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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>Karl Marx/Friedrich Engels - Die grossen Maenner des Exils</TITLE>
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<P><SMALL>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 8, 3. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1960, Berlin/DDR. S. 318-330</SMALL>
<P ALIGN="CENTER"><A HREF="me08_312.htm"><FONT SIZE=2>XII.</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="me08_233.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="me08_331.htm"><FONT SIZE=2>XIV.</FONT></A></P>
<P ALIGN="CENTER">XIII</P><DIR>
<DIR>
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<DIR>
<B><FONT SIZE=2><P><A NAME="S318">&lt;318&gt;</A></B> Chi mi dar&agrave; la voce e le parole,<BR>
E un proferir magnanimo e profondo!<BR>
Che mai cosa piu fiera sotto il sole<BR>
Non fu veduta in tutto quanto il mondo;<BR>
L'altre battaglie fur rose e viole,<BR>
Al raccontar di questa mi confondo;<BR>
Perch&egrave; il valor, e'l pregio della terra<BR>
A fronte son condotti in questa guerra.<BR>
(Bojardo, "Orlando innam[orato]", Canto 27)</P>
<P>Wer gibt die Worte mir und wer die Stimme,<BR>
Das Gr&ouml;&szlig;te gro&szlig; und w&uuml;rdig zu berichten!<BR>
Denn stolzern Kampf gef&uuml;hrt mit wilderm Grimme,<BR>
Ward seit der Welt Beginn gesehn mitnichten;<BR>
Die andern Schlachten, wenn auch noch so schlimme,<BR>
Sind Veilchen nur und Rosen, und mein Dichten<BR>
Versagt mir, wo Bravour wie Ehrenglorie<BR>
Gleich herrlich strahlt in dieses Kampfs Historie.</P></DIR>
</DIR>
</DIR>
</DIR>
</FONT><P>Mit der Vervollst&auml;ndigung der Emigration durch die letzten fashionable arrivals &lt;vornehmen Ank&ouml;mmlinge&gt; war der Zeitpunkt eingetreten, wo sie versuchen mu&szlig;te, sich im gro&szlig;en zu "organisieren", sich zu einem vollen Dutzend zu konstituieren. Es war zu erwarten, da&szlig; diese Versuche nun in eine erbitterte Feindschaft umschlagen w&uuml;rden. Der Federkrieg in den transatlantischen Bl&auml;ttern erreichte nun seinen H&ouml;hepunkt. Pers&ouml;nliche Miseren, Intrigen, Kabalen, Renommistereien - in diesen Lumpereien ersch&ouml;pften sich die gro&szlig;en M&auml;nner. Aber die Emigration hatte eins gewonnen, eine Geschichte f&uuml;r sich, die au&szlig;erhalb der Weltgeschichte liegt, ihre Winkelpolitik neben der &ouml;ffent- <A NAME="S319"><B>&lt;319&gt;</A></B> lichen Politik; und aus ihrer wechselseitigen Bek&auml;mpfung selbst sch&ouml;pfte sie das Gef&uuml;hl ihrer wechselseitigen Wichtigkeit. Da im Hintergrund aller dieser Bestrebungen und K&auml;mpfe die Spekulation auf demokratische Parteigelder, "auf d. heiligen Gral", liegt, verwandelt sich die transzendentale Rivalit&auml;t, der Zank um den Bart des Kaisers Barbarossa, sehr bald in d. ordin&auml;re Konkurrenz v. Narren. Wer diesen gro&szlig;en Froschm&auml;uslerkrieg aus den Quellen studieren will, findet alle einschlagenden Dokumente in der <I>N. Y. "Schnellpost"</I>,<I> "N.-Y. Deutschen Zeitung"</I>, <I>"A[llgemeinen] D[eutschen] Z[eitung]" </I>und <I>"Staatszeitung"</I>, im Baltimore <I>"Correspondenten"</I>, im Wecker und andern deutschamerik. Bl&auml;ttern. Indes verblieb dies Sch&ouml;ntun mit angeblichen Verbindungen und erlogenen Konspirationen, diese ganze Emigrationspolterei nicht ohne ernste Seite. Sie bot den Regierungen erw&uuml;nschten Vorwand, eine Menge Leute in Deutschland zu verhaften, der inl&auml;ndischen Bewegung &uuml;berall hemmend entgegenzutreten und diese armen Strohwische in London dem deutschen B&uuml;rger gegen&uuml;ber als Vogelscheuchen aufzurichten. Weit entfernt, den bestehenden Zust&auml;nden irgend gef&auml;hrlich zu sein, w&uuml;nschen diese Emigrationshelden nur das eine sehnlichst, da&szlig; es in Deutschland totenstill werde, damit man ihre Stimme um so besser vernehme, und da&szlig; das Niveau des &ouml;ffentlichen Geistes tief genug sinke, um sogar Leute von ihrer Statur als hervorragende Gr&ouml;&szlig;en erscheinen zu lassen.</P>
<P>Die neuangekommenen s&uuml;ddeutschen Biederm&auml;nner fanden sich in London, nach keiner Seite hin engagiert, in der trefflichsten Lage, um zwischen den verschiedenen Cliquen eine Vers&ouml;hnung einzuleiten und zugleich die Masse der Emigration als Chor um die Hervorragenden zu versammeln. Ihr wackres Pflichtgef&uuml;hl befahl ihnen, diese Gelegenheit nicht laufen zu lassen.</P>
<P>Aber sie sahen zugleich Ledru-Rollin, hier mit ihm &uuml;bereinstimmend, schon auf dem Pr&auml;sidentenstuhl der Franz&ouml;sischen Republik. Ihnen, den n&auml;chsten Grenznachbarn Frankreichs, war es wichtig, v. d. provis. Regierung Frankreichs als provisorische Obm&auml;nner Deutschlands anerkannt zu werden. Sigel vor allem lag daran, von Ledru sein Oberkommando garantiert zu erhalten. Der Weg zu Ledru ging aber nur &uuml;ber Arnolds Leiche. Zudem imponierte ihnen Arnolds Charaktermaske damals noch, und als philosophisches Nordlicht sollte er ihre s&uuml;ddeutsche D&auml;mmerung erhellen. So wandten sie sich zun&auml;chst an Ruge. </P>
<P>Auf der andern Seite stand erstens <I>Kinkel </I>mit seiner n&auml;hern Umgebung - Schurz, Strodtmann, Schimmelpfennig, Techow pp.; sodann die Ex-Parlaments- und Kammerabgeordneten, an der Spitze <I>Reichenbach</I>, mit Meyen <A NAME="S320"><B>&lt;320&gt;</A></B> und Oppenheim als literarischen Repr&auml;sentanten; endlich Willich mit seiner Schar, die indes im Hintergrund bleibt. Die Rollen waren hier so verteilt: Kinkel als Passionsblume vertritt das deutsche Philisterium &uuml;berhaupt; Reichenbach als Graf vertritt die Bourgeoisie; Willich als Willich vertritt das Proletariat.</P>
<P>Von August <I>Willich </I>ist zun&auml;chst zu sagen, da&szlig; Gustav stets ein geheimes Mi&szlig;trauen gegen ihn hegte infolge seines spitzzulaufenden Sch&auml;dels, an dem das Organ der Selbstsch&auml;tzung alle andern F&auml;higkeiten durch abnorme &Uuml;berwucherung zusammendr&uuml;ckt</P>
<P>Ein deutscher Philister, der den ehemaligen Leutnant Willich in einer Londoner Bierkneipe sah, griff erschrocken zu seinem Hut und st&uuml;rzte fort mit dem Ausruf: Um Gottes willen, was sieht der Mann unserm Herrn Jesus Christus &auml;hnlich! Um diese &Auml;hnlichkeit weiter auszubilden, wurde Willich kurz vor der Revolution eine Zeitlang Zimmermann. Sp&auml;ter trat er im badisch-pf&auml;izischen Feldzuge als Partisanenchef auf.</P>
<P>Der Partisanenchef, dieser Nachk&ouml;mmling der altitalienischen Condottiere, ist eine eigent&uuml;mliche Erscheinung in den neueren Kriegen, besonders in Deutschland. Der Partisanenchef, gewohnt auf eigne Faust zu agieren, widerstrebt jedem allgemeinen Oberkommando. Seine Leute sind allein an ihn gewiesen, er h&auml;ngt aber auch ganz von ihnen ab. Die Disziplin in einem Freikorps ist daher eine eigne Sache, je nach Umst&auml;nden bald barbarisch streng, bald, und meistens, im h&ouml;chsten Grade lax. Der Partisanenchef kann nicht immer herrisch und befehlend auftreten, er mu&szlig; seinen Leuten oft schmeicheln, sie einzeln, Mann f&uuml;r Mann, durch k&ouml;rperliche Liebkosungen k&ouml;dern; die gew&ouml;hnlichen milit&auml;rischen Eigenschaften n&uuml;tzen hier wenig, und der Verwegenheit m&uuml;ssen andre Qualit&auml;ten zu H&uuml;lfe kommen, um die Untergebnen im Respekt zu halten. Ist er auch nicht edel, so mu&szlig; er doch ein edelm&uuml;tiges Bewu&szlig;tsein haben, das sich wie immer durch Hinterlist, lauerndes Intrigieren und versteckte praktische Gemeinheit erg&auml;nzt. So gewinnt man nicht nur seine Soldaten, man besticht auch die Einwohner, man &uuml;berrumpelt den Feind, und man wird als pers&ouml;nlicher Charakter besonders von den Gegnern anerkannt. Alles das aber reicht nicht aus, ein Freikorps, dessen Masse entweder von vornherein aus dem Lumpenproletariat besteht oder sich ihm bald assimiliert, zusammenzuhalten. Hierzu geh&ouml;rt eine h&ouml;here Idee. Der Freischarenf&uuml;hrer mu&szlig; also einen Kern fixer Ideen haben, er mu&szlig; ein Mann von Prinzip sein, dem sein welterl&ouml;sender Beruf fortw&auml;hrend vorschwebt. Er mu&szlig; seinen Soldaten durch Predigen vor der Front und durch anhaltende belehrende Propaganda bei jedem einzelnen das Bewu&szlig;tsein dieser h&ouml;heren Idee beibringen und so das ganze Korps in <A NAME="S321"><B>&lt;321&gt;</A></B> seine S&ouml;hne nach dem Glauben verwandeln. Hat diese h&ouml;here Idee einen spekulativen, mystischen, &uuml;ber den gew&ouml;hnlichen Verstand gehenden Anstrich, ist sie etwa Hegelscher Natur, wie General Willisen dergleichen der preu&szlig;ischen Armee beizubringen suchte, so ist das um so besser: So wird das edelm&uuml;tige Bewu&szlig;tsein jedem einzelnen Freisch&auml;rler eingefl&ouml;&szlig;t, und die Taten der ganzen Schar erhalten dadurch eine spekulative Weihe, die sie &uuml;ber den Charakter gew&ouml;hnlicher unreflektierter Courage weit erhebt, wie denn auch der Ruhm eines solchen Korps weniger von seinen Leistungen herr&uuml;hrt als von seiner messianischen Sendung. Es kann den Halt des Korps nur vermehren, wenn man s&auml;mtliche Krieger schw&ouml;ren l&auml;&szlig;t, die Sache, f&uuml;r die sie k&auml;mpfen, nicht zu &uuml;berleben und sich lieber unter dem letzten Apfelbaum an der Grenze unter Absingung eines geistlichen Liedes bis auf den letzten Mann massakrieren zu lassen. Ein solches Korps und ein solcher F&uuml;hrer m&uuml;ssen sich nat&uuml;rlich durch die Gemeinschaft mit gew&ouml;hnlichen profanen Kriegern befleckt finden und nach jeder Gelegenheit suchen, entweder sich von der Armee zu entfernen oder die Gesellschaft der Unbeschnittenen gleich wieder abzusch&uuml;tteln; und nichts m&uuml;ssen sie mehr hassen als ein gro&szlig;es Korps und den gro&szlig;en Krieg, wo die durch h&ouml;heren Schwung unterst&uuml;tzte Hinterlist wenig ausrichtet, wenn sie die gew&ouml;hnlichen Regeln der Kriegf&uuml;hrung verachtet. So mu&szlig; der Partisanenchef im vollen Sinne des Worts Kreuzfahrer, er mu&szlig; Peter der Eremit und Walter von Habenichts in einer Person sein. Er mu&szlig; den gemischten Elementen und der ungezwungenen Lebensweise seines Korps gegen&uuml;ber ein tugendhafter Mann sein; man darf ihn nicht unter den Tisch trinken k&ouml;nnen, und er selbst mu&szlig; vorziehn, seine Flasche im stillen, etwa nachts im Bette, zu trinken. Sollte es ihm menschlicherweise passieren, zu unreglementsm&auml;&szlig;iger Stunde, nach &uuml;berm&auml;&szlig;igem Genu&szlig; der Weltfreuden, in der Nacht in d. Kaserne zur&uuml;ckzukehren, so wird er [nicht] gerade durch das Gro&szlig;tor eintreten, sondern auf einem Umweg heimkehren, um unbewacht [&uuml;ber] die Mauern zu klettern, um kein Ansto&szlig; zu erregen; weibliche Reize m&uuml;ssen ihn kalt lassen, w&auml;hrend es einen guten Effekt macht, wenn er, wie Cromwell seine Unteroffiziere, von Zeit zu Zeit einen Schneidergesellen in sein Bett nimmt; &uuml;berhaupt kann er die asketische Strenge des Lebenswandels nicht zu hoch steigern. Da die hinter dem cavaliere della ventura &lt;Gl&uuml;cksritter&gt; stehenden cavalieri del dente &lt;Ritter des Schnappsacks&gt; seines Korps sich meistens von Requisitionen und freiem Quartier n&auml;hren, wobei Walter von Habenichts nicht immer so genau zusehen kann, so mu&szlig; auch schon deshalb Peter der Eremit immer mit dem Trost bei der Hand sein, da&szlig; dergleichen <A NAME="S322"><B>&lt;322&gt;</A></B> unangenehme Ma&szlig;regeln ja nur zur Rettung des Vaterlandes und also im eignen Interesse der Betroffenen angewandt werden.</P>
<P>Alle diese Qualit&auml;ten des Partisanenchefs im Kriege treten zu Friedenszeiten in nicht gerade g&uuml;nstig modifizierter Form wieder auf. Vor allen Dingen mu&szlig; er den Regimentsstamm f&uuml;r ein neues Korps zusammenhalten und fortw&auml;hrend Werbeunteroffiziere in Bewegung setzen. Der Stamm, bestehend aus den Resten des Freikorps und dem Mob der Emigration &uuml;berhaupt, wird einkaserniert, sei es auf Regierungskosten (etwa in Besan&ccedil;on) oder sonstwie. Die ideelle Weihe darf dem Kasernenleben nicht fehlen, sie wird hergestellt durch den Kasernenkommunismus, wodurch der Verachtung gemeiner b&uuml;rgerlicher T&auml;tigkeit eine h&ouml;here Bedeutung erw&auml;chst. Da diese kommunistische Kaserne indes nicht mehr unter den Kriegsartikeln steht, sondern nur unter der moralischen Autorit&auml;t und dem Gebot der Aufopferung, so kann es nicht fehlen, da&szlig; zuweilen Pr&uuml;geleien &uuml;ber die gemeinschaftliche Kasse entstehn wobei die moralische Autorit&auml;t nicht immer ohne ein blaues Auge davonkommt. Findet sich irgendwo in der N&auml;he ein Handwerkerverein, so kann dieser als Rekrutieranstalt f&uuml;r das anzuschaffende Korps benutzt und den Handwerkern als Entsch&auml;digung f&uuml;r ihre gegenw&auml;rtige saure Arbeit die Aussicht auf k&uuml;nftiges flottes Leben und Freisch&auml;rlerabenteuer er&ouml;ffnet werden. Vielleicht l&auml;&szlig;t es sich auch einrichten, da&szlig; im Hinblick auf die h&ouml;here prinzipielle Bedeutung, die die Kaserne f&uuml;r die Zukunft des Proletariats hat, der Verein Gelder in die Menage liefert. In der Kaserne wie im Verein wird das Predigen und die patriarchalisch-kl&auml;tschelnde Manier des pers&ouml;nlichen Verkehrs nicht ohne Wirkung bleiben. Der Parteig&auml;nger verliert auch im Frieden seine unentbehrliche Zuversicht nicht, und wie fr&uuml;her stets nach jeder Schlappe f&uuml;r den morgenden Tag den Sieg, so verk&uuml;ndet er nunmehr stets die moralische Gewi&szlig;heit u. d. philosophische Notwendigkeit, da&szlig; es binnen vierzehn Tagen "losgehn" werde, n&auml;mlich es. Da es ihm an einem Feinde nicht fehlen darf und dem Edlen notwendig die Unedlen gegen&uuml;berstehn, so wird er in diesen eine w&uuml;tende Feindschaft gegen sich entdecken, er wird glauben, die Unedlen tun es schon aus Ha&szlig; gegen seine verdiente Popularit&auml;t, wollten ihn vergiften oder erdolchen, weshalb er stets ein langes Messer unter dem Kopfkissen bergen wird. - Wie der Partisanenchef im Kriege nichts leistet, wenn er nicht voraussetzt, da&szlig; die Landesbewohner ihn anbeten, so wird er auch im Frieden zwar zu keinen wirklichen politischen Verbindungen kommen, sie aber stets voraussetzen oder sich einbilden, woraus dann manchmal sonderbare Mystifikationen hervorgehn m&ouml;gen. Das Requisitionstalent und das freie Quartiermachen tritt wieder auf in der Gestalt einer gem&uuml;tlichen Schmarotzerei. Der sitten- <A NAME="S323"><B>&lt;323&gt;</A></B> strenge Asketismus unseres Orlando erleidet dagegen in Friedenszeiten, wie alles Edle und Gro&szlig;e, schwere Anfechtung. Bojardo sagt im 24. Gesange:</P><DIR>
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<FONT SIZE=2><P>Turpin behauptet, da&szlig; der Graf von Brava<BR>
Jungfr&auml;ulich war auf Lebenszeit und keusch.<BR>
Glaubt ihr davon, was euch beliebt, ihr Herren -</P></DIR>
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</DIR>
</DIR>
</FONT><P>Aber es ist auch bekannt, da&szlig; der Graf von Brava sp&auml;ter &uuml;ber den Augen der sch&ouml;nen Angelica den Verstand verlor und Astolf diesen im Monde wieder holen mu&szlig;te, wie das der Meister Lodovico Ariosto gar reizend geschildert hat. Unser moderner Orlando verwechselte sich jedoch mit dem Dichter selbst, der erz&auml;hlte, auch er habe den Verstand aus Liebe verloren, aber ihn mit den Lippen u. den H&auml;nden auf dem Busen seiner Angelica wieder gesucht, wobei es ihm jedoch passierte, da&szlig; er zum Dank zum Hause hinausgeworfen wurde.</P>
<P>In der Politik wird der Partisanenchef seine &Uuml;berlegenheit in allen Mitteln des kleinen Kriegs an den Tag legen. Dem Begriff des Parteig&auml;ngers gem&auml;&szlig; wird er von einer Partei zur andern gehn. Mesquines &lt;Kleinliches&gt; Intrigieren, sch&auml;bige Winkelz&uuml;ge, gelegentliche L&uuml;gen, sittlich entr&uuml;stete Perfidie werden hier als naturgem&auml;&szlig;e Symptome des edelm&uuml;tigen Bewu&szlig;tseins erscheinen, und er wird im Glauben an seine Sendung und an den h&ouml;hern Sinn seiner Worte und Handlungen mit Bestimmtheit erkl&auml;ren: "Ich l&uuml;ge nie!" Die fixen Ideen werden einen vortrefflichen Deckmantel f&uuml;r die versteckte Heimt&uuml;cke abgeben und bringen die Emigrationst&ouml;lpel ohne alle Ideen auf den Gedanken, er, der Mann der fixen Ideen, sei ein einfacher Narr, was einem so geriebenen braven Mann nur erw&uuml;nscht sein kann.</P>
<P>Don Quijote und Sancho Pansa in einer Person, ebenso verliebt in den Schnappsack wie in seine fixen Ideen, an der irrenden Ritterschaft die freie Zehrung nicht minder bewundernd als den Ruhm, der Mann des Duodezkriegs und der minimsten Intrige, seine Durchtriebenheit zudeckend unter der Maske des Charakters, liegt die wahre Zukunft Willichs in den Pr&auml;rien des Rio Grande del Norte.</P>
<P>&Uuml;ber die Beziehungen der oben geschilderten beiden Elemente der Emigration gibt Herr Goegg in einem Brief in der N.Y. "Deutschen Schnellpost" Aufschlu&szlig;:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Sie" (die S&uuml;ddeutschen) "h&auml;tten beschlossen, um das Ansehn des <I>hinsterbenden </I>Zentralkomitees herzustellen, eine Vereinigung mit den &uuml;brigen Fraktionen zu versuchen. Aber es sei wenig Aussicht f&uuml;r dies wohlgemeinte Werk vorhanden. Kinkel fahre fort zu intrigieren, er habe ein Komitee mit seinem Retter, seinem Biographen <A NAME="S324"><B>&lt;324&gt;</A></B> und einigen preu&szlig;ischen Leutnants gebildet, das im geheimen wirken solle, sich ausbreiten, wom&ouml;glich die demokratischen Gelder an sich ziehen und dann pl&ouml;tzlich als m&auml;chtige Partei Kinkel ans Tageslicht treten. Das sei weder ehrlich noch billig noch verst&auml;ndig!"</P>
</FONT><P>Die "ehrliche" Absicht der s&uuml;ddeutschen Elemente bei diesen Vereinbarungsversuchen geht aus folgendem Brief des Herrn Sigel an dieselbe Zeitung hervor:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Wenn wir, die wenigen M&auml;nner, die es <I>aufrichtig </I>gemeint, ebenfalls <I>teilweise </I>zur Konspiration gegriffen haben, so geschah es, um uns gegen die elenden Perfidien und Anma&szlig;ungen Kinkels und Genossen zu wahren und ihnen zu zeigen, da&szlig; sie nicht zum Herrschen geboren sind. Unser <I>Hauptzweck </I>war, Kinkel mit Gewalt in eine gro&szlig;e Versammlung zu ziehn, um ihm und seinen n&auml;heren politischen Freunden, wie er sich ausdr&uuml;ckt, zu beweisen, da&szlig; nicht alles Gold ist, was gl&auml;nzt. Zum Teufel erst das Instrument" (Schurz), "zum Teufel hinterdrein den S&auml;nger" (Kinkel). ("Wochenbl. der N.-Y. D. Ztg.", 24. Septbr. 1851.)</P>
</FONT><P>Wie sonderlich beide Seiten, die sich "s&uuml;ddeutsch" und "norddeutsch" schelten, beschaffen waren, folgt schon daraus, da&szlig; an der Spitze der s&uuml;ddeutschen Elemente der "Verstand" Ruges stand und an der Spitze der norddeutschen das "Gem&uuml;t" Kinkels.</P>
<P>Um den jetzt folgenden gro&szlig;en Kampf zu verstehn, m&uuml;ssen wir zwei Worte &uuml;ber die Diplomatie dieser beiden weltersch&uuml;tternden Parteien verlieren.</P>
<P>Arnold (also auch seinen Spie&szlig;gesellen) war es vor allem darum zu tun, einen "geschlossenen Klub" mit dem offiziellen <I>Schein </I>einer "revolution&auml;ren T&auml;tigkeit" zu bilden. Aus diesem Klub sollte sein beliebter "Ausschu&szlig; f&uuml;r die deutschen Angelegenheiten" hervorgehn, und aus diesem Ausschu&szlig; sollte Ruge selbst wieder ausgeschlossen werden ins Europ&auml;ische Zentralkomitee. Arnold verfolgte dies Ziel nun schon unverdrossen seit Sommer 1850. In den S&uuml;ddeutschen hoffte er "das sch&ouml;ne mittlere Element gefunden zu haben, wo er behaglich als Herrscher walten k&ouml;nne". Offizielle Konstituierung der Emigration, Bildung von Komitees war also die notwendige Politik Arnolds und seiner Verb&uuml;ndeten.</P>
<P>Kinkel und Konsorten andrerseits mu&szlig;ten alles zu hintertreiben suchen, was Ruges angema&szlig;te Stellung im Europ&auml;ischen Zentralkomitee legitimieren konnte. Kinkel hatte auf seinen Aufruf zur vorl&auml;ufigen Zeichnung von 500 Pfd.St. von New Orleans die Zusicherung einer Geldsendung erhalten und daraufhin mit Willich, Schimmelpfennig, Reichenbach, Techow, Schurz pp. bereits ein <I>geheimes Finanzkomitee </I>gebildet. Sie dachten: Haben wir erst das Geld, so haben wir auch die Emigration; haben wir die Emigra- <A NAME="S325"><B>&lt;325&gt;</A></B> tion, so haben wir auch die Regierung in Deutschland. Es galt ihnen also vor allem, die Gesamtemigration durch formelle Zusammenk&uuml;nfte zu besch&auml;ftigen, aber jede offizielle Konstituierung derselben, die &uuml;ber eine "lose Gesellschaft" hinausgehe, und besonders jede Komiteebildung zu hintertreiben, um die feindliche Fraktion hinzuhalten, vom Tun abzuhalten und hinter ihrem R&uuml;cken man&ouml;vrieren zu k&ouml;nnen.</P>
<P>Beide Fraktionen, d.h. "die namhaften M&auml;nner", hatten gemein, da&szlig; das Gros der Emigration an der Nase herumgezogen, nicht in die Endzwecke eingeweiht, nur als Folie dienen sollte und fallengelassen wurde, sobald der Zweck erreicht war.</P>
<P>Sehen wir jetzt diese Machiavellis, Talleyrands und Metternichs der Demokratie in ihrem gegenseitigen Auftreten an.</P>
<I><P>Erster Auftritt</I>. 4. Juli 1851. - Nachdem "eine privative Verst&auml;ndigung mit Kinkel zu gemeinsamem Auftreten gescheitert", laden Ruge, Goegg, Sigel, Fickler, Ronge die namhaften M&auml;nner aller Fraktionen zu einer Zusammenkunft bei Fickler auf den 14. Juli ein. 26 Mann erscheinen. Fickler tr&auml;gt an, einen "geschlossenen Kreis" deutscher Fl&uuml;chtlinge zu bilden und aus ihm einen "Gesch&auml;ftsausschu&szlig; f&uuml;r Bef&ouml;rderung revolution&auml;rer Zwecke" hervorgehn zu lassen. Haupts&auml;chlich von Kinkel und sechs seiner Anh&auml;nger bek&auml;mpft. Nach mehrst&uuml;ndiger heftiger Debatte Ficklers Antrag (16 gegen 10) angenommen. Kinkel und die Minorit&auml;t erkl&auml;ren, sich nicht bei dieser Sache beteiligen zu k&ouml;nnen und treten ab.</P>
<I><P>Zweiter Auftritt</I>. 20. Juli. - Die obige Majorit&auml;t konstituiert sich als Verein. Neu eingetreten unter andern der von Fickler eingef&uuml;hrte <I>Tausenau</I>.</P>
<P>Wie Ronge der Luther, wie Kinkel der Melanchthon, so ist Herr Tausenau der <I>Abraham a Sancta Clara </I>der deutschen Demokratie. Wenn die beiden Haruspices bei Cicero einander nicht ansehn konnten, ohne zu lachen, so kann Herr Tausenau sein eigenes ernsttuendes Gesicht nicht im Spiegel ansehn, ohne es auszulachen. War es Ruge gelungen, in den Badensern Leute zu finden, denen <I>er </I>imponierte, so r&auml;chte sich das Schicksal daf&uuml;r, indem es in dem &Ouml;streicher Tausenau [ihm] den Mann zuf&uuml;hrte, der ihm imponiert.</P>
<P>Auf Goeggs und Tausenaus Antrag werden die Verhandlungen vertagt, um noch einmal d. Vereinigung mit der Kinkelschen Fraktion zu versuchen.</P>
<I><P>Dritter Auftritt</I>. 27. Juli. - Sitzung im Cranbourne Hotel. Die "namhafte" Emigration au grand complet &lt;absolut vollst&auml;ndig&gt;. Kinkels Fraktion erscheint, jedoch nicht in der Absicht, sich dem schon bestehenden Verein anzuschlie&szlig;en; sie dringt <A NAME="S326"><B>&lt;326&gt;</A></B> vielmehr auf Bildung eines "offenen Diskussionsklubs ohne Gesch&auml;ftsausschu&szlig; und ohne <I>Verfolgung bestimmter Zwecke</I>". Schurz, der in allen diesen parlamentarischen Verhandlungen als Mentor des jungen Kinkel erscheint, tr&auml;gt an:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Gegenw&auml;rtige Gesellschaft formiert sich als geschlossener politischer Verein unter dem Namen <I>Deutscher Emigrationsklub </I>und nimmt auf Antrag eines Mitglieds durch Majorit&auml;tsbeschlu&szlig; andre B&uuml;rger aus der deutschen Fl&uuml;chtlingsschaft auf."</P>
</FONT><P>Einstimmig angenommen. Der Klub beschlo&szlig;, sich alle Freitage zu versammeln.</P>
<FONT SIZE=2><P>"Die Annahme dieses Antrags wurde mit allgemeinem Beifalle, mit dem Rufe: 'Es lebe die deutsche Republik!!!' begr&uuml;&szlig;t. Man f&uuml;hlte, durch allgemeines Entgegenkommen seine Pflicht getan und etwas Gutes im Interesse der Revolution geschaffen zu haben." (Goegg, "Wochenbl. d. Schnellp[ost]", 20. Aug. 1851.)</P>
</FONT><P>Eduard Meyen war &uuml;ber diesen Erfolg so entz&uuml;ckt, da&szlig; er in seiner lithographierten Korrespondenz ausrief:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Die ganze Emigration bildet jetzt eine geschlossene Phalanx, bis hinauf zu Bucher - mit einziger Ausnahme der unverbesserlichen Marxschen Clique."</P>
</FONT><P>Dieselbe Meyensche Notiz findet sich in der Berliner lithographierten ministeriellen Korrespondenz.</P>
<P>So entstand unter allgemeinem Entgegenkommen und unter dem Hoch auf die deutsche Republik der gro&szlig;e <I>Emigrationsklub</I>, der so erhebende Sitzungen halten und ein paar Wochen nach Kinkels Abreise nach Amerika sich in Wohlgefallen aufl&ouml;sen sollte; was indes nicht verhindert, da&szlig; er in Amerika noch immer als ein lebendes Wesen seine Rolle spielt.</P>
<I><P>Vierter Auftritt</I>. 1. August. - Zweite Sitzung im Cranhourne Hotel.</P>
<FONT SIZE=2><P>"Leider m&uuml;ssen wir heute schon berichten, da&szlig; wir uns in den Erwartungen von dem Erfolge dieses Klubs t&auml;uschten." (Goegg, ebendaselbst, vom 27. Aug.)</P>
</FONT><P>Kinkel f&uuml;hrt ohne vorhergehenden Majorit&auml;tsbeschlu&szlig; sechs preu&szlig;ische Fl&uuml;chtlinge und sechs preu&szlig;ische Industrieausstellungsbesucher ein. <I>Der Damm <A NAME="Z1"></I><A HREF="me08_318.htm#M1">(1)</A></A><I> </I>(Pr&auml;sident, ehemaliger Pr&auml;sident der badischen Konstituante) spricht sein Befremden &uuml;ber dies hochverr&auml;terische Verletzen des Statuts aus.</P>
<B><P><A NAME="S327">&lt;327&gt;</A></B> <I>Kinkel </I>erkl&auml;rt:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Der Klub sei nur eine <I>lose </I>Gesellschaft mit keinem andern Zweck, als sich gegenseitig pers&ouml;nlich kennenzulernen und Gespr&auml;che zu f&uuml;hren, die jedermann h&ouml;ren k&ouml;nne. W&uuml;nschenswert sei es daher, wenn die Gesellschaft recht zahlreich von Ausw&auml;rtigen besucht werde."</P>
</FONT><P>Studiosus <I>Schurz </I>sucht die Taktlosigkeit seines Professors rasch durch ein Amendement auf Zulassung von Besuchern zu bem&auml;nteln. Angenommen. - Abraham a Sancta Clara <I>Tausenau </I>erhebt sich und stellt folgende zwei ernsthafte Antr&auml;ge, ohne dabei zu lachen:</P>
<FONT SIZE=2><P>"1. Ernennung einer Kommission" (<I>"der" </I>Ausschu&szlig;), "um alle acht Tage genauen Bericht &uuml;ber die laufende Politik, besonders Deutschlands, abzustatten, welche Berichte in das Archiv des Vereins niedergelegt und zu geh&ouml;riger Zeit ver&ouml;ffentlicht werden sollen; 2. Kommission" (<I>"der"</I> Ausschu&szlig;) "zur Niederlegung in das Vereinsarchiv von allen m&ouml;glichen Details &uuml;ber die Rechtsverletzungen und Grausamkeiten, welche von den Dienern der Reaktion gegen die Anh&auml;nger der Demokratie seit den letzten drei Jahren ausge&uuml;bt worden und noch ausge&uuml;bt werden."</P>
<P>Dagegen heftig <I>Reichenbach</I>: "Er erblickt in den unverf&auml;nglichen Antr&auml;gen verd&auml;chtige Hintergedanken und das Streben, mit der Wahl dieser Kommissionen der Versammlung einen von ihm und seinen Freunden nicht gew&uuml;nschten <I>offiziellen </I>Anstrich zu geben."</P>
<I><P>Schimmelpfennig </I>und <I>Schurz</I>: "Diese Kommissionen k&ouml;nnten sich Befugnisse anma&szlig;en, die einen konspiratorischen Charakter haben und nach und nach zu einem <I>offiziellen Komitee </I>f&uuml;hren w&uuml;rden."</P>
<I><P>Meyen: "Er w&uuml;nsche Worte, nicht Taten."</P>
</I></FONT><P>Die Majorit&auml;t schien nach Goeggs Behauptung zur Annahme der Antr&auml;ge geneigt; Machiavelli <I>Schurz </I>tr&auml;gt auf Vertagung an. Abraham a Sancta Clara <I>Tausenau </I>schlie&szlig;t sich aus Gem&uuml;tlichkeit diesem Antrag an. <I>Kinkel </I>meinte, da&szlig; man haupts&auml;chlich deswegen f&uuml;r die n&auml;chste Sitzung die Abstimmung aufschieben m&uuml;sse, weil ihm diesen Abend seine Fraktion in der Minderheit zu sein scheine und er und seine Freunde eine Abstimmung unter diesen Umst&auml;nden "nicht <I>f&uuml;r ihr Gewissen </I>bindend" ansehn k&ouml;nnten. Vertagung beschlossen.</P>
<I><P>F&uuml;nfter Auftritt</I>. 8. August. - Dritte Sitzung im Cranbourne Hotel. Diskussion der Tausenauschen Antr&auml;ge. - Kinkel-Willich haben gegen &Uuml;bereinkommen die "niedere Fl&uuml;chtlingsschaft", le menu peuple &lt;das niedere Volk&gt; mitgebracht, um diesmal "ihr Gewissen zu binden". - <I>Schurz </I>tr&auml;gt als Amendement auf freiwillige Vortr&auml;ge &uuml;ber Tagespolitik an, und abgekarteterweise melden sich <A NAME="S328"><B>&lt;328&gt;</A></B> sofort Meyen f&uuml;r Preu&szlig;en, Schurz f&uuml;r Frankreich, Oppenheim f&uuml;r England, Kinkel f&uuml;r Amerika und die Zukunft (weil seine n&auml;chste Zukunft in Amerika lag). - <I>Tausenaus </I>Antr&auml;ge werden verworfen. Er erkl&auml;rt ger&uuml;hrt, seinen gerechten Zorn auf dem Altar des Vaterlands opfern und im Scho&szlig; der Verb&uuml;ndeten bleiben zu wollen. Aber sogleich nimmt die Fraktion Ruge-Fickler die gereizte Haltung geprellter sch&ouml;ner Seelen an.</P>
<I><P>Intermezzo</I>. - Kinkel hatte endlich 160 Pfd.St. aus New Orleans erhalten, die er mit Zuziehung andrer namhafter Gr&ouml;&szlig;en f&uuml;r die Revolution rentbar machen sollte. Die Fraktion Ruge-Fickler, ohnehin durch die letzte Abstimmung erbittert, erfuhr dies. Jetzt war keine Zeit mehr zu verlieren, es mu&szlig;te gehandelt werden. Es bildete sich ein neuer Emigrationssumpf, der sein faulstagnierendes Dasein mit dem Namen <I>"Agitationsverein" </I>schm&uuml;ckte. Mitglieder waren Tausenau, Frank, Goegg, Sigel, Hertle, Ronge, Haug, Fickler, Ruge. Der Verein erkl&auml;rte sofort in den englischen Bl&auml;ttern:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Er sei kein diskutierender, sondern ein wesentlich arbeitender, der keine words, sondern works &lt;keine Worte, sondern Taten&gt; liefern werde und vor allem die Gesinnungsgenossen auffordere, Geld zu liefern. Der Agitationsverein ernenne <I>Tausenau </I>zu seiner Exekutivgewalt und zu seinem korrespondierenden Minister des Ausw&auml;rtigen, erkenne zugleich <I>Ruges </I>Stellung im Europ&auml;ischen Zentralkomitee" (als Reichsverweser) "an, seine bisherige T&auml;tigkeit und seine Vertretung des teutschen Volks im Sinne des teutschen Volks."</P>
</FONT><P>Man erkennt in der neuen Kombination sogleich die Urform: Ruge, Ronge, Haug. So hatte Arnold also endlich nach jahrelangem K&auml;mpfen und M&uuml;hen erreicht, was er wollte, er war anerkannt als f&uuml;nftes Rad am demokratischen Zentralwagen und hatte einen klar, leider nur zu klar umschriebenen Volksteil von ganzen acht Mann hinter sich. Doch auch dieser Genu&szlig; ward ihm verg&auml;llt, indem seine Anerkennung zugleich mit seiner indirekten Absetzung verbunden war und nur unter der von den Bauer-Fickler gestellten Bedingung durchging, da&szlig; Ruge jetzt aber auch aufh&ouml;re, "sein dummes Zeug in die Welt zu schreiben". Der grobe Fickler hielt nur die Schriften Arnolds f&uuml;r "gediegen", die er nicht gelesen hatte und nicht zu lesen brauchte.</P>
<I><P>Sechster Auftritt</I>. 22. August. - Cranbourne Hotel. Zuerst "diplomatisches Meisterwerk" (s. Goegg) von <I>Schurz</I>: Antrag auf Bildung eines allgemeinen Fl&uuml;chtlingskomitees aus sechs Mitgliedern der verschiedenen Fraktionen, mit Zuziehung der f&uuml;nf Mitglieder des schon bestehenden Fl&uuml;chtlingskomitees des Willichichen Handwerkervereins. (Die Fraktion Kinkel-Willich w&uuml;rde somit immer die Majorit&auml;t gehabt haben.) Angenommen. Die Wahlen wurden vollzogen, aber von den Gliedern des Staatsteils Ruge <A NAME="S329"><B>&lt;329&gt;</A></B> abgelehnt, wodurch das diplomatische Meisterwerk platt zu Boden fiel. Wie ernst es &uuml;brigens mit diesem Fl&uuml;chtlingskomitee gemeint war, geht daraus hervor, da&szlig; Willich 4 Tage sp&auml;ter aus dem l&auml;ngst nur noch nominell bestehenden Handwerker- und Fl&uuml;chtlingskomitee austrat, nachdem wiederholte, durchaus unrespektable Revolten der "niedern Fl&uuml;chtlingsschaft" die Aufl&ouml;sung des Komitees seit geraumer Zeit unvermeidlich gemacht hatten. - <I>Interpellation </I>&uuml;ber das &ouml;ffentliche Auftreten des Agitationsvereins. Antrag, da&szlig; der Emigrationsklub mit dem Agitationsverein nichts zu schaffen habe und alle seine Schritte &ouml;ffentlich desavouiere. W&uuml;tende Ausf&auml;lle gegen die anwesenden "Agitatoren" Goegg und Sigel junior (d.h. senior, <A HREF="me08_318.htm#S322">siehe unten</A>). Rudolf <I>Schramm </I>erkl&auml;rt seinen alten Freund Ruge f&uuml;r einen Bedienten Mazzinis und "eine alte Klatschvettel". Auch du, Brutus! Goegg antwortet, nicht als gro&szlig;er Redner, aber als schlichter B&uuml;rger, greift den zweideutigen, schlapp-perfiden, pf&auml;ffisch-salbungsvollcn Kinkel bitter an,</P>
<FONT SIZE=2><P>"es sei unverantwortlich, denen, welche arbeiten wollen, die Gelegenheit abzuschneiden, aber diese Leute wollen eine scheinbare, unt&auml;tige Vereinigung, damit sie unter diesem Deckmantel als Clique f&uuml;r gewisse Zwecke wirken k&ouml;nnen".</P>
</FONT><P>Als Goegg auf die &ouml;ffentliche Erkl&auml;rung des Agitationsvereins in den englischen Bl&auml;ttern kam, erhob <I>Kinkel </I>sich majest&auml;tisch und sprach:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Schon beherrsche er die ganze amerikanische Presse, und die Anstalten seien getroffen, auch die franz&ouml;sische Presse seiner Herrschaft zu unterwerfen."</P>
</FONT><P>Der Antrag der teutschen Fraktion wurde angenommen und hatte die Erkl&auml;rung der "Agitatoren" zur Folge, da&szlig; die Mitglieder ihres Vereins nicht l&auml;nger dem Emigrationsklub angeh&ouml;ren k&ouml;nnten.</P>
<P>So entstand der gewaltige Ri&szlig; zwischen dem Emigrationsklub und dem Agitationsverein, der die ganze moderne Weltgeschichte g&auml;hnend durchklafft. Das sonderbarste ist, da&szlig; beide Kreaturen nur bis zu ihrer Trennung existiert haben und jetzt noch fortvegetieren in der Kaulbachschen Heidengeisterschlacht, die in deutsch-amerikanischen Meetings und Zeitungen fortgesetzt wird, wie es scheint, bis an das Ende der Tage.</P>
<P>Die ganze Sitzung war um so st&uuml;rmischer, als d. undisziplinierte Schramm auch noch Willich angriff u. behauptete, d. Emigrationsklub blamiere sich durch die Verb[in]d[ung] mit diesem Ritter. Der Pr&auml;sident, diesmal der furchtsame Meyen, hatte schon mehrmals das Steuer verzweiflungsvoll fallenlassen. Die Debatte &uuml;ber den Agitationsverein und der Austritt seiner Mitglieder steigerte jedoch den Tumult aufs h&ouml;chste. Unter Schreien, Trom- <A NAME="S330"><B>&lt;330&gt;</A></B> meln, Poltern, Drohen, Toben spann sich die erbauliche Sitzung fort bis gegen zwei Uhr nachts, wo endlich der Wirt durch Abdrehen der Gasr&ouml;hre die erhitzten Parteien in tiefe Nacht versenkte und der Vaterlandsrettung ein Ende mit Schrecken machte.</P>
<P>Ende August versuchten der ritterliche Willich und der gem&uuml;tliche Kinkel, den Agitationsverein zu sprengen, indem sie dem biedern Fickler folgenden Vorschlag machten:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Er solle mit ihnen und ihren n&auml;heren politischen Freunden zur Verwaltung der aus New Orleans eingelaufenen Gelder einen <I>Finanzausschu&szlig; </I>bilden, der solange zu funktionieren habe, bis ein &ouml;ffentlicher Finanzausschu&szlig; <I>der </I>Revolution zusammentreten k&ouml;nne, wogegen aber mit der blo&szlig;en Annahme dieses Antrags alle bisher bestandenen deutschen Revolutions- und Agitationsgesellschaften sich aufzul&ouml;sen haben."</P>
</FONT><P>Der brave Fickler emp&ouml;rte sich gegen den "oktroyierten, geheimen, unverantwortlichen Ausschu&szlig;".</P>
<FONT SIZE=2><P>"Wie soll", rief er aus, "ein blo&szlig;er Finanzausschu&szlig; alle revolution&auml;ren Parteien um sich konzentrisch scharen? Die einzugehenden und bereits eingegangenen Gelder k&ouml;nnen f&uuml;r sich nie eine Basis werden, auf welcher auseinandergehende Richtungen der Demokratie ihre Selbst&auml;ndigkeit opfern."</P>
</FONT><P>Statt also die erw&uuml;nschte Sprengung herbeizuf&uuml;hren, hatte dieser Verleitungsversuch zur Desertion den umgekehrten Erfolg, da&szlig; Tausenau erkl&auml;ren konnte, der Bruch zwischen den beiden gewaltigen Parteien Emigration und Agitation sei nun unheilbar geworden. <HR></P>
<P ALIGN="CENTER"><HR></P>
<P>Fu&szlig;noten</P>
<P><A NAME="M1">(1)</A> "Der Damm ist da!"<BR>
"Wer ist da?"<BR>
"Der Damm ist da!"<BR>
"Wer?"<BR>
"Der Damm, der Damm, kenne Se de Damm net?" <A HREF="me08_318.htm#Z1">&lt;=</A></P></BODY>
</HTML>