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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>Rosa Luxemburg - Die Akkumulation des Kapitals, 12. Kapitel</TITLE>
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<P ALIGN="CENTER"><A HREF="lu05_155.htm"><FONT SIZE=2>11. Kapitel</FONT></A><FONT SIZE=1> | </FONT><A HREF="lu05_005.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="lu05_173.htm"><FONT SIZE=2>13. Kapitel</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>Rosa Luxemburg - Gesammelte Werke. Herausgegeben vom Institut f&uuml;r Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Band 5. Berlin/DDR. 1975. "Die Akkumulation des Kapitals", S. 166-173.</P>
<P>1. Korrektur.<BR>
Erstellt am 20.10.1998</P>
<HR>
</FONT><FONT SIZE=5><P ALIGN="CENTER">Zw&ouml;lftes Kapitel</P>
<I><P ALIGN="CENTER">Ricardo gegen Sismondi</P>
</I></FONT><B><P><A NAME="S166">&lt;166&gt;</A></B> F&uuml;r Ricardo war offenbar mit MacCullochs Erwiderung auf Sismondis theoretische Einw&auml;nde die Sache nicht erledigt. Im Unterschied von dem gesch&auml;ftstreibenden "schottischen Erzhumbug", wie ihn Marx nennt, suchte Ricardo nach Wahrheit und bewahrte sich die echte Bescheidenheit eines gro&szlig;en Denkers.<A NAME="ZF1"><A HREF="lu05_166.htm#F1">(1)</A></A> Da&szlig; Sismondis Polemik gegen ihn selbst wie gegen sei- <A NAME="S167"><B>&lt;167&gt;</A></B> nen "Sch&uuml;ler" auf Ricardo einen tiefen Eindruck gemacht hatte, beweist die Front&auml;nderung Ricardos in der Frage &uuml;ber die Wirkung der Maschinen. Hier gerade geb&uuml;hrt Sismondi das Verdienst, zum erstenmal der klassischen Harmonielehre die andere Seite der Medaille vor die Augen gef&uuml;hrt zu haben. Im Buch IV seiner "Nouveaux principes", im Kapitel VII: "Von der Teilung der Arbeit und von den Maschinen", wie im Buche VII, Kapitel VII, das den bezeichnenden Titel f&uuml;hrt: "Maschinen schaffen eine &uuml;berfl&uuml;ssige Bev&ouml;lkerung", hatte Sismondi die von den Apologeten Ricardos breitgetretene Lehre angegriffen, als schufen die Maschinen immer ebensoviel oder noch mehr Arbeitsgelegenheit f&uuml;r die Lohnarbeiter, wie sie ihnen durch Verdr&auml;ngung der lebendigen Arbeit wegnahmen. Gegen diese sogenannte Kompensationstheorie wandte sich Sismondi mit aller Sch&auml;rfe. Seine "Nouveaux principes" waren 1819 erschienen - zwei Jahre nach dem Hauptwerk Ricardos. In der dritten Ausgabe seiner "Principles" im Jahre 1821, also bereits nach der Polemik zwischen MacCulloch und Sismondi, schaltete Ricardo ein neues Kapitel (Einunddrei&szlig;igstes Hauptst&uuml;ck der Baumstarkschen &Uuml;bersetzung, zweite Auflage, 1877) ein, wo er freim&uuml;tig seinen Irrtum bekennt und ganz im Sinne Sismondis erkl&auml;rt, "da&szlig; die Meinung der Arbeiterklasse, die Anwendung von Maschinen sei ihren Interessen h&auml;ufig verderblich, nicht auf Vorurteil und Irrtum beruht, sondern mit den richtigen Grundgesetzen der Volks- und Staatswirtschaft &uuml;bereinstimmt". Dabei sieht er sich genau wie Sismondi veranla&szlig;t, sich gegen den Verdacht zu verwahren, als eifere er gegen den technischen Fortschritt, salviert sich aber - weniger r&uuml;cksichtslos als Sismondi - durch die Ausflucht, da&szlig; das &Uuml;bel nur allm&auml;hlich auftrete: "Um das Grundgesetz zu beleuchten, habe ich angenommen, da&szlig; das verbesserte Maschinenwesen urpl&ouml;tzlich auf einmal entdeckt und in ganzer Ausdehnung angewendet worden sei. Aber in der Wirklichkeit treten diese Entdeckungen nach und nach auf und wirken mehr auf Anwendung des schon ersparten und angesammelten Kapitals als auf Zur&uuml;ckziehung von Kapital aus bisheriger Anlage."</P>
<P>Doch auch das Problem der Krisen und der Akkumulation lie&szlig; Ricardo keine Ruhe. Im letzten Jahre seines Lebens, 1823, blieb er einige Tage in Genf, um mit Sismondi pers&ouml;nlich &uuml;ber diesen Gegenstand zu debattieren, und als Frucht jener Gespr&auml;che erschien im Mai 1824 in der "Revue ency- <A NAME="S168"><B>&lt;168&gt;</A></B> clop&eacute;dique" der Aufsatz Sismondis " Sur la balance des consommations avec les productions".<A NAME="ZF2"><A HREF="lu05_166.htm#F2">(2)</A></A></P>
<P>Ricardo hatte in seinen "Principles" in der entscheidenden Frage g&auml;nzlich die Harmonielehre &uuml;ber das Verh&auml;ltnis zwischen Produktion und Konsumtion von dem faden Say &uuml;bernommen. Im Kapitel XXI sagt er: "Say hat gen&uuml;gend nachgewiesen, da&szlig; es kein noch so gro&szlig;es Kapital gibt, das nicht in einem Lande angewandt werden k&ouml;nnte, denn die Nachfrage findet nur in der Produktion ihre Grenzen. Niemand produziert au&szlig;er in der Absicht, sein Produkt selbst zu konsumieren oder es zu verkaufen, und jeder verkauft nur in der Absicht, andere G&uuml;ter zu kaufen, welche f&uuml;r ihn unmittelbar zur Konsumtion dienen oder aber dazu, in einer k&uuml;nftigen Produktion angewendet zu werden. Derjenige, der produziert, wird also notwendig entweder selbst Konsument seines Produktes oder K&auml;ufer und Konsument der Produkte anderer."</P>
<P>Gegen diese Auffassung Ricardos polemisierte Sismondi heftig schon in seinen "Nouveaux principes", und die m&uuml;ndliche Debatte drehte sich ganz um die obige Frage. Die Tatsache der Krise, die eben erst in England und in anderen L&auml;ndern vor&uuml;bergezogen war, konnte Ricardo nicht bestreiten. Es handelte sich blo&szlig; um ihre Erkl&auml;rung. Bemerkenswert ist dabei die klare und pr&auml;zise Stellung des Problems, auf die sich Sismondi mit Ricardo eingangs ihrer Debatte geeinigt harte: Sie eliminierten beide die Frage des ausw&auml;rtigen Handels. Sismondi begriff wohl die Bedeutung und die Notwendigkeit des ausw&auml;rtigen Handels f&uuml;r die kapitalistische Produktion und ihr Ausdehnungsbed&uuml;rfnis. Darin stand er der Ricardoschen Freihandelsschule in nichts nach. Ja, er &uuml;berragte sie bedeutend durch die dialektische Auffassung dieser Expansionstendenz des Kapitals, er sprach offen heraus, da&szlig; die Industrie "gen&ouml;tigt wird, auf fremden M&auml;rkten ihre Absatzwege zu suchen, wo noch gr&ouml;&szlig;ere Umw&auml;lzungen sie bedrohen"<A NAME="ZF3"><A HREF="lu05_166.htm#F3">(3)</A></A>, er prophezeite, wie wir gesehen, das Erstehen einer gef&auml;hr- <A NAME="S169"><B>&lt;169&gt;</A></B> lichen Konkurrenz f&uuml;r die europ&auml;ische Industrie in den &uuml;berseeischen L&auml;ndern, was um das Jahr 1820 immerhin eine ganz achtbare Leistung war, die den tiefen Blick Sismondis f&uuml;r die weltwirtschaftlichen Beziehungen des Kapitals verriet. Bei alledem war Sismondi weit davon entfernt, das Problem der Realisierung des Mehrwerts, das Problem der Akkumulation von dem ausw&auml;rtigen Handel als der einzigen Rettungsm&ouml;glichkeit abh&auml;ngig zu machen, wie ihm das sp&auml;tere Kritiker einzureden suchten. Im Gegenteil, Sismondi sagt selbst ausdr&uuml;cklich gleich im Buch II, Kapitel VI: "Um diesen Berechnungen mit gr&ouml;&szlig;erer Leichtigkeit folgen zu k&ouml;nnen und zur Vereinfachung dieser Fragen haben wir bis jetzt vollst&auml;ndig von dem ausw&auml;rtigen Handel abgesehen und angenommen, da&szlig; eine Nation ganz allein f&uuml;r sich dastehe; die menschliche Gesellschaft ist selbst diese einzeln dastehende Nation, und alles, was bei einer Nation ohne Handel wahr ist, ist ebenso wahr beim Menschengeschlecht." Mit anderen Worten: Sismondi stellte sein Problem genau unter denselben Voraussetzungen wie sp&auml;ter Marx: indem er den ganzen Weltmarkt als eine ausschlie&szlig;lich kapitalistisch produzierende Gesellschaft betrachtete. Auf diese Voraussetzungen einigte er sich auch mit Ricardo: "Wir schieden beide", sagt er, "aus der Frage den Fall aus, in dem eine Nation mehr den Fremden verkaufte, als sie von ihnen kaufte und so f&uuml;r eine wachsende Produktion im Innern einen wachsenden Markt nach au&szlig;en fand ... Wir haben nicht die Frage zu entscheiden, ob Wechself&auml;lle eines Krieges oder der Politik einer Nation nicht neue Verbraucher verschaffen k&ouml;nnen: <I>Man mu&szlig; beweisen, da&szlig; sie sie sich selbst schafft, wenn sie ihre Produktion vermehrt</I>." Hier hat Sismondi das Problem der Realisierung des Mehrwerts mit aller Sch&auml;rfe so formuliert, wie es uns in der ganzen sp&auml;teren Zeit in der National&ouml;konomie entgegentritt. Ricardo behauptet n&auml;mlich in der Tat - darin folgt er, wie wir gesehen und noch sehen werden, den Fu&szlig;tapfen Says -, da&szlig; die Produktion sich selbst ihren Absatz schaffe.</P>
<P>Die in der Kontroverse mit Sismondi von Ricardo formulierte These lautete:</P>
<P>"Nehmen wir hundert Landbebauer an, die tausend Sack Getreide produzieren, und hundert Wollenfabrikanten, die tausend Ellen Stoff herstellen; sehen wir von allen anderen Produkten ab, die den Menschen n&uuml;tzlich sind, von allen Zwischengliedern zwischen ihnen, und nehmen wir an, da&szlig; sie nur allein auf der Welt sind, so tauschen sie ihre tausend Ellen gegen ihre tausend Sack; nehmen wir die Produktivkr&auml;fte der Arbeit infolge der Fortschritte der Industrie als um ein Zehntel vermehrt an, so tauschen dieselben Menschen elfhundert Ellen gegen elfhundert Sack, und <A NAME="S170"><B>&lt;170&gt;</A></B> jeder von ihnen wird besser bekleidet und besser ern&auml;hrt werden; ein neuer Fortschritt erh&ouml;ht den Tausch auf zw&ouml;lfhundert Ellen gegen zw&ouml;lfhundert Sack und so fort: Das Anwachsen der Produktion vermehrt stets die Gen&uuml;sse der Produzenten."<A NAME="ZF4"><A HREF="lu05_166.htm#F4">(4)</A></A></P>
<P>Mit tiefer Besch&auml;mung mu&szlig; man feststellen, da&szlig; die Deduktionen des gro&szlig;en Ricardo hier wom&ouml;glich auf noch tieferem Niveau stehen als die des "schottischen Erzhumbugs" MacCulloch. Wir sind wieder eingeladen, als Zuschauer einem harmonischen und anmutigen Kontertanz zwischen "Ellen" und "S&auml;cken" beizuwohnen, wobei just das, was bewiesen werden sollte: ihr Proportionalit&auml;tsverh&auml;ltnis, einfach vorausgesetzt ist. Aber noch besser: Alle die Voraussetzungen des Problems, um die es sich handelte, sind daf&uuml;r einfach weggelassen. Das Problem, der Gegenstand der Kontroverse - um es immer wieder festzuhalten - bestand darin: Wer ist Konsument und Abnehmer f&uuml;r den &Uuml;berschu&szlig; an Produkten, der entsteht, wenn die Kapitalisten &uuml;ber den Verbrauch ihrer Arbeiter und ihren eigenen Verbrauch hinaus Waren herstellen, d.h., wenn sie einen Teil des Mehrwerts kapitalisieren und dazu verwenden, die Produktion zu erweitern, das Kapital zu vergr&ouml;&szlig;ern? Darauf antwortet Ricardo, indem er &uuml;berhaupt auf Kapitalvergr&ouml;&szlig;erung nicht mit einem Worte eingeht. Was er uns vormalt in den verschiedenen Etappen der Produktion, ist blo&szlig; stufenweise Erh&ouml;hung der Produktivit&auml;t der Arbeit. Es werden nach seiner Annahme immer mit derselben Anzahl Arbeitskr&auml;fte erst tausend Sack Getreide und tausend Ellen Wollgewebe, dann elfhundert Sack und elfhundert Ellen, sp&auml;ter zw&ouml;lfhundert Sack und zw&ouml;lfhundert Ellen produziert, und so mit Grazie fort. Ganz abgesehen von der langweiligen Vorstellung der soldatenm&auml;&szlig;ig gleichen Marschbewegung auf beiden Seiten und der &Uuml;bereinstimmung selbst der Anzahl Gegenst&auml;nde, die zum Austausch gelangen sollen, ist in dem ganzen Beispiel keine Rede von Kapitalerweiterung. Was wir hier immer vor Augen haben, ist nicht erweiterte Reproduktion, sondern einfache Reproduktion, bei der blo&szlig; die Masse Gebrauchswerte, nicht aber der Wert der gesellschaftlichen Gesamtprodukte anw&auml;chst. Da f&uuml;r den Austausch nicht die Menge Gebrauchswerte, sondern lediglich ihre Wertgr&ouml;&szlig;e in Betracht kommt, diese aber im Beispiele Ricardos immer die gleiche bleibt, so bewegt er sich eigentlich nicht vom Fleck, obwohl er sich den Anschein gibt, fortschreitende Erweiterung der Produktion zu analysieren. Endlich existieren bei Ricardo &uuml;berhaupt die Kategorien der Reproduktion nicht, auf die es ankommt. MacCulloch l&auml;&szlig;t zuerst seine Kapitalisten ohne Mehrwert produzieren und von der <A NAME="S171"><B>&lt;171&gt;</A></B> Luft leben, aber er erkennt wenigstens die Existenz der Arbeiter und gibt ihren Verbrauch an. Bei Ricardo ist von Arbeitern nicht einmal die Rede, und die Unterscheidung von variablem Kapital und Mehrwert existiert &uuml;berhaupt nicht. Demgegen&uuml;ber will es wenig verschlagen, da&szlig; Ricardo, genau wie sein Sch&uuml;ler, von dem konstanten Kapital v&ouml;llig absieht: Er will das Problem der Realisierung des Mehrwertes und der Kapitalerweiterung l&ouml;sen, ohne mehr vorauszusetzen, als da&szlig; es ein gewisses Quantum Waren gibt, die gegenseitig ausgetauscht werden.</P>
<P>Sismondi gibt sich, ohne die g&auml;nzliche Verschiebung des Kampffeldes zu merken, redliche M&uuml;he, die Phantasien seines ber&uuml;hmten Gastes und Widerparts, bei dessen Voraussetzungen man, wie er sich beklagt, "von Zeit und Raum absehen m&uuml;sse, wie die deutschen Metaphysiker pflegen", auf die flache Erde zu projizieren und in ihren unsichtbaren Widerspr&uuml;chen zu zergliedern. Er pfropft die Ricardosche Hypothese auf "die Gesellschaft in ihrer wirklichen Organisation mit Arbeitern ohne Eigentum, deren Lohn durch den Wettbewerb festgesetzt wird und die ihr Herr, wenn er ihrer nicht mehr bedarf, entlassen kann", denn -, bemerkt Sismondi so treffend wie bescheiden - "gerade auf diese wirtschaftliche Organisation st&uuml;tzen sich unsere Entw&uuml;rfe". Und er deckt die mannigfachen Schwierigkeiten und Konflikte auf, mit denen die Fortschritte der Produktivit&auml;t der Arbeit unter kapitalistischen Bedingungen verkn&uuml;pft sind. Er weist nach, da&szlig; die von Ricardo angenommenen Verschiebungen in der Arbeitstechnik gesellschaftlich zu der folgenden Alternative f&uuml;hren m&uuml;ssen: Entweder wird im Verh&auml;ltnis zum Wachstum der Produktivit&auml;t ein entsprechender Teil der Arbeiter entlassen, und dann erhalten wir auf der einen Seite einen &Uuml;berschu&szlig; an Produkten, auf der anderen Seite Arbeitslosigkeit und Elend, also ein treues Bild der gegenw&auml;rtigen Gesellschaft, oder das &uuml;bersch&uuml;ssige Produkt wird zur Erhaltung von Arbeitern in einem neuen Produktionszweige: der Luxusproduktion, verwendet. Hier angelangt, schwingt sich Sismondi zu einer entschiedenen &Uuml;berlegenheit &uuml;ber Ricardo auf. Er erinnert sich pl&ouml;tzlich an die Existenz des konstanten Kapitals, und jetzt ist er es, der dem englischen Klassiker haarscharf auf den Leib r&uuml;ckt: "Um eine neue Manufaktur, eine Luxusmanufaktur zu begr&uuml;nden, bedarf es auch eines neuen Kapitals; Maschinen m&uuml;ssen gebaut, Rohstoffe bestellt werden, ein ferner Handel mu&szlig; in T&auml;tigkeit treten, denn die Reichen begn&uuml;gen sich nicht gern mit den Gen&uuml;ssen, die in ihrer N&auml;he erzeugt werden. Wo finden wir nun dieses neue Kapital, das vielleicht viel erheblicher ist als dasjenige, was die Landwirtschaft verlangt? ... Unsere Luxusarbeiter sind noch lange nicht so weit, das Ge- <A NAME="S172"><B>&lt;172&gt;</A></B> treide unserer Landbebauer zu essen, die Kleider unserer Manufakturen zu tragen, sie sind noch nicht da, sie sind vielleicht noch nicht geboren, ihre Gewerbe sind noch nicht vorhanden, die Rohstoffe, die sie bearbeiten sollen, sind von Indien nicht angelangt, alle die, an die sie ihr Brot austeilen sollen, warten vergebens darauf." Sismondi ber&uuml;cksichtigt nun das konstante Kapital nicht blo&szlig; in der Luxusproduktion, sondern auch in der Landwirtschaft, und h&auml;lt weiter Ricardo entgegen: "Man mu&szlig; von der Zeit absehen, wenn man unterstellt, da&szlig; der Landbebauer, der durch eine Erfindung der Mechanik oder einer l&auml;ndlichen Industrie die Produktivkraft seiner Arbeiter um ein Drittel vermehren kann, auch ein Kapital finden wird, das zur Vermehrung seiner Ausbeute um ein Drittel gen&uuml;gt, zur Vermehrung seiner Werkzeuge, seiner Ackerger&auml;te, seines Viehstandes, seiner Speicher, und das Umlaufskapital, dessen er bedarf, um seine Eink&uuml;nfte abzuwarten."</P>
<P>Hier bricht Sismondi mit der Fabel der klassischen Schule, als ob bei der Kapitalerweiterung der ganze Kapitalzuschu&szlig; ausschlie&szlig;lich in L&ouml;hnen, in variablem Kapital, verausgabt w&auml;re, und trennt sich darin deutlich von der Ricardoschen Lehre - was ihn nebenbei nicht hinderte, drei Jahre sp&auml;ter in der zweiten Auflage seiner "Nouveaux principes" alle die Schnitzer, die sich auf jene Lehre st&uuml;tzen, unbesehen passieren zu lassen. Der glatten Harmonielehre Ricardos gegen&uuml;ber hebt Sismondi also zwei entscheidende Punkte hervor: einerseits die objektiven Schwierigkeiten des erweiterten Reproduktionsprozesses, der in der kapitalistischen Wirklichkeit durchaus nicht so h&uuml;bsch glatt verl&auml;uft wie in der abstrusen Hypothese Ricardos, andererseits die Tatsache, da&szlig; jeder technische Fortschritt in der Produktivit&auml;t der gesellschaftlichen Arbeit unter kapitalistischen Bedingungen sich stets auf Kosten der Arbeiterklasse durchsetzt und mit deren Leiden erkauft wird. Und noch in einem dritten wichtigen Punkte zeigt Sismondi seine &Uuml;berlegenheit im Vergleiche mit Ricardo: gegen&uuml;ber dessen roher Borniertheit, f&uuml;r die au&szlig;er der b&uuml;rgerlichen &Ouml;konomie &uuml;berhaupt keine Gesellschaftsformen existieren, vertritt Sismondi die breiten historischen Horizonte einer dialektischen Auffassung: "Unsere Augen", ruft er, "haben sich derma&szlig;en an diese neue Organisation der Gesellschaft, an diesen allgemeinen Wettbewerb gew&ouml;hnt, der zur Feindschaft zwischen der reichen und der arbeitenden Klasse ausartet, da&szlig; wir uns keine andere Art des Daseins mehr denken k&ouml;nnen, trotzdem die Tr&uuml;mmer dieser Existenzen uns von allen Seiten umgeben. Man glaubt mich ad absurdum f&uuml;hren zu k&ouml;nnen, wenn man mir die Fehler der fr&uuml;heren Systeme entgegenh&auml;lt. In der Tat sind zwei oder drei in der Organisation der unteren <A NAME="S173"><B>&lt;173&gt;</A></B> Klassen einander gefolgt, aber darf man, weil sie, nachdem sie zuerst einiges Gute geleistet, bald darauf aber schreckliche Qualen dem Menschengeschlecht verursacht haben, schlie&szlig;en, da&szlig; wir heute das richtige System haben, da&szlig; wir nicht den Grundfehler des Systems der Tagel&ouml;hner entdecken werden, wie wir den des Systems der Sklaverei, der Vasallit&auml;t, der Z&uuml;nfte entdeckt haben? Als diese drei Systeme in Kraft waren, konnte man sich auch nicht denken, was man an ihre Stelle setzen k&ouml;nnte; die Verbesserung der bestehenden Ordnung erschien ebenso unm&ouml;glich wie l&auml;cherlich. Ohne Zweifel wird eine Zeit kommen, in der unsere Enkel uns als nicht minder barbarisch ansehen werden, weil wir die arbeitenden Klassen ohne Garantie gelassen haben, wie sie und wir selbst die Nationen als barbarisch ansehen, die diese selben Klassen als Sklaven behandelt haben " Seinen tiefen Blick f&uuml;r geschichtliche Zusammenh&auml;nge hat Sismondi bewiesen durch den Ausspruch, worin er mit epigrammatischer Sch&auml;rfe die Rolle des Proletariats in der modernen Gesellschaft von derjenigen des Proletariats der r&ouml;mischen Gesellschaft unterschied. Nicht minder tief zeigt er sich darin, wie er in seiner Polemik gegen Ricardo die &ouml;konomischen Sondercharaktere des Sklavensystems und der Feudalwirtschaft zergliedert sowie deren relative geschichtliche Bedeutung, endlich indem er als die vorherrschende allgemeine Tendenz der b&uuml;rgerlichen &Ouml;konomie feststellt, "jede Art von Eigentum von jeder Art Arbeit vollst&auml;ndig zu trennen". Auch das zweite Treffen Sismondis mit der klassischen Schule schlug, wie das erste, nicht zum Ruhme seines Gegners aus.<A NAME="ZF5"><A HREF="lu05_166.htm#F5">(5)</A></A></P>
<P>&nbsp;<HR></P>
<P>Fu&szlig;noten von Rosa Luxemburg</P>
<P><A NAME="F1">(1)</A> Es ist bezeichnend, da&szlig;, als Ricardo 1819 ins Parlament gew&auml;hlt worden war, er, der damals schon das gr&ouml;&szlig;te Ansehen wegen seiner &ouml;konomischen Schriften geno&szlig;, an einen Freund schrieb: "Sie werden wissen, da&szlig; ich im Hause der Gemeinen sitze. Ich f&uuml;rchte, da&szlig; ich da nicht viel n&uuml;tzen werde. Ich habe es zweimal versucht zu sprechen, aber ich sprach mit gr&ouml;&szlig;ter Beklommenheit, und ich verzweifle daran, ob ich je die Angst &uuml;berwinden werde, die mich bef&auml;llt, wenn ich den Ton meiner Stimme h&ouml;re." Dergleichen "Beklommenheit" war dem Schw&auml;tzer Culloch v&ouml;llig unbekannt. <A HREF="lu05_166.htm#ZF1">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F2">(2)</A> Sismondi erz&auml;hlt uns &uuml;ber diese Diskussion: Monsieur Ricardo, dont la mort r&eacute;cente an profond&eacute;ment afflig&eacute;, non pas seulement sa famille et ses amis, mais tous ceux qu'il a &eacute;clair&eacute;s par ses lumi&egrave;res, tous ceux qu'il a &eacute;chauff&eacute;s par ses nobles sentiments, s'arr&ecirc;ta, quelques jours &agrave; Gen&egrave;ve dans la derni&egrave;re ann&eacute;e de sa vie. Nous discut&acirc;mes ensemble, &agrave; deux on trois reprises, cette question fondamentale sur laquelles nous &eacute;tions en opposition. Il apporta &agrave; son examen l'urbanit&eacute;, la bonne foi, l'amour de la v&eacute;rit&eacute; qui le distinguaient, et une clart&eacute; laquelle ses disciples eux-m&ecirc;mes ne se seraient pas entendus, accoutum&eacute;s qu'ils &eacute;taient aux efforts d'abstraction qu'il exigeait d'eux dans le cabinet." Der Aufsatz " Sur la balance" ist abgedruckt in der 2. Ausgabe den "Nouveaux principes", Bd. II. 5. 408. <A HREF="lu05_166.htm#ZF2">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F3">(3)</A> Buch IV, Kap. IV: Der kaufm&auml;nnische Reichtum folgt dem Wachstum des Einkommens. <A HREF="lu05_166.htm#ZF3">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F4">(4)</A> Nouveaux principes, 2. Aufl. S. 416. <A HREF="lu05_166.htm#ZF4">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F5">(5)</A> Wenn deshalb Herr Tugan-Baranowski im Interesse des von ihm verfochtenen Standpunkts Say-Ricardo die Kontroverse zwischen Sismondi und Ricardo zu berichten wei&szlig;, da&szlig; Sismondi gezwungen w&auml;re "die Richtigkeit der von ihm angefochtenen Lehre anzuerkennen und seinem Gegner alle n&ouml;tigen Zugest&auml;ndnisse zu machen", da&szlig; Sismondi "seine eigene Theorie, die bis jetzt so viele Anh&auml;nger findet, preisgegeben habe" und da&szlig; "der Sieg in dieses Kontroverse auf Seiten Ricardos w&auml;re" (Studien zur Theorie und Geschichte des Handelskrisen in England, 1901, S. 176), so ist das eine solche - sagen wir - Leichtfertigkeit des Urteils, wie wir davon in einem ernsten wissenschaftlichen Werk nicht viel Beispiele kennen. <A HREF="lu05_166.htm#ZF5">&lt;=</A></P></BODY>
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