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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>Franz Mehring: Karl Marx - Vorwort</TITLE>
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<!--Hier war ein falsch terminierter Kommentar -->
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<TD ALIGN="center" width="24%" height=20 valign=middle><A HREF="../../index.shtml.html"><SMALL>MLWerke</SMALL></A></TD>
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<TD ALIGN="center" width="24%" height=20 valign=middle><A HREF="fm03_000.htm"><SMALL>Inhalt</SMALL></A></TD>
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<TD ALIGN="center" width="24%" height=20 valign=middle><A HREF="fm03_007.htm"><SMALL>1.
Kapitel</SMALL></A></TD>
<TD ALIGN="center"><B>|</B></TD>
<TD ALIGN="center" width="24%" height=20 valign=middle><A HREF="../default.htm"><SMALL>Franz
Mehring</SMALL></A></TD>
</TR>
</TABLE>
<HR size="1">
<P><SMALL>Seitenzahlen nach: Franz Mehring - Gesammelte Schriften, Band 3. Berlin/DDR,
1960, S. 3-6.<BR>
1. Korrektur<BR>
Erstellt am 07.11.1999</SMALL></P>
<H2>Franz Mehring: Karl Marx - Geschichte seines Lebens</H2>
<H1>Vorwort</H1>
<hr size="1">
<P><B>|3|</B> Dies Buch hat seine kleine Geschichte. Als es sich darum handelte,
den Briefwechsel zwischen Marx und Engels herauszugeben, machte Frau Laura Lafargue
ihre Zustimmung, soweit sie notwendig war, davon abh&auml;ngig, da&szlig; ich
als ihr Vertrauensmann an der Redaktion teiln&auml;hme; in einer, aus Draveil
vom 10. November 1910 datierten Vollmacht beauftragte sie mich, die Bemerkungen,
Erl&auml;uterungen und Streichungen vorzunehmen, die ich f&uuml;r unerl&auml;&szlig;lich
hielte.</P>
<P>Von dieser Vollmacht habe ich jedoch keinen praktischen Gebrauch gemacht. Zwischen
den Herausgebern oder vielmehr dem Herausgeber Bernstein - denn Bebel gab nur
den Namen dazu her - und mir ergaben sich keine wesentlichen Meinungsverschiedenheiten,
und ihm ohne zwingenden oder mindestens dringenden Grund ins Handwerk zu pfuschen,
hatte ich, im Sinne meiner Auftraggeberin, keinen Anla&szlig;, kein Recht und
selbstverst&auml;ndlich auch keine Neigung.</P>
<P>Dagegen rundete sich mir in der langen Arbeit an diesem Briefwechsel das Bild
ab, das ich aus jahrzehntelangen Studien von Karl Marx gewonnen hatte, und so
erwuchs mir unwillk&uuml;rlich der Wunsch, diesem Bilde einen biographischen Rahmen
zu geben, zumal da ich wu&szlig;te, da&szlig; Frau Lafargue daran ihre gro&szlig;e
Freude haben w&uuml;rde. Ich hatte mir ihre Freundschaft und ihr Vertrauen erworben,
nicht etwa weil sie mich unter den Sch&uuml;lern ihres Vaters f&uuml;r den gelehrtesten
oder scharfsinnigsten, sondern nur f&uuml;r denjenigen hielt, der in sein menschliches
Wesen am tiefsten eingedrungen sei und es am treffendsten darzustellen wisse.
Brieflich wie m&uuml;ndlich hat sie mir oft versichert, wie so manche halbverklungene
Erinnerung aus ihrem elterlichen Hause durch die Schilderung in meiner Parteigeschichte
und namentlich in meiner Nachla&szlig;ausgabe ihr wieder frisch und lebendig,
wie mancher, von ihren Eltern oft geh&ouml;rter Name ihr erst durch mich aus einem
blo&szlig;en Schatten zu einer greifbaren Gestalt geworden sei.</P>
<P>Leider starb die edle Frau, lange ehe der Briefwechsel ihres Vaters mit <B>|4|</B><A name="S4"></A>
Engels herausgegeben werden konnte. Wenige Stunden, ehe sie in den Freitod ging,
sandte sie mir noch ein herzliches Wort des Gru&szlig;es. Sie hatte den gro&szlig;en Sinn
ihres Vaters geerbt, und ich danke es ihr noch im Grabe, da&szlig; sie mir manchen Schatz
aus seinem Nachla&szlig; zur Herausgabe anvertraut hat, ohne auch nur den leisesten
Versuch, mein kritisches Urteil dar&uuml;ber zu beeinflussen. So erhielt ich von ihr
die Briefe Lassalles an ihren Vater, obgleich sie aus meiner Parteigeschichte
wu&szlig;te, wie entschieden und wie oft ich das Recht Lassalles gegen ihren Vater vertreten
hatte. Nicht ein &Auml;derchen von dem Wesen dieser gro&szlig;herzigen Frau verrieten dagegen
zwei Zionsw&auml;chter des Marxismus, die, als ich nunmehr zur Ausf&uuml;hrung meines biographischen
Vorhabens schritt, in das Horn der sittlichen Entr&uuml;stung stie&szlig;en, weil ich in
der &raquo;Neuen Zeit&laquo; einige Bemerkungen &uuml;ber Lassalles und Bakunins Beziehungen zu
Marx ge&auml;u&szlig;ert hatte, ohne dabei den geb&uuml;hrenden Kotau vor der offiziellen Parteilegende
zu machen. Zuerst zieh mich K. Kautsky der &raquo;Marxfeindschaft&laquo; im allgemeinen und
eines angeblich an Frau Lafargue begangenen Vertrauensbruchs&laquo; im besonderen, und
als ich gleichwohl auf meiner Absicht beharrte, die Biographie von Marx zu schreiben,
opferte er von dem bekanntlich sehr kostbaren Raum der &raquo;Neuen Zeit&laquo; nicht weniger
als einige sechzig Seiten einem Pamphlet, worin mich N. Rjasanow - unter einer
Flut von Beschuldigungen, deren Gewissenlosigkeit etwa auf gleicher H&ouml;he mit ihrer
Sinnlosigkeit stand - des schn&ouml;desten Verrats an Marx &uuml;berf&uuml;hren wollte. Ich habe
diesen Leuten das letzte Wort geg&ouml;nnt, aus einer Empfindung heraus, die ich aus
Gr&uuml;nden der H&ouml;flichkeit nicht beim richtigen Namen nennen will, schulde aber mir
selbst festzustellen, da&szlig; ich ihrem Gesinnungsterrorismus nicht um Haaresbreite
nachgegeben, sondern auf den nachfolgenden Bl&auml;ttern die Beziehungen Lassalles
und Bakunins zu Marx, unter g&auml;nzlicher Mi&szlig;achtung der Parteilegende, nach den
Geboten der geschichtlichen Wahrheit dargestellt habe. Nat&uuml;rlich habe ich dabei
wieder von jeder Polemik abgesehen, jedoch in den Anmerkungen einige Hauptanklagen
der Kautsky und Rjasanow gegen mich ein wenig niedriger geh&auml;ngt, zu Nutz und Frommen
j&uuml;ngerer Arbeiter auf diesem Gebiet, denen das Gef&uuml;hl absoluter Wurstigkeit gegen
die Anf&auml;lle des Marxpfaffentums nicht fr&uuml;h genug eingeimpft werden kann. W&auml;re
Marx in der Tat der langweilige Musterknabe gewesen, den die Marxpfaffen in ihm
bewundern, so h&auml;tte es mich nie gereizt, seine Biographie zu schreiben. Meine
Bewunderung wie meine Kritik - und zu einer guten Biographie geh&ouml;rt die eine wie
die andere in gleichem <B><A NAME="S5">|5|</A></B> Ma&szlig;e - gilt dem gro&szlig;en
Menschen, der nichts h&auml;ufiger und nichts lieber von sich bekannte, als da&szlig;
ihm nichts Menschliches fremd sei. Ihn in seiner m&auml;chtig-rauhen Gr&ouml;&szlig;e
nachzuschaffen, war die Aufgabe, die ich mir gestellt hatte.</P>
<P>Das Ziel bestimmte dann auch schon den Weg zum Ziele. Alle Geschichtsschreibung
ist zugleich Kunst und Wissenschaft, und zumal die biographische Darstellung.
Ich wei&szlig; im Augenblick nicht, welcher trockene Hecht den famosen Gedanken
geboren hat, da&szlig; &auml;sthetische Gesichtspunkte in den Hallen der historischen
Wissenschaft nichts zu suchen h&auml;tten. Aber ich mu&szlig;, vielleicht zu meiner
Schande, offen gestehen, da&szlig; ich die b&uuml;rgerliche Gesellschaft nicht
so gr&uuml;ndlich hasse wie jene strengeren Denker, die, um dem guten Voltaire
eins auszuwischen, die langweilige Schreibweise f&uuml;r die einzig erlaubte erkl&auml;ren.
Marx selbst war in diesem Punkte auch des Verdachts verd&auml;chtig: mit seinen
alten Griechen rechnete er Klio zu den neun Musen. In der Tat, die Musen schm&auml;ht
nur, wer von ihnen verschm&auml;ht worden ist.</P>
<P>Wenn ich danach die Zustimmung des Lesers zu der von mir gew&auml;hlten Form
voraussetzen darf, so mu&szlig; ich um so mehr einige Nachsicht f&uuml;r den Inhalt
erbitten. Ich stand hier von vornherein einer unerbittlichen Notwendigkeit gegen&uuml;ber:
der Notwendigkeit, den Band nicht zu sehr anschwellen zu lassen, wenn er, selbst
f&uuml;r vorgeschrittene Arbeiter, noch erreichbar und verst&auml;ndlich bleiben
sollte; ohnehin hat er schon das Anderthalbfache des urspr&uuml;nglich geplanten
Umfangs erreicht. Wie oft mu&szlig;te ich mich mit einem Worte begn&uuml;gen,
wo ich lieber eine Zeile, mit einer Zeile, wo ich lieber eine Seite, mit einer
Seite, wo ich lieber einen Bogen geschrieben h&auml;tte! Besonders hat unter diesem
&auml;u&szlig;eren Zwange die Analyse der wissenschaftlichen Schriften von Marx
gelitten. Um dar&uuml;ber von vornherein keinen Zweifel zu lassen, habe ich den,
bei der Biographie eines gro&szlig;en Schriftstellers herk&ouml;mmlichen Untertitel:
Geschichte seines Lebens und seiner Schriften, um die zweite H&auml;lfte gek&uuml;rzt.</P>
<P>Sicherlich beruht die unvergleichliche Gr&ouml;&szlig;e von Marx nicht zuletzt
darin, da&szlig; in ihm der Mann des Gedankens und der Mann der Tat unzertrennlich
verbunden waren, da&szlig; sie sich gegenseitig erg&auml;nzten und unterst&uuml;tzten.
Aber es ist doch nicht minder sicher, da&szlig; der K&auml;mpfer in ihm allemal
den Vortritt nahm vor dem Denker. Sie dachten darin alle gleich, unsere gro&szlig;en
Bahnbrecher, wie Lassalle es einmal ausgedr&uuml;ckt hat: wie gerne wolle er ungeschrieben
lassen, was er wisse, wenn nur endlich einmal die Stunde praktischen Handelns
schl&uuml;ge. Und wie recht sie damit hatten, haben wir schaudernd in unseren
Zeitl&auml;uften <A NAME="S6"></A><B>|6|</B> erlebt, wo ernste Forscher, die drei
oder sogar vier Jahrzehnte &uuml;ber jedem Komma in Marxens Werken gebr&uuml;tet
hatten, sich in einer geschichtlichen Stunde, wo sie einmal wie Marx handeln konnten
und sollten, sich doch nur wie trillernde Wetterh&auml;hne um sich selbst zu drehen
wu&szlig;ten.</P>
<P>Verhehlen will ich deshalb aber doch nicht, da&szlig; ich mich nicht vor anderen
berufen gef&uuml;hlt h&auml;tte, alle Grenzen des ungeheuren Wissensgebiets zu
umschreiten, das Marx beherrscht hat. Schon f&uuml;r die Aufgabe, im engen Rahmen
meiner Darstellung ein durchsichtig klares Bild vom zweiten und dritten Bande
des &raquo;Kapitals&laquo; zu geben, habe ich die Hilfe meiner Freundin Rosa Luxemburg angerufen.
Die Leser werden es ihr ebenso danken wie ich selbst, da&szlig; sie meinem Wunsche
bereitwillig entsprochen hat; der dritte Abschnitt des zw&ouml;lften Kapitels
ist von ihr verfa&szlig;t worden.</P>
<P>Es macht mich gl&uuml;cklich, dieser Schrift ein Schmuckst&uuml;ck ihrer Feder
einzuverleiben, wie es mich nicht minder gl&uuml;cklich macht, da&szlig; unsere
gemeinsame Freundin Clara Zetkin-Zundel mir gestattet hat, mein Schifflein unter
ihrem Wimpel auf die hohe See zu senden. Die Freundschaft dieser Frauen ist mir
ein unsch&auml;tzbarer Trost gewesen, in einer Zeit, in deren St&uuml;rmen so
viele &raquo;mannhafte und unentwegte Vork&auml;mpfer&laquo; des Sozialismus davongewirbelt
sind wie d&uuml;rre Bl&auml;tter im Herbstwind.</P>
<P>Steglitz-Berlin, im M&auml;rz 1918</P>
<P ALIGN="RIGHT">FRANZ MEHRING</P>
<HR size="1" align="left" width="200">
<P><SMALL>Pfad: &raquo;../mh/mh03&laquo;<BR>
Verkn&uuml;pfte Dateien: &raquo;<A href="http://www.mlwerke.de/css/format.css">../../css/format.css</A>&laquo;
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Kapitel</SMALL></A></TD>
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Mehring</SMALL></A></TD>
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