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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>John Reed: 10 Tage die die Welt ersch&uuml;tterten</TITLE>
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<BODY bgcolor="#FFFFFF">
<H3>
XII. DER BAUERNKONGRESS
</H3>
<P>
<P>
Als wir am 18. November morgens erwachten, waren unsere Fensterb&auml;nke
wei&szlig; beh&auml;uft, und die Flocken wirbelten so dicht, da&szlig; man
keine zehn Schritte weit sah. Der schlammige Schmutz der Stra&szlig;en war
wie weggezaubert, und die eben noch trostlos d&uuml;stere Stadt war wei&szlig;
und schimmernd. Die Droschken mit ihren schwerf&auml;lligen Kutschern hatten
schnellen Schlitten Platz gemacht, mit F&uuml;hrern, deren B&auml;rte steif
und eiszapfenbehangen waren. Trotz der Revolution und dem schrecklichen Sprung
in die unbekannte Zukunft, den ganz Ru&szlig;land zu tun sich anschickte,
war mit dem Schnee die allerfr&ouml;hlichste Stimmung in die Stadt eingezogen.
Alles war vergn&uuml;gt. Die Menschen eilten auf die Stra&szlig;en, und mit
&uuml;berm&uuml;tigem Lachen breiteten sie die Arme aus, um die sanft und
unaufh&ouml;rlich rieselnden Flocken aufzufangen. Das Grau der H&auml;user
war verdeckt; nur die goldenen und bunten T&uuml;rme und Kuppeln leuchteten
mit noch gesteigerter barbarischer Pracht durch den wei&szlig;en Schnee.
Gegen Mittag kam auch die Sonne heraus, fahl und w&auml;sserig. Die Krankheiten
der Regenzeit: Schnupfen und Rheumatismus, waren &uuml;berwunden. Das Leben
in der Stadt wurde fr&ouml;hlicher, und die Revolution beschleunigte ihren
Schritt...Eines Abends sa&szlig; ich in einem &AElig;Traktir" - einem Wirtshaus
- gegen&uuml;ber dem Smolny, mit niedriger Decke, l&auml;rmerf&uuml;llt,
unter dem Namen &AElig;Onkel Toms H&uuml;tte" bekannt. Ein beliebter
Aufenthaltsort der Rotgardisten. Eng gedr&auml;ngt sa&szlig;en sie dort um
kleine Tische mit schmutzigen Tischt&uuml;chern und riesigen porzellanenen
Teekannen, den Raum mit stinkigem Zigarettenqualm f&uuml;llend, w&auml;hrend
die Kellner gehetzt hin und her rannten, schreiend: &AElig;Sejtschas! Sejtschas!"
(Sofort! Sofort!) In einer Ecke sa&szlig; ein Mann in der Uniform eines
Hauptmanns, der zu der Menge zu sprechen versuchte, aber bei fast jedem Satz
unterbrochen wurde. &AElig;Ihr seid M&ouml;rder!" rief er, &AElig;eure russischen
Br&uuml;der in den Stra&szlig;en niederzuschie&szlig;en!" &AElig;Wann haben
wir das getan?" fragte ein Arbeiter. &AElig;Am letzten Sonntag tatet ihr's
, als die Offizierssch&uuml;ler...!" &AElig;Aber schossen die nicht auf uns?!
Ein Mann zeigte auf seinen verbundenen Arm. &AElig;Haben sie mir hier nicht
ein Andenken hinterlassen, diese Teufel?" Der Hauptmann schrie mit aller
Lungenkraft: &AElig;Ihr h&auml;ttet neutral bleiben sollen! Ihr h&auml;ttet
neutral bleiben sollen! Wer gab euch das Recht, die Regierung zu st&uuml;rzen?
Wer ist Lenin? Ein Deutscher." &AElig;Wer bist du? - Ein
Konterrevolution&auml;r, ein Provokateur!" br&uuml;llten sie auf ihn ein.
Als er sich wieder verst&auml;ndlich machen konnte, erhob sich der Hauptmann.
&AElig;Ihr nennt euch das russische Volk", sagte er, &AElig; aber ihr seid<I>
nicht</I> das russische Volk. Die <I>Bauern </I>sind das russische Volk.
Wartet nur, bis die Bauern..." &AElig;Jawohl, jawohl", schallte es ihm entgegen,
&AElig;warten wir, bis die Bauern gesprochen haben. Wir wissen, was die Bauern
sagen werden. Das sind Werkt&auml;tige wie wir!"
<P>
Und in der Tat hing alles von den Bauern ab. Wenn die Bauern auch politisch
r&uuml;ckst&auml;ndig waren, so hatten sie doch ihre eigenen Ansichten, und
sie bildeten achtzig Prozent des russischen Volkes. Die Bolschewiki hatten
unter den Bauern nur eine verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig kleine Gefolgschaft,
und auf die Dauer war eine Diktatur der Industriearbeiter in Ru&szlig;land
nicht m&ouml;glich... Von allen Parteien, die die Sowjetregierung jetzt
unterst&uuml;tzten, waren die folgerichtigen Erben der Bauernf&uuml;hrer
die linken Sozialrevolution&auml;re - und die linken Sozialrevolution&auml;re,
die von der Gnade des organisierten Stadtproletariats abh&auml;ngig waren,
hatten den R&uuml;ckhalt durch die Bauern verzweifelt n&ouml;tig. Der Smolny
hatte indessen die Bauern keineswegs vernachl&auml;ssigt. Eine der ersten
Handlungen des neuen Zentralexekutivkomitees nach dem Landdekret war die
&uuml;ber den Kopf des Exekutivkomitees des Bauernsowjets hinweg erfolgte
Einberufung eines Kongresses gewesen. Wenige Tage danach erfolgte die Bekanntgabe
der sorgf&auml;ltig ausgearbeiteten Anweisungen f&uuml;r die T&auml;tigkeit
der &AElig;Wolost"-(Amtsbezirks-)Bodenkomitees, und bald darauf Lenins
&AElig;Antwort auf Anfragen von Bauern", die in einfachen Worten das Wesen
der bolschewistischen Revolution und der neuen Regierung erkl&auml;rte. Am
16. November ver&ouml;ffentlichten Lenin und Miljutin die &AElig;Instruktionen
f&uuml;r Provinzialbevollm&auml;chtigte", die von der Sowjetregierung zu
Tausenden in die D&ouml;rfer entsandt wurden:
<P>
&AElig;1. Nach seiner Ankunft in der ihm als Arbeitsfeld zugewiesenen Provinz
hat der Bevollm&auml;chtigte mit m&ouml;glichster Beschleunigung eine gemeinsame
Sitzung der Zentralexekutivkomitees der Arbeiter-, Soldaten und Bauerndeputierten
zu berufen, denselben das Landdekret zu erl&auml;utern und die Berufung einer
vereinigten Plenarsitzung der Sowjets der Arbeiter-, Soldaten- und
Bauerndeputierten zu fordern...
<P>
2. Hat er die Lage des Agrarproblems in der ihm zugewiesenen Provinz
sorgf&auml;ltig zu untersuchen, und zwar:<I></I>
<P>
<I></I>c) ob die &Uuml;bernahme der Gutsbesitzerl&auml;ndereien schon erfolgt
ist. Wenn ja, in welchen Bezirken;
<P>
d) von wem die beschlagnahmten L&auml;ndereien verwaltet werden - ob von
den ehemaligen Eigent&uuml;mern oder den Bodenkomitees;<I></I>
<P>
<I></I>e) was mit dem toten und lebenden Inventar geschehen ist<I></I>
<P>
<I></I>6. Ob die von den Bauern angebaute Bodenfl&auml;che zugenommen hat.
<P>
7. Um wieviel und in welcher Hinsicht die zur Zeit angebaute Bodenfl&auml;che
von der von der Regierung als Durchschnittsminimum festgesetzten
abweicht.<I></I>
<P>
<I></I>8. Mu&szlig; der Bevollm&auml;chtigte den Bauern, die nun das Land
erhalten haben, die dringende Notwendigkeit der schnellstm&ouml;glichen
Steigerung der Anbaufl&auml;che und beschleunigten Entsendung von Brotgetreide
in die St&auml;dte klarmachen, da nur auf diese Weise die Hungersnot zu steuern
ist<I></I>
<P>
<I></I>9. Hat er sich &uuml;ber beabsichtigte oder durchgef&uuml;hrte
Ma&szlig;nahmen f&uuml;r die &Uuml;berf&uuml;hrung des Landes aus den
H&auml;nden der Grundbesitzer in die Bodenkomitees und &auml;hnlicher, von
den Sowjets eingesetzter K&ouml;rperschaften zu unterrichten.<I></I>
<P>
<I></I>10. Es ist ratsam, die gut eingerichteten und gut organisierten
landwirtschaftlichen Besitzungen der Verwaltung von Sowjets zu unterstellen,
die sich aus den regul&auml;ren Besch&auml;ftigten dieser Besitzungen
zusammensetzen und der Leitung erfahrener und wissenschaftlich geschulter
Landwirte unterstehen."<I></I>
<P>
<I></I>Eine ungest&uuml;me revolution&auml;re G&auml;rung hatte die D&ouml;rfer
gepackt, die nicht nur eine Folge des Landdekretes war, sondern die von den
Tausenden von der Front zur&uuml;ckkehrenden revolution&auml;r gesinnten
Bauernsoldaten hineingetragen wurde...Diese vor allem waren es, die die
Einberufung eines Bauernkongresses begr&uuml;&szlig;ten.
<P>
Wie das alte Zentralexekutivkomitee bei der Berufung des Zweiten Gesamtrussischen
Sowjetkongresses der Arbeiter- und Soldatendeputierten, versuchte auch das
Bauernexekutivkomitee den vom Smolny einberufenen Bauernkongre&szlig; zu
hintertreiben. Als es die Zwecklosigkeit seines Widerstandes einsehen
mu&szlig;te, jagte es, wie dies auch das Zentralexekutivkomitee getan hatte,
einen wahren Hagel von Telegrammen ins Land, allerorten zur Wahl konservativer
Delegierter auffordernd. Teilweise wurde den Bauern sogar vorgelogen, da&szlig;
der Kongre&szlig; in Moglijow tagen werde, und einige der Delegierten reisten
dorthin. Trotzdem waren bis zum 23. November schon gegen vierhundert Delegierte
in Petrograd angekommen, und die Vorbesprechungen der Parteien hatten begonnen...
<P>
Die erste Sitzung fand im Alexandersaal des Dumageb&auml;udes statt, und
gleich die erste Abstimmung zeigte, da&szlig; &uuml;ber die H&auml;lfte der
Delegierten linke Sozialrevolution&auml;re waren, w&auml;hrend die Bolschewiki
ein knappes F&uuml;nftel vereinigten, die rechten Sozialrevolution&auml;re
ein Viertel und der Rest nur durch seine Opposition gegen das von Awxentjew,
Tschaikowski und Peschechonow beherrschte alte Exekutivkomitee verbunden
war...
<P>
Der gro&szlig;e Saal war &uuml;berf&uuml;llt und bebte von unaufh&ouml;rlichem
Tumult. Tiefe, hartn&auml;ckige Verbitterung schied die Delegierten in sich
befehdende Gruppen. Rechts sah man einige Offiziere und die patriarchalischen,
b&auml;rtigen Gestalten der &auml;lteren und wohlhabenderen Bauern, im Zentrum
waren einige wenige Bauern, Unteroffiziere und ein paar Soldaten, w&auml;hrend
die Delegierten auf der Linken fast ohne Ausnahme die Uniformen einfacher
Soldaten trugen. Sie repr&auml;sentierten die junge Generation, die in der
Armee gedient hatte...Auf den Galerien dr&auml;ngten sich Arbeiter, die in
Ru&szlig;land ihre b&auml;uerliche Herkunft noch nicht vergessen haben...
<P>
Im Gegensatz zum alten Zentralexekutivkomitee erkannte das Bauernexekutivkomitee
den Kongre&szlig; bei seiner Er&ouml;ffnung nicht als offizielle Tagung an.
Der offizielle Bauernkongre&szlig; w&uuml;rde am 13. Dezember stattfinden.
<P>
Unter einem Sturm von Beifall und w&uuml;tenden Zurufen bezeichnete der Sprecher
der Bauernexekutive die Tagung nur als eine &AElig;Au&szlig;erordentliche
Konferenz"....Aber diese &AElig;Au&szlig;erordentliche Konferenz" zeigte
bald, wie sie zum Exekutivkomitee stand, indem sie die Leitung des Kongresses
Maria Spiridowna, der F&uuml;hrerin der linken Sozialrevolution&auml;re,
&uuml;bergab. Der gr&ouml;&szlig;te Teil des ersten Tages war von heftigen
Debatten &uuml;ber die Frage ausgef&uuml;llt, ob neben den Delegierten der
Provinzialk&ouml;rperschaften auch die &AElig;Wolost"-(Amtsbezirks-)
Sowjetvertreter als Delegierte zugelassen werden sollten. Wie seinerzeit
der Arbeiter- und Soldatenkongre&szlig;, beschlo&szlig; auch der
Bauernkongre&szlig; mit &uuml;berw&auml;ltigender Mehrheit, den Vertreterkreis
m&ouml;glichst weit zu stecken. Das hatte zur Folge, da&szlig; das
Exekutivkomitee den Kongre&szlig;saal verlie&szlig;.... Fast unmittelbar
danach zeigte es sich, da&szlig; die Mehrzahl der Delegierten von der Regierung
der Volkskommissare nichts wissen wollte. Sinowjew wurde, als er den Versuch
machte, f&uuml;r die Bolschewiki zu sprechen, niedergeschrien, und als er
unter Gel&auml;chter die Trib&uuml;ne verlie&szlig;, h&ouml;rte man Rufe
wie: &AElig;Da seht, wie der Volkskommissar in der Patsche sitzt!"
<P>
&AElig;Wir linken Sozialrevolution&auml;re lehnen es ab", erkl&auml;rte Nasarjew,
ein Delegierter aus der Provinz, &AElig;die sogenannte
Arbeiter-und-Bauern-Regierung anzuerkennen, solange die Bauern in ihr nicht
vertreten sind. Bis jetzt ist diese Regierung nichts als eine Diktatur der
Arbeiter...Wir fordern die Bildung einer neuen Regierung, die die gesamte
Demokratie vertritt." Die reaktion&auml;ren Delegierten n&auml;hrten in
raffinierter Weise die feindselige Stimmung, indem sie unter dem Protest
der bolschewistischen B&auml;nke behaupteten, da&szlig; der Rat der
Volkskommissare beabsichtige, den Kongre&szlig; entweder unter seine
F&uuml;hrung zu bringen oder ihn mit Waffengewalt auseinanderzujagen - eine
Behauptung, die die wildesten Entr&uuml;stungsst&uuml;rme bei den Bauern
zur Folge hatte... Am dritten Tage erschien pl&ouml;tzlich Lenin auf der
Trib&uuml;ne. Wohl zehn Minuten lang tobte der Saal wie besessen.
&AElig;Herunter! Wir wollen eure Volkskommissare nicht! Wir erkennen eure
Regierung nicht an!" Lenin stand unersch&uuml;tterlich, beide H&auml;nde
fest ans Rednerpult gekrampft und mit aufmerksamen Augen das tosende Publikum
zu seinen F&uuml;&szlig;en beobachtend. Endlich hatte sich der Sturm
einigerma&szlig;en gelegt, nur die rechte Seite des Saals war nicht zu beruhigen.
&AElig;Ich spreche hier nicht als Mitglied des Rates der Volkskommissare",
erkl&auml;rte Lenin und wartete von neuem, bis der L&auml;rm sich gelegt
hatte. &AElig;Ich bin hier als Mitglied der bolschewistischen Partei und
in aller Form zu diesem Kongre&szlig; delegiert." Er hielt sein Mandat in
die H&ouml;he, so da&szlig; alle es sehen konnten. &AElig;Immerhin", fuhr
er mit derselben ruhigen Stimme fort, &AElig;niemand wird leugnen, da&szlig;
die gegenw&auml;rtige Regierung Ru&szlig;lands von der bolschewistischen
Partei gebildet wurde", er mu&szlig;te einen Moment lang warten, &AElig;so
da&szlig; dies am Ende auf eins herauskommt..." Von den rechten B&auml;nken
brach hier ein ohrenbet&auml;ubender L&auml;rm aus, w&auml;hrend das Zentrum
und die Linke neugierig wurden und zur Ruhe mahnten. Lenins Argumentation
war einfach. &AElig;Ihr Bauern, denen wir das Land der Pomeschtschiki
(Gutsbesitzer) gegeben haben, sagt mir offen, wollt ihr jetzt etwa die Arbeiter
daran hindern, die Kontrolle &uuml;ber die Produktion in die H&auml;nde zu
nehmen? Dies ist ein Klassenkampf: die Pomeschtschiki sind die nat&uuml;rlichen
Gegner der Bauern, wie die Fabrikanten die nat&uuml;rlichen Gegner der Arbeiter
sind. Wollt ihr gestatten, da&szlig; die Reihen des Proletariats zersplittert
werden? Auf wessen Seite wollt ihr sein? Wir, die Bolschewiki, sind die Partei
des Proletariats - des Bauernproletariats wie des Industrieproletariats.
Wir, die Bolschewiki sind die Verteidiger der Sowjets - der Bauernsowjets
wie der Sowjets der Arbeiter und Soldaten. Die gegenw&auml;rtige Regierung
ist eine Sowjetregierung. Wir haben nicht nur die Bauernsowjets zur Teilnahme
an dieser Regierung eingeladen, wir haben auch an die Vertreter der linken
Sozialrevolution&auml;re die Aufforderung gerichtet, in den Rat der
Volkskommissare einzutreten... Die Sowjets sind die vollkommenste Vertretung
des Volkes - der Arbeiter in den Fabriken und Bergwerken und der Arbeiter
auf den Feldern. Wer versucht, die Sowjets zu unterh&ouml;hlen, handelt
antidemokratisch und konterrevolution&auml;r. Ich richte hier an euch, Genossen
rechte Sozialrevolution&auml;re, und an Sie, meine Herren Kadetten, die Warnung:
Wenn die Konstituierende Versammlung den Versuch machen sollte, die Sowjets
zu zerst&ouml;ren, dann werden wir sie daran zu hindern wissen!" Am 25. November
nachmittags kam Tschernow, vom Exekutivkomitee eilig herbeigerufen, aus Mogiljow
an. Der noch vor zwei Monaten als ultrarevolution&auml;r galt und sich bei
den Bauern gro&szlig;er Beliebtheit erfreute, sollte jetzt die drohende
Linksschwenkung des Kongresses verhindern. Er wurde bei seiner Ankunft verhaftet
und zum Smolny gebracht, wo er nach kurzer Unterredung wieder freigelassen
wurde. Seine erste Handlung war, dem Bauernexekutivkomitee bittere Vorw&uuml;rfe
zu machen, weil es den Kongre&szlig; verlassen hatte. Das Exekutivkomitee
erkl&auml;rte sich zur R&uuml;ckkehr bereit. Als Tschernow den Kongre&szlig;saal
betrat, wurde er von der Mehrheit der Delegierten mit jubelndem Beifall,
von den Bolschewiki mit feindseligen und sp&ouml;ttischen Zurufen
begr&uuml;&szlig;t. &AElig;Genossen! Ich war nicht in Petrograd! Ich habe
an einer Konferenz der Zw&ouml;lften Armee teilgenommen, die die Frage der
Einberufung eines Kongresses aller Bauerndelegierten der Armeen der Westfront
er&ouml;rtert hat, und ich bin &uuml;ber den Aufstand, der hier stattgefunden
hat, nur schlecht unterrichtet..." Sinowjew richtete such auf und rief:
&AElig;Gewi&szlig;, Sie waren weg - f&uuml;r ein paar Minuten!" Ein
f&uuml;rchterlicher Tumult brach los. Rufe: &AElig;Nieder mit den Bolschewiki!"
Tschernow fuhr fort: &AElig;Die Anklage, da&szlig; ich geholfen habe, eine
Armee gegen Petrograd zu f&uuml;hren, ist unbegr&uuml;ndet und absolut falsch.
Von wem stammt diese Anklage? Zeigt mir die Quellen!" Sinowjew: &AElig;
,Iswestija' und ,Delo Naroda' - Ihre eigenen Bl&auml;tter, daher kommen sie!"
Tschernows breites Gesicht mit den kleinen Augen, welligem Haar und ergrautem
Bart wurde hochrot vor Zorn, aber er hielt an sich und fuhr fort: &AElig;Ich
wiederhole, ich wei&szlig; absolut nichts von alledem, was hier vorgegangen
ist. Ich habe auch keine Armee hierhergef&uuml;hrt, mit Ausnahme dieser"
(er zeigte auf die Bauerndelegierten), die hierhergebracht zu haben ich in
weitem Ma&szlig;e verantwortlich bin!" (Gel&auml;chter und Bravorufe.)
&AElig;Sofort nach meiner R&uuml;ckkehr war ich im Smolny. Niemand hat dort
eine Anklage gegen mich erhoben...Ich hatte eine kurze Unterredung und bin
dann gegangen. Das ist alles! M&ouml;ge hierhertreten und die Anklage
begr&uuml;nden, wer dazu in der Lage ist!" Wilder Aufruhr folgte. Die Bolschewiki
und ein Teil der linken Sozialrevolution&auml;re waren aufgesprungen, mit
geballten F&auml;usten und br&uuml;llend, w&auml;hrend der Rest der Versammlung
sie niederzuschreien versuchte. &AElig;Das ist eine Schmach und nicht die
Tagung eines Kongresses", schrie Tschernow, den Saal verlassend. Der herrschende
Tumult machte eine Vertagung der Sitzung notwendig... Mittlerweile hatte
die Frage der Stellung der Bauernexekutive alle Gem&uuml;ter erregt. Indem
die Exekutive den Kongre&szlig; als &AElig;Au&szlig;erordentliche Konferenz"
bezeichnet hatte, gedachte sie, eine Neuwahl zu verhindern. Der Trick hatte
aber eine andere, von ihr nicht vorausgesehene Wirkung gehabt. Die linken
Sozialrevolution&auml;re beschlossen, da&szlig;, wenn der Kongre&szlig; keinen
Einflu&szlig; auf die Exekutive haben solle, umgekehrt auch die Exekutive
dem Kongre&szlig; keine Vorschriften machen k&ouml;nne. Am 25. November
erkl&auml;rte die Versammlung in einer Resolution, da&szlig; die Funktionen
des Exekutivkomitees von der Au&szlig;erordentlichen Konferenz &uuml;bernommen
w&uuml;rden, in der im &uuml;brigen nur solche Mitglieder der Exekutive das
Stimmrecht h&auml;tten, die Konferenzdelegierte seien. Am n&auml;chsten Tage
wurde gegen heftigen Widerspruch der Bolschewiki diese Resolution wieder
abge&auml;ndert und allen Mitgliedern der Exekutive, Delegierten und
Nichtdelegierten, Sitz und Stimme im Kongre&szlig; gegeben. Am 27. Erfolgte
die Debatte &uuml;ber die Landfrage, die die Unterschiede zwischen dem
Agrarprogramm der Bolschewiki und dem der Linken Sozialrevolution&auml;re
aufzeigte. Im Namen der linken Sozialrevolution&auml;re schilderte Kaltschinski
die Entwicklung der Landfrage w&auml;hrend der Revolution. &AElig;Der erste
Kongre&szlig; der Bauernsowjets", sagte er, &AElig;hatte eine pr&auml;zise
und formelle Resolution beschlossen, die die unverz&uuml;gliche &Uuml;berweisung
der G&uuml;ter an die Bodenkomitees forderte. Aber die F&uuml;hrer der Revolution
und die Vertreter der Bourgeois in der Provisorischen Regierung bestanden
auf der Vertagung der L&ouml;sung dieser Frage bis zum Zusammentritt der
Konstituierenden Versammlung. Die zweite Periode der Revolution, die
,Kompromi&szlig;periode', datiert seit dem Eintritt Tschernows ins Kabinett.
Die Bauern waren &uuml;berzeugt, da&szlig; jetzt die praktische L&ouml;sung
der Landfrage beginnen w&uuml;rde; aber trotz des unzweideutigen und dringenden
Beschlusses des ersten Bauernkongresses verstanden es die Reaktion&auml;re
und Kompromi&szlig;ler in dem Exekutivkomitee, entschiedene Aktionen zu
hintertreiben. Diese Politik hatte eine Reihe von Revolten zur Folge, die
das nat&uuml;rliche Resultat der Ungeduld und nicht zu d&auml;mmenden Energie
der Bauern waren. Die Bauern verstanden den wahren Sinn der Revolution. Sie
versuchten, die Worte in Taten umzusetzen. Die k&uuml;rzlichen Ereignisse
sind kein einfacher Aufruhr oder ,bolschewistisches Abenteuer', sie sind
im Gegenteil eine wirkliche Volkserhebung, von dem ganzen Lande mit Sympathie
begr&uuml;&szlig;t. Die Haltung der Bolschewiki in der Landfrage war im
allgemeinen korrekt. Indem sie aber den Bauern rieten, sich des Landes mit
Gewalt zu bem&auml;chtigen, haben sie einen schweren Fehler begangen. Die
Bolschewiki sagten den Bauern, da&szlig; sie zur ,revolution&auml;ren
Massenaktion' &uuml;bergehen m&uuml;&szlig;ten, um sich in den Besitz des
Landes zu setzen. Das aber ist Anarchie. Die &Uuml;bernahme des Landes kann
nur auf organisiertem Wege geschehen. Die Bolschewiki hatten ein Interesse,
die Probleme der Revolution in der schnellstm&ouml;glichen Weise gel&ouml;st
zu sehen - aber es war ihnen weniger wichtig, wie die L&ouml;sung dieser
Probleme aussah. Das Landdekret des Sowjetkongresses deckt sich in seinen
Grundz&uuml;gen mit den Beschl&uuml;ssen des ersten Bauernkongresses. Warum
handelte da die neue Regierung nicht der von dem Bauernkongre&szlig;
vorgezeichneten Taktik entsprechend? - weil es dem Rat der Volkskommissare
darauf ankam, die Regelung der Landfrage zu &uuml;berst&uuml;rzen, damit
f&uuml;r die Konstituierende Versammlung nichts mehr &uuml;brigblieb. Allerdings
sah auch die Regierung, da&szlig; zu praktischen Ma&szlig;nahmen geschritten
werden m&uuml;sse. Sie akzeptierte, ohne lange zu &uuml;berlegen, die Richtlinien
f&uuml;r die Bodenkomitees und schuf damit einen eigenartigen Zustand; denn
w&auml;hrend der Rat der Volkskommissare den privaten Landbesitz beseitigte,
basieren die von den Bodenkomitees ausgearbeiteten Richtlinien auf dem privaten
Landbesitz. Schaden ist hierdurch indessen nicht entstanden; die Bodenkomitees
k&uuml;mmern sich nicht um die Dekrete der Sowjets, sie f&uuml;hren ihre
eigenen praktischen Beschl&uuml;sse durch - Beschl&uuml;sse, die den Willen
der breiten Masse der Bauern als Grundlage haben. Die T&auml;tigkeit dieser
Bodenkomitees bezweckt nicht die legislative L&ouml;sung der Landfrage. Die
ist Sache der Konstituierenden Versammlung. Wird aber die Konstituierende
Versammlung geneigt sein, den Willen der russischen Bauern zu erf&uuml;llen?
- Wir haben daf&uuml;r keine Garantie. Nur eins wissen wir: die
revolution&auml;re Energie der Bauern ist geweckt., und die Konstituierende
Versammlung wird <I>gezwungen </I>sein, die Landfrage zu regeln, wie die
Bauern sie geregelt haben wollen. Die Konstituierende Versammlung wird es
nicht wagen, sich in Gegensatz zu dem Willen des Volkes zu setzen." Nach
Kaltschinski sprach Lenin, jetzt mit gespanntester Aufmerksamkeit angeh&ouml;rt:
&AElig;Wir versuchen in diesem Moment nicht nur die Landfrage zu l&ouml;sen,
sondern die Frage der sozialen Revolution nicht nur in Ru&szlig;land, sondern
in der ganzen Welt. Die Landfrage kann man nicht l&ouml;sen, unabh&auml;ngig
von den anderen Problemen der sozialen Revolution. So wird zum Beispiel die
Beschlagnahme des gro&szlig;en Landbesitzes nicht nur auf den Widerstand
der russischen Gutsbesitzer sto&szlig;en, sondern auch auf den des
Auslandskapitals, mit dem der Gro&szlig;grundbesitz durch die Vermittlung
der Banken verbunden ist. Der Gro&szlig;grundbesitz ist in Ru&szlig;land
die Grundlage der ungeheuersten Unterdr&uuml;ckung, und die Beschlagnahme
des Landes durch die Bauern ist der bedeutungsvollste Schritt unserer Revolution.
Aber er kann nicht von den anderen Schritten getrennt werden. Das zeigen
mit Deutlichkeit die Etappen, die die Revolution zu durchlaufen hatte. Die
erste Etappe sah die Zerschmetterung der Autokratie und die Zerschmetterung
der Macht der Industriekapitalisten und Gutsbesitzer, deren Interessen aufs
engste verbunden sind. Die zweite Etappe brachte die Kr&auml;ftigung der
Sowjets und das politische Kompromi&szlig; mit der Bourgeoisie. Der Irrtum
der linken Sozialrevolution&auml;re ist, da&szlig; sie sich damals der
Kompromi&szlig;politik nicht widersetzten, weil sie in der Theorie befangen
waren, die das Bewu&szlig;tsein der Massen als noch nicht v&ouml;llig entwickelt
ansah. <I>Wenn in der Tat die Verwirklichung des Sozialismus erst m&ouml;glich
w&auml;re, wenn die intellektuelle Entwicklung des ganzen Volkes es gestattet,
dann w&uuml;rden wir ihn auch in f&uuml;nfhundert Jahren nicht erleben.</I>
Die politische Partei der Arbeiterklasse soll ihre Avantgarde sein. Sie darf
ihren Vormarsch nicht hemmen lassen durch den Mangel an Erziehung bei dem
Durchschnitt der Masse. Sie mu&szlig; die Massen f&uuml;hren, indem sie sich
der Sowjets als Organe der revolution&auml;ren Initiative bedient. Aber um
die Schwankenden f&uuml;hren zu k&ouml;nnen, m&uuml;ssen die Genossen der
linken sozialrevolution&auml;ren Gruppe ihr eigenes Z&ouml;gern &uuml;berwinden.
Im vergangenen Juli ist es wiederholt zum offenen Bruch zwischen den Volksmassen
und den ,Kompromi&szlig;lern' gekommen; jetzt aber, im November, fahren die
linken Sozialrevolution&auml;re fort, Awxentjew die Hand hinzuhalten, der
das Volk doch nur hinzieht. Das Fortbestehen des Kompromisses w&auml;re das
Ende der Revolution. Mit der Bourgeoisie kann es kein Kompromi&szlig; geben.
Ihre Macht mu&szlig; zerschmettert werden. Wir Bolschewiki haben unser
Landprogramm nicht ge&auml;ndert. Wir haben die Beseitigung des privaten
Landbesitzes nicht aufgegeben, und wir haben nicht die Absicht, dies zu tun.
Wir akzeptieren die Richtlinien der Bodenkomitees - die durchaus nicht auf
Privateigentum basieren -, weil wir den Willen des Volkes vollziehen wollen,
gem&auml;&szlig; den Beschl&uuml;ssen des Volkes selbst, um so den Bund aller
f&uuml;r die sozialistische Revolution k&auml;mpfenden Elemente nur um so
inniger zu gestalten. Wir fordern die linken Sozialrevolution&auml;re auf,
diesem Bund beizutreten. Allerdings m&uuml;ssen sie dann aufh&ouml;ren,
fortgesetzt nach r&uuml;ckw&auml;rts zu blicken, und endg&uuml;ltig mit den
,Kompromi&szlig;lern' in ihrer Partei brechen. Was die Konstituierende
Versammlung anbelangt, so hat mein Vorredner recht, wenn er sagt, da&szlig;
ihre Arbeit von der revolution&auml;ren Entschlossenheit der Massen
abh&auml;ngen wird. Ich sage: ,Rechnet auf diese revolution&auml;re
Entschlossenheit, doch verge&szlig;t eure Gewehre nicht!'" Lenin verlas dann
die bolschewistische Resolution:
<P>
&AElig;Der Bauernkongre&szlig; erkl&auml;rt, die von dem Zweiten Gesamtrussischen
Sowjetkongre&szlig; der Arbeiter- und Soldatendeputierten errichtete
Arbeiter-und-Bauern-Regierung zu billigen, und stellt sich ohne
Einschr&auml;nkung auf den Boden des Landdekrets vom 8. November. Der
Bauernkongre&szlig; fordert alle Bauern auf, dieses Gesetz einm&uuml;tig
zu unterst&uuml;tzen und seine sofortige Durchf&uuml;hrung selbst in die
H&auml;nde zu nehmen. Gleichzeitig weist der Kongre&szlig; die Bauern darauf
hin, da&szlig; sie verantwortliche Posten und Positionen nur mit Personen
besetzen sollten, die nicht nur mit Worten, sondern mit Taten ihre aufrichtige
Ergebenheit f&uuml;r die Interessen der ausgebeuteten werkt&auml;tigen Bauern
gezeigt haben sowie ihren Willen und ihre F&auml;higkeit, diese Interessen
gegen alle Widerst&auml;nde der Gutsherren, Kapitalisten, deren Anh&auml;nger
und Komplizen zu verteidigen. Der Bauernkongre&szlig; ist &uuml;berzeugt,
da&szlig; die erfolgreiche Durchf&uuml;hrung aller Ma&szlig;nahmen, die zusammen
das Landdekret ausmachen, den Sieg der sozialistischen Arbeiterrevolution
zur Voraussetzung hat, die am 7. November 1917 ihren Anfang nahm; denn nur
die sozialistische Revolution kann sicherstellen: 1. die endg&uuml;ltige
&Uuml;bergabe (unter Ausschaltung jeder M&ouml;glichkeit der R&uuml;ckkehr
des alten Zustandes) des Landes an die werkt&auml;tigen Bauern, 2. die
Beschlagnahme von Musterfarmen und ihre &Uuml;bergabe an die b&auml;uerlichen
Kommunen, 3. die Beschlagnahme der den Gro&szlig;grundbesitzern geh&ouml;renden
landwirtschaftlichen Maschinen, 4. die Wahrung der Interessen der Landarbeiter
durch die v&ouml;llige Aufhebung der Lohnsklaverei, 5. die
regelm&auml;&szlig;ige und systematische Verteilung der Produkte der
Landwirtschaft und der Industrie in allen Gegenden Ru&szlig;lands, 6. die
Beschlagnahme der Banken (ohne die nach der Aufhebung des Privateigentums
der &Uuml;bergang des Landes in das Eigentum des ganzen Volkes nicht
m&ouml;glich w&auml;re), 7. jede sonstige Hilfe f&uuml;r die Arbeiter durch
den Staat... Aus diesen Gr&uuml;nden stellt sich der Bauernkongre&szlig;
ohne Einschr&auml;nkung auf den Boden der Revolution vom 7. November als
einer sozialistischen Revolution und gibt seinem unersch&uuml;tterlichen
Willen Ausdruck, an der Durchf&uuml;hrung der sozialen Umbildung der Russischen
Republik, unbeschadet aller sich als notwendig erweisenden Modifikationen,
aber ohne zu z&ouml;gern, mitzuwirken.
<P>
Die unerl&auml;&szlig;liche Vorbedingung f&uuml;r den Sieg der sozialistischen
Revolution, die allein den dauernden Erfolg und die v&ouml;llige Verwirklichung
des Landdekrets zu sichern vermag, ist das enge B&uuml;ndnis der
werkt&auml;tigen Bauern mit der Arbeiterklasse, mit dem Proletariat aller
fortgeschrittenen L&auml;nder. Die gesamte Organisation und Administration
mu&szlig; in der Russischen Republik, von oben bis unten, auf diesem
B&uuml;ndnis beruhen. Nur diese B&uuml;ndnis vermag, indem es jede versuchte
direkte oder indirekte, offene oder verschleierte R&uuml;ckkehr zur Politik
des Kompromisses mit der Bourgeoisiepolitik - die durch die mit den Vollstreckern
der Bourgeoisiepolitik gemachten Erfahrungen gerichtet ist - unm&ouml;glich
macht, den Sieg des Sozialismus in der Welt zu sichern."
<P>
Die Reaktion&auml;re des Exekutivkomitees wagten schon nicht mehr,
&ouml;ffentlich aufzutreten. Tschernow sprach indessen mehrere Male mit
bescheidener und gewinnender Unparteilichkeit. Er wurde sogar eingeladen,
im Pr&auml;sidium Platz zu nehmen. Am zweiten Abend des Kongresses wurde
dem Vorsitzenden ein anonymer Zettel heraufgereicht, der den Vorschlag enthielt,
Tschernow zum Ehrenpr&auml;sidenten des Kongresses zu ernennen. W&auml;hrend
noch Ustinow den Vorschlag laut verlas, war Sinowjew aufgesprungen und schrie,
da&szlig; dies ein Trick des alten Exekutivkomitees sei, sich der
Kongre&szlig;leitung zu bem&auml;chtigen. Der eben noch friedliche Saal glich
im Nu einem tobenden Meer drohend erhobener F&auml;uste und zornentbrannter
Gesichter. Trotzdem blieb Tschernow noch immer sehr popul&auml;r. Im Verlauf
der st&uuml;rmischen Debatten &uuml;ber die Landfrage und die Resolution
Lenins waren die Bolschewiki zweimal im Begriff, den Kongre&szlig; zu verlassen,
beide Male nur durch die energischen Vorhaltungen ihrer F&uuml;hrer
zur&uuml;ckgehalten. Ich glaubte schon den ganzen Kongre&szlig; hoffnungslos
festgefahren. Wir wu&szlig;ten allerdings auch nicht, da&szlig; im Smolny
eine Reihe geheimer Konferenzen zwischen den linken Sozialrevolution&auml;ren
und den Bolschewiki stattfanden. Anf&auml;nglich forderten hier die linken
Sozialrevolution&auml;re die Bildung einer Regierung, die sich aus allen
sozialistischen Parteien innerhalb und au&szlig;erhalb der Sowjets zusammensetzen
und einem Volksrat verantwortlich sein sollte, der aus einer gleichen Anzahl
Vertreter der Arbeiter- und Soldatenorganisationen und der Bauernorganisationen
zu bilden und durch Vertreter der Stadtdumas und der Semstwos zu erg&auml;nzen
war. Lenin und Trotzki sollten von der Regierung ausgeschlossen und das
Revolution&auml;re Milit&auml;rkomitee aufgel&ouml;st werden. Am Mittwoch,
dem 28., morgens, wurde, nachdem man sich die ganze Nacht hindurch w&uuml;tend
gestritten hatte, eine Verst&auml;ndigung erreicht. Das aus108 Mitgliedern
bestehende Zentralexekutivkomitee war zu erweitern: um 108 von dem
Bauernkongre&szlig; proportional gew&auml;hlte Mitglieder, um 100 von der
Armee und Flotte direkt zu w&auml;hlende Delegierte und um 50 Delegierte
der Gewerkschaften (35 von den zentralen Verb&auml;nden, 10 von den Eisenbahnern
und 5 von den Post- und Telegrafenarbeitern). Die Dumas und Semstwos wurden
fallengelassen . Lenin und Trotzki blieben in der Regierung, das
Revolution&auml;re Milit&auml;rkomitee blieb bestehen. Die Sitzungen des
Kongresses waren mittlerweile in die kaiserliche Justizschule in der Fontanka
Nr. 6, dem Hauptsitz der Bauernsowjets verlegt worden. Dort sammelten sich
am Mittwochnachmittag die Delegierten in dem gro&szlig;en Saal. Das alte
Exekutivkomitee nahm am Kongre&szlig; nicht mehr teil, sondern hielt in einem
anderen Raum des gleichen Geb&auml;udes eine eigene Rumpfkonferenz ab, die
sich aus den absolut reaktion&auml;ren Delegierten und den Vertretern der
Armeekomitees zusammensetzte. Tschernow lief von einer Sitzung zur anderen,
mit wachsamen Augen den Gang der Ereignisse verfolgend. Von den Versuchen,
mit den Bolschewiki zu einer Verst&auml;ndigung zu gelangen, wu&szlig;te
er, nicht aber von ihrem erfolgreichen Abschlu&szlig;. Er sprach zur
Rumpfkonferenz. &AElig;Im gegenw&auml;rtigen Augenblick, wo alle Welt f&uuml;r
die Bildung einer allsozialistischen Regierung ist, vergessen viele Leute
das erste Kabinett, das keine Koalitionsregierung und in dem der einzige
Sozialist - Kerenski war, eine Regierung, die sich zu ihrer Zeit gro&szlig;er
Beliebtheit erfreute. Jetzt klagt man Kerenski an; man vergi&szlig;t, da&szlig;
er nicht nur durch die Sowjets, sondern auch durch die Volksmassen zur Macht
erhoben wurde... Warum &auml;nderte sich die Volksmeinung &uuml;ber Kerenski?
Die Wilden machen sich G&ouml;tter, zu denen sie beten und die sie strafen,
wenn eins ihrer Gebete keine Erh&ouml;rung findet.... Genau dasselbe geschieht
in diesem Moment.....Gestern Kerenski, heute Lenin und Trotzki, morgen ein
anderer. Wir haben sowohl Kerenski als auch den Bolschewiki den Vorschlag
gemacht, von der Macht zur&uuml;ckzutreten. Kerenski hat sich bereiterkl&auml;rt
- er hat heute von seinem Versteck aus mitgeteilt, da&szlig; er als
Ministerpr&auml;sident zur&uuml;cktritt; aber die Bolschewiki wollen nicht
verzichten, dabei wissen sie nicht, wie sie die Macht gebrauchen sollen...
Ob nun die Bolschewiki siegen oder ob sie unterliegen werden, an dem Schicksal
Ru&szlig;lands wird das nichts &auml;ndern. Das russische Dorf wei&szlig;
ganz genau, was es will, und es f&uuml;hrt jetzt seine eigenen Ma&szlig;nahmen
durch...Das Dorf wird letzten Endes uns retten..." In der Zwischenzeit hatte
in dem gro&szlig;en Saal der Justizschule Ustinow die erreichte
Verst&auml;ndigung zwischen dem Bauernkongre&szlig; und dem Smolny unter
dem unbeschreiblichen Jubel der Delegierten bekanntgegeben. Tschernow erschien
pl&ouml;tzlich und verlangte das Wort. &AElig;Ich h&ouml;re", begann er,
&AElig;da&szlig; zwischen dem Bauernkongre&szlig; und dem Smolny eine
Vereinbarung geschlossen wurde. Der Kongre&szlig; ist hierzu nicht berechtigt,
da der rechtm&auml;&szlig;ige Bauernkongre&szlig; nicht vor der n&auml;chsten
Woche zusammentreten wird. Im &uuml;brigen werden die Bolschewiki eure
Forderungen niemals akzeptieren." Er wurde ausgelacht und am Weiterreden
gehindert, und einsehend, da&szlig; nichts mehr zu retten war, verlie&szlig;
er die Trib&uuml;ne und den Saal. Seine Popularit&auml;t war dahin.
<P>
Am Donnerstag, dem 16. November, sp&auml;t nachmittags, trat der Kongre&szlig;
zu einer au&szlig;erordentlichen Tagung zusammen. Feststimmung beherrschte
die Versammlung, auf jedem Antlitz lag ein L&auml;cheln. Nachdem man den
Rest der Tagesordnung in Eile erledigt hatte, erhob sich der
wei&szlig;b&auml;rtige alte Natanson vom linken Fl&uuml;gel der
Sozialrevolution&auml;re, um mit zitternder Stimme und Tr&auml;nen in den
Augen den Bericht von der Vereinigung der Bauernsowjets mit den Arbeiter-
und Soldatensowjets zu verlesen. Jede Wiederholung des Wortes &AElig;Einigung"
ri&szlig; die Versammelten zu begeistertem Jubel hin. Als er geschlossen
hatte, teilte Ustinow unter dem brausenden Beifall des ganzen Saales die
Ankunft einer von Vertretern der Roten Armee begleiteten Delegation aus dem
Smolny mit. Nacheinander nahmen ein Arbeiter, ein Soldat und ein Matrose
das Wort, den Kongre&szlig; zu begr&uuml;&szlig;en. Dann sprach Boris Reinstein,
der Vertreter der Sozialistischen Arbeiterpartei Amerikas: &AElig;Der Tag
der Vereinigung des Kongresses der Bauern mit den Sowjets der Arbeiter- und
Soldatendeputierten ist einer der gr&ouml;&szlig;ten Tage der Revolution.
Er wird durch die ganze Welt klingen, und wir werden seinen Widerhall aus
Paris, aus London und von jenseits des Ozeans, aus dem fernen New York vernehmen.
Dieses B&uuml;ndnis wird die Herzen aller Arbeiter mit Freude erf&uuml;llen.
Eine gro&szlig;e Idee hat gesiegt. Der Westen und Amerika erwarten von
Ru&szlig;land, vom russischen Proletariat Gewaltiges. Das Proletariat der
Welt blickt auf die russische Revolution in Erwartung des Gro&szlig;en, das
sie vollbringen wird!" Noch einmal ein Gru&szlig; von Swerdlow, dem
Pr&auml;sidenten des Zentralexekutivkomitees, und dann str&ouml;mten die
Bauern unter dem Ruf: &AElig;Hurra, der B&uuml;rgerkrieg ist zu Ende!" und
&AElig;Es lebe die geeinigte Demokratie!" langsam aus dem Saal.
<P>
Es war schon finster, und der gefrorene Boden glitzerte vom Widerschein des
Mondes und der Sterne. L&auml;ngs des Kanalufers standen in voller Marschordnung
die Soldaten des Pawlowski-Regiments mit ihrer Kapelle, die die Marseillaise
zu spielen begann. Unter dem jubelnden Beifall der Soldaten formierten sich
die Bauern zu einem Zug, das gro&szlig;e rote Banner des Exekutivkomitees
der Gesamtrussischen Bauernsowjets entfaltend, das in neuen, goldgestickten
Lettern die Inschrift trug: &AElig;Es lebe das B&uuml;ndnis der
revolution&auml;ren werkt&auml;tigen Massen!" Andere Banner kamen. Von den
Bezirkssowjets, den Putilow-Werken: &AElig;Wir folgen dieser Fahne; unser
Ziel ist die Verbr&uuml;derung aller V&ouml;lker", und viele andere. Irgenwoher
kamen pl&ouml;tzlich Fackeln, gelbrot durch die Nacht schimmernd, sich
tausendfach in den Kristallen des Eises spiegelnd und einen qualmenden Schweif
&uuml;ber den Zug legend, der sich langsam das Fontanka-Ufer entlangw&auml;lzte,
singend, vorbei an der in erstauntem Schweigen stehenden Menschenmenge. &AElig;Es
lebe die revolution&auml;re Armee!" &AElig;Es lebe die Rote Garde!" &AElig;Es
leben die Bauern!" So zog die m&auml;chtige Prozession durch die Stadt, wachsend,
immer neue rote goldgestickte Banner entfaltend. Zwei alte Bauern mit vom
lebelangen M&uuml;hen gekr&uuml;mmten R&uuml;cken gingen Hand in Hand, die
Gesichter verkl&auml;rt in kindlicher Freude. &AElig;Nun", sagte der eine,
&AElig;jetzt sollte sie nur versuchen, uns das Land wieder zu nehmen!" In
der N&auml;he des Smolny waren auf beiden Stra&szlig;enseiten Rotgardisten
aufmarschiert, au&szlig;er sich vor Freude. Der zweite alte Bauer wandte
sich seinem Gef&auml;hrten zu: &AElig;Ich bin gar nicht m&uuml;de, mir ist
so, als h&auml;tte ich Fl&uuml;gel!" Auf den Stufen des Smolny hatten gegen
hundert Arbeiter- und Soldatendeputierte Aufstellung genommen, mit ihren
Bannern, die sich dunkel gegen den Aus dem Innern des Geb&auml;udes
str&ouml;menden Lichtschein abhoben. Sie st&uuml;rmten die Stufen hinunter,
den Bauern entgegen, umarmten und k&uuml;&szlig;ten sie, und dann str&ouml;mte
der Zug durch das gro&szlig;e Tor und mit Donnerget&ouml;se die Treppe hinauf.
In dem gro&szlig;en wei&szlig;en Sitzungssaal war das Zentralexekutivkomitee
versammelt, mit dem gesamten Petrograder Sowjet und an tausend Zuschauern,
in jener feierlichen Erwartung, die bewu&szlig;te, gro&szlig;e geschichtliche
Augenblicke immer zu wecken pflegen.
<P>
Sinowjew gab die mit dem Bauernkongre&szlig; geschlossene Vereinbarung unter
jubelnder Zustimmung bekannt, die zum Sturm wurde, als den Korridor herauf
Musikkl&auml;nge zu h&ouml;ren waren und die Spitze des Zuges in den Saal
einmarschierte. Auf der Trib&uuml;ne erhob sich das Pr&auml;sidium, dem
Bauernpr&auml;sidium Platz zu machen. Sie umarmten einander. Hinter ihnen
&uuml;bereinandergekreuzt die beiden Banner an der wei&szlig;en Wand, die
den leeren Rahmen verdeckten, aus dem das Zarenblidnis herausgerissen war.
Und dann begann die Siegesfeier. Nach einer kurzen Begr&uuml;&szlig;ung durch
Swerdlow betrat Maria Spiridowna die Trib&uuml;ne, schm&auml;chtig, bla&szlig;,
mit ihrer Brille und dem platt angestrichenen Haar einer puritanischen
Schullehrerin nicht un&auml;hnlich - die popul&auml;rste und
einflu&szlig;reichste Frau in ganz Ru&szlig;land. &AElig;Vor den Arbeitern
Ru&szlig;lands er&ouml;ffnen sich jetzt Horizonte, wie sie die Geschichte
nie gekannt. Alle Arbeiterrevolutionen sind niedergeschlagen worden, aber
die gegenw&auml;rtige Bewegung ist international und darum unbesiegbar. Es
gibt in der ganzen Welt keine Macht, die das Feuer der Revolution wieder
l&ouml;schen k&ouml;nnte. Die alte Welt bricht nieder, eine neue beginnt!"
<P>
Und nun Trotzki, voll hinrei&szlig;enden Feuers: &AElig;Seid willkommen,
Genossen Bauern! Ihr weilt hier nicht als G&auml;ste, sondern als die Herren
dieses Hauses, in dem das Herz der russischen Revolution schl&auml;gt. Der
Wille von Millionen Werkt&auml;tigen ist jetzt in diesem Saal vereinigt.
Es gibt nur noch einen Herren des russischen Landes: das ist das B&uuml;ndnis
der Arbeiter, Soldaten und Bauern!" Mit schneidendem Sarkasmus sprach er
von der Diplomatie der Alliierten, die noch immer nur Verachtung f&uuml;r
den Waffenstillstandsvorschlag Ru&szlig;lands hatte, der von den
Mittelm&auml;chten akzeptiert worden war. &AElig;Eine neue Menschheit wird
aus diesem Krieg geboren werden. Wir schw&ouml;ren es hier vor den Arbeitern
aller L&auml;nder, da&szlig; wir ausharren werden auf unserem
revolution&auml;ren Posten. Noch im Fallen werden wir unsere Fahne verteidigen!"
<P>
Ihm folgte Krylenko, die Frage an der Front schildernd, wo Duchonin sich
zum Widerstand gegen den Rat der Volkskommissare vorbereitete: &AElig;La&szlig;t
es Duchonin h&ouml;ren und alle, die mit ihm sind, da&szlig; wir nicht fein
umspringen werden mit denen, die den Weg zum Frieden versperren!"
<P>
Dybenko &uuml;berbrachte die Gr&uuml;&szlig;e der Flotte, und Kruschinski,
ein Mitglied des Hauptvorstandes des Gesamtrussischen Eisenbahnerverbandes,
erkl&auml;rte: &AElig;Von jetzt ab, da die Vereinigung aller wahren Sozialisten
Wirklichkeit geworden ist, steht das ganze Heer der Eisenbahner zur vollen
Verf&uuml;gung der revolution&auml;ren Demokratie!" Lunatscharski sprach,
fast weinend; dann Proschjan f&uuml;r die linken Sozialrevolution&auml;re
und endlich Sacharaschwili f&uuml;r die Vereinten
Sozialdemokraten-Internationalisten, die sich aus Mitgliedern der Martow-
und Gorkigruppe zusammengetan hatten. &AElig;Der Grund unseres Austritts
aus dem Zentralexekutivkomitee war die unnachgiebige Politik der Bolschewiki.
Wir hofften, sie auf diese Weise zum Entgegenkommen zu zwingen und damit
die Einigung der gesamten revolution&auml;ren Demokratie zu erm&ouml;glichen.
Nachdem diese Einigung jetzt erfolgt ist, halten wir es f&uuml;r unsere heilige
Pflicht, unsere Pl&auml;tze im Zentralexekutivkomitee wieder einzunehmen.
Wir fordern alle, die aus dem Zentralexekutivkomitee ausgeschieden sind,
zum Wiedereintritt auf."
<P>
Staschkow, ein ehrw&uuml;rdiger alter Bauer vom Pr&auml;sidium des
Bauernkongresses, verbeugte sich tief nach allen Seiten des Saales: &AElig;Ich
begr&uuml;&szlig;e euch mit dem Wunsche der Freiheit und eines neuen russischen
Lebens." Bronski im Namen der polnischen Sozialdemokratie, Skrypnik f&uuml;r
die Fabrikkomitees, Trifonow f&uuml;r die russischen Soldaten in Saloniki
und andere in endloser Reihe sprachen aus &uuml;bersprudelndem Herzen, mit
der gl&uuml;cklichen Beredtsamkeit erf&uuml;llter Hoffnungen.
<P>
Sp&auml;t in der Nacht wurde folgende Resolution einstimmig angenommen:
<P>
&AElig;Das Zentralexekutivkomitee, in au&szlig;erordentlicher Sitzung vereinigt
mit dem Petrograder Sowjet und dem Bauernkongre&szlig;, best&auml;tigt die
von dem Zweiten Kongre&szlig; der Arbeiter- und Soldatendeputierten angenommenen
Land- und Friedensdekrete und das von dem Zentralexekutivkomitee angenommene
Dekret &uuml;ber die Arbeiterkontrolle. Die vereinigte Sitzung des
Zentralexekutivkomitees und des Bauernkongresses gibt ihrer festen
&Uuml;berzeugung Ausdruck, da&szlig; das B&uuml;ndnis der Arbeiter, Soldaten
und Bauern, dieser Bruderbund aller Werkt&auml;tigen und Ausgebeuteten, die
errungene Macht festigen und dazu beitragen wird, den &Uuml;bergang der Macht
in die H&auml;nde der Arbeiterklasse auch in den anderen L&auml;ndern zu
beschleunigen, um so einen dauernden und gerechten Frieden und den Sieg des
Sozialismus zu sichern."
<P>
<HR>
<H4 ALIGN=Center>
Dankenswerterweise abgetippt wurde der obenstehende Text von Agnes Hintenaus.
<BR>
(e-mail: Agnes.hintenaus@blackbox.at)
</H4>
<P ALIGN=center>
</BODY></HTML>