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<TITLE>John Reed: 10 Tage die die Welt erschütterten</TITLE>
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VIII. DIE KONTERREVOLUTION
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Am anderen Tag, Sonntag, dem 11. November, zog Kerenski, auf einem Schimmel
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reitend und unter Glockengeläute, mit seinen Kosaken in Zarskoje Selo
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ein. Von den Hügeln außerhalb der Stadt konnte man die goldenen
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Türme und bunten Kuppeln sehen, das in der spätherbstlich trüben
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Fläche sich endlos dehnende graue Häusermeer der Hauptstadt und
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darüber hinaus den stahlfarbenen Golf von Finnland. Er war ohne Kämpfe
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eingezogen. Jetzt aber beging er eine große Torheit. Er ließ
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um sieben Uhr das 2. Zarskoselski-
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Schützenregiment auffordern, die Waffen niederzulegen. Die Soldaten
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erklärten, daß sie neutral bleiben wollten, daß sie ihre
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Waffen aber nicht aus der Hand geben würden. Kerenski gab ihnen zehn
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Minuten Zeit, nach deren Ablauf sie sich seinem Befehl unterworfen haben
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sollten. Das erzürnte die Soldaten. Acht Monate hatten sie sich mittels
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ihrer Komitees selbst regiert, und dies schmeckte gar zu sehr nach dem alten
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Regime. Wenig später eröffnete die Kosakenartillerie das Feuer
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auf die Kasernen und tötete acht Mann. Von diesem Moment an gab es in
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Zarskoje Selo keinen neutralen Soldaten mehr. Petrograd erwachte unter
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Gewehrfeuer und dem dumpfen Geräusch marschierender Soldaten. Unter
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grauem Himmel fegte ein eisiger Wind, der Vorbote baldigen Schnees. Bei
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Tagesanbruch hatten starke Abteilungen der Offiziersschüler das
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Militärhotel und die Telegrafenagentur genommen, und die Gebäude
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mußten unter schweren Opfern zurückerobert werden. Die Telefonzentrale
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war von Matrosen belagert, die hinter Barrikaden aus Fässern, Kisten
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und Eisenblechen in der Mitte der Morskaja lagen oder an der Ecke der Gorochowaja
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und dem St.Isaaks-Platz Schutz suchten und wild schossen, sobald sich in
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dem Gebäude das geringste bewegte. Automobile, die Rote-Kreuz-Flagge
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tragend, fuhren heraus und hinein. Die Matrosen ließen sie passieren.
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Albert Rhys Williams war in der Telefonzentrale gewesen und hatte diese in
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einem Roten-Kreuz-Auto, das scheinbar voller Verwundeter war, verlassen.
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Wie er berichtete, fuhr das Auto eine Weile in der Stadt herum und dann auf
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Umwegen nach der Michailowski-Offiziersschule, dem Hauptquartier der
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Konterrevolution. Dort war im Hofe ein französischer Offizier, der das
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Kommando zu haben schien. Auf diese Weise wurden Munition und Lebensmittel
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in die Telefonzentrale geschmuggelt, und auch sonst besorgten eine ganze
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Menge solcher angeblichen Sanitätswagen in Wirklichkeit den Kurierdienst
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und Munitionstransport für die Offiziersschüler. Zu ihrer
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Verfügung hatten diese fünf oder sechs Panzerwagen, die von der
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aufgelösten englischen Panzerdivision stammten. Louise Bryant sah am
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St.-Isaaks-Platz einen dieser Panzerwagen aus der Admiralität herauskommen
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und seinen Weg nach der Telefonzentrale nehmen. Als plötzlich direkt
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an der Ecke der Gogolja der Panzerwagen eine Panne hatte, begannen einige
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hinter einem Haufen Holz verschanzte Matrosen den Wagen zu beschießen.
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Das in dem Turm des Ungeheuers plazierte Maschinengewehr schwenkte herum,
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und ein Hagel von Geschossen fuhr unterschiedslos in die Holzhaufen und in
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die sich drängenden Menschenmassen. In dem Torweg, in dem Miss Bryant
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stand, waren sieben Menschen erschossen worden, darunter zwei kleine Jungen.
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Dann sprangen plötzlich die Matrosen auf und stürmten trotz des
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Feuerregens nach vorn, den Wagen umringend und mit wildem Gebrüll ihre
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Bajonette immer und immer wieder in die Ausgucklöcher bohrend. Der Fahrer
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tat, als wäre er verwundet, und die Matrosen ließen ihn frei -
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doch gleich darauf sahen sie ihn in die Duma laufen, wo er zum Dank für
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ihren Großmut die Schauergeschichten über die bolschewistischen
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Greuel um eine weitere vermehren half. Unter den Toten war ein englischer
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Offizier.... Später berichteten die Zeitungen von einem französischen
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Offizier, der in einem Panzerwagen der Offiziersschüler gefangengenommen
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und in die Peter-Pauls-Festung gebracht worden war. Die französische
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Gesandtschaft dementierte dies zwar sofort; aber einer der Stadträte
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bestätigte mir die Richtigkeit der Zeitungsmeldung und fügte hinzu,
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daß er selber die Freilassung des Offiziers aus dem Gefängnis
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bewirkt habe. Wie immer die offizielle Haltung der Gesandtschaften der alliierten
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Mächte gewesen sein mag, fest steht, daß französische und
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englische Offiziere in diesen Tagen eine außerordentliche Aktivität
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entfaltet und sogar an den Exekutivsitzungen des Komitees zur Rettung des
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Vaterlandes teilgenommen haben. Den ganzen Tag über hörten in allen
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Stadtvierteln die Scharmützel zwischen Offiziersschülern und
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Rotgardisten nicht auf, fanden Kämpfe zwischen den Panzerwagen der beiden
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Parteien statt. Gewehrsalven, vereinzeltes Schießen und schrilles
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Maschinengewehrgeknatter waren fern und nah zu hören. Die eisernen Jalousien
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der Geschäftshäuser waren heruntergelassen; aber die Geschäfte
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nahmen ihren gewohnten Gang, und selbst die Lichtspieltheater, außen
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in völliger Finsternis liegend, hatten Hochbetrieb. Die Straßenbahnen
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liefen, das Telefon funktionierte. Wenn man bei der Zentrale anrief, konnte
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man am Hörer deutliches Schießen vernehmen. Der Smolny war
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ausgeschaltet; aber die Duma und das Komitee zur Rettung des Vaterlandes
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waren in ständiger Verbindung mit allen Offiziersschülern und mit
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Kerenski in Zarskoje Selo. Um sieben Uhr morgens kam eine Patrouille Soldaten,
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Matrosen und Rotgardisten in die Wladimirski-Offiziersschule. Sie gaben den
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Offiziersschülern zwanzig Minuten Zeit, die Waffen niederzulegen. Das
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Ultimatum wurde zurückgewiesen. Eine Stunde später versuchten die
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Eingeschlossenen abzumarschieren, aber heftiges Gewehrfeuer von der Ecke
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der Grebezkaja und dem Bolschoi-Prospekt jagten sie wieder zurück.
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Sowjettruppen umstellten das Gebäude und begannen es zu beschießen.
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Zwei Panzerautos fuhren hin und her, das Haus mit einem Hagel von
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Maschinengewehrkugeln überschüttend. Die Offiziersschüler
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telefonierten um Hilfe. Die Kosaken wagten nicht zu kommen, da ihre Kasernen
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von großen Matrosenabteilungen umstellt waren, die über zwei
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Geschütze verfügten. Die Pawlowski-Schule war gleichfalls umzingelt,
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und die Mehrzahl der Michailowski-Offiziersschüler kämpfte in den
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Straßen. Um halb zwölf kamen drei Feldgeschütze an. Eine
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weitere Aufforderung an die Offiziersschüler, sich zu ergeben, wurde
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mit der Erschießung von zwei unter dem Schutze einer
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Parlamentärflagge gekommenen Sowjetdelegierten beantwortet. Daraufhin
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begann ein regelrechtes Bombardement. Mächtige Löcher wurden in
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die Mauern der Schule gerissen. Die Offiziersschüler wehrten sich
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verzweifelt, Tod und Verderben in die Reihen der immer wieder vorstürmenden
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Rotgardisten jagend. Kerenski telefonierte von Zarskoje, daß man sich
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auf keinerlei Verhandlungen mit dem Revolutionären Militärkomitee
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einlassen sollte. Rasend vor Zorn über die abgeschlagenen Angriffe und
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den Anblick ihrer sich häufenden Toten begannen die Sowjettruppen das
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Gebäude mit einem geradezu höllischen Wirbel von Stahl und Flammen
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zu überschütten. Ihre eigenen Offiziere vermochten dem furchtbaren
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Bombardement keinen Einhalt zu gebieten. Ein Kommissar vom Smolny, namens
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Kirillow, machte den Versuch, das Feuer zum Stoppen zu bringen. Er wäre
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fast gelyncht worden. Das Blut der Rotgardisten war zum Kochen gekommen.
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Um halb drei hißten die Offiziersschüler die weiße Flagge.
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Sie waren bereit zu kapitulieren, wenn ihnen ihr Leben garantiert würde.
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Das wurde ihnen versprochen. Im Handumdrehen waren Tausende von Rotgardisten
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und Soldaten durch die Fenster, Türen und Granatlöcher geklettert,
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und noch ehe es verhindert werden konnte, hatten sie fünf
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Offiziersschüler gepackt und niedergeschlagen. Der Rest, zirka zweihundert,
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wurde in kleinen Gruppen möglichst unauffällig in die
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Peter-Pauls-Festung eskortiert. Trotzdem wurde einer der Trupps unterwegs
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von der Menge gestellt und acht weitere Offiziere getötet. Von den Soldaten
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und Rotgardisten waren über hundert gefallen. Zwei Stunden später
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erhielt die Duma die telefonische Mitteilung, daß die Sieger gegen
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die Ingenieurschule marschierten. Ein Dutzend Mitglieder gingen sofort, um
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unter ihnen die letzte Proklamation des Komitees zur Rettung des Vaterlandes
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und der Revolution zu verteilen. Verschiedene kamen nicht zurück...Alle
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anderen Schulen ergaben sich ohne Widerstand, und die Offiziersschüler
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wurden, ohne daß ihnen ein Leid geschah, nach der Peter-Pauls-Festung
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und nach Kronstadt gebracht...
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Die Telefonzentrale hielt sich bis zum Nachmittag, als ein bolschewistisches
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Panzerauto erschien und die Matrosen den Platz stürmten. Die zu Tode
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erschrockenen Telefonistinnen eilten schreiend hin und her. Die
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Offiziersschüler rissen sämtliche Abzeichen von ihren Uniformen,
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und einer war bereit, Williams zu geben, was er fordern würde, wenn
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er ihm nur seinen Mantel leihen wollte. ÆSie werden uns töten,
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sie werden uns töten", schrien sie; viele von ihnen hatten im Winterpalast
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das Versprechen gegeben, nie mehr die Waffen gegen das Volk zu erheben. Williams
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wollte vermitteln, wenn Antonow freigelassen würde. Das geschah dann
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sofort. Antonow und Williams sprachen darauf zu den siegreichen Matrosen,
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die infolge ihrer zahlreichen Todesopfer äußerst erregt waren.
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Sie erreichten, daß die Offiziersschüler ein weiteres Mal davonkamen,
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bis auf ein paar, die in ihrem Schrecken über die Dächer zu entkommen
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versucht oder sich in den Bodenkammern versteckt hatten und dort entdeckt
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und über die Straße geschleudert wurden. Die ermüdeten, blut-
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und staubbedeckten siegreichen Matrosen und Arbeiter drangen in den Schaltraum
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ein, wohin viele der hübschen jungen Mädchen, die vor Angst und
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Schrecken kaum auf ihren Füßen zu stehen vermochten, sich
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geflüchtet hatten. Nicht einer wurde ein Leid zugefügt.
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Angsterfüllt drängten sie sich in den Ecken zusammen; als sie jedoch
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merkten, daß ihnen nichts geschah, ließen sie ihrem Haß
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freien Lauf. ÆPuh, dieses dreckige dumme Volk, diese Narren!" Die Matrosen
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und Rotgardisten waren in Verlegenheit. ÆBestien, Schweine!" kreischten
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die Mädchen, während sie entrüstet nach ihren Mänteln
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und Hüten griffen. Wie romantisch hatten sie es gefunden, ihren schneidigen,
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jungen Rittern, den vornehmen Offiziersschülern, die für ihren
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geliebten Zaren kämpften, die Patronen zuzureichen oder ihnen die Wunden
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zu verbinden. Aber diese hier waren doch nur gewöhnliche Arbeiter und
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Bauern, niederes Volk! Der kleine Wischnjak, Kommissar des Revolutionären
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Militärkomitees, versuchte die Mädchen zum Bleiben zu bewegen.
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Er war äußerst höflich. ÆIhre Arbeitsbedingungen sind
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doch so schlecht", sagte er. ÆDie Telefonämter standen bisher
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unter der Leitung der Stadtduma. Sie verdienen pro Monat sechzig Rubel und
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müssen zehn und mehr Stunden dafür arbeiten. Das wird von jetzt
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ab anders werden. Die Regierung beabsichtigt, den Telefonbetrieb der Kontrolle
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des Post- und Telegrafenministeriums zu unterstellen. Man wird ihre
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Gehälter sofort auf hundertfünfzig Rubel erhöhen und ihre
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Arbeitszeit verkürzen. Als Angehörige der arbeitenden Klasse sollten
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Sie darüber froh sein."
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ÆWas, Angehörige der arbeitenden Klasse? Will der Mensch damit
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sagen, daß es etwas Gemeinsames zwischen uns und diesen - diesen Tieren
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gebe? Bleiben? - Nein, und wenn sie uns tausend Rubel böten!" Und
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hochmütig verließen die Mädchen das Gebäude. Die Monteure
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und Arbeiter der Zentrale blieben. Aber die Schaltapparatur mußte unbedingt
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bedient werden. Die Aufrechterhaltung des Telefonbetriebes war
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unerläßlich. Nur ein halbes Dutzend erfahrene Telefonistinnen
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hatte sich zur Verfügung gestellt. Man rief nach Freiwilligen. Zirka
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hundert Matrosen, Soldaten und Arbeiter kamen. Die sechs Mädchen rannten
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hin und her, unterrichtend, helfend, scheltend. Und allmählich begannen,
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wenn auch mit Ach und Krach, die Drähte zu summen. Vor allem galt es,
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den Smolny mit den Kasernen und den Fabriken zu verbinden. Dann mußten
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die Duma und die Offiziersschulen ausgeschaltet werden. Am späten Nachmittag
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wußte es die ganze Stadt, und Hunderte von Bourgeois kreischten
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zornentbrannt: ÆNarren, Teufel! Wie lange soll das noch so gehen? Wartet
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nur, bis die Kosaken kommen!" Die Dämmerung begann zu sinken. Durch
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den menschenleeren Newski fegte ein eisiger Wind. Vor der Kasaner Kathedrale
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war eine Menschenansammlung. Die gewohnten endlosen Debatten. Ein paar Arbeiter,
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einige Soldaten, Krämer, Büroangestellte und dergleichen. ÆAber
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Lenin wird es niemals schaffen, die Deutschen zum Frieden zu bewegen", rief
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einer. Darauf entgegnete ein junger Soldat mit Heftigkeit ÆWer hat
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aber daran schuld? Nur euer Kerenski, der verfluchte Bourgeois! Zum Teufel
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mit Kerenski! Wir wollen ihn nicht! Wir wollen Lenin..." Vor der Duma war
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ein Offizier mit einer weißen Armbinde laut fluchen damit
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beschäftigt, Plakate von der Mauer zu reißen. Auf einem dieser
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Plakate war zu lesen:
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ÆA n d i e B e v ö l k e r u n g P e t r o g r a d s !
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<P>
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In dieser ernsten Stunde, wo die Stadtduma die Pflicht hätte, alles
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zu tun, um die Bevölkerung zu beruhigen, die Lieferung von Brot und
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anderen notwendigen Gegenständen sicherzustellen, haben die rechten
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Sozialrevolutionäre und die Kadetten in pflichtvergessener Weise die
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Duma in ein Nest der Konterrevolution verwandelt, indem sie den Versuch machten,
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einen Teil der Bevölkerung gegen den anderen aufzuhetzen, um auf diese
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Weise den Sieg der Kornilow-Kerenski zu ermöglichen. Anstatt ihre Pflicht
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zu tun, haben die rechten Sozialrevolutionäre und die Kadetten aus der
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Duma eine Arena politischer Angriffe gegen die Sowjets der Arbeiter-, Soldaten-
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und Bauerndeputierten, gegen die revolutionäre Regierung des Friedens,
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des Brotes und der Freiheit gemacht. Bürger Petrograds! Wir, die von
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euch gewählten bolschewistischen Stadträte, sagen euch, daß
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die rechten Sozialrevolutionäre und Kadetten einen
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konterrevolutionären Vorstoß unternommen haben und in
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pflichtvergessener Weise die Bevölkerung dem Hunger und dem
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Bürgerkrieg entgegenführen. Wir, die Vertreter von 183.000
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Wählern, erachten es als unsere Pflicht, die Aufmerksamkeit unserer
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Wähler auf die Vorgänge in der Duma zu lenken, und wir erklären,
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daß wir jede Verantwortung für die schrecklichen, aber unvermeidlichen
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Konsequenzen ablehnen..."
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<P>
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In der Ferne fielen noch immer gelegentliche Schüsse. Sonst lag die
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Stadt ruhig, kalt, wie erschöpft von den furchtbaren Krämpfen,
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die sie geschüttelt hatten. Im Nikolaisaal ging die Sitzung der Duma
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zu Ende. Selbst hier war man ein wenig betäubt. Einer nach dem anderen
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berichteten die Kommissare: Einnahme der Telefonzentrale,
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Straßenkämpfe, Eroberung der Wladimirski-Schule. ÆDie Duma",
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erklärte Trupp, Æunterstützt die Demokratie in ihrem Kampfe
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gegen jedes versuchte Willkürregiment. Wie immer der Kampf ausgehen
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mag, die Duma wird stets gegen Lynchjustiz und Folter sein." Der Kadett Konowski,
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ein großer alter Mann mit grausamem Gesicht: ÆWenn die Truppen
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der rechtmäßigen Regierung nach Petrograd kommen, werden sie diese
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Aufrührer niederschießen. Das ist keine Lynchjustiz." Protestrufe
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im ganzen Saal, selbst aus den Reihen seiner eigenen Partei. Zweifel und
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Niedergeschlagenheit herrschten hier. Die Konterrevolution war im Erliegen.
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Im Zentralkomitee der Sozialrevolutionären Partei hatte der linke
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Flügel die Oberhand; Awxentjew war zurückgetreten. Ein Kurier
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berichtete, daß das Begrüßungskomitee, das man zum Empfang
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Kerenskis nach dem Bahnhof geschickt hatte, verhaftet worden sei. In den
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Straßen hörte man, aus dem Süden oder Südwesten kommend,
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den dumpfen Donner einer entfernten Kanonade. Kerenski kam noch immer nicht...
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<P>
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Nur drei Zeitungen waren erschienen - ÆPrawda", ÆDelo Naroda"
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und ÆNowaja Shisn". Alle beschäftigten sich sehr eingehend mit
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der neuen ÆKoalitionsregierung". Das sozialrevolutionäre Blatt
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forderte eine Regierung ohne Kadetten und ohne Bolschewiki. Gorki war voller
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Hoffnungen; der Smolny habe Zugeständnisse gemacht. Die Umrisse einer
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rein sozialistischen Regierung seien im Begriff, sich herauszubilden - aus
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allen Parteien zusammengesetzt, mit Ausnahme der Bourgeoisie. Die ÆPrawda"
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spottete: ÆWir lachen über diese Koalition mit politischen Parteien,
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deren prominenteste Mitglieder aus kleinen Journalisten mit zweifelhaftem
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Ruf bestehen. Unsere ,Koalition', das ist die Koalition des Proletariats
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und der revolutionären Armee mit den armen Bauern."
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<P>
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An den Mauern die großsprecherische Ankündigung des Wikshel, der
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mit einem Streik drohte, wenn nicht beide Seiten sich zu Zugeständnissen
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bereit fänden: ÆDie Sieger in diesen Kämpfen, die Retter
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des Landes werden weder die Bolschewiki sein noch das Komitee zur Rettung
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des Vaterlandes und der Revolution, noch die Truppen Kerenskis - sondern
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wir, der Verband der Eisenbahner..." Rotgardisten könnten unmöglich
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mit so komplizierten Aufgaben fertig werden, wie der Betrieb der Eisenbahn
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es ist. Was die Provisorische Regierung anbelangt, so hat sie sich unfähig
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gezeigt, die Macht festzuhalten... ÆWir lehnen es ab, unsere Dienste
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irgendeiner Partei zu leihen, die nicht eine auf dem Vertrauen der gesamten
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Demokratie basierte Regierung ist..." Im Smolny fand ich aufs höchste
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gesteigerte Aktivität, die aller Ermüdung zu spotten schien. In
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der Gewerkschaftszentrale stellte mich Losowski einem Delegierten der Eisenbahner
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von der Nikolai-Bahn vor, der erzählte, daß die Eisenbahner riesige
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Versammlungen abhielten und das Vorgehen ihrer Führer verurteilten.
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ÆAlle Macht den Sowjets", rief er, auf den Tisch schlagend. ÆDie
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Oboronzy (Vaterlandsverteidiger) im Zentralkomitee spielen das Spiel Kornilows.
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Sie haben versucht, eine Abordnung zum Stawka (Generalstabs-Hauptquartier
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des Feldheeres. <I>Anm.d.Red</I>.) zu schicken; aber wir haben sie in Minsk
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festgenommen. Unsere Ortsgruppe hat die Einberufung einer Gesamtrussischen
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|
Konferenz verlangt, und sie lehnen die Einberufung ab." Es war dieselbe Lage
|
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wie in den Sowjets und in den Armeekomitees. Eine nach der anderen spalteten
|
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sich die demokratischen Organisationen Rußlands und begannen ihre
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|
Stellungnahme zu ändern. Die Genossenschaften wurden von inneren
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Kämpfen zerrissen. In den Sitzungen der Bauernexekutive gab es
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stürmische Auseinandersetzungen. Sogar die Kosaken waren nicht mehr
|
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einig.
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<P>
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Im oberen Stock arbeitete mit Volldampf unermüdlich das Revolutionäre
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Militärkomitee. Ich sah die Männer frisch und kräftig sich
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Tag und Nacht in dieses schreckliche Getriebe stürzen und wankend und
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vor Müdigkeit blind, heiser und schmutzig wieder herauskommen, um auf
|
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den Boden hinzusinken und zu schlafen. Das Komitee zur Rettung des Vaterlandes
|
|
und der Revolution war als außerhalb der Gesetze stehend erklärt
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worden. Allenthalben riesige Haufen neuer Proklamationen.
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<P>
|
|
Æ....Die Verschwörer, die weder von der Garnison noch von der
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|
arbeitenden Klasse unterstützt werden, rechneten vor allem auf ihren
|
|
Überraschungsangriff. Ihr Plan wurde rechtzeitig durch den Fähnrich
|
|
Blagonrawow und dank der revolutionären Wachsamkeit eines Rotgardisten,
|
|
dessen Namen öffentlich bekanntgemacht werden wird, entdeckt. Das Zentrum
|
|
des Komplotts war das sogenannte Komitee zur Rettung des Vaterlandes und
|
|
der Revolution. Der Anführer war Polkownikow, die Befehle waren von
|
|
Goz unterzeichnet, dem ehemaligen Mitglied der Provisorischen Regierung,
|
|
der auf sein Ehrenwort hin freigelassen worden war... Indem es diese Tatsachen
|
|
der Aufmerksamkeit der Petrograder Bevölkerung unterbreitet, ordnet
|
|
das Revolutionäre Militärkomitee die Verhaftung aller an der
|
|
Verschwörung Beteiligten an. Sie werden vor das Revolutionstribunal
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|
gestellt werden." Aus Moskau kam die Meldung, daß Kosaken und
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Offiziersschüler den Kreml umzingelt und die Sowjettruppen zur Kapitulation
|
|
aufgefordert hatten. Diese waren darauf eingegangen. Aber als sie den Kreml
|
|
verließen, wurden sie überfallen und niedergeknallt. Unbedeutende
|
|
Kräfte der Bolschewiki, die die Telefon- und Telegrafenzentrale besetzt
|
|
gehalten hatten, waren von Offiziersschülern wieder vertrieben worden.
|
|
Die Offiziersschüler hielten das Stadtinnere besetzt. Rundherum begannen
|
|
aber die Sowjettruppen aufzumarschieren, und die Straßenkämpfe
|
|
dehnten sich über die ganze Stadt aus. Auf der Seite der Sowjets standen
|
|
zehntausend Garnisonsoldaten und einige wenige Rotgardisten, auf der Seite
|
|
der Regierung sechstausend Offiziersschüler, zweitausendfünfhundert
|
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Kosaken und zweitausend Weißgardisten.
|
|
<P>
|
|
Der Petrograder Sowjet war versammelt, und eine Tür weiter das neue
|
|
Zentralexekutivkomitee, die Dekrete und Verordnungen besprechend, die in
|
|
unaufhörlichem Strom von dem oben tagenden Rat der Volkskommissare
|
|
einliefen: Über die Ratifizierung und Veröffentlichung von Gesetzen,
|
|
über die Durchführung des Achtstundentages, über die Grundlagen
|
|
des Volksbildungssystems, wie sie von Lunatscharski vorgeschlagen wurden,
|
|
usw. usw. Nur einige hundert Menschen nahmen an beiden Versammlungen teil,
|
|
die meisten bewaffnet. Der Smolny war fast menschenleer, mit Ausnahme der
|
|
Wachen, die damit beschäftigt waren, an den Saalfenstern Maschinengewehre
|
|
aufzustellen, die die Flanken des Gebäudes beherrschten. Im
|
|
Zentralexekutivkomitee sprach ein Delegierter des Wikshel: ÆWir fahren
|
|
die Truppen keiner Partei...Wir haben ein Komitee zu Kerenski geschickt,
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|
um ihm zu sagen, daß, falls er den Marsch auf Petrograd fortsetzt,
|
|
wir seine Verbindungslinien unterbrechen werden..." Er wiederholte die gewohnte
|
|
Forderung nach einer Konferenz aller sozialistischen Parteien zur Bildung
|
|
einer neuen Regierung. Kamenew antwortete vorsichtig. Die Bolschewiki
|
|
würden an einer solchen Konferenz gern teilnehmen. Der Schwerpunkt liege
|
|
indessen nicht in der Zusammensetzung einer solchen Regierung, sondern darin,
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ob sie das Programm des Sowjetkongresses akzeptieren würde...Das
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|
Zentralexekutivkomitee hatte über die von den linken
|
|
Sozialrevolutionären und den Sozialdemokraten abgegebene Erklärung
|
|
beraten und den Vorschlag einer proportionellen Vertretung in der Konferenz,
|
|
selbst mit Einschluß von Delegierten der Armeekomitees und der
|
|
Bauernsowjets, angenommen.
|
|
<P>
|
|
Im großen Saal berichtete Trotzki über die Ereignisse des Tages:
|
|
ÆWir haben den Wladimirski-Offiziersschülern die Möglichkeit
|
|
gegeben, zu kapitulieren. Wir waren gewillt, Blutvergießen zu vermeiden.
|
|
Da nun jetzt aber doch Blut geflossen ist, bleibt nur ein Weg: erbarmungsloser
|
|
Kampf. Es wäre kindisch, zu glauben, daß der Sieg auf andere Weise
|
|
zu erreichen ist. Es geht jetzt um die Entscheidung. Jeder hat jetzt das
|
|
Revolutionäre Militärkomitee zu unterstützen. Alle Vorräte
|
|
an Stacheldraht, Benzin und Waffen sind uns zu melden. Wir haben die Macht
|
|
erobert. Jetzt müssen wir sie halten!" Der Menschewik Joffe machte den
|
|
Versuch, die Erklärung seiner Partei zu verlesen; aber Trotzki lehnte
|
|
ab, eine Prinzipiendebatte zuzulassen. ÆWir haben unsere Debatten jetzt
|
|
auf die Straße verlegt", rief er. ÆWir alle, und ich im besonderen,
|
|
übernehmen die Verantwortung für alles, was jetzt geschieht." Soldaten
|
|
von der Front und von Gattschina sprachen. Einer vom Todesbataillon, der
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481.Artilleriebrigade: ÆWenn die Soldaten in den Schützengräben
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dies hören, werden sie rufen: ;Das ist unsere Regierung!'" Ein
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Offiziersschüler aus Peterhof erzählte, daß er und zwei andere
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sich geweigert hätten, gegen die Sowjets zu marschieren. Als seine Kameraden
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von der Verteidigung des Winterpalastes zurückgekehrt seien, hätten
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sie ihn, ihren Kommissar, aufgefordert, nach dem Smolny zu gehen und ihre
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Dienste der wirklichen Revolution anzubieten. Dann noch einmal Trotzki, feurig,
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unermüdlich, Befehle gebend, Fragen beantwortend. ÆDie
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Kleinbürger würden, um die Arbeiter, Soldaten und Bauern
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niederzuzwingen, sich mit dem Teufel selber verbinden", sagte er. Während
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der letzten beiden Tage waren zahlreiche Fälle von Trunkenheit beobachtet
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worden. ÆNicht trinken, Genossen! Niemand sei nach acht Uhr abends
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auf der Straße, wenn er es nicht muß, m seiner Wachpflicht
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nachzukommen. Überall, wo Alkohol vermutet wird, müssen Nachforschungen
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angestellt und der Alkohol vernichtet werden. Gegen die Verkäufer ist
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rücksichtslos vorzugehen!" Vom Revolutionären Militärkomitee
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wurde die Delegation der Wiborger Sektion gerufen, dann die Mitglieder aus
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den Putilow-Werken. Sie eilten hinaus. ÆFür jeden ermordeten
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Revolutionär", erklärte Trotzki, Æwerden wir fünf
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Konterrevolutionäre niederschießen."
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<P>
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Wir fuhren in die Stadt zurück. In die hellerleuchtete Duma strömte
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eine unübersehbare Menschenmenge. Im unteren Saal Weinen und Schluchzen;
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eine sich drängende Menge vor einem schwarzen Brett, wo eine Liste der
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in den Kampftagen gefallenen oder als gefallen gemeldeten Offiziersschüler
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angeschlagen war - in Wirklichkeit waren die meisten heil und gesund
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zurückgekehrt...Oben im Alexandersaal tagte das Komitee zur Rettung
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des Vaterlandes und der Revolution. Offiziere mit goldenen und roten
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Achselstücken fielen auf, die bekannten Gesichter menschewistischer
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und sozialrevolutionärer Intellektueller, die kalten Augen und
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großspurige Pracht von Bankiers und Diplomaten, von Beamten des alten
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Regimes, und elegant gekleidete Frauen. Die Mädchen aus der Telefonzentrale
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berichteten. Ein Mädchen nach dem anderen stieg auf die Tribüne
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- armselige und doch ach so gern die große Dame spielende kleine
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Mädchen, mit schmalen Gesichtern und abgetretenen Schuhen. Ein Mädchen
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nach dem anderen, geschmeichelt vom Beifall all dieser Æfeinen" Leute
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aus Petrograd, der Offiziere, der Kapitalisten, der großen politischen
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Namen - ein Mädchen nach dem anderen erzählte, was sie Furchtbares
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unter der Gewalt des Proletariats erlitten habe, und bekundete ihre unwandelbare
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Treue für alles, was seit je bestand und mächtig war.
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<P>
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Im Nikolaisaal tagte wieder die Duma. Der Bürgermeister erzählte
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hoffnungsvoll, daß die Petrograder Regimenter sich ihrer Handlungen
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zu schämen begönnen; die Propaganda mache Fortschritte...Emissäre
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kamen und gingen. Sie berichteten Schauergeschichten über die Schandtaten
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der Bolschewiki, inständigst bittend, doch die Offiziersschüler
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zu retten... ÆDie Bolschewiki", meinte Trupp, Ækönnen nur
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moralisch überwunden werden, nicht durch die Gewalt der Bajonette."
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<P>
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An der Front war die Situation nicht gerade glänzend. Der Feind hatte
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mit Geschützen armierte Panzerzüge herangebracht. Die
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Sowjetkräfte, meist Rotgardisten, waren ohne Offiziere und einheitlichen
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Plan. Nur fünftausend Mann reguläre Truppen hatten sich ihnen
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angeschlossen. Der Rest der Garnison war teils beschäftigt, den Aufstand
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der Offiziersschüler niederzuschlagen, teils unschlüssig, wie er
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sich verhalten sollte. Um zehn Uhr abends sprach Lenin zu einer
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Delegiertenversammlung der Stadtregimenter, und diese entschieden sich mit
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überwältigender Mehrheit für den Kampf. Ein Komitee aus fünf
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Soldaten wurde gewählt, das als Generalstab fungieren sollte, und in
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der ersten Morgenstunde verließen die Regimenter in voller
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Kampfbereitschaft ihre Kasernen. Ich sah sie auf meinem Nachhauseweg durch
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die stillen Straßen der erobrten Stadt marschieren, in dem Gleichschritt
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langgedienter Soldaten, die Gewehre tadellos ausgerichtet.
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<P>
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Zur selben Zeit fand im Zentralbüro des Wikshel in der Sadowaja die
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Konferenz aller sozialistischen Parteien statt, in der die Frage der Bildung
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einer neuen Regierung erörtert wurde. Abramowitsch, für das Zentrum
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der Menschewiki sprechend, erklärte, daß es weder Sieger noch
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Besiegte geben sollte und das Geschehene vergessen werden müßte.
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Die linkssozialistischen Parteien stimmten dem zu. Im Namen der rechten
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Menschewiki schlug Dan den Bolschewiki folgende Waffenstillstandsbedingungen
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vor: Die Rotgardisten müßten entwaffnet, die Petrograder Garnison
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der Oberhoheit der Duma unterstellt werden; Kerenskis Truppen sollten keinen
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Schuß tun und keine Verhaftungen vornehmen. Ein Ministerium aus allen
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sozialistischen Parteien, unter Ausschluß der Bolschewiki, solle gebildet
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werden. Für den Smolny gaben Rjasanow und Kamenew die Erklärung
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ab, daß ein Koalitionsministerium aus allen sozialistischen Parteien
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annehmbar wäre. Den Vorschlag Dans jedoch lehnten sie ab. Die
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Sozialrevolutionäre waren geteilt. Das Exekutivkomitee der Bauernsowjets
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und die Volkssozialisten lehnten die Zulassung der Bolschewiki glatt ab.
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Nach heftigen Kämpfen wurde eine Kommission gewählt, die eine
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brauchbaren Arbeitsplan ausarbeiten sollte. Die ganze Nacht hindurch stritt
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man sich in dieser Kommission, ebenso den ganzen nächsten Tag und dann
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noch einmal die Nacht hindurch. Schon einmal, am 9.November, war unter
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Führung von Martow und Gorki ein ähnlicher Versuch der
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Verständigung gemacht worden; aber angesichts des Vormarsches Kerenskis
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und der zunehmenden Aktivität des Komitees zur Rettung des Vaterlandes
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hatten sich die rechten Menschewiki, die Sozialrevolutionäre und die
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Volkssozialisten plötzlich zurückgezogen. Jetzt hatte die
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Niederschlagung des Aufstandes der Offiziersschüler ihnen Respekt
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eingeflößt.
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<P>
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Montag, der12., war ein Tag des Zweifelns. Die Augen ganz Rußlands
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waren auf die graue Ebene jenseits der Tore Petrograds gerichtet, wo alle
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verfügbaren Kräfte der alten Ordnung gegen die noch unorganisierte
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Macht der neuen, noch unbekannten, aufmarschiert waren. In Moskau war ein
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Waffenstillstand abgeschlossen worden. Beide Parteien verhandelten in Erwartung
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des Ausgangs der Kämpfe in der Hauptstadt. Währenddem eilten auf
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schnellen Zügen die Delegierten vom Sowjetkongreß durch ganz
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Rußland, bis weit nach Asien hinein, um zu Hause zu berichten, was
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unerhört großes geschehen war. Und in mächtigen Wellen drangen
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die Nachrichten von dem geschehenen Wunder durch das weite Land. In den gespannt
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aufhorchenden Städten und den entlegensten Dörfern begann es zu
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kochen und zu brodeln - Sowjets und Revolutionäre Militärkomitees
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gegen Dumas, Semstwos und Regierungskommissare; Rotgardisten gegen
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Weißgardisten; Straßenkampf und leidenschaftliche Reden. Entscheidend
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für alles war der Ausgang des Ringens in Petrograd. Der Smolny war nahezu
|
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leer, die Duma voller Menschen und lärmend. Der alte Bürgermeister
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erhob in seiner gewohnten, würdevollen Weise Protest gegen den Aufruf
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der bolschewistischen Stadträte. ÆDie Duma", sagte er, Æist
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kein Zentrum der Konterrevolution. Die Duma nimmt an den gegenwärtigen
|
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Kämpfen zwischen den Parteien keinen Anteil. Doch in einer Zeit, wo
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es im Lande keine legale Macht gibt, ist der einzige Mittelpunkt der Ordnung
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die städtische Selbstverwaltung. Die friedliche Bevölkerung erkennt
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diese Tatsache an; die fremden Gesandtschaften erkennen nur solche Dokumente
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an, die vom Bürgermeister der Stadt gegengezeichnet sind.
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<P>
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Das Denken des Europäers erkennt eine andere Lage nicht an, da die
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städtische Selbstvewaltung das einzige Organ ist, das die Interessen
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der Bürger schützen kann. Die Stadt ist gezwungen, allen Organisationen
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Unterkunft zu gewähren, die sie darum angehen, und deshalb kann die
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Duma die Verteilung irgendwelcher Zeitungen innerhalb des Dumagebäudes
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nicht verbieten. Unser Arbeitsgebiet wächst ständig, und wir brauchen
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volle Freiheit des Handelns, unsere Rechte müssen von beiden Parteien
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akzeptiert werden...Wir sind vollkommen neutral. Als die Telefonzentrale
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von den Offiziersschülern besetzt war, ordnete der Oberst Polkownikow
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die Ausschaltung des Smolny aus dem Telefonnetz an, ich habe jedoch protestiert,
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und die Telefonverbindung blieb bestehen.." Von den bolschewistischen
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Bänken kam ironisches Lachen; von den Bänken der Rechten
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Verwünschungen. ÆUnd jetzt", fuhr Schrejder fort, Æbezeichnen
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sie uns als Konterrevolutionäre und verdächtigen uns bei der
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Bevölkerung. Sie berauben uns unserer Transportmittel, indem sie unsere
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letzten Kraftwagen wegnehmen Es wird nicht unser Fehler sein, wenn der Hunger
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in die Stadt einzieht. Proteste haben keinen Zweck..." Kobosew, ein Bolschewik,
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stellte in Zweifel, ob die städtischen Kraftwagen vom Revolutionären
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Militärkomitee beschlagnahmt worden seien. Wenn ja, dürfte das
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von irgenwelchen nicht autorisierten Personen angeordnet worden sein. ÆDer
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Bürgermeister", fuhr er fort, Æerzählt uns, daß wir
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aus der Duma keine politische Versammlung machen sollen. Dabei macht hier
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jeder einzelne Menschewik und Sozialrevolutionär nichts anderes als
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Parteipropaganda, und am Eingang verteilen sie ihre illegalen Zeitungen,
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,Iskra'(Der Funke), ,Soldatski Golos' und ,Rabotschaja Gaseta', die zum Aufstand
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aufrufen. Was würden sie sagen, würden wir Bolschewiki auch anfangen,
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hier unsere Zeitungen zu verteilen. Wir haben die städtische
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Selbstverwaltung nicht angegriffen, und wir werden das nicht tun. Sie haben
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einen Aufruf an die Bevölkerung erlassen, und wir haben ein Recht, das
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gleiche zu tun..."
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<P>
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Ihm folgte der Kadett Schingarjow, der erklärte, daß es keine
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gemeinsame Sprache geben könne mit Leuten, die vor den Staatsanwalt
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gebracht zu werden verdienen und die sich des Verbrechens des Hochverrats
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schuldig gemacht haben...Er forderte von neuem den Ausschluß aller
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Bolschewiki aus der Duma. Dies wurde indessen abgelehnt, da persönliche
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Anklagen gegen die Mitglieder, die in der städtischen Verwaltung sehr
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tätig waren, nicht vorgebracht werden konnten. Zwei
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Menschewiki-Internationalisten erklärten, daß der Aufruf der
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bolschewistischen Stadträte die direkte Aufhetzung zum Blutvergießen
|
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sei. ÆAlle, die gegen die Bolschewiki sind, sind natürlich
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Konterrevolutionäre", sagte Pinkewitsch, Æich weiß dann
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nur nicht, wo der Unterschied zwischen Revolution und Anarchie liegen soll...Die
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Bolschewiki stürzen sich auf die Leidenschaften der zügellosen
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Massen; wir haben für uns nur die moralische Kraft. Wir werden gegen
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die Metzeleien und Gewalttaten beider Seiten protestieren, unsere Aufgabe
|
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ist es, einen friedlichen Ausweg zu finden."
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<P>
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ÆDie Plakate unter dem Titel ,An den Pranger', die das Volk auffordern,
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die Menschewiki und Sozialrevolutionäre zu vernichten", sagte Nasarjew,
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Æsind ein Verbrechen, das ihr Bolschewiki nicht von euch abwaschen
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könnt. Die Schrecken des gestrigen Tages sind nur das Vorspiel für
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die Dinge, die ihr mit einer solchen Proklamation vorbereitet...Ich war immer
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bestrebt, euch mit den anderen Parteien auszusöhnen, heute aber fühle
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ich für euch nur noch Verachtung!" Die bolschewistischen Stadträte
|
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sprangen auf, sich gegen die heiseren, haßerfüllten Zurufe und
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drohend erhobenen Fäuste zornig zur Wehr setzend...
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<P>
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Außerhalb des Saales lief ich dem Stadtbaumeister in die Arme, dem
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Menschewisten Gomberg und drei oder vier Berichterstattern. Alle waren sie
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voller Hoffnung. ÆSchauen Sie!" sagten sie. ÆDie Feiglinge
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fürchten uns. Sie wagen es nicht, die Duma zu verhaften! Ihr
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Revolutionäres Militärkomitee wagt es nicht, einen Kommissar hierher
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zu schicken. An der Ecke der Sadowaja habe ich heute gesehen, wie ein Rotgardist
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einen jungen Zeitungsverkäufer hindern wollte, den ,Soldatski Golos'
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zu verkaufen. Der Junge lachte ihn einfach aus, und eine Volksmenge wollte
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den Banditen lynchen. Das Ganze kann nur noch wenige Stunden dauern. Selbst
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|
wenn Kerenski nicht käme, hätten sie nicht die Leute, um eine Regierung
|
|
zu bilden. Was für ein Blödsinn! Ich habe gehört, daß
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|
sie im Smolny sich eben selber herumzanken!" Kurze Zeit darauf nahm mich
|
|
einer meiner sozialrevolutionären Freunde beiseite. ÆIch weiß,
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|
wo sich das Komitee zur Rettung des Vaterlandes verborgen hält", sagte
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er. ÆWünschen Sie hinzugehen, um mit ihnen zu sprechen?" Es
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dämmerte schon. Die Stadt hatte ihr normales Aussehen wiedergewonnen
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- die Jalousien waren hochgezogen, die Lichter brannten, und in den Straßen
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wogten leidenschaftlich debattierende Menschenmassen langsam auf und nieder.
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Er führte mich zum Newski Nr.86, durch eine Passage in einen von hohen
|
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Wohngebäuden umgebenen Hof. Vor der Wohnung Nr.229 klopfte er nach einem
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verabredeten System an die Tür. Wir hörten schlurfende Schritte,
|
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das Zuschlagen einer inneren Tür. Dann wurde die Tür, vor der wir
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standen, einen Spalt breit geöffnet, und das Gesicht einer Frau erschien.
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ES war eine mild blickende Dame mittleren Alters. ÆKirill", rief sie,
|
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Æes ist alles in Ordnung!" Im Speiseraum, wo auf dem Tisch ein dampfender
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Samowar und Teller mit Brot und Fisch standen, kam hinter einem Fenstervorhang
|
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ein Mann in einer Uniform hervor, und ein anderer, wie ein Arbeiter gekleidet,
|
|
kam aus einem Schrank heraus. Sie waren froh, mit einem amerikanischen
|
|
Berichterstatter sprechen zu können. Beide erzählten mir, daß
|
|
die Bolschewiki sie erschießen würden, wenn sie sie erwischten.
|
|
Ihre Namen wollten sie nicht nennen. Aber beide waren sie
|
|
Sozialrevolutionäre. ÆWarum drucken ihre Zeitungen eigentlich
|
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diese schrecklichen Lügen?" fragte ich. Ohne sich beleidigt zu fühlen,
|
|
antwortete der Offizier: ÆGewiß, ich weiß, aber was
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können wir tun?!" Er hob die Schultern. ÆSie werden begreifen,
|
|
daß wir noch eine gewisse Stimmung im Volk erzeugen müssen." Der
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|
andere unterbrach ihn. ÆDas mit den Bolschewiki ist doch nur ein Abenteuer.
|
|
Sie haben keine Intellektuellen. Die Ministerien werden nicht arbeiten.
|
|
Rußland ist nicht eine einzelne Stadt, sonder ein ausgedehntes Reich.
|
|
Wir wissen, daß ihre Herrlichkeit nur ein paar Tage dauern kann, und
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|
haben beschlossen, uns auf die Seite ihres stärksten Gegners zu stellen
|
|
- Kerenskis - und bei der Wiederherstellung der Ordnung behilflich zu sein."
|
|
ÆDas ist alles sehr gut", sagte ich, Æaber warum verbinden Sie
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|
sich mit den Kadetten?" Der Pseudoarbeiter lächelte. ÆUm die Wahrheit
|
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zu sagen, die Massen folgen zur Zeit den Bolschewiki. Wir können nicht
|
|
eine Handvoll Soldaten auf die Beine bringen. Wir haben auch keine brauchbaren
|
|
Waffen. Bis zu einem gewissen Grade haben die Bolschewiki recht. Es gibt
|
|
gegenwärtig in Rußland in der Tat nur zwei Parteien von nennenswerter
|
|
Macht, die Bolschewiki und die Reaktionäre, die sich hinter den
|
|
Rockschößen der Kadetten verbergen. Die Kadetten bilden sich ein,
|
|
uns ausnutzen zu können. In Wirklichkeit werden sie von uns
|
|
ausgenützt. Wenn wir die Bolschewiki zerschmettert haben, werden wir
|
|
uns gegen die Kadetten wenden." ÆDenken Sie die Bolschewiki in die
|
|
neue Regierung aufzunehmen?" Er kratzte sich den Kopf. ÆDas ist ein
|
|
Problem", gab er zu. ÆLäßt man sie nicht hinein, dann werden
|
|
sie natürlich keine Ruhe geben. Zum mindesten haben sie die Aussicht,
|
|
in der Konstituante - wenn wir eine bekommen sollten - das Zünglein
|
|
an der Waage zu bilden." ÆUnd dann", meinte der Offizier, Æentsteht
|
|
damit die Frage der Zulassung der Kadetten in die neue Regierung, und aus
|
|
denselben Gründen. Wie Sie wissen, sind die Kadetten nicht aufrichtig
|
|
für die Konstituierende Versammlung - nicht, wenn man die Bolschewiki
|
|
jetzt vernichten kann." Er schüttelte den Kopf. ÆDie Politik ist
|
|
für uns Russen keine leichte Sache. Ihr Amerikaner seid geborene Politiker;
|
|
ihr habt darin eine lange Tradition. Unsere Erfahrungen auf diesem Gebiet
|
|
sind kaum ein Jahr alt!" ÆWas halten Sie von Kerenski?" fragte ich.
|
|
ÆKerenski, das ist der Hauptschuldige an den Sünden der Provisorischen
|
|
Regierung", antwortete der andere. ÆKerenski selbst hat uns die Koalition
|
|
mit der Bourgeoisie aufgezwungen. Sein Rücktritt, mit dem er gedroht
|
|
hat, hätte eine neue Regierungskrise bedeutet, knapp sechs Wochen vor
|
|
der Konstituierenden Versammlung, und das wollten wir verhindern." ÆAber
|
|
lief es denn nicht sowieso darauf hinaus?" ÆAllerdings, aber wie konnten
|
|
wir das wissen! Die Kerenski und Awxentjew haben uns betrogen. Goz ist ein
|
|
wenig radikaler. Ich bin für Tschernow, der ein wirklicher
|
|
Revolutionär ist.... Lenin hat uns erst heute wissen lassen, daß
|
|
er sich dem Eintritt Tschernows in die Regierung nicht widersetzen würde.
|
|
Auch wir wollen die Kerenskiregierung loswerden, wir hielten es aber für
|
|
besser, bis zur Konstituierenden Versammlung zu warten... Anfangs war ich
|
|
für die Bolschewiki, doch das Zentralkomitee meiner Partei hat sich
|
|
einstimmig gegen sie ausgesprochen - was blieb mir da zu tun? Ch mußte
|
|
mich der Parteidisziplin fügen... in einer Woche wird die bolschewistische
|
|
Regierung zusammenbrechen; wenn die Sozialrevolutionäre einfach beiseite
|
|
stehen und warten könnten, so würde die Regierung ihnen zufallen.
|
|
Aber wenn wir eine einzige Woche warten, wird das Land so desorganisiert
|
|
sein, daß das den Sieg der deutschen Imperialisten bedeuten wird. Das
|
|
ließ uns den Aufstand beginnen, obwohl nur zwei Regimenter der Soldaten
|
|
uns ihre Unterstützung zugesagt hatten - und die wandten sich noch gegen
|
|
uns... So blieben uns nur die Offiziersschüler.. ÆWie ist's mit
|
|
den Kosaken?" Der Offizier seufzte. ÆDie haben sich nicht gerührt.
|
|
Zuerst hatten sie erklärt, daß sie marschieren würden, wenn
|
|
die Infanterie sie unterstützte. Außerdem sagten sie, daß
|
|
sie ihre Leute bei Kerenski hätten und ihren Teil auf sich nähmen...
|
|
Schließlich meinten sie, daß die Kosaken seit jeher in dem Rufe
|
|
ständen, der Erbfeind der Demokratie zu sein... Und zu guter Letzt:
|
|
,Die Bolschewiki haben versprochen, uns unser Land zu lassen. Für uns
|
|
besteht also keine Gefahr. Wir bleiben neutral.'"
|
|
<P>
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|
Während dieser ganzem Unterhaltung kamen und gingen fortgesetzt Leute,
|
|
in der Mehrzahl Offiziere, die aber keine Achselstücke trugen. Wir sahen
|
|
sie in dem Vorraum und hörten ihr unterdrücktes temperamentvolles
|
|
Sprechen. Von Zeit zu Zeit öffnete sich eine in einen Baderaum
|
|
führende Tür, und wir erhaschten durch die etwas zurückgezogenen
|
|
Portieren den flüchtigen Anblick eines kräftig gebauten Offiziers
|
|
in der Uniform eines Obersten, der, auf der Toilette sitzend, mit einem
|
|
Schreibblock auf den Knien, eifrig schrieb. Ich erkannte den Obersten
|
|
Polkownikow, den ehemaligen Kommandanten von Petrograd, für dessen
|
|
Verhaftung das Revolutionäre Militärkomitee ein Vermögen gegeben
|
|
hätte. ÆUnser Programm?" sagte der Pseudoarbeiter. ÆDa ist
|
|
es: Übergabe des Landes an die Bodenkomitees, uneingeschränkte
|
|
Beteiligung der Arbeiter an der Industriekontrolle, ein energisches
|
|
Friedensprogramm, aber kein der Welt gestelltes Ultimatum in der Art des
|
|
bolschewistischen Manifests. Die Bolschewiki können ihre den Massen
|
|
gegebenen Versprechen nicht halten, nicht einmal im Land selbst. Wir werden
|
|
es ihnen nicht gestatten. Sie stahlen uns unser Landprogramm, um sich die
|
|
Hilfe der Bauern zu sichern. Das ist unanständig. Wenn sie wenigstens
|
|
bis zur Konstituierenden Versammlung gewartet hätten..." ÆEs handelt
|
|
sich nicht nur um die Konstituierende Versammlung", fiel der Offizier ein.
|
|
ÆWenn die Bolschewiki hier einen sozialistischen Staat errichten wollen,
|
|
dann können wir mit ihnen unter keinen Umständen zusammenarbeiten.
|
|
Kerenski hat einen großen Fehler begangen, als er im Rat der Russischen
|
|
Republik seinen gegen die Bolschewiki erlassenen Haftbefehl bekanntgab und
|
|
diesen so die Möglichkeit gab, ihren Gegenzug zu tun." ÆAber was
|
|
haben Sie jetzt vor?" fragte ich. Die beiden Männer sahen einander an.
|
|
ÆIn ein paar Tagen werden Sie sehen. Sollten wir genügend Truppen
|
|
auf unserer Seite haben, dann denken wir natürlich an keinen Kompromiß
|
|
mit den Bolschewiki. Wenn nicht, werden wir vielleicht dazu gezwungen sein."
|
|
Wieder draußen auf dem Newski, bestiegen wir die Straßenbahn,
|
|
das heißt, wir mußten auf dem Trittbrett stehen. Der Wagen war
|
|
völlig überfüllt. Die Plattform senkte sich tief herunter
|
|
und schleifte fast am Boden entlang. Die Fahrt bis zum Smolny dünkte
|
|
uns endlos. Meschowski, ein liebenswürdiger, schmächtiger, kleiner
|
|
Mensch, kam mit besorgtem Gesicht die Halle entlang. Wir hörten von
|
|
ihm, daß die Streiks in den Ministerien ihre Wirkung zu tun begannen.
|
|
Der Rat der Volkskommissare hatte zwar die Veröffentlichung der
|
|
Geheimverträge beschlossen, aber Neratow, der damit beauftragte Beamte,
|
|
war verschwunden und hatte die Dokumente mit sich genommen. Sie befanden
|
|
sich jetzt wahrscheinlich in der britischen Gesandtschaft. Schlimmer als
|
|
alles das war indessen der Streik der Banken. ÆOhne Geld", erklärte
|
|
Menshinski, Æsind wir hilflos. Die Gehälter der Eisenbahner, der
|
|
Post- und Telegrafenangestellten müssen gezahlt werden; aber die Banken
|
|
sind geschlossen, und auch die Staatsbank, gewissermaßen der
|
|
Schlüssel der ganzen Situation, hat ihren Betrieb eingestellt.
|
|
Sämtliche Bankangestellten Rußlands haben sich verleiten lassen,
|
|
die Arbeit niederzulegen. Lenin hat jedoch befohlen, die Tresore der Staatsbank
|
|
mit Dynamit aufzusprengen, und eben jetzt ist ein Dekret heraus, das die
|
|
Wiedereröffnung der Privatbanken anordnet. Andernfalls würden sie
|
|
mit Gewalt geöffnet werden." Im Petrograder Sowjet herrschte entschlossener
|
|
Siegeswille, drängten sich bewaffnete Männer. Trotzki berichtete:
|
|
ÆDie Kosaken beginnen sich von Krasnoje Selo zurückzuziehen."
|
|
(Jubelnder Beifall.) ÆDie kämpfe fangen jedoch erst an. In Pulkowo
|
|
sind schwere Kämpfe im Gange. Alle verfügbaren Kräfte müssen
|
|
sofort dorthin. Die Nachrichten aus Moskau sind nicht erfreulich. Der Kreml
|
|
ist in der Hand der Offiziersschüler. Die Arbeiter haben nur wenig Waffen.
|
|
Entscheidend wird aber auch dort sein, was hier in Petrograd geschieht. An
|
|
der Front finden unsere Friedens- und Landdekrete begeisterte Aufnahme. Kerenski
|
|
überschwemmt die Schützengräben mit Schauergeschichten über
|
|
das in blut und Flammen untergehende Petrograd, über unzählige,
|
|
von den Bolschewiki gemordete Frauen und Kinder; aber kein Mensch glaubt
|
|
sie. Die Kreuzer ,Oleg', ,Aurora' und ,Respublika' ankern in der Newa. Ihre
|
|
Geschütze beherrschen die Zugänge zur Stadt." ÆWarum sind
|
|
Sie nicht bei den Rotgardisten?" ruft eine rauhe Stimme. ÆIch bin eben
|
|
im Begriff zu gehen", antwortete Trotzki und verließ die Tribüne.
|
|
Das Gesicht noch blasser als gewöhnlich, schritt er, von besorgten Freunden
|
|
umringt, den Seitengang des Saals hinunter und sprang in das bereits wartende
|
|
Automobil. Kamenew sprach jetzt, einen Bericht von dem Verlauf der
|
|
Verständigungskonferenz gebend. Die von den Menschewiki vorgeschlagenen
|
|
Waffenstillstandsbedingungen seien, sagte er, mit Verachtung verworfen worden.
|
|
Sogar die Zweigvereine des Eisenbahnerverbandes hätten sich dagegen
|
|
erklärt. ÆAusgerechnet in dem Moment, da wir die Macht erobert
|
|
haben und uns anschicken, ganz Rußland mit eisernem Besen auszukehren,
|
|
glauben sie folgende drei Kleinigkeiten von uns fordern zu können: 1.
|
|
Sollen wir die Macht wieder aus der Hand geben, 2. Die Soldaten veranlassen,
|
|
den Krieg fortzusetzen, und 3. Die Bauern ihre Landforderungen vergessen
|
|
machen." Lenin nahm kurz das Wort, um auf die Anklagen der
|
|
Sozialrevolutionäre zu antworten. ÆSie werfen uns vor, ihr Landdekret
|
|
gestohlen zu haben. Wenn das der Fall ist, ziehen wir vor ihnen den Hut.
|
|
Es ist für uns gerade gut genug." So ging die Versammlung noch lange
|
|
weiter. Ein Führer nach dem anderen stand auf, um zu erklären,
|
|
zu argumentieren, zu ermahnen; Soldaten und Arbeiter, ihrem Denken und
|
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Fühlen Ausdruck gebend... Die Teilnehmerschaft in ständiger Bewegung,
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wechselnd, sich unablässig erneuernd. Von Zeit zu Zeit wurde nach den
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Mitgliedern der einen oder anderen Truppe gerufen, die zur Front gehen sollten;
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andere, Abgelöste, Verwundete oder vom Smolny Waffen und
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Ausrüstungsgegenstände Holende, kamen herein... Als wir gegen drei
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Uhr morgens den Saal verließen, kam uns mit freudestrahlendem Gesicht
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Golzman vom Revolutionären Militärkomitee entgegengelaufen.
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ÆAlles steht glänzend!" schrie er, meine Hand packend. ÆHier
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ein Telegramm von der Front. Kerenski ist erledigt. Da, schauen Sie." Er
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hielt uns ein Blatt Papier unter die Nase, flüchtig mit Bleistift
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bekritzelt. Als er sah, daß wir es nicht zu entziffern vermochten,
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las er uns den Inhalt laut deklamierend vor:
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ÆPulkowo, Stab, 2.10 Uhr morgens.
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Die Nacht vom 30. zum 31. Oktober wird in der Geschichte fortleben. Kerenskis
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Versuch, konterrevolutionäre Truppen gegen die Hauptstadt der Revolution
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zu führen, ist endgültig gescheitert. Kerenski ist auf dem
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Rückzug. Wir marschieren vorwärts. Die Soldaten, Matrosen und Arbeiter
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Petrograds haben gezeigt, daß sie fähig und entschlossen sind,
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dem Willen und der Autorität der Demokratie mit der Waffe in der Hand
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Geltung zu verschaffen. Die Bourgeoisie hat versucht, die revolutionäre
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Armee zu isolieren. Kerenski wollte sie mit der Gewalt der Kosaken zerbrechen.
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Beide Pläne sind elend gescheitert. Die große Idee der Herrschaft
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der Arbeiter-und-Bauern-Demokratie hat die Armee zusammengeschweißt
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und ihren Willen gestählt. Das ganze Land wird von heute an wissen,
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daß die Macht der Sowjets keine Eintagserscheinung ist, sondern eine
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unbezwingbare Tatsache. Die Niederlage Kerenskis ist die Niederlage der
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Großgrundbesitzer, der Bourgeoisie und der Kornilowleute im allgemeinen.
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Die Niederlage Kerenskis sichert dem Volk das Recht auf ein friedliches,
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freies Leben, auf Land, Brot, und auf die Regierung. Die Pulkowoer
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Truppenabteilung hat mit ihrem kühnen Vorstoß die Sache der
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Arbeiter-und-Bauern-Revolution gestärkt. Die Vergangenheit kehrt nicht
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wieder. Noch wird es Kämpfe, Hindernisse, Opfer geben. Doch der Weg
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ist klar und der Sieg ist sicher.
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Das revolutionäre Rußland und die Sowjetmacht blicken voller Stolz
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auf ihre vom Obersten Walden geführte Pulkowoer Abteilung. Ewiges Andenken
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den Gefangenen! Ruhm und Ehre den Kriegern der Revolution, den Soldaten und
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den Offizieren, die dem Volk die Treue hielten!
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Es lebe das revolutionäre sozialistische Rußland!
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Im Namen des Rates der Volkskommissare:
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<I>L. Trotzki</I>."
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Auf unserm Nachhauseweg den Snamenskiplatz überquerend, sahen wir auf
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dem Nikolaibahnhof eine aufgeregte Menschenansammlung. Es waren einige tausend
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in Waffen starrende Matrosen. Zu ihnen redete von der Bahnhofstreppe aus
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ein Mitglied des Wikshel: ÆGenossen! Wir können euch nicht nach
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Moskau fahren. Wir sind neutral. Wir fahren weder die Truppen der einen noch
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die der anderen Seite. Wir können euch nicht nach Moskau mitnehmen,
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wo schon jetzt ein schrecklicher Bürgerkrieg wütet." Die Matrosen
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schrien wild auf den Redner ein und begannen vorwärtszudrängen.
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Plötzlich wurde eine ander Tür aufgerissen, und zwei oder drei
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Bremser und Heizer standen dort. ÆHier herein, Genossen!" riefen sie.
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ÆWir bringen euch nach Moskau - oder Wladiwostok, wohin ihr wollt.
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Es lebe die Revolution!"
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