4095 lines
191 KiB
HTML
4095 lines
191 KiB
HTML
<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 3.2//EN">
|
||
<HTML>
|
||
|
||
<HEAD>
|
||
|
||
<TITLE>Rosa Luxemburg - Sozialreform oder Revolution?</TITLE>
|
||
|
||
<META HTTP-EQUIV="Content-Type" CONTENT="text/html; charset=ISO-8859-1">
|
||
<link rel=stylesheet type="text/css" href="http://www.mlwerke.de/css/format.css">
|
||
</HEAD>
|
||
<BODY link="#6000FF" vlink="#8080C0" alink="#FF0000" bgcolor="#FFFFCC">
|
||
|
||
<TABLE width="100%" border="0" align="center" cellspacing=0 cellpadding=0>
|
||
<TR>
|
||
<TD ALIGN="center" width="49%" height=20 valign=middle><A HREF="../index.shtml.html"><SMALL>MLWerke</SMALL></A></TD>
|
||
<TD ALIGN="center">|</TD>
|
||
<TD ALIGN="center" width="49%" height=20 valign=middle><A HREF="default.htm"><SMALL>Rosa Luxemburg</SMALL></A></TD>
|
||
</TR>
|
||
</TABLE>
|
||
<HR size="1">
|
||
<H2>Rosa Luxemburg</H2>
|
||
<H1> Sozialreform oder Revolution?</H1>
|
||
<p>Berlin 1899</p>
|
||
<p>Inhalt:</p>
|
||
<p><a href="lue.htm#Vorwort">Vorwort </a></p>
|
||
<p><B>Erster Teil </B></p>
|
||
<p><a href="lue.htm#1_1">1. Die opportunistische Methode</a><BR>
|
||
<a href="lue.htm#1_2">2. Anpassung des
|
||
Kapitalismus</a><BR>
|
||
<a href="lue.htm#1_3">3.
|
||
Einführung des Sozialismus durch soziale Reformen</a><BR>
|
||
<a href="lue.htm#1_4">4. Zollpolitik und Militarismus</a><BR>
|
||
<a href="lue.htm#1_5">5. Praktische Konsequenzen und allgemeiner Charakter des Revisionismus</a></p>
|
||
<p><B>Zweiter Teil</B></p>
|
||
<p><a href="lue.htm#2_1">1. Die ökonomische
|
||
Entwicklung und der Sozialismus</a><BR>
|
||
<a href="lue.htm#2_2">2. Gewerkschaften, Genossenschaften und politische Demokratie</a><BR>
|
||
<a href="lue.htm#2_3">3. Die Eroberung der
|
||
politischen Macht</a><BR>
|
||
<a href="lue.htm#2_4">4. Der Zusammenbruch</a><BR>
|
||
<a href="lue.htm#2_5">5. Der Opportunismus in Theorie
|
||
und Praxis </a></p>
|
||
<HR size="1">
|
||
<H3 align="center"><A name="Vorwort">Vorwort</A></H3>
|
||
<p>Der Titel der vorliegenden Schrift kann auf den ersten Blick überraschen. Sozialreform
|
||
|
||
oder Revolution? Kann denn die Sozialdemokratie gegen die Sozialreform sein? Oder kann sie
|
||
|
||
die soziale Revolution, die Umwälzung der bestehenden Ordnung, die ihr Endziel bildet,
|
||
|
||
der Sozialreform entgegenstellen? Allerdings nicht. Für die Sozialdemokratie bildet der
|
||
|
||
alltägliche praktische Kampf um soziale Reformen, um die Besserung der Lage des
|
||
|
||
arbeitenden Volkes noch auf dem Boden des Bestehenden, um die demokratischen Einrichtungen
|
||
|
||
vielmehr den einzigen Weg, den proletarischen Klassenkampf zu leiten und auf das Endziel,
|
||
|
||
auf die Ergreifung der politischen Macht und Aufhebung des Lohnsystems hinzuarbeiten. Für
|
||
|
||
die Sozialdemokratie besteht zwischen der Sozialreform und der sozialen Revolution ein
|
||
|
||
unzertrennlicher Zusammenhang, indem ihr der Kampf um die Sozialreform das Mittel, die
|
||
|
||
soziale Umwälzung aber der Zweck ist.</p>
|
||
<p>Eine Entgegenstellung dieser beiden Momente der Arbeiterbewegung finden wir erst in der
|
||
|
||
Theorie von Ed. Bernstein, wie er sie in seinen Aufsätzen: »Probleme des
|
||
|
||
Sozialismus«, in der 'Neuen Zeit' 1897/98 und namentlich in seinem Buche: »Voraussetzungen des Sozialismus« dargelegt hat. Diese ganze Theorie läuft
|
||
|
||
praktisch auf nichts anderes als auf den Rat hinaus, die soziale Umwälzung, das Endziel
|
||
|
||
der Sozialdemokratie, aufzugeben und die Sozialreform umgekehrt aus einem Mittel des
|
||
|
||
Klassenkampfes zu seinem Zwecke zu machen. Bernstein selbst hat am treffendsten und am
|
||
|
||
schärfsten seine Ansichten formuliert, indem er schrieb: »Das Endziel, was es immer sei,
|
||
|
||
ist mir Nichts, die Bewegung Alles«.</p>
|
||
<p>Da aber das sozialistische Endziel das einzige entscheidende Moment ist, das die
|
||
|
||
sozialdemokratische Bewegung von der bürgerlichen Demokratie und dem bürgerlichen
|
||
|
||
Radikalismus unterscheidet, das die ganze Arbeiterbewegung aus einer müßigen Flickarbeit
|
||
|
||
zur Rettung der kapitalistischen Ordnung in einen Klassenkampf gegen diese Ordnung, um die
|
||
|
||
Aufhebung dieser Ordnung verwandelt, so ist die Frage »Sozialreform oder
|
||
|
||
Revolution?« im Bernsteinschen Sinne für die Sozialdemokratie zugleich die Frage:
|
||
|
||
Sein oder Nichtsein? In der Auseinandersetzung mit Bernstein und seinen Anhängern,
|
||
|
||
darüber muß sich jedermann in der Partei klar werden, handelt es sich nicht um diese
|
||
|
||
oder jene Kampfweise, nicht um diese oder jene Taktik, sondern um die ganze Existenz der
|
||
|
||
sozialdemokratischen Bewegung.</p>
|
||
<p>(Bei flüchtiger Betrachtung der Bernsteinschen Theorie kann dies als eine
|
||
|
||
Übertreibung erscheinen. Spricht denn Bernstein nicht auf Schritt und Tritt von der
|
||
|
||
Sozialdemokratie und ihren Zielen, wiederholt er nicht selbst mehrmals und ausdrücklich,
|
||
|
||
daß auch er das sozialistische Endziel, nur in einer anderen Form, anstrebe, betont er
|
||
|
||
nicht mit Nachdruck, daß er die heutige Praxis der Sozialdemokratie fast gänzlich
|
||
|
||
anerkenne? Freilich ist das alles wahr. Ebenso wahr ist es aber, daß seit jeher in der
|
||
|
||
Entwicklung der Theorie und in der Politik jede neue Richtung in ihren Anfängen an die
|
||
|
||
alte, auch wenn sie im inneren Kern zu ihr in direktem Gegensatz steht, sich anlehnt, daß
|
||
|
||
sie sich zuerst den Formen anpaßt, die sie vorfindet, die Sprache spricht, die vor ihr
|
||
|
||
gesprochen wurde. Mit der Zeit erst tritt der neue Kern aus der alten Hülle hervor, und
|
||
|
||
die neue Richtung findet eigene Formen, eigene Sprache.</p>
|
||
<p>Von einer Opposition gegen den wissenschaftlichen Sozialismus erwarten, daß sie von
|
||
|
||
Anfang an ihr inneres Wesen selbst klar und deutlich bis zur letzten Konsequenz
|
||
|
||
ausspricht, daß sie die theoretische Grundlage der Sozialdemokratie offen und schroff
|
||
|
||
ableugnet, hieße die Macht des wissenschaftlichen Sozialismus unterschätzen. Wer heute
|
||
|
||
als Sozialist gelten, zugleich aber der Marxschen Lehre, dem riesenhaftesten Produkte des
|
||
|
||
menschlichen Geistes in diesem Jahrhundert, den Krieg erklären will, muß mit einer
|
||
|
||
unbewußten Huldigung an sie beginnen, indem er sich vor allem selbst zum Anhänger dieser
|
||
|
||
Lehre bekennt und in ihr selbst Stützpunkte für ihre Bekämpfung sucht, die letztere
|
||
|
||
bloß als ihre Fortentwicklung hinstellt. Unbeirrt durch diese äußeren Formen muß man
|
||
|
||
deshalb den in der Bernsteinschen Theorie steckenden Kern herausschälen, und dies ist
|
||
|
||
gerade eine dringende Notwendigkeit für die breiten Schichten der industriellen
|
||
|
||
Proletarier in unserer Partei.</p>
|
||
<p>Es kann keine gröbere Beleidigung, keine ärgere Schmähung gegen die Arbeiterschaft
|
||
|
||
ausgesprochen werden, als die Behauptung: theoretische Auseinandersetzungen seien
|
||
|
||
lediglich Sache der »Akademiker«. Schon Lassalle hat einst gesagt: Erst, wenn
|
||
|
||
Wissenschaft und Arbeiter, diese entgegengesetzten Pole der Gesellschaft, sich vereinigen,
|
||
|
||
werden sie alle Kulturhindernisse in ihren ehernen Armen erdrücken. Die ganze Macht der
|
||
|
||
modernen Arbeiterbewegung beruht auf der theoretischen Erkenntnis.)A</p>
|
||
<p>Doppelt wichtig ist aber diese Erkenntnis für die Arbeiter im gegebenen Falle, weil es
|
||
|
||
sich hier gerade um sie und ihren Einfluß in der Bewegung handelt, weil es ihre eigene
|
||
|
||
Haut ist, die hier zu Markte getragen wird. Die durch Bernstein theoretisch formulierte
|
||
|
||
opportunistische Strömung in der Partei ist nichts anderes, als eine unbewußte
|
||
|
||
Bestrebung, den zur Partei herübergekommenen kleinbürgerlichen Elementen die Oberhand zu
|
||
|
||
sichern, in ihrem Geiste die Praxis und die Ziele der Partei umzumodeln. Die Frage von der
|
||
|
||
Sozialreform und der Revolution, vom Endziel und der Bewegung ist von anderer Seite die
|
||
|
||
Frage vom kleinbürgerlichen oder proletarischen Charakter der Arbeiterbewegung.</p>
|
||
<p>(Deshalb liegt es gerade im Interesse der proletarischen Masse der Partei, sich mit der
|
||
|
||
gegenwärtigen theoretischen Auseinandersetzung mit dem Opportunismus aufs lebhafteste und
|
||
|
||
aufs eingehendste zu befassen. Solange die theoretische Erkenntnis bloß das Privilegium
|
||
|
||
einer Handvoll »Akademiker« in der Partei bleibt, droht ihr immer die Gefahr,
|
||
|
||
auf Abwege zu geraten. Erst wenn die große Arbeitermasse selbst die scharfe zuverlässige
|
||
|
||
Waffe des wissenschaftlichen Sozialismus in die Hand genommen hat, dann werden alle
|
||
|
||
kleinbürgerlichen Anwandlungen, alle opportunistischen Strömungen im Sande verlaufen.
|
||
|
||
Dann ist auch die Bewegung auf sicheren, festen Boden gestellt. »Die Menge tut es.«)A
|
||
|
||
Berlin, 18. April 1899 - Rosa Luxemburg</p>
|
||
<p>Von der Schrift »Sozialreform oder Revolution?« liegen zwei verschiedene
|
||
|
||
Ausgaben vor, die von der Verfasserin selbst bearbeitet wurden, eine aus dem Jahre 1900,
|
||
|
||
die andere aus dem Jahre 1908. Sie weichen in Einzelheiten voneinander ab. Hauptsächlich
|
||
|
||
handelt es sich dabei um zwei Dinge. In der zweiten Auflage wurden verschiedene
|
||
|
||
Änderungen vorgenommen, die sich aus neuen praktischen Erfahrungen ergaben, so z.B. in
|
||
|
||
der Frage der Wirtschaftskrise. Ausgelassen wurden in der zweiten Auflage alle die
|
||
|
||
Stellen, in denen der Ausschluß der Reformisten gefordert oder auf ihn angespielt wurde.
|
||
|
||
Als Rosa Luxemburg ein Jahrzehnt nach Beginn der Bernsteindebatte und nach der Eroberung
|
||
|
||
wichtigster Parteipositionen durch die Opportunisten die Broschüre wieder herausgab,
|
||
|
||
hatte die Auschlußforderung jeden Sinn verloren. </p>
|
||
<p>Hier ist die 1. Auflage zugrunde gelegt. Die späteren Auslassungen sind durch Klammern
|
||
|
||
( ) angedeutet. Die Ergänzungen der 2. Auflage sind in Anmerkungen beigefügt.
|
||
|
||
Stilistische Verbesserungen und kleine Überarbeitungen wurden aus der zweiten Auflage
|
||
|
||
ohne weiteres übernommen. </p>
|
||
<H3 align="center"><A name="1_1"><B>Erster Teil</B></A><BR>
|
||
1. Die opportunistische Methode</H3>
|
||
<p>Wenn Theorien Spiegelbilder der Erscheinungen der Außenwelt im menschlichen Hirn sind,
|
||
|
||
so muß man angesichts der Theorie von Eduard Bernstein hinzufügen - manchmal auf den
|
||
|
||
Kopf gestellte Spiegelbilder. Eine Theorie von der Einführung des Sozialismus durch
|
||
|
||
Sozialreformen - nach dem endgültigen Einschlafen der deutschen Sozialreform, von der
|
||
|
||
Kontrolle der Gewerkschaften über den Produktionsprozeß - nach der Niederlage der
|
||
|
||
englischen Maschinenbauer, von der sozialdemokratischen Parlamentsmehrheit - nach der
|
||
|
||
sächsischen Verfassungsrevision und den Attentaten auf das allgemeine
|
||
|
||
Reichstagswahlrecht! Allein der Schwerpunkt der Bernsteinschen Ausführungen liegt unseres
|
||
|
||
Erachtens nicht in seinen Ansichten über die praktischen Aufgaben der Sozialdemokratie,
|
||
|
||
sondern in dem, was er über den Gang der objektiven Entwicklung der kapitalistischen
|
||
|
||
Gesellschaft sagt, womit jene Ansichten freilich im engsten Zusammenhange stehen.</p>
|
||
<p>Nach Bernstein wird ein allgemeiner Zusammenbruch des Kapitalismus mit dessen
|
||
|
||
Entwicklung immer unwahrscheinlicher, weil das kapitalistische System einerseits immer
|
||
|
||
mehr Anpassungsfähigkeit zeigt, andererseits die Produktion sich immer mehr
|
||
|
||
differenziert. Die Anpassungsfähigkeit des Kapitalismus äußert sich nach Bernstein
|
||
|
||
erstens in dem Verschwinden der allgemeinen Krisen, dank der Entwicklung des
|
||
|
||
Kreditsystems, der Unternehmerorganisationen und des Verkehrs sowie des
|
||
|
||
Nachrichtendienstes, zweitens in der Zähigkeit des Mittelstandes infolge der beständigen
|
||
|
||
Differenzierung der Produktionszweige sowie der Hebung großer Schichten des Proletariats
|
||
|
||
in den Mittelstand, drittens endlich in der ökonomischen und politischen Hebung der Lage
|
||
|
||
des Proletariats infolge des Gewerkschaftskampfes.</p>
|
||
<p>Für den praktischen Kampf der Sozialdemokratie ergibt sich daraus die allgemeine
|
||
|
||
Weisung, daß sie ihre Tätigkeit nicht auf die Besitzergreifung der politischen
|
||
|
||
Staatsmacht, sondern auf die Hebung der Lage der Arbeiterklasse und auf die Einführung
|
||
|
||
des Sozialismus, nicht durch eine soziale und politische Krise, sondern durch eine
|
||
|
||
schrittweise Erweiterung der gesellschaftlichen Kontrolle und eine stufenweise
|
||
|
||
Durchführung des Genossenschaftlichkeitsprinzips zu richten habe.</p>
|
||
<p>Bernstein selbst sieht in seinen Ausführungen nichts Neues, er meint vielmehr, daß
|
||
|
||
sie ebenso mit einzelnen Äußerungen von Marx und Engels, wie mit der allgemeinen
|
||
|
||
bisherigen Richtung der Sozialdemokratie übereinstimmen. Es läßt sich indes unseres
|
||
|
||
Erachtens schwerlich leugnen, daß die Auffassung Bernsteins tatsächlich mit dem
|
||
|
||
Gedankengang des wissenschaftlichen Sozialismus in grundsätzlichem Widerspruche steht.</p>
|
||
<p>Würde sich die ganze Bernsteinsche Revision dahin zusammenfassen, daß der Gang der
|
||
|
||
kapitalistischen Entwicklung ein viel langsamerer ist, als man anzunehmen sich gewöhnt
|
||
|
||
hat, so bedeutete dies in der Tat bloß eine Aufschiebung der bis jetzt angenommenen
|
||
|
||
politischen Machtergreifung seitens des Proletariats, woraus praktisch höchstens etwa ein
|
||
|
||
ruhigeres Tempo des Kampfes gefolgert werden könnte.</p>
|
||
<p>Dies ist aber nicht der Fall. Was Bernstein in Frage gestellt hat, ist nicht die
|
||
|
||
Rapidität der Entwicklung, sondern der Entwicklungsgang selbst der kapitalistischen
|
||
|
||
Gesellschaft und im Zusammenhang damit der Übergang zur sozialistischen Ordnung.</p>
|
||
<p>Wenn die bisherige sozialistische Theorie annahm, der Ausgangspunkt der sozialistischen
|
||
|
||
Umwälzung würde eine allgemeine und vernichtende Krise sein, so muß man, unseres
|
||
|
||
Erachtens, dabei zweierlei unterscheiden: den darin verborgenen Grundgedanken und dessen
|
||
|
||
äußere Form.</p>
|
||
<p>Der Gedanke besteht in der Annahme, die kapitalistische Ordnung würde von sich aus,
|
||
|
||
kraft eigener Widersprüche den Moment zeitigen, wo sie aus den Fugen geht, wo sie einfach
|
||
|
||
unmöglich wird. Daß man sich diesen Moment in der Form einer allgemeinen und
|
||
|
||
erschütternden Handelskrise dachte, hatte gewiß seine guten Gründe, bleibt aber
|
||
|
||
nichtsdestoweniger für den Grundgedanken unwesentlich und nebensächlich.</p>
|
||
<p>Die wissenschaftliche Begründung des Sozialismus stützt sich nämlich bekanntermaßen
|
||
|
||
auf drei Ergebnisse der kapitalistischen EntwickIung: vor allem auf die wachsende Anarchie
|
||
|
||
der kapitalistischen Wirtschaft, die ihren Untergang zu unvermeidlichem Ergebnis macht,
|
||
|
||
zweitens auf die fortschreitende Vergesellschaftung des Produktionsprozesses, die die
|
||
|
||
positiven Ansätze der künftigen sozialen Ordnung schafft, und drittens auf die wachsende
|
||
|
||
Organisation und Klassenerkenntnis des Proletariats, das den aktiven Faktor der
|
||
|
||
bevorstehenden Umwälzung bildet.</p>
|
||
<p>Es ist der erste der genannten Grundpfeiler des wissenschaftlchen Sozialismus, den
|
||
|
||
Bernstein beseitigt. Er behauptet nämlich, die kapitalistische Entwicklung gehe nicht
|
||
|
||
einem allgemeinen wirtschaftlichen Krach entgegen.</p>
|
||
<p>Er verwirft aber damit nicht bloß die bestimmte Form des kapitalistischen Untergangs,
|
||
|
||
sondern diesen Untergang selbst. Er sagt ausdrücklich: »Es könnte nun erwidert werden,
|
||
|
||
daß, wenn man von dem Zusammenbruch der gegenwärtigen Gesellschaft spricht, man dabei
|
||
|
||
mehr im Auge hat, als eine verallgemeinerte und gegen früher verstärkte
|
||
|
||
Geschäftskrisis, nämlich einen totalen Zusammenbruch des kapitalistischen Systems an
|
||
|
||
seinen eigenen Widersprüchen.« Und darauf antwortet er: »Ein annähernd gleichzeitiger
|
||
|
||
völliger Zusammenbruch des gegenwärtigen Produktionssysems wird mit der fortschreitenden
|
||
|
||
Entwicklung der Geselllschaft nicht wahrscheinlicher, sondern unwahrscheinlicher, weil
|
||
|
||
dieselbe auf der einen Seite die Anpassungsfähigkeit, auf der anderen - bzw. zugleich
|
||
|
||
damit - die Differenzierung der Industrie steigert.«1</p>
|
||
<p>Dann entsteht aber die große Frage: Warum und wie gelangen wir überhaupt noch zum
|
||
|
||
Endziel unserer Bestrebungen? Vom Standpunkte des wissenschaftlichen Sozialismus äußert
|
||
|
||
sich die historische Notwendigkeit der sozialistischen Umwälzung vor allem in der
|
||
|
||
wachsenden Anarchie des kapitalistischen Systems, die es auch in eine ausweglose Sackgasse
|
||
|
||
drängt. Nimmt man jedoch mit Bernstein an, die kapitalistische Entwicklung gehe nicht in
|
||
|
||
der Richtung zum eigenen Untergang, dann hört der Sozialismus auf, objektiv notwendig zu
|
||
|
||
sein. Von den Grundsteinen seiner wissenschaftlichen Begründung bleiben dann nur noch die
|
||
|
||
beiden anderen Ergebnisse der kapitalistischen Ordnung: der vergesellschaftete
|
||
|
||
Produktionsprozeß und das Klassenbewußtsein des Proletariats. Dies hat auch Bernstein im
|
||
|
||
Auge, als er sagt: »Die sozialistische Gedankenwelt verliert (mit der Beseitigung der
|
||
|
||
Zusammenbruchstheorie) durchaus nichts an überzeugender Kraft. Denn genauer zugesehen,
|
||
|
||
was sind denn alle die von uns aufgezählten Faktoren der Beseitigung oder Modifizierung
|
||
|
||
der alten Krisen? Alles Dinge, die gleichzeitig Voraussetzungen und zum Teil sogar
|
||
|
||
Ansätze der Vergesellschaftung von Produktion und Austausch darstellen.«2</p>
|
||
<p>Indes genügt eine kurze Betrachtung, um auch dies als einen Trugschluß zu erweisen.
|
||
|
||
Worin besteht die Bedeutung der von Bernstein als kapitalistisches Anpassungsmittel
|
||
|
||
bezeichneten Erscheinungen: der Kartelle, des Kredits, der vervollkommneten
|
||
|
||
Verkehrsmittel, der Hebung der Arbeiterklasse usw. Offenbar darin, daß sie die inneren
|
||
|
||
Widersprüche der kapitalistischen Wirtschaft beseitigen oder wenigstens abstumpfen, ihre
|
||
|
||
Entfaltung und Verschärfung verhindern. So bedeutet die Beseitigung der Krisen die
|
||
|
||
Aufhebung des Widerspruchs zwischen Produktion und Austausch auf kapitalistischer Basis,
|
||
|
||
so bedeutet die Hebung der Lage der Arbeiterklasse teils als solcher, teils in den
|
||
|
||
Mittelstand, die Abstumpfung des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit. Indem somit die
|
||
|
||
Kartelle, das Kreditwesen, die Gewerkschaften usw. die kapitalistischen Widersprüche
|
||
|
||
aufheben, also das kapitalistische System vom Untergang retten, den Kapitalismus
|
||
|
||
konservieren - deshalb nennt sie ja Bernstein »Anpassungsmittel« - wie können sie zu
|
||
|
||
gleicher Zeit ebensoviele »Voraussetzungen und zum Teil sogar Ansätze« zum Sozialismus
|
||
|
||
darstellen? Offenbar nur in dem Sinne, daß sie den gesellschaftlichen Charakter der
|
||
|
||
Produktion stärker zum Ausdruck bringen. Aber indem sie ihn in seiner kapitalistischen
|
||
|
||
Form konservieren, machen sie umgekehrt den Übergang dieser vergesellschafteten
|
||
|
||
Produktion in die sozialistische Form in demselben Maße überflüssig. Sie können daher
|
||
|
||
Ansätze und Voraussetzungen der sozialistischen Ordnung bloß in begrifflichem und nicht
|
||
|
||
in historischem Sinne darstellen, d.h. Erscheinungen, von denen wir auf Grund unserer
|
||
|
||
Vorstellung vom Sozialismus wissen, daß sie mit ihm verwandt sind, die aber tatsächlich
|
||
|
||
die sozialistische Umwälzung nicht nur nicht herbeiführen, sondern sie vielmehr
|
||
|
||
überflüssig machen. Bleibt dann als Begründung des Sozialismus bloß das
|
||
|
||
Klassenbewußtsein des Proletariats. Aber auch dieses ist gegebenenfalls nicht der
|
||
|
||
einfache geistige Widerschein der sich immer mehr zuspitzenden Widersprüche des
|
||
|
||
Kapitalismus und seines bevorstehenden Untergangs - dieser ist ja verhütet durch die
|
||
|
||
Anpassungsrnittel - sondern ein bloßes Ideal, dessen Überzeugungskraft auf seinen
|
||
|
||
eigenen ihm zugedachten Vollkommenheiten beruht.</p>
|
||
<p>Mit einem Wort, was wir auf diesem Wege erhalten, ist eine Begründung des
|
||
|
||
sozialistischen Programms durch »reine Erkenntnis«, das heißt, einfach gesagt, eine
|
||
|
||
idealistische Begründung, während die objektive Notwendigkeit, das heißt die
|
||
|
||
Begründung durch den Gang der materiellen gesellschaftlichen Entwicklung, dahinfällt.
|
||
|
||
Die revisionistische Theorie steht vor einem Entweder-Oder. Entweder folgt die
|
||
|
||
sozialistische Umgestaltung nach wie vor aus den inneren Widersprüchen der
|
||
|
||
kapitalistischen Ordnung, dann entwickeln sich mit dieser Ordnung auch ihre Widersprüche
|
||
|
||
und ein Zusammenbruch in dieser oder jener Form ist in irgendeinem Zeitpunkt das
|
||
|
||
unvermeidliche Ergebnis, dann sind aber auch die »Anpassungsmittel« unwirksam, und die
|
||
|
||
Zusammenbruchstheorie richtig. Oder die »Anpassungsmittel« sind wirklich imstande, einem
|
||
|
||
Zusammenbruch des kapitalistischen Systems vorzubeugen, also den Kapitalisrnus
|
||
|
||
existenzfähig zu machen, also seine Widersprüche aufzuheben, dann hört aber der
|
||
|
||
Sozialismus auf, eine historische Notwendigkeit zu sein, und er ist dann alles, was man
|
||
|
||
will, nur nicht ein Ergebnis der materiellen Entwicklung der Gesellschaft. Dieses Dilemma
|
||
|
||
läuft auf ein anderes hinaus: entweder hat der Revisionismus in Bezug auf den Gang der
|
||
|
||
kapitalistischen Entwicklung recht, dann verwandelt sich die sozialistische Umgestaltung
|
||
|
||
der Gesellschaft in eine Utopie, oder der Sozialismus ist keine Utopie, dann muß aber die
|
||
|
||
Theorie der »Anpassungsmittel« nicht stichhaltig sein. That is the question, das ist die
|
||
|
||
Frage.</p>
|
||
<H3 align="center"><a name="1_2">2. Anpassung des Kapitalismus</a></H3>
|
||
<p>Die wichtigsten Mittel, die nach Bernstein die Anpassung der kapitalistischen
|
||
|
||
Wirtschaft herbeiführen, sind das Kreditwesen, die verbesserten Verkehrsmittel und die
|
||
|
||
Unternehmerorganisationen.</p>
|
||
<p>Um beim Kredit anzufangen, so hat er in der kapitalistischen Wirtschaft mannigfaltige
|
||
|
||
Funktionen, seine wichtigste besteht aber bekanntlich in der Vergrößerung der
|
||
|
||
Ausdehnungsfähigkeit der Produktion und in der Vermittlung und Erleichterung des
|
||
|
||
Austausches. Da, wo die innere Tendenz der kapitalistischen Produktion zur grenzenlosen
|
||
|
||
Ausdehnung auf die Schranken des Privateigentums, den beschränkten Umfang des
|
||
|
||
Privatkapitals stößt, da stellt sich der Kredit als das Mittel ein, in kapitalistischer
|
||
|
||
Weise diese Schranken zu überwinden, viele Privatkapitale zu einem zu verschmelzen -
|
||
|
||
Aktiengesellschaften - und einem Kapitalisten die Verfügung über fremdes Kapital zu
|
||
|
||
gewähren - industrieller Kredit. Andererseits beschleunigt er als kommerzieller Kredit
|
||
|
||
den Austausch der Waren, also den Rückfluß des Kapitals zur Produktion, also den ganzen
|
||
|
||
Kreislauf des Produktionsprozesses. Die Wirkung, die diese beiden wichtigsten Funktionen
|
||
|
||
des Kredits auf die Krisenbildung haben, ist leicht zu übersehen. Wenn die Krisen, wie
|
||
|
||
bekannt, aus dem Widerspruch zwischen der Ausdehnungsfähigkeit, Ausdehnungstendenz der
|
||
|
||
Produktion und der beschränkten Konsumtionsfähigkeit entstehen, so ist der Kredit nach
|
||
|
||
dem obigen so recht das spezielle Mittel, diesen Widerspruch so oft als möglich zum
|
||
|
||
Ausbruch zu bringen. Vor allem steigert er die Ausdehnungsfähigkeit der Produktion ins
|
||
|
||
Ungeheure und bildet die innere Triebkraft, sie beständig über die Schranken des Marktes
|
||
|
||
hinauszutreiben. Aber er schlägt auf zwei Seiten. Hat er einmal als Faktor des
|
||
|
||
Produktionsprozesses die Überproduktion mit heraufbeschworen, so schlägt er während der
|
||
|
||
Krise in seiner Eigenschaft als Vermittler des Warenaustausches die von ihm selbst
|
||
|
||
wachgerufenen Produktivkräfte um so gründlicher zu Boden. Bei den ersten Anzeichen der
|
||
|
||
Stockung schrumpft der Kredit zusammen, läßt den Austausch im Stich da, wo er notwendig
|
||
|
||
wäre, erweist sich als wirkungs- und zwecklos da, wo er sich noch bietet, und verringert
|
||
|
||
so während der Krise die Konsumtionsfähigkeit auf das Mindestmaß.</p>
|
||
<p>Außer diesen beiden wichtigsten Ergebnissen wirkt der Kredit in bezug auf die
|
||
|
||
Krisenbildung noch mannigfach. Er bietet nicht nur das technische Mittel, einem
|
||
|
||
Kapitalisten die Verfügung über fremde Kapitale in die Hand zu geben, sondern bildet
|
||
|
||
für ihn zugleich den Sporn zu einer kühnen und rücksichtslosen Verwendung des fremden
|
||
|
||
Eigentums, also zu waghalsigen Spekulationen. Er verschärft nicht nur als heimtückisches
|
||
|
||
Mittel des Warenaustausches die Krise, sondern erleichtert ihr Eintreten und ihre
|
||
|
||
Verbreitung, indem er den ganzen Austausch in eine äußerst zusammengesetzte und
|
||
|
||
künstliche Maschinerie mit einem Mindestmaß Metallgeld als reeller Grundlage verwandelt
|
||
|
||
und so ihre Störung bei geringstem Anlaß herbeiführt.</p>
|
||
<p>So ist der Kredit, weit entfernt, ein Mittel zur Beseitigung oder auch nur zur
|
||
|
||
Linderung der Krisen zu sein, ganz im Gegenteil ein besonderer mächtiger Faktor der
|
||
|
||
Krisenbildung. Und das ist auch gar nicht anders möglich. Die spezifische Funktion des
|
||
|
||
Kredits ist - ganz allgemein ausgedrückt - doch nichts anderes, als den Rest von
|
||
|
||
Standfestigkeit aus allen kapitalistischen Verhältnissen zu verbannen und überall die
|
||
|
||
größtmögliche Elastizität hineinzubringen, alle kapitalistischen Kräfte in höchstem
|
||
|
||
Maße dehnbar, relativ und empfindlich zu machen. Daß damit die Krisen, die nichts
|
||
|
||
anderes als der periodische Zusammenstoß der einander widerstrebenden Kräfte der
|
||
|
||
kapitalistischen Wirtschaft sind, nur erleichtert und verschärft werden können, liegt
|
||
|
||
auf der Hand.</p>
|
||
<p>Dies führt uns aber zugleich auf die andere Frage, wie der Kredit überhaupt als ein
|
||
|
||
»Anpassungsmittel« des Kapitalismus erscheinen kann. In welcher Beziehung und in welcher
|
||
|
||
Gestalt immer die »Anpassung« mit Hilfe des Kredits gedacht wird, ihr Wesen kann
|
||
|
||
offenbar nur darin bestehen, daß irgendein gegensätzliches Verhältnis der
|
||
|
||
kapitalistischen Wirtschaft ausgeglichen, irgendeiner ihrer Widersprüche aufgehoben oder
|
||
|
||
abgestumpft und so den eingeklemmten Kräften auf irgendeinem Punkte freier Spielraum
|
||
|
||
gewährt wird. Wenn es indes ein Mittel in der heutigen kapitalistischen Wirtschaft gibt,
|
||
|
||
alle ihre Widersprüche aufs höchste zu steigern, so ist es gerade der Kredit. Er
|
||
|
||
steigert den Widerspruch zwischen Produktionsweise und Austauschweise, indem er die
|
||
|
||
Produktion aufs höchste anspannt, den Austausch aber bei geringstem Anlaß lahmlegt. Er
|
||
|
||
steigert den Widerspruch zwischen Produktions- und Aneignungsweise, indem er die
|
||
|
||
Produktion vom Eigentum trennt, indem er das Kapital in der Produktion in ein
|
||
|
||
gesellschaftliches, einen Teil des Profits aber in die Form des Kapitalzinses, also in
|
||
|
||
einen reinen Eigentumstitel verwandelt. Er steigert den Widerspruch zwischen den
|
||
|
||
Eigentums- und Produktionsverhältnissen, indem er durch Enteignung vieler kleiner
|
||
|
||
Kapitalisten in wenigen Händen ungeheuere Produktivkräfte vereinigt. Er steigert den
|
||
|
||
Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion und dem
|
||
|
||
kapitalistischen Privateigentum, indem er die Einmischung des Staates in die Produktion
|
||
|
||
(Aktiengesellschaft) notwendig macht.</p>
|
||
<p>Mit einem Wort, der Kredit reproduziert alle kardinalen Widersprüche der
|
||
|
||
kapitalistischen Welt, er treibt sie auf die Spitze, er beschleunigt den Gang, in dem sie
|
||
|
||
ihrer eigenen Vernichtung - dem Zusammenbruch - entgegeneilt. Das erste Anpassungsmittel
|
||
|
||
für den Kapitalismus in bezug auf den Kredit müßte also darin bestehen, den Kredit
|
||
|
||
abzuschaffen, ihn rückgängig zu machen. So wie er ist, bildet er nicht ein Anpassungs-,
|
||
|
||
sondern ein Vernichtungsmittel von höchst revolutionärer Wirkung. Hat doch eben dieser
|
||
|
||
revolutionäre, über den Kapitalismus selbst hinausführende Charakter des Kredits sogar
|
||
|
||
zu sozialistisch angehauchten Reformplänen verleitet, und große Vertreter des Kredits,
|
||
|
||
wie den Isaac Péreire in Frankreich, wie Marx sagt, halb als Propheten, halb als Lumpen
|
||
|
||
erscheinen lassen.</p>
|
||
<p>Ebenso hinfällig erweist sich nach näherer Betrachtung das zweite
|
||
|
||
»Anpassungsmittel« der kapitalistischen Produktion - die Unternehmerverbände. Nach
|
||
|
||
Bernstein sollen sie durch die Regulierung der Produktion der Anarchie Einhalt tun und
|
||
|
||
Krisen vorbeugen. Die Entwicklung der Kartelle und Trusts ist freilich eine in ihren
|
||
|
||
vielseitigen ökonomischen Wirkungen noch nicht erforschte Erscheinung. Sie bildet erst
|
||
|
||
ein Problem, das nur an der Hand der Marxschen Lehre gelöst werden kann. Allein, soviel
|
||
|
||
ist auf jeden Fall klar: von einer Eindämmung der kapitalistischen Anarchie durch die
|
||
|
||
Unternehmerkartelle könnte nur in dem Maße die Rede sein, als die Kartelle, Trusts usw.
|
||
|
||
annähernd zu einer allgemeinen, herrschenden Produktionsform werden sollten. Allein
|
||
|
||
gerade dies ist durch die Natur der Kartelle selbst ausgeschlossen. Der schließliche
|
||
|
||
ökonomische Zweck und die Wirkung der Unternehmerverbände bestehen darin, durch den
|
||
|
||
Ausschluß der Konkurrenz innerhalb einer Branche auf die Verteilung der auf dem
|
||
|
||
Warenmarkt erzielten Profitmasse so einzuwirken, daß sie den Anteil dieses
|
||
|
||
Industriezweiges an ihr steigern. Die Organisation kann in einem Industriezweig nur auf
|
||
|
||
Kosten der anderen die Profitrate heben, und deshalb kann sie eben unmöglich allgemein
|
||
|
||
werden. Ausgedehnt auf alle wichtigeren Produktionszweige hebt sie ihre Wirkung selbst
|
||
|
||
auf.</p>
|
||
<p>Aber auch in den Grenzen ihrer praktischen Anwendung wirken die Unternehmerverbände
|
||
|
||
gerade entgegengesetzt der Beseitigung der industriellen Anarchie. Die bezeichnete
|
||
|
||
Steigerung der Profitrate erzielen die Kartelle auf dem inneren Markte in der Regel
|
||
|
||
dadurch, daß sie die zuschüssigen Kapitalportionen, die sie für den inneren Bedarf
|
||
|
||
nicht verwenden können, für das Ausland mit einer viel niedrigeren Profitrate
|
||
|
||
produzieren lassen, d.h. ihre Waren im Auslande viel billiger verkaufen als im eigenen
|
||
|
||
Lande. Das Ergebnis ist die verschärfte Konkurrenz im Auslande, die vergrößerte
|
||
|
||
Anarchie auf dem Weltmarkt, d. h. gerade das Umgekehrte von dem, was erzielt werden will.
|
||
|
||
Ein Beispiel davon bietet die Geschichte der internationalen Zuckerindustrie.</p>
|
||
<p>Endlich im ganzen als Erscheinungsform der kapitalistischen Produktionsweise dürfen
|
||
|
||
die Unternehmerverbände wohl nur als ein Übergangsstadium, als eine bestimmte Phase der
|
||
|
||
kapitalistischen Entwicklung aufgefaßt werden. In der Tat! In letzter Linie betrachtet,
|
||
|
||
sind die Kartelle eigentlich ein Mittel der kapitalistischen Produktionsweise, den fatalen
|
||
|
||
Fall der Profitrate in einzelnen Produktionszweigen aufzuhalten. Welches ist aber die
|
||
|
||
Methode, der sich die Kartelle zu diesem Zwecke bedienen? Im Grunde genommen ist es nichts
|
||
|
||
anderes als die Brachlegung eines Teils des akkumulierten Kapitals, d.h. dieselbe Methode,
|
||
|
||
die in einer anderen Form, in den Krisen zur Anwendung kommt. Ein solches Heilmittel
|
||
|
||
gleicht aber der Krankheit wie ein Ei dem anderen, und kann nur bis zu einem gewissen
|
||
|
||
Zeitpunkt als das kleinere Übel gelten. Beginnt der Absatzmarkt sich zu verringern, indem
|
||
|
||
der Weltmarkt bis aufs äußerste ausgebildet und durch die konkurrierenden
|
||
|
||
kapitalistischen Länder erschöpft wird - und der frühere oder spätere Eintritt eines
|
||
|
||
solchen Moments kann offenbar nicht geleugnet werden -, dann nimmt auch die erzwungene
|
||
|
||
teilweise Brachlegung des Kapitals einen solchen Umfang an, daß die Arznei selbst in
|
||
|
||
Krankheit umschlägt und das bereits durch die Organisation stark vergesellschaftete
|
||
|
||
Kapital sich in privates rückverwandelt. Bei dem verringerten Vermögen, auf dem
|
||
|
||
Absatzmarkt ein Plätzchen für sich zu finden, zieht jede private Kapitalportion vor, auf
|
||
|
||
eigene Faust das Glück zu probieren. Die Organisationen müssen dann wie Seifenblasen
|
||
|
||
platzen und wieder einer freien Konkurrenz, in potenzierter Form, Platz machen.</p>
|
||
<p>Im ganzen erscheinen also auch die Kartelle, ebenso wie der Kredit, als bestimmte
|
||
|
||
Entwicklungsphasen, die in letzter Linie die Anarchie der kapitalistischen Welt nur noch
|
||
|
||
vergrößern und alle ihre inneren Widersprüche zum Ausdruck und zur Reife bringen. Sie
|
||
|
||
verschärfen den Widerspruch zwischen der Produktionsweise und der Austauschweise, indem
|
||
|
||
sie den Kampf zwischen den Produzenten und den Konsumenten auf die Spitze treiben, wie wir
|
||
|
||
dies besonders in den Vereinigten Staaten Amerikas erleben. Sie verschärfen ferner den
|
||
|
||
Widerspruch zwischen der Produktions- und der Aneignungsweise, indem sie der
|
||
|
||
Arbeiterschaft die Übermacht des organisierten Kapitals in brutalster Form
|
||
|
||
entgegenstellen und so den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit aufs äußerste steigern.</p>
|
||
<p>Sie verschärfen endlich den Widerspruch zwischen dem internationalen Charakter der
|
||
|
||
kapitalistischen Weltwirtschaft und dem nationalen Charakter des kapitalistischen Staates,
|
||
|
||
indem sie zur Begleiterscheinung einen allgemeinen Zollkrieg haben und so die Gegensätze
|
||
|
||
zwischen den einzelnen kapitalistischen Staaten auf die Spitze treiben. Dazu kommt die
|
||
|
||
direkte, höchst revolutionäre Wirkung der Kartelle auf die Konzentration der Produktion,
|
||
|
||
technische Vervollkommnung usw.</p>
|
||
<p>So erscheinen die Kartelle und Trusts in ihrer endgültigen Wirkung auf die
|
||
|
||
kapitalistische Wirtschaft nicht nur als kein »Anpassungsmittel«, das ihre Widersprüche
|
||
|
||
verwischt, sondern geradezu als eines der Mittel, die sie selbst zur Vergrößerung der
|
||
|
||
eigenen Anarchie, zur Austragung der in ihr enthaltenen Widersprüche, zur Beschleunigung
|
||
|
||
des eigenen Unterganges geschaffen hat.</p>
|
||
<p>Allein, wenn das Kreditwesen, die Kartelle und dergleichen die Anarchie der
|
||
|
||
kapitalistischen Wirtschaft nicht beseitigen, wie kommt es, daß wir zwei Jahrzente lang -
|
||
|
||
seit 1873 - keine allgemeine Handelskrise hatten? Ist das nicht ein Zeichen, daß sich die
|
||
|
||
kapitalistische Produktionsweise wenigstens in der Hauptsache an die Bedürfnisse der
|
||
|
||
Gesellschaft tatsächlich »angepaßt« hat und die von Marx gegebene Analyse überholt
|
||
|
||
ist?</p>
|
||
<p>(Wlr glauben, daß die jetzige Windstille auf dem Weltmarkt sich auf eine andere Weise
|
||
|
||
erklären läßt.</p>
|
||
<p>Man hat sich gewöhnt, die bisherigen großen periodischen Handelskrisen als die von
|
||
|
||
Marx in seiner Analyse schematisierten Alterskrisen des Kapitalismus zu betrachten. Die
|
||
|
||
ungefähr zehnjährige Periodizität des Produktionszyklus schien die beste Bestätigung
|
||
|
||
dieses Schemas zu sein. Diese Auffassung beruht jedoch unseres Erachtens auf einem
|
||
|
||
Mißverständnis. Faßt man näher ins Auge die jedesmaligen Ursachen aller bisherigen
|
||
|
||
großen internationalen Krisen, so muß man zu der Überzeugung gelangen, daß sie
|
||
|
||
sämtlich nicht der Ausdruck der Altersschwäche der kapitalistischen Wirtschaft, sondern
|
||
|
||
vielmehr ihres Kindheitsalters waren. Schon eine kurze Besinnung genügt, um von
|
||
|
||
vornherein darzutun, daß der Kapitalismus in den Jahren 1825, I836, I847 unmöglich jenen
|
||
|
||
periodischen, aus voller Reife entspringenden unvermeidlichen Anprall der Produktivkräfte
|
||
|
||
an die Marktschranken erzeugen konnte, wie es im Marxschen Schema aufgezeichnet ist, da er
|
||
|
||
damals in den meisten Ländern erst in den Windeln lag.)</p>
|
||
<p>In der Tat, die Krise von 1825 war ein Resultat der großen Anlagen bei Straßenbauten,
|
||
|
||
Kanälen und Gaswerken, die in dem vorhergehenden Jahrzehnt, vorzüglich in England, wie
|
||
|
||
auch die Krise selbst, stattgefunden haben. Die folgende Krise 1836-1839 war gleichfalls
|
||
|
||
ein Ergebnis kolossaler Gründungen bei der Anlage neuer Transportmittel. Die Krise von
|
||
|
||
1847 ist bekanntlich durch die fieberhaften englischen Eisenbahngründungen
|
||
|
||
heraufbeschworen worden (1844-1847, d.h. in drei Jahren allein wurden vom Parlament neue
|
||
|
||
Eisenbahnen für etwa 1½ Milliarden Taler konzessioniert!). In allen drei Fällen sind es
|
||
|
||
also verschiedene Formen der Neukonstruierung der Wirtschaft des Kapitals, der Grundlegung
|
||
|
||
neuer Fundamente unter die kapitalistische Entwicklung, die die Krisen im Gefolge hatten.
|
||
|
||
Im Jahre 1857 sind es die plötzliche Eröffnung neuer Absatzmärkte für die europäische
|
||
|
||
Industrie in Amerika und Australien infolge der Entdekkung von Goldminen, in Frankreich
|
||
|
||
speziell die Eisenbahngründungen, in denen es in Englands Fußstapfen trat (1852-56
|
||
|
||
wurden für 1¼ Milliarden Franken neue Eisenbahnen in Frankreich gegründet). Endlich die
|
||
|
||
große Krise von 1873 ist bekanntlich eine direkte Folge der Neukonstituierung, des ersten
|
||
|
||
Sturmlaufs der Großindustrie in Deutschland und in Österreich, die den politischen
|
||
|
||
Ereignissen von 1866 und 1871 folgte.</p>
|
||
<p>Es war also jedesmal die plötzliche Erweiterung des Gebiets der kapitalistischen
|
||
|
||
Wirtschaft und nicht die Einengung ihres Spielraums, nicht ihre Erschöpfung, die bisher
|
||
|
||
den Anlaß zu Handelskrisen gab. Daß jene internationalen Krisen sich gerade alle zehn
|
||
|
||
Jahre wiederholten, ist an sich eine rein äußerliche, zufällige Erscheinung. Das
|
||
|
||
Marxsche Schema der Krisenbildung, wie Engels es in dem Anti-Dühring und Marx im 1. und
|
||
|
||
3. Band des »Kapital« gegeben haben, trifft auf alle Krisen insofern zu, als es
|
||
|
||
ihren inneren Mechanismus und ihre tiefliegenden allgemeinen Ursachen aufdeckt.</p>
|
||
<p>(ln seinem Ganzen paßt aber dieses Schema vielmehr auf eine vollkommen entwikkelte
|
||
|
||
kapitalistische Wirtschaft, wo der Weltmarkt als etwas bereits Gegebenes vorausgesetzt
|
||
|
||
wird. Nur dann können sich die Krisen aus der inneren eigenen Bewegung des Produktions-
|
||
|
||
und Austauschprozesses auf jene mechanische Weise, ohne den äußeren Anlaß einer
|
||
|
||
plötzlichen Erschütterung in den Produktions- und Marktverhältnissen wiederholen, wie
|
||
|
||
es von der Marxschen Analyse angenommen wird. Wenn wir uns nun die heutige ökonomische
|
||
|
||
Lage vergegenwärtigen, so müssen wir jedenfalls zugeben, daß wir noch nicht in jene
|
||
|
||
Phase vollkommener kapitalistischer Reife getreten sind, die bei dem Marxschen Schema der
|
||
|
||
Krisenperiodizität vorausgesetzt wird. Der Weltmarkt ist immer noch in der Ausbildung
|
||
|
||
begriffen. Deutschland und Österreich traten erst in den 70er Jahren in die Phase der
|
||
|
||
eigentlichen großindustriellen Produktion, Rußland erst in den 80er Jahren, Frankreich
|
||
|
||
ist bis jetzt noch zum großen Teil kleingewerblich, die Balkanstaaten haben noch zum
|
||
|
||
beträchtlichen Teil nicht einmal die Fesseln der Naturalwirtschaft abgestreift, erst in
|
||
|
||
den 80er Jahren sind Amerika, Australien und Afrika in einen regen und regelmäßigen
|
||
|
||
Warenverkehr mit Europa getreten. Wenn wir deshalb einerseits die plötzlichen
|
||
|
||
sprungweisen Erschließungen neuer Gebiete der kapitalistischen Wirtschaft, wie sie bis zu
|
||
|
||
den 70er Jahren periodisch auftraten, und die bisherigen Krisen, sozusagen die
|
||
|
||
Jugendkrisen, im Gefolge hatten, bereits hinter uns haben, so sind wir andererseits noch
|
||
|
||
nicht bis zu jenem Grade der Ausbildung und der Erschöpfung des Weltmarkts
|
||
|
||
vorgeschritten, die einen fatalen, periodischen Anprall der Produktivkräfte an die
|
||
|
||
Marktschranken, die wirklichen kapitalistischen Alterskrisen, erzeugen würde. Wir
|
||
|
||
befinden uns in einer Phase, wo die Krisen nicht mehr das Aufkommen des Kapitalismus und
|
||
|
||
noch nicht seinen Untergang begleiten. Diese Übergangsperiode charakterisiert sich auch
|
||
|
||
durch den seit etwa zwei Jahrzehnten anhaltenden, durchschnittlich matten Geschäftsgang,
|
||
|
||
wo kurze Perioden des Aufschwungs mit langen Perioden der Depression abwechseln.</p>
|
||
<p>Daß wir uns aber unaufhaltsam dem Anfang vom Ende, der Periode der kapitalistischen
|
||
|
||
Schlußkrisen nähern, das folgt eben aus denselben Erscheinungen, die vorläufig das
|
||
|
||
Ausbleiben der Krisen bedingen. Ist einmal der Weltmarkt im großen und ganzen ausgebildet
|
||
|
||
und kann er durch keine plötzlichen Erweiterungen mehr vergrößert werden, schreitet
|
||
|
||
zugleich die Produktivität der Arbeit unaufhaltsam fort, dann beginnt über kurz oder
|
||
|
||
lang der periodische Widerstreit der Produktivkräfte mit den Austauschschranken, der von
|
||
|
||
selbst durch seine Wiederholung immer schroffer und stürmischer wird. Und wenn etwas
|
||
|
||
speziell dazu geeignet ist, uns dieser Periode zu nähern, den Weltmarkt rasch
|
||
|
||
herzustellen und ihn rasch zu erschöpfen, so sind es eben diejenigen Erscheinungen - das
|
||
|
||
Kreditwesen und die Unternehmerorganisationen -, auf die Bernstein als auf
|
||
|
||
»Anpassungsmittel« des Kapitalismus baut.)</p>
|
||
<p>Die Annahme, die kapitalistische Produktion könnte sich dem Austausch »anpassen«,
|
||
|
||
setzt eins von beiden voraus: entweder, daß der WeltIrmarkt unumschränkt und ins
|
||
|
||
Unendliche wächst, oder umgekehrt, daß die Produktivkräfte in ihrem Wachsturn gehemmt
|
||
|
||
werden, damit sie nicht über die Marktschranken hinauseilen. Ersteres ist eine physische
|
||
|
||
Unmöglichkeit, letzterem steht die Tatsache entgegen, daß auf Schritt und Tritt
|
||
|
||
technische Umwälzungen auf allen Gebieten der Produktion vor sich gehen und jeden Tag
|
||
|
||
neue Produktivkräfte wachrufen.</p>
|
||
<p>Noch eine Erscheinung widerspricht nach Bernstein dem bezeichneten Gang der
|
||
|
||
kapitalistischen Dinge: die »schier unerschütterliche Phalanx« der Mittelbetriebe, auf
|
||
|
||
die er uns hinweist. Er sieht darin ein Zeichen, daß die großindustrielle Entwicklung
|
||
|
||
nicht so revolutionierend und konzentrierend wirkt, wie es nach der
|
||
|
||
»Zusammenbruchstheorie« hätte erwartet werden müssen. Allein er wird auch hier zum
|
||
|
||
Opfer des eigenen Mißverständnisses. Es hieße in der Tat die Entwicklung der
|
||
|
||
Großindustrie ganz falsch auffassen, wenn man erwarten würde, es sollten dabei die
|
||
|
||
Mittelbetriebe stufenweise von der Oberfläche verschwinden.</p>
|
||
<p>In dem allgemeinen Gange der kapitalistischen Entwicklung spielen gerade nach der
|
||
|
||
Annahme von Marx die Kleinkapitale die Rolle der Pioniere der technischen Revolution, und
|
||
|
||
zwar in doppelter Hinsicht, ebenso in bezug auf neue Produktionsmethoden in alten und
|
||
|
||
befestigten, fest eingewurzelten Branchen, wie auch in bezug auf Schaffung neuer, von
|
||
|
||
großen Kapitalien noch gar nicht exploitierter Produktionszweige. Vollkommen falsch ist
|
||
|
||
die Auffassung, als ginge die Geschichte des kapitalistischen Mittelbetriebes in gerader
|
||
|
||
Linie abwärts zum stufenweisen Untergang. Der tatsächliche Verlauf der Entwicklung ist
|
||
|
||
vielmehr auch hier rein dialektisch und bewegt sich beständig zwischen Gegensätzen. Der
|
||
|
||
kapitalistische Mittelstand befindet sich ganz wie die Arbeiterklasse unter dem Einfluß
|
||
|
||
zweier entgegengesetzter Tendenzen, einer ihn erhebenden und einer ihn herabdrückenden
|
||
|
||
Tendenz. Die herabdrükckende Tendenz ist gegebenenfalls das beständige Steigen der
|
||
|
||
Stufenleiter der Produktion, welche den Umfang der Mittelkapitale periodisch überholt und
|
||
|
||
sie so immer wieder aus dem Wettkampf herausschleudert. Die hebende Tendenz ist die
|
||
|
||
periodische Entwertung des vorhandenen Kapitals, die die Stufenleiter der Produktion - dem
|
||
|
||
Werte des notwendigen Kapitalminimums nach - immer wieder für eine Zeitlang senkt, sowie
|
||
|
||
das Eindringen der kapitalistischen Produktion in neuen Sphären. Der Kampf des
|
||
|
||
Mittelbetriebes mit dem Großkapital ist nicht als eine regelmäßige Schlacht zu denken,
|
||
|
||
wo der Trupp des schwächeren Teiles direkt und quantitativ immer mehr zusammenschmilzt,
|
||
|
||
sondern vielmehr als ein periodisches Abmähen der Kleinkapitale, die dann immer wieder
|
||
|
||
rasch aufkommen, um von neuem durch die Sense der Großindustrie abgemäht zu werden. Von
|
||
|
||
den beiden Tendenzen, die mit dem kapitalistischen Mittelstand Fangball spielen, siegt in
|
||
|
||
letzter Linie - im Gegensatz zu der Entwicklung der Arbeiterklasse - die herabdrückende
|
||
|
||
Tendenz. Dies braucht sich aber durchaus nicht in der absoluten zahlenmäßigen Abnahme
|
||
|
||
der Mittelbetriebe zu äußern, sondern erstens in dem allmählich steigenden
|
||
|
||
Kapitalminimum, das zum existenzfähigen Betriebe in den alten Branchen nötig ist,
|
||
|
||
zweitens in der immer kürzeren Zeitspanne, während der sich Kleinkapitale der
|
||
|
||
Exploitation neuer Branchen auf eigene Hand erfreuen. Daraus folgt für das individuelle
|
||
|
||
Kleinkapital eine immer kürzere Lebensfrist und ein immer rascherer Wechsel der
|
||
|
||
Produktionsmethoden wie der Anlagearten, und für die Klasse im ganzen ein immer rascherer
|
||
|
||
sozialer Stoffwechsel.</p>
|
||
<p>Letzteres weiß Bernstein sehr gut, und er stellt es selbst fest. Was er aber zu
|
||
|
||
vergessen scheint, ist, daß damit das Gesetz selbst der Bewegung der kapitalistischen
|
||
|
||
Mittelbetriebe gegeben ist. Sind die Kleinkapitale einmal die Vorkärnpfer des technischen
|
||
|
||
Fortschrittes, und ist der technische Fortschritt der Lebenspulsschlag der
|
||
|
||
kapitalistischen Wirtschaft, so bilden offenbar die Kleinkapitale eine unzertrennliche
|
||
|
||
Begleiterscheinung der kapitalistischen Entwicklung, die erst mit ihr zusammen
|
||
|
||
verschwinden kann. Das stufenweise Verschwinden der Mittelbetriebe - im Sinne der
|
||
|
||
absoluten summarischen Statistik, um die es sich bei Bernstein handelt - würde bedeuten,
|
||
|
||
nicht wie Bemstein meint, den revolutionären Entwicklungsgang des Kapitalismus, sondern
|
||
|
||
gerade umgekehrt eine Stockung, Einschlummerung des letzteren. »Die Profitrate, d.h. der
|
||
|
||
verhältnismäßige Kapitalzuwachs ist vor allem wichtig für alle neuen, sich
|
||
|
||
selbständig gruppierenden Kapitalableger. Und sobald die Kapitalbildung ausschließlich
|
||
|
||
in die Hände einiger wenigen fertigen Großkapitale fiele,... wäre überhaupt das
|
||
|
||
belebende Feuer der Produktion erloschen. Sie würde einschlummern.«</p>
|
||
<p>(Die Bernsteinschen Anpassungsmittel erweisen sich somit als unwirksam, und die
|
||
|
||
Erscheinungen, die er als Symptome der Anpassung erklärt, müssen auf ganz andere
|
||
|
||
Ursachen zurückgeführt werden.)</p>
|
||
<H3 align="center"><A name="1_3">3. Einführung des Sozialismus durch soziale Reformen</a></H3>
|
||
<p>Bernstein verwirft die »Zusammenbruchstheorie« als den historischen Weg zur
|
||
|
||
Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaft. Welches ist der Weg, der vom Standpunkte
|
||
|
||
der »Anpassungstheorie des Kapitalismus« dazu führt? Bernstein hat diese Frage
|
||
|
||
nur andeutungsweise beantwortet, den Versuch, sie ausführlicher im Sinne Bernsteins
|
||
|
||
darzustellen, hat Konrad Schmidt gemacht.4 Nach ihm wird »der gewerkschaftliche Kampf und
|
||
|
||
der politische Kampf um soziale Reformen eine immer weiter erstreckte gesellschaftliche
|
||
|
||
Kontrolle über die Produktionsbedingungen« herbeiführen und durch die Gesetzgebung
|
||
|
||
»den Kapitaleigentümer durch Beschränkung seiner Rechte mehr und mehr in die Rolle
|
||
|
||
eines Verwalters herabdrücken«, bis schließlich »dem mürbe gemachten Kapitalisten,
|
||
|
||
der seinen Besitz immer wertloser für sich selbst werden sieht, die Leitung und
|
||
|
||
Verwaltung des Betriebes abgenommen« und so endgültig der gesellschaftliche Betrieb
|
||
|
||
eingeführt wird.</p>
|
||
<p>Also Gewerkschaften, soziale Reformen und noch, wie Bernstein hinzufügt, die
|
||
|
||
politische Demokratisierung des Staates, das sind Mittel der allmählichen Einführung des
|
||
|
||
Sozialismus.</p>
|
||
<p>Um bei den Gewerkschaften anzufangen, so besteht ihre wichtigste Funktion - und niemand
|
||
|
||
hat es besser dargetan als Bernstein selbst im Jahre 1891 in der 'Neuen Zeit' - darin,
|
||
|
||
daß sie auf seiten der Arbeiter das Mittel sind, das kapitalistische Lohngesetz, d.h. den
|
||
|
||
Verkauf der Arbeitskraft nach ihrem jeweiligen Marktpreis, zu verwirklichen. Worin die
|
||
|
||
Gewerkschaften dem Proletariat dienen, ist, die in jedem Zeitpunkte gegebenen Konjunkturen
|
||
|
||
des Marktes für sich auszunutzen. Diese Konjunkturen selbst aber, d.h. einerseits die von
|
||
|
||
dem Produktionsstand bedingte Nachfrage nach Arbeitskraft, andererseits das durch
|
||
|
||
Proletarisierung der Mittelschichten und natürliche Fortpflanzung der Arbeiterklasse
|
||
|
||
geschaffene Angebot der Arbeitskraft, endlich auch der jeweilige Grad der Produktivität
|
||
|
||
der Arbeit, liegen außerhalb der Einwirkungssphäre der Gewerkschaften. Sie können
|
||
|
||
deshalb das Lohngesetz nicht umstürzen; sie können im besten Falle die kapitalistische
|
||
|
||
Ausbeutung in die jeweilig »normalen« Schranken weisen, keineswegs aber die
|
||
|
||
Ausbeutung selbst stufenweise aufheben.</p>
|
||
<p>Konrad Schmidt nennt freilich die jetzige gewerkschaftliche Bewegung »schwächliche
|
||
|
||
Anfangsstadien« und verspricht sich von der Zukunft, daß »das Gewerkschaftswesen auf
|
||
|
||
die Regulierung der Produktion selbst einen immer steigenden Einfluß gewinnt«. Unter der
|
||
|
||
Regulierung der Produktion kann man aber nur zweierlei verstehen: die Einmischung in die
|
||
|
||
technische Seite des Produktionsprozesses und die Bestimmung des Umfangs der Produktion
|
||
|
||
selbst. Welcher Natur kann in diesen beiden Fragen die Einwirkung der Gewerkschaften sein?
|
||
|
||
Es ist klar, daß, was die Technik der Produktion betrifft, das Interesse des Kapitalisten
|
||
|
||
mit dem Fortschritt und der Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft in gewissen
|
||
|
||
Grenzen zusammenfällt. Es ist die eigene Not, die ihn zu technischen Verbesserungen
|
||
|
||
anspomt. Die Stellung des einzelnen Arbeiters hingegen ist gerade entgegengesetzt: jede
|
||
|
||
technische Umwälzung widerstreitet den Interessen der direkt dadurch berührten Arbeiter
|
||
|
||
und verschlechtert ihre unmittelbare Lage, indem sie die Arbeitskraft entwertet, die
|
||
|
||
Arbeit intensiver, eintöniger, qualvoller macht. Insofern sich die Gewerkschaft in die
|
||
|
||
technische Seite der Produktion einmischen kann, kann sie offenbar nur im letzteren Sinne,
|
||
|
||
d.h. im Sinne der direkt interessierten einzelnen Arbeitergruppe handeln, also sich
|
||
|
||
Neuerungen widersetzen. In diesem Falle handelt sie aber nicht im Interesse der
|
||
|
||
Arbeiterklasse im ganzen und ihrer Emanzipation, die vielmehr mit dem technischen
|
||
|
||
Fortschritt, d.h. mit dem Interesse des einzelnen Kapitalisten übereinstimmen, sondern
|
||
|
||
gerade entgegengesetzt, im Sinne der Reaktion. Und in der Tat, wir finden das Bestreben,
|
||
|
||
auf die technische Seite der Produktion einzuwirken, nicht in der Zukunft, wo Konrad
|
||
|
||
Schmidt sie sucht, sondern in der Vergangenheit der Gewerkschaftsbewegung. Sie bezeichnet
|
||
|
||
die ältere Phase des englischen Trade Unionismus (bis in die 6oer Jahre), wo er noch an
|
||
|
||
mittelalterlich-zünftlerische Überlieferungen anknüpfte und charakteristischerweise von
|
||
|
||
dem veralteten Grundsatz des »erworbenen Rechts auf angemessene Arbeit« getragen war.5
|
||
|
||
Die Bestrebung der Gewerkschaften, den Umfang der Produktion und die Warenpreise zu
|
||
|
||
bestimmen, ist hingegen eine Erscheinung ganz neuen Datums. Erst in der allerletzten Zeit
|
||
|
||
sehen wir - wiederum nur in England - dahingehende Versuche auftauchen.6 Dem Charakter und
|
||
|
||
der Tendenz nach sind aber auch diese Bestrebungen jenen ganz gleichwertig. Denn worauf
|
||
|
||
reduziert sich notwendigerweise die aktive Teilnahme der Gewerkschaft an der Bestimmung
|
||
|
||
des Umfangs und der Preise der Warenproduktion? Auf ein Kartell der Arbeiter mit den
|
||
|
||
Unternehmern gegen den Konsumenten, und zwar unter Gebrauch von Zwangsmaßregeln gegen
|
||
|
||
konkurrierende Unternehmer, die den Methoden der regelrechten Unternehmerverbände in
|
||
|
||
nichts nachstehen. Es ist dies im Grunde genommen kein Kampf zwischen Arbeit und Kapital
|
||
|
||
mehr, sondern ein solidarischer Kampf des Kapitals und der Arbeitskraft gegen die
|
||
|
||
konsumierende Gesellschaft. Seinem sozialen Werte nach ist das ein reaktionäres Beginnen,
|
||
|
||
das schon deshalb keine Etappe in dem Emanzipationskampfe des Proletariats bilden kann,
|
||
|
||
weil es vielmehr das gerade Gegenteil von einem Klassenkampf darstellt. Seinem praktischen
|
||
|
||
Werte nach ist das eine Utopie, die sich, wie eine kurze Besinnung dartut, nie auf
|
||
|
||
größere und für den Weltmarkt produzierende Branchen erstrecken kann.</p>
|
||
<p>Die Tätigkeit der Gewerkschaften beschränkt sich also in der Hauptsache auf den
|
||
|
||
Lohnkampf und die Verkürzung der Arbeitszeit, d.h. bloß auf die Regulierung der
|
||
|
||
kapitalistischen Ausbeutung je nach den Marktverhältnissen; die Einwirkung auf den
|
||
|
||
Produktionsprozeß bleibt ihnen der Natur der Dinge nach verschlossen. Ja, noch mehr, der
|
||
|
||
ganze Zug der gewerkschaftlichen Entwicklung richtet sich gerade umgekehrt, wie es Konrad
|
||
|
||
Schmidt annimmt, auf die völlige Ablösung des Arbeitsmarktes von jeder unmittelbaren
|
||
|
||
Beziehung zu dem übrigen Warenmarkt. Am bezeichnenfsten hierfür ist die Tatsache, daß
|
||
|
||
sogar die Bestrebung, den Arbeitskontrakt wenigstens passiv mit der allgemeinen
|
||
|
||
Produktionslage in unmittelbare Beziehung zu bringen, durch das System der gleitenden
|
||
|
||
Lohnlisten nunmehr von der Entwicklung überholt ist, und daß sich die englischen Trade
|
||
|
||
Unions von ihnen immer mehr abwenden.7</p>
|
||
<p>Aber auch in den tatsächlichen Schranken ihrer Einwirkung geht die gewerkschaftliche
|
||
|
||
Bewegung, nicht wie es die Theorie der Anpassung des Kapitals voraussetzt, einer
|
||
|
||
unumschränkten Ausdehnung entgegen. Ganz umgekehrt! Faßt man größere Strecken der
|
||
|
||
sozialen Entwicklung ins Auge, so kann man sich der Tatsache nicht verschließen, daß wir
|
||
|
||
im großen und ganzen nicht Zeiten einer siegreichen Machtentfaltung, sondern wachsenden
|
||
|
||
Schwierigkeiten der gewerkschaftlichen Bewegung entgegengehen. Hat die Entwicklung der
|
||
|
||
Industrie ihren Höhepunkt erreicht und beginnt für das Kapital auf dem Weltmarkt der
|
||
|
||
»absteigende Ast«, dann wird der gewerkschaftliche Kampf doppelt schwierig: erstens
|
||
|
||
verschlimmern sich die objektiven Konjunkturen des Marktes für die Arbeitskraft, indem
|
||
|
||
die Nachfrage langsamer, das Angebot aber rascher steigt, als es jetzt der Fall ist,
|
||
|
||
zweitens greift das Kapital selbst, urn sich für die Verluste auf dem Weltmarkt zu
|
||
|
||
entschädigen, um so hartnäckiger auf die dem Arbeiter zukommende Portion des Produktes
|
||
|
||
zurück. Ist doch die Reduzierung des Arbeitslohnes eines der wichtigsten Mittel, den Fall
|
||
|
||
der Profitrate aufzuhalten. England bietet uns bereits das Bild des beginnenden zweiten
|
||
|
||
Stadiums in der gewerkschaftlichen Bewegung. Sie reduzirt sich dabei notgedrungen immer
|
||
|
||
mehr auf die bloße Verteidigung des bereits Errungenen, und auch diese wird immer
|
||
|
||
schwieriger. Der bezeichnete allgemeine Gang der Dinge ist es, dessen Gegenstück der
|
||
|
||
Aufschwung des politischen und sozialistischen Klassenkampfes sein muß.</p>
|
||
<p>Den gleichen Fehler der umgekehrten geschichtlichen Perspektive begeht Konrad Schmidt
|
||
|
||
in bezug auf die Sozialreform, von der er sich verspricht, daß sie »Hand in Hand mit den
|
||
|
||
gewerkschaftlichen Arbeiterkoalitionen der Kapitalistenklasse die Bedingungen, unter denen
|
||
|
||
sie allein Arbeitskräfte verwenden darf, aufoktroyiert«. Im Sinne der so aufgefaßten
|
||
|
||
Sozialreform nennt Bernstein die Fabrikgesetze ein Stück »gesellschaftliche Kontrolle«
|
||
|
||
und als solche - ein Stück Sozialismus. Auch Konrad Schmidt sagt überall, wo er vom
|
||
|
||
staatlichen Arbeiterschutz spricht, »gesellschaftliche Kontrolle«, und hat er so
|
||
|
||
glücklich den Staat in Gesellschaft verwandelt, dann setzt er schon getrost hinzu: »d.h.
|
||
|
||
die aufstrebende Arbeiterklasse«, und durch diese Operation verwandeln sich die harmlosen
|
||
|
||
Arbeiterschutzbestimmungen des deutschen Bundesrates in sozialistische
|
||
|
||
Übergangsmaßregeln des deutschen Proletariats.</p>
|
||
<p>Die Mystifikation liegt hier auf der Hand. Der heutige Staat ist eben keine
|
||
|
||
»Gesellschaft« im Sinne der »aufstrebenden Arbeiterklasse«, sondern Vertreter der
|
||
|
||
kapitalistischen Gesellschaft, d.h. Klassenstaat. Deshalb ist auch die von ihm gehandhabte
|
||
|
||
Sozialreform nicht eine Betätigung der »gesellschaftlichen Kontrolle«, d.h. der
|
||
|
||
Kontrolle der freien arbeitenden Gesellschaft über den eigenen Arbeitsprozeß, sondern
|
||
|
||
eine Kontrolle der Klassenorganisation des Kapitals über den Produktionsprozeß des
|
||
|
||
Kapitals. Darin, d.h. in den Interessen des Kapitals, findet denn auch die Sozialreform
|
||
|
||
ihre natürlichen Schranken. Freilich, Bernstein und Konrad Schmidt sehen auch in dieser
|
||
|
||
Beziehung in der Gegenwart bloß »schwächliche Anfangsstadien« und versprechen sich von
|
||
|
||
der Zukunft eine ins Unendliche steigende Sozialreform zugunsten der Arbeiterklasse.
|
||
|
||
Allein sie begehen dabei den gleichen Fehler, wie in der Annahme einer unumschränkten
|
||
|
||
Machtentfaltung der Gewerkschaftsbewegung.</p>
|
||
<p>Die Theorie der allmählichen Einführung des Sozialismus durch soziale Reformen setzt
|
||
|
||
als Bedingung, und hier liegt ihr Schwerpunkt, eine bestimmte objektive Entwicklung ebenso
|
||
|
||
des kapitalistischen Eigentums wie des Staates, voraus. In bezug auf das erstere geht das
|
||
|
||
Schema der künftigen Entwicklung, wie es Konrad Schmidt voraussetzt, dahin, »den
|
||
|
||
Kapitaleigentümer durch Beschränkung seiner Rechte mehr und mehr in die Rolle eines
|
||
|
||
Verwalters herabzudrücken«. Angesichts der angeblichen Unmöglichkeit der einmaligen
|
||
|
||
plötzlichen Expropriation der Produktionsmittel macht sich Konrad Schmidt eine Theorie
|
||
|
||
der stufenweisen Enteignung zurecht. Hierfür konstruiert er sich als notwendige
|
||
|
||
Voraussetzung eine Zersplitterung des Eigentumsrechts in ein »Obereigentum«, das er der
|
||
|
||
»Gesellschaft« zuweist, und das er immer mehr ausgedehnt wissen will, und ein
|
||
|
||
Nutznießrecht, das in den Händen des Kapitalisten immer mehr zur bloßen Verwaltung
|
||
|
||
seines Betriebes zusammenschrumpft. Nun ist diese Konstruktion entweder ein harmloses
|
||
|
||
Wortspiel, bei dem nichts Wichtiges weiter gedacht wurde. Dann bleibt die Theorie der
|
||
|
||
allmählichen Expropriation ohne alle Deckung. Oder es ist ein ernst gemeintes Schema der
|
||
|
||
rechtlichen Entwicklung. Dann ist es aber völlig verkehrt. Die Zersplitterung der im
|
||
|
||
Eigentumsrecht liegenden verschiedenen Befugnisse, zu der Konrad Schmidt für seine
|
||
|
||
»stufenweise Expropriation« des Kapitals Zuflucht nimmt, ist charakteristisch für die
|
||
|
||
feudal-naturalwirtschaftliche Gesellschaft, in der die Verteilung des Produktes unter die
|
||
|
||
verschiedenen Gesellschaftsklassen in natura und auf Grund persönlicher Beziehungen
|
||
|
||
zwischen den Feudalherren und ihren Untergebenen vor sich ging. Der Zerfall des Eigentums
|
||
|
||
in verschiedene Teilrechte war hier die im voraus gegebene Organisation der Verteilung des
|
||
|
||
gesellschaftlichen Reichtums. Mit dem Übergang zur Warenproduktion und der Auflösung
|
||
|
||
aller persönlichen Bande zwischen den einzelnen Teilnehmern des Produktionsprozesses
|
||
|
||
befestigte sich umgekehrt das Verhältnis zwischen Mensch und Sache - das Privateigentum.
|
||
|
||
Indem die Verteilung sich nicht mehr durch persönliche Beziehungen, sondern durch den
|
||
|
||
Austausch vollzieht, messen sich verschiedene Anteilansprüche an dem gesellschaftlichen
|
||
|
||
Reichtum nicht in Splittern des Eigentumsrechts an einem gemeinsamen Objekt, sondern in
|
||
|
||
dem von jedermann zu Markte gebrachten Wert. Der erste Umschwung in rechtlichen
|
||
|
||
Beziehungen, der das Aufkommen der Warenproduktion in den städtischen Kommunen des
|
||
|
||
Mittelalters begleitete, war auch die Ausbildung des absoluten geschlossenen
|
||
|
||
Privateigentums im Schoße der feudalen Rechtsverhältnisse mit geteiltem Eigentum. In der
|
||
|
||
kapitalistischen Produktion setzt sich aber diese Entwicklung weiter fort. Je mehr der
|
||
|
||
Produktionsprozeß vergesellschaftet wird, um so mehr beruht der Verteilungsprozeß auf
|
||
|
||
reinem Austausch und um so unantastbarer und geschlossener wird das kapitalistische
|
||
|
||
Privateigentum, um so mehr schlägt das Kapitaleigentum aus einem Recht auf das Produkt
|
||
|
||
der eigenen Arbeit in ein reines Aneignungsrecht gegenüber fremder Arbeit um. So lange
|
||
|
||
der Kapitalist selbst die Fabrik leitet, ist die Verteilung noch bis zu einem gewissen
|
||
|
||
Grade an persönliche Teilnahme an dem Produktionsprozeß geknüpft. In dem Maße, wie die
|
||
|
||
persönliche Leitung des Fabrikanten überflüssig wird, und vollends in den
|
||
|
||
Aktiengesellschaften, sondert sich das Eigentum an Kapital als Anspruchstitel bei der
|
||
|
||
Verteilung gänzlich von persönlichen Beziehungen zur Produktion und erscheint in seiner
|
||
|
||
reinsten, geschlossenen Form. In dem Aktienkapital und dem industriellen Kreditkapital
|
||
|
||
gelangt das kapitalistische Eigentumsrecht erst zu seiner vollen Ausbildung.</p>
|
||
<p>Das geschichtliche Schema der Entwicklung des Kapitalisten, wie es Konrad Schmidt
|
||
|
||
zeichnet: »vom Eigentümer zum bloßen Verwalter«, erscheint somit als die auf den Kopf
|
||
|
||
gestellte tatsächliche Entwicklung, die umgekehrt vom Eigentümer und Verwalter zum
|
||
|
||
bloßen Eigentümer führt. Es geht hier Konrad Schmidt wie Goethe:</p>
|
||
<p>Was er besitzt, das sieht er wie im Weiten, Und was verschwand, wird ihm zu
|
||
|
||
Wirklichkeiten.</p>
|
||
<p>Und wie sein historisches Schema ökonomisch von der modernen Aktiengesellschaft auf
|
||
|
||
die Manufakturfabrik oder gar auf die Handwerker-Werkstatt zurückgeht, so will es
|
||
|
||
rechtlich die kapitalistische Welt in die feudal-naturalwirtschaftlichen Eierschalen
|
||
|
||
zurückstecken.</p>
|
||
<p>Von diesem Standpunkte erscheint auch die »gesellschaftliche Kontrolle« in einem
|
||
|
||
anderen Lichte, als sie Konrad Schmidt sieht. Das, was heute als »gesellschaftliche
|
||
|
||
Kontrolle« funktioniert - der Arbeiterschutz, die Aufsicht über Aktiengesellschaften
|
||
|
||
usw. - hat tatsächlich mit einem Anteil am Eigentumsrecht, mit »Obereigentum« nicht das
|
||
|
||
geringste zu tun. Sie betätigt sich nicht als Beschränkung des kapitalistischen
|
||
|
||
Eigentums, sondern umgekehrt als dessen Schutz. Oder ökonomisch gesprochen, sie bildet
|
||
|
||
nicht einen Eingriff in die kapitalistische Ausbeutung, sondern eine Normierung. Ordnung
|
||
|
||
dieser Ausbeutung. Und wenn Bernstein die Frage stellt, ob in einem Fabrikgesetz viel oder
|
||
|
||
wenig Sozialismus steckt, so können wir ihm versichern, daß in dem allerbesten
|
||
|
||
Fabrikgesetz genau so viel »Sozialismus« steckt wie in den Magistratsbestimmungen über
|
||
|
||
die Straßenreinigung und das Anzünden der Gaslaternen, was ja auch »gesellschaftliche
|
||
|
||
Kontrolle« ist.</p>
|
||
<H3 align="center"><A name="1_4">4. Zollpolitik und
|
||
|
||
Militarismus</a></H3>
|
||
<p>Die zweite Voraussetzung der allmählichen Einführung des Sozialismus bei Ed.
|
||
|
||
Bernstein ist die Entwicklung des Staates zur Gesellschaft. Es ist dies bereits zum
|
||
|
||
Gemeinplatz geworden, daß der heutige Staat ein Klassenstaat ist. Indes müßte unseres
|
||
|
||
Erachtens auch dieser Satz, wie alles, was auf die kapitalistische Gesellschaft Bezug hat,
|
||
|
||
nicht in einer starren, absoluten Gültigkeit, sondern in der fließenden Entwicklung
|
||
|
||
aufgefaßt werden.</p>
|
||
<p>Mit dem politischen Sieg der Bourgeoisie ist der Staat zum kapitalistischen Staat
|
||
|
||
geworden. Freilich, die kapitalistische Entwicklung selbst verändert die Natur des
|
||
|
||
Staates wesentlich, indem sie die Sphäre seiner Wirkung immer mehr erweitert, ihm immer
|
||
|
||
neue Funktionen zuweist, namentlich in bezug auf das ökonomische Leben seine Einmischung
|
||
|
||
und Kontrolle darüber immer notwendiger macht. Insofern bereitet sich allmählich die
|
||
|
||
künftige Verschmelzung des Staates mit der Gesellschaft vor, sozusagen der Rückfall der
|
||
|
||
Funktionen des Staates an die Gesellschaft. Nach dieser Richtung hin kann man auch von
|
||
|
||
einer Entwicklung des kapitalistischen Staats zur Gesellschaft sprechen, und in diesem
|
||
|
||
Sinne zweifellos, sagt Marx, der Arbeiterschutz sei die erste bewußte Einmischung »der
|
||
|
||
Gesellschaft« in ihren sozialen Lebensprozeß, ein Satz, auf den sich Bernstein beruft.</p>
|
||
<p>Aber auf der anderen Seite vollzieht sich im Wesen des Staates durch dieselbe
|
||
|
||
kapitalistische Entwicklung eine andere Wandlung. Zunächst ist der heutige Staat - eine
|
||
|
||
Organisation der herrschenden Kapitalistenklasse. Wenn er im Interesse der
|
||
|
||
gesellschaftlichen Entwicklung verschiedene Funktionen von allgemeinem Interesse
|
||
|
||
übernimmt, so nur, weil und insofern diese Interessen und die gesellschaftliche
|
||
|
||
Entwicklung mit den Interessen der herrschenden Klasse im allgemeinen zusammenfallen. Der
|
||
|
||
Arbeiterschutz z.B. liegt ebenso sehr im unmittelbaren Interesse der Kapitalisten als
|
||
|
||
Klasse, wie der Gesellschaft im ganzen. Aber diese Harmonie dauert nur bis zu einem
|
||
|
||
gewissen Zeitpunkt der kapitalistischen Entwicklung. Hat die Entwicklung einen bestimmten
|
||
|
||
Höhepunkt erreicht, dann fangen die Interessen der Bourgeoisie als Klasse und die des
|
||
|
||
ökonomischen Fortschritts an, auch im kapitalistischen Sinne auseinanderzugehen. Wir
|
||
|
||
glauben, daß diese Phase bereits herangebrochen ist, und dies äußert sich in den zwei
|
||
|
||
wichtigsten Erscheinungen des heutigen sozialen Lebens: in der Zollpolitik und im
|
||
|
||
Militarismus. Beides - Zollpolitik wie Militarismus - haben in der Geschichte des
|
||
|
||
Kapitalismus ihre unentbehrliche und insofern fortschrittliche, revolutionäre Rolle
|
||
|
||
gespielt. Ohne den Zollschutz wäre das Aufkommen der Großindustrie in den einzelnen
|
||
|
||
Ländern kaum möglich gewesen. Heute liegen aber die Dinge anders (ln allen wichtigsten
|
||
|
||
Ländern und zwar gerade in denen, die am meisten Zollpolitik treiben, ist die
|
||
|
||
kapitalistische Produktion so ziemlich zum gleichen Durchschnitt gelangt.)</p>
|
||
<p>Vom Standpunkte der kapitalistischen Entwicklung, d.h. vom Standpunkte der
|
||
|
||
Weltwirtschaft, ist es heute ganz gleichgültig, ob Deutschland nach England mehr Waren
|
||
|
||
ausführt oder England nach Deutschland. Vom Standpunkt derselben Entwicklung hat also der
|
||
|
||
Mohr seine Arbeit getan und könnte gehen. Ja, er müßte gehen. Bei der heutigen
|
||
|
||
gegenseitigen Abhängigkeit verschiedener Industriezweige müssen Schutzzölle auf
|
||
|
||
irgendwelche Waren die Produktion anderer Waren im Inlande verteuern, d.h. die Industrie
|
||
|
||
wieder unterbinden. Nicht aber so vom Standpunkte der Interessen der Kapitalistenklasse.
|
||
|
||
Die Industrie bedarf zu ihrer Entwicklung des Zollschutzes nicht, wohl aber die
|
||
|
||
Unternehmer zum Schutze ihres Absatzes. Das heißt die Zölle dienen heute nicht mehr als
|
||
|
||
Schutzmittel einer aufstrebenden kapitalistischen Produktion gegen eine reifere, sondern
|
||
|
||
als Kampfrnittel einer nationalen Kapitalistengruppe gegen eine andere. Die Zölle sind
|
||
|
||
ferner nicht mehr nötig als Schutzmittel der Industrie, um einen inländischen Markt zu
|
||
|
||
bilden und zu erobern, wohl aber als unentbehrliches Mittel zur Kartellierung der
|
||
|
||
Industrie, d.h. zum Kampfe der kapitalistischen Produzenten mit der konsumierenden
|
||
|
||
Gesellschaft. Endlich, was am grellsten den spezifischen Charakter der heutigen
|
||
|
||
Zollpolitik markiert, ist die Tatsache, daß jetzt überall die ausschlaggebende Rolle
|
||
|
||
darin überhaupt nicht die Industrie, sondern die Landwirtschaft spielt, d.h. daß die
|
||
|
||
Zollpolitik eigentlich zu einem Mittel geworden ist, feudale Interessen in kapitalistische
|
||
|
||
Form zu gießen und zum Ausdruck zu bringen.</p>
|
||
<p>Die gleiche Wandlung ist mit dem Militarismus vorgegangen. Wenn wir die Geschichte
|
||
|
||
betrachten, nicht wie sie hätte sein können oder sollen, sondern wie sie tatsächlich
|
||
|
||
war, so müssen wir konstatieren, daß der Krieg den unentbehrlichen Faktor der
|
||
|
||
kapitalistischen Entwicklung bildete. Die Vereinigten Staaten Nordamerikas und
|
||
|
||
Deutschland, Italien und die Balkanstaaten, Rußland und Polen, sie alle verdanken die
|
||
|
||
Bedingungen oder den Anstoß zur kapitalistischen Entwicklung den Kriegen, gleichviel ob
|
||
|
||
dem Sieg oder der Niederlage. Solange als es Länder gab, deren innere Zersplitterung oder
|
||
|
||
deren naturalwirtschaftliche Abgeschlossenheit zu überwinden war, spielte auch der
|
||
|
||
Militarismus eine revolutionäre Rolle im kapitalistischen Sinne. Heute liegen auch hier
|
||
|
||
die Dinge anders. (Der Militarismus hat keine Länder mehr dem Kapitalismus zu
|
||
|
||
erschließen.) (I) Wenn die Weltpolitik zum Theater drohender Konflikte geworden ist, so
|
||
|
||
handelt es sich nicht sowohl um die Erschließung neuer Länder für den Kapitalismus, als
|
||
|
||
um fertige europäische Gegensätze, die sich nach den anderen Weltteilen verpflanzt haben
|
||
|
||
und dort zum Durchbruch kommen. Was heute gegeneinander mit der Waffe in der Hand
|
||
|
||
auftritt, gleichviel ob in Europa oder in anderen Weltteilen, sind nicht einerseits
|
||
|
||
kapitalistische, andererseits naturalwirtschaftliche Länder, sondern Staaten, die gerade
|
||
|
||
durch die Gleichartigkeit ihrer hohen kapitalistischen Entwicklung zum Konflikt getrieben
|
||
|
||
werden. Für diese Entwicklung selbst kann freilich unter diesen Umständen der Konflikt,
|
||
|
||
wenn er zum Durchbruch kommt, nur von fataler Bedeutung sein, indem er die tiefste
|
||
|
||
Erschütterung und Umwälzung des wirtschaftlichen Lebens in allen kapitalistischen
|
||
|
||
Ländern herbeiführen wird. Anders sieht aber die Sache aus vom Standpunkte der
|
||
|
||
Kapitalistenklasse. Für sie ist heute der Militarismus in dreifacher Beziehung
|
||
|
||
unentbehrlich geworden: erstens als Kampfmittel für konkurrierende »nationale«
|
||
|
||
Interessen gegen andere nationale Gruppen, zweitens als wichtigste Anlageart ebenso für
|
||
|
||
das finanzielle wie für das industrielle Kapital, und drittens als Werkzeug der
|
||
|
||
Klassenherrschaft im Inlande gegenüber dem arbeitenden Volke - alles Interessen, die mit
|
||
|
||
dem Fortschritt der kapitalistischen Produktionsweise an sich nichts gemein haben. Und was
|
||
|
||
am besten wiederum diesen spezifischen Charakter des heutigen Militarismus verrät, ist
|
||
|
||
erstens sein allgemeines Wachstum in allen Ländern um die Wette, sozusagen durch eigene,
|
||
|
||
innere, mechanische Triebkraft, eine Erscheinung, die noch vor ein paar Jahrzehnten ganz
|
||
|
||
unbekannt war, ferner die Unvermeidlichkeit, das Fatale der herannahenden Explosion bei
|
||
|
||
gleichzeitiger völliger Unbestimmtheit des Anlasses, der zunächst interessierten
|
||
|
||
Staaten, des Streitgegenstandes und aller näheren Umstände. Aus einer Triebkraft der
|
||
|
||
kapitalistischen Entwicklung ist auch der Militarismus zur kapitalistischen Krankheit
|
||
|
||
geworden.</p>
|
||
<p>Bei dem dargelegten Zwiespalt zwischen der gesellschaftlichen Entwicklung und den
|
||
|
||
herrschenden Klasseninteressen stellt sich der Staat auf die Seite der letzteren. Er tritt
|
||
|
||
in seiner Politik, ebenso wie die Bourgeoisie, in Gegensatz zu der gesellschaftlichen
|
||
|
||
Entwicklung, er verliert somit immer mehr seinen Charakter des Vertreters der gesamten
|
||
|
||
Gesellschaft und wird in gleichem Maße immer mehr zum reinen Klassenstaate. Oder,
|
||
|
||
richtiger ausgesprochen, diese seine beiden Eigenschaften trennen sich voneinander und
|
||
|
||
spitzen sich zu einem Widerspruche innerhalb des Wesens des Staates zu. Und zwar wird der
|
||
|
||
bezeichnete Widerspruch mit jedem Tage schärfer. Denn einerseits wachsen die Funktionen
|
||
|
||
des Staates von allgemeinem Charakter, seine Einmischung in das gesellschaftliche Leben,
|
||
|
||
seine »Kontrolle« darüber. Andererseits aber zwingt ihn sein Klassencharakter immer
|
||
|
||
mehr, den Schwerpunkt seiner Tätigkeit und seine Machtmittel auf Gebiete zu verlegen, die
|
||
|
||
nur für das Klasseninteresse der Bourgeoisie von Nutzen, für die Gesellschaft nur von
|
||
|
||
negativer Bedeutung sind, den Militarismus, die Zoll- und Kolonialpolitik. Zweitens wird
|
||
|
||
dadurch auch seine »gesellschaftliche Kontrolle« immer mehr vom Klassencharakter
|
||
|
||
durchdrungen und beherrscht (siehe die Handhabung des Arbeiterschutzes in allen Ländern).</p>
|
||
<p>Der bezeichneten Wandlung im Wesen des Staates widerspricht nicht, entspricht vielmehr
|
||
|
||
vollkommen die Ausbildung der Demokratie, in der Bernstein ebenfalls das Mittel der
|
||
|
||
stufenweisen Einführung des Sozialismus sieht.</p>
|
||
<p>Wie Konrad Schmidt erläutert, soll die Erlangung einer sozialdemokratischen Mehrheit
|
||
|
||
im Parlament sogar der direkte Weg dieser stufenweisen Sozialisierung der Gesellschaft
|
||
|
||
sein. Die demokratischen Formen des politischen Lebens sind nun zweifellos eine
|
||
|
||
Erscheinung, die am stärksten die Entwicklung des Staates zur Gesellschaft zum Ausdruck
|
||
|
||
bringt und insofern eine Etappe zur sozialistischen Umwälzung bildet. Allein der
|
||
|
||
Zwiespalt irn Wesen des kapitalistischen Staates, den wir charakterisiert haben, tritt in
|
||
|
||
dem modernen Parlamentarismus um so greller zutage. Zwar der Form nach dient der
|
||
|
||
Parlamentarismus dazu, in der staatlichen Organisation die Interessen der gesamten
|
||
|
||
Gesellschaft zum Ausdruck zu bringen. Andererseits aber ist es doch nur die
|
||
|
||
kapitalistische Gesellschaft, d.h. eine Gesellschaft, in der die kapitalistischen
|
||
|
||
Interessen maßgebend sind, die er zum Ausdruck bringt. Die der Form nach demokratischen
|
||
|
||
Einrichtungen werden somit dem Inhalt nach zum Werkzeuge der herrschenden
|
||
|
||
Klasseninteressen. Dies tritt in greifbarer Weise in der Tatsache zutage, daß, sobald die
|
||
|
||
Demokratie die Tendenz hat, ihren Klassencharakter zu verleugnen und in ein Werkzeug der
|
||
|
||
tatsächlichen Volksinteressen umzuschlagen, die demokratischen Formen selbst von der
|
||
|
||
Bourgeoisie und ihrer staatlichen Vertretung geopfert werden. Die Idee von einer
|
||
|
||
sozialdemokratischen Parlamentsmehrheit erscheint angesichts dessen als eine Kalkulation,
|
||
|
||
die ganz im Geiste des bürgerlichen Liberalismus bloß mit der einen, formellen Seite der
|
||
|
||
Demokratie rechnet, die andere Seite aber, ihren reellen Inhalt, völlig außer acht
|
||
|
||
läßt. Und der Parlamentarismus im ganzen erscheint nicht als ein unmittelbar
|
||
|
||
sozialistisches Element, das die kapitalistische Gesellschaft allmählich durchtränkt,
|
||
|
||
wie Bernstein annimmt, sondern umgekehrt als ein spezifisches Mittel des bürgerlichen
|
||
|
||
Klassenstaates, die kapitalistischen Gegensätze zur Reife und zur Ausbildung zu bringen.</p>
|
||
<p>Angesichts dieser objektiven Entwicklung des Staates verwandelt sich der Satz
|
||
|
||
Bernsteins und Konrad Schmidts von der direkt den Sozialismus herbeiführenden, wachsenden »gesellschaftlichen Kontrolle« in eine Phrase, die mit jedem Tage mehr der
|
||
|
||
Wirklichkeit widerspricht.</p>
|
||
<p>Die Theorie von der stufenweisen Einführung des Sozialismus läuft hinaus auf eine
|
||
|
||
allmähliche Reform des kapitalistischen Eigentums und des kapitalistischen Staates irn
|
||
|
||
sozialistischen Sinne. Beide entwickeln sich jedoch kraft objektiver Vorgänge der
|
||
|
||
gegenwärtigen Gesellschaft nach einer gerade entgegengesetzten Richtung. Der
|
||
|
||
Produktionsprozeß wird immer mehr vergesellschaftet, und die Einmischung, die Kontrolle
|
||
|
||
des Staates über diesen Produktionsprozeß wird immer breiter. Aber gleichzeitig wird das
|
||
|
||
Privateigentum immer mehr zur Form der nackten kapitalistischen Ausbeutung fremder Arbeit,
|
||
|
||
und die staatliche Kontrolle wird immer mehr von ausschließlichen Klasseninteressen
|
||
|
||
durchdrungen. Indem somit der Staat, d.h. die poIitische Organisation, und die
|
||
|
||
Eigentumsverhältnisse, d.h. die rechtliche Organisation des Kapitalismus, mit der
|
||
|
||
Entwicklung immer kapitalistischer und nicht immer sozialistischer werden, setzen sie der
|
||
|
||
Theorie von der allmählichen Einführung des Sozialismus zwei unüberwindliche
|
||
|
||
Schwierigkeiten entgegen.</p>
|
||
<p>Die Idee Fouriers, durch das Phalanstere-System das sämtliche Meerwasser der Erde in
|
||
|
||
Limonade zu verwandeln, war sehr phantastisch. Allein die Idee Bernsteins, das Meer der
|
||
|
||
kapitalistischen Bitternis durch flaschenweises Hinzufügen der sozialreformerischen
|
||
|
||
Limonade in ein Meer sozialistischer Süßigkeit zu verwandeln, ist nur abgeschmackter,
|
||
|
||
aber nicht um ein Haar weniger phantastisch.</p>
|
||
<p>Die Produktionsverhältnisse der kapitalistischen Gesellschaft nähern sich der
|
||
|
||
sozialistischen immer mehr, ihre politischen und rechtlichen Verhältnisse dagegen
|
||
|
||
errichten zwischen der kapitalistischen und der sozialistischen Gesellschaft eine immer
|
||
|
||
höhere Wand. Diese Wand wird durch die Entwicklung der Sozialreformen wie der Demokratie
|
||
|
||
nicht durchlöchert, sondern umgekehrt fester, starrer gemacht. Wodurch sie also
|
||
|
||
niedergerissen werden kann, ist einzig der Hammerschlag der Revolution, d.h. die Eroberung
|
||
|
||
der politischen Macht durch das Proletariat.</p>
|
||
<H3 align="center"><A name="1_5">5.Praktische
|
||
|
||
Konsequenzen und allgemeiner Charakter des Revisionismus</a></H3>
|
||
<p>Wir haben im ersten Kapitel darzutun gesucht, daß die Bernsteinsche Theorie das
|
||
|
||
sozialistische Programm vom materiellen Boden aufhebt und auf eine idealistische Basis
|
||
|
||
versetzt. Dies bezieht sich auf die theoretische Begründung. Wie sieht nun aber die
|
||
|
||
Theorie - in die Praxis übersetzt aus? Zunächst und formell unterscheidet sie sich gar
|
||
|
||
nicht von der bisher üblichen Praxis des sozialdemokratischen Kampfes. Gewerkschaften,
|
||
|
||
der Kampf um die Sozialreform und um die Demokratisierung der politischen Einrichtungen,
|
||
|
||
das ist das nämliche, was auch sonst den formellen Inhalt der sozialdemokratischen
|
||
|
||
Parteitätigkeit ausmacht. Der Unterschied liegt also nicht in dem Was, wohl aber in dem
|
||
|
||
Wie. Wie die Dinge jetzt liegen, werden der gewerkschaftliche und der parlamentarische
|
||
|
||
Kampf als Mittel aufgefaßt, das Proletariat allmählich zur Besitzergreifung der
|
||
|
||
politischen Gewalt zu führen und zu erziehen. Nach der revisionistischen Auffassung
|
||
|
||
sollen sie, angesichts der Unmöglichkeit und Zwecklosigkeit dieser Besitzergreifung,
|
||
|
||
bloß im Hinblick auf unmittelbare Resultate, d. h. die Hebung der materiellen Lage der
|
||
|
||
Arbeiter, und auf die stufenweise Einschränkung der kapitalistischen Ausbeutung und die
|
||
|
||
Erweiterung der gesellschaftlichen Kontrolle geführt werden. Wenn wir von dem Zwecke der
|
||
|
||
unmittelbaren Hebung der Lage der Arbeiter absehen, da er beiden Auffassungen, der bisher
|
||
|
||
in der Partei üblichen, wie der revisionistischen, gemeinsam ist, so liegt der ganze
|
||
|
||
Unterschied kurz gefaßt darin: nach der landläufigen Auffassung besteht die
|
||
|
||
sozialistische Bedeutung des gewerkschaftlichen und politischen Kampfes darin, daß er das
|
||
|
||
Proletariat, d.h. den subjektiven Faktor der sozialistischen Umwälzung zu deren
|
||
|
||
Durchführung vorbereitet. Nach Bernstein besteht sie darin, daß der gewerkschaftliche
|
||
|
||
und politische Kampf die kapitalistische Ausbeutung selbst stufenweise einschränken, der
|
||
|
||
kapitalistischen Gesellschaft immer mehr ihren kapitalistischen Charakter nehmen und den
|
||
|
||
sozialistischen aufprägen, mit einem Worte, die sozialistische Umwälzung in objektivem
|
||
|
||
Sinne herbeiführen soll. Sieht man die Sache näher an, so sind beide Auffassungen sogar
|
||
|
||
gerade entgegengesetzt. In der parteiüblichen Auffassung gelangt das Proletariat durch
|
||
|
||
den gewerkschaftlichen und politischen Kampf zu der überzeugung von der Unmöglichkeit,
|
||
|
||
seine Lage von Grund aus durch diesen Kampf umzugestalten, und von der Unvermeidlichkeit
|
||
|
||
einer endgültigen Besitzergreifung der politischen Machtmittel. In der Bernsteinschen
|
||
|
||
Auffassung geht man von der Unmöglichkeit der politischen Machtergreifung als
|
||
|
||
Voraussetzung aus, um durch bloßen gewerkschaftlichen und politischen Kampf die
|
||
|
||
sozialistische Ordnung einzuführen.</p>
|
||
<p>Der sozialistische Charakter des gewerkschaftlichen und parlamentarischen Kampfes liegt
|
||
|
||
also bei der Bernsteinschen Auffassung in dem Glauben an dessen stufenweise
|
||
|
||
sozialisierende Einwirkung auf die kapitalistische Wirtschaft. Eine solche Einwirkung ist
|
||
|
||
aber tatsächlich wie wir darzutun suchten - bloße Einbildung. Die kapitalistischen
|
||
|
||
Eigentums- und Staatseinrichtungen entwickeln sich nach einer entgegengesetzten Richtung.
|
||
|
||
Damit aber verliert der praktische Tageskampf der Sozialdemokratie in letzter Linie
|
||
|
||
überhaupt jede Beziehung zum Sozialismus. Die große sozialistische Bedeutung des
|
||
|
||
gewerkschaftlichen und politischen Kampfes besteht darin, daß sie die Erkenntnis, das
|
||
|
||
Bewußtsein des Proletariats sozialisieren, es als Klasse organisieren. Indem man sie als
|
||
|
||
Mittel der unmittelbaren Sozialisierung der kapitalistischen Wirtschaft auffaßt, versagen
|
||
|
||
sie nicht nur diese ihnen angedichtete Wirkung, sondern büßen zugleich auch die andere
|
||
|
||
Bedeutung ein: sie hören auf, Erziehungsmittel der Arbeiterklasse zur proletarischen
|
||
|
||
Machtergreifung zu sein.</p>
|
||
<p>Es beruht deshalb auf einem gänzlichen Mißverständnis, wenn Eduard Bernstein und
|
||
|
||
Konrad Schmidt sich beruhigen, das Endziel gehe der Arbeiterbewegung bei der
|
||
|
||
Einschränkung des ganzen Kampfes auf Sozialreform und Gewerkschaften doch nicht verloren,
|
||
|
||
weil jeder Schritt auf dieser Bahn über sich hinausführe und das sozialistische Ziel so
|
||
|
||
der Bewegung selbst als Tendenz innewohne. Dies ist allerdings in vollem Maße bei der
|
||
|
||
jetzigen Taktik der deutschen Sozialdemokratie der Fall, d.h. wenn die bewußte und feste
|
||
|
||
Bestrebung zur Eroberung der politischen Macht dem gewerkschaftlichen und
|
||
|
||
sozialreformerischen Kampfe als Leitstern vorausgeht. Löst man jedoch diese im voraus
|
||
|
||
gegebene Bestrebung von der Bewegung ab und stellt man die Sozialreform zunächst als
|
||
|
||
Selbstzweck auf, so führt sie nicht nur nicht zur Verwirklichung des sozialistischen
|
||
|
||
Endzieles, sondern eher umgekehrt. Konrad Schmidt verläßt sich einfach auf die sozusagen
|
||
|
||
mechanische Bewegung, die, einmal in Fluß gebracht, von selbst nicht wieder aufhören
|
||
|
||
kann, und zwar auf Grund des einfachen Satzes, daß beim Essen der Appetit kommt und die
|
||
|
||
Arbeiterklasse sich nie mit Reformen zufrieden geben kann, solange nicht die
|
||
|
||
sozialistische Umwälzung vollendet ist. Die letzte Voraussetzung ist zwar richtig und
|
||
|
||
dafür bürgt uns die Unzulänglichkeit der kapitalistischen Sozialreform selbst. Aber die
|
||
|
||
daraus gezogene Folgerung könnte nur dann wahr sein, wenn sich eine ununterbrochene Kette
|
||
|
||
fortlaufender und stets wachsender Sozialreformen von der heutigen Gesellschaftsordnung
|
||
|
||
unmittelbar zur sozialistischen konstruieren ließe. Das ist aber eine Phantasie, die
|
||
|
||
Kette bricht vielmehr nach der Natur der Dinge sehr bald ab, und die Wege, die die
|
||
|
||
Bewegung von diesem Punkte an einschlagen kann, sind mannigfaltig.</p>
|
||
<p>Am nächsten und wahrscheinlichsten erfolgt dann eine Verschiebung in der Taktik nach
|
||
|
||
der Richtung, um durch alle Mittel die praktischen Resultate des Kampfes, die
|
||
|
||
Sozialreformen zu ermöglichen. Der unversöhnliche, schroffe Klassenstandpunkt, der nur
|
||
|
||
im Hinblick auf eine angestrebte politische Machteroberung Sinn hat, wird immer mehr zu
|
||
|
||
einem bloßen Hindernis, sobald unmittelbare praktische Erfolge den Hauptzweck bilden. Der
|
||
|
||
nächste Schritt ist also eine »Kompensationspolitik« - auf gut deutsch - eine
|
||
|
||
Kuhhandelspolitik - und eine versöhnliche, staatsmännisch kluge Haltung. Die Bewegung
|
||
|
||
kann aber auch nicht lange stehen bleiben. Denn da die Sozialreform einmal in der
|
||
|
||
kapitalistischen Welt eine hohle Nuß ist und allezeit bleibt, mag man eine Taktik
|
||
|
||
anwenden, welche man will, so ist der nächste logische Schritt die Enttäuschung auch in
|
||
|
||
der Sozialreform, d.h. der ruhige Hafen, wo nun die Professoren Schmoller u. Co. vor Anker
|
||
|
||
gegangen sind, die ja auch auf sozialreformerischen Gewässern durchstudierten die groß'
|
||
|
||
und kleine Welt, um schließlich alles gehen zu lassen, wie's Gott gefällt.9 Der
|
||
|
||
Sozialismus erfolgt also aus dem alltäglichen Kampfe der Arbeiterklasse durchaus nicht
|
||
|
||
von selbst und unter allen Umständen. Er ergibt sich nur aus den immer mehr sich
|
||
|
||
zuspitzenden Widersprüchen der kapitalistischen Wirtschaft und aus der Erkenntnis der
|
||
|
||
Arbeiterklasse von der Unerläßlichkeit ihrer Aufhebung durch eine soziale Umwälzung.
|
||
|
||
Leugnet man das eine und verwirft man das andere, wie es der Revisionismus tut, dann
|
||
|
||
reduziert sich die Arbeiterbewegung zunächst auf simple Gewerkvereinlerei und
|
||
|
||
Sozialreformerei und führt durch eigene Schwerkraft in letzter Linie zum Verlassen des
|
||
|
||
Klassenstandpunktes.</p>
|
||
<p>Diese Konsequenzen werden auch klar, wenn man die revisionistische Theorie noch von
|
||
|
||
einer anderen Seite betrachtet und sich die Frage stellt: was ist der allgemeine Charakter
|
||
|
||
dieser Auffassung? Es ist klar, daß der Revisionismus nicht auf dem Boden der
|
||
|
||
kapitalistischen Verhältnisse steht und nicht mit bürgerlichen Ökonomen ihre
|
||
|
||
Widersprüche leugnet. Er geht vielmehr in seiner Theorie auch wie die Marxsche Auffassung
|
||
|
||
von der Existenz dieser Widersprüche als Voraussetzung aus. Andererseits aber - und dies
|
||
|
||
ist sowohl der Kernpunkt seiner Auffassung überhaupt wie seine Grunddifferenz mit der
|
||
|
||
bisher üblichen sozialdemokratischen Auffassung - stützt er sich nicht in seiner Theorie
|
||
|
||
auf die Aufhebung dieser Widersprüche durch ihre eigene konsequente Entwicklung.</p>
|
||
<p>Seine Theorie steht in der Mitte zwischen den beiden Extremen, er will nicht die
|
||
|
||
kapitalistischen Widersprüche zur vollen Reife gelangen und durch einen revolutionären
|
||
|
||
Umschlag auf der Spitze aufheben, sondern ihnen die Spitze abbrechen, sie abstumpfen. So
|
||
|
||
soll das Ausbleiben der Krisen und die Unternehmerorganisation den Widerspruch zwischen
|
||
|
||
der Produktion und dem Austausch, die Hebung der Lage des Proletariats und die
|
||
|
||
Fortexistenz des Mittelstandes den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit, die wachsende
|
||
|
||
Kontrolle und Demokratie den Widerspruch zwischen Klassenstaat und Gesellschaft
|
||
|
||
abstumpfen.</p>
|
||
<p>Freilich besteht auch die landläufige sozialdemokratische Taktik nicht darin, daß man
|
||
|
||
die Entwicklung der kapitalistischen Widersprüche bis zur äußersten Spitze und dann
|
||
|
||
erst ihren Umschlag abwartet. Umgekehrt, wir stützen uns bloß auf die einmal erkannte
|
||
|
||
Richtung der Entwicklung, treiben aber dann im politischen Kampfe ihre Konsequenzen auf
|
||
|
||
die Spitze, worin das Wesen jeder revolutionären Taktik überhaupt besteht. So bekämpft
|
||
|
||
die Sozialdemokratie z.B. die Zölle und den Militarismus zu allen Zeiten, nicht erst, als
|
||
|
||
ihr reaktionärer Charakter völlig zum Durchbruch gelangt ist. Bernstein stützt sich
|
||
|
||
aber in seiner Taktik überhaupt nicht auf die Weiterentwicklung und Verschärfung,
|
||
|
||
sondern auf die Abstumpfung der kapitalistischen Widersprüche. Er selbst hat es am
|
||
|
||
treffendsten gekennzeichnet, indem er von einer »Anpassung« der kapitalistischen
|
||
|
||
Wirtschaft spricht. Wann hätte eine solche Auffassung ihre Richtigkeit? Alle
|
||
|
||
Widersprüche der heutigen Gesellschaft sind einfache Ergebnisse der kapitalistischen
|
||
|
||
Produktionsweise. Setzen wir voraus, daß diese Produktionsweise sich weiter in der bis
|
||
|
||
jetzt gegebenen Richtung entwickelt, so müssen sich mit ihr unzertrennlich auch alle ihre
|
||
|
||
Konsequenzen weiter entwickeln, die Widersprüche zuspitzen und verschärfen, statt sich
|
||
|
||
abzustumpfen.</p>
|
||
<p>Letzteres setzt also umgekehrt als Bedingung voraus, daß die kapitalistische
|
||
|
||
Produktionsweise selbst in ihrer Entwicklung gehemmt wird. Mit einem Worte, die
|
||
|
||
allgemeinste Voraussetzung der Bernsteinschen Theorie, das ist ein Stillstand in der
|
||
|
||
kapitalistischen Entwicklung.</p>
|
||
<p>Damit richtet sich aber die Theorie von selbst, und zwar doppelt. Denn erstens legt sie
|
||
|
||
ihren utopischen Charakter in bezug auf das sozialistische Endziel bloß - es ist von
|
||
|
||
vornherein klar, daß eine versumpfte kapitalistische Entwicklung nicht zur
|
||
|
||
sozialistischen Umwälzung führen kann und hier haben wir die Bestätigung unserer
|
||
|
||
Darstellung der praktischen Konsequenz der Theorie. Zweitens enthüllt sie ihren
|
||
|
||
reaktionären Charakter in bezug auf die tatsächlich sich vollziehende rapide
|
||
|
||
kapitalistische Entwicklung. Nun drängt sich die Frage auf: wie kann die Bernsteinsche
|
||
|
||
Auffassungsweise angesichts dieser tatsächlichen kapitalistischen Entwicklung erklärt
|
||
|
||
oder vielmehr charakterisiert werden?</p>
|
||
<p>Daß die ökonomischen Voraussetzungen, von denen Bernstein in seiner Analyse der
|
||
|
||
heutigen sozialen Verhältnisse ausgeht - seine Theorie der kapitalistischen »Anpassung«
|
||
|
||
- unstichhaltig sind, glauben wir im ersten Abschnitt gezeigt zu haben. Wir sahen, daß
|
||
|
||
weder das Kreditwesen noch die Kartelle als »Anpassungsmittel« der kapitalistischen
|
||
|
||
Wirtschaft, weder das zeitweilige Ausbleiben der Krisen, noch die Fortdauer des
|
||
|
||
Mittelstandes als Symptom der kapitalistischen Anpassung aufgefaßt werden können. Allen
|
||
|
||
genannten Details der Anpassungstheorie liegt aber abgesehen von ihrer direkten
|
||
|
||
Irrtümlichkeit - noch ein gemeinsamer charakteristischer Zug zugrunde. Diese Theorie
|
||
|
||
faßt alle behandelten Erscheinungen des ökonomischen Lebens nicht in ihrer organischen
|
||
|
||
Angliederung an die kapitalistische Entwicklung im ganzen und in ihrem Zusammenhange mit
|
||
|
||
dem ganzen Wirtschaftsmechanismus auf, sondern aus diesem Zusammenhange gerissen, im
|
||
|
||
selbständigen Dasein, als disjecta membra (zerstreute Teile) einer leblosen Maschine. So
|
||
|
||
z.B. die Auffassung von der Anpassungswirkung des Kredits. Faßt man ins Auge den Kredit
|
||
|
||
als eine naturwüchsige höhere Stufe des Austausches und im Zusammenhang mit allen dem
|
||
|
||
kapitalistischen Austausch innewohnenden Widersprüchen, so kann man unmöglich in ihm
|
||
|
||
irgendein gleichsam außerhalb des Austauschprozesses stehendes, mechanisches
|
||
|
||
»Anpassungsmittel« sehen, ebenso wenig wie man das Geld selbst, die Ware, das Kapital
|
||
|
||
als »Anpassungsmittel« des Kapitalismus ansehen kann. Der Kredit ist aber nicht um ein
|
||
|
||
Haar weniger als Geld, Ware und Kapital ein organisches Glied der kapitalistischen
|
||
|
||
Wirtschaft auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung und bildet auf dieser Stufe, wieder
|
||
|
||
ganz wie jene, ebenso ein unentbehrliches Mittelglied ihres Räderwerkes, wie auch ein
|
||
|
||
Zerstörungswerkzeug, indem es ihre inneren Widersprüche steigert.</p>
|
||
<p>Ganz dasselbe gilt von den Kartellen und den vervollkommneten Verkehrsmitteln.</p>
|
||
<p>Die gleiche mechanische und undialektische Auffassung liegt ferner in der Weise, wie
|
||
|
||
Bernstein das Ausbleiben der Krisen als ein Symptom der »Anpassung« der kapitalistischen
|
||
|
||
Wirtschaft hinnimmt. Für ihn sind die Krisen einfach Störungen im wirtschaftlichen
|
||
|
||
Mechanismus, und bleiben sie aus, dann kann offenbar der Mechanismus glatt funktionieren.
|
||
|
||
Die Krisen sind aber tatsächlich keine »Störungen« im eigentlichen Sinne, oder
|
||
|
||
vielmehr, sie sind Störungen, ohne die aber die kapitalistische Wirtschaft im ganzen gar
|
||
|
||
nicht auskommen kann. Ist es einmal Tatsache, daß die Krisen, ganz kurz ausgedrückt, die
|
||
|
||
auf kapitalistischer Basis einzig mögliche, deshalb ganz normale Methode der periodischen
|
||
|
||
Lösung des Zwiespaltes zwischen der unbeschränkten Ausdehnungsfähigkeit der Produktion
|
||
|
||
und den engen Schranken des Absatzmarktes bilden, dann sind auch die Krisen
|
||
|
||
unzertrennliche organische Erscheinungen der kapitalistischen Gesamtwirtschaft.</p>
|
||
<p>In einem »störungslosen« Fortgang der kapitalistischen Produktion liegen vielmehr
|
||
|
||
für sie Gefahren, die größer sind als die Krisen selbst. Es ist dies nämlich das,
|
||
|
||
nicht aus dem Widerspruch zwischen Produktion und Austausch, sondern aus der Entwicklung
|
||
|
||
der Produktivität der Arbeit selbst sich ergebende stete Sinken der Profitrate, das die
|
||
|
||
höchst gefährliche Tendenz hat, die Produktion allen kleineren und mittleren Kapitalien
|
||
|
||
unmöglich zu machen, und so der Neubildung, damit dem Fortschritt der Kapitalanlagen
|
||
|
||
Schranken entgegenzusetzen. Gerade die Krisen, die sich aus demselben Prozeß als die
|
||
|
||
andere Konsequenz ergeben, bewirken durch die periodische Entwertung des Kapitals, durch
|
||
|
||
Verbilligung der Produktionsmittel und Lahmlegung eines Teils des tätigen Kapitals
|
||
|
||
zugleich die Hebung der Profite und schaffen so für Neuanlagen und damit neue
|
||
|
||
Fortschritte in der Produktion Raum. So erscheinen sie als Mittel, das Feuer der
|
||
|
||
kapitalistischen Entwicklung immer wieder zu schüren und zu entfachen, und ihr
|
||
|
||
Ausbleiben, nicht für bestimmte Momente der Ausbildung des Weltmarktes, wie wir es
|
||
|
||
annehmen, sondern schlechthin, würde bald die kapitalistische Wirtschaft, nicht wie
|
||
|
||
Bernstein meint, auf einen grünen Zweig, sondern direkt in den Sumpf gebracht haben. Bei
|
||
|
||
der mechanischen Auffassungsweise, die die ganze Anpassungstheorie kennzeichnet, läßt
|
||
|
||
Bernstein ebenso die Unentbehrlichkeit der Krisen, wie die Unentbehrlichkeit der
|
||
|
||
periodisch immer wieder aufschießenden Neuanlagen von kleinen und mittleren Kapitalen
|
||
|
||
außer acht, weshalb ihm u.a. auch die stete Wiedergeburt des Kleinkapitals als ein
|
||
|
||
Zeichen des kapitalistischen Stillstandes, statt, wie tatsächlich, der normalen
|
||
|
||
kapitalistischen Entwicklung, erscheint.</p>
|
||
<p>Es gibt nun freilich einen Standpunkt, von dem alle behandelten Erscheinungen sich auch
|
||
|
||
wirklich so darstellen, wie sie die »Anpassungstheorie« zusammenfaßt, nämlich den
|
||
|
||
Standpunkt des einzelnen Kapitalisten, wie ihm die Tatsachen des wirtschaftlichen Lebens,
|
||
|
||
verunstaltet durch die Gesetze der Konkurrenz, zum Bewußtsein kommen. Der einzelne
|
||
|
||
Kapitalist sieht vor allem tatsächlich jedes organische Glied des Wirtschaftsganzen als
|
||
|
||
ein Ganzes, Selbständiges für sich, er sieht sie auch ferner nur von der Seite, wie sie
|
||
|
||
auf ihn, den einzelnen Kapitalisten, einwirken, deshalb als bloße »Störungen« oder
|
||
|
||
bloße »Anpassungsmittel«. Für den einzelnen Kapitalisten sind die Krisen tatsächlich
|
||
|
||
bloße Störungen, und ihr Ausbleiben gewährt ihm eine längere Lebensfrist, für ihn ist
|
||
|
||
der Kredit gleichfalls ein Mittel, seine unzureichenden Produktivkräfte den Anforderungen
|
||
|
||
des Marktes »anzupassen«, für ihn hebt ein Kartell, in das er eintritt, auch wirklich
|
||
|
||
die Anarchie der Produktion auf.</p>
|
||
<p>Mit einem Worte, die Bernsteinsche Anpassungstheorie ist nichts als eine theoretische
|
||
|
||
Verallgemeinerung der Auffassungsweise des einzelnen Kapitalisten. Was ist aber diese
|
||
|
||
Auffassungsweise im theoretischen Ausdruck anderes, als das Wesentliche und
|
||
|
||
Charakteristische der bürgerlichen Vulgärökonomie? Alle ökonomischen Irrtümer dieser
|
||
|
||
Schule beruhen eben auf dem Mißverständnis, daß die Erscheinungen der Konkurrenz,
|
||
|
||
gesehen durch die Augen des Einzelkapitals, für Erscheinungen der kapitalistischen
|
||
|
||
Wirtschaft im ganzen genommen werden. Und wie Bernstein den Kredit, so faßt die
|
||
|
||
Vulgärökonomie auch noch z.B. das Geld als ein geistreiches »Anpassungsmittel« zu den
|
||
|
||
Bedürfnissen des Austausches auf, sie sucht auch in den kapitalistischen Erscheinungen
|
||
|
||
selbst die Gegengifte gegen die kapitalistischen Übel, sie glaubt, in Übereinstimmung
|
||
|
||
mit Bernstein, an die Möglichkeit, die kapitalistische Wirtschaft zu regulieren, sie
|
||
|
||
läuft endlich auch immer wie die Bernsteinsche Theorie in letzter Linie auf eine
|
||
|
||
Abstumpfung der kapitalistischen Widersprüche und Verkleisterung der kapitalistischen
|
||
|
||
Wunden, d.h. mit anderen Worten auf ein reaktionäres statt dem revolutionären Verfahren,
|
||
|
||
und damit auf eine Utopie hinaus.</p>
|
||
<p>Die revisionistische Theorie im ganzen genommen läßt sich also folgendermaßen
|
||
|
||
charakterisieren: es ist dies eine Theorie der sozialistischen Versumpfung,
|
||
|
||
vulgärökonomisch begründet durch eine Theorie der kapitalistischen Versumpfung.</p>
|
||
<H3 align="center"><B> Zweiter Teil</B><BR>
|
||
<A name="2_1">1. Die ökonomische Entwicklung und der Sozialismus</a></H3>
|
||
<p>Die größte Errungenschaft des proletarischen Klassenkampfes in seiner Entwicklung war
|
||
|
||
die Entdeckung der Ansatzpunkte für die Verwirklichung des Sozialismus in den
|
||
|
||
ökonomischen Verhältnissen der kapitalistischen Gesellschaft. Dadurch ist der
|
||
|
||
Sozialismus aus einem »Ideal«, das jahrtausendelang der Menschheit vorschwebte,
|
||
|
||
zur geschichtlichen Notwendigkeit geworden.</p>
|
||
<p>Bernstein bestreitet die Existenz dieser ökonomischen Voraussetzungen des Sozialismus
|
||
|
||
in der gegenwärtigen Gesellschaft. Dabei macht er selbst in seiner Beweisführung eine
|
||
|
||
interessante Entwicklung durch. Anfangs, in der »Neuen Zeit«, bestritt er bloß die
|
||
|
||
Raschheit der Konzentration in der Industrie und stützte dies auf einen Vergleich der
|
||
|
||
Ergebnisse der Gewerbestatistik in Deutschland von 1895 und 1882. Dabei mußte er, um
|
||
|
||
diese Ergebnisse für seine Zwecke zu benutzen, zu ganz summarischem und mechanischem
|
||
|
||
Verfahren seine Zuflucht nehmen. Aber auch im günstigsten Falle konnte Bernstein mit
|
||
|
||
seinem Hinweise auf die Zähigkeit der Mittelbetriebe die Marxsche Analyse nicht im
|
||
|
||
mindesten treffen. Denn diese setzt weder ein bestimmtes Tempo der Konzentration der
|
||
|
||
Industrie, das heißt eine bestimmte Frist für die Verwirklichung des sozialistischen
|
||
|
||
Endzieles, noch auch, wie wir gezeigt haben, ein absolutes Verschwinden der Kleinkapitale,
|
||
|
||
bzw. das Verschwinden des Kleinbürgertums als Bedingung der Realisierbarkeit des
|
||
|
||
Sozialismus voraus.</p>
|
||
<p>In weiterer Entwicklung seiner Ansichten gibt nun Bernstein in seinem Buche neues
|
||
|
||
Beweismaterial, und zwar: die Statistik der Aktiengesellscbaflen, die dartun soll, daß
|
||
|
||
die Zahl der Aktionäre sich stets vergrößert, die Kapitalistenklasse also nicht
|
||
|
||
zusammenschmilzt, sondern im Gegenteil immer größer wird. Es ist erstaunlich, wie wenig
|
||
|
||
Bernstein das vorhandene Material kennt und wie wenig er es zu seinen Gunsten zu
|
||
|
||
gebrauchen weiß!</p>
|
||
<p>Wollte er durch Aktiengesellschaften etwas gegen das Marxsche Gesetz der industriellen
|
||
|
||
Entwicklung beweisen, dann hätte er ganz andere Zahlen bringen sollen. Nämlich
|
||
|
||
jedermann, der die Geschichte der Aktiengründung in Deutschland kennt, weiß, das ihr
|
||
|
||
durchschnittliches, auf eine Unternehmung fallendes Gründungskapital in fast
|
||
|
||
regelmäßiger Abnahme begriffen ist. So betrug dieses Kapital vor 1871 etwa 10,8
|
||
|
||
Millionen Mark, 1871 nur noch 4,01 Millionen Mark, 1873: 3,8 Millionen Mark, 1883 bis 1887
|
||
|
||
weniger als 1 Millionen Mark, 1891 nur 0,56 Millionen Mark, 1892: 0,62 Millionen Mark.
|
||
|
||
Seitdem schwanken die Beträge um 1 Million Mark, und zwar sind sie wieder von I,78
|
||
|
||
Millionen Mark im Jahre 1895 auf 1,19 Millionen Mark im 1. Semester 1897 gefallen.10</p>
|
||
<p>Erstaunliche Zahlen! Bernstein würde wahrscheinlich damit gar eine ganze
|
||
|
||
contra-Marxsche Tendenz des Überganges von Großbetrieben zurück auf Kleinbetriebe
|
||
|
||
konstruieren. Allein in diesem Falle könnte ihm jedermann erwidern: Wenn Sie mit dieser
|
||
|
||
Statistik etwas nachweisen wollen, dann müssen Sie vor allem beweisen, daß sie sich auf
|
||
|
||
dieselben Industriezweige bezieht, daß die kleineren Betriebe nun an Stelle der alten
|
||
|
||
großen und nicht dort auftreten, wo bis jetzt das Einzelkapital oder gar Handwerk oder
|
||
|
||
Zwergbetrieb war. Diesen Beweis gelingt es Ihnen aber nicht zu erbringen, denn der
|
||
|
||
Übergang von riesigen Aktiengründungen zu mittleren und kleinen ist gerade nur dadurch
|
||
|
||
erklärlich, daß das Aktienwesen in stets neue Zweige eindringt, und wenn es anfangs nur
|
||
|
||
für wenige Riesenunternehmungen taugte, es sich jetzt immer mehr dem Mittelbetriebe, hie
|
||
|
||
und da sogar dem Kleinbetriebe angepaßt hat. (Selbst Aktiengründungen bis 1.000 Mark
|
||
|
||
Kapital herunter kommen vor!)</p>
|
||
<p>Was bedeutet aber volkswirtschaftlich die immer größere Verbreitung des Aktienwesens?
|
||
|
||
Sie bedeutet die fortschreitende Vergesellschaftung der Produktion in kapitalistischer
|
||
|
||
Form, die Vergesellschaftung nicht nur der Riesen-, sondern auch der Mittel- und sogar der
|
||
|
||
Kleinproduktion, also etwas, was der Marxschen Theorie nicht widerspricht, sondern sie in
|
||
|
||
denkbar glänzendster Weise bestätigt.</p>
|
||
<p>In der Tat! Worin besteht das ökonomische Phänomen der Aktiengründung? Einerseits in
|
||
|
||
der Vereinigung vieler kleiner Geldvermögen zu Einem Produktionskapital, andererseits in
|
||
|
||
der Trennung der Produktion vom Kapitaleigentum, also in einer zweifachen Überwindung der
|
||
|
||
kapitalistischen Produktionsweise - immer auf kapitalistischer Basis. Was bedeutet
|
||
|
||
angesichts dessen die von Bemstein angeführte Statistik der großen Zahl der an einer
|
||
|
||
Unternehmung beteiligten Aktionäre? Eben nichts anderes, als daß jetzt Eine
|
||
|
||
kapitalistische Unternehmung nicht Einem Kapitaleigentümer wie ehedem, sondern einer
|
||
|
||
ganzen Anzahl, einer immer mehr anwachsenden Zahl von Kapitaleigentümern entspricht, daß
|
||
|
||
somit der wirtschaftliche Begriff »Kapitalist« sich nicht mehr mit dem Einzelindividuum
|
||
|
||
deckt, daß der heutige industrielle Kapitalist eine Sammelperson ist, die aus Hunderten,
|
||
|
||
ja aus Tausenden von Personen besteht, daß die Kategorie »Kapitalist« selbst im Rahmen
|
||
|
||
der kapitalistischen Wirtschaft zur gesellschaftlichen, daß sie vergesellsschaftet wurde.</p>
|
||
<p>Wie erklärt es sich aber angesichts dessen, daß Bernstein das Phänomen der
|
||
|
||
Aktiengesellschaften gerade umgekehrt als eine Zersplitterung und nicht als eine
|
||
|
||
Zusammenfassung des Kapitals auffaßt, daß er dort Verbreitung des Kapitaleigentums, wo
|
||
|
||
Marx »Aufhebung des Kapitaleigentums« sieht? Durch einen sehr einfachen
|
||
|
||
vulgärökonomischen Schnitzer: weil Bernstein unter Kapitalist nicht eine Kategorie der
|
||
|
||
Produktion, sondern des Eigentumsrechts, nicht eine wirtschaftliche, sondern eine
|
||
|
||
steuerpolitische Einheit, unter Kapital nicht ein Produktionsganzes, sondern schlechthin
|
||
|
||
Geldvermögen versteht. Deshalb sieht er in seinem englischen Nähgarntrust nicht die
|
||
|
||
Zusammenschweißung von 12.300 Personen zu Einem, sondern ganze 12.300 Kapitalisten,
|
||
|
||
deshalb ist ihm auch sein Ingenieur Schulze, der als Mitgift für seine Frau vom Rentier
|
||
|
||
Müller »eine größere Anzahl Aktien« bekommen hat (S.54), auch ein Kapitalist, deshalb
|
||
|
||
wimmelt ihm die ganze Welt von »Kapitalisten«.</p>
|
||
<p>Aber hier wie sonst ist der vulgärökonomische Schnitzer bei Bernstein bloß der
|
||
|
||
theoretische Boden für eine Vulgarisierung des Sozialismus. Indem Bernstein den Begriff
|
||
|
||
Kapitalist aus den Produktionsverhältnissen in die Eigentumsverhältnisse überträgt
|
||
|
||
und, »statt von Unternehmern von Menschen spricht« (S.53), überträgt er auch die Frage
|
||
|
||
des Sozialismus aus dem Gebiete der Produktion auf das Gebiet der Vermögensverhältnisse,
|
||
|
||
aus dem Verhältnis von Kapital und Arbeit in das Verhältnis von reich und arm.</p>
|
||
<p>Damit sind wir von Marx und Engels glücklich auf den Verfasser des »Evangeliums des
|
||
|
||
armen Sünders« zurückgebracht, nur mit dem Unterschiede, daß Weitling mit richtigem
|
||
|
||
proletarischem Instinkt eben in diesem Gegensatz von arm und reich in primitiver Form die
|
||
|
||
Klassengegensätze erkannte, und zum Hebel der sozialistischen Bewegung machen wollte,
|
||
|
||
während Bernstein umgekehrt, in der Verwandlung der Armen in Reiche, d.h. in der
|
||
|
||
Verwischung des Klassengegensatzes, also im kleinbürgerlichen Verfahren die Aussichten
|
||
|
||
des Sozialismus sieht.</p>
|
||
<p>Freilich beschränkt sich Bernstein nicht auf die Einkommensstatistik. Er gibt uns auch
|
||
|
||
Betriebsstatistik, und zwar aus mehreren Ländern: aus Deutschland und aus Frankreich, aus
|
||
|
||
England und aus der Schweiz, aus Österreich und aus den Vereinigten Staaten. Aber was
|
||
|
||
für eine Statistik ist das? Es sind dies nicht etwa vergleichende Daten aus verschiedenen
|
||
|
||
Zeitpunkten in je einem Lande, sondern aus je einem Zeitpunkt in verschiedenen Ländern.
|
||
|
||
Er vergleicht also - ausgenommen Deutschland, wo er seine alte Gegenüberstellung von 1895
|
||
|
||
und 1882 wiederholt - nicht den Stand der Betriebsgliederung eines Landes in verschiedenen
|
||
|
||
Momenten, sondern nur die absoluten Zahlen für verschiedene Länder (für England vom
|
||
|
||
Jahre 1891, Frankreich 1894, Vereinigte Staaten 1890 usw.). Der Schluß, zu dem er
|
||
|
||
gelangt, ist der, »daß, wenn der Großbetrieb in der Industrie heute tatsächlich schon
|
||
|
||
das Übergewicht hat, er doch, die von ihm abhängigen Betriebe eingerechnet, selbst in
|
||
|
||
einem so vorgeschrittenen Lande wie Preußen höchstens die Hälfte der in der Produktion
|
||
|
||
tätigen Bevölkerung vertritt«, und ähnlich in ganz Deutschland, England, Belgien usw.
|
||
|
||
(S. 84).</p>
|
||
<p>Was er auf diese Weise nachweist, ist offenbar nicht diese oder jene Tendenz der
|
||
|
||
ökonomischen Entwicklung, sondern bloß das absolute Stärkeverhältnis der verschiedenen
|
||
|
||
Betriebsformen bzw. verschiedenen Berufsklassen. Soll damit die Aussichtslosigkeit des
|
||
|
||
Sozialismus bewiesen werden, so liegt dieser Beweisführung eine Theorie zugrunde, wonach
|
||
|
||
über den Ausgang sozialer Bestrebungen das zahlenmäßige, physische Stärkeverhältnis
|
||
|
||
der Kämpfenden, also das bloße Moment der Gewalt entscheidet. Hier fällt der überall
|
||
|
||
den Blanquismus witternde Bernstein zur Abwechslung selbst in das gröbste blanquistische
|
||
|
||
Mißverständnis zurück. Allerdings wieder mit dem Unterschied, daß die Blanquisten als
|
||
|
||
eine sozialistische und revolutionäre Richtung die ökonomische Durchführbarkeit des
|
||
|
||
Sozialismus als selbstverständlich voraussetzten, und auf sie die Aussichten der
|
||
|
||
gewaltsamen Revolution sogar einer kleinen Minderheit gründeten, während Bernstein
|
||
|
||
umgekehrt aus der zahlenmäßigen Unzulänglichkeit der Volksmehrheit die ökonomische
|
||
|
||
Aussichtslosigkeit des Sozialismus folgert. Die Sozialdemokratie leitet ihr Endziel
|
||
|
||
ebensowenig von der siegreichen Gewalt der Minderheit, wie von dem zahlenmäßigen
|
||
|
||
Übergewicht der Mehrheit, sondern von der ökonomischen Notwendigkeit - und der Einsicht
|
||
|
||
in diese Notwendigkeit - ab, die zur Aufhebung des Kapitalismus durch die Volksmasse
|
||
|
||
führt, und die sich vor allem in der kapitalistischen Anarchie äußert.</p>
|
||
<p>Was diese letzte entscheidende Frage der Anarchie in der kapitalistischen Wirtschaft
|
||
|
||
anbetrifft, so leugnet Bernstein selbst bloß die großen und die allgemeinen Krisen,
|
||
|
||
nicht aber partielle und nationale Krisen. Er stellt somit bloß sehr viel Anarchie in
|
||
|
||
Abrede und gibt gleichzeitig die Existenz von ein wenig Anarchie zu. Der kapitalistischen
|
||
|
||
Wirtschaft geht es bei Bernstein wie - um einmal auch mit Marx zu reden - jener törichten
|
||
|
||
Jungfer mit dem Kinde, das »nur ganz klein« war. Das Fatale bei der Sache ist nun, daß
|
||
|
||
in solchen Dingen wie die Anarchie, wenig und viel gleich schlimm ist. Gibt Bernstein ein
|
||
|
||
wenig Anarchie zu, so sorgt der Mechanismus der Warenwirtschaft von selbst für die
|
||
|
||
Steigerung dieser Anarchie ins Ungeheure - bis zum Zusammenbruch. Hofft Bernstein aber -
|
||
|
||
unter gleichzeitiger Beibehaltung der Warenproduktion - auch das bißchen Anarchie
|
||
|
||
allmählich in Ordnung und Harmonie aufzulösen, so verfällt er wiederum in einen der
|
||
|
||
fundamentalsten Fehler der bürgerlichen Vulgärökonomie, indem er die Austauschweise von
|
||
|
||
der Produktionsweise als unabhängig betrachtet.</p>
|
||
<p>Es ist hier nicht die entscheidende Gelegenheit, die überraschende Verwirrung in bezug
|
||
|
||
auf die elementarsten Grundsätze der politischen Ökonomie, die Bernstein in seinem Buche
|
||
|
||
an den Tag gelegt hat, in ihrem Ganzen zu zeigen. Aber ein Punkt, auf den uns die
|
||
|
||
Grundfrage der kapitalistischen Anarchie führt, soll kurz beleuchtet werden.</p>
|
||
<p>Bernstein erklärt, das Marxsche Arbeitswertgesetz sei eine bloße Abstraktion, was
|
||
|
||
nach ihm in der politischen Ökonomie offenbar ein Schimpfwort ist. Ist aber der
|
||
|
||
Arbeitswert bloß eine Abstraktion, »ein Gedankenbild« (S.44), dann hat jeder
|
||
|
||
rechtschaffene Bürger, der beim Militär gedient und seine Steuern entrichtet hat, das
|
||
|
||
gleiche Recht wie Karl Marx, sich beliebigen Unsinn zu einem solchen »Gedankenbild«,
|
||
|
||
d.h. zum Wertgesetz, zurecht zu machen. »Von Hause aus ist es Marx ebenso erlaubt, von
|
||
|
||
den Eigenschaften der Waren soweit abzusehen, daß sie schließlich nur noch
|
||
|
||
Verkörperungen von Mengen einfacher menschlicher Arbeit bleiben, wie es der
|
||
|
||
Böhm-Jevonsschen Schule freisteht, von alle Eigenschaften der Waren außer ihrer
|
||
|
||
Nützlichkeit zu abstrahieren«.</p>
|
||
<p>Also die Marxsche gesellschaftliche Arbeit und die Mengersche abstrakte Nützlichkeit,
|
||
|
||
das ist ihm gehüpft wie gesprungen: alles bloß Abstraktion. Bernstein hat somit ganz
|
||
|
||
vergessen, daß die Marxsche Abstraktion nicht eine Erfindung, sondern eine Entdeckung
|
||
|
||
ist, daß sie nicht in Marxens Kopfe, sondern in der Warenwirtschaft existiert, nicht ein
|
||
|
||
eingebildetes, sondern ein reales gesellschaftliches Dasein führt, ein so reales Dasein,
|
||
|
||
daß sie geschnitten und gehämmert, gewogen und geprägt wird. Die von Marx entdeckte
|
||
|
||
abstrakt-menschliche Arbeit ist nämlich in ihrer entfalteten Form nichts anderes als -
|
||
|
||
das Geld. Und dies ist gerade eine der genialsten ökonomischen Entdeckungen von Marx,
|
||
|
||
während für die ganze bürgerliche Ökonomie, vom ersten Merkantilisten bis auf den
|
||
|
||
letzten Klassiker, das mystische Wesen des Geldes ein Buch mit sieben Siegeln geblieben
|
||
|
||
ist.</p>
|
||
<p>Hingegen ist die Böhm-Jevonssche abstrakte Nützlichkeit tatsächlich bloß ein
|
||
|
||
Gedankenbild oder vielmehr ein Bild der Gedankenlosigkeit, ein Privatblödsinn, für den
|
||
|
||
weder die kapitalistische, noch eine andere menschliche Gesellschaft, sondern einzig und
|
||
|
||
allein die bürgerliche Vulgärökonomie verantwortlich gemacht werden kann. Mit diesem
|
||
|
||
»Gedankenbild« im Kopfe können Bernstein und Böhm und Jevons mit der ganzen
|
||
|
||
subjektiven Gemeinde vor dem Mysterium des Geldes noch zwanzig Jahre stehen, ohne daß sie
|
||
|
||
zu einer anderen Lösung kommen, als was jeder Schuster ohne sie schon wußte: daß das
|
||
|
||
Geld auch eine »nützliche« Sache ist.</p>
|
||
<p>Bernstein hat somit für das Marxsche Wertgesetz das Verständnis gänzlich verloren.
|
||
|
||
Für denjenigen aber, der mit dem Marxschen ökonomischen System einigermaßen vertraut
|
||
|
||
ist, wird ohne weiteres klar sein, daß ohne das Wertgesetz das ganze System völlig
|
||
|
||
unverständlich bleibt, oder, um konkreter zu sprechen, ohne Verständnis des Wesens der
|
||
|
||
Ware und ihres Austausches die ganze kapitalistische Wirtschaft mit ihren Zusammenhängen
|
||
|
||
ein Geheimnis bleiben muß.</p>
|
||
<p>Was ist aber der Marxsche Zauberschlüssel, der ihm gerade die innersten Geheimnisse
|
||
|
||
aller kapitalistischen Erscheinungen geöffnet hat, der ihn mit spielender Leichtigkeit
|
||
|
||
Probleme lösen ließ, von denen die größten Geister der bürgerlichen klassischen
|
||
|
||
Ökonomie, wie Smith und Ricardo, nicht einmal die Existenz ahnten? Nichts anderes als die
|
||
|
||
Auffassung von der ganzen kapitalistischen Wirtschaft, als von einer historischen
|
||
|
||
Erscheinung, und zwar nicht nur nach hinten, wie es im besten Falle die klassische
|
||
|
||
Ökonomie verstand, sondern auch nach vorne, nicht nur im Hinblick auf die
|
||
|
||
feudalwirtschaftliche Vergangenheit, sondern namentlich auch im Hinblick auf die
|
||
|
||
sozialistische Zukunft. Das Geheimnis der Marxschen Wertlehre, seiner Geldanalyse, seiner
|
||
|
||
Kapitaltheorie, seiner Lehre von der Profitrate, und somit des ganzen ökonomischen
|
||
|
||
Systems ist - die Vergänglichkeit der kapitalistischen Wirtschaft, ihr Zusammenbruch,
|
||
|
||
also - dies nur die andere Seite - das sozialistische Endziel. Gerade und nur weil Marx
|
||
|
||
von vornherein als Sozialist, d.h. unter dem geschichtlichen Gesichtspunkte die
|
||
|
||
kapitalistische Wirtschaft ins Auge faßte, konnte er ihre Hieroglyphe entziffern, und
|
||
|
||
weil er den sozialistischen Standpunkt zum Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Analyse
|
||
|
||
der bürgerlichen Gesellschaft machte, konnte er umgekehrt den Sozialismus
|
||
|
||
wissenschaftlich begründen.</p>
|
||
<p>Daran sind die Bemerkungen Bernsteins am Schlusse seines Buches zu messen, wo er über
|
||
|
||
den »Dualismus« (Zwiespalt) klagt, »der durch das ganze monumentale Marxsche
|
||
|
||
Werk geht«, »einen Dualismus, der darin besteht, daß das Werk wissenschaftliche
|
||
|
||
Untersuchung sein und doch eine, lange vor seiner Konzipierung (Abfassung) fertige These
|
||
|
||
beweisen will, daß ihm ein Schema zugrunde liegt, in dem das Resultat, zu dem hin die
|
||
|
||
Entwicklung führen sollte, schon von vornherein feststand. Das Zurückkommen auf das
|
||
|
||
kommunistische Manifest (d.h. auf das sozialistische Endziel! D.V.) weist hier auf einen
|
||
|
||
tatsächlichen Rest von Utopismus im Marxschen System hin.«</p>
|
||
<p>Der Marxsche »Dualismus« ist aber nichts anderes als der Dualismus der
|
||
|
||
sozialistischen Zukunft und der kapitalistischen Gegenwart, des Kapitals und der Arbeit,
|
||
|
||
der Bourgeoisie und des Proletariats, er ist die monumentale wissenschaftliche
|
||
|
||
Abspiegelung des in der bürgerlichen Gesellschaft existierenden Dualismus, der
|
||
|
||
bürgerlichen Klassengegensätze.</p>
|
||
<p>Und wenn Bernstein in diesem theoretischen Dualismus bei Marx »einen Überrest des
|
||
|
||
Utopismus« sieht, so ist das nur ein naives Bekenntnis, daß er den geschichtlichen
|
||
|
||
Dualismus in der bürgerlichen Gesellschaft, die kapitalistischen Klassengegensätze
|
||
|
||
leugnet, daß für ihn der Sozialismus selbst zu einem »Überrest des Utopismus«
|
||
|
||
geworden ist. Der »Monismus«, d.h. die Einheitlichkeit Bernsteins ist die
|
||
|
||
Einheitlichkeit der verewigten kapitalistischen Ordnung, die Einheitlichkeit des
|
||
|
||
Sozialisten, der sein Endziel fallen gelassen hat, um dafür in der einen und
|
||
|
||
unwandelbaren bürgerlichen Gesellschaft das Ende der menschlichen Entwicklung zu sehen.</p>
|
||
<p>Sieht aber Bemstein in der ökonomischen Struktur des Kapitalismus selbst den
|
||
|
||
Zwiespalt, die Entwicklung zum Sozialismus nicht, so muß er, um das sozialistische
|
||
|
||
Programm wenigstens in der Form zu retten, zu einer außerhalb der ökonomischen
|
||
|
||
Entwicklung liegenden, zu einer idealistischen Konstruktion Zuflucht nehmen und den
|
||
|
||
Sozialismus selbst aus einer bestimmten geschichtlichen Phase der gesellschaftlichen
|
||
|
||
Entwicklung in ein abstraktes »Prinzip« verwandeln.</p>
|
||
<p>Das Bernsteinsche »Prinzip der Genossenschaftlichkeit«, mit dem die kapitalistische
|
||
|
||
Wirtschaft ausgeschmückt werden soll, dieser dünnste »Abkläricht« des sozialistischen
|
||
|
||
Endzieles, erscheint angesichts dessen nicht als ein Zugeständnis seiner bürgerlichen
|
||
|
||
Theorie an die sozialistische Zukunft der Gesellschaft, sondern an die sozialistische
|
||
|
||
Vergangenheit - Bernsteins.</p>
|
||
<H3 align="center"><A name="2_2">2.
|
||
|
||
Gewerkschaften, Genossenschaften und politische Demokratie</a></H3>
|
||
<p>Wir haben gesehen, der Bernsteinsche Sozialismus läuft auf den Plan hinaus, die
|
||
|
||
Arbeiter an dem gesellschaftlichen Reichtum teilnehmen zu lassen, die Armen in Reiche zu
|
||
|
||
verwandeln. Wie soll das bewerkstelligt werden? In seinen Aufsätzen »Probleme des
|
||
|
||
Sozialismus« in der »Neuen Zeit« ließ Bernstein nur kaum verständliche
|
||
|
||
Fingerzeige durchblicken, in seinem Buche gibt er über diese Frage vollen Aufschluß:
|
||
|
||
sein Sozialismus soll auf zwei Wegen, durch Gewerkschaften oder, wie Bernstein es nennt,
|
||
|
||
wirtschaftliche Demokratie, und durch Genossenschaften verwirklicht werden. Durch die
|
||
|
||
ersteren will er dem industriellen, durch die letzteren dem kaufmännischen Profit an den
|
||
|
||
Kragen. </p>
|
||
<p>Was die Genossenschaften, und zwar vor allem die Produktivgenossenschaften betrifft, so
|
||
|
||
stellen sie ihrem inneren Wesen nach inmitten der kapitalistischen Wirtschaft ein
|
||
|
||
Zwitterding dar: eine im kleinen sozialisierte Produktion bei kapitalistischem Austausche.
|
||
|
||
In der kapitalischen Wirtschaft beherrscht aber der Austausch die Produktion und macht,
|
||
|
||
angesichts der Konkurrenz, rücksichtslose Ausbeutung, d.h. völlige Beherrschung des
|
||
|
||
Produktionsprozesses durch die Interessen des Kapitals, zur Existenzbedingung der
|
||
|
||
Unternehmung. Praktisch äußert sich das in der Notwendigkeit, die Arbeit möglichst
|
||
|
||
intensiv zu machen, sie zu verkürzen oder zu verlängern, je nach der Marktlage, die
|
||
|
||
Arbeitskraft je nach den Anforderungen des Absatzmarktes heranzuziehen oder sie
|
||
|
||
abzustoßen und aufs Pflaster zu setzen, mit einem Worte, all die bekannten Methoden zu
|
||
|
||
praktizieren, die eine kapitalistische Unternehmung konkurrenzfähig machen. In der
|
||
|
||
Produktivgenossenschaft ergibt sich daraus die widerspruchsvolle Notwendigkeit für die
|
||
|
||
Arbeiter, sich selbst mit dem ganzen erforderlichen Absolutismus zu regieren, sich selbst
|
||
|
||
gegenüber die Rolle des kapitalistischen Unternehmers zu spielen. An diesem Widerspruche
|
||
|
||
geht die Produktivgenossenschaft auch zugrunde, indem sie entweder zur kapitalistischen
|
||
|
||
Unternehmung sich rückentwickelt, oder, falls die Interessen der Arbeiter stärker sind,
|
||
|
||
sich auflöst. Das sind die Tatsachen, die Bernstein selbst konstatiert, aber
|
||
|
||
mißversteht, indem er nach Frau Potter-Webb die Ursache des Unterganges der
|
||
|
||
Produktivgenossenschaften in England in der mangelnden »Disziplin« sieht. Was hier
|
||
|
||
oberflächlich und seicht als Disziplin bezeichnet wird, ist nichts anderes als das
|
||
|
||
natürliche absolute Regime des Kapitals, das die Arbeiter allerdings sich selbst
|
||
|
||
gegenüber unmöglich ausüben können.</p>
|
||
<p>Daraus folgt, daß die Produktivgenossenschaft sich ihre Existenz inmitten der
|
||
|
||
kapitalistischen Wirtschaft nur dann sichern kann, wenn sie auf einem Umwege den in ihr
|
||
|
||
verborgenen Widerspruch zwischen Produktionsweise und Austauschweise aufhebt, indem sie
|
||
|
||
sich künstlich den Gesetzen der freien Konkurrenz entzieht. Dies kann sie nur, wenn sie
|
||
|
||
sich von vornherein einen Absatzmarkt, einen festen Kreis von Konsumenten sichert. Als
|
||
|
||
solches Hilfsmittel dient ihr eben der Konsumverein. Darin wiederum, und nicht in der
|
||
|
||
Unterscheidung in Kauf- und Verkaufsgenossenschaften, oder wie der Oppenheimersche Einfall
|
||
|
||
sonst lautet, liegt das von Bernstein behandelte Geheimnis, warum selbständige
|
||
|
||
Produktivgenossenschaften zugrunde gehen, und erst der Konsumverein ihnen eine Existenz zu
|
||
|
||
sichern vermag.</p>
|
||
<p>Sind aber somit die Existenzbedingungen der Produktivgenossenschaften in der heutigen
|
||
|
||
Gesellschaft an die Existenzbedingungen der Konsumvereine gebunden, so folgt daraus in
|
||
|
||
weiterer Konsequenz, daß die Produktivgenossenschaften im günstigsten Falle auf kleinen
|
||
|
||
lokalen Absatz und auf wenige Produkte des unmittelbaren Bedarfs, vorzugsweise auf
|
||
|
||
Lebensmittel angewiesen sind. Alle wichtigsten Zweige der kapitalistischen Produktion: die
|
||
|
||
Textil-, Kohlen-, Metall-, Petroleumindustrie, sowie der Maschinen-, Lokomotiven- und
|
||
|
||
Schiffsbau sind vom Konsumverein, also auch von der Produktivgenossenschaft von vornherein
|
||
|
||
ausgeschlossen. Abgesehen also von ihrem Zwittercharakter können die
|
||
|
||
Produktivgenossenschaften als allgemeine soziale Reform schon aus dem Grunde nicht
|
||
|
||
erscheinen, weil ihre allgemeine Durchführung vor allem die Abschaffung des Weltmarktes
|
||
|
||
und Auflösung der bestehenden Weltwirtschaft in kleine lokale Produktions- und
|
||
|
||
Austauschgruppen, also dem Wesen nach einen Rückgang von großkapitalistischer auf
|
||
|
||
mittelalterliche Warenwirtschaft voraussetzt.</p>
|
||
<p>Aber auch in den Grenzen ihrer möglichen Verwirklichung, auf dem Boden der
|
||
|
||
gegenwärtigen Gesellschaft reduzieren sich die Produktivgenossenschaften notwendigerweise
|
||
|
||
in bloße Anhängsel der Konsumvereine, die somit als die Hauptträger der beabsichtigten
|
||
|
||
sozialistischen Reform in den Vordergrund treten. Die ganze sozialistische Reform durch
|
||
|
||
die Genossenschaften reduziert sich aber dadurch aus einem Kampf gegen das
|
||
|
||
Produktivkapital, d.h. gegen den Hauptstamm der kapitalistischen Wirtschaft, in einen
|
||
|
||
Kampf gegen das Handelskapital, und zwar gegen das Kleinhandels-, das
|
||
|
||
Zwischenhandelskapital, d.h. bloß gegen kleine Abzweigungen des kapitalistischen Stammes.</p>
|
||
<p>Was die Gewerkschaften betrifft, die nach Bernstein ihrerseits ein Mittel gegen die
|
||
|
||
Ausbreitung des Produktivkapitals darstellen sollen, so haben wir bereits gezeigt, daß
|
||
|
||
die Gewerkschaften nicht imstande sind, den Arbeitern einen Einfluß auf den
|
||
|
||
Produktionsprozeß, weder in bezug auf den Produktionsumfang, noch in bezug auf das
|
||
|
||
technische Verfahren, zu sichern.</p>
|
||
<p>Was aber die rein ökonomische Seite, »den Kampf der Lohnrate mit der Profitrate«
|
||
|
||
betrifft, wie Bernstein es nennt, so wird dieser Kampf, wie gleichfalls bereits gezeigt,
|
||
|
||
nicht in dem freien blauen Luftraum, sondern in den bestimmten Schranken des Lohngesetzes
|
||
|
||
ausgefochten, das er nicht zu durchbrechen, sondern bloß zu verwirklichen vermag. Dies
|
||
|
||
wird auch klar, wenn man die Sache von einer anderen Seite faßt und sich die Frage nach
|
||
|
||
den eigentlichen Funktionen der Gewerkschaften stellt.</p>
|
||
<p>Die Gewerkschaften, denen Bernstein die Rolle zuweist, in dem Emanzipationskampfe der
|
||
|
||
Arbeiterklasse den eigentlichen Angriff gegen die industrielle Profitrate zu führen und
|
||
|
||
sie stufenweise in die Lohnrate aufzulösen, sind nämlich gar nicht imstande, eine
|
||
|
||
ökonomische Angriffspolitik gegen den Profit zu führen, weil sie nichts sind als die
|
||
|
||
organisierte Defensive der Arbeitskraft gegen die Angriffe des Profits, als die Abwehr der
|
||
|
||
Arbeiterklasse gegen die herabdrückende Tendenz der kapitalistischen Wirtschaft. Dies aus
|
||
|
||
zwei Gründen.</p>
|
||
<p>Erstens haben die Gewerkschaften zur Aufgabe, die Marktlage der Ware Arbeitskraft durch
|
||
|
||
ihre Organisation zu beeinflussen, die Organisation wird aber durch den Prozeß der
|
||
|
||
Proletarisierung der Mittelschichten, der dem Arbeitsmarkt stets neue Ware zuführt,
|
||
|
||
beständig durchbrochen. Zweitens bezwecken die Gewerkschaften die Hebung der
|
||
|
||
Lebenshaltung, die Vergrößerung des Anteils der Arbeiterklasse am gesellschaftlichen
|
||
|
||
Reichtum, dieser Anteil wird aber durch das Wachstum der Produktivität der Arbeit mit der
|
||
|
||
Fatalität eines Naturprozesses beständig herabgedrückt. Um letzteres einzusehen,
|
||
|
||
braucht man durchaus nicht ein Marxist zu sein, sondern bloß: »Zur Beleuchtung der
|
||
|
||
sozialen Frage«, von Rodbertus, einmal in der Hand gehabt zu haben.</p>
|
||
<p>In beiden wirtschaftlichen Hauptfunktionen verwandelt sich also der gewerkschaftliche
|
||
|
||
Kampf kraft objektiver Vorgänge in der kapitalistischen Gesellschaft in eine Art
|
||
|
||
Sisyphusarbeit. Diese Sisyphusarbeit ist allerdings unentbehrlich, soll der Arbeiter
|
||
|
||
überhaupt zu der ihm nach der jeweiligen Marktlage zufallenden Lohnrate kommen, soll das
|
||
|
||
kapitalistische Lohngesetz verwirklicht und die herabdrückende Tendenz der
|
||
|
||
wirtschaftlichen Entwicklung in ihrer Wirkung paralysiert, oder genauer, abgeschwächt
|
||
|
||
werden. Gedenkt man aber, die Gewerkschaften in ein Mittel zur stufenweisen Verkürzung
|
||
|
||
des Profits zugunsten des Arbeitslohnes zu verwandeln, so setzt dies vor allem als soziale
|
||
|
||
Bedingung erstens einen Stillstand in der Proletarisierung der Mittelschichten und dem
|
||
|
||
Wachstum der Arbeiterklasse, zweitens einen Stillstand in dem Wachstum der Produktivität
|
||
|
||
der Arbeit, also in beiden Fällen, ganz wie die Verwirklichung der
|
||
|
||
konsumgenossenschaftlichen Wirtschaft, einen Rückgang auf vorgroßkapitalistische
|
||
|
||
Zustände voraus.</p>
|
||
<p>Die beiden Bernsteinschen Mittel der sozialistischen Reform: die Genossenschaften und
|
||
|
||
die Gewerkschaften erweisen sich somit als gänzlich unfähig, die kapitalistische
|
||
|
||
Produktionsweise umzugestalten. Bernstein ist sich dessen im Grunde genommen auch selbst
|
||
|
||
dunkel bewußt und faßt sie bloß als Mittel auf, den kapitalistischen Profit
|
||
|
||
abzuzwacken, und die Arbeiter auf diese Weise zu bereichern. Damit verzichtet er aber
|
||
|
||
selbst auf den Kampf mit der kapitalistischen Produktionsweise und richtet die
|
||
|
||
sozialdemokratische Bewegung auf den Kampf gegen die kapitalistische Verteilung. Bernstein
|
||
|
||
formuliert auch wiederholt seinen Sozialismus als das Bestreben nach einer »gerechten«,
|
||
|
||
»gerechteren« (S. 51 seines Buches), ja einer »noch gerechteren«
|
||
|
||
(»Vorwärts« vom 26. März 1899) Verteilung.</p>
|
||
<p>Der nächste Anstoß zur sozialdemokratischen Bewegung wenigstens bei den Volksmassen
|
||
|
||
ist freilich auch die »ungerechte« Verteilung der kapitalistischen Ordnung. Und indem
|
||
|
||
sie für die Vergesellschaftung der gesamten Wirtschaft kämpft, strebt die
|
||
|
||
Sozialdemokratie dadurch selbstverständlich auch eine »gerechte« Verteilung des
|
||
|
||
gesellschaftlichen Reichtums an. Nur richtet sie ihren Kampf, dank der von Marx gewonnenen
|
||
|
||
Einsicht, daß die jeweilige Verteilung bloß eine naturgesetzliche Folge der jeweiligen
|
||
|
||
Produktionsweise ist, nicht auf die Verteilung im Rahmen der kapitalistischen Produktion,
|
||
|
||
sondern auf die Aufhebung der Warenproduktion selbst. Mit einem Wort, die Sozialdemokratie
|
||
|
||
will die sozialistische Verteilung durch die Beseitigung der kapitalistischen
|
||
|
||
Produktionsweise herbeiführen, während das Bernsteinsche Verfahren ein direkt
|
||
|
||
umgekehrtes ist; er will die kapitalistische Verteilung bekämpfen und hofft auf diesem
|
||
|
||
Wege allmählich die sozialistische Produktionsweise herbeizuführen.</p>
|
||
<p>Wie kann aber in diesem Falle die Bernsteinsche sozialistische Reform begründet
|
||
|
||
werden? Durch bestimmte Tendenzen der kapitalistischen Produktion? Keineswegs, denn
|
||
|
||
erstens leugnet er ja diese Tendenzen, und zweitens ist bei ihm nach dem vorher Gesagten
|
||
|
||
die erwünschte Gestaltung der Produktion Ergebnis und nicht Ursache der Verteilung. Die
|
||
|
||
Begründung seines Sozialismus kann also keine ökonomische sein. Nachdem er Zweck und
|
||
|
||
Mittel des Sozialismus und damit die ökonomischen Verhältnisse auf den Kopf gestellt
|
||
|
||
hat, kann er keine materialistische Begründung für sein Programm geben, ist er
|
||
|
||
gezwungen, zu einer idealistischen zu greifen.</p>
|
||
<p>»Wozu die Ableitung des Sozialismus aus dem ökonomischen Zwange?« hören wir ihn
|
||
|
||
dann sagen. »Wozu die Degradierung der Einsicht, des Rechtsbewußtseins, des Willens der
|
||
|
||
Menschen?« (»Vorwärts« vom 26. März 1899). Die Bemsteinsche gerechtere
|
||
|
||
Verteilung soll also kraft des freien, nicht im Dienste der wirtschaftlichen Notwendigkeit
|
||
|
||
wirkenden Willens der Menschen, oder genauer, da der Wille selbst bloß ein Instrument
|
||
|
||
ist, kraft der Einsicht in die Gerechtigkeit, kurz, kraft der Gerechtigkeitsidee
|
||
|
||
verwirklicht werden.</p>
|
||
<p>Da sind wir glücklich bei dem Prinzip der Gerechtigkeit angelangt, bei diesem alten,
|
||
|
||
seit Jahrtausenden von allen Weltverbesserern in Ermangelung sicherer geschichtlicher
|
||
|
||
Beförderungsmittel gerittenen Renner, bei der klapprigen Rosinante, auf der alle Don
|
||
|
||
Quichottes der Geschichte zur großen Weltreform hinausritten, um schließlich nichts
|
||
|
||
andres heimzubringen als ein blaues Auge.</p>
|
||
<p>Das Verhältnis von arm und reich als gesellschaftliche Grundlage des Sozialismus, das
|
||
|
||
»Prinzip« der Genossenschaftlichkeit als sein Inhalt, die »gerechtere Verteilung« als
|
||
|
||
sein Zweck und die Idee der Gerechtigkeit als seine einzige geschichtliche Legitimation -
|
||
|
||
mit wieviel mehr Kraft, mit wieviel mehr Geist, mit wieviel mehr Glanz vertrat doch
|
||
|
||
Weitling vor mehr als 50 Jahren diese Sorte von Sozialismus! Allerdings kannte der geniale
|
||
|
||
Schneider den wissenschaftlichen Sozialismus noch nicht. Und wenn heute, nach einem halben
|
||
|
||
Jahrhundert, seine von Marx und Engels in kleine Fetzen zerzauste Auffassung glücklich
|
||
|
||
wieder zusammengeflickt und dem deutschen Proletariat als letztes Wort der Wissenschaft
|
||
|
||
angeboten wird, so gehört dazu allenfalls auch ein Schneider ... aber kein genialer.</p>
|
||
<p>Wie die Gewerkschaften und Genossenschaften ökonomische Stützpunkte, so ist die
|
||
|
||
wichtigste politische Voraussetzung der revisionistischen Theorie eine stets
|
||
|
||
fortschreitende Entwicklung der Demokratie. Die heutigen Reaktionsausbrüche sind dem
|
||
|
||
Revisionismus nur »Zuckungen«, die er für zufällig und vorübergehend hält, und mit
|
||
|
||
denen bei der Aufstellung der allgemeinen Richtschnur für den Arbeiterkampf nicht zu
|
||
|
||
rechnen sei.</p>
|
||
<p>(Es kommt aber nicht darauf an, was Bernstein auf Grund von mündlichen und
|
||
|
||
schriftlichen Versicherungen seiner Freunde über die Dauerhaftigkeit der Reaktion denkt,
|
||
|
||
sondern welcher innere, objektive Zusammenhang zwischen der Demokratie und der
|
||
|
||
tatsächlichen gesellschaftlichen Entwicklung besteht.)L</p>
|
||
<p>Nach Bernstein z.B. erscheint die Demokratie als eine unvermeidliche Stufe in der
|
||
|
||
Entwicklung der modernen Gesellschaft, ja, die Demokratie ist ihm, ganz wie dem
|
||
|
||
bürgerlichen Theoretiker der Liberalismus, das große Grundgesetz der geschichtlichen
|
||
|
||
Entwicklung überhaupt, dessen Verwirklichung alle wirkenden Mächte des politischen
|
||
|
||
Lebens dienen müssen. Das ist aber in dieser absoluten Form grundfalsch und nichts als
|
||
|
||
eine kleinbürgerliche, und zwar oberflächliche Schablonisierung der Ergebnisse eines
|
||
|
||
kleinen Zipfelchens der bürgerlichen Entwicklung, etwa der letzten 25 bis 30 Jahre. Sieht
|
||
|
||
man sich die Entwicklung der Demokratie in der Geschichte und zugleich die politische
|
||
|
||
Geschichte des Kapitalismus näher an, so kommt ein wesentlich anderes Resultat heraus.</p>
|
||
<p>Was das erstere betrifft, so finden wir die Demokratie in den verschiedensten
|
||
|
||
Gesellschaftsformationen: in den ursprünglichen kommunistischen Gesellschaften, in den
|
||
|
||
antiken Sklavenstaaten, in den mittelalterlichen städtischen Kommunen. Desgleichen
|
||
|
||
begegnen wir dem Absolutismus und der konstitutionellen Monarchie in den verschiedensten
|
||
|
||
wirtschaftlichen Zusammenhängen. Andererseits ruft der Kapitalismus in seinen Anfängen -
|
||
|
||
als Warenproduktion - eine demokratische Verfassung in den städtischen Kommunen ins
|
||
|
||
Leben; später, in seiner entwickelteren Form, als Manufaktur, findet er in der absoluten
|
||
|
||
Monarchie seine entsprechende politische Form. Endlich als entfaltete industrielle
|
||
|
||
Wirtschaft erzeugt er in Frankreich abwechselnd die demokratische Republik (1793), die
|
||
|
||
absolute Monarchie Napoleons I., die Adelsmonarchie der Restaurationszeit (1815 bis 1830),
|
||
|
||
die bürgerliche konstitutionelle Monarchie des Louis Philippe, wieder die demokratische
|
||
|
||
Republik, wieder die Monarchie Napoleons III., endlich zum drittenmal die Republik. In
|
||
|
||
Deutschland ist die einzige wirkliche demokratische Einrichtung, das allgemeine Wahlrecht,
|
||
|
||
nicht eine Errungenschaft des bürgerlichen Liberalismus, sondern ein Werkzeug der
|
||
|
||
politischen Zusammenschweißung der Kleinstaaterei und hat bloß insofern eine Bedeutung
|
||
|
||
in der Entwicklung der deutschen Bourgeoisie, die sich sonst mit einer halbfeudalen
|
||
|
||
konstitutionellen Monarchie zufrieden gibt. In Rußland gedieh der Kapitalismus lange
|
||
|
||
unter dem orientalischen Selbstherrschertum, ohne daß die Bourgeoisie Miene machte, sich
|
||
|
||
nach der Demokratie zu sehnen. In Österreich ist das allgemeine Wahlrecht zum großen
|
||
|
||
Teil als ein Rettungsgürtel für die auseinanderfallende Monarchie erschienen, (und wie
|
||
|
||
wenig es mit der eigentlichen Demokratie verbunden ist, beweist die Herrschaft des §
|
||
|
||
14).M In Belgien endlich steht die demokratische Errungenschaft der Arbeiterbewegung - das
|
||
|
||
allgemeine Wahlrecht - in unzweifelhaftem Zusammenhang mit der Schwäche des Militarismus,
|
||
|
||
also mit der besonderen geographisch-politischen Lage Belgiens, und vor allem ist sie eben
|
||
|
||
ein nicht durch die Bourgeoisie, sondern gegen die Bourgeoisie erkämpftes »Stück
|
||
|
||
Demokratie«.</p>
|
||
<p>Der ununterbrochene Aufstieg der Demokratie, der unserem Revisionismus wie dem
|
||
|
||
bürgerlichen Freisinn als das große Grundgesetz der menschlichen und zum mindesten der
|
||
|
||
modernen Geschichte erscheint, ist somit nach näherer Betrachtung ein Luftgebilde.
|
||
|
||
Zwischen der kapitalistischen Entwicklung und der Demokratie läßt sich kein allgemeiner
|
||
|
||
absoluter Zusammenhang konstruieren. Die politische Form ist jedesmal das Ergebnis der
|
||
|
||
ganzen Summe politischer, innerer und äußerer, Faktoren und läßt in ihren Grenzen die
|
||
|
||
ganze Stufenleiter von der absoluten Monarchie bis zur demokratischen Republik zu.</p>
|
||
<p>Wenn wir somit von einem allgemeinen geschichtlichen Gesetz der Entwicklung der
|
||
|
||
Demokratie auch im Rahmen der modernen Gesellschaft absehen müssen und uns bloß an die
|
||
|
||
gegenwärtige Phase der bürgerlichen Geschichte wenden, so sehen wir auch hier in der
|
||
|
||
politischen Lage Faktoren, die nicht zur Verwirklichung des Bernsteinschen Schemas,
|
||
|
||
sondern vielmehr gerade umgekehrt, zur Preisgabe der bisherigen Errungenschaften seitens
|
||
|
||
der bürgerlichen Gesellschaft führen.</p>
|
||
<p>Einerseits haben die demokratischen Einrichtungen, was höchst wichtig ist, für die
|
||
|
||
bürgerliche Entwicklung in hohem Maße ihre Rolle ausgespielt. Insofern sie zur
|
||
|
||
Zusammenschweißung der Kleinstaaten und zur Herstellung moderner Großstaaten notwendig
|
||
|
||
waren (Deutschland, Italien), sind sie entbehrlich geworden; die wirtschaftliche
|
||
|
||
Entwicklung hat inzwischen eine innere organische Verwachsung herbeigeführt, (und der
|
||
|
||
Verband der politischen Demokratie kann insofern ohne Gefahr für den Organismus der
|
||
|
||
bürgerlichen Gesellschaften abgenommen werden.)</p>
|
||
<p>Dasselbe gilt in bezug auf die Umgestaltung der ganzen politisch-administrativen
|
||
|
||
Staatsmaschine aus einem halb- oder ganzfeudalen in einen kapitalistischen Mechanismus.
|
||
|
||
Diese Umgestaltung, die geschichtlich von der Demokratie unzertrenntlich war, ist heute
|
||
|
||
gleichfalls in so hohem Maße erreicht, daß die rein demokratischen Ingredienzien
|
||
|
||
(Zutaten) des Staatswesens, das allgemeine Wahlrecht, die republikanische Staatsform, an
|
||
|
||
sich ausscheiden könnten, ohne daß die Administration, das Finanzwesen, das Wehrwesen
|
||
|
||
usw. in die vormärzlichen Formen zurückzufallen brauchten.</p>
|
||
<p>Ist auf diese Weise der Liberalismus für die bürgerliche Gesellschaft als solche
|
||
|
||
wesentlich überflüssig, so andererseits in wichtigen Beziehungen direkt ein Hindernis
|
||
|
||
geworden. Hier kommen zwei Faktoren in Betracht, die das gesamte politische Leben der
|
||
|
||
heutigen Staaten geradezu beherrschen: die Weltpolitik und die Arbeiterbewegung - beides
|
||
|
||
nur zwei verschiedene Seiten der gegenwärtigen Phase der kapitalistischen Entwicklung.</p>
|
||
<p>Die Ausbildung der Weltwirtschaft und die Verschärfung und Verallgemeinerung des
|
||
|
||
Konkurrenzkampfes auf dem Weltmarkte haben den Militarismus und Marinismus als Werkzeuge
|
||
|
||
der Weltpolitik zum tonangebenden Moment ebenso des äußeren wie des inneren Lebens der
|
||
|
||
Großstaaten gemacht. Ist aber die Weltpolitik und der Militarismus eine aufsteigende
|
||
|
||
Tendenz der heutigen Phase, so muß sich folgerichtig die bürgerliche Demokratie auf
|
||
|
||
absteigender Linie bewegen. (Schlagendstes Beispiel: die nordamerikanische Union seit dem
|
||
|
||
spanischen Kriege. In Frankreich verdankt die Republik ihre Existenz hauptsächlich der
|
||
|
||
internationalen politischen Lage, die einen Krieg vorläufig unmöglich macht. Käme es zu
|
||
|
||
einem solchen und würde sich Frankreich, wie allem Anschein nach anzunehmen ist, als für
|
||
|
||
die Weltpolitik nicht gerüstet erweisen, dann wäre die Antwort auf die erste Niederlage
|
||
|
||
Frankreichs auf dem Kriegsschauplatz - die Proklamierung der Monarchie in Paris. In
|
||
|
||
Deutschland wurden die neue Aera der großen Rüstungen (1893) und die mit Kiautschou
|
||
|
||
inaugurierte Weltpolitik sofort mit zwei Opfern von der bürgerlichen Demokratie: dem
|
||
|
||
Zerfall des Freisinns und dem Umfall des Zentrums bezahlt.)O</p>
|
||
<p>Treibt somit die auswärtige Politik die Bourgeoisie in die Arme der Reaktion, so nicht
|
||
|
||
minder die innere Politik - die aufstrebende Arbeiterklasse. Bernstein gibt dies selbst
|
||
|
||
zu, indem er die sozialdemokratische »Freßlegende«13, d.h. die sozialistischen
|
||
|
||
Bestrebungen der Arbeiterklasse für die Fahnenflucht der liberalen Bourgeoisie
|
||
|
||
verantwortlich macht. Er rät dem Proletariat im Anschluß daran, um den zu Tode
|
||
|
||
erschrockenen Liberalismus wieder aus dem Mauseloch der Reaktion hervorzulocken, sein
|
||
|
||
sozialistisches Endziel fallen zu lassen. Damit beweist er aber selbst am schlagendsten,
|
||
|
||
indem er den Wegfall der sozialistischen Arbeiterbewegung zur Lebensbedingung und zur
|
||
|
||
sozialen Voraussetzung der bürgerlichen Demokratie heute macht, daß diese Demokratie in
|
||
|
||
gleichem Maße der inneren Entwicklungstendenz der heutigen Gesellschaft widerspricht, wie
|
||
|
||
die sozialistische Arbeiterbewegung ein direktes Produkt dieser Tendenz ist.</p>
|
||
<p>Aber er beweist damit noch ein weiteres. Indem er den Verzicht auf das sozialistische
|
||
|
||
Endziel seitens der Arbeiterklasse zur Voraussetzung und Bedingungen des Wiederauflebens
|
||
|
||
der bürgerlichen Demokratie macht, zeigt er selbst, wie wenig, umgekehrt die bürgerliche
|
||
|
||
Demokratie eine notwendige Voraussetzung und Bedingung der sozialistischen Bewegung und
|
||
|
||
des sozialistischen Sieges sein kann. Hier schließt sich das Bernsteinsche Räsonnement
|
||
|
||
zu einem fehlerhaften Kreis, wobei die letzte Schlußfolgerung seine erste Voraussetzung
|
||
|
||
»frißt«.</p>
|
||
<p>Der Ausweg aus diesem Kreise ist ein sehr einfacher: aus der Tatsache, daß der
|
||
|
||
bürgerliche Liberalismus vor Schreck vor der aufstrebenden Arbeiterbewegung und ihren
|
||
|
||
Endzielen seine Seele ausgehaucht hat, folgt nur, daß die sozialistische Arbeiterbewegung
|
||
|
||
eben heute die einzige Stütze der Demokratie ist und sein kann, und daß nicht die
|
||
|
||
Schicksale der sozialistischen Bewegung an die bürgerliche Demokratie, sondern umgekehrt
|
||
|
||
die Schicksale der demokratischen Entwicklung an die sozialistische Bewegung gebunden
|
||
|
||
sind. Daß die Demokratie nicht in dem Maße lebensfähig wird, als die Arbeiterklasse
|
||
|
||
ihren Emanzipationskampf aufgibt, sondern umgekehrt, in dem Maße, als die sozialistische
|
||
|
||
Bewegung stark genug wird, gegen die reaktionären Folgen der Weltpolitik und der
|
||
|
||
bürgerlichen Fahnenflucht anzukämpfen. Daß, wer die Stärkung der Demokratie wünscht,
|
||
|
||
auch Stärkung und nicht Schwächung der sozialistischen Bewegung wünschen muß, und daß
|
||
|
||
mit dem Aufgeben der sozialistischen Bestrebungen ebenso die Arbeiterbewegung wie die
|
||
|
||
Demokratie aufgegeben wird.</p>
|
||
<p>(Bemstein erklärt am Schluß seiner »Antwort« an Kautsky im »Vorwärts« vom 26. März 1899, er sei mit dem praktischen Teil des Programms
|
||
|
||
der Sozialdemokratie im ganzen durchaus einverstanden, er hätte bloß gegen dessen
|
||
|
||
theoretischen Teil etwas einzuwenden. Dessen ungeachtet glaubt er offenbar noch mit Fug
|
||
|
||
und Recht in Reih und Glied der Partei marschieren zu können, denn welches »Gewicht«
|
||
|
||
ist darauf zu legen, »Ob im theoretischen Teil ein Satz steht, der mit seiner Auffassung
|
||
|
||
vom Gang der Entwicklung nicht mehr stimmt«? Diese Erklärung zeigt im besten Falle, wie
|
||
|
||
vollständig Bernstein den Sinn für den Zusammenhang der praktischen Tätigkeit der
|
||
|
||
Sozialdemokratie mit ihren allgemeinen Grundsätzen verloren hat, wie sehr dieselben Worte
|
||
|
||
aufgehört haben, für die Partei und für Bernstein dasselbe auszudrücken. Tatsächlich
|
||
|
||
führen die eigenen Theorien Bernsteins, wie wir gesehen, zu der elementarsten
|
||
|
||
sozialdemokratischen Erkenntnis, daß ohne die grundsätzliche Basis auch der praktische
|
||
|
||
Kampf wertlos und zwecklos wird, daß mit dem Aufgeben des Endziels auch die Bewegung
|
||
|
||
selbst zugrunde gehen muß.)</p>
|
||
<H3 align="center"><A name="2_3">3. Die Eroberung der
|
||
|
||
politischen Macht</a></H3>
|
||
<P align="left">Die Schicksale der Demokratie sind, wie wir gesehen, an die Schicksale der
|
||
|
||
Arbeiterbewegung gebunden. Aber macht denn die Entwicklung der Demokratie auch im besten
|
||
|
||
Falle eine proletarische Revolution im Sinne der Ergreifung der Staatsgewalt, der
|
||
|
||
Eroberung der politischen Macht überflüssig oder unmöglich?</P>
|
||
<P align="left">Bernstein entscheidet diese Frage auf dem Wege einer gründlichen Abwägung der guten
|
||
|
||
und schlechten Seiten der gesetzlichen Reform und der Revolution, und zwar mit einer
|
||
|
||
Behaglichkeit, die an das Abwägen von Zimt und Pfeffer in einem Konsumverein erinnert. In
|
||
|
||
dem gesetzlichen Gang der Entwicklung sieht er die Wirkung des Intellekts, in dem
|
||
|
||
revolutionären die des Gefühls, in der Reformarbeit eine langsame, in der Revolution
|
||
|
||
eine rasche Methode des geschichtlichen Fortschritts, in der Gesetzgebung eine
|
||
|
||
planmäßige, in dem Umsturz eine elementarische Gewalt. </P>
|
||
<p>Es ist nun eine alte Geschichte, daß der kleinbürgerliche Reformer in allen Dingen
|
||
|
||
der Welt eine »gute« und eine »schlechte« Seite sieht und daß er von allen
|
||
|
||
Blumenbeeten nascht. Eine ebenso alte Geschichte ist es aber, daß der wirkliche Gang der
|
||
|
||
Dinge sich um kleinbürgerliche Kombinationen sehr wenig kümmert und das sorgfältigst
|
||
|
||
zusammengeschleppte Häuflein »guter Seiten« von allen möglichen Dingen der Welt mit
|
||
|
||
einem Nasenstüber in die Luft sprengt. Tatsächlich sehen wir in der Geschichte die
|
||
|
||
gesetzliche Reform und die Revolution nach tieferen Gründen als die Vorzüge oder
|
||
|
||
Nachteile dieses oder jenes Verfahrens funktionieren.</p>
|
||
<p>In der Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft diente die gesetzliche Reform zur
|
||
|
||
allmählichen Erstarkung der aufstrebenden Klasse, bis sie sich reif genug fühlte, die
|
||
|
||
politische Macht zu erobern und das ganze bestehende Rechtsystem umzuwerfen, um ein neues
|
||
|
||
aufzubauen. Bernstein, der gegen die Eroberung der politischen Macht als eine
|
||
|
||
blanquistische Gewalttheorie wettert, passiert das Malheur, daß er das, was seit
|
||
|
||
Jahrhunderten der Angelpunkt und die Triebkraft der menschlichen Geschichte ist, für
|
||
|
||
einen blanquistischen Rechenfehler hält. Seit die Klassengesellschaften existieren und
|
||
|
||
der Klassenkampf den wesentlichen Inhalt ihrer Geschichte bildet, war nämlich die
|
||
|
||
Eroberung der politischen Macht stets ebenso das Ziel aIler aufstrebenden Klassen, wie der
|
||
|
||
Ausgangs- und der Endpunkt jeder geschichtlichen Periode. Dies sehen wir in den langen
|
||
|
||
Kämpfen des Bauerntums mit den Geldkapitalisten und dem Adel im alten Rom, in den
|
||
|
||
Kämpfen des Patriziertums mit den Bischöfen und des Handwerkertums mit den Patriziern
|
||
|
||
mit den mittelalterlichen Städten, in den Kämpfen der Bourgeoisie mit dem Feudalismus in
|
||
|
||
der Neuzeit.</p>
|
||
<p>Die gesetzliche Reform und die Revolution sind also nicht verschiedene Methoden des
|
||
|
||
geschichtlichen Fortschritts, die man in dem Geschichtsbüfett nach Belieben wie heiße
|
||
|
||
Würstchen oder kalte Würstchen auswählen kann, sondern verschiedene Momente in der
|
||
|
||
Entwicklung der Klassengesellschaft, die einander ebenso bedingen und ergänzen, zugleich
|
||
|
||
aber ausschließen, wie z.B. Südpol und Nordpol, wie Bourgeoisie und Proletariat.</p>
|
||
<p>Und zwar ist die jeweilige gesetzliche Verfassung bloß ein Produkt der Revolution.
|
||
|
||
Während die Revolution der politische Schöpfungsakt der Klassengeschichte ist, ist die
|
||
|
||
Gesetzgebung das politische Fortvegetieren der Gesellschaft. Die gesetzliche Reformarbeit
|
||
|
||
hat eben in sich keine eigene, von der Revolution unabhängige Triebkraft, sie bewegt sich
|
||
|
||
in jeder Geschichtsperiode nur auf der Linie und solange, als in ihr der ihr durch die
|
||
|
||
letzte Umwälzung gegebene Fußtritt nachwirkt, oder, konkret gesprochen, nur im Rahmen
|
||
|
||
der durch die letzte Umwälzung in die Welt gesetzten Gesellschaftsform. Das ist eben der
|
||
|
||
Kernpunkt der Frage.</p>
|
||
<p>Es ist grundfalsch und ganz ungeschichtlich, sich die gesetzliche Reformarbeit bloß
|
||
|
||
als die ins Breite gezogene Revolution und die Revolution als die zusammengedrängte
|
||
|
||
Reform vorzustellen. Eine soziale Umwälzung und eine gesetzliche Reform sind nicht durch
|
||
|
||
die Zeitdauer, sondern durch das Wesen verschiedene Momente. Das ganze Geheimnis der
|
||
|
||
geschichtlichen Umwälzungen durch den Gebrauch der politischen Macht liegt ja gerade in
|
||
|
||
dem Umschlage der bloßen quantitativen Veränderungen in eine neue Qualität, konkret
|
||
|
||
gesprochen in dem Übergange einer Geschichtsperiode, einer Gesellschaftsordnung in eine
|
||
|
||
andere.</p>
|
||
<p>Wer sich daher für den gesetzlichen Reformweg anstatt und im Gegensatz zur Eroberung
|
||
|
||
der politischen Macht und zur Umwälzung der Gesellschaft ausspricht, wählt tatsächlich
|
||
|
||
nicht einen ruhigeren, sicheren, langsameren Weg zum gleichen Ziel, sondern auch ein
|
||
|
||
anderes Ziel, nämlich statt der Herbeiführung einer neuen Gesellschaftsordnung bloß
|
||
|
||
unwesentliche Veränderungen in der alten. So gelangt man von den politischen Ansichten
|
||
|
||
des Revisionismus zu demselben Schluß, wie von seinen ökonomischen Theorien: daß sie im
|
||
|
||
Grunde genommen nicht auf die Verwirklichung der sozialistischen Ordnung, sondern bloß
|
||
|
||
auf die Reformierung der kapitalistischen, nicht auf die Aufhebung des Lohnsystems,
|
||
|
||
sondern auf das Mehr oder Weniger der Ausbeutung, mit einem Worte auf die Beseitigung der
|
||
|
||
kapitalistischen Auswüchse und nicht des Kapitalismus selbst abzielen.</p>
|
||
<p>Vielleicht behalten aber die obigen Sätze über die Funktion der gesetzlichen Reform
|
||
|
||
und der Revolution ihre Richtigkeit bloß in bezug auf die bisherigen Klassenkämpfe?
|
||
|
||
Vielleicht ist von nun an, dank der Ausbildung des bürgerlichen Rechtssystems, der
|
||
|
||
gesetzlichen Reform auch die Überführung der Gesellschaft aus einer geschichtlichen
|
||
|
||
Phase in eine andere zugewiesen und die Ergreifung der Staatsgewalt durch das Proletariat
|
||
|
||
»zur inhaltlosen Phrase geworden«, wie Bernstein auf Seite 183 seiner Schrift sagt?</p>
|
||
<p>Das gerade und direkte Gegenteil ist der Fall. Was zeichnet die bürgerliche
|
||
|
||
Gesellschaft von den früheren Klassengesellschaften - der antiken und der
|
||
|
||
mittelalterlichen - aus? Eben der Umstand, daß die Klassenherrschaft jetzt nicht auf
|
||
|
||
»wohl erworbenen Rechten«, sondern auf tatsächlichen wirtschafllichen Verhältnissen
|
||
|
||
beruht, daß das Lohnsystem nicht ein Rechtsverhältnis, sondern ein rein ökonomisches
|
||
|
||
ist. Man wird in unserem ganzen Rechtssystem keine gesetzliche Formel der gegenwärtigen
|
||
|
||
Klassenherrschaft finden. Gibt es Spuren von einer solchen, dann sind es eben, wie die
|
||
|
||
Gesindeordnung, Überbleibsel der feudalen Verhältnisse.</p>
|
||
<p>Wie also die Lohnsklaverei »auf gesetzlichem Wege« stufenweise aufheben, wenn sie in
|
||
|
||
den Gesetzen gar nicht ausgedrückt ist? Bernstein, der sich an die gesetzliche
|
||
|
||
Reformarbeit machen will, um dem Kapitalismus auf diesem Wege ein Ende zu bereiten, gerät
|
||
|
||
in die Lage jenes russischen Schutzmannes, der bei Uspienski sein Abenteuer erzählt:...
|
||
|
||
»Schnell packte ich den Kerl am Kragen und was stellte sich heraus? Daß der verdammte
|
||
|
||
Kerl keinen Kragen hatte!«...Da liegt eben der Hase im Pfeffer.</p>
|
||
<p>»Alle bisherige Gesellschaft beruhte auf dem Gegensatz unterdrückter und
|
||
|
||
unterdrückender Klassen« (Das Kommunistische Manifest S.17). Aber in den vorhergehenden
|
||
|
||
Phasen der modernen Gesellschaft war dieser Gegensatz in bestimmten rechtlichen
|
||
|
||
Vehältnissen ausgedrückt und konnte eben deshalb bis zu einem gewissen Grad den
|
||
|
||
aufkommenden neuen Verhältnissen noch im Rahmen der alten Raum gewähren. »Der
|
||
|
||
Leibeigene hat sich zum Mitglied der Kommune in der Leibeigenschaft herausgearbeitet«
|
||
|
||
(Kommunistisches Manifest S.17). Wieso? Durch stufenweise Aufhebung im Weichbilde der
|
||
|
||
Stadt aller jener Splitterrechte: der Fronden, Kurmeden, des Gewandrechts, Besthaupts,
|
||
|
||
Kopfzinses, Heiratszwanges, Erbteilungsrechts usw. usw., deren Gesamtheit die
|
||
|
||
Leibeigenschaft ausmachte.</p>
|
||
<p>Desgleichen arbeitete sich »der Kleinbürger zum Bourgeois unter dem Joch des
|
||
|
||
feudalistischen Absolutismus« empor (a.a.0.S.17). Auf welchem Wege? Durch teilweise
|
||
|
||
formelle Aufhebung oder tatsächliche Lockerung der Zunftfesseln, durch allmähliche
|
||
|
||
Umbildung der Verwaltung, des Finanz- und Wehrwesens in dem allernotwendigsten Umfange.</p>
|
||
<p>Will man also abstrakt, anstatt geschichtlich, die Frage behandeln, so läßt sich bei
|
||
|
||
den früheren Klassenverhältnissen ein rein gesetzlich-reformlerischer Übergang von der
|
||
|
||
feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft wenigstens denken. Was sehen wir aber in der Tat?
|
||
|
||
Daß auch dort die gesetzlichen Reformen nicht dazu dienten, die Ergreifung der
|
||
|
||
politischen Macht durch das Bürgertum überflüssig zu machen, sondern umgekehrt, sie
|
||
|
||
vorzubereiten und herbeizuführen. Eine förmliche politisch-soziale Umwälzung war
|
||
|
||
unentbehrlich, ebenso zur Aufhebung der Leibeigenschaft, wie zur Abschaffung des
|
||
|
||
Feudalismus.</p>
|
||
<p>Ganz anders noch liegen aber die Dinge jetzt. Der Proletarier wird durch kein Gesetz
|
||
|
||
gezwungen, sich in das Joch des Kapitals zu spannen, sondern durch die Not, durch den
|
||
|
||
Mangel an Produktionsmitteln. Kein Gesetz in der Welt kann ihm aber im Rahmen der
|
||
|
||
bürgerlichen Gesellschaft diese Mittel zu dekretieren, weil er ihrer nicht durch Gesetz,
|
||
|
||
sondern durch ökonomische Entwicklung beraubt wurde.</p>
|
||
<p>Ferner beruht die Ausbeutung innerhalb des Lohnverhältnisses gleichfalls nicht auf
|
||
|
||
Gesetzen, denn in Höhe der Löhne wird nicht auf gesetzlichem Wege, sondern durch
|
||
|
||
ökonomische Faktoren bestimmt. Und die Tatsache selbst der Ausbeutung beruht nicht auf
|
||
|
||
einer gesetzlichen Bestimmung, sondern auf der rein wirtschaftlichen Tatsache, daß die
|
||
|
||
Arbeitskraft als Ware auftritt, die unter anderem die angenehme Eigenschaft besitzt, Wert,
|
||
|
||
und zwar mehr Wert zu produzieren, als sie selbst in den Lebensmitteln des Arbeiters
|
||
|
||
vertilgt. Mit einem Worte, alle Grundverhältnisse der kapitalistischen Klassenherrschaft
|
||
|
||
lassen sich durch gesetzliche Reformen auf bürgerlicher Basis deshalb nicht umgestalten,
|
||
|
||
weil sie weder durch bürgerliche Gesetze herbeigeführt, noch die Gestalt von solchen
|
||
|
||
Gesetzen erhalten haben. Bernstein weiß das nicht, wenn er eine sozialistische »Reform«
|
||
|
||
plant, aber was er nicht weiß, das sagt er, indem er auf S. 10 seines Buches schreibt,
|
||
|
||
daß »das ökonomische Motiv heute frei auftritt, wo es früher durch
|
||
|
||
Herrschaftsverhältnisse und Ideologien aller Art verkleidet war«.</p>
|
||
<p>Aber es kommt noch ein zweites hinzu. Es ist die andere Besonderheit der
|
||
|
||
kapitalistischen Ordnung, daß in ihr alle Elemente der künftigen Gesellschaft in ihrer
|
||
|
||
Entwicklung vorerst eine Form annehmen, in der sie sich dem Sozialismus nicht nähern,
|
||
|
||
sondern von ihm entfernen. In der Produktion wird immer mehr der gesellschaftliche
|
||
|
||
Charakter zum Ausdruck gebracht. Aber in welcher Form? Von Großbetrieb,
|
||
|
||
Aktiengesellschaft, Kartell, wo die kapitalistischen Gegensätze, die Ausbeutung, die
|
||
|
||
Unterjochung der Arbeitskraft aufs höchste gesteigert werden.</p>
|
||
<p>Im Wehrwesen führt die Entwicklung die Verbreitung der allgemeinen Wehrpflicht, die
|
||
|
||
Verkürzung der Dienstzeit, also materiell die Annäherung an das Volksheer herbei. Aber
|
||
|
||
dies in der Form von modernem Militarismus, wo die Beherrschung des Volkes durch den
|
||
|
||
Militärstaat, der Klassencharakter des Staates zum grellsten Ausdruck kommt.</p>
|
||
<p>In den politischen Verhältnissen führt die Entwicklung der Demokratie, insofern sie
|
||
|
||
günstigen Boden hat, zur Beteiligung aller Volksschichten am politischen Leben, also
|
||
|
||
gewissermaßen zum »Volksstaat«. Aber dies in der Form des bürgerlichen
|
||
|
||
Parlamentarismus, wo die Klassengegensätze, die Klassenherrschaft nicht aufgehoben sind,
|
||
|
||
sondern vielmehr entfaltet und bloßgelegt werden. Weil sich die ganze kapitalistische
|
||
|
||
Entwicklung somit in Widersprüchen bewegt, so muß, um den Kern der sozialistischen
|
||
|
||
Gesellschaft aus der ihm widersprechenden kapitalistischen Hülle herauszuschälen, auch
|
||
|
||
aus diesem Grunde zur Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat und zur
|
||
|
||
gänzlichen Aufhebung des kapitalistischen Systems gegriffen werden.</p>
|
||
<p>Bernstein zieht freilich andere Schlüsse daraus: führte die Entwicklung der
|
||
|
||
Demokratie zur Verschärfung und nicht zur Abschwächung der kapitalistischen
|
||
|
||
Widersprüche, dann »müßte die Sozialdemokratie«, antwortet er uns, »wenn sie sich
|
||
|
||
nicht selbst die Arbeit erschweren will, Sozialreformen und die Erweiterung der
|
||
|
||
demokratischen Einrichtungen nach Möglichkeit zu vereiteln streben« (S.71). Dies
|
||
|
||
allerdings, wenn die Sozialdemokratie nach kleinbürgerlicher Art an dem müßigen
|
||
|
||
Geschäft des Auswählens aller guten Seiten und des Wegwerfens schlechter Seiten der
|
||
|
||
Geschichte Geschmack fände. Nur müßte sie dann folgerichtig auch den ganzen
|
||
|
||
Kapitalismus überhaupt »zu vereiteln streben«, denn er ist doch unbestreitbar der
|
||
|
||
Hauptbösewicht, der ihr alle Hindernisse auf dem Wege zum Sozialismus stellt.
|
||
|
||
Tatsächlich gibt der Kapitalismus neben und zugleich mit Hindernissen auch die einzigen
|
||
|
||
Möglichkeiten, das sozialistische Programm zu verwirklichen. Dasselbe gilt aber
|
||
|
||
vollkommen auch in bezug auf die Demokratie.</p>
|
||
<p>Ist die Demokratie für die Bourgeoisie teils überflüssig, teils hinderlich geworden,
|
||
|
||
so ist sie für die Arbeiterklasse dafür notwendig und unentbehrlich. Sie ist erstens
|
||
|
||
notwendig, weil sie politische Formen (Selbstverwaltung, Wahlrecht u.dergl.) schafft, die
|
||
|
||
als Ansätze und Stützpunkte für das Proletariat bei seiner Umgestaltung der
|
||
|
||
bürgerlichen Gesellschaft dienen werden. Sie ist aber zweitens unentbehrlich, weil nur in
|
||
|
||
ihr, in dem Kampfe um die Demokratie, in der Ausübung ihrer Rechte das Proletariat zum
|
||
|
||
Bewußtsein seiner Klasseninteressen und seiner geschichtlichen Aufgaben kommen kann.</p>
|
||
<p>Mit einem Worte, die Demokratie ist unentbehrlich, nicht weil sie die Eroberung der
|
||
|
||
politischen Macht durch das Proletariat überflüssig, sondern umgekehrt, weil sie diese
|
||
|
||
Machtergreifung ebenso notwendig, wie auch einzig möglich macht. Wenn Engels die Taktik
|
||
|
||
der heutigen Arbeiterbewegung in seinem Vorwort zu den »Klassenkämpfen in
|
||
|
||
Frankreich« revidierte und den Barrikaden den gesetzlichen Kampf entgegenstellte, so
|
||
|
||
behandelte er - was aus jeder Zeile des Vorwortes klar ist - nicht die Frage der
|
||
|
||
endgültigen Eroberung der politischen Macht, sondern die des heutigen alltäglichen
|
||
|
||
Kampfes, nicht das Verhalten des Proletariats gegenüber dem kapitalistischen Staate im
|
||
|
||
Moment der Ergreifung der Staatsgewalt, sondern sein Verhalten im Rahmen des
|
||
|
||
kapitalistischen Staates. Mit einem Wort, Engels gab die Richtschnur dem beherrschten
|
||
|
||
Proletariat und nicht dem siegreichen.</p>
|
||
<p>Umgekehrt bezieht sich der bekannte Ausspruch von Marx über die Bodenfrage in England,
|
||
|
||
auf den sich Bernstein gleichfalls beruft: »man käme wahrscheinlich am billigsten fort,
|
||
|
||
wenn man die Landlords auskaufte«, nicht auf das Verhalten des Proletariats vor seinem
|
||
|
||
Siege, sondern nach dem Siege. Denn von »Auskaufen« der herrschenden Klassen kann
|
||
|
||
offenbar nur dann die Rede sein, wenn die Arbeiterklasse am Ruder ist. Was Marx somit hier
|
||
|
||
als möglich in Erwägung zog, ist die friedliche Ausübung der proletarischen Diktatur
|
||
|
||
und nicht die Ersetzung der Diktatur durch kapitalistische Sozialreformen.</p>
|
||
<p>Die Notwendigkeit selbst der Ergreifung der politischen Macht durch das Proletariat war
|
||
|
||
ebenso für Marx wie Engels zu allen Zeiten außer Zweifel. Und es blieb Bernstein
|
||
|
||
vorbehalten, den Hühnerstall des bürgerlichen Parlamentarismus für das berufene Organ
|
||
|
||
zu halten, wodurch die gewaltigste weltgeschichtliche Umwälzung: die Überführung der
|
||
|
||
Gesellschaft aus den kapitalistischen in sozialistische Formen vollzogen werden soll.</p>
|
||
<p>Aber Bernstein hat ja seine Theorie bloß mit der Befürchtung und der Warnung
|
||
|
||
angefangen, daß das Proletariat nicht zu früh ans Ruder komme! In diesem Falle müßte
|
||
|
||
es nämlich nach Bernstein die bürgerlichen Zustände ganz so lassen, wie sie sind und
|
||
|
||
selbst eine furchtbare Niederlage erleiden. Was aus dieser Befürchtung vor allem
|
||
|
||
ersichtlich, ist, daß die Bernsteinsche Theorie für das Proletariat, falls es durch die
|
||
|
||
Verhältnisse ans Ruder gebracht wäre, nur Eine »praktische« Anweisung hat: sich
|
||
|
||
schlafen zu legen. Damit richtet sie sich aber ohne weiteres selbst, als eine Auffassung,
|
||
|
||
die das Proletariat in den wichtigsten Fällen des Kampfes zur Untätigkeit, also zum
|
||
|
||
passiven Verrate an der eigenen Sache verurteilt.</p>
|
||
<p>Tatsächlich wäre unser ganzes Programm ein elender Wisch Papier, wenn es uns nicht
|
||
|
||
für alle Eventualitäten und in allen Momenten des Kampfes zu dienen, und zwar durch
|
||
|
||
seine Ausübung und nicht durch seine Nichtausübung zu dienen imstande wäre. Ist unser
|
||
|
||
Programm einmal die Formulierung der geschichtlichen Entwicklung der Gesellschaft vom
|
||
|
||
Kapitalismus zum Sozialismus, dann muß es offenbar auch alle Übergangsphasen dieser
|
||
|
||
Entwicklung formulieren, in sich in den Grundzügen enthalten, also auch das entsprechende
|
||
|
||
Verhalten im Sinne der Annäherung zum Sozialismus in jedem Moment dem Proletariat
|
||
|
||
anweisen können. Daraus folgt, daß es überhaupt für das Proletariat keinen Augenblick
|
||
|
||
geben kann, in dem es gezwungen wäre, sein Programm im Stiche zu lassen, oder wo es von
|
||
|
||
diesem Programm könnte im Stiche gelassen werden.</p>
|
||
<p>Praktisch äußert sich das in der Tatsache, daß es keinen Moment geben kann, in dem
|
||
|
||
das Proletariat, durch den Gang der Dinge ans Ruder gebracht, nicht in der Lage und auch
|
||
|
||
nicht verpflichtet wäre, gewisse Maßregeln zur Verwirklichung seines Programms, gewisse
|
||
|
||
Übergangsmaßregeln im Sinne des Sozialismus zu treffen. Hinter der Behauptung, das
|
||
|
||
sozialistische Programm könnte in irgend einem Augenblick der politischen Herrschaft des
|
||
|
||
Proletariats völlig versagen und gar keine Anweisungen zu seiner Verwirklichung geben,
|
||
|
||
steckt unbewußt die andere Behauptung: das sozialistische Programm sei überhaupt und
|
||
|
||
jederzeit unrealisierbar.</p>
|
||
<p>Und wenn die Übergangsmaßregeln verfrüht sind? Diese Frage birgt in sich einen
|
||
|
||
ganzen Knäuel von Mißverständnissen in bezug auf den wirklichen Gang sozialer
|
||
|
||
Umwälzungen.</p>
|
||
<p>Die Ergreifung der Staatsgewalt durch das Proletariat, d.h. durch eine große
|
||
|
||
Volksklasse, läßt sich vor allem nicht künstlich herbeiführen. Sie setzt von selbst,
|
||
|
||
abgesehen von Fällen, wie die Pariser Kommune, wo die Herrschaft dem Proletariat nicht
|
||
|
||
als Ergebnis seines zielbewußten Kampfes, sondern ausnahmsweise als von allen verlassenes
|
||
|
||
herrenloses Gut in den Schoß fiel, einen bestimmten Reifegrad der ökonomisch-politischen
|
||
|
||
Verhältnisse voraus. Hier liegt der Hauptunterschied zwischen blanquistischen
|
||
|
||
Staatsstreichen einer »entschlossenen Minderheit«, die jederzeit wie aus der Pistole
|
||
|
||
geschossen und eben deshalb immer unzeitgemäß kommen, und der Eroberung der Staatsgewalt
|
||
|
||
durch die große und klassenbewußte Volksmasse, die selbst nur das Produkt eines
|
||
|
||
beginnenden Zusammenbruches der bürgerlichen Gesellschaft sein kann, deshalb in sich
|
||
|
||
selbst die ökonomisch-politische Legitimation ihrer zeitgemäßen Erscheinung trägt.</p>
|
||
<p>Kann somit die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse vom Standpunkt
|
||
|
||
der gesellschaftlichen Voraussetzungen gar nicht »zu früh« geschehen, so muß sie
|
||
|
||
andererseits vom Standpunkte des politischen Effekts: der Festhaltung der Gewalt,
|
||
|
||
notwendig »zu früh« stattfinden. Die verfrühte Revolution, die Bernstein nicht
|
||
|
||
schlafen läßt, bedroht uns wie das Damoklesschwert, und dagegen hilft kein Bitten und
|
||
|
||
Beten, kein Bangen und Zagen. Und zwar aus zwei sehr einfachen Gründen.</p>
|
||
<p>Erstens ist eine so gewaltige Umwälzung, wie die Überführung der Gesellschaft aus
|
||
|
||
der kapitalistischen in die sozialistische Ordnung, ganz undenkbar auf einen Schlag, durch
|
||
|
||
einen siegreichen Streich des Proletariats. Dies als möglich voraussetzen, hieße
|
||
|
||
wiederum eine echt blanquistische Auffassung an den Tag legen. Die sozialistische
|
||
|
||
Umwälzung setzt einen langen und hartnäckigen Kampf voraus, wobei das Proletariat allem
|
||
|
||
Anscheine nach mehr als einmal zurückgeworfen wird, so daß es das erstemal, vom
|
||
|
||
Standpunkte des Endresultates des ganzen Kampfes gesprochen, notwendig »zu
|
||
|
||
früh« ans Ruder gekommen sein wird.</p>
|
||
<p>Zweitens aber läßt sich das »verfrühte« Ergreifen der Staatsgewalt auch deshalb
|
||
|
||
nicht vermeiden, weil diese »verfrühten« Angriffe des Proletariats eben selbst ein, und
|
||
|
||
zwar sehr wichtiger Faktor sind, der die politischen Bedingungen des endgültigen Sieges
|
||
|
||
schafft, indem das Proletariat erst im Laufe jener politischen Krise, die seine
|
||
|
||
Machtergreifung begleiten wird, erst im Feuer langer und hartnäckiger Kämpfe den
|
||
|
||
erforderlichen Grad der politischen Reife erreichen kann, der es zur endgültigen großen
|
||
|
||
Umwälzung befähigen wird. So stellen sich denn jene »verfrühten« Angriffe des
|
||
|
||
Proletariats auf die politische Staatsgewalt selbst als wichtige geschichtliche Momente
|
||
|
||
heraus, die auch den Zeitpunkt des endgültigen Sieges mitherbeiführen und mitbestimmen.
|
||
|
||
Von diesem Standpunkte erscheint die Vorstellung einer »verfrühten« Eroberung der
|
||
|
||
politischen Macht durch das arbeitende Volk als ein politischer Widersinn, der von einer
|
||
|
||
mechanischen Entwicklung der Gesellschaft ausgeht und einen außerhalb und unabhängig vom
|
||
|
||
Klassenkampf bestimmten Zeitpunkt für den Sieg des Klassenkampfes voraussetzt.</p>
|
||
<p>Da aber das Proletariat somit gar nicht imstande ist, die Staatsgewalt anders als »zu
|
||
|
||
früh« zu erobern, oder mit anderen Worten, da es sie unbedingt einmal oder mehrmals »zu
|
||
|
||
früh« erobern muß, um sie schließlich dauernd zu erobern, so ist die Opposition gegen
|
||
|
||
die »verfrühte« Machtergreifung nichts als die Opposition gegen die Bestrebung des
|
||
|
||
Proletariats überhaupt, sich der Staatsgewalt zu bemächtigen.</p>
|
||
<p>Also auch von dieser Seite gelangen wir folgerichtig, wie durch alle Straßen nach Rom,
|
||
|
||
zu dem Ergebnis, daß die revisionistische Anweisung, das sozialistische Endziel fallen zu
|
||
|
||
lassen, auf die andere hinauskommt, auch die ganze sozialistische Bewegung aufzugeben,
|
||
|
||
(daß sein Rat an die Sozialdemokratie, sich im Falle der Machteroberung »schlafen zu
|
||
|
||
legen«, mit dem anderen identisch ist: sich nun und überhaupt schlafen zu legen, d.h.
|
||
|
||
auf den Klassenkampf zu verzichten).</p>
|
||
<H3 align="center"><A name="2_4">4. Der Zusammenbruch</a></H3>
|
||
<p>Bernstein hat seine Revision des sozialdemokratischen Programms mit dem Aufgeben der
|
||
|
||
Theorie des kapitalistischen Zusammenbruchs angefangen. Da aber der Zusammenbruch der
|
||
|
||
bürgerlichen Gesellschaft ein Eckstein des wissenschaftlichen Sozialismus ist, so mußte
|
||
|
||
die Entfernung dieses Ecksteins logisch zum Zusammenbruche der ganzen sozialistischen
|
||
|
||
Auffassung bei Bernstein führen. Im Laufe der Debatte gibt er, um seine erste Behauptung
|
||
|
||
aufrecht zu erhalten, eine Position des Sozialismus nach der anderen preis.</p>
|
||
<p>Ohne Zusammenbruch des Kapitalismus ist die Expropriation der Kapitalistenklasse
|
||
|
||
unmöglich - Bernstein verzichtet auf die Expropriation und stellt als Ziel der
|
||
|
||
Arbeiterbewegung die allmähliche Durchführung des »Genossenschaftlichkeitsprinzips«
|
||
|
||
auf.</p>
|
||
<p>Aber die Genossenschaftlichkeit läßt sich inmitten der kapitalistischen Produktion
|
||
|
||
nicht durchführen - Bernstein verzichtet auf die Vergesellschaftung der Produktion und
|
||
|
||
kommt auf die Reform des Handels, auf den Konsumverein.</p>
|
||
<p>Aber die Umgestaltung der Gesellschaft durch die Konsumvereine, auch mit Gewerkschaften
|
||
|
||
zusammen, verträgt sich nicht mit der tatsächlichen materiellen Entwicklung der
|
||
|
||
kapitalistischen Gesellschaft - Bernstein gibt die materialistische Geschichtsauffassung
|
||
|
||
auf.</p>
|
||
<p>Aber seine Auffassung von dem Gang der ökonomischen Entwicklung verträgt sich nicht
|
||
|
||
mit dem Marxschen Mehrwertgesetz - Bernstein gibt das Mehrwert- und das Wertgesetz und
|
||
|
||
damit die ganze ökonomische Theorie von Karl Marx auf.</p>
|
||
<p>Aber ohne bestimmtes Endziel und ohne ökonomischen Boden in der gegenwärtigen
|
||
|
||
Gesellschaft kann der proletarische Klassenkampf nicht geführt werden - Bernstein gibt
|
||
|
||
den Klassenkampf auf und verkündet die Aussöhnung mit dem bürgerlichen Liberalismus.</p>
|
||
<p>Aber in einer Klassengesellschaft ist der Klassenkampf eine ganz natürliche,
|
||
|
||
unvermeidliche Erscheinung - Bernstein bestreitet in weiterer Konsequenz sogar das
|
||
|
||
Bestehen der Klassen in unserer Gesellschaft: die Arbeiterklasse ist ihm bloß ein Haufen
|
||
|
||
nicht nur politisch und geistig, sondern auch wirtschaftlich zersplitterter Individuen.
|
||
|
||
Und auch die Bourgeoisie wird nach ihm nicht durch innere ökonomische Interessen, sondern
|
||
|
||
bloß durch äußeren Druck von oben oder von unten - politisch zusammengehalten.</p>
|
||
<p>Aber wenn es keinen ökonomischen Boden für den Klassenkampf und im Grunde genommen
|
||
|
||
auch keine Klassen gibt, so erscheint nicht nur der künftige Kampf des Proletariats mit
|
||
|
||
der Bourgeoisie unmöglich, sondern auch der bisherige, so erscheint die Sozialdemokratie
|
||
|
||
selbst mit ihren Erfolgen unbegreiflich. Oder aber sie wird begreiflich gleichfalls nur
|
||
|
||
als Resultat des politischen Regierungsdruckes, nicht als gesetzmäßiges Ergebnis der
|
||
|
||
geschichtlichen Entwicklung, sondern als Zufallsprodukt des hohenzollernschen Kurses,
|
||
|
||
nicht als legitimes Kind der kapitalistischen Gesellschaft, sondern als Bastard der
|
||
|
||
Reaktion. So führt Bernstein mit zwingender Logik von der materialistischen
|
||
|
||
Geschichtsauffassung zu der »Frankfurter« und der »Vossischen
|
||
|
||
Zeitung«.</p>
|
||
<p>Es bleibt nur noch übrig, nachdem man die ganze sozialistische Kritik der
|
||
|
||
kapitalistischen Gesellschaft abgeschworen hat, das Bestehende wenigstens irn großen und
|
||
|
||
ganzen auch befriedigend zu finden. Und auch davor schreckt Bernstein nicht zurück: er
|
||
|
||
findet jetzt die Reaktion in Deutschland nicht so stark, »in den westeuropäischen
|
||
|
||
Staaten ist von politischer Reaktion nicht viel zu merken«, in fast allen Ländern des
|
||
|
||
Westens ist »die Haltung der bürgerlichen Klassen der sozialistischen Bewegung
|
||
|
||
gegenüber höchstens eine der Defensive und keine der Unterdrückung« ('Vorwärts' vom
|
||
|
||
26. März 1899). Die Arbeiter sind nicht verelendet, sondern im Gegenteil immer
|
||
|
||
wohlhabender, die Bourgeoisie ist politisch fortschrittlich und sogar moralisch gesund,
|
||
|
||
von Reaktion und Unterdrückung ist nichts zu sehen, - und alles geht zum besten in dieser
|
||
|
||
besten der Welten...</p>
|
||
<p>So kommt Bernstein ganz logisch und folgerichtig von A bis herunter auf Z. Er hatte
|
||
|
||
damit angefangen, das Endziel um der Bewegung willen aufzugeben. Da es aber tatsächlich
|
||
|
||
keine sozialdemokratische Bewegung ohne das sozialistische Endziel geben kann, so endet er
|
||
|
||
notwendig damit, daß er auch die Bewegung selbst aufgibt.</p>
|
||
<p>Die ganze sozialistische Auffassung Bernsteins ist somit zusammengebrochen. Aus dem
|
||
|
||
stolzen, symmetrischen, wunderbaren Bau des Marxschen Systems ist bei ihm nunmehr ein
|
||
|
||
großer Schutthaufen geworden, in dem Scherben aller Systeme, Gedankensplitter aller
|
||
|
||
großen und kleinen Geister eine gemeinsame Gruft gefunden haben. Marx und Proudhon, Leo
|
||
|
||
von Buch und Franz Oppenheimer, Friedrich Albert Lange und Kant, Herr Prokopovitsch und
|
||
|
||
Dr. Ritter von Neupauer, Herkner und Schulze-Gävernitz, Lassalle und Prof. Julius Wolf -
|
||
|
||
alle haben ihr Scherflein zu dem Bernsteinschen System beigetragen, bei allen ist er in
|
||
|
||
die Lehre gegangen. Und kein Wunder! Mit dem Verlassen des Klassenstandpunktes hat er den
|
||
|
||
politischen Kompaß, mit dem Aufgeben des wissenschaftlichen Sozialismus die geistige
|
||
|
||
Kristallisationsachse verloren, um die sich einzelne Tatsachen zum organischen Ganzen
|
||
|
||
einer konsequenten Weltanschauung gruppieren.</p>
|
||
<p>Diese aus allen möglichen Systembrocken unterschiedslos zusammengewürfelte Theorie
|
||
|
||
scheint auf den ersten Blick ganz vorurteilslos zu sein. Bernstein will auch nichts von
|
||
|
||
einer »Parteiwissenschaft«, oder richtiger von einer Klassenwissenschaft, ebensowenig
|
||
|
||
von einem Klassenliberalismus, einer Klassenmoral hören. Er meint eine allgemein
|
||
|
||
menschliche, abstrakte Wissenschaft, abstrakten Liberalismus, abstrakte Moral zu
|
||
|
||
vertreten. Da aber die wirkliche Gesellschaft aus Klassen besteht, die diamentral
|
||
|
||
entgegengesetzte Interessen, Bestrebungen und Auffassungen haben, so ist eine allgemein
|
||
|
||
menschliche Wissenschaft in sozialen Fragen, ein abstrakter Liberalismus, eine abstrakte
|
||
|
||
Moral vorläufig eine Phantasie, eine Selbsttäuschung. Was Bernstein für seine allgemein
|
||
|
||
menschliche Wissenschaft, Demokratie und Moral hält, ist bloß die herrschende, d.h. die
|
||
|
||
bürgerliche Wissenschaft, die bürgerliche Demokratie, die bürgerliche Moral.</p>
|
||
<p>In der Tat! Wenn er das Marxsche ökonomische System abschwört, um auf die Lehren von
|
||
|
||
Brentano, Böhm-Jevons, Say, Julius Wolf zu schwören, was tut er anderes, als die
|
||
|
||
wissenschaftliche Grundlage der Emanzipation der Arbeiterklasse mit dem Apologetentum
|
||
|
||
(Verherrlichung) der Bourgeoisie vertauschen? Wenn er von dem allgemein menschlichen
|
||
|
||
Charakter des Liberalismus spricht und den Sozialismus in seine Abart verwandelt, was tut
|
||
|
||
er anderes, als dem Sozialismus den Klassencharakter, also den geschichtlichen Inhalt,
|
||
|
||
also überhaupt jeden Inhalt nehmen und damit umgekehrt die historische Trägerin des
|
||
|
||
Liberalismus, die Bourgeoisie, zur Vertreterin der allgemein menschlichen Interessen
|
||
|
||
machen?</p>
|
||
<p>Und wenn er gegen »die Erhebung der materiellen Faktoren zu den omnipotenten
|
||
|
||
(allmächtigen) Mächten der Entwicklung«, gegen die »Verachtung des Ideals« in der
|
||
|
||
Sozialdemokratie zu Felde zieht, wenn er dem Idealismus, der Moral das Wort redet,
|
||
|
||
gleichzeitig aber gegen die einzige Quelle der moralischen Wiedergeburt des Proletariats,
|
||
|
||
gegen den revolutionären Klassenkampf eifert - was tut er im Grunde genommen anderes, als
|
||
|
||
der Arbeiterklasse die Quintessenz der Moral der Bourgeoisie: die Aussöhnung mit der
|
||
|
||
bestehenden Ordnung und die Übertragung der Hoffnung ins jenseits der sittlichen
|
||
|
||
Vorstellungswelt predigen?</p>
|
||
<p>Indem er endlich gegen die Dialektik seine schärfsten Pfeile richtet, was tut er
|
||
|
||
anders, als gegen die spezifische Denkweise des aufstrebenden klassenbewußten
|
||
|
||
Proletariats ankämpfen? Gegen das Schwert ankämpfen, das dem Proletariat die Finsternis
|
||
|
||
seiner historischen Zukunft hat durchhauen helfen, gegen die geistige Waffe, womit es,
|
||
|
||
materiell noch im Joch, die Bourgeoisie besiegt, weil es sie ihrer Vergänglichkeit
|
||
|
||
überführt, ihr die Unvermeidlichkeit seines Sieges nachgewiesen, die Revolution im
|
||
|
||
Reiche des Geistes bereits vollzogen hat! Indem Bernstein von der Dialektik Abschied nimmt
|
||
|
||
und die Gedankenschaukel des Einerseits-Andererseits, Zwar-Aber, Obgleich-Dennoch,
|
||
|
||
Mehr-Weniger sich aneignet, verfällt er ganz folgerichtig in die historisch-bedingte
|
||
|
||
Denkweise der untergehenden Bourgeoisie, eine Denkweise, die das getreue geistige Abbild
|
||
|
||
ihres gesellschaftlichen Daseins und ihres politischen Tuns ist. (Caprivi-Hohenlohe,
|
||
|
||
Berlepsch-Posadowsky, Februarerlasse - Zuchthausvorlage,) das politische
|
||
|
||
Einerseits-Andererseits, Wenn und Aber der heutigen Bourgeoisie sieht genau so aus, wie
|
||
|
||
die Denkweise Bernsteins, und die Bernsteinsche Denkweise ist das feinste und sicherste
|
||
|
||
Symptom seiner bürgerlichen Weltanschauung.</p>
|
||
<p>Aber für Bernstein ist nunmehr auch das Wort »bürgerlich« kein Klassenausdruck,
|
||
|
||
sondern ein allgemein-gesellschaftlicher Begriff. Das bedeutet nur, daß er - folgerichtig
|
||
|
||
bis zum Punkt über dem i - mit der Wissenschaft, Politik, Moral und Denkweise auch die
|
||
|
||
geschichtliche Sprache des Proletariats mit derjenigen der Bourgeoisie vertauscht hat.
|
||
|
||
Indem Bernstein unter »Bürger« unterschiedslos den Bourgeois und den Proletarier, also
|
||
|
||
den Menschen schlechthin versteht, ist ihm tatsächlich der Mensch schlechthin zum
|
||
|
||
Bourgeois, die menschliche Gesellschaft mit der bürgerlichen identisch geworden.</p>
|
||
<p>(Wenn jemand zu Beginn der Diskussion mit Bernstein noch gehofft hat, ihn durch
|
||
|
||
Argumente aus der wissenschaftlichen Rüstkammer der Sozialdemokratie überzeugen, ihn der
|
||
|
||
Bewegung wiedergeben zu können, muß er diese Hoffnung gänzlich fallen lassen. Denn nun
|
||
|
||
haben dieselben Worte aufgehört, für beide Seiten dieselben Begriffe, die nämlichen
|
||
|
||
Begriffe haben aufgehört, dieselben sozialen Tatsachen auszudrücken. Die Diskussion mit
|
||
|
||
Bernstein ist zur Auseinandersetzung zweier Weltanschauungen, zweier Klassen, zweier
|
||
|
||
Gesellschaftsformen geworden. Bernstein und die Sozialdemokratie stehen jetzt auf
|
||
|
||
gänzlich verschiedenem Boden.)</p>
|
||
<H3 align="center"><A name="2_5">5. Der Opportunismus in Theorie und Praxis</a></H3>
|
||
<p>Das Bernsteinsche Buch hat für die deutsche und die internationale Arbeiterbewegung
|
||
|
||
eine große geschichtliche Bedeutung gehabt: es war dies der erste Versuch, den
|
||
|
||
opportunistischen Strömungen in der Sozialdemokratie eine theoretische Grundlage zu
|
||
|
||
geben. </p>
|
||
<p>Die opportunistischen Strömungen datieren in unserer Bewegung, wenn man ihre
|
||
|
||
sporadischen Äußerungen, wie in der bekannten Dampfsubventionsfrage, in Betracht zieht,
|
||
|
||
seit längerer Zeit. Allein eine ausgesprochene einheitliche Strömung in diesem Sinne
|
||
|
||
datiert erst seit Anfang der neunziger Jahre, seit dem Fall des Sozialistengesetzes und
|
||
|
||
der Wiedereroberung des gesetzlichen Bodens. Vollmars Staatssozialismus, die bayerische
|
||
|
||
Budgetabstimmung, der süddeutsche Agrarsozialismus, Heines Kompensationsvorschläge,
|
||
|
||
Schippels Zoll- und Milizstandpunkt, das sind die Marksteine in der Entwicklung der
|
||
|
||
opportunistischen Praxis.</p>
|
||
<p>Was kennzeichnete sie vor allem äußerlich? Die Feindseligkeit gegen »die Theorie«.
|
||
|
||
Und dies ist ganz selbstverständlich, denn unsere »Theorie«, d.h. die
|
||
|
||
Grundsätze des wissenschaftlichen Sozialismus, setzen der praktischen Tätigkeit ebenso
|
||
|
||
in bezug auf die angestrebten Ziele, wie auf die anzuwendenden Kampfmittel, wie endlich
|
||
|
||
selbst auf die Kampfweise sehr feste Schranken. Daher zeigt sich bei denjenigen, die nur
|
||
|
||
den praktischen Erfolgen nachjagen wollen, das natürliche Bestreben, sich die Hände frei
|
||
|
||
zu machen, d.h. unsere Praxis von der »Theorie« zu trennen, von ihr unabhängig
|
||
|
||
zu machen.</p>
|
||
<p>Aber dieselbe Theorie schlug sie bei jedem praktischen Versuch auf den Kopf: der
|
||
|
||
Staatssozialismus, Agrarsozialismus, die Kompensationspolitik, die Milizfrage sind eben
|
||
|
||
soviel Niederlagen für den Opportunismus. Es ist klar, daß diese Strömung, wollte sie
|
||
|
||
sich gegen unsere Grundsätze behaupten, folgerichtig dazu kommen mußte, sich an die
|
||
|
||
Theorie selbst, an die Grundsätze heranzuwagen, statt sie zu ignorieren, sie zu
|
||
|
||
erschüttern suchen und eine eigene Theorie zurechtzumachen. Ein dahingehender Versuch war
|
||
|
||
eben die Bernsteinsche Theorie, und daher sahen wir auf dem Parteitag in Stuttgart alle
|
||
|
||
opportunistischen Elemente sich sofort um das Bernsteinsche Banner gruppieren. Sind
|
||
|
||
einerseits die opportunistischen Strömungen in der Praxis eine ganz natürliche, aus den
|
||
|
||
Bedingungen unseres Kampfes und seinem Wachstum erklärliche Erscheinung, so ist
|
||
|
||
andererseits die Bernsteinsche Theorie ein nicht minder selbstverständlicher Versuch,
|
||
|
||
diese Strömungen in einem allgemeinen theoretischen Ausdruck zusammenzufassen, ihre
|
||
|
||
eigenen theoretischen Voraussetzungen herauszufinden und mit dem wissenschaftlichen
|
||
|
||
Sozialismus abzurechnen. Die Bernsteinsche Theorie war daher von vornherein die
|
||
|
||
theoretische Feuerprobe für den Opportunismus, seine erste wissenschaftliche
|
||
|
||
Legitimation.</p>
|
||
<p>Wie ist nun diese Probe ausgefallen? Wir haben es gesehen. Der Opportunismus ist nicht
|
||
|
||
imstande, eine einigermaßen die Kritik aushaltende positive Theorie aufzustellen. Alles,
|
||
|
||
was er kann, ist: die Marxsche Lehre zuerst in verschiedenen einzelnen Grundsätzen zu
|
||
|
||
bekämpfen und zuletzt, da diese Lehre ein fest zusammengefügtes Gebäude darstellt, das
|
||
|
||
ganze System vom obersten Stockwerke bis zum Fundament zu zerstören. Damit ist erwiesen,
|
||
|
||
daß die opportunistische Praxis in ihrem Wesen, in ihren Grundlagen mit dem Marxschen
|
||
|
||
System unvereinbar ist.</p>
|
||
<p>Aber damit ist ferner noch erwiesen, daß der Opportunismus auch mit dem Sozialismus
|
||
|
||
überhaupt unvereinbar ist, daß seine innere Tendenz dahin geht, die Arbeiterbewegung in
|
||
|
||
bürgerliche Bahnen hinüberzudrängen, d.h. den proletarischen Klassenkampf völlig
|
||
|
||
lahmzulegen. Freilich ist proletarischer Klassenkampf mit dem Marxschen System -
|
||
|
||
geschichtlich genommen - nicht identisch. Auch vor Marx und unabhängig von ihm hat es
|
||
|
||
eine Arbeiterbewegung und verschiedene sozialistische Systeme gegeben, die jedes in seiner
|
||
|
||
Weise ein den Zeitverhältnissen entsprechender theoretischer Ausdruck der
|
||
|
||
Emanzipationsbestrebungen der Arbeiterklasse waren. Die Begründung des Sozialismus durch
|
||
|
||
moralische Gerechtigkeitsbegriffe, der Kampf gegen die Verteilungsweise, statt gegen die
|
||
|
||
Produktionsweise, die Auffassung der Klassengegensätze als Gegensatz von arm und reich,
|
||
|
||
die Bestrebung, die »Genossenschaftlichkeit« auf die kapitalistische Wirtschaft
|
||
|
||
aufzupfropfen, alles das, was wir im Bernsteinschen System vorfinden, ist schon einmal
|
||
|
||
dagewesen. Und diese Theorien waren ihrer Zeit bei all ihrer Unzulänglichkeit wirkliche
|
||
|
||
Theorien des proletarischen Klassenkampfes, sie waren die riesenhaften Kinderschuhe, worin
|
||
|
||
das Proletariat auf der geschichtlichen Bühne marschieren lernte.</p>
|
||
<p>Aber nachdem einmal die Entwicklung des Klassenkampfes selbst und seiner
|
||
|
||
gesellschaftlichen Bedingungen zur Abstreifung dieser Theorien und zur Formulierung der
|
||
|
||
Grundsätze des wissenschaftlichen Sozialismus geführt hat, kann es - wenigstens in
|
||
|
||
Deutschland - keinen Sozialismus mehr außer dem Marxschen, keinen sozialistischen
|
||
|
||
Klassenkampf außerhalb der Sozialdemokratie geben. Nunmehr sind Sozialismus und
|
||
|
||
Marxismus, proletarischer Emanzipationskampf und Sozialdemokratie identisch. Das
|
||
|
||
Zurückgreifen auf vormarxsche Theorien des Sozialismus bedeutet daher heute nicht einmal
|
||
|
||
den Rückfall in die riesenhaften Kinderschuhe des Proletariats, nein, es ist ein
|
||
|
||
Rückfall in die zwerghaften, ausgetretenen Hausschuhe der Bourgeoisie.</p>
|
||
<p>Die Bernsteinsche Theorie war der erste, aber zugleich auch der letzte Versuch, dem
|
||
|
||
Opportunismus eine theoretische Grundlage zu geben. Wir sagen: der letzte, weil er in dem
|
||
|
||
Bernsteinschen System ebenso negativ in der Abschwörung des wissenschaftlichen
|
||
|
||
Sozialismus, wie positiv in der Zusammenwürfelung aller verfügbaren theoretitischen
|
||
|
||
Konfusion so weit gegangen ist, daß ihm nichts zu tun mehr übrig bleibt. Durch das
|
||
|
||
Bernsteinsche Buch hat der Opportunismus seine Entwicklung in der Theorie (wie durch die
|
||
|
||
Schippelsche Stellungnahme zur Frage des Militarismus in der Praxis)S vollendet, seine
|
||
|
||
letzten Konsequenzen gezogen.</p>
|
||
<p>Und die Marxsche Lehre ist nicht nur imstande, ihn theoretisch zu widerlegen, sondern
|
||
|
||
sie ist es allein, die in der Lage ist, den Opportunismus als geschichtliche Erscheinung
|
||
|
||
in dem Werdegange der Partei auch zu erklären. Der weltgeschichtliche Vormarsch des
|
||
|
||
Proletariats bis zu seinem Siege ist tatsächlich »keine so einfache Sache«. Die ganze
|
||
|
||
Besonderheit dieser Bewegung liegt darin, daß hier zum erstenmal in der Geschichte die
|
||
|
||
Volksmassen selbst und gegen alle herrschenden Klassen ihren Willen durchsetzen, diesen
|
||
|
||
Willen aber ins jenseits der heutigen Gesellschaft, über sie hinaus setzen müssen.
|
||
|
||
Diesen Willen können sich die Massen aber wiederum nur im beständigen Kampfe mit der
|
||
|
||
bestehenden Ordnung, nur in ihrem Rahmen ausbilden. Die Vereinigung der großen Volksmasse
|
||
|
||
mit einem über die ganze bestehende Ordnung hinausgehenden Ziele, des alltäglichen
|
||
|
||
Kampfes mit der großen Weltreform, das ist das große Problem der sozialdemokratischen
|
||
|
||
Bewegung, die sich auch folgerichtig auf dem ganzen Entwicklungsgange zwischen den beiden
|
||
|
||
Klippen: zwischen dem Aufgeben des Massencharakters und dem Aufgeben des Endziels,
|
||
|
||
zwischen dem Rückfall in die Sekte und dem Umfall in die bürgerliche Reformbewegung,
|
||
|
||
zwischen Anarchismus und Opportunismus vorwärts arbeiten muß.</p>
|
||
<p>Die Marxsche Lehre hat freilich in ihrer theoretischen Rüstkammer schon vor einem
|
||
|
||
halben Jahrhundert vernichtende Waffen ebenso gegen das eine wie gegen das andere Extrem
|
||
|
||
geliefert. Da aber unsere Bewegung eben eine Massenbewegung ist, und die Gefahren, die ihr
|
||
|
||
drohen, nicht aus den menschlichen Köpfen, sondern aus den gesellschaftlichen Bedingungen
|
||
|
||
entspringen, so konnten die anarchistischen und die opportunistischen Seitensprünge nicht
|
||
|
||
ein für allemal von vornherein durch die Marxsche Theorie verhütet werden: sie müssen,
|
||
|
||
erst nachdem sie in der Praxis Fleisch geworden, durch die Bewegung selbst, allerdings nur
|
||
|
||
mit Hilfe der von Marx gelieferten Waffen, überwunden werden. Die geringere Gefahr, die
|
||
|
||
anarchistischen Kindheitsmasern, hat die Sozialdemokratie bereits mit der
|
||
|
||
»Unabhängigenbewegung« überwunden. Die größere Gefahr - die opportunistische
|
||
|
||
Wassersucht, überwindet sie gegenwärtig.</p>
|
||
<p>Bei dem enormen Wachstum der Bewegung in die Breite in den letzten Jahren, bei der
|
||
|
||
Kompliziertheit der Bedingungen, worin und der Aufgaben, wofür nun der Kampf zu führen
|
||
|
||
ist, mußte der Augenblick kommen, wo sich in der Bewegung Skeptizismus in bezug auf die
|
||
|
||
Erreichung der großen Endziele, Schwankung in bezug auf das ideelle Element der Bewegung
|
||
|
||
geltend machten. So und nicht anders kann und muß die große proletarische Bewegung
|
||
|
||
verlaufen, und die Augenblicke des Wankens, des Zagens sind weit entfernt, eine
|
||
|
||
Überraschung für die Marxsche Lehre zu sein, vielmehr von Marx längst vorausgesehen und
|
||
|
||
vorausgesagt. »Bürgerliche Revolutionen«, schrieb Marx vor einem halben Jahrhundert in
|
||
|
||
seinem »Achtzehnten Brumaire«, »wie die des achtzehnten Jahrhunderts, stürmen
|
||
|
||
rascher von Erfolg zu Erfolg, ihre dramatischen Effekte überbieten sich, Menschen und
|
||
|
||
Dinge scheinen in Feuerbrillanten gefaßt, die Ekstase ist der Geist jedes Tages: aber sie
|
||
|
||
sind kurzlebig, bald haben sie ihren Höhepunkt erreicht, und ein langer Katzenjammer
|
||
|
||
erfaßt die Gesellschaft, ehe sie die Resultate ihrer Drang- und Sturmperiode nüchtern
|
||
|
||
sich aneignen lernt. Proletarische Revolutionen dagegen, wie die des neunzehnten
|
||
|
||
Jahrhunderts, kritisieren beständig sich selbst, unterbrechen sich fortwährend in ihrem
|
||
|
||
eignen Lauf, kommen auf das scheinbar Vollbrachte zurück, um es wieder von neuem
|
||
|
||
anzufangen, verhöhnen grausam-gründlich die Halbheiten, Schwächen und Erbärmlichkeiten
|
||
|
||
ihrer ersten Versuche, scheinen ihren Gegner niederzuwerfen, damit er neue Kräfte aus der
|
||
|
||
Erde sauge und sich riesenhafter ihnen gegenüber wieder aufrichte, schrecken stets von
|
||
|
||
neuem zurück vor der unbestimmten Ungeheuerlichkeit ihrer eigenen Zwecke, bis die
|
||
|
||
Situation geschaffen ist, die jede Umkehr unmöglich macht, und die Verhältnisse selbst
|
||
|
||
rufen: Hic Rhodus, hic salta! Hier ist die Rose, hier tanze!« </p>
|
||
<p>Dies ist wahr geblieben, auch nachdem die Lehre des wissenschaftlichen Sozialismus
|
||
|
||
aufgebaut worden ist. Die proletarische Bewegung ist damit noch nicht auf einmal, auch in
|
||
|
||
Deutschland nicht, sozialdemokratisch geworden, sie wird sozialdemokratisch mit jedem
|
||
|
||
Tage, sie wird es auch während und indem sie fortwährend die extremen Seitensprünge ins
|
||
|
||
Anarchistische und ins Opportunistische überwindet, beides nur Bewegungsmomente der als
|
||
|
||
Prozeß aufgefaßten Sozialdemokratie.</p>
|
||
<p>Angesichts dieses ist nicht die Entstehung der opportunistischen Strömung, sondern
|
||
|
||
vielmehr ihre Schwäche überraschend. Solange sie bloß in Einzelfällen der Parteipraxis
|
||
|
||
zum Durchbruch kam, konnte man noch hinter ihr eine irgendwie ernste theoretische
|
||
|
||
Grundlage vermuten. Nun sie aber in dem Bernsteinschen Buche zum vollen Ausdruck gekommen
|
||
|
||
ist, muß jedermann verwundert ausrufen: Wie, das ist alles, was Ihr zu sagen habt? Kein
|
||
|
||
einziger Splitter von einem neuen Gedanken! Kein einziger Gedanke, der nicht schon vor
|
||
|
||
Jahrzehnten von dem Marxismus niedergetreten, zerstampft, ausgelacht, in nichts verwandelt
|
||
|
||
worden wäre!</p>
|
||
<p>Es genügte, daß der Opportunismus sprach, um zu zeigen, daß er nichts zu sagen
|
||
|
||
hatte. Und darin liegt die eigentliche parteigeschichtliche Bedeutung des Bernsteinschen
|
||
|
||
Buches.</p>
|
||
<p>Und so kann Bernstein noch beim Abschied von der Denkweise des revolutionären
|
||
|
||
Proletariats, von der Dialektik und der materialistischen Geschichtsauffassung, sich bei
|
||
|
||
ihnen für die mildernden Umstände bedanken, die sie seiner Wandlung zubilligen. Denn nur
|
||
|
||
die Dialektik und die materialistische Geschichtsauffassung, hochherzig wie sie sind,
|
||
|
||
lassen ihn als berufenes, aber unbewußtes Werkzeug erscheinen, wodurch das
|
||
|
||
vorwärtsstürmende Proletariat seinen augenblicklichen Wankelmut zum Ausdruck gebracht
|
||
|
||
hat, um ihn, bei Lichte besehen, hohnlachend und lockenschüttelnd weit von sich zu
|
||
|
||
werfen.</p>
|
||
<p>[Wir haben gesagt: die Bewegung wird sozialdemokratisch, während und indem sie die mit
|
||
|
||
Notwendigkeit sich aus ihrem Wachstum ergebenden Seitensprünge ins Anarchistische und
|
||
|
||
Opportunistische überwindet. Aber überwinden, heißt nicht, in Seelenruhe alles gehen zu
|
||
|
||
lassen, wie's Gott gefällt. Die jetzige opportunistische Strömung überwinden, heißt,
|
||
|
||
sie von sich weisen.</p>
|
||
<p>Bernstein läßt sein Buch in den Rat an die Partei ausklingen, sie möge zu scheinen
|
||
|
||
wagen, was sie sei: eine demokratisch-sozialistische Reformpartei. Die Partei, d.h. ihr
|
||
|
||
oberes Organ, der Parteitag müßte unseres Erachtens diesen Rat quittieren, indem er
|
||
|
||
Bernstein veranlaßt, seinerseits auch formell als das zu erscheinen, was er ist: ein
|
||
|
||
kleinbürgerlich-demokratischer Fortschrittler.]</p>
|
||
<HR size="1" align="left" width="200">
|
||
<P><SMALL>Quelle: »die nicht mehr existierende Website "Unser Kampf" auf fr<66>her "http://felix2.2y.net/deutsch/index.html"«<BR>
|
||
Pfad: »../lu/«<BR>
|
||
Verknüpfte Dateien: »<A href="http://www.mlwerke.de/css/format.css">../css/format.css</A>«</SMALL></P>
|
||
<HR size="1">
|
||
<TABLE width="100%" border="0" align="center" cellspacing=0 cellpadding=0>
|
||
<TR>
|
||
<TD ALIGN="center" width="49%" height=20 valign=middle><A HREF="../index.shtml.html"><SMALL>MLWerke</SMALL></A></TD>
|
||
<TD ALIGN="center">|</TD>
|
||
<TD ALIGN="center" width="49%" height=20 valign=middle> <A HREF="default.htm"><SMALL>Rosa Luxemburg</SMALL></A></TD>
|
||
</TR>
|
||
</TABLE>
|
||
</BODY>
|
||
|
||
</HTML>
|
||
|