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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>Karl Marx - Zur Lage in Nordamerika</TITLE>
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<P ALIGN="CENTER"><A HREF="../me_ak62.htm"><FONT SIZE=2>Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1862</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unver&auml;nderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 558-561.</P>
<P>1. Korrektur.<BR>
Erstellt am 25.10.1998.</P>
</FONT><H2>Karl Marx </H2>
<H1>Zur Lage in Nordamerika </H1>
<P><HR></P>
<FONT SIZE=2><P>["Die Presse" Nr. 309 vom 10. November 1862] </P>
</FONT><B><P><A NAME="S558">|558|</A></B> London, 4. November 1862 </P>
<P>General Bragg, der die s&uuml;dliche Armee in Kentucky kommandiert - die anderen dort hausenden Streitkr&auml;fte des S&uuml;dens beschr&auml;nken sich auf Guerillabanden - erlie&szlig; bei seinem Einfall in diesen Grenzstaat eine Proklamation, die bedeutendes Licht auf die letzten kombinierten Schachz&uuml;ge der Konf&ouml;deration wirft. Braggs Proklamation, an die Staaten des Nordwestens gerichtet, unterstellt seinen Erfolg in Kentucky als selbstverst&auml;ndlich und ist offenbar berechnet auf die Eventualit&auml;t eines siegreichen Vordringens in Ohio, den Zentralstaat des Nordens. Zun&auml;chst erkl&auml;rt er die Bereitwilligkeit der Konf&ouml;deration, freie Schiffahrt auf dem Mississippi und dem Ohio zu garantieren. Diese Garantie hat nur Sinn, sobald sich die Sklavenhalter im Besitz der Grenzstaaten befinden. Man unterstellte also zu Richmond, da&szlig; die gleichzeitigen Einf&auml;lle Lees in Maryland und Braggs in Kentucky den Besitz der Grenzstaaten auf einen Schlag sichern w&uuml;rden. Bragg geht dann dazu fort, die Berechtigung des S&uuml;dens, der nur f&uuml;r seine Unabh&auml;ngigkeit k&auml;mpfe, im &uuml;brigen aber Frieden wolle, zu beweisen; aber die eigentliche, charakteristische Pointe der Proklamation ist das Anerbieten eines Separatfriedens mit den nordwestlichen Staaten, die Aufforderung an sie, von der Union zu sezedieren und sich der Konf&ouml;deration anzuschlie&szlig;en, indem die &ouml;konomischen Interessen von Nordwest und S&uuml;d ebenso &uuml;bereinstimmend als die von Nordwest und Nordost feindlich entgegengesetzt seien. Man sieht: Der S&uuml;den d&uuml;nkte sich kaum im Besitz der Grenzstaaten gesichert, als er den weitergehenden Zweck einer Rekonstruktion der Union mit Ausschlu&szlig; der Staaten Neuenglands offiziell ausplauderte. </P>
<P>Wie die Invasion von Maryland, ist jedoch auch die von Kentucky gescheitert: wie die erstere in der Schlacht von Antietam Creek, so die letztere <A NAME="S559"><B>|559|</A></B> in der Schlacht von Perryville bei Louisville. Wie dort, so befanden sich hier die Konf&ouml;derierten in der Offensive, indem sie die Avantgarde von Buells Armee angriffen. Der Sieg der F&ouml;deralisten ist dem Kommandanten der Avantgarde, General McCook, geschuldet, der den weit &uuml;berlegenen feindlichen Kr&auml;ften so lange standhielt, bis Buell Zeit erhalten, seine Haupttruppe ins Feld zu f&uuml;hren. Es unterliegt nicht dem geringsten Zweifel, da&szlig; die Niederlage bei Perryville die R&auml;umung Kentuckys nach sich ziehen wird. Die bedeutendste Guerillabande, gebildet aus den fanatischsten Partisanen des Sklavensystems in Kentucky und gef&uuml;hrt von General Morgan, ist ziemlich gleichzeitig bei Frankfort (zwischen Louisville und Lexington) vernichtet worden. Endlich kommt der entscheidende Sieg von Rosecrans bei Corinth hinzu, der der geschlagenen Invasionsarmee unter General Bragg schleunigsten R&uuml;ckmarsch gebietet. </P>
<P>Somit w&auml;re der auf gro&szlig;er Stufenleiter mit milit&auml;rischem Geschicke und unter den g&uuml;nstigsten Konjunkturen unternommene Feldzug der Konf&ouml;derierten zur Wiedereroberung der verlorenen Grenzsklavenstaaten vollst&auml;ndig gescheitert. Abgesehen von den unmittelbaren milit&auml;rischen Resultaten tragen diese K&auml;mpfe in anderer Weise zur Wegr&auml;umung der Hauptschwierigkeit bei. Der Halt der eigentlichen Sklavenstaaten auf die Grenzstaaten beruht nat&uuml;rlich auf dem Sklavenelement der letzteren, dasselbe Element, das der Unionsregierung diplomatische und konstitutionelle R&uuml;cksichten in ihrem Kampf gegen die Sklaverei aufzwingt. Dies Element aber wird praktisch auf dem Hauptschauplatz des B&uuml;rgerkrieges, den Grenzstaaten, durch den B&uuml;rgerkrieg selbst vernichtet. Ein gro&szlig;er Teil der Sklavenhalter wandert best&auml;ndig mit seinem "black chattel" (schwarzen Vieh) nach dem S&uuml;den aus, um sein Eigentum in Sicherheit zu bringen. Nach jeder Niederlage der Konf&ouml;derierten erneuert sich diese Auswanderung auf gr&ouml;&szlig;erer Stufenleiter. </P>
<P>Einer meiner Freunde |Joseph Weydemeyer|, ein deutscher Offizier, der abwechselnd in Missouri, Arkansas, Kentucky und Tennessee unter dem Sternenbanner focht, schreibt mir, da&szlig; diese Auswanderung ganz an den Exodus von Irland in den Jahren 1847 und 1848 erinnert. Der tatkr&auml;ftige Teil der Sklavenhalter ferner, die Jugend einerseits, die politischen und milit&auml;rischen Chefs andererseits, scheiden sich selbst aus von dem Gros ihrer Klasse, indem sie entweder Guerillabanden in ihren eigenen Staaten bilden und als Guerillabanden vernichtet werden, oder indem sie die Heimat verlassen und der Armee oder Administration der Konf&ouml;deration sich ein- <A NAME="S560"><B>|560|</A></B> verleiben. Resultat daher: einerseits ungeheuere Verminderung des Sklavenelements in den Grenzstaaten, wo es stets mit den "encroachments" (&Uuml;bergriffen) der rivalisierenden freien Arbeit zu k&auml;mpfen hatte. Andererseits Wegr&auml;umung des tatkr&auml;ftigen Teiles der Sklavenhalter und ihres wei&szlig;en Gefolges. Bleibt nur zur&uuml;ck ein Niederschlag von "gem&auml;&szlig;igten" Sklavenhaltern, die bald gierig nach dem ihnen von Washington gebotenen S&uuml;ndengeld f&uuml;r den Freikauf ihres "black chattel" greifen werden, dessen Wert ohnehin verlorengeht, sobald der s&uuml;dliche Markt f&uuml;r den Verkauf desselben geschlossen ist. So f&uuml;hrt der Krieg selbst eine L&ouml;sung herbei durch faktische Umw&auml;lzung der Gesellschaftsform in den Grenzstaaten. </P>
<P>F&uuml;r den S&uuml;den ist nun die g&uuml;nstigste Jahreszeit der Kriegsf&uuml;hrung vor&uuml;ber; f&uuml;r den Norden beginnt sie, indem die inl&auml;ndischen Fl&uuml;sse jetzt wieder schiffbar werden und die mit so vielem Erfolg bereits versuchte Kombination von Land- und Seekrieg wieder anwendbar ist. Der Norden hat die Zwischenzeit eifrig ben&uuml;tzt. "Eisengepanzerte" f&uuml;r die Fl&uuml;sse des Westens, 10 an der Zahl, nahen rasch ihrer Vollendung; zudem doppelt soviel Halbgepanzerte f&uuml;r seichte Wasser. Im Osten haben schon viele neue Panzerschiffe die Werfte verlassen, w&auml;hrend andere sich noch unter dem Hammer befinden. Alle werden bis zum 1. Januar 1863 fertig sein. Ericsson, der Erfinder und Bauer des "Monitor", leitet den Bau von neun neuen Schiffen nach demselben Modell. Vier davon "schwimmen" bereits. </P>
<P>Die Armee am Potomac, in Tennessee und Virginia, ebenso auf verschiedenen Punkten des S&uuml;dens, Norfolk, New Bern, Port Royal, Pensacola und New Orleans, erh&auml;lt t&auml;glich neue Zuz&uuml;ge. Das erste Aufgebot von 300.000 Mann, das Lincoln im Juli ausschrieb, ist vollst&auml;ndig gestellt und befindet sich zum Teil schon auf dem Kriegsschauplatz. Das zweite Aufgebot von 300.000 Mann f&uuml;r neun Monate sammelt sich allm&auml;hlich. In einigen Staaten ist die Konskription durch freiwillige Einrollierung beseitigt worden, in keinem st&ouml;&szlig;t sie auf ernsthafte Schwierigkeiten. Unwissenheit und Ha&szlig; haben die Konskription als ein unerh&ouml;rtes Ereignis in der Geschichte der Vereinigten Staaten ausgeschrieen. Nichts kann falscher sein. W&auml;hrend des Unabh&auml;ngigkeitskrieges und des zweiten Krieges mit England (1812-1815) wurden gro&szlig;e Truppenmassen konskribiert, ja selbst in verschiedenen kleinen Kriegen mit den Indianern, ohne da&szlig; dies je auf nennenswerte Opposition gesto&szlig;en. </P>
<P>Es ist eine merkw&uuml;rdige Tatsache, da&szlig; w&auml;hrend dieses Jahres Europa ein Auswanderungskontingent von ungef&auml;hr 100.000 Seelen den Vereinigten Staaten lieferte und da&szlig; die H&auml;lfte dieser Auswanderer aus Irl&auml;ndern und Briten besteht. Auf dem j&uuml;ngsten Kongre&szlig; der englischen <A NAME="S561"><B>|561|</A></B> "Association for the advancement of science" zu Cambridge mu&szlig;te der &Ouml;konomist Merivale seine Landsleute an die Tatsache erinnern, welche "Times", "Saturday Review", "Morning Post", "Morning Herald", von den dii minorum gentium |G&ouml;ttern niederen Geschlechts| nicht zu sprechen, so vollst&auml;ndig vergessen haben oder England vergessen machen wollen, die Tatsache n&auml;mlich, da&szlig; die Majorit&auml;t der englischen &Uuml;berbev&ouml;lkerung in den Vereinigten Staaten die neue Heimat findet. </P>
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