreß der Internationalen tagte vom 6. bis 13. September
|
|
1868 in Brüssel.</P>
|
|
<P>Er war zahlreicher besucht als irgendein früherer oder späterer,
|
|
doch trug er einen stark örtlichen Charakter; mehr als die Hälfte seiner
|
|
Mitglieder kam aus Belgien. Ungefähr den fünften Teil stellten die Franzosen
|
|
<A NAME="S409"></A><B>|409|</B>*. Unter den 11 englischen Delegierten befanden
|
|
sich 6 Vertreter des Generalrats, neben Eccarius, Jung, Leßner namentlich
|
|
der Trade-Unionist Lucraft. Schweizer waren nur 8 zugegen, Deutsche gar nur 3,
|
|
unter ihnen Moses Heß von der Sektion Köln. Schweitzer, der eine offizielle
|
|
Einladung erhalten hatte, war durch die Wahrnehmung mehrerer Gerichtstermine am
|
|
persönlichen Erscheinen verhindert, erklärte aber schriftlich die Übereinstimmung
|
|
des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins mit den Bestrebungen der Internationalen;
|
|
sich auch formell an sie anzuschließen, sei der Verein nur durch die deutschen
|
|
Vereinsgesetze verhindert. Italien und Spanien sandten je einen Vertreter.</P>
|
|
<P>Der lebhaftere Pulsschlag, den das Leben der Internationalen in ihrem vierten
|
|
Jahre angenommen hatte, war in den Verhandlungen des Kongresses sehr merklich
|
|
zu spüren. Der Widerstand, den die Proudhonisten in Genf und Lausanne gegen
|
|
Gewerkvereine und Streiks bekundet hatten, war fast in sein Gegenteil umgeschlagen.
|
|
Zwar setzten sie noch eine akademische Resolution zu Ehren der »Tauschbank« und
|
|
des »unentgeltlichen Kredits« durch, obgleich Eccarius die praktische Unmöglichkeit
|
|
dieser proudhonistischen Heilmittel an englischen Erfahrungen und Heß ihre
|
|
theoretische Unhaltbarkeit an der Hand der Streitschrift nachwies, die Marx zwanzig
|
|
Jahre früher gegen Proudhon gerichtet hatte.</P>
|
|
<P>Dafür unterlagen sie in der »Eigentumsfrage« gänzlich: auf Vorschlag
|
|
de Paepes wurde eine große Resolution unter eingehender Begründung
|
|
angenommen: sie forderte, daß in einer wohlgeordneten Gesellschaft die Steinbrüche,
|
|
die Steinkohlen- und andere Minen sowie die Eisenbahnen der Gesamtheit gehören
|
|
sollten, das will sagen, dem neuerstandenen, dem Gesetze der Gerechtigkeit unterworfenen
|
|
Staat, und daß ihr Betrieb bis dahin an Arbeiterkompanien übergeben
|
|
werden sollte, unter den nötigen Bürgschaften für die Gesamtheit.
|
|
Ebenso sollte der landwirtschaftliche Boden, auch die Wälder, in gemeinsames
|
|
Staatseigentum überführt und unter denselben Bürgschaftsbedingungen
|
|
an landwirtschaftliche Ackerbaugesellschaften übergeben werden. Endlich müßten
|
|
Kanäle, Landstraßen, Telegraphenanstalten, kurz alle Verkehrsmittel
|
|
Gemeingut der Gesellschaft bleiben. Mit ihrem heftigen Protest gegen diesen »rohen
|
|
Kommunismus« erreichten die Franzosen nur, daß die Frage noch einmal vom
|
|
nächsten Kongreß beraten werden sollte, als dessen Sitz Basel bestimmt
|
|
wurde.</P>
|
|
<P>Marx hatte nach seiner eigenen Angabe keinen Teil an der Abfassung der Resolutionen,
|
|
die in Brüssel angenommen wurden, doch war er mit dem Verlaufe des Kongresses
|
|
nicht unzufrieden. Nicht nur weil es ihm gleichermaßen zur persönlichen
|
|
wie zur sachlichen Genugtuung gereichen <A NAME="S410"></A><B>|410|</B> durfte,
|
|
daß ihm, wie schon in Hamburg und Nürnberg, der Dank der Arbeiterklasse
|
|
für sein wissenschaftliches Werk ausgesprochen, sondern auch weil die Anklagen
|
|
der französischen Sektion in London gegen den Generalrat zurückgewiesen
|
|
worden waren. Nur in dem von Genf her angeregten Beschluß des Kongresses,
|
|
drohende Kriege durch allgemeine Arbeitseinstellungen, durch einen Streik der
|
|
Völker abzuwehren, fand er »Blödsinn«. Um so weniger hatte er dagegen
|
|
einzuwenden, daß der Kongreß endgültig mit der Friedens- und
|
|
Freiheitsliga brach, die kurze Zeit nachher ihren zweiten Kongreß in Bern
|
|
hielt. Sie hatte der Internationalen ein Bündnis vorgeschlagen, erhielt aber
|
|
in Brüssel die trockene Antwort, sie habe keinen vernünftigen Grund
|
|
der Existenz und solle ihre Mitglieder nur einfach zum Eintritt in die Sektionen
|
|
der Internationalen veranlassen.</P>
|
|
<P>Betrieben wurde dies Bündnis vornehmlich durch Michail Bakunin, der schon
|
|
dem ersten Kongreß der Freiheits- und Friedensliga in Genf beigewohnt hatte
|
|
und ein paar Monate vor dem Brüsseler Kongreß der Internationalen auch
|
|
in diese eingetreten war. Nach der Ablehnung des Bündnisvertrages versuchte
|
|
er nun, den Berner Kongreß der Friedens- und Freiheitsliga zu einem Programm
|
|
zu bekehren, das auf die Zerstörung aller Staaten abzielte, um auf deren
|
|
Trümmern eine Föderation freier produktiver Assoziationen aller Länder
|
|
zu errichten. Er blieb jedoch in der Minderheit, in der sich unter anderen Johann
|
|
Philipp Becker befand, und stiftete mit ihr eine neue Internationale Allianz der
|
|
sozialistischen Demokratie, die zwar vollständig in der Internationalen aufgehen,
|
|
aber sich die besondere Aufgabe stellen sollte, die politischen und philosophischen
|
|
Fragen auf der Grundlage des großen Prinzips der allgemeinen und sittlichen
|
|
Gleichheit aller Menschenwesen auf Erden zu studieren.</P>
|
|
<P>Bereits im Septemberhefte des »Vorboten« kündigte Becker diese Allianz
|
|
an, deren Zweck darauf hinauslaufe, in Frankreich, Italien, Spanien und soweit
|
|
ihr Einfluß reiche, Sektionen der Internationalen ins Leben zu rufen. Jedoch
|
|
erst ein Vierteljahr später, am 15. Dezember 1868, ersuchte Becker den Generalrat
|
|
um Aufnahme der Allianz in die Internationale, nachdem dasselbe Gesuch von dem
|
|
belgischen und dem französischen Föderalrat abgelehnt worden war. Eine
|
|
Woche später, am 22. Dezember, schrieb Bakunin aus Genf an Marx: »Mein alter
|
|
Freund! Besser als je verstehe ich jetzt, wie sehr Du recht hast, wenn Du die
|
|
große Heerstraße der ökonomischen Revolution verfolgst und uns
|
|
einladest, sie zu betreten, und diejenigen unter uns herabsetzest, die sich in
|
|
den Seitenpfaden teils nationaler, teils ausschließlich politischer Unternehmungen
|
|
<A NAME="S411"></A><B>|411|*</B> verirren. Ich tue jetzt dasselbe, was Du seit
|
|
mehr als zwanzig Jahren tust. Seit dem feierlichen und öffentlichen Abschied,
|
|
den ich den Bourgeois des Berner Kongresses gegeben habe, kenne ich keine andere
|
|
Gesellschaft, keine andere Umwelt als die Welt der Arbeiter. Mein Vaterland ist
|
|
jetzt die Internationale, zu deren hervorragenden Gründern Du gehörst.
|
|
Du siehst also, lieber Freund, daß ich Dein Schüler bin, und ich bin
|
|
stolz darauf, es zu sein. Soviel über meine Stellung und meine persönlichen
|
|
Gesinnungen.« Es liegt kein Grund vor, an der Aufrichtigkeit dieser Versicherungen
|
|
zu zweifeln.</P>
|
|
<P>Am schnellsten und tiefsten führt in das Verhältnis beider Männer
|
|
ein Vergleich ein, den Bakunin einige Jahre später, als er schon in heftigem
|
|
Kampf mit Marx stand, zwischen diesem und Proudhon gezogen hat. Es heißt
|
|
darin: »Marx ist ein sehr ernster, sehr tiefer ökonomischer Denker. Er hat
|
|
den ungeheuren Vorteil über Proudhon, tatsächlich ein Materialist zu
|
|
sein. Proudhon ist trotz aller Anstrengungen, die er gemacht hat, um die Überlieferungen
|
|
des klassischen Idealismus loszuwerden, nichtsdestoweniger sein Leben lang ein
|
|
unverbesserlicher Idealist geblieben, der sich bald von der Bibel, bald vom römischen
|
|
Recht beeinflussen ließ, wie ich es ihm zwei Monate vor seinem Tode gesagt
|
|
habe, und immer Metaphysiker bis in die Spitze seiner Nägel. Sein großes
|
|
Unglück ist, niemals die Naturwissenschaften studiert und sich deren Methode
|
|
nicht angeeignet zu haben. Er hat gewisse Instinkte gehabt, die ihm den richtigen
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Weg flüchtig gezeigt haben, aber hingerissen durch die schlechten oder die
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idealistischen Gewohnheiten seines Geistes fiel er immer in die alten Irrtümer
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zurück. Dadurch ist Proudhon ein beständiger Widerspruch geworden, ein
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kräftiges Genie, ein revolutionärer Denker, der sich immer gegen die
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Einbildungen des Idealismus wehrte, aber nie dazu gelangte, sie zu besiegen.«
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So Bakunin über Proudhon.</P>
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<P>In unmittelbarem Anschluß daran schilderte er das Wesen von Marx, so
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wie es ihm erschien. »Marx ist als Denker auf dem guten Wege. Er hat als Grundsatz
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aufgestellt, daß alle religiösen, politischen und juristischen Entwicklungen
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in der Geschichte nicht die Ursachen, sondern die Wirkungen der ökonomischen
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Entwicklungen sind. Das ist ein großer und fruchtbarer Gedanke, den Marx
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nicht schlechthin erfunden hat; der Gedanke wurde geahnt und teilweise ausgesprochen
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durch viele andere vor ihm, aber schließlich gebührt ihm die Ehre,
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ihn wissenschaftlich entwickelt und als Grundlage seines ganzen ökonomischen
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Systems festgelegt zu haben. Auf der anderen Seite hatte Proudhon die Freiheit
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viel besser verstanden und gefühlt als Marx; Proudhon hatte, wenn er nicht
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<A NAME="S412"></A><B>|412|</B> in Doktrin und Phantasie machte, den wahren Instinkt
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des Revolutionärs; er verehrte Satan und verkündete die Anarchie. Es
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ist sehr möglich, daß Marx sich zu einem noch vernünftigeren System
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der Freiheit erhebt als Proudhon, aber der Instinkt Proudhons fehlt ihm. Als Deutscher
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und als Jude ist er vom Scheitel bis zur Zehe ein Autoritär.« Soweit Bakunin.</P>
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<P>Für sich selbst zog er aus diesem Vergleich die Schlußfolgerung,
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daß er die höhere Einheit dieser beiden Systeme erfaßt habe.
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Er habe das anarchische System Proudhons entwickelt und von allem doktrinären,
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idealistischen und metaphysischen Beiwerk befreit, ihm den Materialismus in der
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Wissenschaft und die soziale Ökonomie in der Geschichte als Grundlage gegeben.
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Das war jedoch eine gewaltige Selbsttäuschung Bakunins. Er war weit über
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Proudhon hinausgekommen, vor dem er ein gut Stück europäischer Bildung
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voraushatte, und er verstand Marx viel besser als Proudhon diesen verstanden hatte.
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Aber weder hatte er die Schule der deutschen Philosophie so gründlich durchlaufen
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noch die Klassenkämpfe der westeuropäischen Völker so eingehend
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studiert wie Marx. Und vor allem war seine Unkenntnis der politischen Ökonomie
|
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für ihn noch viel verhängnisvoller als für Proudhon die Unkenntnis
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der Naturwissenschaften. Diese Lücke in der Bildung Bakunins bestand deshalb
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nicht weniger, weil sie in einer für ihn ehrenvollen Weise dadurch erklärt
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wurde, daß er um seiner revolutionären Taten willen eine lange Reihe
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seiner besten Jahre in sächsischen, österreichischen, russischen Kerkern
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und in den sibirischen Eiswüsten geschmachtet hatte.</P>
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<P>Der »Satan im Leibe« war seine Stärke wie seine Schwäche. Was er
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unter diesem seinem Lieblingsschlagwort verstand, das hat der berühmte russische
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Kritiker Belinski in die so schönen wie treffenden Worte gekleidet: »Michail
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ist in vielem schuldig und sündhaft, doch gibt es etwas in ihm, das alle
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seine Mängel überwiegt - das ist das ewig bewegende Prinzip, das in
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der Tiefe seines Geistes lebt.« Bakunin war eine durch und durch revolutionäre
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Natur, und wie Marx und Lassalle besaß er die Gabe, daß die Menschen
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auf seine Stimme hörten. Es war doch eine Leistung für einen armen Flüchtling,
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der nichts besaß als seinen Geist und seinen Willen, in einer Reihe europäischer
|
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Länder, in Spanien, Italien und Rußland, die ersten Fäden der
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internationalen Arbeiterbewegung gesponnen zu haben. Aber man braucht diese Länder
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nur zu nennen, um auf den tiefsten Unterschied zwischen Bakunin und Marx zu stoßen.
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Beide sahen die Revolution mit schnellen Schritten herankommen, aber während
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Marx in dem großindustriellen Proletariat, wie er es in England, Frankreich
|
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und Deutschland studiert hatte, ihre Kerntruppe erblickte, rechnete Bakunin mit
|
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den Heerhaufen der deklassierten Jugend, <A NAME="S413"></A><B>|413|</B> der bäuerlichen
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Masse und selbst des Lumpenproletariats. Wie scharf er immer erkannte, daß
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|
Marx ihm als wissenschaftlicher Denker überlegen war, so fiel er mit seinem
|
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Handeln immer in die Fehler zurück, die den »Revolutionären der vorigen
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Generation« eigen waren. Er selbst fand sich mit seinem Schicksal ab, indem er
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meinte, die Wissenschaft sei wohl der Kompaß des Lebens, aber nicht das
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Leben selbst, und nur das Leben schaffe wirkliche Dinge und Wesen.</P>
|
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<P>Es ist eine Torheit, und dazu ein Unrecht gleichermaßen gegen Bakunin
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wie gegen Marx, ihre Beziehungen allein nach dem unheilbaren Zerwürfnis abzuschätzen,
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womit sie geendigt haben. Politisch und namentlich psychologisch viel reizvoller
|
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ist es zu verfolgen, wie sie im Laufe von dreißig Jahren sich gegenseitig
|
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immer wieder angezogen und immer wieder abgestoßen haben. Beide begannen
|
|
als Junghegelianer; Bakunin gehörte zu den Paten der »Deutsch-Französischen
|
|
Jahrbücher«. Bei dem Bruch zwischen seinem alten Gönner Ruge und Marx
|
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entschied er sich für diesen. Als er dann aber in Brüssel sah, was Marx
|
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unter kommunistischer Propaganda verstand, war er entsetzt, und einige Monate
|
|
später begeisterte er sich für Herweghs abenteuerlichen Freischarenzug
|
|
nach Deutschland, um dann doch wieder diese seine Torheit einzusehen und offen
|
|
zu bekennen.</P>
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<P>Gleich darauf, im Sommer 1848, klagte ihn die »Neue Rheinische Zeitung« als
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|
Werkzeug der russischen Regierung an, doch nahm sie ihren Irrtum, in den sie durch
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zwei, voneinander unabhängige Seiten versetzt worden war, in einer Weise
|
|
zurück, die Bakunin vollkommen befriedigte. Bei einer Begegnung in Berlin
|
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frischten Marx und Bakunin ihre alte Freundschaft auf, und die »Neue Rheinische
|
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Zeitung« trat energisch für Bakunin ein, als er aus Preußen ausgewiesen
|
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wurde. Danach unterzog sie seine panslawistische Agitation einer strengen Kritik,
|
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aber mit der einleitenden Bemerkung: »Bakunin ist unser Freund«, und unter ausdrücklicher
|
|
Anerkennung, daß Bakunin aus demokratischen Gründen handele und seine
|
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Selbsttäuschungen über die slawische Sache sehr zu entschuldigen seien.
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|
Übrigens irrte Engels, der Verfasser dieser Artikel, auch in dem Haupteinwande,
|
|
den er gegen Bakunin geltend machte; die slawischen Völkerschaften Österreichs
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haben doch die geschichtliche Zukunft gehabt, die Engels ihnen absprach. Bakunins
|
|
revolutionäre Teilnahme an dem Dresdner Maiaufstande haben Marx und Engels
|
|
früher und lebhafter als irgendwer anerkannt.<A name="ZT1"></A><A href="fm03_394.htm#Z1"><SPAN class="top">[1]</SPAN></A></P>
|
|
<P>Auf dem Rückzuge aus Dresden wurde Bakunin gefangen und erst von einem
|
|
sächsischen, dann von einem österreichischen Kriegsgerichte zum Tode
|
|
verurteilt, in beiden Fällen zu lebenslänglicher Kerkerhaft <A NAME="S414"></A><B>|414|</B>
|
|
»begnadigt«, endlich nach Rußland ausgeliefert, wo er in der Peter-Pauls-Festung
|
|
furchtbare Leidensjahre verbrachte. Während dieser Zeit erhob ein verrückter
|
|
Urquhartit im »Morning Advertiser« wieder die Anklage gegen Bakunin, ein Agent
|
|
der russischen Regierung zu sein und sich gar nicht im Kerker zu befinden. Dagegen
|
|
protestierte in demselben Blatt - neben Herzen, Mazzini und Ruge - auch Marx.
|
|
Jedoch wollte ein unglücklicher Zufall, daß der Verleumder Bakunins
|
|
ebenfalls Marx hieß, was in engeren Kreisen bekannt war, obgleich sich der
|
|
Biedermann der Aufforderung, sich öffentlich zu nennen, beharrlich entzog.
|
|
Diesen Gleichklang der Namen benutzte dann der Talmi-Revolutionär Herzen
|
|
zu einer unwürdigen Intrige. Als Bakunin, der 1857 aus der Peter-Pauls-Festung
|
|
nach Sibirien geschickt worden, aber 1861 von hier glücklich entkommen war,
|
|
über Japan und den amerikanischen Kontinent nach London gelangte, spiegelte
|
|
Herzen ihm vor, Karl Marx habe ihn in der englischen Presse als russischen Spion
|
|
denunziert. Es war die erste der Ohrenbläsereien, die noch viel Unheil zwischen
|
|
Bakunin und Marx stiften sollten.</P>
|
|
<P>Mehr als ein Jahrzehnt lang war Bakunin von dem europäischen Leben abgesperrt
|
|
gewesen, und so begreift sich, daß er sich in London zunächst an die
|
|
russischen Flüchtlinge vom Schlage Herzens anschloß, mit denen er im
|
|
Grunde wenig gemein hatte. Auch an seinem Panslawismus, soweit davon überhaupt
|
|
gesprochen werden konnte, blieb Bakunin doch immer Revolutionär, während
|
|
Herzen mit seinen Schimpfereien über den »verfaulten Westen« und seinem mystischen
|
|
Kultus der russischen Dorfgemeinde in der Tat nur, unter der Maske eines schwachherzigen
|
|
Liberalismus, die Geschäfte des Zarentums besorgte. Es spricht nicht gegen
|
|
Bakunin, daß er seine persönlich freundschaftlichen Beziehungen zu
|
|
Herzen, der sich ihm in seinen Jugendnöten hilfreich erwiesen hatte, bis
|
|
zu Herzens Tode fortsetzte, aber den politischen Scheidebrief schrieb er ihm schon
|
|
im Jahre 1866, indem er ihm vorwarf, eine soziale Umwälzung ohne politische
|
|
Umwälzung zu wollen und dem Staate alles zu verzeihen, wenn er nur die großrussische
|
|
Dorfgemeinde unberührt lasse, von der Herzen nicht nur das Heil Rußlands
|
|
und aller slawischen Länder, sondern auch Europas und der ganzen Welt erwarte.
|
|
Bakunin unterwarf dies Phantom einer vernichtenden Kritik.</P>
|
|
<P>Aber nach seiner Flucht aus Sibirien lebte er zunächst in Herzens Hause
|
|
und wurde dadurch von Marx zurückgehalten. Um so bezeichnender war es wieder
|
|
für ihn, daß er das Kommunistische Manifest« ins Russische übersetzte
|
|
und in Herzens »Kolokol« veröffentlichte.</P>
|
|
<P>Bei einem zweiten Aufenthalte Bakunins in London, zur Zeit, wo <A NAME="S415"></A><B>|415|</B>
|
|
die Internationale gegründet wurde, brach Marx das Eis und suchte ihn auf.
|
|
Er konnte mit aller Wahrheit versichern, daß er die Verleumdung Bakunins
|
|
nicht nur nicht veranlaßt, sondern vielmehr nachdrücklich bekämpft
|
|
habe. Beide schieden als Freunde; Bakunin war von dem Plane der Internationalen
|
|
begeistert und Marx schrieb an Engels am 4. November: »<I>Bakounine </I>läßt
|
|
Dich grüßen. Er ist heute nach Italien, wo er wohnt (Florenz), abgereist
|
|
... Ich muß sagen, daß er mir sehr gefallen hat und besser als früher
|
|
... Im Ganzen ist er einer der wenigen Leute, die ich nach 16 Jahren nicht zurück-,
|
|
sondern weiterentwickelt finde.«</P>
|
|
<P>Die Freude, womit Bakunin die Internationale begrüßt hatte, hatte
|
|
jedoch keinen langen Atem. Der Aufenthalt in Italien erweckte zunächst den
|
|
»Revolutionär der vorigen Generation« in ihm. Er hatte dies Land gewählt,
|
|
des milden Klimas und auch des wohlfeilen Lebens wegen, zumal da ihm Deutschland
|
|
und Frankreich verschlossen waren, dann aber auch aus politischen Gründen.
|
|
Er sah in den Italienern die natürlichen Verbündeten der Slawen gegen
|
|
den österreichischen Zwangsstaat, und die Heldentaten Garibaldis hatten schon
|
|
in Sibirien seine Phantasie entzündet. Sie ließen ihn zuerst erkennen,
|
|
daß die revolutionäre Flut wieder im Steigen sei. In Italien fand er
|
|
eine Menge politischer Geheimbünde; er fand hier eine deklassierte Intelligenz,
|
|
die allemal bereit war, sich in allerlei Verschwörungen einzulassen, eine
|
|
bäuerliche Masse, die stets am Abgrunde des Hungertodes schwebte, und endlich
|
|
ein wenig bewegliches Lumpenproletariat, zumal in den Lazzaroni von Neapel, wohin
|
|
er bald von Florenz übergesiedelt war, um dort mehrere Jahre zu leben. Diese
|
|
Klassen erschienen ihm als die eigentlichen Triebkräfte der Revolution. Aber
|
|
wenn er in Italien das Land sah, wo die soziale Revolution vielleicht am nächsten
|
|
sei, so mußte er bald seinen Irrtum erkennen. Noch war in Italien die Propaganda
|
|
Mazzinis übermächtig, und Mazzini war ein Gegner des Sozialismus; mit
|
|
seinem verschwommenen religiösen Schlachtrufe und seinen straff zentralisierenden
|
|
Tendenzen kämpfte er nur für die bürgerliche Einheitsrepublik.</P>
|
|
<P>In diesen italienischen Jahren nahm Bakunins revolutionäre Agitation bestimmtere
|
|
Formen an. Bei seinem Mangel an theoretischer Bildung, der sich mit einem Überfluß
|
|
an geistiger Beweglichkeit und an ungestümer Tatkraft verband, wurde er immer
|
|
sehr stark von der Umwelt beeinflußt, worin er lebte. Der religiös-politische
|
|
Dogmatismus Mazzinis trieb um so schärfer seinen Atheismus und seinen Anarchismus,
|
|
die Verneinung jeder staatlichen Herrschaft hervor. Dagegen färbten die revolutionären
|
|
Überlieferungen jener Klassen, die für ihn die Preiskämpfer der
|
|
allgemeinen Umwälzung waren, um so stärker auf seine <A NAME="S416"></A><B>|416|</B>
|
|
Neigung für geheime Verschwörungen und örtliche Aufstände
|
|
ab. So stiftete Bakunin einen revolutionär-sozialistischen Geheimbund, der
|
|
sich zunächst aus Italienern rekrutierte und besonders »die widerwärtige
|
|
Bourgeoisrhetorik der Mazzini und Garibaldi« bekämpfen sollte, aber sich
|
|
bald auf internationalem Fuß erweiterte.</P>
|
|
<P>Im Interesse dieses Geheimbundes suchte Bakunin, der im Herbst 1867 nach Genf
|
|
übersiedelt war, erst die Freiheits- und Friedensliga zu beeinflussen, und
|
|
als er damit gescheitert war, bemühte er sich um Anschluß an die Internationale,
|
|
um die er sich ziemlich vier Jahre lang nicht weiter gekümmert hatte.</P>
|
|
<H3 ALIGN="CENTER">4. Die Allianz der sozialistischen Demokratie<A name="Kap_4"></A></H3>
|
|
<P>Trotzdem hatte Marx dem alten Revolutionär seine freundschaftliche Gesinnung
|
|
bewahrt und sich Angriffen widersetzt, die aus seiner näheren Umgebung gegen
|
|
Bakunin gerichtet worden waren oder werden sollten.</P>
|
|
<P>Sie gingen von Sigismund Borkheim aus, einem ehrlichen Demokraten, dem Marx
|
|
seit der Vogt-Affäre und auch sonst für gute Dienste verpflichtet war.
|
|
Borkheim hatte jedoch zwei Schwächen; er hielt sich für einen geistreichen
|
|
Schriftsteller, ohne es zu sein, und er litt an einem barocken Russenhaß,
|
|
der dem barocken Deutschenhaß Herzens nichts nachgab.</P>
|
|
<P>Auf Herzen hatte es Borkheim in erster Reihe abgesehen und vermöbelte
|
|
ihn gründlich in einer Reihe von Artikeln, die das »Demokratische Wochenblatt«
|
|
gleich nach seinem Erscheinen im Anfange des Jahres 1868 veröffentlichte.
|
|
Damals hatte Bakunin längst mit Herzen gebrochen, aber gleichwohl wurde er
|
|
von Borkheim als »Kosak« Herzens angegriffen und neben diesem als »unzerstörbare
|
|
Negation« ans Kreuz geschlagen. Borkheim hatte nämlich bei Herzen gelesen,
|
|
Bakunin habe vor Jahren den »merkwürdigen Ausspruch« getan: »Die aktive Negation
|
|
ist eine schaffende Kraft«, und so fragte er sittlich empört, ob dergleichen
|
|
wohl jemals diesseits der russischen Grenzsoldaten gedacht worden und dem Gelächter
|
|
von Tausenden deutscher Schuljungen verfallen sei. Der gute Borkheim ahnte nicht,
|
|
daß Bakunins seinerzeit geflügeltes Wort »Die Lust der Zerstörung
|
|
ist eine schaffende Lust« aus einem Aufsatz der »Deutschen Jahrbücher« stammte,
|
|
zur Zeit wo Bakunin in den Kreisen der deutschen Junghegelianer lebte und die
|
|
»Deutsch-Französischen Jahrbücher« neben Marx und Ruge aus der Taufe
|
|
hob.</P>
|
|
<P><B><A NAME="S417">|417|</A></B> Man begreift, daß Marx diese und ähnliche
|
|
Stilübungen mit geheimem Grauen betrachtete und sich mit Händen und
|
|
Füßen sträubte, als Borkheim die Artikel, die Engels in der »Neuen
|
|
Rheinischen Zeitung« gegen Bakunin veröffentlicht hatte, in seinem Kauderwelsch
|
|
zu verwerten suchte, weil sie ihm »famos in seinen Rahmen paßten«. Auf keinen
|
|
Fall dürfe die Sache in einen beleidigenden Zusammenhang gebracht werden,
|
|
da Engels ein alter persönlicher Freund Bakunins sei. Ebenso verwahrte sich
|
|
Engels, und die Sache unterblieb. Auch Johann Philipp Becker bat Borkheim, Bakunin
|
|
nicht anzugreifen, erhielt jedoch als Antwort einen »geharnischten Brief«, worin
|
|
Borkheim, wie Marx an Engels schrieb, mit seiner »gewöhnlichen Delikatesse«
|
|
erklärte, er bewahre ihm Freundschaft und seine (übrigens sehr unbedeutende)
|
|
pekuniäre Unterstützung, aber Politik sei von nun an in ihrer Korrespondenz
|
|
auszuschließen. Marx fand bei aller Freundschaft für Borkheim, daß
|
|
dessen »Russophobie« gefährliche Dimensionen angenommen habe.</P>
|
|
<P>Er selbst wurde in seiner freundschaftlichen Gesinnung für Bakunin auch
|
|
nicht dadurch beirrt, daß dieser an den Kongressen der Friedens- und Freiheitsliga
|
|
teilnahm. Der erste dieser Kongresse hatte schon in Genf getagt, als Marx ein
|
|
Dedikationsexemplar des »Kapitals« an Bakunin sandte, und auch als er kein Wort
|
|
des Dankes erhielt, erkundigte sich Marx bei einem russischen Emigranten in Genf,
|
|
an den er in anderen Angelegenheiten schrieb, nach seinem »alten Freunde Bakunin«,
|
|
wennschon mit einem leisen Zweifel, ob er es noch sei. Eine Antwort auf diese
|
|
mittelbare Anfrage war der Brief Bakunins vom 22. Dezember, worin er die Heerstraße
|
|
zu betreten versprach, die Marx seit zwanzig Jahren verfolge.</P>
|
|
<P>An dem Tage jedoch, wo Bakunin diesen Brief schrieb, hatte der Generalrat sich
|
|
schon entschieden, den von Becker übermittelten Antrag, die Allianz der sozialistischen
|
|
Demokratie in die Internationale aufzunehmen, an seinem Teil abzulehnen. Dabei
|
|
war Marx die treibende Kraft. Er kannte die Existenz der Allianz, die ja der »Vorbote«
|
|
angekündigt hatte, hielt sie bis dahin aber für ein Genfer Lokalgewächs,
|
|
das totgeboren und nicht weiter bedenklich sei; er kannte den alten Becker, der
|
|
gern ein wenig Vereinsmeierei trieb, aber sonst zuverlässig war. Nun aber
|
|
sandte Becker das Programm und das Statut der Allianz ein und schrieb dazu, die
|
|
Allianz wolle dem mangelnden »Idealismus« der Internationalen abhelfen. Dieser
|
|
Anspruch erregte auch sonst im Generalrat »große Wut«, wie Marx an Engels
|
|
schrieb, »namentlich unter den Franzosen«, und die Abweisung wurde sofort beschlossen.
|
|
<A NAME="S418"></A><B>|418|</B> Marx erhielt den Auftrag, den Beschluß zu
|
|
redigieren. Daß er selbst in einiger Erregung war, zeigt der Brief, den
|
|
er am 18. Dezember »nach Mitternacht« an Engels schrieb, um dessen Rat einzuholen.
|
|
»Diesmal hat Borkheim recht«, fügte er hinzu. Was ihn aufbrachte, war nicht
|
|
sowohl das Programm als das Statut der Allianz. Das Programm erklärte die
|
|
Allianz in erster Reihe für atheistisch; es verlangte die Abschaffung aller
|
|
Religionskulte, die Ersetzung des Glaubens durch die Wissenschaft, der göttlichen
|
|
Gerechtigkeit durch die menschliche. Dann forderte es die politische, ökonomische
|
|
und soziale Gleichmachung der Klassen und der Individuen beider Geschlechter,
|
|
wobei mit der Abschaffung des Erbrechts der Anfang zu machen sei; ferner für
|
|
alle Kinder beider Geschlechter von ihrer Geburt an die Gleichheit der Mittel
|
|
zu ihrer Entwicklung, das heißt ihres Unterhalts, ihrer Erziehung und ihres
|
|
Unterrichts auf allen Stufen der Wissenschaft, der Industrie und der Künste.
|
|
Endlich verwarf das Programm jede politische Tätigkeit, die nicht den Sieg
|
|
der Arbeitersache über das Kapital zum direkten und unmittelbaren Zweck habe.</P>
|
|
<P>Marx urteilte über dies Programm nichts weniger als schmeichelhaft. Er
|
|
hat es etwas später »eine Olla potrida abgeschliffener Gemeinplätze«
|
|
genannt, »eine gedankenlose Schwätzerei, einen Rosenkranz von hohlen Einfällen,
|
|
die schauerlich zu sein prätendierten, eine insipide Improvisation, die bloß
|
|
auf einen gewissen Tageseffekt abziele«. Aber in theoretischen Fragen hatte die
|
|
Internationale ihrem Wesen nach zunächst einen sehr weiten Mantel der Liebe;
|
|
ihre geschichtliche Aufgabe bestand ja eben darin, aus ihrer praktischen Tätigkeit
|
|
heraus ein gemeinsames Programm des internationalen Proletariats zu entwickeln.</P>
|
|
<P>Um so wichtiger war ihre Organisation als Voraussetzung jeder erfolgreichen
|
|
praktischen Tätigkeit. Und in diese Organisation versuchte das Statut der
|
|
Allianz in verhängnisvoller Weise einzugreifen. Die Allianz erklärte
|
|
sich zwar für einen Zweig der Internationalen, deren sämtliche allgemeine
|
|
Statuten sie annehme, aber sie wollte eine besondere Organisation bilden. Ihre
|
|
Gründer taten sich in Genf als vorläufiges Zentralkomitee zusammen.
|
|
In jedem Lande sollten nationale Büros eingerichtet werden, die an allen
|
|
Orten Gruppen ins Leben rufen und diesen Gruppen die Aufnahme in die Internationale
|
|
vermitteln sollten. Bei den Jahreskongressen der Internationalen wollten die Vertreter
|
|
der Allianz als Zweig der Internationalen, ihre öffentlichen Sitzungen in
|
|
einem besonderen Raume abhalten.</P>
|
|
<P>Engels entschied sofort: Das geht nicht. Es gäbe zwei Generalräte
|
|
und zwei Kongresse. Bei der ersten Gelegenheit würde der praktische <A NAME="S419"></A><B>|419|</B>
|
|
Generalrat in London mit dem »idealistischen« Generalrat in Genf zusammenstoßen.
|
|
Im übrigen empfahl Engels kaltes Blut; heftiges Auftreten werde die unter
|
|
den Arbeitern (besonders in der Schweiz) sehr zahlreichen Gesinnungsphilister
|
|
nutzlos aufbringen und der Internationalen schaden. Man solle die Leute ruhig,
|
|
aber fest abweisen und ihnen sagen, daß sie sich ein spezielles Terrain
|
|
ausgesucht hätten, von dem man abwarten werde, was sie daraus machen würden;
|
|
vorderhand stände dein nichts entgegen, daß die Mitglieder der einen
|
|
Assoziation auch Mitglieder der andern würden. Über das theoretische
|
|
Programm der Allianz urteilte auch Engels, etwas Erbärmlicheres habe er nie
|
|
gelesen; Bakunin müsse ein »perfekter Ochse« geworden sein, eine Äußerung,
|
|
die zunächst noch keine besondere Feindseligkeit gegen Bakunin atmete, oder
|
|
doch keine größere Feindseligkeit, als wenn Marx seinen allezeit getreuen
|
|
Freund Becker einen »alten Konfusionsrat« schalt; mit solchen Ehrentiteln gingen
|
|
beide Freunde in ihren vertraulichen Briefen sehr verschwenderisch um.</P>
|
|
<P>Marx hatte sich inzwischen schon beruhigt und entwarf den Beschluß des
|
|
Generalrats, der die Aufnahme der Allianz in die Internationale ablehnte, in einer
|
|
Form und mit einem Inhalt, gegen die sich nichts einwenden ließ. Einen kleinen
|
|
Hieb für Becker enthielt der Hinweis darauf, daß die Frage ja schon
|
|
durch einige Gründer der Allianz vorentschieden sei, da sie als Mitglieder
|
|
der Internationalen an dem Beschluß des Brüsseler Kongresses mitgewirkt
|
|
hätten, eine Verschmelzung der Internationalen mit der Friedens- und Freiheitsliga
|
|
abzulehnen. Im wesentlichen wurde die Ablehnung damit entschieden, daß die
|
|
Zulassung einer zweiten internationalen Körperschaft, die innerhalb und außerhalb
|
|
der Internationalen stünde, das unfehlbarste Mittel sein würde, deren
|
|
Organisation zu zerstören.</P>
|
|
<P>Es ist sehr unwahrscheinlich, daß Becker durch diesen Beschluß
|
|
des Generalrats in gewaltigen Zorn geraten sein soll. Glaubhafter ist die Angabe
|
|
Bakunins, daß er von vornherein die Gründung der Allianz widerraten
|
|
habe, aber von den Mitgliedern seines Geheimbundes überstimmt worden sei;
|
|
er habe zwar diesen Geheimbund beibehalten wollen, dessen Mitglieder innerhalb
|
|
der Internationalen in ihrem Sinne wirken wollten, aber den unbedingten Eintritt
|
|
in die Internationale gewünscht, um alle Rivalitäten auszuschließen.
|
|
Jedenfalls erwiderte das Genfer Zentralkomitee der Allianz den abweisenden Beschluß
|
|
des Generalrats mit dem Anerbieten, die Sektionen der Allianz in Sektionen der
|
|
Internationalen aufzulösen, falls der Generalrat ihr theoretisches Programm
|
|
anerkenne.</P>
|
|
<P><B><A NAME="S420">|420|</A></B> Inzwischen hatte Marx den entgegenkommenden
|
|
Brief Bakunins vom 22. Dezember erhalten, aber sein Argwohn war nun doch schon
|
|
so weit erwacht, daß er dies »sentimentale Entree« nicht weiter beachtete.
|
|
Auch das neue Angebot der Allianz erregte sein Mißtrauen, doch ließ
|
|
er sich von ihm nicht so weit beherrschen, um anders als sachlich zutreffend darauf
|
|
zu antworten. Auf seinen Vorschlag beschloß der Generalrat am 9. März
|
|
1869, es sei nicht seine Sache, die theoretischen Programme seiner einzelnen Arbeiterparteien
|
|
zu prüfen. Die Arbeiterklasse der verschiedenen Länder befände
|
|
sich auf so verschiedenen Entwicklungsstufen, daß sich ihre reelle Bewegung
|
|
in sehr verschiedenen theoretischen Formen ausdrücke. Die Gemeinsamkeit der
|
|
Aktion, die die Internationale ins Leben rufe, der Ideenaustausch durch die verschiedenen
|
|
Organe der Sektionen in allen Ländern, endlich die direkte Debatte auf den
|
|
allgemeinen Kongressen würden nach und nach für die allgemeine Arbeiterbewegung
|
|
auch das gemeinsame theoretische Programm schaffen. Einstweilen habe der Generalrat
|
|
nur zu fragen, ob die allgemeine Tendenz der einzelnen Arbeiterprogramme der allgemeinen
|
|
Tendenz der Internationalen entspräche, nämlich der vollständigen
|
|
Emanzipation der arbeitenden Klassen.</P>
|
|
<P>In dieser Beziehung enthalte das Programm der Allianz eine Phrase, die gefährliche
|
|
Mißverständnisse zulasse. Die politische, ökonomische und soziale
|
|
Gleichmachung der Klassen laufe, wenn man sie wörtlich nehme, auf die Harmonie
|
|
zwischen Kapital und Arbeit hinaus, die von den Bourgeois-Sozialisten gepredigt
|
|
werde. Das wahre Geheimnis der proletarischen Bewegung und der große Zweck
|
|
der Internationalen sei vielmehr die Vernichtung der Klassen. Indessen da »die
|
|
Gleichmachung der Klassen«, wie sich aus dem Zusammenhange ergebe, in das Programm
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der Allianz nur durch ein einfaches Ausgleiten der Feder geraten sei, so zweifle
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der Generalrat nicht, daß die Allianz auf diese bedenkliche Phrase verzichten
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werde, und dann stände kein Hindernis der Umwandlung der Sektionen der Allianz
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in Sektionen der Internationalen entgegen. Wenn sie endgültig erfolgt sei,
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müßte nach den Statuten der Internationalen der Generalrat von dem
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Ort und der Mitgliederzahl jeder neuen Sektion benachrichtigt werden.</P>
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<P>Daraufhin verbesserte die Allianz die beanstandete Phrase in dem vom Generalrat
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gewünschten Sinne und zeigte diesem am 22. Juni an, daß sie sich aufgelöst
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und ihre Sektionen aufgefordert habe, sich in Sektionen der Internationalen umzuwandeln.
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Ihre Genfer Sektion, an deren Spitze Bakunin stand, wurde durch einstimmigen Beschluß
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des Generalrats in die Internationale aufgenommen. Auch der Geheimbund <A NAME="S421"></A><B>|421|</B>
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Bakunins hatte sich angeblich aufgelöst, doch bestand er in mehr oder minder
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loser Form weiter, und Bakunin selbst fuhr fort, im Sinne des Programms zu wirken,
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das sich die Allianz gegeben hatte. Er lebte vom Herbst 1867 bis zum Herbst 1869
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an den Ufern des Genfer Sees, teils in Genf selbst, teils in Vevey und Clarens,
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und hatte sich einen großen Einfluß unter den romanischen Arbeitern
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der Schweiz verschafft.</P>
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<P>Dabei wurde er unterstützt durch die eigentümlichen Zustände,
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worin diese Arbeiter lebten. Wenn man die damaligen Entwicklungen richtig beurteilen
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will, darf man niemals vergessen, daß die Internationale keine Partei mit
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einem bestimmten theoretischen Programm war, sondern die allerverschiedensten
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Richtungen in ihrem Schoße duldete, wie es ja auch der Generalrat in seinem
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Schreiben an die Allianz festgestellt hatte. Man kann heute noch im »Vorboten«
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verfolgen, daß selbst ein so eifriger und verdienter Vorkämpfer des
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großen Bundes wie Becker, sich um theoretische Fragen niemals graue Haare
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wachsen ließ. So waren auch in den Genfer Sektionen der Internationalen
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zwei sehr verschiedene Strömungen vertreten. Auf der einen Seite die fabrique,
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worunter der Genfer Dialekt die qualifizierten und gut gelohnten Arbeiter der
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Juwelen- und Uhrenindustrie verstand, und die sich fast nur aus Eingeborenen rekrutierte,
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auf der anderen Seite die gros métiers, vornehmlich Bauarbeiter, die fast
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ebenso ausschließlich aus Fremden, namentlich Deutschen, bestanden und sich
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nur in fortwährenden Streiks halbwegs erträgliche Arbeitsbedingungen
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erkämpfen konnten. Jene besaßen das Wahlrecht, diese nicht. Aber ihrer
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Zahl nach konnte die fabrique nicht auf selbständige Wahlerfolge rechnen
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und war deshalb sehr geneigt zu Wahlkompromissen mit den bürgerlichen Radikalen,
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während die gros métiers, für die jede Versuchung dieser Art
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von vornherein ausgeschlossen war, sich weit eher für die direkte revolutionäre
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Aktion begeisterten, wie sie Bakunin vertrat.</P>
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<P>Ein noch ergiebigeres Rekrutierungsfeld fand dieser unter den Uhrenarbeitern
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des Jura. Es waren keine qualifizierten Luxusarbeiter, sondern meist Hausindustrielle,
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deren kümmerliches Dasein schon durch die Maschinen der amerikanischen Konkurrenz
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bedroht wurde. In kleinen Nestern über die Berge verstreut, waren sie wenig
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geeignet für eine Massenbewegung mit politischen Zielen, und soweit sie es
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waren, wurden sie durch trübe Erfahrungen von der Politik zurückgeschreckt.
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Zuerst hatte ein Arzt Coullery die Agitation für die Internationale in ihre
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Kreise getragen, ein menschenfreundlich gesinnter Mann, aber politisch konfuser
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Kopf, der sie zu Wahlbündnissen nicht nur mit den Radikalen, sondern auch
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mit den monarchistischen Liberalen in Neuchâtel verleitet <A NAME="S422"></A><B>|422|</B>
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hatte, wobei die Arbeiter regelmäßig übers Ohr gehauen wurden.
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Nach der gänzlichen Abwirtschaftung Coullerys hatten die jurassischen Arbeiter
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in James Guillaume, einem jungen Lehrer an der Industrie in Locle, einen neuen
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Führer gefunden, der sich völlig in ihre Denkweise einlebte und im »Progrès«,
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einem Blättchen, das er in Locle herausgab, das Ideal einer anarchischen
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Gesellschaft vertrat, in der alle Menschen frei und gleich wären. Als Bakunin
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zum ersten Male in den Jura kam, fand er den Boden vollkommen vorbereitet für
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seine Saat, und diese armen Teufel haben auf ihn vielleicht stärker abgefärbt
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als er auf sie, denn seine Verurteilung jeder politischen Tätigkeit trat
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von nun an viel schärfer hervor als vordem.</P>
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<P>Einstweilen jedoch herrschte noch Friede in den Sektionen der romanischen Schweiz.
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Im Januar 1869 schlossen sie sich, in erster Reihe auf Betreiben Bakunins, zu
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einem Föderalrat zusammen und gaben eine Wochenschrift größeren
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Stils heraus, die »Égalité«, an der Bakunin, Becker, Eccarius, Varlin
|
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und andere namhafte Mitglieder der Internationalen mitarbeiteten. Bakunin war
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es auch, der den romanischen Föderalrat zu dem Antrage an den Londoner Generalrat
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veranlaßte, die Erbschaftsfrage auf die Tagesordnung des Baseler Kongresses
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zu setzen. Das war Bakunins gutes Recht, denn die Erörterung solcher Fragen
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gehörte zu den Hauptaufgaben der Kongresse, und der Generalrat ging darauf
|
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ein.</P>
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<P>Marx freilich sah darin auch eine Art Kampfansage Bakunins, die er als solche
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jedoch durchaus willkommen hieß.</P>
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<H3 ALIGN="CENTER">5. Der Baseler Kongreß<A name="Kap_5"></A></H3>
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<P>Auf ihrem Jahreskongreß, der vom 5. bis 6. September 1869 in Basel tagte,
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hielt die Internationale die Heerschau über ihr fünftes Lebensjahr ab.</P>
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<P>Es war das bewegteste, daß sie bis dahin erlebt hatte, durchtobt, wie
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es war, von den »Guerillagefechten zwischen Kapital und Arbeit«, den Streiks,
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von denen unter den besitzenden Klassen Europas mehr und mehr die Rede ging, sie
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seien weder aus dem Elend des Proletariers entsprungen, noch aus dem Despotismus
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des Kapitals, sondern aus den geheimen Intrigen der Internationalen.</P>
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<P>Um so mehr wuchs die brutale Lust, sie durch Waffengewalt niederzuschlagen.
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|
Selbst in England kam es zu blutigen Zusammenstößen <A NAME="S423"></A><B>|423|</B>
|
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zwischen streikenden Grubenarbeitern und dem Militär. In den Kohlendistrikten
|
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der Loire richtete eine betrunkene Soldateska ein Blutbad bei Ricamarie an, bei
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dem zwanzig Arbeiter, darunter zwei Frauen und ein Kind, niedergeschossen und
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zahlreiche Arbeiter verwundet wurden. Am scheußlichsten ging es wieder in
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Belgien her, »dem Musterstaat des festländischen Konstitutionalismus, dem
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behaglichen, wohlumzäunten Paradies des Landherrn, des Kapitalisten und des
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Pfaffen«, wie es in einem wuchtigen, von Marx verfaßten Aufruf des Generalrats
|
|
hieß, der die Arbeiter Europas und der Vereinigten Staaten zur Hilfe für
|
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die in Seraing und im Borinage hingemordeten Opfer einer zügellosen Profitwut
|
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aufrief. »Die Erde vollendet ihre jährliche Umdrehung nicht sicherer als
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|
die belgische Regierung ihre jährliche Arbeitermetzelei.«<A name="ZT2"></A><A href="fm03_394.htm#Z2"><SPAN class="top">[2]</SPAN></A></P>
|
|
<P>Die Blutsaat reifte die Ernte der Internationalen. In England hatten im Herbst
|
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1868 die ersten Wahlen auf Grund des reformierten Wahlgesetzes stattgefunden und
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|
durchaus die Warnungen bestätigt, die Marx gegen die einseitige Politik der
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Reformliga geltend gemacht hatte. Kein einziger Arbeitervertreter wurde gewählt.
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Die »langen Geldbeutel« siegten, und Gladstone kam wieder ans Ruder. Er dachte
|
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aber nicht daran, in der irischen Frage gründliche Arbeit zu machen, oder
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|
den berechtigten Beschwerden der Trade Unions abzuhelfen. So bekam der Neue Unionismus
|
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frischen Wind in seine Segel. Auf dem Jahreskongreß, den die Trade Unions
|
|
1869 in Birmingham abhielten, luden sie die organisierten Arbeiterkörper
|
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des Königreichs aufs dringendste ein, sich der Internationalen anzuschließen.
|
|
Und nicht nur, weil die Interessen der Arbeiterklasse überall dieselben,
|
|
sondern auch weil die Prinzipien der Internationalen geeignet seien, den dauernden
|
|
Frieden unter den Völkern der Erde zu sichern. Im Sommer 1869 hatte ein Krieg
|
|
zwischen England und der Union gedroht und eine, ebenfalls von Marx verfaßte
|
|
Adresse an die Nationale Arbeiterunion der Vereinigten Staaten veranlaßt,
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|
worin es hieß: »Die Reihe ist jetzt an euch, einem Kriege vorzubeugen, dessen
|
|
klarstes Ergebnis sein würde, die emporsteigende Arbeiterbewegung auf beiden
|
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Seiten des Atlantischen Ozeans zurückzuschleudern.«<A name="ZT3"></A><A href="fm03_394.htm#Z3"><SPAN class="top">[3]</SPAN></A> Die Adresse hatte einen
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|
lebhaften Widerhall jenseits des großen Teichs gefunden.</P>
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<P>Auch in Frankreich marschierte die Arbeitersache gut voran. Die polizeilichen
|
|
Verfolgungen der Internationalen hatten nur die übliche Wirkung, die Zahl
|
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ihrer Anhänger zu vermehren. Das hilfreiche Eingreifen des Generalrats bei
|
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den zahlreichen Streiks führte zur Gründung von Gewerkschaften, die
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|
nicht verboten werden konnten, sosehr der Geist der Internationalen in ihnen leben
|
|
mochte. Bei den Wahlen von 1869 <A NAME="S424"></A><B>|424|</B> beteiligten sich
|
|
die Arbeiter noch nicht durch die Aufstellung eigener Kandidaten, sondern unterstützten
|
|
die Kandidaten der äußersten bürgerlichen Linken, die ein sehr
|
|
radikales Wahlprogramm aufgestellt hatte. Sie trugen damit wenigstens mittelbar
|
|
zu der schweren Niederlage bei, die Bonaparte zumal in den großen Städten
|
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erlitt, wenn die Frucht ihrer Mühen einstweilen auch noch einmal der bürgerlichen
|
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Demokratie zufiel. Auch sonst begann das zweite Kaiserreich in allen Fugen zu
|
|
krachen; von außen erhielt es einen schweren Stoß durch die spanische
|
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Revolution, die im Herbst 1868 die Königin Isabella aus dem Lande gejagt
|
|
hatte.</P>
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<P>Einen etwas anderen Verlauf nahmen die Dinge in Deutschland, wo der Bonapartismus
|
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noch nicht im Absteigen, sondern erst im Aufsteigen begriffen war. Die nationale
|
|
Frage spaltete die deutsche Arbeiterklasse, und diese Spaltung war ein schweres
|
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Hindernis für die gewerkschaftliche Bewegung, die sich zu entfalten begonnen
|
|
hatte. Schweitzer hatte sich durch den falschen Weg seiner Gewerkschaftsagitation
|
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in eine schiefe Lage gebracht, der er nicht mehr gewachsen war. Die grundlosen
|
|
Denunziationen, die unaufhörlich gegen seine Ehrlichkeit gerichtet wurden,
|
|
machten nun doch manche seiner Anhänger mißtrauisch, und er war schlecht
|
|
genug beraten, sein immerhin doch nur erst wenig erschüttertes Ansehen durch
|
|
einen kleinen Staatsstreich ernstlich zu gefährden.</P>
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|
<P>Eine Minderheit des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins schied deshalb aus
|
|
und verband sich mit den Nürnberger Vereinen zu einer neuen Sozialdemokratischen
|
|
Partei, deren Mitglieder nach ihrem Gründungsort die Eisenacher genannt zu
|
|
werden pflegten. Beide Fraktionen bekämpften sich zunächst sehr heftig
|
|
untereinander, doch nahmen sie zur Internationalen ungefähr dieselbe Stellung
|
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ein: in der Sache eins, doch in der Form verschieden, solange die deutschen Vereinsgesetze
|
|
bestanden. Marx und Engels waren im höchsten Grade unzufrieden, als Liebknecht
|
|
den Generalrat der Internationalen gegen Schweitzer ausspielte, wozu er kein Recht
|
|
habe. Wenn ihnen auch der »Auflösungsprozeß der Lassallekirche« willkommen
|
|
war, so wußten sie doch auch mit der anderen Richtung nichts anzufangen,
|
|
solange sie ihre Organisation nicht ganz entschieden von der Deutschen Volkspartei
|
|
getrennt und sich mit diesen Leuten höchstens auf ein loses Kartellverhältnis
|
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gestellt habe. Daß Schweitzer als Debatter seinen sämtlichen Gegnern
|
|
überlegen blieb, fanden sie nach wie vor.</P>
|
|
<P>Einhelliger entwickelte sich die österreichisch-ungarische Arbeiterbewegung,
|
|
die erst seit den Niederlagen des Jahres 1866 entstanden war. Die Richtung Lassalles
|
|
fand hier gar keinen Boden, aber um so <A NAME="S425"></A><B>|425|</B> stärkere
|
|
Massen drängten sich um die Fahne der Internationalen, wie ihr Generalrat
|
|
in seinem Jahresbericht an den Baseler Kongreß feststellte.</P>
|
|
<P>So trat dieser Kongreß unter günstigen Aussichten zusammen. Er zählte
|
|
zwar nur 78 Mitglieder, aber er hatte ein viel »internationaleres« Aussehen als
|
|
die früheren Kongresse. Im ganzen waren 9 Länder vertreten. Vom Generalrat
|
|
kamen wie immer, Eccarius und Jung, und daneben zwei der angesehensten Trade Unionisten,
|
|
Applegarth und Lucraft. Frankreich sandte 26, Belgien 5, Deutschland 12, Österreich
|
|
2, die Schweiz 23, Italien 3, Spanien 4 und Nordamerika 1 Abgeordneten. Liebknecht
|
|
vertrat die neue Fraktion der Eisenacher, Moses Heß die Sektion Berlin.
|
|
Bakunin hatte außer einem französischen auch ein italienisches Mandat,
|
|
Guillaume war von Locle gesandt. Den Vorsitz führte wieder Jung.</P>
|
|
<P>Die Verhandlungen beschäftigten sich zunächst mit organisatorischen
|
|
Fragen. Auf Antrag des Generalrats beschloß der Kongreß einstimmig,
|
|
allen Sektionen und angeschlossenen Gesellschaften die Abschaffung des Präsidentenamts
|
|
in ihrer Mitte zu empfehlen, wie es der Generalrat an seinem Teile schon seit
|
|
ein paar Jahren getan hatte; es sei einer Arbeiterassoziation nicht würdig,
|
|
ein monarchisches und autoritäres Prinzip aufrechtzuerhalten; auch wo das
|
|
Präsidentenamt ein bloßes Ehrenamt sei, schließe es eine Verletzung
|
|
des demokratischen Prinzips ein. Dagegen schlug der Generalrat eine Erweiterung
|
|
seiner Machtbefugnisse vor; er wollte ermächtigt sein, jede Sektion, die
|
|
dem Geiste der Internationalen zuwiderhandle, bis zur Entscheidung des nächsten
|
|
Kongresses auszuschließen. Der Antrag wurde mit der Einschränkung angenommen,
|
|
daß die Föderalräte, wo es solche gebe, vor dem Ausschluß
|
|
der Sektionen befragt werden müßten. Bakunin wie Liebknecht hatten
|
|
den Antrag lebhaft befürwortet. Bei Liebknecht war das selbstverständlich,
|
|
nicht so jedoch bei Bakunin. Er verstieß damit gegen sein anarchistisches
|
|
Prinzip, gleichviel aus welchen opportunistischen Gründen. Am wahrscheinlichsten
|
|
ist, daß er den Teufel durch Beelzebub bekämpfen wollte und auf die
|
|
Hilfe des Generalrats gegen jede parlamentarisch-politische Tätigkeit rechnete,
|
|
die für ihn reiner Opportunismus war; in dieser Ansicht konnte er durch die
|
|
bekannte Rede Liebknechts bestärkt werden, die sich eben jetzt heftig gegen
|
|
Schweitzers und auch Bebels Beteiligung an den Arbeiten des Norddeutschen Reichstags
|
|
erklärt hatte. Aber Marx mißbilligte die Rede Liebknechts, und so hat
|
|
Bakunin die Rechnung ohne den Wirt gemacht; er sollte schnell genug erfahren,
|
|
daß sich prinzipielle Verstöße immer rächen.</P>
|
|
<P><B><A NAME="S426">|426|</A></B> Von den theoretischen Problemen, mit denen
|
|
der Kongreß sich zu befassen hatte, standen die Fragen des Gemeineigentums
|
|
am Grund und Boden und des Erbrechts obenan. Die erste war tatsächlich schon
|
|
in Brüssel entschieden worden; kürzer, als im Vorjahre, wurde jetzt
|
|
mit 54 Stimmen beschlossen, die Gesellschaft habe das Recht, den Grund und Boden
|
|
in Gemeineigentum zu verwandeln, und mit 53 Stimmen, diese Verwandlung sei im
|
|
Interesse der Gesellschaft notwendig. Die Minderheit enthielt sich überwiegend
|
|
der Abstimmung; gegen den zweiten Beschluß stimmten nur 8, gegen den ersten
|
|
nur 4 Delegierte. Über die praktische Ausführung der Beschlüsse
|
|
ergaben sich noch mannigfach verschiedene Ansichten, deren erschöpfende Beratung
|
|
auf den nächsten Kongreß verschoben wurde, der in Paris tagen sollte.</P>
|
|
<P>In der Frage des Erbrechts hatte der Generalrat einen Bericht ausgearbeitet,
|
|
der, so meisterhaft wie nur Marx es verstand, die entscheidenden Gesichtspunkte
|
|
in wenigen Sätzen zusammenfaßte.<A name="ZT4"></A><A href="fm03_394.htm#Z4"><SPAN class="top">[4]</SPAN></A> Wie jede andere bürgerliche Gesetzgebung
|
|
seien die Erbschaftsgesetze nicht die Ursache, sondern die Wirkung, die juristische
|
|
Folge der ökonomischen Organisation einer auf das Privateigentum an den Produktionsmitteln
|
|
gegründeten Gesellschaft. Das Recht der Erbschaft auf Sklaven sei nicht die
|
|
Ursache der Sklaverei, sondern im Gegenteil sei die Sklaverei die Ursache der
|
|
Erbschaft von Sklaven. Würden die Produktionsmittel in Gemeineigentum umgestaltet,
|
|
so würde das Recht der Erbschaft, soweit es von sozialer Wichtigkeit sei,
|
|
von selbst verschwinden, weil ein Mann nur das hinterlassen könne, was er
|
|
bei Lebzeiten besessen habe. Das große Ziel bleibe deshalb die Aufhebung
|
|
jener Einrichtungen, die einigen Leuten während ihrer Lebenszeit die ökonomische
|
|
Macht verliehen, die Früchte der Arbeit von vielen auf sich zu übertragen.
|
|
Die Abschaffung des Erbschaftsrechts als den Ausgangspunkt der sozialen Revolution
|
|
proklamieren, wäre ein ebenso abgeschmacktes Ding, als wenn man die Gesetze
|
|
der Kontrakte zwischen Käufern und Verkäufern aufheben wolle, solange
|
|
der heutige Zustand des Warenaustausches fortdauere; es würde falsch in der
|
|
Theorie und reaktionär in der Praxis sein. Ändern ließe sich nur
|
|
am Erbschaftsrecht in Zeiten des Überganges, wo auf der einen Seite die gegenwärtige
|
|
ökonomische Grundlage der Gesellschaft noch nicht umgestaltet sei, auf der
|
|
anderen Seite aber die arbeitenden Klassen schon Kraft genug gesammelt hätten,
|
|
um vorbereitende Maßregeln für eine radikale Umgestaltung der Gesellschaft
|
|
durchzusetzen. Als solche Übergangsmaßregeln empfahl der Generalrat
|
|
Erweiterung der Erbschaftssteuern und Beschränkung des testamentarischen
|
|
Erbschaftsrechts, das, im Unterschiede vom Familienerbrechte, die Grundsätze
|
|
<A NAME="S427"></A><B>|427|*</B> des Privateigentums in abergläubischer und
|
|
willkürlicher Weise übertreibe.</P>
|
|
<P>Im Gegensatz dazu beantragte die Kommission, der die Frage zur Vorberatung
|
|
überwiesen worden war, die Beseitigung des Erbrechts als eine Grundforderung
|
|
der Arbeiterklasse aufzustellen, wußte diesen Antrag aber nur mit einigen
|
|
ideologischen Schlagworten über »Vorrechte«, »politische und ökonomische
|
|
Gerechtigkeit«, »soziale Ordnung« zu begründen. In der ziemlich kurzen Debatte
|
|
sprachen für den Bericht des Generalrats neben Eccarius der Belgier de Paepe
|
|
und der Franzose Varlin, während Bakunin für den Kommissionsantrag eintrat,
|
|
der ja aus seinem Geiste geboren war. Er empfahl ihn namentlich aus angeblich
|
|
praktischen, aber deshalb nicht weniger illusorischen Gründen; ohne Abschaffung
|
|
des Erbrechts sei das Gemeineigentum nicht zu erlangen. Wolle man den Arbeitern
|
|
ihr Land nehmen, so würden sie sich widersetzen, aber von der Beseitigung
|
|
des Erbrechts würden sie sich nicht unmittelbar angegriffen fühlen und
|
|
das private Grundeigentum würde allmählich absterben. Bei der namentlichen
|
|
Abstimmung über den Kommissionsantrag ergab sich folgendes Ziffernverhältnis:
|
|
32 ja, 23 Nein, 13 Enthaltungen, 7 Abwesende, während bei der Abstimmung
|
|
über den Antrag des Generalrats 19 ja, 37 Nein, 6 Enthaltungen und 13 Abwesende
|
|
gezählt wurden. Eine absolute Mehrheit hatte also keiner der beiden Berichte
|
|
gefunden, so daß die Verhandlung ohne greifbares Ergebnis blieb.</P>
|
|
<P>Der Baseler Kongreß rief einen noch viel lebhafteren Widerhall hervor
|
|
als seine Vorgänger, in der bürgerlichen wie in der proletarischen Welt.
|
|
Dort stellten die gelehrtesten Männer, halb mit Grauen und halb mit Schadenfreude,
|
|
den endlich offenbarten kommunistischen Charakter der Internationalen fest; hier
|
|
antwortete ein freudiges Echo den Beschlüssen über das Gemeineigentum
|
|
am Grund und Boden. In Genf veröffentlichte die Sektionsgruppe deutscher
|
|
Sprache ein Manifest an die landwirtschaftliche Bevölkerung, das in französischer,
|
|
italienischer, spanischer, polnischer und russischer Sprache rasch und weit verbreitet
|
|
wurde. In Barcelona wie in Neapel entstanden die ersten Sektionen von Feldarbeitern.
|
|
In London wurde auf einem großen Meeting eine Land- und Arbeitsliga gegründet,
|
|
in deren Komitee 10 Mitglieder des Generalrats saßen, mit der Losung: Das
|
|
Land für das Volk!</P>
|
|
<P>In Deutschland tobten namentlich die edlen Mannen der Deutschen Volkspartei
|
|
gegen die Baseler Beschlüsse. Dadurch ließ sich Liebknecht anfangs
|
|
einschüchtern und zu der Erklärung hinreißen, die Eisenacher Fraktion
|
|
sei an die Beschlüsse nicht gebunden. Glücklicherweise waren <A NAME="S428"></A><B>|428|</B>
|
|
die sichtlich empörten Biedermänner damit nicht zufrieden und verlangten
|
|
eine ausdrückliche Verleugnung der Beschlüsse, worauf sich Liebknecht
|
|
endlich von dieser Gesellschaft lossagte, wie Marx und Engels längst gewünscht
|
|
hatten. Sein anfängliches Zögern war aber Wasser auf Schweitzers Mühle
|
|
gewesen, der das Gemeineigentum am Grund und Boden im Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein
|
|
schon seit Jahren »gepredigt« hatte, und nicht erst jetzt, um seine Gegner zu
|
|
verhöhnen, wie Marx annahm und ihm als »Unverschämtheit« anrechnete.
|
|
Engels beherrschte seinen Ärger über den »Lumpen« wenigstens so weit,
|
|
daß er es »sehr geschickt« fand, wenn Schweitzer sich theoretisch immer
|
|
korrekt halte, wohl wissend, daß seine Gegner verraten und verkauft seien,
|
|
sowie ein theoretischer Punkt aufkomme.</P>
|
|
<P>Einstweilen blieben die Lassalleaner nicht nur die organisatorisch geschlossenste,
|
|
sondern auch die prinzipiell vorgeschrittenste der deutschen Arbeiterparteien.</P>
|
|
<H3 ALIGN="CENTER">6. Genfer Wirren<A name="Kap_6"></A></H3>
|
|
<P>Soweit die Baseler Verhandlung über das Erbrecht eine Art geistigen Zweikampfes
|
|
zwischen Bakunin und Marx gewesen war, hatte sie zwar keine Entscheidung gebracht,
|
|
jedoch einen für Marx eher ungünstigen als günstigen Verlauf genommen.
|
|
Wenn daraus aber gefolgert worden ist, dadurch sei Marx schwer getroffen worden
|
|
und habe nun zu einem gewaltigen Schlage gegen Bakunin ausgeholt, so stimmt diese
|
|
Behauptung nicht mit den Tatsachen.</P>
|
|
<P>Marx war mit dem Verlaufe des Baseler Kongresses ganz zufrieden. Er befand
|
|
sich gerade mit seiner Tochter Jenny auf einer Erholungsreise in Deutschland und
|
|
schrieb am 25. September aus Hannover an seine Tochter Laura: »Ich freue mich,
|
|
daß der Baseler Kongreß vorüber und daß er verhältnismäßig
|
|
so gut verlaufen ist. Ich bin immer in Sorge bei solcher öffentlichen Schaustellung
|
|
der Partei ›mit allen ihren Geschwüren‹. Keiner der Akteure war à
|
|
la hauteur des principes [Mehring übersetzt: auf der Höhe der Prinzipien],
|
|
aber der Idiotismus der oberen Klassen macht die Fehler der arbeitenden Klasse
|
|
wieder gut. Wir sind durch keine noch so kleine deutsche Stadt gekommen, deren
|
|
Winkelblatt nicht voll von den Taten dieses ›schrecklichen Kongresses‹ gewesen
|
|
wäre.«</P>
|
|
<P>Sowenig Marx durch den Verlauf des Baseler Kongresses enttäuscht worden
|
|
ist, sowenig ist es Bakunin gewesen. Man hat gesagt, er habe <A NAME="S429"></A><B>|429|</B>
|
|
durch seinen Antrag in der Erbschaftsfrage Marx schlagen und durch diesen theoretischen
|
|
Sieg die Übersiedelung des Generalrats von London nach Genf bewirken wollen;
|
|
als ihm das mißlungen sei, habe er in der »Égalité« um so
|
|
heftiger auf den Generalrat losgeschlagen. Diese Behauptungen sind so oft wiederholt
|
|
worden, daß sie sich zu einer förmlichen Legende verdichtet haben.
|
|
Gleichwohl ist kein wahres Wort daran. <I>Nach</I> dem Baseler Kongreß hat
|
|
Bakunin überhaupt keine Zeile für die »Égalité« geschrieben;
|
|
<I>vor</I> dem Baseler Kongreß, im Juli und August 1869, war er allerdings
|
|
ihr Hauptredakteur, aber man wird in der langen Reihe von Artikeln, die er in
|
|
ihr veröffentlicht hat, vergebens nach einer Spur gehässiger Gesinnung
|
|
gegen den Generalrat oder Marx suchen. Im besonderen waren vier Artikel über
|
|
die »Grundsätze der Internationalen« ganz in dem Geiste verfaßt, worin
|
|
der große Bund gegründet worden war; wenn Bakunin darin gewisse Bedenken
|
|
gegen den verhängnisvollen Einfluß dessen, was Marx »parlamentarischen
|
|
Kretinismus« nannte, auf proletarische Volksvertreter äußerte, so sind
|
|
diese Bedenken erstens seitdem oft genug bestätigt worden, und zweitens waren
|
|
sie sehr harmlos, verglichen mit den heftigen Vorstößen, die Liebknecht
|
|
gleichzeitig gegen die Beteiligung der Arbeiterklasse am bürgerlichen Parlamentarismus
|
|
richtete.</P>
|
|
<P>Ferner mochte Bakunins Auffassung der Erbschaftsfrage noch so sehr Schrulle
|
|
sein, so durfte er doch ihre Diskussion beanspruchen; auf den Kongressen der Internationalen
|
|
sind noch viel ärgere Schrullen diskutiert worden, ohne daß ihren Bekennern
|
|
deshalb hinterhältige Absichten unterstellt worden wären. Die Beschuldigung
|
|
aber, daß Bakunin die Übersiedelung des Generalrats von London nach
|
|
Genf geplant habe, hat er, als sie gegen ihn laut wurde, mit den kurzen und schlagenden
|
|
Worten abgetan: »Wäre ein solcher Vorschlag laut geworden, so würde
|
|
ich der erste gewesen sein, ihn mit aller möglichen Energie zu bekämpfen;
|
|
so sehr würde er mir für die Zukunft der Internationalen als verhängnisvoll
|
|
erschienen sein. Die Genfer Sektionen haben zwar, in sehr kurzer Zeit, ungeheure
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Fortschritte gemacht. Aber in Genf herrscht noch ein zu enger, zu spezifisch Genferischer
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Geist, als daß der Generalrat der Internationalen dorthin verpflanzt werden
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könnte. Zudem liegt es auf der Hand, daß, solange die gegenwärtige
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politische Organisation Europas dauert, London der einzige Platz sein wird, der
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für den Generalrat paßt, und man müßte wahrhaftig ein Narr
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oder ein Feind der Internationalen sein, wenn man versuchen wollte, ihn anderswohin
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zu verlegen.«</P>
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<P>Nun gibt es Leute, die Bakunin für einen Lügner von Anbeginn halten
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und seine Äußerung für eine nachträgliche Ausrede erklären
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werden <A NAME="S430"></A><B>|430|*</B>. Aber auch dieser etwaige Einwand fällt
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platt zu Boden, angesichts der Tatsache, daß Bakunin sich schon vor dem
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Baseler Kongreß entschieden hatte, nach dem Kongresse aus Genf nach Locarno
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überzusiedeln, und zwar aus zwingenden Gründen, die zu ändern gar
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nicht in seiner Macht stand. Er befand sich in der äußersten ökonomischen
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Bedrängnis und stand vor der Entbindung seiner Frau, die er in Locarno abwarten
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wollte. Er selbst beabsichtigte, dort den ersten Band des »Kapitals« ins Russische
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zu übersetzen. Ein junger Verehrer, Namens Lubawin, hatte einen russischen
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Verleger veranlaßt, für die Übersetzung ein Honorar von 1.200
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Rubeln auszuwerfen, von denen Bakunin 300 als Vorschuß erhielt.</P>
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<P>Sosehr damit alle angeblichen Intrigen, die Bakunin vor oder nach dem Baseler
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Kongreß gesponnen haben soll, in Nichts zerfallen, so hatte er allerdings
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einen bitteren Nachgeschmack von diesem Kongreß. Beeinflußt durch
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Borkheims Hetzereien, hatte Liebknecht vor Dritten die Äußerung getan,
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er habe Beweise dafür, daß Bakunin ein Agent der russischen Regierung
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sei, und Bakunin hatte in Basel den Zusammentritt eines Ehrengerichts veranlaßt,
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vor dem Liebknecht seine Beschuldigung begründen sollte. Das konnte Liebknecht
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nicht, und das Ehrengericht sprach einen scharfen Tadel über ihn aus. Dadurch
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ließ sich Liebknecht, der nach den Erfahrungen des Kölner Kommunistenprozesses
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und der Emigrantenzeit ein wenig leicht geneigt war, Spitzel zu wittern, nicht
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abhalten, dem Gegner die versöhnende Hand zu reichen, in die Bakunin ebenso
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ehrlich einschlug.</P>
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<P>Um so mehr mußte es ihn erbittern, daß schon wenige Wochen später,
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am 2. Oktober, Moses Heß im Pariser »Reveil« mit dem alten Klatsch wieder
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angezogen kam. Heß, der als deutscher Delegierter in Basel gewesen war,
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wollte die geheime Geschichte des Kongresses geben; in diesem Zusammenhange erzählte
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er von den »Intrigen« Bakunins, die darauf abgezielt hätten, die prinzipiellen
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Grundlagen der Internationalen umzustürzen und den Generalrat von London
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nach Genf zu verlegen, aber die in Basel gescheitert seien, und schloß mit
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der nichtsnutzigen Verdächtigung, er wolle keineswegs die revolutionäre
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Gesinnung Bakunins anzweifeln, aber dieser Russe sei ein naher Verwandter Schweitzers,
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der eben in Basel von den deutschen Delegierten als überführter Agent
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der deutschen Regierung angeklagt worden war. Die gehässige Absicht dieser
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Denunziation sprang um so mehr in die Augen, als eine »nahe Verwandtschaft« zwischen
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der Agitation Bakunins und der Agitation Schweitzers zu entdecken unmöglich
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war. Auch persönlich hatten beide Männer nie die geringsten Berührungspunkte
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gehabt.</P>
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<P><B><A NAME="S431">|431|</A></B> Sicherlich hätte Bakunin klüger daran
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getan, den auch sonst ganz abgeschmackten Artikel nicht weiter zu beachten. Aber
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man kann es verstehen, daß er über die ewigen Anzweiflungen seiner
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politischen Ehrlichkeit nachgerade wütend wurde, und zwar um so mehr, je
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hämischer sie hintenherum gemacht wurden. Er setzte sich also hin und schrieb
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eine Erwiderung; sie fiel aber in der ersten Hitze so lang aus, daß er selbst
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einsah, der »Reveil« könne sie nicht aufnehmen. Es ging darin besonders heftig
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gegen die »deutschen Juden« her, wobei Bakunin jedoch »Riesen«, wie Lassalle und
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Marx, von dem Pygmäengeschlechte der Borkheim und Heß ausnahm. Bakunin
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entschloß sich, diese lange Auseinandersetzung als Einleitung zu einer größeren
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Schrift über sein revolutionäres Glaubensbekenntnis zu verwenden und
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schickte sie nach Paris an Herzen mit der Anfrage nach einem Verleger; für
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den »Reveil« fügte er eine kürzere Erklärung bei. Auch von dieser
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fürchtete Herzen noch, daß sie vom »Reveil« abgelehnt werden würde;
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er schrieb selbst eine Verteidigung Bakunins gegen Heß, die der Reveil«
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nicht nur aufnahm, sondern mit einer redaktionellen Nachschrift versah, die Bakunin
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vollkommen befriedigte.</P>
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<P>Ganz und gar nicht zufrieden war Herzen aber mit dem größeren Manuskripte.
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Er mißbilligte die Ausfälle gegen die »deutschen Juden«, und war namentlich
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erstaunt, daß Bakunin sich mit so wenig bekannten Leuten, wie Borkheim und
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Heß, einließe, statt Marx vor die Klinge zu nehmen. Darauf erwiderte
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Bakunin am 28. Oktober, er halte Marx zwar auch für den Urheber dieser Polemiken,
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aber aus zwei Gründen habe er ihn geschont und selbst einen »Riesen« genannt.
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Der erste dieser Gründe sei die Gerechtigkeit. »Beiseite lassend alle schlechten
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Streiche, die er uns gespielt hat, dürfen wir, oder mindestens ich, die ungeheuren
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Dienste nicht verkennen, die er der Sache des Sozialismus geleistet hat, der er
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seit nahe an fünfundzwanzig Jahre mit Einsicht, Tatkraft und Reinheit dient,
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worin er uns alle unzweifelhaft übertroffen hat. Er ist einer der ersten
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Gründer und sicherlich der Hauptgründer der Internationalen gewesen,
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und das ist in meinen Augen ein ungeheures Verdienst, das ich stets anerkennen
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werde, was immer er gegen uns getan haben mag.«</P>
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<P>Dann aber seien für ihn auch politische und taktische Gründe maßgebend
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gewesen gegenüber Marx, »der mich nicht leiden kann und niemanden liebt als
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sich selbst und vielleicht seine Nächsten. Marx wirkt unleugbar sehr nützlich
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in der Internationalen. Bis auf den heutigen Tag übt er auf seine Partei
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einen weisen Einfluß aus und ist die festeste Stütze des Sozialismus,
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das stärkste Bollwerk gegen das Eindringen bürgerlicher Absichten und
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Gedanken. Und ich würde mir niemals verzeihen <A NAME="S432"></A><B>|432|*</B>,
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wenn ich bloß versucht hätte, seinen wohltätigen Einfluß
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auszurotten oder auch nur zu schwächen, zu dem einfältigen Zwecke, mich
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an ihm zu rächen. Indessen könnte es kommen, und sogar binnen kurzer
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Frist, daß ich einen Streit mit ihm anfinge, wohlverstanden, nicht um ihn
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persönlich anzugreifen, sondern um einer Prinzipienfrage willen, wegen des
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Staatskommunismus, dessen glühendste Anhänger er und die Engländer
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und Deutschen sind, die er leitet. Das würde ein Kampf auf Leben und Tod
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werden. Aber alles hat seine Zeit, und die Stunde dieses Kampfes hat noch nicht
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geschlagen.«</P>
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<P>In letzter Reihe führt Bakunin dann einen taktischen Beweggrund an, der
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ihn hindere, Marx anzugreifen. Ginge er gegen diesen offen vor, so würden
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die Mitglieder der Internationalen zu drei Vierteln gegen ihn sein. Umgekehrt
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würde die Mehrheit für ihn sein, wenn er gegen das Bettelvolk vorginge,
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das sich um Marx schare, und dieser würde selbst seinen Spaß daran
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haben, oder seine »Schadenfreude«, wie sich Bakunin mit dem deutschen Worte in
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dem französisch geschriebenen Briefe ausdrückt.</P>
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<P>Gleich nach diesem Briefe siedelte Bakunin nach Locarno über. Beansprucht
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durch seine persönlichen Angelegenheiten, hatte er in den wenigen Wochen,
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die er nach dem Baseler Kongreß noch in Genf lebte, sich an der dortigen
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Arbeiterbewegung so gut wie gar nicht mehr beteiligt, namentlich keine Zeile mehr
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für die »Égalité« geschrieben. Sein Nachfolger in der Redaktion
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wurde Robin, ein belgischer Lehrer, der erst das Jahr vorher nach Genf übersiedelt
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war, und neben diesem etwa noch Perron, derselbe Emailmaler, der schon vor Bakunin
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das Blatt redigiert hatte. Beide waren Gesinnungsgenossen Bakunins, handelten
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und sprachen aber keineswegs in seinem Sinne. Bakunin war bestrebt gewesen, die
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Arbeiter der gros métiers, in denen der proletarisch-revolutionäre
|
|
Geist viel lebendiger war als in den Arbeitern der fabrique, aufzuklären
|
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und zu selbsttätigem Handeln aufzumuntern, im Gegensatz sogar zu ihren eigenen
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Komitees - was Bakunin über die objektiven Gefahren einer solchen »Instanzenpolitik«,
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wie wir heute sagen würden, auszuführen wußte, ist heute noch
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sehr lesenswert -, geschweige denn im Gegensatze zur fabrique, die die gros métiers
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in deren Streiks unterstützt hatte, aber aus diesem unbestreitbaren Verdienste
|
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die unberechtigte Schlußfolgerung zog, daß ihr die gros métiers
|
|
auf Schritt und Tritt folgen müßten. Diese Tendenzen hatte Bakunin
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bekämpft, namentlich auch mit Rücksicht auf die unausrottbare Neigung
|
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der fabrique zu Bündnissen mit dem bürgerlichen Radikalismus; Robin
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|
und Perron aber glaubten, den Gegensatz zwischen der fabrique und den gros métiers,
|
|
der nicht von Bakunin geschaffen worden war, sondern in einem sozialen <A NAME="S433"></A><B>|433|</B>
|
|
Gegensatze wurzelte, übertünchen und verkleistern zu können. Dadurch
|
|
gerieten sie in ein Schaukelsystem, das weder der fabrique noch den gros métiers
|
|
genug tat, wohl aber allen möglichen Intrigen Tür und Tor öffnete.</P>
|
|
<P>Ein Meister solcher Intrigen war ein russischer Flüchtling, der damals
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in Genf lebte, namens Nikolas Utin. Er hatte in den russischen Studentenunruhen
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im Anfange der sechziger Jahre mitgetan, war dann aber, als die Sache brenzlich
|
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wurde, ins Ausland geflüchtet, und lebte hier bequem von einer namhaften
|
|
Jahresrente - zwölf- bis fünfzehntausend Franken werden genannt -, die
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|
er aus dem Schnapshandel seines Vaters bezog. Hierdurch gewann der eitle und schwatzschweifige
|
|
Patron eine Position, die er mit seinen geistigen Fähigkeiten nie hätte
|
|
gewinnen können; Erfolge blühten ihm nur auf dem Terrain des Privatklatsches,
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|
wo, wie Engels einmal sagt, »Leute, die etwas zu tun haben, denen, die den ganzen
|
|
Tag zum Klüngeln haben, nie gewachsen sind«. An Bakunin hatte Utin sich anfangs
|
|
herangedrängt, war aber bei diesem gründlich abgefallen, und so bot
|
|
ihm Bakunins Entfernung aus Genf eine um so günstigere Gelegenheit, den grimmig
|
|
gehaßten Mann auf dem Wege des Privatklatsches zu verfolgen. Für dies
|
|
edle Ziel hat er denn auch nicht vergebens seinen Schweiß vergossen, worauf
|
|
er sich, demütig um Gnade flehend, zu den Füßen des Zaren warf.
|
|
Der war seinerseits nicht unversöhnlich, und Utin gedieh im russisch-türkischen
|
|
Kriege von 1877 zum zarischen Kriegslieferanten, wodurch er vermutlich noch reicheren,
|
|
aber sicherlich nicht reinlicheren Mammon gewann als aus dem väterlichen
|
|
Schnapshandel.</P>
|
|
<P>Mit Leuten wie Robin und Perron, hatte Utin um so leichteres Spiel, als sie
|
|
in der Tat bei aller Ehrlichkeit ein unglaubliches Ungeschick bekundeten. Zu allem
|
|
Überfluß begannen sie einen Krakeel mit dem Generalrat der Internationalen
|
|
und zwar wegen Fragen, die den Arbeitern der französischen Schweiz wirklich
|
|
nicht auf den Fingern brannten. Die »Égalité« beschwerte sich, daß
|
|
der Generalrat sich zu sehr für die irische Frage interessiere, daß
|
|
er keinen Föderalrat für England einrichte, daß er den Streit
|
|
zwischen Liebknecht und Schweitzer nicht entscheide usw. Bakunin hatte mit alledem
|
|
nichts zu tun, und der falsche Schein, als ob er diese Angriffe billige oder gar
|
|
angeregt habe, konnte nur dadurch entstehen, daß Robin und Perron zu seinen
|
|
Anhängern zählten und James Guillaumes Blättchen in dieselbe Kerbe
|
|
hieb.</P>
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<P>In einem privaten, vom 1. Januar 1870 datierten Rundschreiben, das außer
|
|
nach Genf nur noch an die Föderalräte französischer Zunge versandt
|
|
wurde, tat der Generalrat die Angriffe Robins ab. Scharf in der <A NAME="S434"></A><B>|434|</B>
|
|
Form, hielt dies Schreiben durchaus die Grenzen sachlicher Auseinandersetzung
|
|
inne. Bemerkenswert daraus sind heute noch die Gründe, aus denen der Generalrat
|
|
sich weigerte, einen englischen Föderalrat einzusetzen. Er führte aus,
|
|
daß, obgleich die revolutionäre Initiative wahrscheinlich von Frankreich
|
|
ausgehen werde, doch England allein als Hebel für eine ernsthafte ökonomische
|
|
Revolution dienen könne. Es sei das einzige Land, wo es keine Bauern mehr
|
|
gebe und wo der Grundbesitz in wenigen Händen konzentriert sei. Es sei das
|
|
einzige Land, wo die kapitalistische Form sich fast der ganzen Produktion bemächtigt
|
|
habe, wo die große Masse der Bevölkerung aus Lohnarbeitern bestehe.
|
|
Es sei das einzige Land, wo der Klassenkampf und die Organisation der Arbeiterklasse
|
|
durch die Trade Unions einen gewissen Grad der Allgemeinheit und der Reife erlangt
|
|
habe. Endlich wirke, dank seiner Herrschaft auf dem Weltmarkte, jede Revolution
|
|
seiner ökonomischen Verhältnisse unmittelbar auf die ganze Welt zurück.</P>
|
|
<P>Wenn somit die Engländer alle notwendigen materiellen Vorbedingungen der
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|
sozialen Revolution besäßen, so fehle ihnen doch der Geist der Verallgemeinerung
|
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und die revolutionäre Leidenschaft. Ihnen diesen Geist und diese Leidenschaft
|
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einzuflößen, sei die Aufgabe des Generalrats, und daß er ihr
|
|
gerecht würde, zeige die Klage der angesehensten bürgerlichen Blätter
|
|
in London darüber, daß er den englischen Geist der Arbeiterklasse vergifte
|
|
und diese zum revolutionären Sozialismus dränge. Ein englischer Föderalrat
|
|
würde zwischen dem Generalrat der Internationalen und dem Generalrat der
|
|
Trade Unions kein Ansehen genießen, dagegen würde der Generalrat seinen
|
|
Einfluß auf den großen Hebel der proletarischen Revolution verlieren.
|
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Er lehne die Torheit ab, diesen Hebel in englische Hände fallen zu lassen
|
|
und an die Stelle ernster und ungesehener Arbeit die laute Marktschreierei zu
|
|
setzen.</P>
|
|
<P>Ehe noch dies Rundschreiben an seine Adresse gelangte, war in Genf selbst die
|
|
Katastrophe ausgebrochen. In dem Redaktionskomitee der »Égalité«
|
|
gehörten sieben Mitglieder zu den Anhängern Bakunins und nur zwei zu
|
|
seinen Gegnern; wegen eines ganz nebensächlichen, politisch gleichgültigen
|
|
Zwischenfalls stellte die Mehrheit die Kabinettsfrage, aber nunmehr zeigte sich,
|
|
daß Robin und Perron sich mit ihrer schwankenden Politik zwischen zwei Stühle
|
|
gesetzt hatten. Die Minderheit wurde durch den Föderalrat gedeckt, und die
|
|
sieben Mitglieder der Mehrheit schieden aus, unter ihnen auch der alte Becker,
|
|
der, solange Bakunin in Genf lebte, mit diesem gute Freundschaft gehalten, aber
|
|
in dem Treiben der Robin und Perron manches Haar gefunden hatte. Die Leitung der
|
|
»Égalité« geriet danach in die Hände Utins.</P>
|
|
<H3 ALIGN="CENTER">7. Die Konfidentielle Mitteilung<A name="Kap_7"></A></H3>
|
|
<P><B><A NAME="S435">|435|</A></B> Inzwischen setzte Borkheim seine Hetzereien
|
|
gegen Bakunin fort.</P>
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<P>Am 18. Februar beklagte er sich bei Marx, daß die »Zukunft«, das Organ
|
|
Johann Jacobys, einen, wie Marx an Engels schrieb, »Monsterbrief über Russica,
|
|
ein unsägliches vom Hundertsten ins Tausendste überpurtelndes Sammelsurium«
|
|
nicht habe aufnehmen wollen. Zugleich verdächtigte Borkheim auf die Autorität
|
|
Katkows hin, der in seiner Jugend zu den Gesinnungsgenossen Bakunins gehört,
|
|
aber sich dann auf die reaktionäre Seite geschlagen hatte, Bakunin »wegen
|
|
gewisser Geldgeschichten«, worauf Marx keinen Wert legte und ebensowenig Engels,
|
|
der mit philosophischer Gelassenheit bemerkte: »Die Geldpumperei ist ein zu gewöhnliches
|
|
russisches Lebensmittel, als daß ein Russe dem andern darüber Vorwürfe
|
|
machen sollte.« In unmittelbarem Anschluß an seine Mitteilungen über
|
|
Borkheims Hetzereien schrieb Marx, der Generalrat solle darüber entscheiden,
|
|
ob ein gewisser Richard, der sich später wirklich als falscher Bruder entpuppt
|
|
hat, in Lyon mit Recht aus der Internationalen ausgeschlossen worden sei, und
|
|
fügte hinzu, außer seinem sklavischen Anschluß an Bakunin und
|
|
einer damit verbundenen Überweisheit wisse er nicht, was dem Richard vorzuwerfen
|
|
sei. »Es scheint, daß unser letztes Rundschreiben viel Sensation gemacht
|
|
hat und in Schweiz wie Frankreich eine Hetzjagd auf die Bakunisten eingetreten
|
|
ist. Doch est modus in rebus [Mehring übersetzt: es ist ein Maß in
|
|
den Dingen], und ich werde dafür sorgen, daß kein Unrecht passiert.«</P>
|
|
<P>In schroffem Gegensatze zu dieser guten Absicht stand eine Konfidentielle Mitteilung <A name="ZT5"></A><A href="fm03_394.htm#Z5"><SPAN class="top">[5]</SPAN></A>,
|
|
die Marx wenige Wochen später, am 28. März, durch Vermittlung Kugelmanns
|
|
an den Braunschweiger Vorstand der Eisenacher richtete. Ihren Kern bildete das
|
|
Rundschreiben des Generalrats vom 1. Januar, das nur für Genf und die Föderalräte
|
|
französischer Zunge bestimmt gewesen war, seinen praktischen Zweck inzwischen
|
|
längst erreicht, und darüber hinaus jene »Hetzjagd« auf die Bakunisten
|
|
erregt hatte, die Marx mißbilligte. Weshalb er dies Rundschreiben nun noch
|
|
trotz dieser unliebsamen Erfahrung nach Deutschland sandte, war vorab nicht einzusehen,
|
|
da es in Deutschland überhaupt keine Anhänger Bakunins gab.</P>
|
|
<P>Viel unverständlicher noch war, daß Marx in seiner Konfidentiellen
|
|
Mitteilung dem Rundschreiben eine Einleitung und ein Schlußwort mit auf
|
|
den Weg gab, die weit mehr geeignet waren, eine »Hetzjagd« namentlich, gegen Bakunin
|
|
anzufeuern. Die Einleitung begann mit bitteren <A NAME="S436"></A><B>|436|</B>
|
|
Vorwürfen an die Adresse Bakunins, der sich erst in die Friedens- und Freiheitsliga
|
|
einzuschmuggeln versucht habe, in deren Vollziehungsausschuß er jedoch als
|
|
»russisch verdächtig« überwacht worden sei. Nachdem er bei dieser Liga
|
|
mit seinen programmatischen Absurditäten abgeblitzt sei, habe er sich der
|
|
Internationalen angeschlossen, um sie zu seinem Privatwerkzeuge zu machen. Zu
|
|
diesem Zwecke habe er die Allianz der sozialistischen Demokratie gegründet.
|
|
Nachdem der Generalrat sich geweigert habe, diese anzuerkennen, habe sie sich
|
|
nominell aufgelöst, bestünde aber faktisch unter der Leitung Bakunins
|
|
fort, der nun auf anderem Wege seinen Zweck zu erreichen gesucht habe. Er habe
|
|
die Erbschaftsfrage auf das Programm des Baseler Kongresses setzen lassen, um
|
|
den Generalrat theoretisch zu schlagen und damit dessen Übersiedelung nach
|
|
Genf anzubahnen. Bakunin habe »eine förmliche Konspiration« ins Werk gesetzt,
|
|
um sich eine Mehrheit auf dem Baseler Kongreß zu sichern, doch habe er seine
|
|
Vorschläge nicht durchgedrückt, und der Generalrat sei in London geblieben.
|
|
»Der Ärger über diesen Fehlschlag - mit dessen Gelingen Bakunin vielleicht
|
|
allerlei Privatspekulationen verknüpft hatte -« <A name="ZT6"></A><A href="fm03_394.htm#Z6"><SPAN class="top">[6]</SPAN></A> habe sich dann in den Angriffen
|
|
der »Égalité« auf den Generalrat kundgetan, worauf dieser in seinem
|
|
Rundschreiben von 1. Januar geantwortet habe.</P>
|
|
<P>Marx schaltete nun dies Rundschreiben wörtlich in die Konfidentielle Mitteilung
|
|
ein und fuhr dann fort, schon vor dessen Eintreffen in Genf sei die Krise eingetreten;
|
|
der romanische Förderalrat habe die Angriffe der »Égalité«
|
|
auf den Generalrat mißbilligt und werde das Blatt unter strenger Aufsicht
|
|
halten, worauf sich Bakunin von Genf in den Tessin zurückgezogen habe. »Bald
|
|
darauf starb Herzen. Bakunin, der seit der Zeit, wo er als <I>Lenker der europäischen
|
|
Arbeiterbewegung</I> sich aufwerfen wollte, seinen alten Freund und Patron Herzen
|
|
verleugnet hatte, stieß sofort nach dessen Tode in die Lobesposaune. Warum?
|
|
Herzen, trotz seines persönlichen Reichtums, ließ sich jährlich
|
|
25.000 Francs für Propaganda von der ihm befreundeten pseudo-sozialistischen,
|
|
panslawistischen Partei in Rußland zahlen. Durch sein Lobesgeschrei hat
|
|
Bakunin diese Gelder <I>auf sich</I> gelenkt und damit die <I>›Erbschaft Herzens‹</I>,
|
|
- malgre sa haine de l'héritage - [Mehring übersetzt: so sehr er die
|
|
Vererbung haßt], ... sine beneficio inventarii [von Mehring übersetzt:
|
|
ohne Vorbehalt] angetreten.«<A name="ZT7"></A><A href="fm03_394.htm#Z7"><SPAN class="top">[7]</SPAN></A> Indessen habe sich in Genf eine junge russische Flüchtlingskolonie
|
|
angesiedelt, Studenten, die es wirklich ehrlich meinten und die Bekämpfung
|
|
des Panslawismus als Hauptpunkt in ihr Programm aufgenommen hätten. Sie hätten
|
|
sich als Zweig der Internationaler angemeldet und Marx zu ihrem vorläufigen
|
|
Vertreter im Generalrat <A NAME="S437"></A><B>|437|</B> vorgeschlagen, was beides
|
|
genehmigt worden sei. Sie hätten zugleich erklärt, daß sie nächstens
|
|
dem Bakunin öffentlich die Maske abreißen würden; so werde das
|
|
Spiel dieses höchst gefährlichen Intriganten, wenigstens auf dem Gebiete
|
|
der Internationalen, bald ausgespielt sein. Damit schloß die Konfidentielle
|
|
Mitteilung.</P>
|
|
<P>Es erübrigt, die zahlreichen Irrtümer aufzuzählen, die sie über
|
|
Bakunin enthält. Die Vorwürfe, die sie gegen diesen erhebt, sind im
|
|
allgemeinen um so grundloser, je belastender sie zu sein scheinen. Das gilt namentlich
|
|
von dem Vorwurfe der Erbschleicherei. Es hat niemals eine pseudo-sozialistische
|
|
panslawistische Partei in Rußland gegeben, die an Herzen jährlich 25.000
|
|
Franken Propagandagelder gezahlt hätte; der winzige Kern dieser Fabel war,
|
|
daß ein junger Sozialist Batmetjew in den fünfziger Jahren einen Revolutionsfonds
|
|
von 20.000 Franken gestiftet hatte, den Herzen verwaltete. Daß Bakunin je
|
|
ein Gelüste danach verraten hätte, diesen Fonds in seine persönliche
|
|
Tasche zu stecken, ist durch nichts erwiesen und kann am wenigsten durch den herzlichen
|
|
Nachruf erwiesen werden, den er in der »Marseillaise« Rocheforts dem politischen
|
|
Gegner gewidmet hatte, der sein Jugendfreund gewesen war. Höchstens könnte
|
|
man ihm deshalb den Vorwurf der Sentimentalität machen wie denn überhaupt
|
|
alle Fehler und Schwächen Bakunins, soviel er ihrer haben mochte, so ziemlich
|
|
das gerade Gegenspiel der Eigenschaften waren, die einen »äußerst gefährlichen
|
|
Intriganten« ausmachen.</P>
|
|
<P>Wodurch Marx in diese Irrtümer versetzt worden ist, geht schon aus den
|
|
Schlußsätzen der Konfidentiellen Mitteilung hervor. Sie waren ihm von
|
|
dem russischen Flüchtlingskomitee in Genf mitgeteilt worden. Will sagen von
|
|
Utin oder durch dessen Vermittlung von Becker. Wenigstens scheint aus einer brieflichen
|
|
Mitteilung Marxens an Engels hervorzugehen, daß er die schlimmste Verdächtigung
|
|
Bakunins, die Erbschleicherei an Herzen, von Becker erhalten hat. Damit will dann
|
|
freilich nicht stimmen, daß Becker in einem gleichzeitigen Briefe an Jung,
|
|
der sich erhalten hat, zwar sehr über die Verworrenheit der Genfer Zustände,
|
|
über die Gegensätze zwischen der fabrique und den gros métiers,
|
|
über »nervenschwache Blendlichter wie Robin, und harte Querköpfe wie
|
|
Bakunin«, klagt, schließlich aber doch gerade von diesem rühmt, er
|
|
sei »besser und brauchbarer geworden, als er war«. Die Briefe Beckers und der
|
|
russischen Flüchtlingskolonie an Marx selbst sind nicht erhalten; in seiner
|
|
offiziellen wie in seiner privaten Antwort an den neuen Zweig der Internationalen
|
|
hielt Marx für sicherer, kein Wort von Bakunin zu sagen; er empfahl der russischen
|
|
Sektion als Hauptaufgabe, für Polen zu arbeiten, das heißt Europa von
|
|
ihrer eigenen Nachbarschaft zu befreien <A NAME="S438"></A><B>|438|*</B>. Er empfand
|
|
es nicht ohne Humor, Vertreter des jungen Rußlands zu sein, und meinte,
|
|
der Mensch wisse nie, in welche seltsame Kameradschaft er geraten könne.</P>
|
|
<P>Trotz dieser scherzhaften Wendung ist es für Marx augenscheinlich eine
|
|
große Genugtuung gewesen, daß die Internationale unter den russischen
|
|
Revolutionären ihre Anker zu werfen begann. Es ist sonst nicht zu verstehen,
|
|
daß er dem ihm noch ganz unbekannten Utin ähnliche Verdächtigungen
|
|
gegen Bakunin glaubte, wie er sie abgewehrt hatte, solange sie von seinem alten
|
|
Freunde Borkheim vorgebracht wurden. Ein merkwürdiger Zufall wollte, daß
|
|
sich Bakunin zu gleicher Zeit von einem russischen Flüchtling, weil er in
|
|
ihm eine Schwalbe der kommenden russischen Revolution sah, irreführen und
|
|
sogar in ein Abenteuer verstricken ließ, das für seinen Ruf bedenklicher
|
|
werden sollte als irgendein anderer Zwischenfall seines bewegten Lebens.</P>
|
|
<P>Ein paar Tage, nachdem die Konfidentielle Mitteilung geschrieben worden war,
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trat der zweite Jahreskongreß der romanischen Föderation am 4. April
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in La Chaux-de-Fonds zusammen. Hier kam es zum offenen Bruch. Die Genfer Sektion
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der Allianz, die bereits durch den Generalrat in die Internationale aufgenommen
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worden war, verlangte ihre Aufnahme in die romanische Föderation und die
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Teilnahme ihrer beiden Delegierten an den Beratungen des Kongresses. Dem widersetzte
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sich Utin unter heftigen Angriffen auf Bakunin, als dessen Intrigiermaschine er
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die Genfer Sektion der Allianz denunzierte, fand aber einen entschlossenen Gegner
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in Guillaume, der, ein engbrüstiger Fanatiker, sich namentlich in späteren
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Jahren an Marx nicht weniger versündigt hat als Utin an Bakunin, aber immerhin
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nach Bildung und Fähigkeit ein anderer Mann war als sein armseliger Gegner.
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Er siegte denn auch mit einer Mehrheit von 21 gegen 18 Stimmen. Jedoch die Minderheit
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weigerte sich, den Willen der Mehrheit anzuerkennen und spaltete den Kongreß.
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Nun tagten zwei Kongresse nebeneinander; der Mehrheitskongreß beschloß,
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den Sitz des Föderalrats von Genf nach La Chaux-de-Fonds zu verlegen und
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zum Organ des Verbandes die »Solidarité« zu erheben, die Guillaume in Neuenburg
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herausgeben sollte.</P>
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<P>Die Minderheit stützte ihre Obstruktion darauf, daß es sich um ein
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reine Zufallsmehrheit handle, da nur fünfzehn Sektionen in La Chaux-de-Fonds
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vertreten gewesen seien, während Genf allein deren dreißig zähle,
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die alle oder fast alle die Sektion der Allianz nicht in der romanischen Föderation
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haben wollten. Die Mehrheit dagegen pochte darauf, daß eine Sektion, die
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vom Generalrat zugelassen worden sei, nicht von einem Föderalrat abgewiesen
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werden könne. Der alte Becker meinte im <A NAME="S439"></A><B>|439|</B> »Vorboten«,
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es sei ein ärgerlicher Krakeel um nichts und wieder nichts, der nur durch
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einen Mangel an brüderlicher Gesinnung auf beiden Seiten verschuldet worden
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sei. Die Sektion der Allianz, die es wesentlich auf prinzipielle Propaganda abgesehen
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habe, könne darauf verzichten, in einen nationalen Verband aufgenommen zu
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werden, zumal da sie einmal als Intrigiermaschine Bakunins gelte, der in Genf
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längst unbeliebt geworden sei. Aber wenn sie gleichwohl aufgenommen werden
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wolle, so sei es engherzig und kindisch, sie abzuweisen oder ihre Aufnahme zum
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Anlaß einer Spaltung zu machen.</P>
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<P>So einfach wie Becker meinte, lag die Sache nun aber doch nicht. Die Beschlüsse,
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die die beiden getrennten Kongresse faßten, berührten sich zwar noch
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mannigfach, unterschieden sich aber gerade in der entscheidenden Frage, dem Gegensatz,
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aus dem die Genfer Wirren entstanden waren. Der Mehrheitskongreß vertrat
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den Standpunkt der gros métiers, er verzichtete auf jede Politik, die lediglich
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die soziale Umgestaltung durch nationale Reformen bezwecke, denn jeder politisch
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organisierte Staat sei nichts weiter als ein Mittel zur kapitalistischen Ausbeutung
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auf Grund des bürgerlichen Rechts, deshalb diene jede Beteiligung des Proletariats
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an der bürgerlichen Politik zur Befestigung des heutigen Systems und lähme
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die revolutionäre proletarische Aktion. Dagegen vertrat der Minderheitskongreß
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den Standpunkt der fabrique; er bekämpfte die politische Enthaltung als Schädigung
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der Arbeiterbewegung und empfahl die Beteiligung an den Wahlen, nicht weil auf
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diesem Wege die Emanzipation der Arbeiterklasse erreicht werden könne,sondern
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weil die parlamentarische Arbeitervertretung ein agitatorisches Propagandamittel
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sei, das in taktischer Hinsicht nicht vernachlässigt werden dürfe.</P>
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<P>Der neue Föderalrat in La Chaux-de-Fonds beanspruchte nun vom Generalrat
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seine Anerkennung als Leiter der romanischen Föderation. Der Generalrat entsprach
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jedoch diesem Ansuchen nicht, sondern verfügte am 28. Juni, daß der
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Genfer Föderalrat, hinter dem die Mehrzahl der Genfer Sektionen stehe, in
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seinen bisherigen Funktionen aufrechterhalten werde, der neue Föderalrat
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dagegen irgendeinen örtlichen Namen anzunehmen habe. Dieser Entscheidung,
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die billig genug und zudem von ihm selbst herausgefordert worden war, fügte
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sich jedoch der neue Föderalrat nicht, sondern erhob lebhaft Klage über
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die Herrschsucht, den »Autoritarismus« des Generalrats, womit das zweite Stichwort
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- neben der politischen Enthaltung - für die Opposition innerhalb der Internationalen
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gegeben war.</P>
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<P>Der Generalrat seinerseits brach nunmehr jede Verbindung mit dem Föderalrat
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in La Chaux-de-Fonds ab.</P>
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<H3 ALIGN="CENTER">8. Irische Amnestie und französisches Plebiszit<A name="Kap_8"></A></H3>
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<P><B><A NAME="S440">|440|</A></B> Der Winter von 1869 auf 1870 war für Marx
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wieder eine Zeit mannigfacher körperlicher Beschwerden, aber die ewigen Geldsorgen
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war er nun wenigstens los. Am 30. Juni 1869 hatte sich Engels von dem »hündischen
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Kommerz« frei gemacht und schon ein halbes Jahr vorher bei Marx angefragt, ob
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dieser mit 350 Pfund jährlich auskommen könne; Engels wollte dann mit
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seinem Sozius so abschließen, daß er diese Summe auf fünf bis
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sechs Jahre für Marx abstoßen könne. Wie das Abkommen schließlich
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getroffen worden ist, geht aus dem Briefwechsel beider Männer nicht hervor;
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jedenfalls aber hat Engels nicht nur fünf oder sechs Jahre, sondern bis an
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den Tod seines Freundes dessen ökonomische Lage völlig sichergestellt.</P>
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<P>Politisch beschäftigten sich beide in dieser Zeit viel mit der irischen
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Frage. Engels trieb eingehende Studien über ihren geschichtlichen Zusammenhang,
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deren Früchte leider nicht veröffentlicht worden sind, und Marx machte
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den Generalrat der Internationalen scharf für die irische Bewegung, die die
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Amnestie der formlos verurteilten und im Zuchthaus infam behandelten Fenier verlangte.
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Der Generalrat drückte der festen, hochherzigen und mutigen Art, in der das
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irische Volk diese Bewegung betreibe, seine Bewunderung aus und brandmarkte die
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Politik Gladstones, der trotz aller bei den Wahlen gemachten Versprechungen die
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Amnestie verweigere oder an Bedingungen knüpfe, die die Opfer der Mißregierung
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und das irische Volk beleidigten; in schärfster Weise wurde dem leitenden
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Minister vorgehalten, daß er, nachdem er trotz seiner verantwortlichen Stellung
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der Rebellion der amerikanischen Sklavenhalter seinen begeisterten Beifall gespendet
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habe, nunmehr dem englischen Volke die Doktrin der Unterwerfung predige, daß
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sein ganzes Verhalten in der Frage der irischen Amnestie ein echtes und wahres
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Produkt jener »Eroberungspolitik« sei, durch deren flammende Brandmarkung Gladstone
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seine Toryrivalen von der Regierung verdrängt habe. Er habe Gladstone jetzt
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ebenso angegriffen wie ehedem Palmerston, schrieb Marx an Kugelmann; »die hiesigen
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demagogischen refugees [Mehring übersetzt: Flüchtlinge] lieben es, über
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die kontinentalen Despoten von sicherer Entfernung aus herzufallen. Dergleichen
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hat für mich nur Reiz, wenn es vultu instantis tyranni [Mehring übersetzt:
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dem Tyrannen ins Angesicht] geschieht.«</P>
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<P>Eine besondere Freude war es für Marx, daß seine älteste Tochter
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in diesem irischen Feldzuge einen großen Erfolg davontrug. Da die englische
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Presse die an den gefangenen Feniern verübten Schändlichkeiten <A NAME="S441"></A><B>|441|</B>
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hartnäckig totschwieg, so sandte Jenny Marx unter dem Decknamen Williams,
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den ihr Vater in den fünfziger Jahren zu gebrauchen pflegte, einige Artikel
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an die »Marseillaise« Rocheforts, in denen sie mit glühenden Farben schilderte,
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wie politische Verbrecher in dem freien England behandelt würden. Diese Enthüllung
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in dem damals vielleicht gelesensten Blatt des Festlandes ertrug Gladstone nicht;
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wenige Wochen später waren die meisten gefangenen Fenier frei und auf dem
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Wege nach Amerika.</P>
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<P>Die »Marseillaise« hatte sich ihren europäischen Ruf dadurch erworben,
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daß sie die kühnsten Vorstöße gegen das in allen Fugen krachende
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Kaiserreich richtete. Mit dem Beginn des Jahres 1870 hatte Bonaparte den letzten
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verzweifelten Versuch unternommen, sein blut- und schmutztriefendes Regiment durch
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Zugeständnisse an die Bourgeoisie zu retten, indem er den liberalen Schwätzer
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Ollivier zum leitenden Minister machte. Der versuchte es mit sogenannten »Reformen«,
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aber da die Katze nun einmal, selbst in Todesnot, das Mausen nicht lassen kann,
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so verlangte Bonaparte, daß diese »Reformen« die echt bonapartistische Weihe
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eines Plebiszits erhalten sollten. Ollivier war schwach genug, sich zu fügen,
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und empfahl den Präfekten sogar eine »verzehrende« Tätigkeit für
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das Gelingen des Plebiszits, Aber die bonapartische Polizei wußte besser
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als der eitle Schwätzer, wie man Plebiszite gelingen läßt; am
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Vorabend der großen Haupt- und Staatsaktion entdeckte sie ein angebliches
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Bombenkomplott, das namentlich von Mitgliedern der Internationalen gegen das Leben
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Bonapartes geplant worden sein sollte. Ollivier war feig genug, sich auch unter
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die Polizei zu ducken, zumal soweit es gegen Arbeiter ging; überall in Frankreich
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wurden die »Führer« der Internationalen, soweit sie als solche bekannt waren,
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mit Haussuchungen und Verhaftungen überfallen.</P>
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<P>Der Generalrat beeilte sich, am 3. Mai einen Protest gegen den Schwindel zu
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erlassen, worin es hieß: »Unsere Statuten verpflichten alle Sektionen unserer
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Assoziation, öffentlich zu handeln. Wären die Statuten über diesen
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Punkt nicht klar, so würde dennoch das Wesen einer Assoziation, die sich
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mit der Arbeiterklasse selbst identifiziert, jede Möglichkeit der Form geheimer
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Gesellschaften ausschließen. Wenn die Arbeiterklassen konspirieren, die
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die große Masse jeder Nation bilden, die allen Reichtum erzeugen und in
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deren Namen selbst die usurpierenden Gewalten angeblich regieren, so konspirieren
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sie öffentlich, wie die Sonne gegen die Finsternis konspiriert, in dem vollen
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Bewußtsein, daß außerhalb ihres Bereichs keine legitime Macht
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besteht ... Die lärmenden Gewaltmaßregeln gegen unsere französischen
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Sektionen sind ausschließlich <A NAME="S442"></A><B>|442|</B> berechnet,
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einem einzigen Zwecke zu dienen, der Manipulation des Plebiszits.«<A name="ZT8"></A><A href="fm03_394.htm#Z8"><SPAN class="top">[8]</SPAN></A> So war es in
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der Tat, aber das nichtswürdige Mittel erreichte noch einmal seinen nichtswürdigen
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Zweck: das »liberale Kaiserreich« wurde durch 7 Millionen gegen 1<SPAN class="top">1</SPAN>/<SPAN class="bottom">2</SPAN>
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Millionen Stimmen eingeweiht.</P>
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<P>Danach mußte man den Schwindel des Bombenkomplotts aber doch fallenlassen.
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Wenn die Polizei bei Mitgliedern der Internationalen ein chiffriertes Wörterbuch
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gefunden haben wollte, aus dem sie nichts entziffern konnte als einzelne Namen
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wie Napoleon, und einzelne chemische Ausdrücke wie Nitroglyzerin, so war
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dieser Blödsinn immerhin doch zu arg, als daß er selbst bonapartistischen
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Gerichtshöfen geboten werden durfte. Die Anklage schrumpfte deshalb auf dasselbe
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angebliche Vergehen zusammen, wegen dessen schon zweimal französische Mitglieder
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der Internationalen angeklagt und verurteilt worden waren: Teilnahme an geheimen
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oder unerlaubten Gesellschaften.</P>
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<P>Nach einer glänzenden Verteidigung, die diesmal durch den Kupferschmied
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Chalain, ein späteres Mitglied der Pariser Kommune, geführt wurde, erfolgte
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am 9. Juli auch eine Anzahl von Verurteilungen, im Höchstmaße zu einem
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Jahr Gefängnis und einem Jahr Ehrverlust, doch gleichzeitig brach der Gewittersturm
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los, der das zweite Kaiserreich vom Erdboden fegte.</P>
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<P><A name="Z1"></A><SPAN class="top">[1]</SPAN> Friedrich Engels: Revolution und Konterevolution in Deutschland, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me08/me08_098.htm#S100">Bd. 8, S. 100.</A> <A href="fm03_394.htm#ZT1"><=</A></P>
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|
<P><A name="Z2"></A><SPAN class="top">[2]</SPAN> Karl Marx: Die belgischen Metzeleien, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me16/me16_350.htm">Bd. 16, S. 350.</A> <A href="fm03_394.htm#ZT2"><=</A></P>
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|
<P><A name="Z3"></A><SPAN class="top">[3]</SPAN> Karl Marx: Adresse an die Nationale Arbeiterunion der Vereinigten Staaten, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me16/me16_355.htm">Bd. 16, S. 355.</A> <A href="fm03_394.htm#ZT3"><=</A></P>
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|
<P><A name="Z4"></A><SPAN class="top">[4]</SPAN> Karl Marx: Bericht des Generalrats über das Erbrecht, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me16/me16_367.htm">Bd. 16, S. 367-369.</A> <A href="fm03_394.htm#ZT4"><=</A></P>
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|
<P><A name="Z5"></A><SPAN class="top">[5]</SPAN> Karl Marx: Konfidentielle Mitteilung, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me16/me16_409.htm">Bd. 16, S. 409-420.</A> <A href="fm03_394.htm#ZT5"><=</A></P>
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|
<P><A name="Z6"></A><SPAN class="top">[6]</SPAN> Karl Marx: Konfidentielle Mitteilung, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me16/me16_409.htm#S412">Bd. 16, S. 412.</A> <A href="fm03_394.htm#ZT6"><=</A></P>
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|
<P><A name="Z7"></A><SPAN class="top">[7]</SPAN> Karl Marx: Konfidentielle Mitteilung, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me16/me16_409.htm#S420">Bd. 16, S. 420.</A> <A href="fm03_394.htm#ZT7"><=</A></P>
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<P><A name="Z8"></A><SPAN class="top">[8]</SPAN> Karl Marx: [Proklamation des Generalrats der Internationalen Arbeiterassoziation über die Verfolgungen der Mitglieder der französischen Sektionen], in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me16/me16_422.htm">Bd. 16, S. 422.</A> <A href="fm03_394.htm#ZT8"><=</A></P>
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<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><A HREF="../../index.shtml.html"><SMALL>MLWerke</SMALL></A></TD>
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Mehring</SMALL></A></TD>
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