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<meta name="generator" content="HTML Tidy for Windows (vers 1st August 2002), see www.w3.org">
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<title>Lenin: Antwort an P. Kijewski (1916)</title>
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<tr>
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<td bgcolor="black" width="1" rowspan="3"><!-- dies ist nur der Rahmen! -->
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</td>
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<div class="Vorspann">
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<h1>Antwort an P. Kijewski (J. Pjatakow)</h1>
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<p class="Autorinfo">W.I. Lenin</p>
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<p class="ErstPub">Geschrieben im August-September 1916.<a class="FNZeichen" name="FNanker1" href="le23_011.htm#FNtext1">1</a><br/>
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Zuerst veröffentlicht 1929 in der Zeitschrift »Proletarskaja Revoluzija«<br>
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(Die proletarische Revolution) Nr. 7.</p>
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<p class="RedNote">Gedruckt nachzulesen in: Lenin Werke, Band 23, Seite 11-17, Dietz Verlag Berlin, 1972</p>
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<div class="Textteil">
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<p>Wie jede Krisis im Leben des Menschen oder in der Geschichte der Völker hat der Krieg
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die Wirkung, daß er die einen niederdrückt und zerbricht, die anderen aber
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stählt und klarer sehen läßt.</p>
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<p>Diese Wahrheit gilt auch für das Gebiet des sozialdemokratischen Denkens über den
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Krieg und im Zusammenhang mit dem Krieg. Es sind zwei verschiedene Dinge, ob man sich
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möglichst tief hineinzudenken versucht in die Ursachen und die Bedeutung des
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imperialistischen Krieges auf dem Boden des hochentwickelten Kapitalismus, in die taktischen
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Aufgaben der Sozialdemokratie in Verbindung mit dem Krieg, in die Ursachen der Krise der
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Sozialdemokratie und so weiter, oder ob man zuläßt, daß der Krieg das eigene
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Denken <i>unterdrückt</i>, ob man <i>unter dem Druck</i> der entsetzlichen Erlebnisse und
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der quälenden Folgen oder Erscheinungen des Krieges aufhört zu argumentieren und zu
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analysieren.</p>
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<p>Eine der Formen, in der sich die durch den Krieg hervorgerufene <i>Lähmung</i> oder
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<i>Bedrückung</i> des Denkens der Menschen äußert, ist das geringschätzige
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Verhalten des »imperialistischen Ökonomismus« zur <i>Demokratie</i>. P.
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Kijewski merkt nicht, daß sich dieses durch den Krieg bedingte Niedergedrücktsein,
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Eingeschüchtertsein, dieser Verzicht auf eine Analyse wie ein roter Faden durch alle seine
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Argumentationen zieht. Was hat es für einen Sinn, von Vaterlandsverteidigung zu reden,
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wenn sich vor unseren Augen ein derart bestialisches Gemetzel abspielt! Was hat es für
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einen Sinn, von den Rechten der Nationen zu reden, wenn nichts als unverhüllte
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Unterdrückung herrscht! Wie kann man da von Selbstbestimmung, von
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»Unabhängigkeit« der Nationen reden, wenn ... schaut, wie man mit dem
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»unabhängigen« Griechenland verfahren ist! Wozu überhaupt von
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»Rechten« reden oder darüber nachdenken, wenn überall im Interesse der
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Militärkamarilla alle Rechte mit Füßen getreten werden! Wozu überhaupt von
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der Republik reden oder an sie denken, wenn in diesem Krieg nicht der geringste,
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buchstäblich absolut kein Unterschied mehr zwischen den demokratischsten Republiken und
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den reaktionärsten Monarchien geblieben, ja ringsum keine Spur davon zu sehen ist!</p>
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<p>P. Kijewski wird sehr böse, wenn man ihm sagt, daß er sich hat einschüchtern
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lassen, daß er sich bis zur Ablehnung der Demokratie überhaupt hat fortreißen
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lassen, er wird böse und entgegnet: Ich bin durchaus nicht gegen die Demokratie, sondern
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nur gegen <i>eine</i> demokratische Forderung, die ich für »schlecht« halte.
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Aber wie böse P. Kijewski auch werden mag, wie sehr er uns (und vielleicht auch sich
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selber) »versichert«, er wäre durchaus nicht »gegen« die
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Demokratie, seine <i>Argumentationen</i> - oder richtiger: seine ununterbrochenen <i>Fehler</i>
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in den Argumentationen - <i>beweisen</i> das Gegenteil.</p>
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<p>Die Vaterlandsverteidigung ist eine Lüge im imperialistischen Krieg, aber durchaus
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keine Lüge in einem demokratischen und revolutionären Krieg. Während eines
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Krieges scheint es lächerlich, von »Rechten« zu sprechen, denn <i>jeder</i>
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Krieg setzt die direkte und unmittelbare Gewalt an die Stelle des Rechts, aber deswegen darf
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man nicht vergessen, daß es in der Vergangenheit, in der Geschichte Kriege (demokratische
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und revolutionäre Kriege) gegeben hat (und gewiß auch künftig geben wird und
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geben muß), die, obwohl sie für die Zeit des Krieges jedes »Recht«, jede
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Demokratie durch Gewalt ersetzen, ihrem sozialen Gehalt und ihren Folgen nach der Sache der
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Demokratie und <i>folglich</i> auch des Sozialismus <i>dienten</i>. Das Beispiel Griechenland
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scheint jede Selbstbestimmung der Nationen zu »widerlegen«, aber dieses Beispiel
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ist, wenn man denken, analysieren, abwägen will und sich nicht durch einen leeren Schall
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von Worten betäuben, sich nicht vom Druck der entsetzlichen Kriegserlebnisse
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überwältigen läßt - dieses Beispiel ist keineswegs ernster und
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überzeugender als die Spötteleien über die Republik auf Grund der Tatsache,
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daß die »demokratischen«, die allerdemokratischsten Republiken - nicht nur
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Frankreich, sondern auch die Vereinigten Staaten, Portugal und die Schweiz - während des
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Krieges genau dieselbe Willkürherrschaft der Militärkamarilla errichtet haben und
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errichten wie Rußland.</p>
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<p>Es ist eine Tatsache, daß der imperialistische Krieg den Unterschied zwischen Republik
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und Monarchie verwischt, aber sich dadurch zur Ablehnung der Republik oder auch nur zu einem
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geringschätzigen Verhalten der Republik gegenüber verleiten lassen heißt sich
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durch den Krieg einschüchtern lassen, das eigne Denken von den Schrecken des Krieges
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<i>unterdrücken</i> lassen. Und ebenso argumentieren viele Anhänger der
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»Entwaffnungs«losung (Roland-Holst, die Schweizer »Jungen«, die
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skandinavischen »Linken«<a class="FNZeichen" name="FNanker2" href="le23_011.htm#FNtext2">2</a> u.a.):
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Was hat es schon für einen Sinn, sagen sie, von revolutionärer Ausnutzung
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des Heeres oder der Miliz zu reden, wo doch - seht nur hin!
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gibt es denn in diesem Krieg einen Unterschied zwischen der Miliz der Republiken und dem
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stehenden Heer der Monarchien? - wo doch der Militarismus <i>überall</i> so entsetzlich
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wütet?</p>
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<p>Das ist <i>ein und derselbe</i> Gedankengang, <i>ein und derselbe</i> theoretische und
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praktisch-politische Fehler, den P. Kijewski nicht bemerkt und in seinem Artikel
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buchstäblich auf Schritt und Tritt wiederholt. Er <i>glaubt</i>, nur gegen die
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Selbstbestimmung zu polemisieren, er <i>will</i> nur gegen sie polemisieren, und <i>heraus</i>
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kommt bei ihm - gegen sein Wollen und Wissen, das ist ja das Kuriose! - heraus kommt, daß
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er <i>kein einziges</i> Argument anführt, das nicht mit dem gleichen Recht gegen die
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Demokratie schlechthin angeführt werden könnte!</p>
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<p>Die wirkliche Quelle aller seiner kuriosen logischen Fehler, dieser ganzen Konfusion - nicht
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nur in der Frage der Selbstbestimmung, sondern auch in der Frage der Vaterlandsverteidigung, in
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der Frage der Ehescheidung, in der Frage der »Rechte« überhaupt - besteht
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darin, daß sein Denken durch den Krieg <i>unterdrückt</i> ist, daß infolge
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dieses Unterdrücktseins das Verhältnis des Marxismus zur Demokratie überhaupt
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völlig entstellt wird.</p>
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<p>Der Imperialismus ist hochentwickelter Kapitalismus; der Imperialismus ist progressiv; der
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Imperialismus ist die Verneinung der Demokratie; »also« ist die Demokratie im
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Kapitalismus »unrealisierbar«. Der imperialistische Krieg ist sowohl in den
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rückständigen Monarchien als auch in den fortschrittlichen Republiken eine
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himmelschreiende Verletzung jeder Demokratie; »also« hat es auch keinen Sinn, von
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»Rechten« (d.h. von Demokratie!) zu reden. Dem imperialistischen Krieg kann man
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»nur« den Sozialismus »entgegenstellen«; der »Ausweg« ist
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nur der Sozialismus; »also« ist es ein Betrug oder eine Illusion oder eine
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Verdunkelung, ein Hinausschieben usw. der Losung der sozialistischen Umwälzung, wenn man
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im Minimalprogramm, d.h. schon im Kapitalismus, demokratische Losungen aufstellt.</p>
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<p>Das ist die wirkliche, P. Kijewski nicht bewußte, aber wirkliche Quelle seines ganzen
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Mißgeschicks. Das ist sein <i>grundlegende</i> logischer Fehler, der gerade deswegen,
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weil er, vom Verfasser nicht erkannt, allem zugrunde liegt, auf Schritt und Tritt wie ein
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brüchiger Fahrradreifen »platzt«, und immer wieder »auftaucht«,
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bald in der Frage der Vaterlandsverteidigung, bald in der Frage der Ehescheidung oder auch in
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der Phrase von den »Rechten«, jener grandiosen (grandios in der Tiefe der
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Verachtung der »Rechte« und in der Tiefe des Nichtverstehens der Sache) Phrase:
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<i>nicht</i> von Rechten wird die Rede sein, <i>sondern</i> von der Vernichtung der
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jahrhundertelangen Sklaverei!</p>
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<p>Eine solche Phrase von sich geben heißt eben zeigen, daß man das Verhältnis
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zwischen Kapitalismus und Demokratie, zwischen Sozialismus und Demokratie nicht begriffen
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hat.</p>
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<p>Der Kapitalismus überhaupt und der Imperialismus insbesondere verwandelt die Demokratie
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in eine Illusion - und zugleich erzeugt der Kapitalismus demokratische Bestrebungen in den
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Massen, schafft er demokratische Einrichtungen, verschärft er den Antagonismus zwischen
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dem die Demokratie negierenden Imperialismus und den zur Demokratie strebenden Massen. Der
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Kapitalismus und der Imperialismus können durch keinerlei, auch nicht durch die
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»idealsten« demokratischen Umgestaltungen, sondern nur durch eine ökonomische
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Umwälzung beseitigt werden; ein Proletariat aber, das nicht im Kampf für die
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Demokratie erzogen wird, ist unfähig, die ökonomische Umwälzung zu vollziehen.
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Man kann den Kapitalismus nicht besiegen, ohne <i>die Banken in Besitz zu nehmen</i>, ohne das
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<i>Privateigentum</i> an den Produktionsmitteln aufzuheben, aber man kann diese
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revolutionären Maßnahmen nicht durchführen, ohne die demokratische Verwaltung
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der der Bourgeoisie fortgenommenen Produktionsmittel durch das ganze Volk zu organisieren, ohne
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die ganze Masse der Werktätigen, sowohl der Proletarier und Halbproletarier als auch die
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Kleinbauern, zur demokratischen Organisierung ihrer Reihen, ihrer Kräfte und ihrer
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Teilnahme am Staat heranzuziehen. Der imperialistische Krieg ist sozusagen eine dreifache
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Negierung der Demokratie (a - jeder Krieg ersetzt die »Rechte« durch Gewalt; b -
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der Imperialismus ist überhaupt die Negierung der Demokratie; c - der imperialistische
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Krieg gleicht die Republiken völlig den Monarchien an), aber das Erwachen und das
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Anwachsen der sozialistischen Erhebung gegen den Imperialismus sind <i>untrennbar</i> verbunden
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mit einem Anwachsen der demokratischen Abwehr und Empörung. Der Sozialismus führt zum
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Absterben <i>jedes</i> Staates, folglich auch jeder Demokratie, aber der Sozialismus ist nicht
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anders zu verwirklichen, als <i>über</i> die Diktatur des Proletariats, welche die Gewalt
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gegen die Bourgeoisie, d.h. gegen die Minderheit der Bevölkerung, mit der <i>vollen</i>
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Entfaltung der Demokratie vereinigt, d.h. mit der wirklich gleichberechtigten und wirklich
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allgemeinen Beteiligung der <i>gesamten</i> Masse der Bevölkerung an allen
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<i>Staats</i>angelegenheiten und allen komplizierten Fragen der Liquidierung des
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Kapitalismus.</p>
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<p>Das sind die »Widersprüche«, die P. Kijewski verwirrt haben, weil der die
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Lehre des Marxismus von der Demokratie vergessen hat. Der Krieg hat, bildlich gesprochen, sein
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Denken so sehr unterdrückt, daß er jedes Denken durch den Agitationsruf »Fort
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aus dem Imperialismus« ersetzt, genauso wie durch den Ruf »Fort aus den
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Kolonien« die Analyse dessen ersetzt wird, was eigentlich - ökonomisch und politisch
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- das »Fortgehen« der zivilisierten Völker »aus den Kolonien«
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<i>bedeutet</i>.</p>
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<p>Die marxistische Lösung der Frage der Demokratie besteht darin, daß das seinen
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Klassenkampf führende Proletariat <i>alle</i> demokratischen Einrichtungen und
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Bestrebungen gegen die Bourgeoisie <i>ausnutzt</i>, um den Sieg des Proletariats über die
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Bourgeoisie, den Sturz der Bourgeoisie vorzubereiten. Diese Ausnutzung ist keine leichte Sache,
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und die »Ökonomisten«, die Tolstoianer usw. sehen darin oft ein ebensolches
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ungerechtfertigtes Zugeständnis an das »Bürgerliche« und das
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Opportunistische, wie P. Kijewski in der Verfechtung der Selbstbestimmung der Nationen
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»in der Epoche des Finanzkapitals« ein ungerechtfertigtes Zugeständnis an das
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Bürgerliche sieht. Der Marxismus lehrt: Der »Kampf gegen den Opportunismus« in
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der Form, daß man auf die Ausnutzung der von der Bourgeoisie geschaffenen und von der
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Bourgeoisie zum Zerrbild gemachten demokratischen Einrichtungen in der <i>gegebenen</i>,
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kapitalistischen Gesellschaft verzichtet, ist gleichbedeutend mit der <i>völligen
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Kapitulation</i> vor dem Opportunismus!</p>
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<p>Die Losung, die sowohl den schnellsten Ausweg aus dem imperialistischen Krieg als auch den
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<i>Zusammenhang</i> unseres Kampfes gegen ihn mit dem Kampf gegen den Opportunismus zeigt, ist
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der <i>Bürgerkrieg</i> für den Sozialismus. Nur diese Losung berücksichtigt
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richtig sowohl die Besonderheit der Kriegszeit - der Krieg zieht sich in die Länge und
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droht zu einer ganzen Kriegs»epoche« zu werden! - als auch den ganzen Charakter
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unserer Tätigkeit als Gegengewicht gegen den Opportunismus mit seinem Pazifismus, seinem
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Legalismus, seiner Anpassung an die »eigene« Bourgeoisie. Aber außerdem ist
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der Bürgerkrieg gegen die Bourgeoisie der <i>demokratisch</i> organisierte und
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geführte Krieg der Massen der Besitzlosen gegen die Minderheit der Besitzenden. Der
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Bürgerkrieg ist ebenfalls Krieg, folglich muß auch er unvermeidlich die Gewalt an
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die Stelle des Rechts setzen. Aber die Gewalt im Namen der Interessen und Rechte der Mehrheit
|
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der Bevölkerung zeichnet sich durch einen anderen Charakter aus: sie tritt die
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»Rechte« der Ausbeuter, der Bourgeoisie nieder und ist <i>nicht zu
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verwirklichen</i> ohne eine demokratische Organisierung der Truppen des
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»Hinterlands«. Der Bürgerkrieg expropriiert mit Gewalt sofort und in erster
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Linie die Banken, die Fabriken, die Eisenbahnen, die großen landwirtschaftlichen
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Güter usw. Aber gerade <i>deswegen</i>, <i>um</i> das alles zu expropriieren, muß
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man sowohl die Wahl aller Beamten durch das Volk als auch die Wahl der Offiziere durch das Volk
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einführen, muß man die <i>völlige Verschmelzung</i> der Armee, die den Krieg
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gegen die Bourgeoisie führt, mit der Masse der Bevölkerung sowie vollständige
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Demokratie in der Verfügung über die Lebensmittelvorräte, ihrer Produktion und
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|
Verteilung einführen usw. Das Ziel des Bürgerkriegs ist die Inbesitznahme der Banken,
|
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der Fabriken und Betriebe usw., die Ausschaltung jeder Möglichkeit des Widerstands der
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Bourgeoisie, die Vernichtung <i>ihrer</i> Truppen. Aber dieses Ziel ist <i>weder</i> von der
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rein militärischen <i>noch</i> von der ökonomischen, <i>noch</i> auch von der
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politischen Seite her zu erreichen ohne die gleichzeitige, im Verlauf eines solchen Krieges zur
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|
Entfaltung kommende Einführung und Ausbreitung der Demokratie in <i>unserer</i> Truppe und
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in <i>unserem</i> »Hinterland«. Wir sagen heute den Massen (und die Massen
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fühlen instinktiv, daß wir recht haben, wenn wir ihnen das sagen): »Man
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|
betrügt euch, denn man führt euch um des imperialistischen Kapitalismus willen in den
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|
Krieg und bemäntelt ihn mit den großen Losungen der Demokratie.« »Ihr
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müßt und ihr werdet <i>wirklich</i> demokratisch Krieg führen <i>gegen</i> die
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|
Bourgeoisie, mit dem Ziel, Demokratie und Sozialismus tatsächlich zu verwirklichen.«
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Der jetzige Krieg vereinigt und »verschmilzt« die Völker zu Koalitionen durch
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|
Gewalt und finanzielle Abhängigkeit. <i>Wir</i> werden in unserem Bürgerkrieg gegen
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|
die Bourgeoisie die Völker <i>nicht</i> durch die Gewalt des Rubels, <i>nicht</i> durch
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|
die Gewalt des Prügels, nicht durch Zwang, sondern durch das <i>freiwillige</i>
|
|
Einverständnis, durch die Solidarität der Werktätigen gegen die Ausbeuter
|
|
vereinigen und verschmelzen. Die Proklamation der gleichen Rechte aller Nationen ist für
|
|
die Bourgeoisie zum Betrug geworden, für uns wird sie Wahrheit sein, eine Wahrheit, die
|
|
die Gewinnung aller Nationen für unsere Sache erleichtern und beschleunigen wird. Ohne die
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|
<i>demokratische</i> Organisierung der Beziehungen zwischen den Nationen in der Praxis - und
|
|
folglich auch ohne die Freiheit der staatlichen Lostrennung - ist der Bürgerkrieg der
|
|
Arbeiter und der Werktätigen aller Nationen gegen die Bourgeoisie
|
|
<i>unmöglich</i>.</p>
|
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|
<p>Über die Ausnutzung des bürgerlichen Demokratismus zur sozialistischen und
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|
konsequent-demokratischen Organisation des Proletariats gegen die Bourgeoisie und gegen den
|
|
Opportunismus - einen anderen Weg gibt es nicht. Ein anderer »Ausweg« ist
|
|
<i>kein</i> Ausweg. Einen anderen Ausweg kennt der Marxismus nicht, wie ihn auch das wirkliche
|
|
Leben nicht kennt. Die freie Lostrennung und die freie Vereinigung der Nationen müssen wir
|
|
in diesen selben Weg einbeziehen, wir dürfen ihnen nicht ausweichen, dürfen nicht
|
|
fürchten, daß das die »rein« ökonomischen Aufgaben
|
|
»beschmutzen« wird.</p>
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|
|
<hr>
|
|
</div>
|
|
|
|
<div class="Fussnoten">
|
|
<h4>Fußnoten:</h4>
|
|
|
|
<p><a class="FNZeichen" href="le23_011.htm#FNanker1" name="FNtext1">1</a>
|
|
Der Artikel ist eine Antwort auf den Artikel P. Kijewskis (J. Pjatakows) über das
|
|
Recht der Nationen auf Selbstbestimmung. Das Manuskript trägt den Vermerk Lenins:
|
|
»Kijewskis Artikel über die Selbstbestimmung und Lenins Antwort auf den
|
|
Artikel«. Etwas später behandelte Lenin diese Frage in der umfangreichen Arbeit
|
|
»Über eine Karrikatur auf den Marxismus und über den 'imperialistischen
|
|
Ökonomismus'«. (Lenin Werke, Band 23, Seite 18-71.)</p>
|
|
|
|
<p><a class="FNZeichen" href="le23_011.htm#FNanker2" name="FNtext2">2</a>
|
|
Lenin meint die Beiträge der holländischen Sozialdemokratin Henriette
|
|
Roland-Holst in der Zeitschrift der Schweizer Sozialdemokratischen Partei »Neues
|
|
Leben« vom Oktober-November und Dezember 1915, einen redaktionellen Artikel im Organ
|
|
der »Jungen« (der internationalen Verbindung sozialistischer
|
|
Jugendorganisationen), der »Jugend-Internationale« Nr. 3, März 1916, und die
|
|
Erklärung der skandinavischen Linken.<br>
|
|
Lenin kritisiert die Losung der »Entwaffnung« in den Artikeln »Das
|
|
Militärprogramm der proletarischen Revolution« und »Über die Losung der
|
|
'Entwaffnung'«. (Siehe Lenin Werke, Band 23, S. 72-83 und 91-101.)</p>
|
|
</div>
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<hr>
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</body>
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</html>
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