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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>Kurt Eisner - Im preu&szlig;ischen Herrenhaus</TITLE>
<META name="BOOKTITLE" content="Zwischen Kapitalismus und Kommunismus">
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<HR size="1">
<P><SMALL>Kurt Eisner: Zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Reden und Aufs&auml;tze. Edition Suhrkamp.<BR>
1. Korrektur<BR>
Erstellt am 20.11.1999</SMALL><H2>Kurt Eisner</H2>
<H1>Im preu&szlig;ischen Herrenhaus</H1>
<P><SMALL>in: Der Zukunftsstaat der Junker. Manteuffeleien gegen die Sozialdemokratie im
preu&szlig;ischen Herrenhaus am 11. und 13. Mai 1904, Berlin 1904, S. 3-10</SMALL>
<HR size="1">
<P>Der sozialdemokratische Dreimillionen-Sieg hat auf die herrschenden Klassen
einen weit tieferen Eindruck gemacht, als sie &auml;u&szlig;erlich zugaben. Die
unmittelbare Wirkung war der Zusammenschlu&szlig; nach rechts.
<P>Heimliche Intrigen und dann auch &ouml;ffentliche Angriffe richteten sich
zun&auml;chst gegen das Reichstagswahlrecht. Die unterirdischen, weit
verzweigten Verschw&ouml;rungen gegen das Wahlrecht wurden aufgedeckt, auch
nationalliberale Abgeordnete wurden als Mitschuldige entlarvt. Bald zeigten
s&auml;mtliche Parteien ihren Ha&szlig; gegen das Wahlrecht. Im
preu&szlig;ischen Abgeordnetenhaus verstanden sich die Freisinnigen zu einem
Reformantrag, dessen Endergebnis noch eine Verschlechterung des
Dreiklassensystems zuungunsten des in Preu&szlig;en parlamentarisch rechtlosen
Proletariats sein mu&szlig;. Der F&uuml;hrer des Zentrums, das seine
Zuverl&auml;ssigkeit in der Wahlrechtsfrage immer beteuert, Herr Dr. Bachern,
sprach am 23. Januar 1904 im preu&szlig;ischen Abgeordnetenhaus gegen die
Demokratisierung des preu&szlig;ischen Wahlrechts, &#187;weil doch das
bestehende Reichstagswahlrecht auch als das reine Ideal nicht anerkannt werden
kann, und es doch, wie es sich gezeigt hat. Mi&szlig;st&auml;nde mit sich
bringen kann. Mi&szlig;br&auml;uchen einen gewissen Raum bringt&#171;. Der
nationalliberale Abgeordnete Menk blies das gro&szlig;e Wecken gegen das
Wahlrecht des Umsturzes. Von der Partei ger&uuml;ffelt, erkl&auml;rte er keck,
wie er d&auml;chten alle, sie seien nur zu feige dazu, es &ouml;ffentlich zu
sagen. Um den Schein zu wahren, schlo&szlig; man ihn aus der Fraktion aus -
eine doppelte Best&auml;tigung f&uuml;r Herrn Menk, eine Bekr&auml;ftigung
nationalliberaler Feigheit und nationalliberaler Herzensw&uuml;nsche.
<P>Daneben wiesen andere Erscheinungen den Weg. Die Arbeitgeber schl&ouml;ssen
sich zu Trutzb&uuml;nden zusammen. Im Reichstag fanden sich die
b&uuml;rgerlichen Parteien bei jedem unm&ouml;glichen Anla&szlig; gegen die
Sozialdemokratie in Ausbr&uuml;chen dummen und fanatischen Hasses. W&auml;hrend
sozialdemokratische Mandate unsinnigerweise f&uuml;r ung&uuml;ltig erkl&auml;rt
wurden, weil gegen unsere Partei Wahlbeeinflussung getrieben wurde,
best&auml;tigte man das Mandat eines Herbert Bismarck, der es lediglich durch
gr&ouml;bste Ungesetzlichkeiten gewann.
<P>Der preu&szlig;ische Partikularismus wurde immer verwegener. Preu&szlig;en
brach r&uuml;cksichtslos in Reichsrechte ein und k&uuml;mmerte sich, um seine
Absichten durchzusetzen, nicht um Verfassung und Gesetz. In der
preu&szlig;ischen Ansiedlungsnovelle und dem Kontraktbruchgesetz lebt schon der
offene Aufruhr des Staatsstreichs. W&auml;hrend der preu&szlig;ische Landtag
alle Reichsangelegenheiten vor sein Gericht zog, verbot man geradezu den
preu&szlig;ischen Ministern, im Reichstag Rede zu stehen. Im Herrenhaus wurde
schlie&szlig;lich ausgesprochen, was ist.
<P>Es ist seit Jahren das Vorrecht des Herrenhauses, die gewaltsame Beseitigung
des Reichstagwahlrechts zu fordern. Schon am 28. M&auml;rz 1895 erkl&auml;rte
an dieser Stelle Graf Mirbach: es werde mit Jubel begr&uuml;&szlig;t werden,
&#187;wenn die verb&uuml;ndeten F&uuml;rsten sich entschl&ouml;ssen, einen
neuen Reichstag auf der Basis eines neuen Wahlrechts ins Leben treten zu
lassen, und zwar unverz&uuml;glich&#171;. Er deutete auch klar an, wie er sich
die Ausf&uuml;hrung dieses Wunsches d&auml;chte, indem er an Alexander den
Gro&szlig;en und den gordischen Knoten erinnerte. Alexander l&ouml;ste ihn mit
einem - Schwerthieb!
<P>Aber alle diese &Auml;u&szlig;erungen blieben vereinzelt und wurden
versch&uuml;chtert abgeleugnet.
<P>(...)
<P>Noch in anderer Hinsicht ist eine bedeutsame Wandlung seit dem 16. Juni 1903
eingetreten. Die Regierung, die vordem immer noch den Schein einer
Vers&ouml;hnungspolitik zu wahren suchte und gegen die &auml;u&szlig;erste
Agrarfronde sich, wie matt immer, zur Wehr setzte, ist vollst&auml;ndig
geschwenkt. Wie auf Kommando benutzen sie jetzt jede Gelegenheit, Reden gegen
die Sozialdemokratie zu schleudern, die im Stil und Geist der
Instruktionsstunden beim Rekrutendrill gehalten sind. B&uuml;low und Budde
lie&szlig;en ihre Reden gegen den Umsturz als Flugbl&auml;tter verbreiten. Herr
v. Hammerstein, der preu&szlig;ische Polizeiminister, erkl&auml;rte den
boshaften Wahnsinn des preu&szlig;ischen Dreiklassensystems f&uuml;r das beste
aller Wahlrechte, und der deutsche Reichskanzler leistete im preu&szlig;ischen
Herrenhaus den Schwur: &#187;Der K&ouml;nig in Preu&szlig;en voran,
Preu&szlig;en in Deutschland voran, Deutschland in der Welt voran&#171; -was im
gew&ouml;hnlichen Deutsch bedeutet: der Junker &uuml;berall voran!
<P>&Uuml;berhaupt verlegten die Minister ihre T&auml;tigkeit immer mehr in die
preu&szlig;ischen Parlamente. Noch 1902 protestierte der preu&szlig;ische
Finanzminister v. Rheinbaben gegen die herrenh&auml;uslerischen
&Uuml;bergriffe, sich als h&ouml;here Instanz &uuml;ber die Reichspolitik
aufzuwerfen, indem er dem Grafen Mirbach gegen&uuml;ber bemerkte: &#187;Ich
kann im wohlverstandenen Interesse dieses Hohen Hauses wie &uuml;berhaupt des
preu&szlig;ischen Landtags nur dringend davor warnen, Angelegenheiten des
Reichstages hier zur Sprache zu bringen.&#171;
<P>Im Mai 1903 verlie&szlig;en die Minister den Saal des Herrenhauses, sobald
dieses die Handelspolitik des Reiches zu er&ouml;rtern begann.
<P>Diesmal verantwortete sich Graf B&uuml;low, der Reichskanzler, sehr
ausf&uuml;hrlich und h&ouml;chst dem&uuml;tig gegen die Angriffe auf die
&#187;Schw&auml;che&#171; seiner Reichspolitik, und anstatt die
Reichsverfassung gegen die Gewaltaufreizungen der preu&szlig;ischen Junker zu
verteidigen, erkannte er grunds&auml;tzlich ihre Forderungen an. Ja, noch mehr:
<P>Als am zweiten Tag der Debatte geradezu eine Treibjagd gegen den
schw&auml;chlichen Reichskanzler veranstaltet wurde, erhob der Finanzminister
v. Rheinbaben, nicht etwa um den abwesenden Ministerpr&auml;sidenten zu
sch&uuml;tzen, sondern um den einzigen Redner abzuwehren, der f&uuml;r die
Regierung gesprochen - eine Szene, die im
<I>
Vorw&auml;rts
</I>
wie folgt geschildert wurde: W&auml;hrend die Lucius und Manteuffel Angriff
und Angriff, Anklage auf Anklage h&auml;uften gegen eine Regierung, deren
&#187;Nachsicht&#171; gegen&uuml;ber der Sozialdemokratie &#187;an
Schw&auml;che grenze&#171;, und die dem fluchw&uuml;rdigen geheimen
Reichstagswahlrecht durch Einf&uuml;hrung des Klosettgesetzes gar noch
Zugest&auml;ndnisse gemacht habe, spielte Herr v. Rheinbaben elegant mit seinem
Bleistift, sa&szlig; Herr v. Hammerstein, in sich selbst verkrochen, bei seinen
Akten, bem&uuml;hten sich auch die Herren v. Budde und v. Podbielski,
vollendete Gleichg&uuml;ltigkeit zu heucheln, indes der angegriffene
Ministerpr&auml;sident fern blieb, sei es im Gef&uuml;hl der Sicherheit seiner
Position, sei es, um einen verlorenen Posten rechtzeitig zu r&auml;umen.
<P>Die Debatte selbst begann mit einem gottseligen Vorspiel. Etliche evangelische
Ritter f&uuml;hrten ein Turnier auf zur Wahrung ihres vom Katholizismus
bedrohten Gewissens, weil die Regierung eine belanglose Bestimmung des
Jesuitengesetzes aufgehoben hatte. Der geistliche Streit endigte in einem
Vers&ouml;hnungsfest. Auch das geh&ouml;rt zum Bild dieser Zeit. Man will vom
konfessionellen Gegensatz nichts mehr wissen. Konfessioneller Friede - ist die
Losung im protestantischen wie im katholischen Lager. Was bedeutet das? Ist die
Ausbeutung nicht immer konfessionslos gewesen? Sitzen nicht evangelische,
katholische und j&uuml;dische Unternehmer friedlich in ihren
Kampforganisationen gegen die Arbeiter beisammen? Ist nicht auch der Zollwucher
konfessionslos und wird gleicherma&szlig;en von Magnaten katholischen und
protestantischen Glaubens als h&ouml;chste Religion bekannt? Der konfessionelle
Friede bedeutet eben lediglich den Frieden der Besitzenden. Hinter der Formel
steckt jedoch noch etwas anderes: die Auslieferung der Schule an die Kirche,
insonderheit an die katholische Kirche, die es bisher noch immer verstanden
hat, Arbeitermassen um die sozialistische Aufkl&auml;rung zu betr&uuml;gen.
Konfessioneller Friede der Herrschenden - das ist die konfessionelle Spaltung
der Arbeiter, die verhindert werden sollen, sich ohne Unterschied der
Konfession, so wie es ihre Unterdr&uuml;cker tun, zu vereinigen.
<P>Nachdem derma&szlig;en die geistige Fessel f&uuml;r die Arbeiterschaft in
frommem Gottesstreit geschmiedet, wurde dann in der allgemeinen Diskussion die
wirtschaftliche und politische Alleinherrschaft der Gutsherrn proklamiert.
<P>Diesen Feudalherren erf&uuml;llt sich der Zweck der menschlichen Gesellschaft,
wenn den Herren ein standesgem&auml;&szlig;es Dasein und absolute Freiheit
&uuml;ber die Masse der Frohndenden gew&auml;hrt wird. Ihre wirtschaftliche
Existenz soll durch K&uuml;ndigung der Handelsvertr&auml;ge gesichert werden.
Diese Kleinigkeit verlangten die Edlen sofort und unbedingt von der Regierung.
Mag die Industrie dar&uuml;ber zugrundegehen - das Ideal der Feudalherren, der
Zukunftsstaat der Junker ist das Monopol der nationalen Lebensmittelerzeugung,
ist ein Agrarsyndikat, das bei Aussperrung aller fremden Zufuhr die
M&ouml;glichkeit hat, dem Volk die Preise zu diktieren, die es zu zahlen hat,
damit der Junker bestehen k&ouml;nne. Weil aber das zu politischer
M&uuml;ndigkeit erwachte Proletariat diesen Selbstmord freiwillig niemals
begehen wird, darum mu&szlig; es zun&auml;chst niedergeschlagen werden. Das war
der Sinn und der Zweck der Sozialistenhetze.
<P>(...) Es ist erstaunlich, wie armselig eine Versammlung &uuml;ber die
h&ouml;chsten Kulturprobleme schwatzt, eine K&ouml;rperschaft, die doch aus den
Spr&ouml;&szlig;lingen tausendj&auml;hriger vornehmster Zucht und dem feinsten
Ausschu&szlig; des B&uuml;rgertums, den Universit&auml;tsprofessoren und den
Spitzen der st&auml;dtischen Gemeinden besteht. Nirgends erhob sich die Debatte
&uuml;ber die j&auml;mmerlichen Phrasen von sozialdemokratischer
Vaterlandslosigkeit und Religionszerst&ouml;rung. Diese Herren, die
behaupteten, die gesamte sozialdemokratische Literatur gelesen zu haben,
verrieten auch nicht die Kenntnis eines einzigen Satzes aus dem
sozialdemokratischen Programm. Nichts als &ouml;de Verleumdungen, tausendfach
widerlegte Flugblattm&auml;rchen und dazwischen wunderbare
R&auml;ubergeschichten, wie sie sich die alten Weiber auf den entlegensten
Gutsh&ouml;fen gruselnd erz&auml;hlen m&ouml;gen.
<P>Freilich, darauf kam es auch nicht an. Dar&uuml;ber war sich das hohe Haus, das
die lebendige Widerlegung des aristokratischen Prinzips als eines
Kulturprinzips ist, durchweg einig: Mit geistigen Waffen l&auml;&szlig;t sich
die Sozialdemokratie nicht besiegen. Nat&uuml;rlich: wie soll sich die
Wahrheit, die Vernunft, die Notwendigkeit geistig widerlegen lassen? Das
Junkertum vertraut auf keinem Gebiet den geistigen Waffen. Dann, das wei&szlig;
es, mu&szlig; es unterliegen. Darum wendet es seine ganze ungeheure
gesellschaftliche Macht dazu an, den freien Wettbewerb der Bildung und
F&auml;higkeit auszuschalten und den hochwohlgeborenen Erzeugnissen der
Gutsbezirke Armee, Verwaltung, Justiz ausschlie&szlig;lich zu sichern.
<P>Hilft der Geist nicht, so mu&szlig; die Faust retten. So wurde es denn als
Programm mit brutaler Offenheit verk&uuml;ndet: Politische Entrechtung der
Arbeiter, Beseitigung des Reichstagswahlrechts, Ausnahmegesetze gegen die
Sozialdemokratie. Man wei&szlig;, was das bedeutet: Knebelung der Presse,
Zerst&ouml;rung des Versammlungsund Vereinswesens, Zuchthausvorlagen gegen die
Gewerkschaften, weiterhin: Beschr&auml;nkung der Freiz&uuml;gigkeit und
Beseitigung aller Ma&szlig;nahmen, die geeignet sind, die Ausbeutung der
Besitzlosen irgendwie zu mildern. Von der Sozialpolitik des Reiches, diesem
Reklamestolz des christlich-monarchischen Staates, wollen die Magnaten
Preu&szlig;ens gar nichts wissen. Der Arbeiter sei doch nicht
&#187;dankbar&#171;, sie sind dazu da, billig zu arbeiten und teuer die
Produkte der nationalen Agrarier zu bezahlen - zu weiter nichts. Es war der
Graf Mirbach, der dar&uuml;ber zornig klagte, da&szlig; die Belastung der
Gutsbesitzer durch das Unfallgesetz unertr&auml;glich sei. Zwei und eine halbe
Mark haben die ostpreu&szlig;ischen Feudalherren auf den Kopf ihrer Arbeiter
j&auml;hrlich daf&uuml;r zu zahlen, da&szlig; die in ihren Diensten
get&ouml;teten oder zu Kr&uuml;ppeln gewordenen Arbeiter unterst&uuml;tzt
werden k&ouml;nnen; auch diese Bettelpfennige sind schon unertr&auml;glich.
<P>Als Mindestgrenze der politischen Entrechtung wurde die &#187;Reform&#171; des
Reichstagswahlrechts in der Richtung gefordert, da&szlig; die Wahl
&ouml;ffentlich und an eine direkte Steuerleistung gebunden, das Wahlalter auf
50 Jahre heraufgesetzt werde. Es war der Hausminister des K&ouml;nigs von
Preu&szlig;en, des deutschen Kaisers, Herr v. Wedel-Piesdorf, der dieses
Programm aufstellte, obwohl doch dieselbe Verfassung, die dem Rechtsgrund der
deutschen Kaiserkrone bildet, das demokratische Wahlrecht enth&auml;lt.
<P>&Uuml;ber die Durchf&uuml;hrung dieser Diktatur des Junkertums machen sich die
Herren nicht die geringste Sorge. Das Herrenhaus, das ein Rechtsbruch schuf,
vertritt seit jeher die Politik des Staatsstreichs. In der Konfliktszeit 1861 -
unmittelbar nach dem Regierungsantritt Bismarcks - war es das Herrenhaus, das
am 11. Oktober, ohne einen Augenblick zu schwanken, verfassungswidrig einen
anderen Etatsentwurf beschlo&szlig;, als es vom Abgeordnetenhaus erhalten
hatte. Man lachte dar&uuml;ber, da&szlig; der Pr&auml;sident des damals
oppositionellen Landtags mit pathetischer Geb&auml;rde den
&#187;verfassungswidrigen Beschlu&szlig; von der Barre dieses Hauses
zur&uuml;ckwies&#171;. Die Grafen und Barone der ersten Kammer hielten den
Rechtsbruch f&uuml;r &#187;geboten&#171;, und so ver&uuml;bten sie ihn.
<P>Man hat auch gen&uuml;gend deutlich verraten, wie gegen das Wahlrecht
vorzugehen sei. Dieser Reichstag werde allerdings f&uuml;r eine Reform nicht zu
haben sein. Dann m&uuml;sse eben an einen anderen Reichstag appelliert werden!
Wenn dieser Satz einen Sinn haben soll - es ist ja klar, da&szlig; ein unter
der Parole der Beseitigung des Wahlrechts erfolgender Wahlkampf keinen
Reichstag gegen das Wahlrecht ergeben w&uuml;rde -, so kann er nur bedeuten,
da&szlig; nach dem Vorgang der preu&szlig;ischen Konterrevolution der Reichstag
aufgel&ouml;st und auf Grund eines oktroyierten Wahlrechts ein neuer
gew&auml;hlt wird, der dann den Staatsstreich zu legitimieren h&auml;tte.
<P>Der verantwortliche H&uuml;ter der Reichsverfassung aber fand kein Wort des
Protestes gegen die Aufreizungen zum Hochverrat. Zwar ist Graf B&uuml;low nicht
geneigt, sofort zu handeln. Aber wenn das Wahlrecht weiter &#187;falsch&#171;
angewendet werden sollte, dann werde man es &auml;ndern m&uuml;ssen. Das
hei&szlig;t, das Elementarrecht des B&uuml;rgers im modernen Staat
grunds&auml;tzlich preisgeben. Er will auch die Sozialreform fortsetzen, aber
nur, um ein gutes Gewissen zur Schau tragen zu k&ouml;nnen, wenn zu anderen
Ma&szlig;nahmen gegen die Freiheitsbewegung des Proletariats &uuml;bergegangen
werden sollte, das hei&szlig;t: den Arbeiterschutz als Freibier und Freischnaps
verwenden, um den Arbeitern im Rausch das Bewu&szlig;tsein ihres Elends und
ihrer Zukunft zu entwenden.
<P>Und die Vertreter des B&uuml;rgertums? Seitdem die deutsche Bourgeoisie, aus
feiger und kurzsichtiger Angst vor dem Proletariat, ihre historische Aufgabe
verraten hat, mit dem Feudalismus aufzur&auml;umen, ist sie politisch
gebrochen. Zwar richtet sich der Aufstand des Junkertums auch gegen den
b&uuml;rgerlichen Kapitalismus, die industrielle Entwicklung, die Regierungs-
und Verwaltungsf&auml;higkeit des B&uuml;rgertums im Staat - aber man geht
lieber zugrunde, als da&szlig; man mit dem Proletariat &#187;paktiert&#171;.
<P>Indem die preu&szlig;ischen Herrenhausritter die gewaltsame Niederwerfung der
Arbeiterbewegung fordern, bek&auml;mpfen sie nicht nur den Sozialismus. Sie
errichten den Feudalismus gegen die Demokratie, gegen den Liberalismus. Das
Junkertum f&uuml;hlt, da&szlig; alles Echte und Gro&szlig;e einer liberalen
Weltanschauung in die Arbeiterbewegung &uuml;bergegangen ist. So wiederholt
sich in der Staatsstreichpolitik des Herrenhauses gegen alle Grundrechte des
modernen Staates tats&auml;chlich zun&auml;chst noch einmal der Kampf des
Feudalismus gegen das B&uuml;rgertum, des Feudalismus, der logisch 1789 in den
Katakomben der Weltgeschichte beigesetzt ist, in Preu&szlig;en und Deutschland
aber nach seinem Tode noch verpestend bis zum heutigen Tage herrscht. Es
wiederholt sich und vollendet sich die preu&szlig;ische Junkerrebellion der
f&uuml;nfziger Jahre, und diesmal wird das B&uuml;rgertum politisch f&uuml;r
immer vernichtet werden. Nicht das Proletariat, gegen das sich der Kampf
richtet, wird politisch unterliegen, sondern die Bourgeoisie, die sich hinter
den breiten R&uuml;cken der Feudalherren verkrochen hat.
<P>Die Wortf&uuml;hrer des B&uuml;rgertums schwiegen in dieser Herrenhausdebatte
durchweg, obwohl es doch auch um ihre Sache sich handele, wie &uuml;brigens
auch die F&uuml;hrer des Zentrums keinerlei Einwendungen erhoben. Nur zwei
B&uuml;rgermeister machten einige sch&uuml;chterne Bedenken gehend, und zwei
Professoren bekundeten den traurigen Niedergang deutscher Wissenschaft. Da
sprach ein ber&uuml;hmter Universit&auml;tsmann
<I>
(Der National&ouml;konom Gustav Schmoller
</I>
<I>
Anm. d. Hg.).
</I>
in einem lichten marxistischen Augenblick unter der st&uuml;rmischen Unruhe
der Erlauchten von einem feudal-aristokratischen Klassenregiment, um im
gleichen Atemzug &uuml;ber den Klassenkampf des Proletariats zu jammern; da
wehrte er sich in kl&auml;glichen Ausfl&uuml;chten gegen den furchtbaren
Verdacht, er habe mit der Sozialdemokratie bei den Berliner Landtagswahlen
kompromisselt und dadurch das Interesse der freien Forschung, die allein von
der Sozialdemokratie unbedingt verteidigt wird, gegen die Erstickung durch die
Junkergewalt sch&uuml;tzen wollen. Und ein anderer, noch ber&uuml;hmterer
Professor
<I>
(Der Jurist und Zivilrechtler Heinrich Dernburg Anm. d. Hg.)
</I>
rief beschw&ouml;rend die Hohenzollerntreue an, um die Anklage zu
entkr&auml;ften, die preu&szlig;ische, etatm&auml;&szlig;ige Wissenschaft
k&ouml;nne jemals so tief sinken, da&szlig; sie mit der Revolution sich
verbr&uuml;dere.
<P>(...)
<P>Es ist kein Zweifel, da&szlig; das deutsche Proletariat erst am Anfang seiner
K&auml;mpfe steht. Ehe nicht das Junkertum gebrochen ist, sind selbst die
Elementarrechte des Volkes, die Grundbedingungen jeder Kultur, dauernd
gef&auml;hrdet. Kein altes Recht ist gesichert, kein neues Recht wird uns
zugestanden. Zwischen der Sozialdemokratie und dem Junkertum gibt es
ebensowenig eine Br&uuml;cke und eine Verst&auml;ndigung wie zwischen dem
Feudalismus und moderner Weltanschauung. Das deutsche Proletariat hat noch
immer um die Rechte zu ringen, die seit der gro&szlig;en franz&ouml;sischen
Kultur Gemeingut und heiligster Besitz der Kulturstaaten geworden sind, um die
Vorbedingungen jeden Aufstiegs und jeder Entwicklung der Gesellschaft.
<P>Aber das in der Sozialdemokratie organisierte Proletariat wird in diesem Kampf
siegen, wie schwer er sich gestalten mag; denn mit ihr ist die Vernunft, die
geschichtliche Notwendigkeit. Es gibt nur ein Mittel, um unsere Sache zu
&uuml;berw&auml;ltigen. Sie m&uuml;&szlig;ten das gesamte Proletariat
totschlagen. Das aber tun sie nicht, weil sie ohne uns nicht leben k&ouml;nnen.
Sie brauchen unsere H&auml;nde, unsere K&ouml;pfe, sie sind nichts ohne uns.
Selbst f&uuml;r das Totschlagen brauchen sie Proletarier, die noch unwissend
genug sind, um gegen sich selbst zu w&uuml;ten.
<P>Die Junkerherrschaft mu&szlig; zugrunde gehen. Sie kann nur eines leisten: die
inneren Verh&auml;ltnisse vor&uuml;bergehend zerr&uuml;tten und Deutschland im
Rat der V&ouml;lker wehrlos machen und isolieren. Die Unfreiheit der
verjunkerten Zust&auml;nde Deutschlands hat bereits jetzt dazu gef&uuml;hrt,
da&szlig; sich die demokratischen Staaten Europas, Frankreich, England,
Italien, gegen das Deutschland der Reaktion zusammengeschlossen haben. Die
Inzucht der junkerlichen Monopolisten aller Staatsgewalt hat den
&ouml;ffentlichen Geist Deutschlands ver&ouml;det und verdorben. Kein
staatsm&auml;nnisches Talent zeigt sich irgendwo an leitender Stelle, kein
Charakter, geschweige eine geniale Pers&ouml;nlichkeit. Hohle Diplomaten und
unwissende B&uuml;rokraten schleppen von Tag zu Tag, ohne irgendwelches
bedeutende Ziel, die Regierung weiter. Kein frischer Wind, kein freies Atmen!
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