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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<title>"Neue Rheinische Zeitung" - Thiers Rede ueber eine allgemeine Hypothekenbank mit
Zwangskurs</title>
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<p align="center"><a href="me05_422.htm"><font size="2">Das Ministerium Pfuel</font></a> <font
size="2">|</font> <a href="../me_nrz48.htm"><font size="2">Inhalt</font></a> <font size=
"2">|</font> <a href="me05_428.htm"><font size="2">Die "Frankfurter Oberpostamts-Zeitung" und
die Wiener Revolution</font></a></p>
<small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 423-427<br>
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959</small><br>
<br>
<h1>Thiers' Rede &uuml;ber eine allgemeine Hypothekenbank mit
Zwangskurs</font></p>
<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 116 vom 14. Oktober 1848]</font></p>
<p><b><a name="S423">&lt;423&gt;</a></b> * Herr Thiers publiziert in dem "Constitutionnel" eine
Brosch&uuml;re &uuml;ber das <i>"Eigentum"</i>. Wir werden auf diese klassisch geschriebene
Trivialit&auml;t n&auml;her eingehen, sobald die Publikation vollst&auml;ndig erschienen ist.
Herr Thiers hat sie pl&ouml;tzlich abgebrochen. Uns gen&uuml;gt einstweilen zu bemerken,
da&szlig; die "gro&szlig;en" <i>belgischen</i> Bl&auml;tter, der <i>"Observateur"</i> und die
<i>"Ind&eacute;pendance",</i> schw&auml;rmen f&uuml;r die Schrift des Herrn Thiers. Heute
verfolgen wir einen Augenblick die am 10. Oktober von Herrn Thiers in der franz&ouml;sischen
Nationalversammlung gehaltene Rede &uuml;ber die Hypothekenbons, eine Rede, die nach der
belgischen "Ind&eacute;pendance" dem Papiergeld den "Todessto&szlig;" versetzt hat. Aber Herr
Thiers ist auch, wie "Ind&eacute;pendance" sagt, ein Redner, der mit gleicher
&Uuml;berlegenheit die politischen Fragen behandelt, die finanziellen, die sozialen.</p>
<p>Diese Rede interessiert uns nur, weil sie die Taktik der Ritter der alten Zust&auml;nde
zeigt, eine Taktik, die sie mit Recht den Don Ouixoten der neuen entgegenhalten.</p>
<p>Verlangt eine teilweise Reform in den industriellen und kommerziellen Zust&auml;nden, wie
Herr Turck &lt;In der "Neuen Rheinischen Zeitung" immer irrt&uuml;mlich: T&uuml;rck&gt;, dem
Thiers antwortet, und sie halten euch die Verkettung und die Wechselwirkung der
Gesamtorganisation entgegen. Verlangt die Umw&auml;lzung der Gesamtorganisation, und ihr seid
destruktiv, revolution&auml;r, gewissenlos, utopistisch und &uuml;berseht die <i>partiellen</i>
Reformen. Also Resultat: La&szlig;t alles beim Alten.</p>
<p>Herr Turck z.B. will den Bauern die Verwertung ihres Grundeigentums durch offizielle
Hvpothekenbanken erleichtern. Er will ihr Eigentum in Zirkulation bringen, ohne da&szlig; es
durch die H&auml;nde des Wuchers hindurch- <a name="S424"><b>&lt;424&gt;</b></a> passieren
mu&szlig;. In Frankreich n&auml;mlich, wie in den L&auml;ndern &uuml;berhaupt, wo die
Parzellierung herrscht, hat sich die Herrschaft der Feudalherrn in die Herrschaft der
Kapitalisten, haben sich die feudalen Leistungen des Bauern in b&uuml;rgerliche
Hypothekenverpflichtungen verwandelt.</p>
<p>Was antwortet Herr Thiers zun&auml;chst?</p>
<p>Wollt ihr den Bauern durch &ouml;ffentliche Kreditanstalten helfen, so beeintr&auml;chtigt
ihr den kleinen Handelsmann. Ihr k&ouml;nnt dem einen nicht helfen, ohne dem andern zu
schaden.</p>
<p>Also m&uuml;ssen wir das <i>ganze Kreditsystem</i> umwandeln?</p>
<p>Beileibe nicht! Das ist eine Utopie. Also ist Herr Turck abgefertigt.</p>
<p>Der kleine Handelsmann, f&uuml;r welchen Herr Thiers so z&auml;rtlich sorgt, ist die
<i>gro&szlig;e</i> Bank von Frankreich.</p>
<p>Die Konkurrenz von Papierscheinen f&uuml;r zwei Milliarden Hypotheken w&uuml;rde ihr das
Monopol und die Dividenden und vielleicht noch something more &lt;einiges mehr&gt; ruinieren.
Hinter dem Argument des Herrn Thiers steht also im Hintergrund - Rothschild.</p>
<p>Kommen wir zu einem andern Argument des Herrn Thiers. Der Vorschlag der Hypotheken, sagt
Herr Thiers, geht die <i>Agrikultur</i> selbst eigentlich gar nichts an.</p>
<p>Da&szlig; das Grundeigentum nur unter erschwerenden Umst&auml;nden in Zirkulation gesetzt
wird, da&szlig; es sich nur m&uuml;hsam verwertet, da&szlig; die Kapitalien es sozusagen
fliehen, das alles, bemerkt Herr Thiers, liegt in der <i>"Natur"</i>. Es werfe n&auml;mlich nur
kleinen Profit ab. Aber von der andern Seite kann Herr Thiers nicht leugnen, da&szlig; es in
der "Natur" der modernen industriellen Organisation liegt, da&szlig; alle Industrien, also auch
die Agrikultur, nur gedeihen, wenn ihre Produkte und ihre Instrumente leicht verwertet, in
Umtausch gesetzt, mobilisiert werden k&ouml;nnen. Bei dem Grund und Boden ist das nicht der
Fall. <i>Also</i> w&auml;re der Schlu&szlig;: Innerhalb der bestehenden zivilisierten
Zust&auml;nde kann die <i>Agrikultur</i> nicht gedeihen. Man mu&szlig; daher die bestehenden
Zust&auml;nde &auml;ndern, und ein kleiner, wenn auch inkonsequenter Anlauf zu einer solchen
Ver&auml;nderung ist der Vorschlag des Herrn Turck. Keineswegs! ruft Thiers aus. Die "Natur",
d.h. die jetzigen sozialen Verh&auml;ltnisse verdammen die Agrikultur zu ihrem jetzigen
Zustande. Die jetzigen sozialen Verh&auml;ltnisse sind <i>"Natur"</i>, d.h. unab&auml;nderlich.
Die Behauptung ihrer Unver&auml;nderlichkeit ist nat&uuml;rlich der schlagendste Beweis gegen
den Vorschlag jeder Ver&auml;nderung. Wenn die "Monarchie" Natur ist, ist jeder republikanische
Versuch eine Auflehnung gegen die Natur. Nach Herrn Thiers ist es auch <a name=
"S425"><b>&lt;425&gt;</b></a> einleuchtend, da&szlig; das Grundeigentum immer
<i>naturgem&auml;&szlig;</i> dieselben kleinen Profite abwirft, sei es, da&szlig; der Staat dem
Grundeigent&uuml;mer die Kapitalien zu 3 oder der Wucherer zu 10 Prozent vorschie&szlig;t. Es
ist dies einmal "Natur".</p>
<p>Indem aber Herr Thiers den industriellen Profit und die Rente, welche die Agrikultur
abwirft, miteinander identifiziert, stellt er geradezu auch eine den jetzigen sozialen
Verh&auml;ltnissen, dem, was er "Natur" nennt, widersprechende Behauptung auf.</p>
<p>W&auml;hrend der industrielle Profit im allgemeinen best&auml;ndig f&auml;llt, steigt
best&auml;ndig die Grundrente, d.h. der Wert des Bodens. Herr Thiers hatte also das
Ph&auml;nomen zu erkl&auml;ren, da&szlig; der Bauer trotzdem best&auml;ndig verarmt. Er
l&auml;&szlig;t sich nat&uuml;rlich auf dies Gebiet nicht ein.</p>
<p>Von wirklich merkw&uuml;rdiger Oberfl&auml;chlichkeit ist ferner, was Thiers &uuml;ber den
<i>Unterschied</i> der franz&ouml;sischen und englischen Agrikultur sagt.</p>
<p>Der ganze Unterschied, belehrt uns Thiers, besteht in der <i>Grundsteuer</i>. Wir zahlen
sehr hohe Grundsteuer, die Engl&auml;nder gar keine. Abgesehen von der Unrichtigkeit der
letztem Behauptung, wei&szlig; Herr Thiers sicher, da&szlig; in England die Armensteuer und
eine Masse anderer in Frankreich nicht existierender Steuern auf die Agrikultur fallen. Das
Argument des Herrn Thiers wird in umgekehrtem Sinn von englischen Anh&auml;ngern der kleinem
Agrikultur angewandt. Wi&szlig;t ihr, sagen sie, warum das englische Getreide kostspieliger ist
als das franz&ouml;sische? Weil wir <i>Grundrente</i> zahlen und hohe Grundrente, was die
Franzosen nicht tun, da sie im Durchschnitt nicht P&auml;chter, sondern kleine Eigent&uuml;mer
sind. Es lebe daher das kleine Eigentum!</p>
<p>Es geh&ouml;rt die ganze unversch&auml;mte Trivialit&auml;t von Thiers dazu, um die
englische Konzentration des Arbeitsinstruments, des Bodens, wodurch Anwendung der Maschinerie
und der Teilung der Arbeit im gro&szlig;en auf die Agrikultur m&ouml;glich gemacht wird, die
Wechselwirkung der englischen Industrie und des englischen Handels auf die Agrikultur, um alle
diese vielverzweigten Verh&auml;ltnisse in die eine nichtssagende Phrase aufzul&ouml;sen, die
Engl&auml;nder zahlen <i>keine Grundsteuer</i>.</p>
<p>Der Ansicht des Herrn Thiers, da&szlig; die jetzige Hypothekenwirtschaft in Frankreich
gleichg&uuml;ltig f&uuml;r die Agrikultur ist, setzen wir die Ansicht des gr&ouml;&szlig;ten
franz&ouml;sischen agronomischen Chemikers entgegen. <i>Dombasle</i> hat ausf&uuml;hrlich
bewiesen, da&szlig;, wenn das jetzige Hypothekenwesen sich <i>"der Natur"</i> gem&auml;&szlig;
in Frankreich fortentwickelt, die franz&ouml;sische Agrikultur zu einer Unm&ouml;glichkeit
werden wird.</p>
<p>Welche freche Flachheit geh&ouml;rt &uuml;berhaupt dazu, zu behaupten, der Agrikultur seien
die Grundeigentumsverh&auml;ltnisse gleichg&uuml;ltig, mit andern Worten, <a name=
"S426"><b>&lt;426&gt;</b></a> der Produktion seien die gesellschaftlichen Verh&auml;ltnisse
gleichg&uuml;ltig, innerhalb deren produziert wird?</p>
<p>Es bedarf &uuml;brigens keiner weitern Auseinandersetzung, da&szlig; Herr Thiers, der den
Kredit der gro&szlig;en Kapitalisten erhalten will, den kleinen keinen Kredit geben darf. Der
Kredit der gro&szlig;en Kapitalisten ist eben die Kreditlosigkeit der kleinen. Wir leugnen
allerdings, da&szlig; es m&ouml;glich ist, den kleinen Grundeigent&uuml;mern innerhalb des
jetzigen Systems durch irgendein finanzielles Kunstst&uuml;ck aufzuhelfen. Aber Thiers
mu&szlig;te dies behaupten, da er die jetzige Welt f&uuml;r die beste der Welten ansieht.</p>
<p>In bezug auf diesen Teil von Thiers' Rede bemerken wir daher nur noch eins: Indem er gegen
die Mobilisation des Grundeigentums spricht und andererseits die englischen Verh&auml;ltnisse
preist, vergi&szlig;t er, da&szlig; die Agrikultur in England gerade im h&ouml;chsten Grade
<i>den</i> Vorzug besitzt, da&szlig; sie fabrikm&auml;&szlig;ig betrieben wird und da&szlig;
die Grundrente, d.h. das Grundeigentum ein mobiles, &uuml;bertragbares B&ouml;rsenpapier wie
jedes andere ist. Fabrikm&auml;&szlig;ige Agrikultur, d.h. Betreibung der Agrikultur in der
Weise der gro&szlig;en Industrie bedingt ihrerseits Mobilisation, kaufm&auml;nnisch-leichte
Austauschbarkeit des Grundeigentums.</p>
<p>Der zweite Teil der Rede des Herrn Thiers besteht in Angriffen auf das <i>Papiergeld</i> im
allgemeinen. Er nennt die Ausgabe von Papiergeld &uuml;berhaupt <i>Falschm&uuml;nzerei</i>. Er
erz&auml;hlt uns die gro&szlig;e Wahrheit, da&szlig;, wenn man eine zu gro&szlig;e Masse
Zirkulationsmittel, d.h. Geld auf den Markt wirft, man das Geld selbst entwertet, also doppelt
betr&uuml;gt, die Privaten und den Staat. Dies sei bei den Hypothekenbanken besonders der
Fall.</p>
<p>Alles dies sind Entdeckungen, die man in den schlechtesten Katechismen der politischen
&Ouml;konomie findet.</p>
<p>Unterscheiden wir. Es ist klar, da&szlig; wir die Produktion, also den wirklichen Reichtum
nicht vermehren, indem wir das Geld, sei es Papier- oder Metallgeld, willk&uuml;rlich
vermehren. So verdoppeln wir im Kartenspiel unsere Stiche nicht, wenn wir die Spielmarken
verdoppeln.</p>
<p>Andererseits ist ebenso klar, da&szlig;, wenn die Produktion durch Mangel an Spielmarken, an
Austauschmitteln, an Geld gehemmt wird, sich zu entwickeln, jede Vermehrung der
Austauschmittel, jede Verminderung der Schwierigkeit, sich Austauschmittel zu verschaffen,
zugleich eine <i>Vermehrung der Produktion</i> ist. Diesem Produktionsbed&uuml;rfnisse
verdanken Wechsel, Banken usw. ihren Ursprung. In dieser Weise kann die Agrikultur durch
Hypothekenbanken gehoben werden.</p>
<p>Wof&uuml;r Herr Thiers aber eigentlich k&auml;mpft, ist nicht das Metallgeld gegen das
Papiergeld. Er selbst hat zu viel auf der B&ouml;rse gespielt, um in den Vor- <a name=
"S427"><b>&lt;427&gt;</b></a> urteilen der alten Merkantilisten befangen zu sein. Was er
bek&auml;mpft, ist die Regelung des Kredits durch die im Staat repr&auml;sentierte Gesellschaft
gegen die Regelung des Kredits durch das Monopol. Der Ansatz zu einer Regelung des Kredits im
allgemeinen gesellschaftlichen Interesse war eben der Turckesche Vorschlag einer allgemeinen
Hypothekenbank, deren Scheine Zwangskurs h&auml;tten, so wenig dieser Vorschlag in seiner
Isolierung bedeutet.</p>
<p><font size="2">Geschrieben von Karl Marx.</font></p>
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