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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>Friedrich Engels - Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie - IV</TITLE>
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<TD><SMALL>Friedrich Engels: &quot;Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie&quot; in: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 21, 5. Auflage 1975, unver&auml;nderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 291/307.</SMALL></TD>
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<TD><SMALL>Korrektur:</SMALL></TD>
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<TD><SMALL>Erstellt:</SMALL></TD>
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<TD><SMALL>20.03.1999</SMALL></TD>
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<P><B><A NAME="S291">|291|</A></B> Strau&szlig;, Bauer, Stirner, Feuerbach, das waren die Ausl&auml;ufer der Hegelschen Philosophie, soweit sie den philosophischen Boden nicht verlie&szlig;en. Strau&szlig; hat, nach dem "Leben Jesu" und der "Dogmatik", nur noch philosophische und kirchengeschichtliche Belletristik &agrave; la Renan getrieben; Bauer hat nur auf dem Gebiet der Entstehungsgeschichte des Christentums etwas geleistet, aber hier auch Bedeutendes; Stirner blieb ein Kuriosum, selbst nachdem Bakunin ihn mit Proudhon verquickt und diese Verquickung "Anarchismus" getauft hatte; Feuerbach allein war bedeutend als Philosoph. Aber nicht nur blieb die Philosophie, die angeblich &uuml;ber allen besondern Wissenschaften schwebende, sie zusammenfassende Wissenschaftswissenschaft, f&uuml;r ihn eine un&uuml;berschreitbare Schranke, ein unantastbar Heiliges; er blieb auch als Philosoph auf halbem Wege stehen, war unten Materialist, oben Idealist; er wurde mit Hegel nicht kritisch fertig, sondern warf ihn als unbrauchbar einfach beiseite, w&auml;hrend er selbst, gegen&uuml;ber dem enzyklop&auml;dischen Reichtum des Hegelschen Systems, nichts Positives fertigbrachte als eine schw&uuml;lstige Liebesreligion und eine magere, ohnm&auml;chtige Moral.</P>
<P>Aus der Aufl&ouml;sung der Hegelschen Schule ging aber noch eine andere Richtung hervor, die einzige, die wirklich Fr&uuml;chte getragen hat, und diese Richtung kn&uuml;pft sich wesentlich an den Namen Marx <A NAME="ZF1"><A HREF="me21_291.htm#F1"><SMALL><SUP>(1)</SUP></SMALL></A></A>.</P>
<P><B><A NAME="S292">|292|</A></B> Die Trennung von der Hegelschen Philosophie erfolgte auch hier durch die R&uuml;ckkehr zum materialistischen Standpunkt. Das hei&szlig;t, man entschlo&szlig; sich, die wirkliche Welt - Natur und Geschichte - so aufzufassen, wie sie sich selbst einem jeden gibt, der ohne vorgefa&szlig;te idealistische Schrullen an sie herantritt; man entschlo&szlig; sich, jede idealistische Schrulle unbarmherzig zum Opfer zu bringen, die sich mit den in ihrem eignen Zusammenhang, und in keinem phantastischen, aufgefa&szlig;ten Tatsachen nicht in Einklang bringen lie&szlig;. Und weiter hei&szlig;t Materialismus &uuml;berhaupt nichts. Nur da&szlig; hier zum erstenmal mit der materialistischen Weltanschauung wirklich Ernst gemacht, da&szlig; sie auf allen in Frage kommenden Gebieten des Wissens - wenigstens in den Grundz&uuml;gen - konsequent durchgef&uuml;hrt wurde.</P>
<P>Hegel wurde nicht einfach abseits gelegt; man kn&uuml;pfte im Gegenteil an an seine oben entwickelte revolution&auml;re Seite, an die dialektische Methode. Aber diese Methode war in ihrer Hegelschen Form unbrauchbar. Bei Hegel ist die Dialektik die Selbstentwicklung des Begriffs. Der absolute Begriff ist nicht nur von Ewigkeit - unbekannt wo? - vorhanden, er ist auch die eigentliche lebendige Seele der ganzen bestehenden Welt. Er entwickelt sich zu sich selbst durch alle die Vorstufen, die in der "Logik" des breiteren abgehandelt und die alle in ihm eingeschlossen sind; dann "ent&auml;u&szlig;ert" er sich, indem er sich in die Natur verwandelt, wo er ohne Bewu&szlig;tsein seiner selbst, verkleidet als Naturnotwendigkeit eine neue Entwicklung durchmacht und zuletzt im Menschen wieder zum Selbstbewu&szlig;tsein kommt; dies Selbstbewu&szlig;tsein arbeitet sich nun in der Geschichte wieder aus dem Rohen heraus, bis endlich der absolute Begriff wieder vollst&auml;ndig zu sich selbst kommt in der Hegelschen Philosophie. Bei Hegel ist also die in der Natur und Geschichte zutage tretende dialektische Entwicklung, d.h. der urs&auml;chliche Zusammenhang des, durch alle Zickzackbewegungen und momentanen R&uuml;ckschritte hindurch, sich durchsetzenden Fortschreitens vom Niedern zum H&ouml;hern, nur der Abklatsch der von Ewigkeit her, man wei&szlig; nicht wo, aber jedenfalls unabh&auml;ngig von jedem denkenden Menschenhirn vor sich gehenden Selbstbewegung des Begriffs. Diese ideologische Verkehrung galt es zu beseitigen. Wir fa&szlig;ten die Begriffe unsres Kopfs wieder <A NAME="S293"></A><B>|293|</B> materialistisch als die Abbilder der wirklichen Dinge, statt die wirklichen Dinge als Abbilder dieser oder jener Stufe des absoluten Begriffs. Damit reduzierte sich die Dialektik auf die Wissenschaft von den allgemeinen Gesetzen der Bewegung, sowohl der &auml;u&szlig;ern Welt wie des menschlichen Denkens - zwei Reihen von Gesetzen, die der Sache nach identisch, dem Ausdruck nach aber insofern verschieden sind, als der menschliche Kopf sie mit Bewu&szlig;tsein anwenden kann, w&auml;hrend sie in der Natur und bis jetzt auch gro&szlig;enteils in der Menschengeschichte sich in unbewu&szlig;ter Weise, in der Form der &auml;u&szlig;ern Notwendigkeit, inmitten einer endlosen Reihe scheinbarer Zuf&auml;lligkeiten durchsetzen. Damit aber wurde die Begriffsdialektik selbst nur der bewu&szlig;te Reflex der dialektischen Bewegung der wirklichen Welt, und damit wurde die Hegelsche Dialektik auf den Kopf, oder vielmehr vom Kopf, auf dem sie stand, wieder auf die F&uuml;&szlig;e gestellt. Und diese materialistische Dialektik, die seit Jahren unser bestes Arbeitsmittel und unsere sch&auml;rfste Waffe war, wurde merkw&uuml;rdigerweise nicht nur von uns, sondern au&szlig;erdem noch, unabh&auml;ngig von uns und selbst von Hegel, wieder entdeckt von einem deutschen Arbeiter, Josef Dietzgen <A NAME="ZF2"><A HREF="me21_291.htm#F2"><SMALL><SUP>(2)</SUP></SMALL></A></A>.</P>
<P>Hiermit war aber die revolution&auml;re Seite der Hegelschen Philosophie wieder aufgenommen und gleichzeitig von den idealistischen Verbr&auml;mungen befreit, die bei Hegel ihre konsequente Durchf&uuml;hrung verhindert hatten. Der gro&szlig;e Grundgedanke, da&szlig; die Welt nicht als ein Komplex von fertigen Dingen zu fassen ist, sondern als ein Komplex von <I>Prozessen</I>, worin die scheinbar stabilen Dinge nicht minder wie ihre Gedankenabbilder in unserm Kopf, die Begriffe, eine ununterbrochene Ver&auml;nderung des Werdens und Vergehens durchmachen, in der bei aller scheinbaren Zuf&auml;lligkeit und trotz aller momentanen R&uuml;ckl&auml;ufigkeit schlie&szlig;lich eine fortschreitende Entwicklung sich durchsetzt - dieser gro&szlig;e Grundgedanke ist, namentlich seit Hegel, so sehr in das gew&ouml;hnliche Bewu&szlig;tsein &uuml;bergegangen, da&szlig; er in dieser Allgemeinheit wohl kaum noch Widerspruch findet. Aber ihn in der Phrase anerkennen und ihn in der Wirklichkeit im einzelnen auf jedem zur Untersuchung kommenden Gebiet durchf&uuml;hren, ist zweierlei. Geht man aber bei der Untersuchung stets von diesem Gesichtspunkt aus, so h&ouml;rt die Forderung endg&uuml;ltiger L&ouml;sungen und ewiger Wahrheiten ein f&uuml;r allemal auf; man ist sich der notwendigen Beschr&auml;nktheit aller gewonnenen Erkenntnis stets bewu&szlig;t, ihrer Bedingtheit durch die Umst&auml;nde, unter denen sie gewonnen wurde; aber man l&auml;&szlig;t sich auch nicht mehr imponieren durch die der noch stets landl&auml;ufigen alten Metaphysik un&uuml;berwindlichen Gegen- <A NAME="S294"></A><B>|294|</B> s&auml;tze von Wahr und Falsch, Gut und Schlecht, Identisch und Verschieden, Notwendig und Zuf&auml;llig; man wei&szlig;, da&szlig; diese Gegens&auml;tze nur relative G&uuml;ltigkeit haben, da&szlig; das jetzt f&uuml;r wahr Erkannte seine verborgene, sp&auml;ter hervortretende falsche Seite ebensogut hat wie das jetzt als falsch Erkannte seine wahre Seite, kraft deren es fr&uuml;her f&uuml;r wahr gelten konnte; da&szlig; das behauptete Notwendige sich aus lauter Zuf&auml;lligkeiten zusammensetzt und das angeblich Zuf&auml;llige die Form ist, hinter der die Notwendigkeit sich birgt - und so weiter.</P>
<P>Die alte Untersuchungs- und Denkmethode, die Hegel die "metaphysische" nennt, die sich vorzugsweise mit Untersuchung der Dinge als gegebener fester Best&auml;nde besch&auml;ftigte und deren Reste noch stark in den K&ouml;pfen spuken, hatte ihrerzeit eine gro&szlig;e geschichtliche Berechtigung. Die Dinge mu&szlig;ten erst untersucht werden, ehe die Prozesse untersucht werden konnten. Man mu&szlig;te erst wissen, was ein beliebiges Ding war, ehe man die an ihm vorgehenden Ver&auml;nderungen wahrnehmen konnte. Und so war es in der Naturwissenschaft. Die alte Metaphysik, die die Dinge als fertige hinnahm, entstand aus einer Naturwissenschaft, die die toten und lebendigen Dinge als fertige untersuchte. Als aber diese Untersuchung so weit gediehen war, da&szlig; der entscheidende Fortschritt m&ouml;glich wurde, der &Uuml;bergang zur systematischen Untersuchung der mit diesen Dingen in der Natur selbst vorgehenden Ver&auml;nderungen, da schlug auch auf philosophischem Gebiet die Sterbestunde der alten Metaphysik. Und in der Tat, wenn die Naturwissenschaft bis Ende des letzten Jahrhunderts vorwiegend <I>sammelnde </I>Wissenschaft, Wissenschaft von fertigen Dingen war, so ist sie in unserm Jahrhundert wesentlich <I>ordnende</I> Wissenschaft, Wissenschaft von den Vorg&auml;ngen, vom Ursprung und der Entwicklung dieser Dinge und vom Zusammenhang, der diese Naturvorg&auml;nge zu einem gro&szlig;en Ganzen verkn&uuml;pft. Die Physiologie, die die Vorg&auml;nge im pflanzlichen und tierischen Organismus untersucht, die Embryologie, die die Entwicklung des einzelnen Organismus vom Keim bis zur Reife behandelt, die Geologie, die die allm&auml;hliche Bildung der Erdoberfl&auml;che verfolgt, sie alle sind Kinder unseres Jahrhunderts.</P>
<P>Vor allem sind es aber drei gro&szlig;e Entdeckungen, die unsere Kenntnis vom Zusammenhang der Naturprozesse mit Riesenschritten vorangetrieben haben: Erstens die Entdeckung der Zelle als der Einheit, aus deren Vervielf&auml;ltigung und Differenzierung der ganze pflanzliche und tierische K&ouml;rper sich entwickelt, so da&szlig; nicht nur die Entwicklung und das Wachstum aller h&ouml;heren Organismen als nach einem einzigen allgemeinen Gesetz vor sich gehend erkannt, sondern auch in der Ver&auml;nderungsf&auml;higkeit der Zelle der <A NAME="S295"></A><B>|295|</B> Weg gezeigt ist, auf dem Organismen ihre Art ver&auml;ndern und damit eine mehr als individuelle Entwicklung durchmachen k&ouml;nnen. - Zweitens die Verwandlung der Energie, die uns alle zun&auml;chst in der anorganischen Natur wirksamen sogenannten Kr&auml;fte, die mechanische Kraft und ihre Erg&auml;nzung, die sogenannte potentielle Energie, W&auml;rme, Strahlung (Licht, resp. strahlende W&auml;rme), Elektrizit&auml;t, Magnetismus, chemische Energie, als verschiedene Erscheinungsformen der universellen Bewegung nachgewiesen hat, die in bestimmten Ma&szlig;verh&auml;ltnissen die eine in die andere &uuml;bergehn, so da&szlig; f&uuml;r die Menge der einen, die verschwindet, eine bestimmte Menge einer andern wiedererscheint und so da&szlig; die ganze Bewegung der Natur sich auf diesen unaufh&ouml;rlichen Proze&szlig; der Verwandlung aus einer Form in die andre reduziert. - Endlich der zuerst von Darwin im Zusammenhang entwickelte Nachweis, da&szlig; der heute uns umgebende Bestand organischer Naturprodukte, die Menschen eingeschlossen, das Erzeugnis eines langen Entwicklungsprozesses aus wenigen urspr&uuml;nglich einzelligen Keimen ist und diese wieder aus, auf chemischem Weg entstandenem, Protoplasma oder Eiwei&szlig; hervorgegangen sind.</P>
<P>Dank diesen drei gro&szlig;en Entdeckungen und den &uuml;brigen gewaltigen Fortschritten der Naturwissenschaft sind wir jetzt so weit, den Zusammenhang zwischen den Vorg&auml;ngen in der Natur nicht nur auf den einzelnen Gebieten, sondern auch den der einzelnen Gebiete unter sich im ganzen und gro&szlig;en nachweisen und so ein &uuml;bersichtliches Bild des Naturzusammenhangs in ann&auml;hernd systematischer Form, vermittelst der durch die empirische Naturwissenschaft selbst gelieferten Tatsachen darstellen zu k&ouml;nnen. Dies Gesamtbild zu liefern, war fr&uuml;her die Aufgabe der sogenannten Naturphilosophie. Sie konnte dies nur, indem sie die noch unbekannten wirklichen Zusammenh&auml;nge durch ideelle, phantastische ersetzte, die fehlenden Tatsachen durch Gedankenbilder erg&auml;nzte, die wirklichen L&uuml;cken in der blo&szlig;en Einbildung ausf&uuml;llte. Sie hat bei diesem Verfahren manche geniale Gedanken gehabt, manche sp&auml;tern Entdeckungen vorausgeahnt, aber auch betr&auml;chtlichen Unsinn zutage gef&ouml;rdert, wie das nicht anders m&ouml;glich war. Heute, wo man die Resultate der Naturforschung nur dialektisch, d.h. im Sinn ihres eignen Zusammenhangs aufzufassen braucht, um zu einem f&uuml;r unsere Zeit gen&uuml;genden "System der Natur" zu kommen, wo der dialektische Charakter dieses Zusammenhangs sich sogar den metaphysisch geschulten K&ouml;pfen der Naturforscher gegen ihren Willen aufzwingt, heute ist die Naturphilosophie endg&uuml;ltig beseitigt. Jeder Versuch ihrer Wiederbelebung w&auml;re nicht nur &uuml;berfl&uuml;ssig, <I>er w&auml;re ein R&uuml;ckschritt</I>.</P>
<P>Was aber von der Natur gilt, die hiermit auch als ein geschichtlicher <A NAME="S296"></A><B>|296|</B> Entwicklungsproze&szlig; erkannt ist, das gilt auch von der Geschichte der Gesellschaft in allen ihren Zweigen und von der Gesamtheit aller der Wissenschaften, die sich mit menschlichen (und g&ouml;ttlichen) Dingen besch&auml;ftigen. Auch hier hat die Philosophie der Geschichte, des Rechts, der Religion usw. darin bestanden, da&szlig; an die Stelle des in den Ereignissen nachzuweisenden wirklichen Zusammenhangs ein im Kopf des Philosophen gemachter gesetzt wurde, da&szlig; die Geschichte im ganzen wie in ihren einzelnen Teilst&uuml;cken gefa&szlig;t wurde als die allm&auml;hliche Verwirklichung von Ideen, und zwar nat&uuml;rlich immer nur der Lieblingsideen des Philosophen selbst. Die Geschichte arbeitete hiernach unbewu&szlig;t, aber mit Notwendigkeit, auf ein gewisses, von vornherein feststehendes ideelles Ziel los, wie z.B. bei Hegel auf die Verwirklichung seiner absoluten Idee, und die unverr&uuml;ckbare Richtung auf diese absolute Idee bildete den Innern Zusammenhang in den geschichtlichen Ereignissen. An die Stelle des wirklichen, noch unbekannten Zusammenhangs setzte man somit eine neue - unbewu&szlig;te oder allm&auml;hlich zum Bewu&szlig;tsein kommende - mysteri&ouml;se Vorsehung. Hier galt es also, ganz wie auf dem Gebiet der Natur, diese gemachten k&uuml;nstlichen Zusammenh&auml;nge zu beseitigen durch die Auffindung der wirklichen; eine Aufgabe, die schlie&szlig;lich darauf hinausl&auml;uft, die allgemeinen Bewegungsgesetze zu entdecken, die sich in der Geschichte der menschlichen Gesellschaft als herrschende durchsetzen.</P>
<P>Nun aber erweist sich die Entwicklungsgeschichte der Gesellschaft in einem Punkt als wesentlich verschiedenartig von der der Natur. In der Natur sind es - soweit wir die R&uuml;ckwirkung der Menschen auf die Natur au&szlig;er acht lassen - lauter bewu&szlig;tlose blinde Agenzien, die aufeinander einwirken und in deren Wechselspiel das allgemeine Gesetz zur Geltung kommt. Von allem, was geschieht - weder von den zahllosen scheinbaren Zuf&auml;lligkeiten, die auf der Oberfl&auml;che sichtbar werden, noch von den schlie&szlig;lichen, die Gesetzm&auml;&szlig;igkeit innerhalb dieser Zuf&auml;lligkeiten bew&auml;hrenden Resultaten -, geschieht nichts als gewollter bewu&szlig;ter Zweck. Dagegen in der Geschichte der Gesellschaft sind die Handelnden lauter mit Bewu&szlig;tsein begabte, mit &Uuml;berlegung oder Leidenschaft handelnde, auf bestimmte Zwecke hinarbeitende Menschen; nichts geschieht ohne bewu&szlig;te Absicht, ohne gewolltes Ziel. Aber dieser Unterschied, so wichtig er f&uuml;r die geschichtliche Untersuchung namentlich einzelner Epochen und Begebenheiten ist, kann nichts &auml;ndern an der Tatsache, da&szlig; der Lauf der Geschichte durch innere allgemeine Gesetze beherrscht wird. Denn auch hier herrscht auf der Oberfl&auml;che, trotz der bewu&szlig;t gewollten Ziele aller einzelnen, im ganzen und gro&szlig;en scheinbar der Zufall. Nur selten geschieht das Gewollte, in den <A NAME="S297"></A><B>|297|</B> meisten F&auml;llen durchkreuzen und widerstreiten sich die vielen gewollten Zwecke oder sind diese Zwecke selbst von vornherein undurchf&uuml;hrbar oder die Mittel unzureichend. So f&uuml;hren die Zusammenst&ouml;&szlig;e der zahllosen Einzelwillen und Einzelhandlungen auf geschichtlichem Gebiet einen Zustand herbei, der ganz dem in der bewu&szlig;tlosen Natur herrschenden analog ist. Die Zwecke der Handlungen sind gewollt, aber die Resultate, die wirklich aus den Handlungen folgen, sind nicht gewollt, oder soweit sie dem gewollten Zweck zun&auml;chst doch zu entsprechen scheinen, haben sie schlie&szlig;lich ganz andre als die gewollten Folgen. Die geschichtlichen Ereignisse erscheinen so im ganzen und gro&szlig;en ebenfalls als von der Zuf&auml;lligkeit beherrscht. Wo aber auf der Oberfl&auml;che der Zufall sein Spiel treibt, da wird er stets durch innre verborgne Gesetze beherrscht, und es kommt nur darauf an, diese Gesetze zu entdecken.</P>
<P>Die Menschen machen ihre Geschichte, wie diese auch immer ausfalle, indem jeder seine eignen, bewu&szlig;t gewollten Zwecke verfolgt, und die Resultante dieser vielen in verschiedenen Richtungen agierenden Willen und ihrer mannigfachen Einwirkung auf die Au&szlig;enwelt ist eben die Geschichte. Es kommt also auch darauf an, was die vielen einzelnen wollen. Der Wille wird bestimmt durch Leidenschaft oder &Uuml;berlegung. Aber die Hebel, die wieder die Leidenschaft oder die &Uuml;berlegung unmittelbar bestimmen, sind sehr verschiedener Art. Teils k&ouml;nnen es &auml;u&szlig;ere Gegenst&auml;nde sein, teils ideelle Beweggr&uuml;nde, Ehrgeiz, "Begeisterung f&uuml;r Wahrheit und Recht", pers&ouml;nlicher Ha&szlig; oder auch rein individuelle Schrullen aller Art. Aber einerseits haben wir gesehn, da&szlig; die in der Geschichte t&auml;tigen vielen Einzelwillen meist ganz andre als die gewollten - oft geradezu die entgegengesetzten - Resultate hervorbringen, ihre Beweggr&uuml;nde also ebenfalls f&uuml;r das Gesamtergebnis nur von untergeordneter Bedeutung sind. Andrerseits fragt es sich weiter, welche treibenden Kr&auml;fte wieder hinter diesen Beweggr&uuml;nden stehn, welche geschichtlichen Ursachen es sind, die sich in den K&ouml;pfen der Handelnden zu solchen Beweggr&uuml;nden umformen?</P>
<P>Diese Frage hat sich der alte Materialismus nie vorgelegt. Seine Geschichtsauffassung, soweit er &uuml;berhaupt eine hat, ist daher auch wesentlich pragmatisch, beurteilt alles nach den Motiven der Handlung, teilt die geschichtlich handelnden Menschen in edle und unedle und findet dann in der Regel, da&szlig; die edlen die Geprellten und die unedlen die Sieger sind, woraus dann folgt f&uuml;r den alten Materialismus, da&szlig; beim Geschichtsstudium nicht viel Erbauliches herauskommt, und f&uuml;r uns, da&szlig; auf dem geschichtlichen Gebiet der alte Materialismus sich selbst untreu wird, weil er die dort wirksamen ideellen Triebkr&auml;fte als letzte Ursachen hinnimmt, statt zu unter- <A NAME="S298"></A><B>|298|</B> suchen, was denn hinter ihnen steht, was die Triebkr&auml;fte dieser Triebkr&auml;fte sind. Nicht darin liegt die Inkonsequenz, da&szlig; <I>ideelle</I> Triebkr&auml;fte anerkannt werden, sondern darin, da&szlig; von diesen nicht weiter zur&uuml;ckgegangen wird auf ihre bewegenden Ursachen. Die Geschichtsphilosophie dagegen, wie sie namentlich durch Hegel vertreten wird, erkennt an, da&szlig; die ostensiblen und auch die wirklich t&auml;tigen Beweggr&uuml;nde der geschichtlich handelnden Menschen keineswegs die letzten Ursachen der geschichtlichen Ereignisse sind, da&szlig; hinter diesen Beweggr&uuml;nden andere bewegende M&auml;chte stehn, die es zu erforschen gilt; aber sie sucht diese M&auml;chte nicht in der Geschichte selbst auf, sie importiert sie vielmehr von au&szlig;en, aus der philosophischen Ideologie, in die Geschichte hinein. Statt die Geschichte des alten Griechenlands aus ihrem eignen, innern Zusammenhang zu erkl&auml;ren, behauptet Hegel z.B. einfach, sie sei weiter nichts als die Herausarbeitung der "Gestaltungen der sch&ouml;nen Individualit&auml;t", die Realisation des " Kunstwerks" als solches. Er sagt viel Sch&ouml;nes und Tiefes bei dieser Gelegenheit &uuml;ber die alten Griechen, aber das hindert nicht, da&szlig; wir uns heute nicht mehr abspeisen lassen mit einer solchen Erkl&auml;rung, die eine blo&szlig;e Redensart ist.</P>
<P>Wenn es also darauf ankommt, die treibenden M&auml;chte zu erforschen, die - bewu&szlig;t oder unbewu&szlig;t, und zwar sehr h&auml;ufig unbewu&szlig;t - hinter den Beweggr&uuml;nden der geschichtlich handelnden Menschen stehn und die eigentlichen letzten Triebkr&auml;fte der Geschichte ausmachen, so kann es sich nicht so sehr um die Beweggr&uuml;nde bei einzelnen, wenn auch noch so hervorragenden Menschen handeln, als um diejenigen, welche gro&szlig;e Massen, ganze V&ouml;lker und in jedem Volk wieder ganze Volksklassen in Bewegung setzen; und auch dies nicht momentan zu einem vor&uuml;bergehenden Aufschnellen und rasch verlodernden Strohfeuer, sondern zu dauernder, in einer gro&szlig;en geschichtlichen Ver&auml;nderung auslaufender Aktion. Die treibenden Ursachen zu ergr&uuml;nden, die sich hier in den K&ouml;pfen der handelnden Massen und ihrer F&uuml;hrer - der sogenannten gro&szlig;en M&auml;nner - als bewu&szlig;te Beweggr&uuml;nde klar oder unklar, unmittelbar oder in ideologischer, selbst in verhimmelter Form widerspiegeln - das ist der einzige Weg, der uns auf die Spur der die Geschichte im ganzen und gro&szlig;en wie m den einzelnen Perioden und L&auml;ndern beherrschenden Gesetze f&uuml;hren kann. Alles, was die Menschen in Bewegung setzt, mu&szlig; durch ihren Kopf hindurch; aber welche Gestalt es in diesem Kopf annimmt, h&auml;ngt sehr von den Umst&auml;nden ab. Die Arbeiter haben sich keineswegs mit dem kapitalistischen Maschinenbetrieb vers&ouml;hnt, seitdem sie die Maschinen nicht mehr, wie noch 1848 am Rhein, einfach in St&uuml;cke schlagen.</P>
<P>W&auml;hrend aber in allen fr&uuml;heren Perioden die Erforschung dieser trei- <A NAME="S299"></A><B>|299|</B> benden Ursachen der Geschichte fast unm&ouml;glich war - wegen der verwickelten und verdeckten Zusammenh&auml;nge mit ihren Wirkungen -, hat unsre gegenw&auml;rtige Periode diese Zusammenh&auml;nge so weit vereinfacht, da&szlig; das R&auml;tsel gel&ouml;st werden konnte. Seit der Durchf&uuml;hrung der gro&szlig;en Industrie, also mindestens seit dem europ&auml;ischen Frieden von 1815, war es keinem Menschen in England ein Geheimnis mehr, da&szlig; dort der ganze politische Kampf sich drehte um die Herrschaftsanspr&uuml;che zweier Klassen, der grundbesitzenden Aristokratie (landed aristocracy) und der Bourgeoisie (middle class). In Frankreich kam mit der R&uuml;ckkehr der Bourbonen dieselbe Tatsache zum Bewu&szlig;tsein; die Geschichtsschreiber der Restaurationszeit von Thierry bis Guizot, Mignet und Thiers sprechen sie &uuml;berall aus als den Schl&uuml;ssel zum Verst&auml;ndnis der franz&ouml;sischen Geschichte seit dem Mittelalter. Und seit 1830 wurde als dritter K&auml;mpfer um die Herrschaft in beiden L&auml;ndern die Arbeiterklasse, das Proletariat, anerkannt. Die Verh&auml;ltnisse hatten sich so vereinfacht, da&szlig; man die Augen absichtlich verschlie&szlig;en mu&szlig;te, um nicht im Kampf dieser drei gro&szlig;en Klassen und im Widerstreit ihrer Interessen die treibende Kraft der modernen Geschichte zu sehn - wenigstens in den beiden fortgeschrittensten L&auml;ndern.</P>
<P>Wie aber waren diese Klassen entstanden? Konnte man auf den ersten Blick dem gro&szlig;en, ehmals feudalen Grundbesitz noch einen Ursprung aus - wenigstens zun&auml;chst - politischen Ursachen, aus gewaltsamer Besitzergreifung zuschreiben, so ging das bei der Bourgeoisie und dem Proletariat nicht mehr an. Hier lag der Ursprung und die Entwicklung zweier gro&szlig;er Klassen aus rein &ouml;konomischen Ursachen klar und handgreiflich zutage. Und ebenso klar war es, da&szlig; in dem Kampf zwischen Grundbesitz und Bourgeoisie, nicht minder als in dem zwischen Bourgeoisie und Proletariat, es sich in erster Linie um &ouml;konomische Interessen handelte, zu deren Durchf&uuml;hrung die politische Macht als blo&szlig;es Mittel dienen sollte. Bourgeoisie und Proletariat waren beide entstanden infolge einer Ver&auml;nderung der &ouml;konomischen Verh&auml;ltnisse, genauer gesprochen der Produktionsweise. Der &Uuml;bergang zuerst vom z&uuml;nftigen Handwerk zur Manufaktur, dann von der Manufaktur zur gro&szlig;en Industrie mit Dampf- und Maschinenbetrieb, hatte diese beiden Klassen entwickelt. Auf einer gewissen Stufe wurden die von der Bourgeoisie in Bewegung gesetzten neuen Produktionskr&auml;fte - zun&auml;chst die Teilung der Arbeit und die Vereinigung vieler Teilarbeiter in einer Gesamtmanufaktur - und die durch sie entwickelten Austauschbedingungen und Austauschbed&uuml;rfnisse unvertr&auml;glich mit der bestehenden, geschichtlich &uuml;berlieferten und durch Gesetz geheiligten Produktionsordnung, d.h. den z&uuml;nftigen und den zahllosen andern pers&ouml;nlichen und lokalen Privi- <A NAME="S300"></A><B>|300|</B> legien (die f&uuml;r die nichtprivilegierten St&auml;nde ebenso viele Fesseln waren) der feudalen Gesellschaftsverfassung. Die Produktionskr&auml;fte, vertreten durch die Bourgeoisie, rebellierten gegen die Produktionsordnung, vertreten durch die feudalen Grundbesitzer und die Zunftmeister; das Ergebnis ist bekannt, die feudalen Fesseln wurden zerschlagen, in England allm&auml;hlich, in Frankreich mit einem Schlag, in Deutschland ist man noch nicht damit fertig. Wie aber die Manufaktur auf einer bestimmten Entwicklungsstufe in Konflikt kam mit der feudalen, so ist jetzt schon die gro&szlig;e Industrie in Konflikt geraten mit der an ihre Stelle gesetzten b&uuml;rgerlichen Produktionsordnung. Gebunden durch diese Ordnung, durch die engen Schranken der kapitalistischen Produktionsweise, produziert sie einerseits eine sich immer steigernde Proletarisierung der gesamten gro&szlig;en Volksmasse, andrerseits eine immer gr&ouml;&szlig;ere Masse unabsetzbarer Produkte. &Uuml;berproduktion und Massenelend, jedes die Ursache des andern, das ist der absurde Widerspruch, worin sie ausl&auml;uft und der eine Entfesselung der Produktivkr&auml;fte durch &Auml;nderung der Produktionsweise mit Notwendigkeit fordert.</P>
<P>In der modernen Geschichte wenigstens ist also bewiesen, da&szlig; alle politischen K&auml;mpfe Klassenk&auml;mpfe, und alle Emanzipationsk&auml;mpfe von Klassen, trotz ihrer notwendig politischen Form - denn jeder Klassenkampf ist ein politischer Kampf - sich schlie&szlig;lich um <I>&ouml;konomische</I> Emanzipation drehen. Hier wenigstens ist also der Staat, die politische Ordnung, das Untergeordnete, die b&uuml;rgerliche Gesellschaft, das Reich der &ouml;konomischen Beziehungen, das entscheidende Element. Die althergebrachte Anschauung, der auch Hegel huldigt, sah im Staat das bestimmende, in der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft das durch ihn bestimmte Element. Der Schein entspricht dem. Wie beim einzelnen Menschen alle Triebkr&auml;fte seiner Handlungen durch seinen Kopf hindurchgehn, sich in Beweggr&uuml;nde seines Willens verwandeln m&uuml;ssen, um ihn zum Handeln zu bringen, so m&uuml;ssen auch alle Bed&uuml;rfnisse der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft - gleichviel, welche Klasse grade herrscht - durch den Staatswillen hindurchgehn, um allgemeine Geltung in Form von Gesetzen zu erhalten. Das ist die formelle Seite der Sache, die sich von selbst versteht; es fragt sich nur, welchen Inhalt dieser nur formelle Wille - des einzelnen wie des Staats - hat, und woher dieser Inhalt kommt, warum gerade dies und nichts andres gewollt wird. Und wenn wir hiernach fragen, so finden wir, da&szlig; in der modernen Geschichte der Staatswille im ganzen und gro&szlig;en bestimmt wird durch die wechselnden Bed&uuml;rfnisse der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft, durch die &Uuml;bermacht dieser oder jener Klasse, in letzter Instanz durch die Entwicklung der Produktivkr&auml;fte und der Austauschverh&auml;ltnisse.</P>
<P><B><A NAME="S301">|301|</A></B> Wenn aber schon in unsrer modernen Zeit mit ihren riesigen Produktions- und Verkehrsmitteln der Staat nicht ein selbst&auml;ndiges Gebiet mit selbst&auml;ndiger Entwicklung ist, sondern sein Bestand wie seine Entwicklung in letzter Instanz zu erkl&auml;ren ist aus den &ouml;konomischen Lebensbedingungen der Gesellschaft, so mu&szlig; dies noch viel mehr gelten f&uuml;r alle fr&uuml;heren Zeiten , wo die Produktion des materiellen Lebens der Menschen noch nicht mit diesen reichen H&uuml;lfsmitteln betrieben wurde, wo also die Notwendigkeit dieser Produktion eine noch gr&ouml;&szlig;ere Herrschaft &uuml;ber die Menschen aus&uuml;ben mu&szlig;te. Ist der Staat noch heute, zur Zeit der gro&szlig;en Industrie und der Eisenbahnen, im ganzen und gro&szlig;en nur der Reflex, in zusammenfassender Form, der &ouml;konomischen Bed&uuml;rfnisse der die Produktion beherrschenden Klasse, so mu&szlig;te er dies noch viel mehr sein zu einer Epoche, wo eine Menschengeneration einen weit gr&ouml;&szlig;eren Teil ihrer Gesamtlebenszeit auf die Befriedigung ihrer materiellen Bed&uuml;rfnisse verwenden mu&szlig;te, also weit abh&auml;ngiger von ihnen war, als wir heute sind. Die Untersuchung der Geschichte fr&uuml;herer Epochen, sobald sie ernstlich auf diese Seite eingeht, best&auml;tigt dies im reichlichsten Ma&szlig;e; hier kann dies aber selbstredend nicht verhandelt werden.</P>
<P>Wird der Staat und das Staatsrecht durch die &ouml;konomischen Verh&auml;ltnisse bestimmt, so selbstverst&auml;ndlich auch das Privatrecht, das ja wesentlich nur die bestehenden, unter den gegebnen Umst&auml;nden normalen &ouml;konomischen Beziehungen zwischen den einzelnen sanktioniert. Die Form, in der dies geschieht, kann aber sehr verschieden sein. Man kann, wie in England im Einklang mit der ganzen nationalen Entwicklung geschah, die Formen des alten feudalen Rechts gro&szlig;enteils beibehalten und ihnen einen b&uuml;rgerlichen Inhalt geben, ja, dem feudalen Namen direkt einen b&uuml;rgerlichen Sinn unterschieben; man kann aber auch, wie im kontinentalen Westeuropa, das erste Weltrecht einer Waren produzierenden Gesellschaft, das r&ouml;mische, mit seiner un&uuml;bertrefflich scharfen Ausarbeitung aller wesentlichen Rechtsbeziehungen einfacher Warenbesitzer (K&auml;ufer und Verk&auml;ufer, Gl&auml;ubiger und Schuldner, Vertrag, Obligation usw.) zugrunde legen. Wobei man es zu Nutz und Frommen einer noch kleinb&uuml;rgerlichen und halbfeudalen Gesellschaft entweder einfach durch die gerichtliche Praxis auf den Stand dieser Gesellschaft herunterbringen kann (gemeines Recht), oder aber mit H&uuml;lfe angeblich aufgekl&auml;rter, moralisierender Juristen es in ein, diesem gesellschaftlichen Stand entsprechendes, apartes Gesetzbuch verarbeiten kann, welches unter diesen Umst&auml;nden auch juristisch schlecht sein wird (preu&szlig;isches Landrecht); wobei man aber auch, nach einer gro&szlig;en b&uuml;rgerlichen Revolution, auf Grundlage eben dieses r&ouml;mischen Rechtes, ein so klassisches <A NAME="S302"></A><B>|302|</B> Gesetzbuch der Bourgeoisgesellschaft herausarbeiten kann wie der franz&ouml;sische Code civil. Wenn also die b&uuml;rgerlichen Rechtsbestimmungen nur die &ouml;konomischen Lebensbedingungen der Gesellschaft in Rechtsform ausdr&uuml;cken, so kann dies je nach Umst&auml;nden gut oder schlecht geschehen.</P>
<P>Im Staate stellt sich uns die erste ideologische Macht &uuml;ber den Menschen dar. Die Gesellschaft schafft sich ein Organ zur Wahrung ihrer gemeinsamen Interessen gegen&uuml;ber inneren und &auml;u&szlig;eren Angriffen. Dies Organ ist die Staatsgewalt. Kaum entstanden, verselbst&auml;ndigt sich dies Organ gegen&uuml;ber der Gesellschaft, und zwar um so mehr, je mehr es Organ einer bestimmten Klasse wird, die Herrschaft dieser Klasse direkt zur Geltung bringt. Der Kampf der unterdr&uuml;ckten gegen die herrschende Klasse wird notwendig ein politischer, ein Kampf zun&auml;chst gegen die politische Herrschaft dieser Klasse; das Bewu&szlig;tsein des Zusammenhangs dieses politischen Kampfes mit seiner &ouml;konomischen Unterlage wird dumpfer und kann ganz verlorengehen. Wo dies auch nicht bei den Beteiligten vollst&auml;ndig der Fall ist, geschieht es fast immer bei den Geschichtschreibern. Von den alten Quellen &uuml;ber die K&auml;mpfe innerhalb der r&ouml;mischen Republik sagt uns nur Appian klar und deutlich, um was es sich schlie&szlig;lich handelte - n&auml;mlich um das Grundeigentum.</P>
<P>Der Staat aber, einmal eine selbst&auml;ndige Macht geworden gegen&uuml;ber der Gesellschaft, erzeugt alsbald eine weitere Ideologie. Bei den Politikern von Profession, bei den Theoretikern des Staatsrechts und den Juristen des Privatrechts n&auml;mlich geht der Zusammenhang mit den &ouml;konomischen Tatsachen erst recht verloren. Weil in jedem einzelnen Falle die &ouml;konomischen Tatsachen die Form juristischer Motive annehmen m&uuml;ssen, um in Gesetzesform sanktioniert zu werden, und weil dabei auch selbstverst&auml;ndlich R&uuml;cksicht zu nehmen ist auf das ganze schon geltende Rechtssystem, deswegen soll nun die juristische Form alles sein und der &ouml;konomische Inhalt nichts. Staatsrecht und Privatrecht werden als selbst&auml;ndige Gebiete behandelt, die ihre unabh&auml;ngige geschichtliche Entwicklung haben, die in sich selbst einer systematischen Darstellung f&auml;hig sind und ihrer bed&uuml;rfen durch konsequente Ausrottung aller inneren Widerspr&uuml;che.</P>
<P>Noch h&ouml;here, d.h. noch mehr von der materiellen, &ouml;konomischen Grundlage sich entfernende Ideologien nehmen die Form der Philosophie und der Religion an. Hier wird der Zusammenhang der Vorstellungen mit ihren materiellen Daseinsbedingungen immer verwickelter, immer mehr durch Zwischenglieder verdunkelt. Aber er existiert. Wie die ganze Renaissancezeit, seit Mitte des 15. Jahrhunderts, ein wesentliches Produkt der St&auml;dte, also des B&uuml;rgertums war, so auch die seitdem neuerwachte Philosophie; ihr <A NAME="S303"></A><B>|303|</B> Inhalt war wesentlich nur der philosophische Ausdruck der der Entwicklung des Klein- und Mittelb&uuml;rgertums zur gro&szlig;en Bourgeoisie entsprechenden Gedanken. Bei den Engl&auml;ndern und Franzosen des vorigen Jahrhunderts, die vielfach ebensowohl politische &Ouml;konomen wie Philosophen waren, tritt dies klar hervor, und bei der Hegelschen Schule haben wir es oben nachgewiesen.</P>
<P>Gehn wir indes nur noch kurz auf die Religion ein, weil diese dem materiellen Leben am fernsten steht und am fremdesten zu sein scheint. Die Religion ist entstanden zu einer sehr waldurspr&uuml;nglichen Zeit aus mi&szlig;verst&auml;ndlichen, waldurspr&uuml;nglichen Vorstellungen der Menschen &uuml;ber ihre eigne und die sie umgebende &auml;u&szlig;ere Natur. Jede Ideologie entwickelt sich aber, sobald sie einmal vorhanden, im Anschlu&szlig; an den gegebenen Vorstellungsstoff, bildet ihn weiter aus; sie w&auml;re sonst keine Ideologie, d.h. Besch&auml;ftigung mit Gedanken als mit selbst&auml;ndigen, sich unabh&auml;ngig entwickelnden, nur ihren eignen Gesetzen unterworfnen Wesenheiten. Da&szlig; die materiellen Lebensbedingungen der Menschen, in deren K&ouml;pfen dieser Gedankenproze&szlig; vor sich geht, den Verlauf dieses Prozesses schlie&szlig;lich bestimmen, bleibt diesen Menschen notwendig unbewu&szlig;t, denn sonst w&auml;re es mit der ganzen Ideologie am Ende. Diese urspr&uuml;nglichen religi&ouml;sen Vorstellungen also, die meist f&uuml;r jede verwandte V&ouml;lkergruppe gemeinsam sind, entwickeln sich, nach der Trennung der Gruppe, bei jedem Volk eigent&uuml;mlich, je nach den ihm beschiednen Lebensbedingungen, und dieser Proze&szlig; ist f&uuml;r eine Reihe von V&ouml;lkergruppen, namentlich f&uuml;r die arische (sog. indoeurop&auml;ische) im einzelnen nachgewiesen durch die vergleichende Mythologie. Die so bei jedem Volk herausgearbeiteten G&ouml;tter waren Nationalg&ouml;tter, deren Reich nicht weiter ging als das von ihnen zu sch&uuml;tzende nationale Gebiet, jenseits dessen Grenzen andre G&ouml;tter unbestritten das gro&szlig;e Wort f&uuml;hrten. Sie konnten nur in der Vorstellung fortleben, solange die Nation bestand; sie fielen mit deren Untergang. Diesen Untergang der alten Nationalit&auml;ten brachte das r&ouml;mische Weltreich, dessen &ouml;konomische Entstehungsbedingungen wir hier nicht zu untersuchen haben. Die alten Nationalg&ouml;tter kamen in Verfall, selbst die r&ouml;mischen, die eben auch nur auf den engen Kreis der Stadt Rom zugeschnitten waren; das Bed&uuml;rfnis, das Weltreich zu erg&auml;nzen durch eine Weltreligion, tritt klar hervor in den Versuchen, allen irgendwie respektablen fremden G&ouml;ttern neben den einheimischen in Rom Anerkennung und Alt&auml;re zu schaffen. Aber eine neue Weltreligion macht sich nicht in dieser Art durch kaiserliche Dekrete. Die neue Weltreligion, das Christentum, war im stillen bereits entstanden aus einer Mischung verallgemeinerter orientalischer, namentlich j&uuml;discher <A NAME="S304"></A><B>|304|</B> Theologie und vulgarisierter griechischer, namentlich stoischer Philosophie. Wie es urspr&uuml;nglich aussah, m&uuml;ssen wir erst wieder m&uuml;hsam erforschen, da seine uns &uuml;berlieferte offizielle Gestalt nur diejenige ist, in der es Staatsreligion und diesem Zweck durch das Nic&auml;nische Konzil angepa&szlig;t wurde. Genug, die Tatsache, da&szlig; es schon nach 250 Jahren Staatsreligion wurde, beweist, da&szlig; es die den Zeitumst&auml;nden entsprechende Religion war. Im Mittelalter bildete es sich genau im Ma&szlig;, wie der Feudalismus sich entwickelte, zu der diesem entsprechenden Religion aus, mit entsprechender feudaler Hierarchie. Und als das B&uuml;rgertum aufkam, entwickelte sich im Gegensatz zum feudalen Katholizismus die protestantische Ketzerei, zuerst in S&uuml;dfrankreich bei den Albigensern, zur Zeit der h&ouml;chsten Bl&uuml;te der dortigen St&auml;dte. Das Mittelalter hatte alle &uuml;brigen Formen der Ideologie: Philosophie, Politik, Jurisprudenz, an die Theologie annektiert, zu Unterabteilungen der Theologie gemacht. Es zwang damit jede gesellschaftliche und politische Bewegung, eine theologische Form anzunehmen; den ausschlie&szlig;lich mit Religion gef&uuml;tterten Gem&uuml;tern der Massen mu&szlig;ten ihre eignen Interessen in religi&ouml;ser Verkleidung vorgef&uuml;hrt werden, um einen gro&szlig;en Sturm zu erzeugen. Und wie das B&uuml;rgertum von Anfang an einen Anhang von besitzlosen, keinem anerkannten Stand angeh&ouml;rigen st&auml;dtischen Plebejern, Tagel&ouml;hnern und Dienstleuten aller Art erzeugte, Vorl&auml;ufern des sp&auml;tem Proletariats, so teilt sich auch die Ketzerei schon fr&uuml;h in eine b&uuml;rgerlich-gem&auml;&szlig;igte und eine plebejisch-revolution&auml;re, auch von den b&uuml;rgerlichen Ketzern verabscheute.</P>
<P>Die Unvertilgbarkeit der protestantischen Ketzerei entsprach der Unbesiegbarkeit des aufkommenden B&uuml;rgertums; als dies B&uuml;rgertum hinreichend erstarkt war, begann sein bisher vorwiegend lokaler Kampf mit dem Feudaladel nationale Dimensionen anzunehmen. Die erste gro&szlig;e Aktion fand in Deutschland statt - die sogenannte Reformation. Das B&uuml;rgertum war weder stark noch entwickelt genug, um die &uuml;brigen rebellischen St&auml;nde - die Plebejer der St&auml;dte, den niederen Adel und die Bauern auf dem Lande - unter seiner Fahne vereinigen zu k&ouml;nnen. Der Adel wurde zuerst geschlagen; die Bauern erhoben sich zu einem Aufstand, der den Gipfelpunkt dieser ganzen revolution&auml;ren Bewegung bildet; die St&auml;dte lie&szlig;en sie im Stich, und so erlag die Revolution den Heeren der Landesf&uuml;rsten, die den ganzen Gewinn einstrichen. Von da an verschwindet Deutschland auf drei Jahrhunderte aus der Reihe der selbst&auml;ndig in die Geschichte eingreifenden L&auml;nder. Aber neben dem Deutschen Luther hatte der Franzose Calvin gestanden; mit echt franz&ouml;sischer Sch&auml;rfe stellte er den b&uuml;rgerlichen Charakter der Reformation in den Vordergrund, republikanisierte und de- <A NAME="S305"></A><B>|305|</B> mokratisierte die Kirche. W&auml;hrend die lutherische Reformation in Deutschland versumpfte und Deutschland zugrunde richtete, diente die calvinische den Republikanern in Genf, in Holland, in Schottland als Fahne, machte Holland von Spanien und vom Deutschen Reiche frei und lieferte das ideologische Kost&uuml;m zum zweiten Akt der b&uuml;rgerlichen Revolution, der in England vor sich ging. Hier bew&auml;hrte sich der Calvinismus als die echte religi&ouml;se Verkleidung der Interessen des damaligen B&uuml;rgertums und kam deshalb auch nicht zu voller Anerkennung, als die Revolution 1689 durch einen Kompromi&szlig; eines Teils des Adels mit den B&uuml;rgern vollendet wurde. Die englische Staatskirche wurde wiederhergestellt, aber nicht in ihrer fr&uuml;hem Gestalt, als Katholizismus mit dem K&ouml;nig zum Papst, sondern stark calvinisiert. Die alte Staatskirche hatte den lustigen katholischen Sonntag gefeiert und den langweiligen calvinistischen bek&auml;mpft, die neue verb&uuml;rgerte f&uuml;hrte diesen ein, und er versch&ouml;nert England noch jetzt.</P>
<P>In Frankreich wurde die calvinistische Minorit&auml;t 1685 unterdr&uuml;ckt, katholisiert oder weggejagt; aber was half's? Schon damals war der Freigeist Pierre Bayle mitten in der Arbeit, und 1694 wurde Voltaire geboren. Die Gewaltma&szlig;regel Ludwigs XIV. erleichterte nur dem franz&ouml;sischen B&uuml;rgertum, da&szlig; es seine Revolution in der, der entwickelten Bourgeoisie allein angemessenen irreligi&ouml;sen, ausschlie&szlig;lich politischen Form machen konnte. Statt Protestanten sa&szlig;en Freigeister in den Nationalversammlungen. Dadurch war das Christentum in sein letztes Stadium getreten. Es war unf&auml;hig geworden, irgendeiner progressiven Klasse fernerhin als ideologische Verkleidung ihrer Strebungen zu dienen; es wurde mehr und mehr Alleinbesitz der herrschenden Klassen, und diese wenden es an als blo&szlig;es Regierungsmittel, womit die untern Klassen in Schranken gehalten werden. Wobei dann jede der verschiednen Klassen ihre eigne entsprechende Religion benutzt: die grundbesitzenden Junker die katholische Jesuiterei oder protestantische Orthodoxie, die liberalen und radikalen Bourgeois den Rationalismus; und wobei es keinen Unterschied macht, ob die Herren an ihre respektiven Religionen selbst glauben oder auch nicht.</P>
<P>Wir sehn also: Die Religion, einmal gebildet, enth&auml;lt stets einen &uuml;berlieferten Stoff, wie denn auf allen ideologischen Gebieten die Tradition eine gro&szlig;e konservative Macht ist. Aber die Ver&auml;nderungen, die mit diesem Stoff vorgehn, entspringen aus den Klassenverh&auml;ltnissen, also aus den &ouml;konomischen Verh&auml;ltnissen der Menschen, die diese Ver&auml;nderungen vornehmen. Und das ist hier hinreichend. -</P>
<P>Es kann sich im Vorstehenden nur um einen allgemeinen Umri&szlig; der Marxschen Geschichtsauffassung handeln, h&ouml;chstens noch um einige Illu- <A NAME="S306"></A><B>|306|</B> strationen. Der Beweis ist an der Geschichte selbst zu liefern, und da darf ich wohl sagen, da&szlig; er in andern Schriften bereits hinreichend geliefert ist. Diese Auffassung macht aber der Philosophie auf dem Gebiet der Geschichte ebenso ein Ende, wie die dialektische Auffassung der Natur alle Naturphilosophie ebenso unn&ouml;tig wie unm&ouml;glich macht. Es kommt &uuml;berall nicht mehr darauf an, Zusammenh&auml;nge im Kopf auszudenken, sondern sie in den Tatsachen zu entdecken. F&uuml;r die aus Natur und Geschichte vertriebne Philosophie bleibt dann nur noch das Reich des reinen Gedankens, soweit es noch &uuml;brig: die Lehre von den Gesetzen des Denkprozesses selbst, die Logik und Dialektik.</P>
<P ALIGN="CENTER">*</P>
<P>Mit der Revolution von 1848 erteilte das "gebildete" Deutschland der Theorie den Absagebrief und ging &uuml;ber auf den Boden der Praxis. Das auf der Handarbeit beruhende Kleingewerbe und die Manufaktur wurden ersetzt durch eine wirkliche gro&szlig;e Industrie; Deutschland erschien wieder auf dem Weltmarkt; das neue kleindeutsche Reich beseitigte wenigstens die schreiendsten Mi&szlig;st&auml;nde, die die Kleinstaaterei, die Reste des Feudalismus und die b&uuml;rokratische Wirtschaft dieser Entwicklung in den Weg gelegt hatten. Aber in demselben Ma&szlig;, wie die Spekulation aus der philosophischen Studierstube auszog, um ihren Tempel zu errichten auf der Fondsb&ouml;rse, in demselben Ma&szlig; ging auch dem gebildeten Deutschland jener gro&szlig;e theoretische Sinn verloren, der der Ruhm Deutschlands w&auml;hrend der Zeit seiner tiefsten politischen Erniedrigung gewesen war - der Sinn f&uuml;r rein wissenschaftliche Forschung, gleichviel, ob das erreichte Resultat praktisch verwertbar war oder nicht, polizeiwidrig oder nicht. Zwar hielt sich die deutsche offizielle Naturwissenschaft, namentlich auf dem Gebiet der Einzelforschung, auf der H&ouml;he der Zeit, aber schon das amerikanische Journal "Science" bemerkt mit Recht, da&szlig; die entscheidenden Fortschritte auf dem Gebiet der gro&szlig;en Zusammenh&auml;nge zwischen den Einzeltatsachen, ihre Verallgemeinerung zu Gesetzen, jetzt weit mehr in England gemacht werden, statt wie fr&uuml;her in Deutschland. Und auf dem Gebiet der historischen Wissenschaften, die Philosophie eingeschlossen, ist mit der klassischen Philosophie der alte theoretisch-r&uuml;cksichtslose Geist erst recht verschwunden; gedankenloser Eklektizismus, &auml;ngstliche R&uuml;cksicht auf Karriere und Einkommen bis herab zum ordin&auml;rsten Strebertum sind an seine Stelle getreten. Die offiziellen Vertreter dieser Wissenschaft sind die unverh&uuml;llten Ideologen der Bourgeoisie und des bestehenden Staats geworden - aber zu einer Zeit, wo beide im offnen Gegensatz stehn zur Arbeiterklasse.</P>
<P><B><A NAME="S307">|307|</A></B> Und nur bei der Arbeiterklasse besteht der deutsche theoretische Sinn unverk&uuml;mmert fort. Hier ist er nicht auszurotten; hier finden keine R&uuml;cksichten statt auf Karriere, auf Profitmacherei, auf gn&auml;dige Protektion von oben; im Gegenteil, je r&uuml;cksichtsloser und unbefangener die Wissenschaft vorgeht, desto mehr befindet sie sich im Einklang mit den Interessen und Strebungen der Arbeiter. Die neue Richtung, die in der Entwicklungsgeschichte der Arbeit den Schl&uuml;ssel erkannte zum Verst&auml;ndnis der gesamten Geschichte der Gesellschaft, wandte sich von vornherein vorzugsweise an die Arbeiterklasse und fand hier die Empf&auml;nglichkeit, die sie bei der offiziellen Wissenschaft weder suchte noch erwartete. Die deutsche Arbeiterbewegung ist die Erbin der deutschen klassischen Philosophie.</P>
<P><HR size="1"><P></P>
<P>Fu&szlig;noten von Friedrich Engels</P>
<P><SMALL><SUP><A NAME="F1">(1)</A></SUP></SMALL> Man gestatte mir hier eine pers&ouml;nliche Erl&auml;uterung. Man hat neuerdings mehrfach auf meinen Anteil an dieser Theorie hingewiesen, und so kann ich kaum umhin, hier die wenigen Worte zu sagen, wodurch dieser Punkt sich erledigt. Da&szlig; ich vor und w&auml;hrend meinem vierzigj&auml;hrigen Zusammenwirken mit Marx sowohl an der Begr&uuml;ndung wie namentlich an der Ausarbeitung der Theorie einen gewissen selbst&auml;ndigen Anteil hatte, kann ich selbst nicht leugnen. Aber der gr&ouml;&szlig;te Teil der leitenden Grundgedanken, besonders auf &ouml;konomischem und geschichtlichem Gebiet, und speziell ihre schlie&szlig;liche scharfe Fassung, geh&ouml;rt Marx. Was ich beigetragen, das konnte - allenfalls ein paar Spezialf&auml;cher ausgenommen - Marx auch wohl ohne mich fertigbringen. Was Marx geleistet, h&auml;tte ich nicht fertiggebracht. Marx stand h&ouml;her, sah weiter, &uuml;berblickte mehr und rascher als wir andern alle. Marx war ein Genie, wir andern h&ouml;chstens Talente. Ohne ihn w&auml;re die Theorie heute bei weitem nicht das, was sie ist. Sie tr&auml;gt daher auch mit Recht seinen Namen. <A HREF="me21_291.htm#ZF1">&lt;=</A></P>
<P><SMALL><SUP><A NAME="F2">(2)</A></SUP></SMALL> S. "Das Wesen der Kopfarbeit, von einem Handarbeiter", Hamburg, Mei&szlig;ner. <A HREF="me21_291.htm#ZF2">&lt;=</A></P>
<HR size="1"><P>
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<TD ALIGN="center" width="299" height=20 valign=middle bgcolor="#99CC99"><A HREF="http://www.mlwerke.de/index.shtml"><FONT size="2" color="#006600">MLWerke</FONT></A></TD>
<TD ALIGN="center" width="299" height=20 valign=middle bgcolor="#99CC99"><A href="../default.htm"><FONT size=2 color="#006600">Marx/Engels - Werke</FONT></A></TD>
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bgcolor="#99CC99"><A HREF="me21_283.htm"><FONT size="2" color="#006600">&#171; III.</FONT></A></TD>
<TD ALIGN="CENTER" width="299" height=20 valign=middle
bgcolor="#99CC99"><A HREF="me21_259.htm"><FONT size="2" color="#006600">Inhalt</FONT></A></TD>
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