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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>John Reed: 10 Tage die die Welt ersch&uuml;tterten</TITLE>
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<BODY bgcolor="#FFFFFF">
<H3>
VII. DIE REVOLUTION&Auml;RE FRONT
</H3>
<P>
<P>
Sonnabend, 10. November.
<P>
&AElig; B &uuml; r g e r !
<P>
Das Revolution&auml;re Milit&auml;rkomitee erkl&auml;rt, keinerlei St&ouml;rung
der revolution&auml;ren Ordnung dulden zu wollen. Diebst&auml;hle,
R&auml;ubereien, &Uuml;berf&auml;lle, Pogromversuche werden streng bestraft
werden Das Komitee wird, dem Beispiel der Pariser Kommune folgend, alle
Pl&uuml;nderer und Aufr&uuml;hrer erbarmungslos ausmerzen..."
<P>
Die Stadt lag ruhig. Nicht ein &Uuml;berfall oder Diebstahl, nicht einmal
das Streiten Betrunkener. Nachts gingen bewaffnete Patrouillen durch die
stillen Stra&szlig;en, und an den Ecken hockten um kleine Feuer Soldaten
und Rotgardisten, lachend und singend. Tags&uuml;ber dr&auml;ngten sich auf
den B&uuml;rgersteigen riesige Menschenmassen, den endlosen hei&szlig;en
Debatten zwischen Studenten und Soldaten, Gesch&auml;ftsleuten und Arbeitern
lauschend. B&uuml;rger hielten einander auf der Stra&szlig;e an. &AElig;Werden
die Kosaken kommen?" &AElig;Nein..." &AElig;Was gibt's Neues?" &AElig;Ich
wei&szlig; gar nichts. Wo ist Kerenski?" &AElig;Man sagt, nur noch acht Werst
von Petrograd entfernt....Ist es wahr, da&szlig; die Bolschewiki auf das
Kriegsschiff ,Aurora' geflohen sind?" &AElig;Ich habe so etwas geh&ouml;rt..."
Schreiend nur die Mauern der H&auml;user und die wenigen erscheinenden Zeitungen:
Ank&uuml;ndigungen, Aufrufe, Gesetze...Ein riesengro&szlig;es Plakat
verk&uuml;ndete das hysterische Manifest des Exekutivkomitees der Bauernsowjets:
<P>
&AElig;....Sie (die Bolschewiki) haben die K&uuml;hnheit zu behaupten, da&szlig;
die Sowjets der Bauerndeputierten sie unterst&uuml;tzen und da&szlig; sie
im Namen der Sowjets der Bauerndeputierten sprechen... Das gesamte
werkt&auml;tige Ru&szlig;land soll es wissen, da&szlig; dies <I>eine L&uuml;ge
ist und da&szlig; alle werkt&auml;tigen Bauern</I>, vertreten <I>im
Exekutivkomitee des Gesamtrussischen Sowjets der Bauerndeputierten</I>, jede
Teilnahme der organisierten Bauernschaft an dieser verbrecherischen
Vergewaltigung des Willens aller Werkt&auml;tigen mit Entr&uuml;stung von
sich weisen..."
<P>
Ein Aufruf von der Soldatensektion der Sozialrevolution&auml;re: &AElig;....Das
wahnsinnige Unternehmen der Bolschewiki steht vor dem Zusammenbruch, die
Garnison ist gespalten... Die Ministerien stehen im Streik, das Brot wird
immer knapper. Alle Parteien, mit Ausnahme einer Handvoll Maximalisten, haben
den Kongre&szlig; verlassen. Die Partei der Bolschewiki ist isoliert...Wir
fordern alle vern&uuml;nftigen Elemente auf, sich um das Komitee zur Rettung
des Vaterlandes und der Revolution zu scharen und sich bereitzuhalten, auf
den ersten Ruf des Zentralkomitees zu marschieren..."
<P>
Ein Handzettel des Rates der Russischen Republik: &AElig;Der Rat der Russischen
Republik hat sich, der Gewalt der Bajonette weichend, gezwungen gesehen,
vor&uuml;bergehend seine Sitzungen zu unterbrechen. Die Usurpatoren, mit
den Worten ,Freiheit und Sozialismus' auf den Lippen, haben eine Gewaltherrschaft
aufgerichtet. Sie haben die Mitglieder der Provisorischen Regierung verhaftet,
die Zeitungen verboten und die Druckereien mit Beschlag belegt...Diese Machthaber
m&uuml;ssen als Feinde des Volkes und der Revolution betrachtet werden; es
ist notwendig, den Kampf gegen sie aufzunehmen und sie niederzuwerfen...
Der Rat der Russischen Republik fordert alle B&uuml;rger der Russischen Republik
auf, sich bis zur Wiederaufnahme seiner T&auml;tigkeit um die lokalen Komitees
zur Rettung des Vaterlandes und der Revolution zu scharen, die den Sturz
der Bolschewiki und die Errichtung einer Regierung organisieren, f&auml;hig,
dem Lande die Konstituierende Versammlung zu bringen."
<P>
&AElig;Delo Naroda" schrieb: &AElig;.....Eine Revolution ist die Erhebung
des gesamten Volkes.....Was aber haben wir hier? Eine blo&szlig;e Handvoll
armseliger, von Lenin und Trotzki betrogener Narren....Ihre Dekrete und Aufrufe
werden nur das Museum f&uuml;r geschichtliche Kuriosit&auml;ten f&uuml;llen..."
&AElig;Narodnoje Slowo" endlich, das Blatt der Volkssozialisten:
&AElig;Arbeiter-und-Bauern-Regierung? - Eine Phantasie! Niemand, weder in
Ru&szlig;land noch in den L&auml;ndern unserer Verb&uuml;ndeten, ja nicht
einmal in den feindlichen L&auml;ndern, wird diese ,Regierung' anerkennen.."
Die b&uuml;rgerliche Presse war vor&uuml;bergehend verschwunden. Die
&AElig;Prawda" enthielt einen Bericht von der ersten Sitzung des neuen
Zentralexekutivkomitees, des jetzigen Parlaments der Russischen Sowjetrepublik.
Miljutin, der Volkskommissar f&uuml;r die Landwirtschaft, hatte mitgeteilt,
da&szlig; das Exekutivkomitee der Bauernsowjets zum 13. Dezember einen
Gesamtrussischen Bauernkongre&szlig; einberufen habe. &AElig;Wir k&ouml;nnen
jedoch nicht warten", sagte er, &AElig;wir brauchen den R&uuml;ckhalt der
Bauern. Ich schlage vor, da&szlig; <I>wir</I> den Bauernkongre&szlig;
unverz&uuml;glich einberufen...." Die linken Sozialrevolution&auml;re gaben
ihre Zustimmung. Man entwarf in Hast einen Aufruf an die Bauern Ru&szlig;lands
und w&auml;hlte ein F&uuml;nferkomitee zur Durchf&uuml;hrung des Projektes.
Die Frage detaillierter Pl&auml;ne f&uuml;r die Verteilung des Landes und
die Industriekontrolle durch die Arbeiter wurden vertagt, bis Fachleute,
die diese Frage bearbeiteten, ihre Berichte gegeben haben w&uuml;rden. Drei
Dekrete wurden verlesen und angenommen: 1. Lenins allgemeine Pressebestimmungen,
die das Verbot aller zum Widerstand und Ungehorsam gegen die neue Regierung
und zu verbrecherischen Handlungen auffordernden oder mit Vorbedacht falsche
Nachrichten verbreitenden Zeitungen anordneten; 2. Das Gesetz &uuml;ber die
Stundung der Hausmieten und 3. Das Gesetz &uuml;ber die Errichtung einer
Arbeitermiliz. Au&szlig;erdem Befehle, deren einer der Stadtduma Vollmacht
erteilte, leere Wohnungen und H&auml;user zu beschlagnahmen, w&auml;hrend
der andere die Entladung von G&uuml;terwagen auf den Endbahnh&ouml;fen regelte,
um die Verteilung der Lebensmittelvorr&auml;te zu beschleunigen und das dringend
ben&ouml;tigte rollende Material frei zu machen.... Zwei Stunden sp&auml;ter
sandte das Exekutivkomitee der Bauernsowjets das folgende Telegramm durch
ganz Ru&szlig;land: &AElig;Das von den Bolschewiki ins Leben gerufene sogenannte
Organisationsb&uuml;ro f&uuml;r den Nationalkongre&szlig; der Bauern richtet
an alle Bauern die Einladung zur Entsendung von Delegierten f&uuml;r einen
Kongre&szlig; nach Petrograd... Das Exekutivkomitee der Sowjets der
Bauerndeputierten erkl&auml;rt, nach wie vor der Meinung zu sein, da&szlig;
es gef&auml;hrlich w&auml;re, jetzt die Kr&auml;fte vom Lande fortzunehmen,
die dort f&uuml;r die Vorbereitung der Wahlen zur Konstituierenden Versammlung
notwendig sind, der einzigen Rettung f&uuml;r die arbeitende Klasse und f&uuml;r
das Land. Wir wiederholen, da&szlig; der Bauernkongre&szlig; am 13. Dezember
stattfindet." Ich fand die Duma in heller Aufregung. Kommen und Gehen von
Offizieren, der B&uuml;rgermeister konferierte mit den F&uuml;hrern des Komitees
zur Rettung des Vaterlandes. Ein Rat kam hereingelaufen mit einem Exemplar
von Kerenskis Proklamation, die zu Hunderten von einem in geringer H&ouml;he
den Newski entlangfliegenden Flugzeug abgeworfen wurde und allen
f&uuml;rchterliche Rache androhte, die sich nicht unterwerfen wollten.
S&auml;mtliche Soldaten waren aufgefordert, ihre Waffen niederzulegen und
sich sofort auf dem Marsfeld zu versammeln. Der Ministerpr&auml;sident habe
Zarskoje Selo genommen, wurde uns mitgeteilt, und befinde sich bereits in
der Umgebung Petrograds, nur etwa neun Kilometer entfernt. Morgen - in einigen
Stunden - w&uuml;rde er in die Stadt einmarschieren. Die in F&uuml;hlung
mit seinen Kosaken gekommenen Sowjettruppen gingen, so hie&szlig; es, zur
Provisorischen Regierung &uuml;ber. Tschernow sei bestrebt, die neutralen
Truppen zu organisieren, um den B&uuml;rgerkrieg zu verhindern. In der Stadt
seien die Garnisonregimenter im Begriff, sich von den Bolschewiki abzuwenden.
Der Smolny sei bereits ger&auml;umt,.... der ganze Regierungsapparat ins
Stocken geraten. Die Angestellten der Staatsbanken weigerten sich, unter
den bolschewistischen Kommissaren zu arbeiten und ihnen Gelder auszuzahlen.
Alle Privatbanken seien geschlossen, die Ministerien im Streik. Eine
Dumakommission sei unterwegs, um bei Gesch&auml;ftsleuten f&uuml;r einen
Fonds zur Auszahlung der Geh&auml;lter an die Streikenden zu sammeln.....
Trotzki sei in das Ministerium des Ausw&auml;rtigen gekommen und habe von
den Abgestellten die &Uuml;bersetzung des Friedensdekrets in fremde Sprachen
verlangt, Sechshundert Beamte h&auml;tten ihm ihren R&uuml;cktritt ins Gesicht
geschleudert.... Schljapnikow, der Volkskommissar f&uuml;r Arbeit, habe alle
Angestellten seines Ministeriums aufgefordert, innerhalb vierundzwanzig Stunden
auf ihre Pl&auml;tze zur&uuml;ckzukehren, ihnen gedroht, da&szlig; sie sonst
ihre Stellungen und Pensionsrechte verlieren w&uuml;rden. Nur die Pf&ouml;rtner
seien der Aufforderung nachgekommen... Einige Abteilungen des
Ern&auml;hrungsamtes h&auml;tten ihre Arbeit eingestellt, weil sie nicht
gewillt waren, sich der Kontrolle der Bolschewiki zu unterstellen.... Trotz
weitestgehender Versprechungen auf hohe L&ouml;hne und bessere Arbeitsbedingungen
h&auml;tten die Beamten der Telefonzentrale sich geweigert, das Sowjetb&uuml;ro
in das Telefonnetz einzuschalten... Von der Partei der Sozialrevolution&auml;re
war der Ausschlu&szlig; aller Mitglieder beschlossen worden, die den
Sowjetkongre&szlig; nicht verlassen und sich am Aufstand beteiligt hatten...
Nachrichten aus den Provinzen zufolge hatte Mogiljow sich gegen die Bolschewiki
erkl&auml;rt. In Kiew waren angeblich die Sowjets von den Kosaken
&uuml;berwunden und alle aufst&auml;ndischen F&uuml;hrer verhaftet worden.
Der Sowjet und die drei&szlig;igtausend Mann starke Garnison von Luga h&auml;tte
ihre Treue gegen&uuml;ber der Provisorischen Regierung best&auml;tigt und
einen Appell an ganz Ru&szlig;land gerichtet, sich um sie zu scharen. Kaledin
habe alle Sowjets und Verb&auml;nde im Donezbecken zersprengt, und seine
Streitkr&auml;fte marschierten nordw&auml;rts... Ein Vertreter der Eisenbahner
erz&auml;hlte: &AElig;Gestern haben wir ein Telegramm durch ganz Ru&szlig;land
geschickt, in dem wir die sofortige Einstellung der Streitigkeiten zwischen
den politischen Parteien verlangen und die Bildung einer sozialistischen
Koalitionsregierung fordern; andernfalls w&uuml;rden wir morgen nacht den
Streik proklamieren... Am Morgen wird eine Sitzung s&auml;mtlicher Parteien
stattfinden, um zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Die Bolschewiki scheinen
die Verst&auml;ndigung dringend zu w&uuml;nschen..." &AElig;Wenn ihre
Herrlichkeit noch so lange dauern wird", lachte der Stadtbaumeister, ein
dicker, rothaariger Mensch. Als wir zum Smolny kamen - der nicht ger&auml;umt
war, sondern gesch&auml;ftiger denn je, mit Scharen ankommender und gehender
Arbeiter, mit Soldaten und doppelten Wachen &uuml;berall -, trafen wir die
Berichterstatter der b&uuml;rgerlichen und der &AElig;gem&auml;&szlig;igten"
sozialistischen Zeitungen. &AElig;Hinausgeworfen haben sie uns", schrie einer
von der &AElig;Wolja Naroda". &AElig;Bontsch-Brujewitsch kam in das
Presseb&uuml;ro und hie&szlig; uns gehen! Spione w&auml;ren wir!" Alle redeten
durcheinander: &AElig;Schmach, Schande, Pressefreiheit!" In der Vorhalle
standen gro&szlig;e Tische mit Ballen von Aufrufen, Proklamationen, Befehlen
des Revolution&auml;ren Milit&auml;rkomitees. Arbeiter und Soldaten schwankten
vor&uuml;ber, die die Ballen in wartende Automobile trugen. Einer der Aufrufe
begann:
<P>
&AElig;A n d e n P r a n g e r !
<P>
In diesem tragischen Moment, den die russischen Massen durchleben, haben
die Menschewiki und ihr Anhang und die rechten Sozialrevolution&auml;re die
Arbeiterklasse verraten. Sie haben sich auf die Seite der Kerenski, der Kornilow
und Sawinkow geschlagen... Sie drucken die Befehle des Verr&auml;ters Kerenski
und helfen in der Stadt eine Panik erzeugen, indem sie die l&auml;cherlichsten
Ger&uuml;chte von sagenhaften Siegen dieses Verr&auml;ters verbreiten...
B&uuml;rger! Schenkt diesen falschen Ger&uuml;chten keinen Glauben! Keine
Macht vermag die Revolution des Volkes zu unterdr&uuml;cken... Kerenski und
seine Anh&auml;nger wird bald die wohlverdiente Strafe treffen... Wir stellen
sie an den Pranger. Wir geben sie der Verachtung aller Arbeiter, Soldaten
und Bauern preis, die sie wieder in die alten Ketten zu schlagen versuchen.
Niemals wieder werden sie den Ha&szlig; und die Verachtung des Volkes von
sich abwaschen k&ouml;nnen. Schmach und Verdammung &uuml;ber diese
Volksverr&auml;ter!"
<P>
Das Revolution&auml;re Milit&auml;rkomitee hatte ein gr&ouml;&szlig;eres
Quartier bezogen, im obersten Stockwerk, Zimmer 17. Am Eingang standen
Rotgardisten. Im Innern dr&auml;ngten sich in dem schmalen Raum vor der Barriere
gutgekleidete Leute, die sich M&uuml;he gaben, ihren kochenden Zorn unter
einem &auml;u&szlig;erlich respektvollen Benehmen zu verbergen. Es waren
Bourgeois, die Erlaubnisscheine f&uuml;r ihre Automobile oder Passierscheine
f&uuml;r das Verlassen der Stadt zu haben w&uuml;nschten, unter ihnen viele
Ausl&auml;nder... Den Dienst versahen Bill Schatow und Peters. Sie unterbrachen
ihre T&auml;tigkeit, um uns die letzten Nachrichten vorzulesen: &AElig;Das
179. Reserveregiment verspricht einm&uuml;tige Unterst&uuml;tzung.
F&uuml;nftausend Transportarbeiter aus den Putilow-Werften gr&uuml;&szlig;en
die neue Regierung. Zentralkomitee der Gewerkschaften - begeisterte
Unterst&uuml;tzung. Die Garnison und das Geschwader in Reval w&auml;hlen
Revolution&auml;re Milit&auml;rkomitees zur Mithilfe und entsenden Truppen.
Pskow und Minsk unter der Herrschaft Revolution&auml;rer Milit&auml;rkomitees.
Gr&uuml;&szlig;e der Sowjets von Zarizyn, Rostow am Don, Pjatigorsk,
Sewastopol... Die Finnische Division, die neuen Komitees der F&uuml;nften
und Zw&ouml;lften Armee gelobten Treue... Die Nachrichten aus Moskau sind
unbestimmt: Die strategisch wichtigen Punkte der Stadt befinden sich in
H&auml;nden der Truppen des Revolution&auml;ren Milit&auml;rkomitees. Zwei
Kompanien der Besatzung des Kreml sind zu den Sowjets &uuml;bergegangen.
Das Arsenal ist im Besitz des Obersten Rjabzew und seiner Offizierssch&uuml;ler.
Das Revolution&auml;re Milit&auml;rkomitee, das Waffen f&uuml;r die Arbeiter
angefordert hatte, wurde von Rjabzew bis heute morgen hingehalten und ihm
dann pl&ouml;tzlich ein Ultimatum &uuml;bermittelt, das die Kapitulation
der Sowjettruppen und die Aufl&ouml;sung des Komitees verlangte. Die K&auml;mpfe
haben begonnen....
<P>
In Petrograd unterstellte sich der Stab den Kommissaren des Smolny sofort.
Der sich weigernde Zentroflot wurde von Dybenko und einer Kompanie
Kronst&auml;dter Matrosen gest&uuml;rmt und ein neuer Zentroflot eingesetzt,
der sich auf die Baltische und die Schwarzmeerflotte st&uuml;tzt...."
<P>
Hinter der scheinbaren Zuversicht verbarg sich jedoch ein dumpfes Gef&uuml;hl
der Unruhe. Kerenskis Kosaken n&auml;herten sich schnell. Sie verf&uuml;gten
&uuml;ber Artillerie. Skrypnik, der Sekret&auml;r der Fabrikkomitees, sagte
mir mit nerv&ouml;s gespanntem und gelbem Gesicht, da&szlig; ein ganzes Korps
im Anmarsch sei. &AElig;Aber lebend werden sie uns nicht kriegen", f&uuml;gte
er wild hinzu. Petrowski lachte m&uuml;de: &AElig;M&ouml;glich, da&szlig;
wir uns morgen zum Schlafen - f&uuml;r immer legen werden." Losowski, mit
seinem mageren, rotb&auml;rtigen Gesicht, sagte: &AElig;Was haben wir f&uuml;r
Aussichten? Wir stehen allein. Ein unorganisierter Haufen gegen geschulte
Soldaten." Im S&uuml;den und S&uuml;dwesten waren die Sowjets vor Kerenski
geflohen. Die Garnisonen von Gattschina, Pawlowsk, Zarskoje Selo hatten sich
gespalten. Ein Teil hatte beschlossen, neutral zu bleiben, der Rest, ohne
Offiziere, flutete in wildester Unordnung in die Hauptstadt. In den S&auml;len
wurden Bulletins angeschlagen:
<P>
&AElig;Aus Krasnoje Selo, 10. November, 6 Uhr morgens
<P>
M i t t e i l u n g a n a l l e S t a b s c h e f s, O b e r b e f e h l
s h a b e r u n d a n A l l e , A l l e , A l l e !
<P>
Der Exminister Kerenski hat ein verlogenes Telegramm an Alle losgelassen,
in dem er glauben machen will, da&szlig; die Truppen des revolution&auml;ren
Petrograds freiwillig ihre Waffen abgegeben und sich den Armeen der einstigen
Regierung, der Regierung des Verrats, angeschlossen und da&szlig; die Soldaten
vom Revolution&auml;ren Milit&auml;rkomitee den Befehl zum R&uuml;ckzug erhalten
h&auml;tten. Die Truppen eines freien Volkes ziehen sich weder zur&uuml;ck,
noch ergeben sie sich. Unsere Truppen haben Gattschina verlassen, um
Blutvergie&szlig;en mit den irregef&uuml;hrten Kosaken zu vermeiden und um
eine bessere Stellung zu beziehen, die zur Zeit so stark ist, da&szlig;,
selbst wenn es Kerenski und seiner Clique gelingen sollte, ihre Kr&auml;fte
zu verzehnfachen, keinerlei Anla&szlig; zur Unruhe gegeben w&auml;re. Der
Geist unserer Truppen ist ausgezeichnet. In Petrograd ist alles ruhig.
<P>
Der Chef der Verteidigung Petrograds und des Petrograder Bezirks, Oberstleutnant
<I>Murawjow</I>."
<P>
Wir waren im Begriff zu gehen, als, v&ouml;llig ersch&ouml;pft, Antonow ins
Zimmer trat, ein Schriftst&uuml;ck in der Hand. &AElig;Zur Versendung!" sagte
er.
<P align=center>
&AElig;A n a l l e B e z i r k s s o w j e t s d e r A r b e i t e r d e
p u t i e r t e n u n d F a b r i k k o m i t e e s !
<P align=center>
Befehl
<P>
Die kornilowistischen Kerenskibanden bedrohen die Hauptstadt. Alle notwendigen
Befehle sind gegeben, um den konterrevolution&auml;ren Anschlag gegen das
Volk und seine Errungenschaften erbarmungslos niederzuschlagen. Die Armee
und die Rote Garde der Revolution ben&ouml;tigen die unverz&uuml;gliche Hilfe
der Arbeiter. Wir befehlen den Bezirkssowjets und Fabrikkomitees:
<P>
1. Die Freistellung der gr&ouml;&szlig;tm&ouml;glichen Zahl von Arbeitern
f&uuml;r das Ausheben von Sch&uuml;tzengr&auml;ben, f&uuml;r die Errichtung
von Barrikaden und Verst&auml;rkung der Drahtverhaue.
<P>
2. Wo deswegen die Fabriken geschlossen werden m&uuml;ssen, hat es
unverz&uuml;glich zu geschehen.<I></I>
<P>
<I></I>3. Alle Vorr&auml;te an gew&ouml;hnlichem Draht und an Stacheldraht
sind zur Verf&uuml;gung zu stellen, ebenso alle Werkzeuge f&uuml;r da Ausheben
von Sch&uuml;tzengr&auml;ben und die Errichtung von Barrikaden.<I></I>
<P>
<I></I>4. Alle brauchbaren Waffen sind mitzunehmen.<I></I>
<P>
<I></I>5. Strengste Disziplin ist unerl&auml;&szlig;lich. Jeder einzelne
mu&szlig; bereit sein, die Revolutionsarmee mit allen Mitteln zu
unterst&uuml;tzen.<I></I>
<P>
<I></I>Der Vorsitzende des Petrograder Sowjets der Arbeiter- und
Soldatendeputierten, Volkskommissar<I> Leo Trotzki.</I>
<P>
<I></I>Der Vorsitzende des Revolution&auml;ren Milit&auml;rkomitees,
Oberbefehlshaber <I>Podwoiski</I>."
<P>
<P>
Als wir in den tr&uuml;ben, dunklen Tag hinaustraten gellten von allen Seiten
des grauen Horizontes heiser und unheilverk&uuml;ndend die Fabriksirenen.
Zu Zehntausenden str&ouml;mten die Arbeiter, M&auml;nner und Frauen, heraus.
Zu Zehntausenden spien die Elendsviertel ihre dunklen und armseligen Massen
auf die Stra&szlig;e. Das Rote Petrograd war in Gefahr! &AElig;Die Kosaken!"
Nach S&uuml;den und S&uuml;dwesten str&ouml;mten sie durch die armseligen
Stra&szlig;en, dem Moskowskitor zu: M&auml;nner, Frauen und Kinder mit Gewehren,
Picken, Spaten, Drahtrollen, Patroneng&uuml;rtel &uuml;ber ihrer Arbeitskleidung.
Ein machtvollerer, spontanerer Aufmarsch einer ganzen Stadt war nie gesehen
worden! Einem gewaltigen Strome gleich, rollten sie vorw&auml;rts, ganze
Kompanien von Soldaten mit sich rei&szlig;end, Maschinengewehre, Lastautos,
Wagen - das revolution&auml;re Proletariat, bereit, mit seiner Brust die
Hauptstadt der Arbeiter-und-Bauern-Republik zu verteidigen. Vor dem Smolny
hielt ein Automobil. Ein schm&auml;chtiger Mensch, mit dicken
Brillengl&auml;sern, vor M&uuml;digkeit nur mit Anstrengung sprechend, stand
gegen den Kotfl&uuml;gel des Autos gelehnt, die H&auml;nde in den Taschen
seines sch&auml;bigen Mantels vergraben. Ein gro&szlig;er b&auml;rtiger Matrose,
mit den klaren Augen der Jugend, strich ruhelos umher, zerstreut mit einem
enormen Revolver spielend, den er nie aus der Hand lie&szlig;. Dies waren
Antonow und Dybenko. Einige Soldaten waren bem&uuml;ht, zwei
Milit&auml;rfahrr&auml;der an dem Laufbrett festzubinden. Der Chauffeur
protestierte heftig; die Emaille w&uuml;rde zerkratzt werden, sagte er. Er
war zwar ein Bolschewik, und das Automobil war von einem Bourgeois beschlagnahmt
worden, und die Fahrr&auml;der waren f&uuml;r den Kurierdienst bestimmt.
Doch der Berufsstolz des Chauffeurs emp&ouml;rte sich... So wurden die
Fahrr&auml;der zur&uuml;ckgelassen.... Die Volkskommissare f&uuml;r Heeres-
und Marinewesen hatten eine Inspektionsreise an die revolution&auml;re Front
vor. W&uuml;rden sie uns mitnehmen? Unm&ouml;glich! Das Automobil hatte nur
f&uuml;nf Pl&auml;tze: f&uuml;r die beiden Kommissare, f&uuml;r zwei Ordonnanzen
und den Wagenf&uuml;hrer. Trotzdem kletterte ein russischer Bekannter von
mir, den ich kurz Trusischka nennen will, mit gr&ouml;&szlig;ter Seelenruhe
in den Wagen, setzte sich und war durch nichts zu bewegen, seinen Platz wieder
zu r&auml;umen. Ich habe keinen Grund, die Wahrheit der mir von Trusischka
gegebenen Schilderungen in Zweifel zu ziehen. Als sie den Suworowski-Prospekt
hinunterfuhren, fiel es jemand ein, da&szlig; sie nicht ohne Lebensmittel
fahren k&ouml;nnten. Sie w&uuml;rden vielleicht drei oder vier Tage unterwegs
sein, in einer nicht gar zu reichen Gegend. Sie hielten. Geld? - Der Kommissar
f&uuml;r das Heer durchsuchte seine Taschen. Er besa&szlig; nicht eine Kopeke.
Der Kommissar f&uuml;r die Flotte war v&ouml;llig abgebrannt, dem
Wagenf&uuml;hrer ging es nicht besser. Trusischka mu&szlig;te die Lebensmittel
kaufen. Als sie in den Newski einbogen, hatten sie eine Panne. &AElig;Was
tun?" meinte Antonow. &AElig;Ein neues Auto requirieren" versetzte Dybenko,
auf seinen Revolver weisend. Und Antonow, der in der Mitte der Stra&szlig;e
stand, hielt ein ankommendes Auto an, das von einem Soldaten gelenkt wurde.
&AElig;Ich mu&szlig; dieses Auto haben", sagte er. &AElig;Das werden Sie
nicht bekommen", erwiderte der Soldat. &AElig;Wissen Sie, wer ich bin?" Antonow
wies ihm ein Papier, aus dem hervorging, da&szlig; er der Oberbefehlshaber
s&auml;mtlicher Armeen der Russischen Republik war und jedermann sich ohne
Widerrede seinen Anforderungen f&uuml;gen m&uuml;&szlig;te. &AElig;Mir egal,
und wenn Sie der Teufel selber w&auml;ren. Der Wagen geh&ouml;rt dem 1.
Maschinengewehr-Regiment. Wir brauchen ihn zum Munitionstransport. Sie
k&ouml;nnen ihn nicht haben." Die Schwierigkeit wurde durch das Auftauchen
einer alten Autodroschke behoben, die die italienische Flagge trug. (In unruhigen
Zeiten wurden die Privatautos, um sie vor der Beschlagnahme zu sch&uuml;tzen,
auf den Namen der ausl&auml;ndischen Konsulate eingeschrieben.) Aus dem Innern
des Wagen wurde ein fetter Bourgeois in einem kostbaren Pelzmantel auf die
Stra&szlig;e gesetzt, und das Oberkommando fuhr weiter. In Narwskaja Sastawa,
zirka zehn Kilometer von Petrograd entfernt, verlangte Antonow den Kommandeur
der Rotgardisten zu sprechen. Er wurde an die Stadtgrenze gef&uuml;hrt, wo
einige hundert Arbeiter Sch&uuml;tzengr&auml;ben ausgehoben hatten und die
Kosaken erwarteten. &AElig;Na, wie geht's hier?" fragte Antonow. &AElig;Alles
in Ordnung, Genosse!" antwortete der Kommandeur. &AElig;Der Geist der Truppen
ist gut. Nur eins, wir haben keine Munition." &AElig;Im Smolny haben wir
genug davon", erwiderte Antonow. &AElig;Ich werde ihnen eine Anweisung geben."
Er suchte in seinen Taschen. &AElig;Kann mir jemand ein St&uuml;ck Papier
geben?" Dybenko hatte nichts, ebensowenig die Kuriere. Trusischka mu&szlig;te
sein Notizbuch hergeben. &AElig;Teufel, ich habe keinen Bleistift. Wer hat
einen Bleistift?" schrie Antonow. Kaum n&ouml;tig zu sagen, da&szlig; der
einzige Bleistift in der Runde sich im Besitze Trusischkas befand.
<P>
Wir gingen zum Zarskoje-Selo-Bahnhof. Als wir den Newski passierten, sahen
wir Rotgardisten die Stra&szlig;e hinaufmarschieren, alle bewaffnet, einige
mit Seitengewehren, andere ohne. Die fr&uuml;he D&auml;mmerung des Winterabends
sank herab. Mit stolz erhobenen K&ouml;pfen stampften die Rotgardisten durch
den Schneeschlamm der Stra&szlig;en, in unregelm&auml;&szlig;igen Viererreihen,
ohne Musik, ohne Trommeln. &Uuml;ber ihnen flatterte eine rote Fahne, auf
der in plumpen goldenen Lettern zu lesen war: &AElig;Friede! Land!" Sie waren
sehr jung; aber der Ausdruck auf ihren Gesichtern war der Ausdruck von
M&auml;nnern, die wu&szlig;ten, da&szlig; sie zum Sterben gingen. Halb
erschreckt, halb ver&auml;chtlich, mit ha&szlig;erf&uuml;lltem Schweigen
begaffte sie die Menge, als sie vor&uuml;berzogen. Auf dem Bahnhof wu&szlig;te
niemand genau, wo sich Kerenski befand oder wo die Front lag. Die Z&uuml;ge
gingen nicht weiter als bis Zarskoje. Unser Wagen war voller heimkehrender
Provinzler, mit B&uuml;ndeln und Abendzeitungen beladen. Die ganze Unterhaltung
drehte sich um den bolschewistischen Aufstand. Hiervon abgesehen h&auml;tte
jedoch kein Mensch vermuten k&ouml;nnen, da&szlig; der B&uuml;rgerkrieg
Ru&szlig;land in zwei m&auml;chtige Lager zu teilen im Begriffe war und da&szlig;
unser Zug dem unmittelbaren Kampfgebiet zueilte. Durch die Fenster sahen
wir in der schnell sinkenden D&auml;mmerung Soldatenmassen auf dem schmutzigen
Weg der Stadt zuwandern, debattieren und heftig mit ihren Armen gestikulierend.
Ein G&uuml;terzug voller Soldaten, von riesigen Feuern erleuchtet, hielt
auf einem Nebengleis. Das war alles. Hinten am flachen Horizont verbla&szlig;ten
die Lichter der Stadt. Ein Stra&szlig;enbahnwagen kroch in weiter Ferne eine
langgestreckte Vorortstra&szlig;e entlang...Der Bahnhof in Zarskoje Selo
lag ruhig. Hier und da trafen wir Trupps von Soldaten, die sich in leisem
Ton unterhielten und unruhig die leeren Bahngleise in der Richtung nach
Gattschina hinunterblickten. Ich fragte einige, auf wessen Seite sie w&auml;ren.
&AElig;Nun, wir wissen noch nicht genau, was wir tun sollen. Sicher ist Kerenski
ein Provokateur; aber wir halten es nicht f&uuml;r richtig, wenn Russen einander
totschie&szlig;en." Im B&uuml;ro der Bahnhofskommandantur war ein gro&szlig;er,
jovialer, b&auml;rtiger Soldat mit der roten Armbinde eines Regimentskomitees.
Unsere Papiere vom Smolny verschafften uns sofort Respekt. Er war ganz f&uuml;r
die Sowjets, war jedoch verwirrt. &AElig;Die Rotgardisten waren vor zwei
Stunden hier, sie sind aber wieder abgezogen. Heute fr&uuml;h kam ein Kommissar,
Als die Kosaken ankamen, ist er aber wieder weg nach Petrograd." &AElig;Also
sind hier Kosaken?" Er nickte betr&uuml;bt. &AElig;Es hat eine Schlacht gegeben.
Die Kosaken waren schon in aller Fr&uuml;he da. Sie haben zwei- bis dreihundert
unserer Leute gefangengenommen und etwa f&uuml;nfundzwanzig get&ouml;tet."
&AElig;Wo sind die Kosaken jetzt?" &AElig;Ich wei&szlig; nicht genau, wo
sie sind. Nach dorthin ab..." Er zeigte mit einer unbestimmten Handbewegung
nach Westen. Im Bahnhofsrestaurant a&szlig;en wir zu Mittag - ein hervorragendes
Essen, besser und billiger, als es in Petrograd zu haben war. In unserer
N&auml;he sa&szlig; ein franz&ouml;sischer Offizier, der eben erst zu Fu&szlig;
von Gattschina gekommen war. Dort sei alles ruhig, sagte er. Kerenski sei
im Besitz der Stadt. &AElig;Ach, diese Russen", fuhr er fort, &AElig;ein
originelles Volk sind sie! Was ist das f&uuml;r ein B&uuml;rgerkrieg! Alles
m&ouml;gliche, nur kein Kampf!"
<P>
Wir machten einen Abstecher in die Stadt. Am Stationseingang standen zwei
Soldaten mit Gewehren und aufgepflanzten Bajonetten, umringt von zirka hundert
hitzig auf sie einredenden Gesch&auml;ftsleuten, Regierungsbeamten und Studenten.
Die Soldaten waren unzug&auml;nglich und in ihren Gef&uuml;hlen verletzt
wie zu Unrecht gescholtene Kinder. Ein gro&szlig;er junger Mann mit
anma&szlig;enden Manieren, in der Uniform eines Studenten, f&uuml;hrte das
Wort. &AElig;Ihr werdet doch wohl begreifen, da&szlig; ihr euch zu Werkzeugen
von M&ouml;rdern und Verr&auml;tern macht, wenn ihr die Waffen gegen eure
Br&uuml;der erhebt", sagte er in unversch&auml;mtem Ton. &AElig;Ach, Bruder",
antwortete der Soldat ernsthaft, &AElig;du verstehst nicht. Es gibt zwei
Klassen. Kannst du das nicht sehen? Das Proletariat und die Bourgeoisie.
Wir...." &AElig;Oh, ich kenne dieses dumme Gerede", unterbrach ihn der Student
grob. &AElig;Ihr dummen Bauern h&ouml;rt ein paar Schlagworte br&uuml;llen.
Was sie bedeuten, versteht ihr nicht. Ihr plappert es nach, als w&auml;ret
ihr Papageien." Die Menge lachte. &AElig;Ich bin selbst Marxist! Und ich
sage euch, wof&uuml;r ihr k&auml;mpft, das ist gar kein Sozialismus. Das
ist ganz einfach Anarchie, die nur den Deutschen n&uuml;tzt."
<P>
&AElig;O ja, ich verstehe", entgegnete der Soldat, vor Verlegenheit schwitzend.
&AElig;Du bist in gebildeter Mann. Das ist leicht zu sehen, und ich bin nur
ein einfacher Mensch; aber mir scheint doch..." &AElig;Du scheinst zu glauben,
Lenin ist ein aufrichtiger Freund des Proletariats", unterbrach ihn der andere
ver&auml;chtlich. &AElig;Jawohl, das glaube ich", erwiderte geduldig der
Soldat. &AElig;Nun gut, mein Freund, wei&szlig;t du dann auch, da&szlig;
Lenin in einem geschlossenen Zuge durch Deutschland gefahren ist und da&szlig;
er von den Deutschen Geld genommen hat?" &AElig;Davon wei&szlig; ich nichts",
antwortete der Soldat. &AElig;Aber mir scheint, da&szlig; er gerade das sagt,
was ich und meinesgleichen h&ouml;ren wollen. Es gibt zwei Klassen, die
Bourgeoisie und das Proletariat." &AElig;Du bist ein Narr, mein Freund. Ich
habe zwei Jahre lang in der Schl&uuml;sselburg gesessen, als du noch
Revolution&auml;re niederschossest und ,Gott erhalte den Zaren' sangest.
Mein Name ist Wassili Georgijewitsch Panin. Hast du nie etwas von mir
geh&ouml;rt?" &AElig;Nein, bedaure", entgegnete der Soldat bescheiden.
&AElig;Aber ich bin auch kein gebildeter Mann und du vielleicht ein gro&szlig;er
Held." &AElig;Das bin ich", versetzte der Student mit &Uuml;berzeugung.
&AElig;Und ich bin ein Gegner der Bolschewiki, die unser Ru&szlig;land und
die Revolution zugrunde richten. Wie erkl&auml;rst du dir das?"
<P>
Der Soldat kratzte sich am Kopf. &AElig;Das kann ich mir nicht erkl&auml;ren.
Mir erscheint die Sache ganz einfach; aber ich bin ja kein gebildeter Mann.
Es gibt nur zwei Klassen, die Bourgeoisie und das Proletariat..." &AElig;Da
kommst du schon wieder mit deinen dummen Phrasen", schrie der Student. &AElig;Nur
zwei Klassen", fuhr der Soldat hartn&auml;ckig fort, &AElig;und wer nicht
auf der einen Seite ist, der ist auf der anderen."
<P>
Wir wanderten weiter, die nur von wenigen Laternen beleuchtete, fast
menschenleere Stra&szlig;e hinauf. Eine be&auml;ngstigende Stille hing &uuml;ber
dem Ort, der eine Art politischen Niemandsland zu sein schien. Nur die
Barbierl&auml;den waren hell erleuchtet und &uuml;berf&uuml;llt, und an den
Eing&auml;ngen der &ouml;ffentlichen Badeh&auml;user dr&auml;ngten sich die
Menschen; es war Sonnabend-abend, wo jeder Russe gewohnt ist, ein Bad zu
nehmen und sich sch&ouml;n zu machen. Ich habe nicht den geringsten Zweifel,
da&szlig; Sowjetsoldaten und Kosaken in trautem Durcheinander an diesen
Pl&auml;tzen versammelt waren. Je n&auml;her wir dem kaiserlichen Park kamen,
um so menschenleerer waren die Stra&szlig;en. Ein erschreckter Pope wies
uns den Weg zum Hauptquartier der Sowjets und eilte davon. Es war in der
Parkseite eines der gro&szlig;f&uuml;rstlichen Pal&auml;ste untergebracht.
Die Fenster waren finster, der Eingang verschlossen. Ein herumlungernder
Soldat, die H&auml;nde tief in den Hosentaschen vergraben, musterte uns mit
finsterem Mi&szlig;trauen. &AElig;Der Sowjet ist seit zwei Tagen weg", sagte
er. &AElig;Wohin?" Er zuckte die Schultern. &AElig;Wei&szlig; nicht." Etwas
weiter befand sich ein gro&szlig;es hellerleuchtetes Geb&auml;ude. Von innen
h&ouml;rten wir den L&auml;rm von Hammerschl&auml;gen. W&auml;hrend wir noch
z&ouml;gerten, kamen ein Soldat und ein Matrose Arm in Arm die Stra&szlig;e
herunter. Ich zeigte ihnen meinen Ausweis vom Smolny. &AElig;Sind sie auf
seiten der Sowjets", fragte ich. Sie antworteten nicht , sondern sahen einander
&auml;ngstlich an. &AElig;Was machen die da drinnen?" fragte der Matrose,
auf das Geb&auml;ude zeigend. &AElig;Ich wei&szlig; nicht." Furchtsam streckte
der Soldat die Hand aus und &ouml;ffnete die Eingangst&uuml;r. Ein gro&szlig;er,
mit Immergr&uuml;n geschm&uuml;ckter Saal, in Reihen aufgestellte St&uuml;hle,
man war dabei, eine B&uuml;hne zu bauen. Eine untersetzte Frau, einen Hammer
in ihrer Hand, zwischen den Z&auml;hnen N&auml;gel, kam heraus. &AElig;Was
w&uuml;nschen Sie?" fragte sie. &AElig;Ist hier heute abend Vorstellung?"
fragte der Matrose nerv&ouml;s. &AElig;Sonntagabend wird eine Privatvorstellung
sein", antwortete sie. &AElig;Gehen Sie weiter." Es gelang uns nicht, den
Soldaten und den Matrosen in eine Unterhaltung zu ziehen. Sie schienen
&auml;ngstlich und ungl&uuml;cklich und verschwanden in der Dunkelheit. Wir
schlenderten den kaiserlichen Pal&auml;sten zu, am Rande der weit und dunkel
daliegenden G&auml;rten entlang; mit ihren undeutlichen, phantastischen
Pavillons, zierlichen Br&uuml;cken und sanft pl&auml;tschernden Springbrunnen.
An einem Platz, wo ein l&auml;cherlich aussehender eiserner Schwan aus einer
k&uuml;nstlichen Grotte unabl&auml;ssig Wasser spie, hatten wir pl&ouml;tzlich
das Gef&uuml;hl, beobachtet zu werden, und aufblickend, trafen wir auf die
mi&szlig;trauischen Blicke von einem halben Dutzend riesiger, bewaffneter
Soldaten, die uns von einer mit Gras bewachsenen Terrasse herab anstarrten.
Ich kletterte zu ihnen hinauf. &AElig;Wer sind Sie?" fragte ich. &AElig;Die
Wache", antwortete einer. Sie machten alle einen niedergedr&uuml;ckten Eindruck,
unzweifelhaft infolge der wochenlangen Tag und Nacht w&auml;hrenden Diskussionen
und Debatten. &AElig;Zu wem geh&ouml;ren Sie, zu den Kerenskitruppen oder
zu den Sowjets?" Sie schwiegen einen Moment, dann sahen sie einander an.
&AElig;Wir sind neutral", sagte einer. Wir durchschritten das Tor des
riesenhaften Katherinapalastes und fragten im Innern des Palastes nach dem
Stab. Ein Posten sagte uns, da&szlig; der Kommandant drinnen w&auml;re. In
einem eleganten, wei&szlig; gehaltenen Raum georgischen Stils, den ein Ofen
in zwei ungleich gro&szlig;e H&auml;lften teilte, standen in besorgtem
Gespr&auml;ch mehrere Offiziere. Sie waren bla&szlig; und aufgeregt und hatten
augenscheinlich nicht geschlafen. Einem &auml;ltlichen Mann mit wei&szlig;em
Bart und ordengeschm&uuml;ckter Uniform, der uns als Oberst bezeichnet wurde,
zeigten wir unsere bolschewistischen Ausweise. Er schien &uuml;berrascht.
&AElig;Wie haben Sie es nur fertiggebracht, hierherzukommen, ohne get&ouml;tet
zu werden?" fragte er h&ouml;flich. &AElig;ES ist gerade jetzt sehr
gef&auml;hrlich in den Stra&szlig;en. In Zarskoje Selo gehen die Wogen der
politischen Leidenschaft hoch. Heute morgen hatten wir eine Schlacht, die
wahrscheinlich morgen fr&uuml;h ihre Fortsetzung finden wird. Gegen acht
Uhr erwarten wir den Einmarsch Kerenskis." &AElig;Wo sind die Kosaken?"
&AElig;Etwa anderthalb Meilen entfernt. In jener Richtung." Er wies hinaus.
&AElig;Werden Sie die Stadt gegen sie verteidigen?" &AElig;Gott bewahre."
Er l&auml;chelte. &AElig;Wir halten die Stadt f&uuml;r Kerenski." Uns schlug
das Herz. Aus unseren Papieren war ersichtlich, da&szlig; wir Revolution&auml;re
waren. Der Oberst r&auml;usperte sich: &AElig;Mit diesen Ausweisen, die Sie
haben, d&uuml;rfte es f&uuml;r Sie gef&auml;hrlich werden, wenn man Sie erwischt.
Wenn Sie die K&auml;mpfe sehen wollen, will ich ihnen gerne eine Anweisung
f&uuml;r eine Wohnung im Offiziershotel geben. Sie k&ouml;nnen dann hier
gegen sieben Uhr vorsprechen und von mir neue Ausweise erhalten." &AElig;Dann
sind Sie also f&uuml;r Kerenski?" fragten wir. &AElig;Nun - nicht gerade
<I>f&uuml;r </I>Kerenski." Er hielt etwas zur&uuml;ck. &AElig;Sie m&uuml;ssen
wissen, die meisten Soldaten in der Garnison sind Bolschewiki. Heute, nach
der Schlacht, sind sie alle in der Richtung nach Petrograd davongezogen und
haben die Artillerie mit sich genommen. Man kann ruhig sagen, da&szlig; von
den Soldaten nicht einer f&uuml;r Kerenski ist. Unter ihnen sind aber welche,
die &uuml;berhaupt keine Lust zu k&auml;mpfen haben. Die Offiziere sind in
ihrer Mehrheit zu Kerenski &uuml;bergegangen oder sind einfach davongezogen.
Wir befinden uns in einer &auml;u&szlig;erst schwierigen Lage, wie Sie sehen."
Wir glaubten nicht, da&szlig; es zu K&auml;mpfen kommen w&uuml;rde. Der Oberst
stellte uns h&ouml;flich seinen Burschen zur Verf&uuml;gung, der uns zum
Bahnhof begleitete. Er stammte aus dem S&uuml;den, aus Bessarabien, von
franz&ouml;sischen Einwanderern. &AElig;Ach", sagte er, &AElig;die Gefahren
und Strapazen wollte ich gern ertragen; aber ich bin nun schon drei Jahre
von meiner Mutter weg." Wir fuhren in der Dunkelheit nach Petrograd zur&uuml;ck.
Von Zugfenster aus sah ich fl&uuml;chtig im Feuerschein gestikulierende Soldaten.
An den Wegkreuzungen hielten Panzerautos; die Fahrer steckten die K&ouml;pfe
aus den T&uuml;rmen und schrien aufeinander ein. Die ganze Nacht hindurch
wanderten &uuml;ber die &ouml;den Fl&auml;chen f&uuml;hrerlose Haufen von
Soldaten und Rotgardisten, l&auml;rmend und verwirrt. Die Kommissare des
Revolution&auml;ren Milit&auml;rkomitees eilten von Gruppe zu Gruppe, fieberhaft
t&auml;tig, um so etwas wie Organisation in die Verteidigung zu bringen.
<P>
Wir fanden Petrograd voll nerv&ouml;ser Spannung; den Newski wogten erregte
Menschenmassen auf und nieder. Vom Warschauer Bahnhof her waren ferne
Kanonensch&uuml;sse zu h&ouml;ren. In den Offiziersschulen herrschte fieberhafte
T&auml;tigkeit. Von Kaserne zu Kaserne eilten Mitglieder der Duma, bem&uuml;ht,
die Soldaten zu gewinnen, und schreckliche Geschichten von angeblichen
Greueltaten der Bolschewiki kolportierend: Niedermetzelung der
Offizierssch&uuml;ler im Winterpalast, Vergewaltigung der Frauen und
M&auml;dchen aus den Frauenbataillonen, die Erschie&szlig;ung eines
M&auml;dchens vor der Duma, die Ermordung des Gro&szlig;f&uuml;rsten Tumanow.....
Im Alexandersaal hielt das Komitee zur Rettung des Vaterlandes und der Revolution
eine au&szlig;erordentliche Sitzung ab; Kommissare kamen und gingen....Die
aus dem Smolny herausgeworfenen Journalisten waren in Hochstimmung. Sie schenkten
unserem Bericht &uuml;ber die Lage in Zarskoje Selo keinen Glauben. Es war
doch stadtbekannt, da&szlig; Zarskoje sich in den H&auml;nden Kerenskis befand
und da&szlig; die Kosaken schon in Pulkowo waren. Man war eben dabei, ein
Komitee zu w&auml;hlen, das Kerenski am Morgen am Bahnhof empfangen sollte.
Einer vertraute mir unter dem Siegel strengster Verschwiegenheit an, da&szlig;
der Beginn der Konterrevolution auf Mitternacht angesetzt sei. Er zeigte
mir zwei Aufrufe, der eine, mit den Unterschriften von Goz und Pokolnikow,
an die Offizierssch&uuml;ler, an die Krankenurlauber in den Hospit&auml;lern
und an die St.Georgsritter, sich marschfertig zu halten und auf die Befehle
des Komitees zur Rettung des Vaterlandes zu warten; der andere, von dem Komitee
zur Rettung des Vaterlandes selbst, lautete:
<P>
&AElig; A n d i e B e v &ouml; l k e r u n g P e t r o g r a d s !
<P>
Genossen, Arbeiter, Soldaten und B&uuml;rger des revolution&auml;ren Petrograds!
W&auml;hrend die Bolschewiki den Frieden an der Front fordern, provozieren
sie den Krieg im Hinterland.
<P>
H&ouml;rt nicht auf ihre provokatorischen Aufrufe!
<P>
Hebt keine Sch&uuml;tzengr&auml;ben aus!
<P>
Nieder mit den verr&auml;terischen Barrikaden!
<P>
Legt eure Waffen nieder!
<P>
Soldaten, kehrt in eure Kasernen zur&uuml;ck!
<P>
Der Krieg in Petrograd - ist der Tod der Revolution!
<P>
Im Namen von Freiheit, Land und Frieden, schlie&szlig;t euch zusammen um
das Komitee zur Rettung des Vaterlandes und der Revolution!"
<P>
Als wir die Duma verlie&szlig;en, kam eine Kompanie Rotgardisten die dunkle,
menschenleere Stra&szlig;e herunter, finster, zum &auml;u&szlig;ersten
entschlossen, ein Dutzend Gegangene mit sich f&uuml;hrend. Mitglieder der
lokalen Organisation des Kosakenrats, auf frische Tat erwischt, als sie sich
in ihrem Hauptquartier f&uuml;r die Konterrevolution vorbereiteten. Ein Soldat,
von einem kleinen Jungen begleitet, der einen Eimer Leim trug, klebte
gro&szlig;e, auff&auml;llige Bekanntmachungen an.
<P>
&AElig;F&uuml;r die Stadt Petrograd und ihre Vororte wird hiermit der
Belagerungszustand verh&auml;ngt. Alle Zusammenrottungen und Versammlungen
auf den Stra&szlig;en, wie &uuml;berhaupt unter freiem Himmel, sind bis auf
weiteres verboten.
<P>
Der Vorsitzende des Revolution&auml;ren Milit&auml;rkomitees.
<P>
<I>N. Podwoiski</I>
<P>
Als wir heimgingen, war die Luft von L&auml;rm erf&uuml;llt: Autohupen, Schreien,
entferntes Schie&szlig;en. In der Telefonzentrale war in aller Fr&uuml;he
bei den auf ihre Abl&ouml;sung wartenden Wachmannschaften eine Kompanie
Offizierssch&uuml;ler erschienen, die als Soldaten des Semjonowski-Regiments
verkleidet waren. Sie kannten die bolschewistische Parole und &uuml;bernahmen
die Zentrale, ohne Verdacht zu erregen. Einige Minuten sp&auml;ter erschien
Antonow, der eine Inspektionsrunde machte. Er wurde festgenommen und in einen
kleinen Raum gesperrt. Als die wirkliche Abl&ouml;sung kam, empfing sie eine
Gewehrsalve, und einige Soldaten wurden get&ouml;tet. Die Konterrevolution
begann...
</BODY></HTML>