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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>Karl Marx - Zur Geschichte der Agitation</TITLE>
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<FONT SIZE=2><P>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 11, S. 200-202<BR>
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1961</FONT> </P>
<H2>Karl Marx</H2>
<H1>Zur Geschichte der Agitationen</H1>
<P><HR></P>
<FONT SIZE=2><P>["Neue Oder-Zeitung" Nr. 215 vom 10. Mai 1855]</P>
</FONT><B><P><A NAME="S200">&lt;200&gt;</A></B> <I>London</I>, 7. Mai. Zur Zeit gro&szlig;er Agitationen in England verstand die City von London niemals, sich in der Avantgarde zu befinden. Ihr Anschlie&szlig;en an eine Agitation bewies bisher nur, da&szlig; der Zweck der Agitation erreicht, zum Fait accompli geworden war. So mit der <I>Reformbewegung</I>, worin Birmingham die Initiative ergriff. So mit der <I>Anti-Corri-Law-Bewegung</I>, die von Manchester aus geleitet wurde. Eine Ausnahme bildet die Bank-Restriktionsakte von 1797. Meetings der Bankiers und Kaufleute der City von London erleichterten Pitt damals, der Bank von England die Fortsetzung der Barzahlungen zu <I>verbieten - nachdem </I>die Bankdirektoren ihm wochenlang vorher er&ouml;ffnet, da&szlig; die Bank am Rande des Bankerutts schwebe und nur durch einen Coup d'&eacute;tat, durch Zwangskurs der Banknoten, zu retten sei. Die Umst&auml;nde erheischten damals nicht mehr Resignation von seiten der Bank von England, sich die Barzahlung <I>verbieten </I>zu lassen, als von seiten der Citykaufleute, deren Kredit mit dem der Bank stand und fiel, Pitts Verbot zu unterst&uuml;tzen und dem Landmann zu empfehlen.<A NAME="Z1"><A HREF="me11_200.htm#M1">(1)</A></A> Die Rettung der Bank von England war die Rettung der City. Daher damals ihre "patriotischen" Meetings und ihre "agitatorische" Initiative. Die Initiative, die die City in diesem Augenblick ergriffen hat, durch ihre letzten Sonnabend in der London Tavern und der <A NAME="S201"><B>&lt;201&gt;</A></B> Guildhall abgehaltenen Meetings, durch Bildung einer <I>"Assoziation f&uuml;r die administrative Reform"</I>, hat das Verdienst der Neuheit, das in England seltene Verdienst, keine Pr&auml;zedenz zu besitzen. Au&szlig;erdem wurde in diesen Meetings weder gegessen noch getrunken, was ebenfalls neu ist in den Annalen der City, deren "Schildkr&ouml;tensuppen-Patriotismus" schon von Cobbett verewigt ward. Endlich war es neu, da&szlig; die Meetings der Citykaufleute in "London Tavern" und "Guildhall" zur Gesch&auml;ftszeit abgehalten wurden, bei hellem Licht und Tag. Die gegenw&auml;rtige Gesch&auml;ftsstockung mag etwas mit diesem Ph&auml;nomen zu tun haben, wie sie &uuml;berhaupt ein Ferment in der G&auml;rung des Citygeistes bilden mag, und ein wesentliches Ferment. Bei alldem kann die Wichtigkeit dieser Citybewegung nicht abgeleugnet werden, so sehr man sich auch im Westend abm&uuml;ht, sie niederzul&auml;cheln. Die b&uuml;rgerlichen Reformbl&auml;tter - "Daily News", "Morning Advertiser", "Morning Chronicle" (letzteres geh&ouml;rt seit einiger Zeit in diese Kategorie) - suchen ihren Gegnern die "gro&szlig;e Zukunft" der Cityassoziation zu demonstrieren. Sie &uuml;bersehen das N&auml;herliegende. Sie haben nicht begriffen, da&szlig; sehr wesentliche, sehr entscheidende Punkte durch die blo&szlig;e Tatsache dieser Meetings bereits entschieden sind: 1. Der Bruch zwischen der herrschenden Klasse <I>au&szlig;erhalb </I>und der regierenden Klasse <I>innerhalb </I>des Parlaments; 2. eine Dislokation der bisher in der Politik tonangebenden Elemente der Bourgeoisie; 3. die Entzauberung Palmerstons.</P>
<I><P>Layard </I>hat bekanntlich seine Reformvorschl&auml;ge f&uuml;r heute abend im Unterhause angek&uuml;ndigt. Das Unterhaus hat ihn bekanntlich vor ungef&auml;hr einer Woche niedergezischt, ausgepfiffen, angegrunzt. Die Prinzen der englischen Kaufmannswelt in der City antworteten in ihren Meetings mit krampfhaften Lebehochs f&uuml;r Layard. Er war der Held des Tages in London Tavern und Guildhall. Die <I>cheers</I> &lt;<I>Beifall</I>&gt; der City sind die provozierende Antwort auf die <I>groans</I> &lt;<I>Zischen</I>&gt; des Unterhauses. Zeigt sich das Unterhaus heute abend eingesch&uuml;chtert, so ist seine Autorit&auml;t hin, so dankt es ab. Erneuert es seine groans, so werden die gegnerischen cheers um so lauter gellen. Und aus den "Abderiten" ist bekannt, zu welchen Tats&auml;chlichkeiten die Rivalit&auml;t zwischen cheers und groans hinf&uuml;hrt. Die Citymeetings waren eine direkte Herausforderung des Unterhauses, &auml;hnlich wie in dem ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts die Wahl von Sir Francis Burdett durch Westminster.</P>
<P>Bisher stand bekanntlich die <I>Manchesterschule </I>mit ihren Brights und Cobdens an der Spitze der Bewegung der englischen Bourgeoisie. Die Fabrikherren von Manchester sind jetzt durch die Handelsherren der City ver- <A NAME="S202"><B>&lt;202&gt;</A></B> dr&auml;ngt. Ihr orthodoxer Gegensatz gegen den Krieg &uuml;berzeugte die Bourgeoisie, die in England keinen Augenblick stillstehen kann, da&szlig; sie momentan wenigstens den Beruf, sie anzuf&uuml;hren, verloren haben. Die Herren von Manchester k&ouml;nnen in diesem Augenblick ihre "Hegemonie" nur noch behaupten, indem sie die Herren von der City &uuml;berbieten. Diese Rivalit&auml;t zwischen den zwei bedeutendsten Fraktionen der Bourgeoisie, tats&auml;chlich verk&uuml;ndet durch die Citymeetings, wovon die Brights und Cobdens ausgeschlossen wurden und sich selbst ausschlossen, verk&uuml;ndet Gutes f&uuml;r die Volksbewegung. Schon k&ouml;nnen wir als Beweis anf&uuml;hren, da&szlig; der Sekret&auml;r des Citykomitees einen Brief an die Chartisten in London gerichtet und sie ersucht hat, ein Mitglied f&uuml;r ihren best&auml;ndigen Ausschu&szlig; zu ernennen. Ernest Jones ist zu diesem Behuf von den Chartisten kommittiert worden. Die Kaufmannschaft steht nat&uuml;rlich nicht in so <I>direktem </I>Gegensatz zu den Arbeitern wie die Fabrikanten, die Millocracy, und so k&ouml;nnen wenigstens f&uuml;r den Beginn <I>gemeinschaftliche </I>Schritte geschehen, die zwischen Chartisten und Manchestermen unm&ouml;glich waren.</P>
<I><P>Palmerston</I>, dies ist die letzte gro&szlig;e Tatsache der Citymeetings, ist zum erstenmal von der wichtigsten Wahlk&ouml;rperschaft des Landes ausgezischt und ausgepfiffen worden. Der Zauber seines Namens ist f&uuml;r immer gebrochen. Was ihn in der City in Verruf brachte, war nicht seine russische Politik, die &auml;lter ist als der Drei&szlig;igj&auml;hrige Krieg. Es war der saloppe Hohn, der pr&auml;tenti&ouml;se Zynismus, es waren vor allem die "schlechten Witze", womit er die furchtbarste Krise, die England je erlebt hat, zu kurieren affektiert. Das emp&ouml;rte die b&uuml;rgerlichen Gewissen, so sehr es in dem verkommenen Hause der "Gemeinen" zog.</P>
<P>Administrative Reform <I>mit </I>einem Parlament, wie es jetzt konstituiert ist, jeder erkennt das Unlogische dieser frommen W&uuml;nsche auf den ersten Blick. Aber wir haben in unserm Jahrhundert reformierende P&auml;pste erlebt. Wir haben Reformbanketts erlebt mit Odilon Barrots an der Spitze. Kein Wunder dann, da&szlig; die Lawine, die Alt-England wegsp&uuml;len wird, zun&auml;chst als Schneeball erscheint in der Hand von reformierenden Citykaufleuten.</P>
<P><HR></P>
<P>Fu&szlig;noten</P>
<P><A NAME="M1">(1)</A> Es ist unglaublich da&szlig; noch in den modernsten Geschichten der National&ouml;konomie das damalige Benehmen der City als Beweis von englischem Patriotismus zitiert wird. Es ist noch unglaublicher, da&szlig; Herr v[on] Haxthausen in seinem Werke &uuml;ber Ru&szlig;land (3. Band, 1852) so leichtgl&auml;ubig ist, zu behaupten, Pitt habe durch seine Suspendierung der Barzahlungen der Bank das Geld in England festgehalten. Was mag einem Manne, der solchen Glauben besitzt, nun erst in Ru&szlig;land aufgebunden worden sein? Und was wollen wir gar von der Berliner Kritik denken, die an Herrn v[on] Haxthausen mit Haut und Haar glaubt und zum Beweis dessen ihn <I>abschreibt</I>! <A HREF="me11_200.htm#Z1">&lt;=</A></P>
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