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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<META NAME="Author" CONTENT="Friedrich Engels">
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<META NAME="Date" CONTENT="1998-01-18">
<TITLE>Friedrich Engels - Revolution und Konterrevolution in Deutschland - I</TITLE>
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<P><SMALL>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 8, "Revolution und Konterrevolution in Deutschland", S. 5 - 13 <BR>
Dietz Verlag, Berlin/DDR, 1960 </SMALL></P>
<P ALIGN="CENTER"><A HREF="me08_003.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="me08_014.htm"><FONT SIZE=2>II - [Der preu&szlig;ische Staat]</FONT></A></P>
<FONT SIZE=5><STRONG><P ALIGN="CENTER">I<BR>
[Deutschland am Vorabend der Revolution]</P>
</FONT><P><A NAME="S5">&lt;5&gt;</A> </STRONG>Der erste Akt des revolution&auml;ren Dramas auf dem europ&auml;ischen Kontinent ist zu Ende. Die "M&auml;chte der Vergangenheit" vor dem Sturm von 1848 sind wieder die "M&auml;chte der Gegenwart", und die mehr oder weniger popul&auml;ren Eintagsherrscher, provisorischen Regenten, Triumvirn, Diktatoren, alle mit ihrem Gefolge von Abgeordneten, Zivilkommissaren, Milit&auml;rkommissaren, Pr&auml;fekten, Richtern, Generalen, Offizieren und Soldaten, sind an fremde K&uuml;sten verschlagen und "&uuml;ber See verschickt", nach England oder Amerika, um dort neue Regierungen "in partibus infidelium", europ&auml;ische Komitees, Zentralkomitees, nationale Komitees zu bilden und ihr Kommen in Proklamationen anzuk&uuml;ndigen, nicht minder feierlich als die eines weniger imagin&auml;ren Potentaten.</P>
<P>Eine schwerere Niederlage als die, welche die Revolutionspartei - oder besser die Revolutionsparteien - auf dem Kontinent an allen Punkten der Kampflinie erlitten, ist kaum vorstellbar. Doch was will das besagen? Umfa&szlig;te nicht das Ringen des britischen B&uuml;rgertums um die soziale und politische Vorherrschaft achtundvierzig, das des franz&ouml;sischen B&uuml;rgertums vierzig Jahre beispielloser K&auml;mpfe? Und waren sie ihrem Triumph nicht gerade dann am n&auml;chsten, als die wiederhergestellte Monarchie sich fester im Sattel w&auml;hnte denn je? Die Zeiten jenes Aberglaubens, der Revolutionen auf die B&ouml;sartigkeit einer Handvoll Agitatoren zur&uuml;ckf&uuml;hrt, sind l&auml;ngst vor&uuml;ber. Alle Welt wei&szlig; heutzutage, da&szlig; jeder revolution&auml;ren Ersch&uuml;tterung ein gesellschaftliches Bed&uuml;rfnis zugrunde liegen mu&szlig;, dessen Befriedigung durch &uuml;berlebte Einrichtungen verhindert wird. Das Bed&uuml;rfnis mag noch nicht so dringend, so allgemein empfunden werden, um einen unmittelbaren Erfolg zu sichern; aber jeder Versuch einer gewaltsamen Unterdr&uuml;ckung wird es nur immer st&auml;rker hervortreten lassen, bis es seine Fesseln zerbricht. Sind wir also einmal geschlagen, so haben wir nichts anderes zu tun, als wieder von vorn anzufangen. Und die wahrscheinlich nur sehr kurze <A NAME="S6"><STRONG>&lt;6&gt;</A></STRONG> Ruhepause, die uns zwischen dem Schlu&szlig; des ersten und dem Anfang des zweiten Aktes der Bewegung verg&ouml;nnt ist, gibt uns zum Gl&uuml;ck die Zeit f&uuml;r ein sehr notwendiges St&uuml;ck Arbeit: f&uuml;r die Untersuchung der Ursachen, die unweigerlich sowohl zu der letzten Erhebung wie zu ihrem Mi&szlig;lingen f&uuml;hrten; Ursachen, die nicht in den zuf&auml;lligen Bestrebungen, Talenten, Fehlern, Irrt&uuml;mern oder Verr&auml;tereien einiger F&uuml;hrer zu suchen sind, sondern in dem allgemeinen gesellschaftlichen Zustand und in den Lebensbedingungen einer jeden, von Ersch&uuml;tterungen betroffenen Nation. Da&szlig; die pl&ouml;tzlichen Bewegungen des Februar und M&auml;rz 1848 nicht das Werk Einzelner waren, sondern der spontane, unwiderstehliche Ausdruck nationaler Bed&uuml;rfnisse, die mehr oder weniger klar verstanden, aber sehr deutlich empfunden werden von einer ganzen Anzahl von Klassen in allen L&auml;ndern - das ist eine allgemein anerkannte Tatsache; wenn man aber nach den Ursachen der Erfolge der Konterrevolution forscht, so erh&auml;lt man von allen Seiten die bequeme Antwort, Herr X oder B&uuml;rger Y habe das Volk "verraten". Diese Antwort mag zutreffen oder auch nicht, je nach den Umst&auml;nden, aber unter keinen Umst&auml;nden erkl&auml;rt sie auch nur das Geringste, ja sie macht nicht einmal verst&auml;ndlich, wie es kam, da&szlig; das "Volk" sich derart verraten lie&szlig;. Und wie j&auml;mmerlich sind die Aussichten einer politischen Partei, deren ganzes politisches Inventar in der Kenntnis der einen Tatsache besteht, da&szlig; dem B&uuml;rger Soundso nicht zu trauen ist.</P>
<P>&Uuml;berdies ist es vom historischen Standpunkt aus von gr&ouml;&szlig;ter Bedeutung, da&szlig; sowohl die Ursachen der revolution&auml;ren Ersch&uuml;tterung wie die ihrer Unterdr&uuml;ckung untersucht und dargestellt werden. All die kleinlichen pers&ouml;nlichen Z&auml;nkereien und Beschuldigungen, all die einander widersprechenden Behauptungen, Marrast oder Ledru-Rollin oder Louis Blanc oder ein anderes Mitglied der Provisorischen Regierung oder alle zusammen h&auml;tten die Revolution mitten in die Klippen hineingesteuert, an denen sie scheiterte - welches Interesse k&ouml;nnen sie bieten, welches Licht auf die Ereignisse werfen f&uuml;r einen Amerikaner oder Engl&auml;nder, der all diese verschiedenen Bewegungen aus einer Entfernung beobachtete, die zu gro&szlig; ist, um ihn Einzelheiten der Vorg&auml;nge unterscheiden zu lassen? Kein vern&uuml;nftiger Mensch wird jemals glauben, da&szlig; elf M&auml;nner, zumeist von recht mittelm&auml;&szlig;iger Begabung im Guten wie im B&ouml;sen, imstande gewesen seien, im Verlauf von drei Monaten eine Nation von sechsunddrei&szlig;ig Millionen zugrunde zu richten, es sei denn, diese sechsunddrei&szlig;ig Millionen waren sich &uuml;ber den einzuschlagenden Weg genauso im unklaren wie jene elf. Aber wie es kam, da&szlig; diese sechsunddrei&szlig;ig Millionen, obwohl sie zum Teil im ungewissen umhertappten, auf einmal berufen waren, nach eigenem Gutd&uuml;nken zu ent- <A NAME="S7"><STRONG>&lt;7&gt;</A></STRONG> scheiden, welcher Weg beschritten werden solle, wie sie sodann in die Irre gerieten und ihre alten F&uuml;hrer vor&uuml;bergehend wieder die F&uuml;hrung erlangen durften - das ist gerade die Frage.</P>
<P>Wenn wir also versuchen, den Lesern der "Tribune" die Ursachen auseinanderzusetzen, die mit Notwendigkeit die Revolution von 1848 hervorriefen und ebenso unvermeidlich zu ihrer zeitweiligen Unterdr&uuml;ckung in den Jahren 1849 und 1850 f&uuml;hrten, so darf man von uns nicht erwarten, da&szlig; wir eine vollst&auml;ndige Geschichte der Ereignisse geben, wie sie sich in Deutschland abgespielt haben. Sp&auml;tere Ereignisse und das Urteil der Nachwelt werden entscheiden, was von dieser verworrenen Masse scheinbar zuf&auml;lliger, zusammenhangloser und nicht miteinander vereinbarer Tatsachen bestimmt ist, in die Weltgeschichte einzugehen. Die Zeit f&uuml;r eine solche Aufgabe ist noch nicht gekommen; wir m&uuml;ssen uns in den Grenzen des M&ouml;glichen halten und uns zufriedengeben, wenn es uns gelingt, vernunftgem&auml;&szlig;e, auf unleugbaren Fakten beruhende Ursachen zu finden, die die wichtigsten Ereignisse, die entscheidenden Wendepunkte jener Bewegung erkl&auml;ren und uns Aufschlu&szlig; &uuml;ber die Richtung geben, in die der n&auml;chste, vielleicht gar nicht so ferne Ausbruch das deutsche Volk lenken wird.</P>
<P>Zun&auml;chst, welches war der Zustand Deutschlands bei Ausbruch der Revolution?</P>
<P>Die Zusammensetzung der verschiedenen Klassen des Volkes, die die Grundlage eines jeden politischen Organismus bilden, war in Deutschland komplizierter als in irgend einem anderen Lande. W&auml;hrend in England und Frankreich eine m&auml;chtige, reiche, in gro&szlig;en St&auml;dten und namentlich in der Hauptstadt konzentrierte Bourgeoisie den Feudalismus v&ouml;llig vernichtet oder wenigstens, wie in dem erstgenannten Lande, auf einige wenige, bedeutungslose &auml;u&szlig;ere Formen reduziert hatte, war dem Feudaladel in Deutschland ein gro&szlig;er Teil seiner alten Privilegien erhalten geblieben. Fast &uuml;berall herrschte noch das System des feudalen Grundbesitzes. Die Grundherren hatten sogar die Gerichtsbarkeit &uuml;ber ihren Gutsbezirk behalten. Obzwar ihrer politischen Vorrechte, des Rechtes, die F&uuml;rsten zu kontrollieren, beraubt, hatten sie doch fast ihre ganzen mittelalterlichen Hoheitsrechte &uuml;ber die Bauernschaft ihrer L&auml;ndereien sowie die Steuerfreiheit bewahrt. Der Feudalismus war in manchen Gegenden mehr in Bl&uuml;te als in anderen, aber au&szlig;er auf dem linken Rheinufer war er nirgends v&ouml;llig beseitigt. Dieser seinerzeit au&szlig;erordentlich zahlreiche und zum Teil sehr reiche Feudaladel galt offiziell als der erste "Stand" im Lande. Er stellte die h&ouml;heren Staatsbeamten, er besetzte fast ausschlie&szlig;lich die Offiziersstellen in der Armee.</P>
<P>Die Bourgeoisie Deutschlands war bei weitem nicht so reich und konzen- <A NAME="S8"><STRONG>&lt;8&gt;</A></STRONG> triert wie die Frankreichs oder Englands. Die alten Manufakturen Deutschlands waren durch das Aufkommen der Dampfkraft und durch die sich rasch ausbreitende Vorherrschaft der englischen Industrie zugrunde gerichtet worden; die moderneren Industrien, die, unter dem napoleonischen Kontinentalsystem ins Leben gerufen, in anderen Teilen des Landes errichtet worden waren, boten keinen Ausgleich f&uuml;r den Verlust der alten und reichten nicht aus, um einen Kreis an der Industrie Interessierter zu bilden, der stark genug gewesen w&auml;re, Regierungen, die jeder Anh&auml;ufung nichtadeligen Reichtums und nichtadeliger Macht argw&ouml;hnisch gegen&uuml;berstanden, zur R&uuml;cksicht auf ihre Bed&uuml;rfnisse zu zwingen. W&auml;hrend Frankreich seine Seidenindustrie siegreich &uuml;ber f&uuml;nfzig Revolutions- und Kriegsjahre hinwegbrachte, b&uuml;&szlig;te Deutschland im gleichen Zeitraum fast seine ganze alte Leinenindustrie ein. &Uuml;berdies waren die deutschen Industriebezirke d&uuml;nn ges&auml;t und weit verstreut; sie lagen tief im Innern des Landes, benutzen f&uuml;r ihre Ein- und Ausfuhr vorwiegend ausl&auml;ndische, holl&auml;ndische oder belgische H&auml;fen und hatten daher wenig oder gar keine gemeinsame Interessen mit den gro&szlig;en Hafenst&auml;dten an der Nord- und Ostsee; vor allem aber waren sie au&szlig;erstande, gro&szlig;e Industrie- und Handelszentren zu bilden wie Paris und Lyon, London und Manchester. Die R&uuml;ckst&auml;ndigkeit der deutschen Industrie hatte mannigfaltige Ursachen, aber zwei werden schon zu ihrer Erkl&auml;rung gen&uuml;gen: die ung&uuml;nstige geographische Lage des Landes, seine Entfernung vom Atlantischen Ozean, der zur gro&szlig;en Heerstra&szlig;e des Welthandels geworden war, sowie die st&auml;ndigen Kriege, in die Deutschland verwickelt war und die vom sechzehnten Jahrhundert an bis auf den heutigen Tag auf seinem Boden ausgefochten wurden. Diese zahlenm&auml;&szlig;ige Schw&auml;che und namentlich ihre geringe Konzentration machten es der deutschen Bourgeoisie unm&ouml;glich, jene politische Machtstellung zu erringen, deren sich die englische Bourgeoisie seit 1688 erfreut und die die franz&ouml;sische Bourgeoisie 1789 erobert hat. Und doch war in Deutschland der Reichtum und mit dem Reichtum die politische Bedeutung der Bourgeoisie seit 1815 in st&auml;ndigem Wachstum begriffen. Die Regierungen waren gezwungen, wenn auch widerwillig, wenigstens ihren unmittelbaren materiellen Interessen Rechnung zu tragen. Man kann sogar mit Recht sagen, da&szlig; von 1815 bis 1830 und von 1832 bis 1840 jedes St&uuml;ckchen an politischem Einflu&szlig;, das der Bourgeoisie in den Verfassungen der kleineren Staaten einger&auml;umt worden war und ihr in den erw&auml;hnten beiden Perioden politischer Reaktion wieder entrissen wurde - da&szlig; jedes derartige St&uuml;ckchen durch eine Konzession praktischerer Art aufgewogen wurde. Jede politische Niederlage der Bourgeoisie zog einen Sieg auf dem Gebiete der Handelsgesetzgebung nach sich. Und sicherlich war der preu&szlig;ische Schutz- <A NAME="S9"><STRONG>&lt;9&gt;</A></STRONG> zolltarif von 1818 und die Gr&uuml;ndung des Zollvereins f&uuml;r die deutschen Kaufleute und Fabrikherren ein gut Teil mehr wert als das zweifelhafte Recht, in der Kammer des einen oder anderen Doudezstaats Ministern, die &uuml;ber solche Abstimmungen nur lachten, ihr Mi&szlig;trauen auszusprechen. So gelangte die Bourgeoisie mit wachsendem Reichtum und zunehmender Ausdehnung ihres Handels bald zu einem Stadium, wo sie sich in der Entfaltung ihrer wichtigsten Interessen durch die politische Verfassung des Landes gehemmt sah: durch dessen kunterbunte Zersplitterung unter sechsunddrei&szlig;ig F&uuml;rsten mit gegens&auml;tzlichen Bestrebungen und Launen; durch die feudalen Fesseln, die die Landwirtschaft und die mit ihr verbundenen Gewerbe beengten; durch die aufdringliche &Uuml;berwachung, der eine unwissende, anma&szlig;ende B&uuml;rokratie alle ihre Gesch&auml;fte unterzog. Gleichzeitig f&uuml;hrten die Ausdehnung und Festigung des Zollvereins &lt;In der "N.-Y.D.T." deutsch&gt;, die allgemeine Einf&uuml;hrung der Dampfkraft in den Verkehr, die wachsende Konkurrenz auf dem inneren Markt zur gegenseitigen Ann&auml;herung der kommerziellen Klassen der verschiedenen Staaten und Provinzen, zur Angleichung ihrer Interessen und zur Zentralisation ihrer Kraft. Die nat&uuml;rliche Folge war der &Uuml;bergang aller dieser Elemente ins Lager der liberalen Opposition und der siegreiche Ausgang des ersten ernstlichen Kampfes der deutschen Bourgeoisie um politische Macht. Diesen Umschwung kann man von 1840 datieren, von dem Zeitpunkt, zu dem die preu&szlig;ische Bourgeoisie an die Spitze der Bewegung der deutschen Bourgeoisie trat. Wir werden auf diese Bewegung der liberalen Opposition von 1840 bis 1847 noch sp&auml;ter zur&uuml;ckkommen. &lt;Siehe <A HREF="me08_014.htm">"Der preu&szlig;ische Staat"</A>&gt;</P>
<P>Die gro&szlig;e Masse der Nation, die weder dem Adel noch der Bourgeoisie angeh&ouml;rte, bestand in den St&auml;dten aus der Klasse der Kleinb&uuml;rger und der Arbeiterschaft, auf dem Lande aus der Bauernschaft.</P>
<P>Die Klasse der Handwerker und Kleinh&auml;ndler ist in Deutschland au&szlig;erordentlich zahlreich, eine Folge des Umstands, da&szlig; die gro&szlig;en Kapitalisten und Industriellen als Klasse in ihrer Entwicklung gehemmt waren. In den gr&ouml;&szlig;eren St&auml;dten bildete sie beinahe die Mehrheit der Bev&ouml;lkerung, in den kleineren &uuml;berwiegt sie v&ouml;llig, da es dort an reicheren Mitbewerbern um den ma&szlig;gebenden Einflu&szlig; fehlt. Dieses Kleinb&uuml;rgertum, in jedem modernen Staat und bei allen modernen Revolutionen von h&ouml;chster Bedeutung, ist besonders wichtig in Deutschland, wo es bei den j&uuml;ngsten K&auml;mpfen meist die entscheidende Rolle gespielt hat. Seine Zwischenstellung zwischen der Klasse der gr&ouml;&szlig;eren Kapitalisten, Kaufleute und Industriellen, der eigentlichen Bourgeoisie, und dem Proletariat oder der Arbeiterklasse ist f&uuml;r seinen <A NAME="S10"><STRONG>&lt;10&gt;</A></STRONG> Charakter bestimmend. Es strebt nach der Stellung der Bourgeoisie, aber das geringste Mi&szlig;geschick schleudert die Angeh&ouml;rigen des Kleinb&uuml;rgertums hinab in die Reihen des Proletariats. In monarchischen und feudalen L&auml;ndern bedarf das Kleinb&uuml;rgertum, um existieren zu k&ouml;nnen, der Kundschaft des Hofes und des Adels; der Verlust dieser Kundschaft w&uuml;rde es zu einem gro&szlig;en Teil zugrunde richten. In kleineren St&auml;dten bildet h&auml;ufig eine Garnison, eine Kreisregierung, ein Gerichtshof und deren ganzer Anhang die Grundlage seines Wohlstands; entzieht man sie ihm, so ist es um die Kr&auml;mer, Schneider, Schuhmacher, Schreiner geschehen. Das ewige Hin- und Hergerissensein zwischen der Hoffnung, in die Reihen der wohlhabenderen Klasse aufzusteigen, und der Furcht, auf das Niveau von Proletariern oder gar Paupers hinabgedr&uuml;ckt zu werden; zwischen der Hoffnung, seine Interessen durch Eroberung eines Anteils an der Leitung der Staatsgesch&auml;fte zu f&ouml;rdern, und der Furcht, durch ungelegene Opposition den Zorn einer Regierung zu erregen, von der seine Existenz v&ouml;llig abh&auml;ngt, da sie die Macht hat, ihm die besten Kunden zu entziehen; die Geringf&uuml;gigkeit seines Besitzes, dessen Unsicherheit im umgekehrten Verh&auml;ltnis steht zur Gr&ouml;&szlig;e - all dies macht das Kleinb&uuml;rgertum &auml;u&szlig;erst wankelm&uuml;tig in seinen Anschauungen. Dem&uuml;tig und kriecherisch unterw&uuml;rfig unter einer starken feudalen oder monarchischen Regierung, wendet es sich dem Liberalismus zu, wenn die Bourgeoisie im Aufstieg ist; sobald die Bourgeoisie ihre eigene Herrschaft gesichert hat, wird es von heftigen demokratischen Anwandlungen befallen, versinkt aber j&auml;mmerlich in Furcht und Zagen, sobald die Klasse unter ihm, das Proletariat, eine selbst&auml;ndige Bewegung wagt. Wir werden im weiteren sehen, wie das deutsche Kleinb&uuml;rgertum abwechselnd aus dem einen dieser Stadien ins andere &uuml;bergeht.</P>
<P>Die Arbeiterklasse Deutschlands ist in ihrer gesellschaftlichen und politischen Entwicklung ebenso weit hinter der Englands und Frankreichs zur&uuml;ck wie die deutsche Bourgeoisie hinter der Bourgeoisie jener L&auml;nder. Wie der Herr, so der Knecht. Die Entwicklung der Existenzbedingungen f&uuml;r ein zahlreiches, starkes, konzentriertes und intelligentes Proletariat geht Hand in Hand mit der Entwicklung der Existenzbedingungen f&uuml;r eine zahlreiche, wohlhabende, konzentrierte und m&auml;chtige Bourgeoisie. Die Arbeiterbewegung selbst ist niemals unabh&auml;ngig, sie tr&auml;gt niemals ausschlie&szlig;lich proletarischen Charakter, solange nicht alle die verschiedenen Teile der Bourgeoisie, namentlich ihr fortschrittlichster Teil, die gro&szlig;en Fabrikherren, die politische Macht erobert und den Staat ihren Bed&uuml;rfnissen entsprechen umgestaltet haben. Dann ist der Augenblick gekommen, wo der unvermeidliche Konflikt zwischen Fabrikherren und Lohnarbeitern in drohende N&auml;he <A NAME="S11"><STRONG>&lt;11&gt;</A></STRONG> r&uuml;ckt und nicht l&auml;nger hinausgeschoben werden kann, der Augenblick, wo sich die Arbeiterklasse nicht l&auml;nger mit tr&uuml;gerischen Hoffnungen und niemals erf&uuml;llbaren Versprechungen abspeisen l&auml;&szlig;t, wo endlich das gro&szlig;e Problem des neunzehnten Jahrhunderts, die Aufhebung des Proletariats, mit voller Klarheit und in seinem wahren Lichte in den Vordergrund r&uuml;ckt. Nun wurde aber in Deutschland die gro&szlig;e Masse der Arbeiterklasse nicht von jenen modernen Industrief&uuml;rsten besch&auml;ftigt, von denen Gro&szlig;britannien so prachtvolle Exemplare aufweist, sondern von kleinen Handwerksmeistern, deren ganze Arbeitsweise lediglich ein &Uuml;berbleibsel aus dem Mittelalter ist. Und wie zwischen einem gro&szlig;en Baumwoll-Lord und einem kleinen Flickschuster oder Schneidermeister ein himmelweiter Unterschied besteht, genau so weit voraus sind die aufgeweckten Fabrikarbeiter eines modernen Babylon der Industrie den sch&uuml;chternen Schneider- und Schreinergesellen eines kleinen Landst&auml;dtchens, dessen Lebensverh&auml;ltnisse und Arbeitsmethoden sich von denen ihrer Zunftgenossen vor f&uuml;nfhundert Jahren nur wenig unterscheiden. Die nat&uuml;rlichen Begleiterscheinung des allgemeinen Fehlens moderner Lebensverh&auml;ltnisse und moderner industrieller Produktionsweisen war ein fast ebenso allgemeines Fehlen moderner Ideen, und daher ist es nicht verwunderlich, wenn ein gro&szlig;er Teil der arbeitenden Klassen bei Ausbruch der Revolution den Ruf nach sofortiger Wiederherstellung der Z&uuml;nfte und der mittelalterlichen privilegierten Handwerkerinnungen erhob. Zwar bildete sich unter dem Einflu&szlig; der Industriebezirke, wo das moderne Produktionssystem vorherrschte, und infolge der M&ouml;glichkeiten gegenseitigen Verkehrs und geistiger Entwicklung, die das Wanderleben zahlreicher Arbeiter mit sich brachte, ein starker Kern von Elementen, deren Ideen &uuml;ber die Emanzipation ihrer Klasse bedeutend klarer waren und mit der praktischen Wirklichkeit und der historischen Notwendigkeit weit besser in Einklang standen, aber sie bildeten nur eine kleine Minderheit. Wenn die aktive Bewegung der Bourgeoisie von 1840 datiert werden kann, so nimmt die der Arbeiterklasse ihren Anfang mit den Erhebungen der schlesischen und b&ouml;hmischen Fabrikarbeiter im Jahre 1844, und wir werden bald Gelegenheit haben, einen &Uuml;berblick zu gewinnen &uuml;ber die verschiedenen Stadien, die diese Bewegung durchlief.</P>
<P>Schlie&szlig;lich gab es noch eine gro&szlig;e Klasse der kleinen Landwirte, die Bauernschaft, die mit ihrem Anhang von Landarbeitern die gro&szlig;e Mehrheit des ganzen Volkes darstellt. Aber diese Klasse zerfiel selbst wieder in verschiedene Schichten. Da waren, erstens, die wohlhabenderen Landwirte, die in Deutschland als Gro&szlig;- oder Mittelbauern &lt;In der "N.-Y.D.T." beide Bezeichnungen deutsch&gt; bezeichnet werden, die Eigen- <A NAME="S12"><STRONG>&lt;12&gt;</A></STRONG> t&uuml;mer mehr oder weniger umfangreicher Wirtschaften sind und von denen jeder &uuml;ber die Dienste mehrerer Landarbeiter verf&uuml;gt. F&uuml;r diese Klasse, die zwischen den steuerfreien feudalen Grundherren einerseits, den Kleinbauern und Landarbeitern andererseits stand, war aus leicht begreiflichen Gr&uuml;nden ein B&uuml;ndnis mit der antifeudalen st&auml;dtischen Bourgeoisie die nat&uuml;rlichste Politik. Dann gab es, zweitens, die freien Kleinbauern, die im Rheinland vorherrschten, wo der Feudalismus den wuchtigen Schl&auml;gen der gro&szlig;en franz&ouml;sischen Revolution erlegen war. &Auml;hnliche unabh&auml;ngige Kleinbauern gab es auch da und dort in anderen Provinzen, wo es ihnen gelungen war, die feudalen Lasten, die ehedem auf ihren Grundst&uuml;cken ruhten, mit Geld abzul&ouml;sen. Diese Klasse war jedoch nur dem Namen nach eine Klasse von freien Bauern, da ihre Wirtschaft gew&ouml;hnlich in so hohem Grade und unter so dr&uuml;ckenden Bedingungen mit Hypotheken belastet war, da&szlig; nicht der Bauer, sondern der Wucherer, der das Geld vorgestreckt, der wirkliche Eigent&uuml;mer des Landes war. Drittens, die feudalen Hintersassen, die nicht leicht von ihrem St&uuml;ck Land vertrieben werden konnten, die aber eine ewige Pacht zu entrichten oder auf ewig eine gewisse Menge Arbeit f&uuml;r die Gutsherrn zu leisten hatten. Endlich die Landarbeiter, deren Lage auf vielen gro&szlig;en G&uuml;tern genau die gleiche war wie die derselben Klasse in England und die ausnahmslos als arme, unterern&auml;hrte Sklaven ihrer Herrn lebten und starben. Die drei letztgenannten Klassen der Landbev&ouml;lkerung, die freien Kleinbauern, die feudalen Hintersassen und die Landarbeiter, hatten sich vor der Revolution &uuml;ber Politik nie viel Kopfzerbrechen gemacht; aber es ist ohne weiteres klar, da&szlig; dieses Ereignis ihnen einen neuen Weg voll der gl&auml;nzendsten Aussichten er&ouml;ffnen mu&szlig;te. Ihnen allen bot die Revolution Vorteile, und war die Bewegung erst einmal ordentlich im Gange, so stand zu erwarten, da&szlig; sich ihr der Reihe nach alle anschlie&szlig;en w&uuml;rden. Gleichzeitig aber ist es ebenso klar und durch die Geschichte aller modernen L&auml;nder gleicherma&szlig;en best&auml;tigt, da&szlig; die Landbev&ouml;lkerung niemals selbst&auml;ndig eine erfolgreiche Bewegung zustande bringen kann; denn sie ist &uuml;ber ein zu gro&szlig;es Gebiet verstreut, und h&auml;lt es schwer, unter einem erheblicheren Teil eine Verst&auml;ndigung zu erzielen; den Ansto&szlig; mu&szlig; ihr die Initiative der aufgeweckteren und beweglicheren Bev&ouml;lkerung geben, die in den St&auml;dten konzentriert ist.</P>
<P>Die vorstehende gedr&auml;ngte Skizze der wichtigsten Klassen, aus denen sich bei Ausbruch der j&uuml;ngsten Bewegung die deutsche Nation zusammensetzte, wird bereits gen&uuml;gen, um den Mangel an &auml;u&szlig;erem Zusammenhang und innerer &Uuml;bereinstimmung sowie die offenkundigen Widerspr&uuml;che, die dieser Bewegung das Gepr&auml;ge gaben, zu einem gro&szlig;en Teil zu erkl&auml;ren. <A NAME="S13"><STRONG>&lt;13&gt;</A></STRONG> Wenn so verschiedenartige, so gegens&auml;tzliche, so merkw&uuml;rdig sich durchkreuzende Interessen heftig aufeinanderprallen; wenn diese sich gegenseitig bek&auml;mpfenden Interessen in jedem Bezirk, in jeder Provinz verschieden gemischt sind; wenn es vor allem kein gro&szlig;es Zentrum im Lande gibt, kein London, kein Paris, dessen Entscheidung so viel Gewicht hat, da&szlig; nicht der gleiche Zwist in jeder Gegend immer wieder von neuem durchgefochten zu werden braucht: was kann man da anders erwarten, als da&szlig; der Kampf sich in eine Menge unzusammenh&auml;ngender Einzelk&auml;mpfe aufl&ouml;st, in denen ungeheuer viel Blut, Energie und Kapital aufgewendet wird und die trotz alledem ohne ein entscheidendes Ergebnis bleiben?</P>
<P>Die politische Zerst&uuml;ckelung Deutschlands in drei Dutzend mehr oder minder bedeutende F&uuml;rstent&uuml;mer erkl&auml;rt sich gleichfalls aus der Vielfalt und Verworrenheit der Elemente, aus denen sich die Nation zusammensetzt und die wiederum in jeder Gegend verschieden sind. Wo es keine Gemeinsamkeit der Interessen gibt, da kann es auch keine Gemeinsamkeit der Ziele, geschweige des Handelns geben. Der Deutsche Bund ist allerdings auf ewige Zeiten f&uuml;r unaufl&ouml;sbar erkl&auml;rt worden; und doch haben der Bund und sein Organ, der Bundestag, niemals die deutsche Einheit repr&auml;sentiert. Das H&ouml;chstma&szlig; von Zentralisation, zu dem man es in Deutschland je gebracht hat, war die Gr&uuml;ndung des Zollvereins; dadurch sahen sich auch die Staaten an der Nordsee gezwungen, eine eigene Zollvereinigung zu bilden, w&auml;hrend &Ouml;sterreich sich auch weiterhin hinter seiner besonderen Zollmauer verschanzte. Deutschland konnte zufrieden sein, da&szlig; es f&uuml;r alle praktischen Zwecke nur mehr in drei selbst&auml;ndige M&auml;chte zerfiel, statt wie vorher in sechsunddrei&szlig;ig. An der aus dem Jahr 1814 stammenden unumschr&auml;nkten Oberhoheit des russischen Zaren &auml;nderte sich dadurch nat&uuml;rlich nichts.</P>
<P>Nachdem wir einleitend diese Schlu&szlig;folgerungen aus unsern Pr&auml;missen gezogen, werden wir zun&auml;chst untersuchen, wie die erw&auml;hnten verschiedenen Klassen des deutschen Volkes eine nach der anderen in Bewegung kamen und welchen Charakter die Bewegung nach dem Ausbruch der franz&ouml;sischen Revolution von 1848 annahm.</P>
<P>London, September 1851 </P></BODY>
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