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<title>Friedrich Engels - Der deutsche Bauernkrieg - IV</title>
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<p><small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 7,S. 372-376<br>
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Dietz Verlag, Berlin/DDR 1960</small></p>
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<p align="center"><a href="me07_359.htm"><font size="2">III - [Vorläufer des großen
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Bauerkriegs zwischen 1476 und 1517]</font></a> <font size="2">|</font> <a href=
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"me07_327.htm"><font size="2">Inhalt</font></a> <font size="2">|</font> <a href=
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"me07_377.htm"><font size="2">V - [Der schwäbisch-fränkische
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Bauernkrieg]</font></a></p>
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<p align="center"><font size="5">IV</font></p>
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<p align="center"><font size="5">[Der Adelsaufstand]</font></p>
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<p><b><a name="S372"><372></a></b> Um dieselbe Zeit, wo im Schwarzwald die vierte
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Bundschuhverschwörung unterdrückt wurde, gab Luther in Wittenberg das Signal zu der
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Bewegung, die alle Stände mit in den Strudel reißen und das ganze Reich
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erschüttern sollte. Die Thesen des thüringischen Augustiners zündeten wie ein
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Blitz in ein Pulverfaß Die mannigfaltig durcheinanderkreuzenden Bestrebungen der Ritter wie
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der Bürger, der Bauern wie der Plebejer, der souveränetätssüchtigen
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Fürsten wie der niederen Geistlichkeit, der mystizisierenden verborgenen Sekten wie der
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gelehrten und satirisch-burlesken Schriftstelleropposition erhielten in ihnen einen zunächst
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gemeinsamen allgemeinen Ausdruck, um den sie sich mit überraschender Schnelligkeit
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gruppierten. Diese über Nacht gebildete Allianz aller Oppositionselemente, so kurz ihre
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Dauer war, enthüllte plötzlich die ungeheure Macht der Bewegung und trieb sie um so
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rascher voran.</p>
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<p>Aber eben diese rasche Entwicklung der Bewegung mußte auch sehr bald die Keime des
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Zwiespalts entwickeln, die in ihr lagen, mußte wenigstens die durch ihre ganze
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Lebensstellung direkt einander entgegenstehenden Bestandteile der erregten Masse wieder
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voneinander reißen und in ihre normale feindliche Stellung bringen. Diese Polarisation der
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bunten Oppositionsmasse um zwei Attraktionszentren trat schon in den ersten Jahren der
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Reformation hervor; Adel und Bürger gruppierten sich unbedingt um Luther; Bauern und
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Plebejer, ohne schon in Luther einen direkten Feind zu sehen, bildeten wie früher eine
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besondere, revolutionäre Oppositionspartei. Nur daß die Bewegung jetzt viel
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allgemeiner, viel tiefer greifend war als vor Luther, und daß damit die Notwendigkeit des
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scharf ausgesprochenen Gegensatzes, der direkten Bekämpfung beider Parteien untereinander
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gegeben war. Dieser direkte Gegensatz trat bald ein; Luther und Münzer bekämpften sich
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in der Presse und auf der Kanzel, wie die größtenteils aus lutherischen oder
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wenigstens zum Luthertum hinneigenden Kräften bestehenden Heere der Fürsten, Ritter und
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Städte die Haufen der Bauern und Plebejer zersprengten.</p>
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<p><b><a name="S373"><373></a></b> Wie sehr die Interessen und Bedürfnisse der
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verschiedenen Elemente, die die Reformation angenommen, auseinandergingen, zeigt schon vor dem
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Bauernkrieg der Versuch des Adels, seine Forderungen gegenüber den Fürsten und Pfaffen
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durchzusetzen.</p>
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<p>Wir haben schon oben gesehen, welche Stellung der deutsche Adel im Anfang des 16. Jahrhunderts
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einnahm. Er war im Begriff, seine Unabhängigkeit an die immer mächtiger werdenden
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weltlichen und geistlichen Fürsten zu verlieren. Er sah zu gleicher Zeit, in demselben
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Maß wie er sank, auch die Reichsgewalt sinken und das Reich sich in eine Anzahl
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souveräner Fürstentümer auflösen. Sein Untergang mußte für ihn mit
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dem Untergang der Deutschen als Nation zusammenfallen. Dazu kam, daß der Adel, besonders
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der reichsunmittelbare Adel, derjenige Stand war, der sowohl durch seinen militärischen
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Beruf wie durch seine Stellung gegenüber den Fürsten das Reich und die Reichsgewalt
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besonders vertrat. Er war der nationalste Stand, und je mächtiger die Reichsgewalt, je
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schwächer und je weniger zahlreich die Fürsten, je einiger Deutschland, desto
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mächtiger war er. Daher der allgemeine Unwille der Ritterschaft über die
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erbärmliche politische Stellung Deutschlands, über die Ohnmacht des Reichs nach
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außen, die in demselben Maße zunahm, als das Kaiserhaus durch Erbschaft eine Provinz
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nach der andern an das Reich anhing; über die Intrigen fremder Mächte im Innern
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Deutschlands und die Komplotte deutscher Fürsten mit dem Ausland gegen die Reichsgewalt. Die
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Forderungen des Adels mußten sich also vor allem in der Forderung einer Reichsreform
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zusammenfassen, deren Opfer die Fürsten und die höhere Geistlichkeit werden sollten.
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Diese Zusammenfassung übernahm <i>Ulrich von Hutten</i>, der theoretische Repräsentant
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des deutschen Adels, in Gemeinschaft mit <i>Franz von Sickingen</i>, seinem militärischen
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und staatsmännischen Repräsentanten.</p>
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<p>Hutten hat seine im Namen des Adels geforderte Reichsreform sehr bestimmt ausgesprochen und
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sehr radikal gefaßt. Es handelt sich um nichts Geringeres als um die Beseitigung
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sämtlicher Fürsten, die Säkularisation sämtlicher geistlichen
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Fürstentümer und Güter, um die Herstellung einer <i>Adelsdemokratie</i> mit
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monarchischer Spitze, ungefähr wie sie in den besten Tagen der weiland polnischen Republik
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bestanden hat. Durch die Herstellung der Herrschaft des Adels, der vorzugsweise
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militärischen Klasse, durch die Entfernung der Fürsten, der Träger der
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Zersplitterung, durch die Vernichtung der Macht der Pfaffen und durch die Losreißung
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Deutschlands von der geistlichen Herrschaft Roms glaubten Hutten und Sickingen, das Reich wieder
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einig, frei und mächtig zu machen.</p>
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<p>Die auf der Leibeigenschaft beruhende Adelsdemokratie, wie sie in Polen <a name=
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"S374"><b><374></b></a> und in etwas modifizierter Form in den ersten Jahrhunderten der von
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den Germanen eroberten Reiche bestanden hat, ist eine der rohesten Gesellschaftsformen und
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entwickelt sich ganz normal weiter zur ausgebildeten Feudalhierarchie, die schon eine bedeutend
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höhere Stufe ist. Diese reine Adelsdemokratie war also im 16. Jahrhundert unmöglich.
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Sie war schon unmöglich, weil überhaupt bedeutende und mächtige Städte in
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Deutschland bestanden. Auf der andern Seite war aber auch jene Allianz des niedern Adels und der
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Städte unmöglich, die in England die Verwandlung der feudal-ständischen Monarchie
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in die bürgerlich-konstitutionelle zustande brachte. In Deutschland hatte sich der alte Adel
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erhalten, in England war er durch die Rosenkriege bis auf 28 Familien ausgerottet und wurde durch
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einen neuen Adel bürgerlichen Ursprungs und mit bürgerlichen Tendenzen ersetzt; in
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Deutschland bestand die Leibeigenschaft fort, und der Adel hatte <i>feudale</i> Einkommenquellen,
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in England war sie fast ganz beseitigt, und der Adel war einfacher bürgerlicher
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Grundbesitzer mit der <i>bürgerlichen</i> Einkommenquelle: der Grundrente. Endlich war die
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Zentralisation der absoluten Monarchie, die in Frankreich seit Ludwig XI. durch den Gegensatz von
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Adel und Bürgerschaft bestand und sich immer weiter ausbildete, schon darum in Deutschland
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unmöglich, weil hier überhaupt die Bedingungen der nationalen Zentralisation gar nicht
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oder nur unentwickelt vorhanden waren.</p>
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<p>Je mehr unter diesen Verhältnissen Hutten sich auf die praktische Durchführung
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seines Ideals einließ, desto mehr Konzessionen mußte er machen und desto unbestimmter
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mußten die Umrisse seiner Reichsreform werden. Der Adel allein war nicht mächtig
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genug, das Unternehmen durchzusetzen, das bewies seine wachsende Schwäche gegenüber den
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Fürsten. Man mußte Bundesgenossen haben, und die einzig möglichen waren die
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Städte, die Bauern und die einflußreichen Theoretiker der Reformationsbewegung. Aber
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die Städte kannten den Adel hinreichend, um ihm nicht zu trauen und jedes Bündnis mit
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ihm zurückzuweisen. Die Bauern sahen im Adel, der sie aussog und mißhandelte, mit
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vollem Recht ihren bittersten Feind. Und die Theoretiker hielten es entweder mit den
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Bürgern, Fürsten oder den Bauern. Was sollte auch der Adel den Bürgern und Bauern
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Positives versprechen von einer Reichsreform, deren Hauptzweck immer die Hebung des Adels war?
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Unter diesen Umständen blieb Hutten nichts übrig, als in seinen Propagandaschriften
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über die künftige gegenseitige Stellung des Adels, der Städte und der Bauern wenig
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oder gar nichts zu sagen, alles Übel auf die Fürsten und Pfaffen und die
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Abhängigkeit von Rom zu schieben und den Bürgern nachzuweisen, daß ihr Interesse
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ihnen gebiete, im bevorstehenden Kampf zwischen Fürsten und Adel sich mindestens neutral zu
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halten. Von Aufhebung der Leibeigenschaft <a name="S375"><b><375></b></a> und der Lasten,
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die der Bauer dem Adel schuldig war, ist bei Hutten nirgends die Rede.</p>
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<p>Die Stellung des deutschen Adels gegenüber den Bauern war damals ganz dieselbe wie die
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des polnischen Adels zu seinen Bauern in den Insurrektionen 1830-46 <(<i>1850</i>) seit
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1830>. Wie in den modernen polnischen Aufständen, war damals in Deutschland die Bewegung
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nur durchzuführen durch eine Allianz aller Oppositionsparteien und namentlich des Adels mit
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den Bauern. Aber grade diese Allianz war in beiden Fällen <i>unmöglich</i>. Weder war
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der Adel in die Notwendigkeit versetzt, seine politischen Privilegien und seine Feudalgerechtsame
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gegenüber den Bauern aufzugeben, noch konnten die revolutionären Bauern sich auf
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allgemeine unbestimmte Aussichten hin in eine Allianz mit dem Adel einlassen, mit dem Stand, der
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sie gerade am meisten bedrückte. Wie in Polen 1830, so konnte in Deutschland 1522 der Adel
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die Bauern nicht mehr gewinnen. Nur die gänzliche Beseitigung der Leibeigenschaft und
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Hörigkeit, das Aufgeben aller Adelsprivilegien hätte das Landvolk mit dem Adel
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vereinigen können; aber der Adel, wie jeder privilegierte Stand, hatte nicht die geringste
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Lust, seine Vorrechte, seine ganze exzeptionelle Stellung und den größten Teil seiner
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Einkommenquellen freiwillig aufzugeben.</p>
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<p>Der Adel stand also schließlich, als es zum Kampfe kam, den Fürsten allein
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gegenüber. Daß die Fürsten, die ihm seit zwei Jahrhunderten fortwährend
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Terrain abgewonnen, ihn auch diesmal mit leichter Mühe erdrücken mußten, war
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vorherzusehen.</p>
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<p>Der Verlauf des Kampfes selbst ist bekannt. Hutten und Sickingen, der schon als
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politisch-militärischer Chef des mitteldeutschen Adels anerkannt war, brachten 1522 zu
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Landau einen Bund des rheinischen, schwäbischen und fränkischen Adels auf sechs Jahre
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zustande, angeblich zur Selbstverteidigung; Sickingen zog ein Heer, teils aus eignen Mitteln,
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teils in Verbindung mit den umliegenden Rittern, zusammen, organisierte Werbungen und Zuzüge
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in Franken, am Niederrhein, in den Niederlanden und Westfalen und eröffnete im September
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1522 die Feindseligkeiten mit einer Fehdeerklärung an den Kurfürsten-Erzbischof von
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Trier. Aber während er vor Trier lag, wurden seine Zuzüge durch rasches Einschreiten
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der Fürsten abgeschnitten; der Landgraf von Hessen und der Kurfürst von der Pfalz zogen
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den Trierern zu Hülfe, und Sickingen mußte sich in sein Schloß Landstuhl werfen.
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Trotz aller Bemühungen Huttens und seiner übrigen Freunde ließ ihn hier der
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verbündete Adel, eingeschüchtert durch die konzentrierte und rasche Aktion der
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Fürsten, im Stich; er selbst wurde tödlich verwundet, über- <a name=
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"S376"><b><376></b></a> gab dann Landstuhl und starb gleich darauf. Hutten mußte in
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die Schweiz flüchten und starb wenige Monate später auf der Insel Ufnau im
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Zürchersee.</p>
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<p>Mit dieser Niederlage und dem Tod der beiden Führer war die Macht des Adels als einer von
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den Fürsten unabhängigen Körperschaft gebrochen. Von jetzt an tritt der Adel nur
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noch im Dienst und unter der Leitung der Fürsten auf. Der Bauernkrieg, der gleich darauf
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ausbrach, zwang ihn noch mehr, sich direkt oder indirekt unter den Schutz der Fürsten zu
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stellen, und bewies zu gleicher Zeit, daß der deutsche Adel es vorzog, lieber unter
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fürstlicher Oberhoheit die Bauern fernerhin zu exploitieren, als die Fürsten und
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Pfaffen durch ein offenes Bündnis mit den <i>emanzipierten</i> Bauern zu stürzen.</p>
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