emacs.d/clones/www.mlwerke.de/me/me15/me15_144.htm
2022-08-25 20:29:11 +02:00

31 lines
No EOL
19 KiB
HTML

<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 3.2//EN">
<HTML>
<HEAD>
<TITLE>Karl Marx - Die Kornpreise - Die europaeischen Finanzen und die Kriegsvorbereitungen - Die orientalische Frage</TITLE>
<META HTTP-EQUIV="Content-Type" CONTENT="text/html; charset=ISO-8859-1">
</HEAD>
<BODY LINK="#0000ff" VLINK="#800080" BGCOLOR="#ffffaf">
<P ALIGN="CENTER"><A HREF="../me_ak60.htm"><FONT SIZE=2>Inhaltsverzeichnis Artikel und Korrespondenzen 1860</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 15, 4. Auflage 1972, unver&auml;nderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 144-149.</P>
<P>1. Korrektur<BR>
Erstellt am 18.09.1998</P>
</FONT><H2>Karl Marx </H2>
<H1>[Die Kornpreise -<BR>
Die europ&auml;ischen Finanzen und die Kriegsvorbereitungen -<BR>
Die orientalische Frage] </H1>
<FONT SIZE=2><P>Aus dem Englischen.</P>
</FONT><P><HR></P>
<FONT SIZE=2><P>["New-York Daily Tribune" Nr. 6046 vom 10. September 1860] </P>
</FONT><B><P><A NAME="S144">&lt;144&gt;</A></B> London, 25. August 1860 </P>
<P>Da sich das Wetter in dieser Woche nicht gebessert hat, stieg der Wert des in London produzierten Mehls gestern in Mark Lane um 6 sh. pro Sack, und es wurden sofort Auftr&auml;ge an ausl&auml;ndische H&auml;fen weitergegeben, fast 1.000.000 Quarter Getreide aufzukaufen. Die Importeure teilen nun ziemlich allgemein die Ansicht, die ich in einem <A HREF="me15_133.htm">fr&uuml;heren Artikel</A> &auml;u&szlig;erte, da&szlig; ein weiteres Ansteigen der Notierungen auf dem Getreidemarkt unvermeidlich ist. Die von Frankreich k&uuml;rzlich getroffenen Ma&szlig;nahmen bez&uuml;glich des Getreidehandels machen dieses Land zum direkten Konkurrenten der britischen Getreideh&auml;ndler. Es ist Ihnen bekannt, da&szlig; es in Frankreich eine gleitende Skala gibt, welche die Import- und Exportz&ouml;lle f&uuml;r Getreide reguliert, und da&szlig; diese gleitende Skala in den acht verschiedenen Kreisen, in die das Land in bezug auf den Getreidehandel eingeteilt ist, variiert. Nun wurde diese gleitende Skala durch einen im "Moniteur" vom 23. dieses Monats ver&ouml;ffentlichten Erla&szlig; v&ouml;llig aufgehoben. Der Erla&szlig; verf&uuml;gt, da&szlig; f&uuml;r Getreide und Mehl, welches zu Lande oder zur See auf franz&ouml;sischen oder ausl&auml;ndischen Schiffen importiert wird, gleichg&uuml;ltig woher, bis zum 30. September 1861 nur das Minimum an Zoll erhoben wird, das durch das Gesetz vom 15. April 1832 festgelegt wurde; weiterhin, da&szlig; mit Getreide und Mehl beladene Schiffe von den Tonnagegeb&uuml;hren ausgenommen werden und schlie&szlig;lich, da&szlig; solcherart beladene Schiffe beim Verlassen eines ausl&auml;ndischen Hafens irgendwann vor dem besagten 30. September 1861 nur das genannte Minimum zahlen und von den Tonnagegeb&uuml;hren befreit sein sollen. Das erw&auml;hnte Minimum betr&auml;gt 25 cents pro <A NAME="S145"><B>&lt;145&gt;</A></B> Hektoliter (ungef&auml;hr 2<FONT SIZE="-1"><SUP>3</FONT></SUP>/<FONT SIZE="-2">4</FONT> Bushel). Demzufolge wird Frankreich, da es in den Jahren 1858 und 1859 mehr Weizen (2.014.923 Quarter) und mehr Mehl (4.326.435 hundred weight) als irgendein anderes Land nach England schickte, jetzt ernsthaft mit England beim Einkauf von Getreide auf den ausl&auml;ndischen M&auml;rkten konkurrieren, da die einstweilige Aufhebung der franz&ouml;sischen gleitenden Skala die gew&uuml;nschten Erleichterungen f&uuml;r eine solche Konkurrenz gew&auml;hrt. </P>
<P>Die zwei haupts&auml;chlichen Exportm&auml;rkte, auf die sich sowohl England als auch Frankreich beschr&auml;nkt sehen, sind die Vereinigten Staaten und S&uuml;dru&szlig;land. Bez&uuml;glich des letzteren Landes sind die Nachrichten &uuml;ber den Stand der Ernte h&ouml;chst widerspr&uuml;chlich. Einerseits wird behauptet, da&szlig; die Ernte &uuml;beraus reichlich ist, andererseits, da&szlig; schwere Regeng&uuml;sse und Hochwasser die Ernte in allen Teilen des Reiches gesch&auml;digt haben. Die Landstra&szlig;en und Kornfelder der s&uuml;dlichen Provinzen wurden von Heuschrecken schwer verw&uuml;stet, eine Plage, die zuerst in Bessarabien auftauchte und deren verheerende Wirkung eine Armee von 20.000 Mann durch Bildung eines Kordons vergeblich auf eine begrenzte Fl&auml;che zu beschr&auml;nken versuchte. Das endg&uuml;ltige Ausma&szlig; der Katastrophe kann man nat&uuml;rlich nicht absch&auml;tzen, aber sie ist jedenfalls dazu angetan, das Steigen der Lebensmittelpreise zu beschleunigen. Einige Londoner Zeitungen meinen, da&szlig; der mit den gro&szlig;en und pl&ouml;tzlichen Getreideimporten untrennbar verbundene Goldabflu&szlig;, mit seiner &uuml;blichen Auswirkung auf den Geldmarkt, durch die Goldlieferungen aus Australien ausgeglichen werden kann. Keine Annahme w&auml;re unsinniger. Wir erlebten w&auml;hrend der Krise von 1857 eine gr&ouml;&szlig;ere Abnahme der Goldreserven als in irgendeiner &auml;hnlichen Periode vor den Entdeckungen in Australien und Kalifornien. Ich habe bei fr&uuml;heren Gelegenheiten an Hand unbestreitbarer Tatsachen und Zahlen nachgewiesen, da&szlig; die au&szlig;ergew&ouml;hnlichen Goldimporte nach England seit 1851 durch au&szlig;ergew&ouml;hnliche Goldexporte mehr als ausgeglichen wurden. &Uuml;berdies besteht die Tatsache, da&szlig; die Goldreserven in der Bank von England seit 1857 nicht nur den Durchschnittsbetrag nicht &uuml;berschritten haben, sondern sogar st&auml;ndig absanken. W&auml;hrend sie im August 1858 noch 17.654.506 Pfd.St. betrugen, waren sie im August 1859 auf 16.877.255 Pfd.St. und im August 1860 auf 15.680.840 Pfd.St. gesunken. Da der Abflu&szlig; des Goldes noch nicht eingesetzt hat, kann man dieses Ph&auml;nomen aus dem Umstand erkl&auml;ren, da&szlig; die Aussicht auf eine Mi&szlig;ernte gerade erst zu wirken beginnt, w&auml;hrend der Zinsfu&szlig; in London bisher h&ouml;her war als an den anderen f&uuml;hrenden B&ouml;rsen des Kontinents wie Amsterdam, Frankfurt, Hamburg und Paris. </P>
<B><P><A NAME="S146">&lt;146&gt;</A></B> Das kontinentale Europa bietet in diesem Augenblick ein sehr merkw&uuml;rdiges Schauspiel. Es ist bekannt, da&szlig; Frankreich mit gro&szlig;en finanziellen Schwierigkeiten zu k&auml;mpfen hat, aber es r&uuml;stet in einem so gewaltigen Ma&szlig;e und mit einer so unerm&uuml;dlichen Energie, als bes&auml;&szlig;e es Aladins Wunderlampe. &Ouml;sterreich taumelt am Rande des Bankrotts, aber irgendwie findet es das Geld, eine riesige Armee zu unterhalten und das Festungsviereck &lt;Mantua, Peschiera, Verona und Legnago&gt; mit gezogenen Gesch&uuml;tzen vollzustopfen. Und Ru&szlig;land, wo alle Finanzoperationen der Regierung fehlgeschlagen sind und wo man von einem wahrscheinlichen nationalen Bankrott spricht - wo die Armee wegen nicht gezahlten Soldes murrt und wo sogar die Treue der Kaiserlichen Garde auf eine harte Probe gestellt wird, da man ihr den Sold f&uuml;r die letzten f&uuml;nf Monate vorenth&auml;lt - Ru&szlig;land wirft seine Truppen trotzdem in Massen an das Schwarze Meer und h&auml;lt bei Nikolajew 200 Schiffe bereit, um die Soldaten nach der T&uuml;rkei einzuschiffen. Die Unf&auml;higkeit der russischen Regierung, mit der Leibeigenenfrage, mit der Geldfrage und der wieder auflebenden polnischen Frage fertigzuwerden, scheint sie bestimmt zu haben, den Krieg als letztes Mittel zur Einschl&auml;ferung der Nation zu versuchen. Die in allen Teilen des Reiches und allen Schichten der russischen Gesellschaft sich erhebenden Klagen werden daher auf Anweisung der Regierung in dem fanatischen Schrei nach Rache f&uuml;r die armen, unterdr&uuml;ckten Christen in der T&uuml;rkei erstickt. Tagt&auml;glich wimmelt die russische Presse von Illustrationen und Darlegungen der Notwendigkeit einer Intervention in der T&uuml;rkei. Der folgende Auszug aus dem "Invalid" mag als passendes Beispiel dienen: </P>
<FONT SIZE=2><P>"Die orientalische Frage ist in ein Stadium eingetreten, das bestimmt die M&auml;chte veranlassen wird, sich noch lange mit ihr zu besch&auml;ftigen, und da sie nun die Aufmerksamkeit ganz Europas auf sich lenkt, m&uuml;ssen wir auch in unseren Spalten davon sprechen. Nur diejenigen, die den Interessen der Menschheit gleichg&uuml;ltig gegen&uuml;berstehen, k&ouml;nnen dieses Thema unbeachtet lassen. Wir sind jedoch verpflichtet, nicht nur die Einzelheiten der orientalischen Begebenheiten wiederzugeben, sondern auch auf die Eventualit&auml;ten der Zukunft einzugehen, besonders da es uns obliegt, der &Ouml;ffentlichkeit zu zeigen, welche Ma&szlig;nahmen zu ergreifen sind, um einen solch unnat&uuml;rlichen Zustand zu beseitigen, der eine Schande unseres Jahrhunderts und der Zivilisation ist. </P>
<P>Angesichts der barbarischen Handlungen, welche die T&uuml;rken begehen d&uuml;rfen, sind wir mit R&uuml;cksicht auf Wahrheit und Gerechtigkeit gezwungen festzustellen, da&szlig; Europa sich Ursachen und Folgen dieses muselmanischen Fanatismus selbst zuzuschreiben hat. Wir werden nicht z&ouml;gern, offen zu sein. Welche Motive bestimmten Europa, sich l853/1854 in einen ungerechten Krieg mit Ru&szlig;land einzulassen? Europa <A NAME="S147"><B>&lt;147&gt;</A></B> selbst gab ein zweifaches Ziel als Grund f&uuml;r den Krimfeldzug an: Das eine war, der Macht und dem Ehrgeiz Ru&szlig;lands Einhalt zu gebieten; das andere, die Unterdr&uuml;ckung der Christen durch die T&uuml;rken zu verhindern. Europa erkannte folglich das Bestehen einer solchen Unterdr&uuml;ckung an, wollte aber, nachdem es diese durch seine gemeinsame Vermittlung eingestellt hatte, die Integrit&auml;t der T&uuml;rkei als notwendige Bedingung des Gleichgewichts der M&auml;chte erhalten. Nachdem der Krieg beendet war, begannen sich die Diplomaten damit zu besch&auml;ftigen, wie sie dieses zweifache Ziel erreichen k&ouml;nnten. Der erste Schritt war, die T&uuml;rkei in die Familie der europ&auml;ischen Machte aufzunehmen und sie gegen die anma&szlig;ende Einmischung seitens irgendeiner der M&auml;chte zu sch&uuml;tzen. Dies war leicht zu erreichen, und somit war eines der beiden Ziele gesichert. Aber wie steht es mit dem anderen? Gibt es Garantien f&uuml;r den Schutz der Christen gegen Mord und alle Art von Grausamkeiten? O weh! Europa setzte in dieser Beziehung sein Vertrauen in Worte, Papiere und Dokumente, ohne da&szlig; eine feste Garantie zu ihrer Einhaltung vereinbart wurde. Schon am 8. August 1854, als man an eine Beendigung der Feindseligkeiten zu denken begann, wurde die Pforte aufgerufen, ihren christlichen und muselmanischen Untertanen gleiche religi&ouml;se Rechte zu gew&auml;hren. Die gleiche Forderung wurde in dem Memorandum vom 28. Dezember 1854 an das Petersburger Kabinett gerichtet, und schlie&szlig;lich wurden den vorl&auml;ufigen Friedensbedingungen, die in Wien am 1. Februar 1856 abgefa&szlig;t und sp&auml;ter in das Protokoll der ersten Sitzung des Pariser Kongresses aufgenommen wurden, folgende S&auml;tze eingef&uuml;gt: 'Die Rechte der Rajahs werden gesch&uuml;tzt werden, ohne jedoch die Unabh&auml;ngigkeit und souver&auml;ne W&uuml;rde des Sultans zu beeintr&auml;chtigen. &Ouml;sterreich, Frankreich, Gro&szlig;britannien und die Pforte sind sich dar&uuml;ber einig, da&szlig; die politischen und religi&ouml;sen Rechte der christlichen Untertanen der T&uuml;rkei gewahrt werden sollten. und sie werden Ru&szlig;lands Einwilligung zu diesem Vorschlag im Sinne des Friedens fordern.' </P>
<P>Das gleiche Thema besch&auml;ftigte den Kongre&szlig; in verschiedenen anderen Sitzungen, wie man aus den Protokollen vom 28. Februar und vom 24. und 25. M&auml;rz ersehen kann. Man wollte immer zwei Ziele in Einklang bringen, die einander widersprachen - die souver&auml;nen Rechte des Sultans erhalten und die seiner christlichen Untertanen unter den Schutz Europas stellen. Der Kongre&szlig; verga&szlig; v&ouml;llig, da&szlig; eben die Rechte der Christen, die er herstellen wollte, von der Pforte in ihren fr&uuml;heren Vertr&auml;gen mit Europa immer wieder zugestanden worden waren - Vertr&auml;ge, die &uuml;berdies schon die Souver&auml;nit&auml;t jenes Monarchen beseitigt hatten, von dem Europa jetzt behauptete, er m&uuml;&szlig;te bei der Aufrechterhaltung seiner Macht unterst&uuml;tzt werden. Um diese beiden widerspr&uuml;chlichen Punkte etwas in Einklang zu bringen, wurde dem Sultan - w&auml;hrend man ihn dazu bewegte, den ber&uuml;hmten Hatt-i-Humajun herauszugeben - zugestanden, da&szlig; er nach freiem Willen und souver&auml;ner Neigung gehandelt habe. So mu&szlig;te er versprechen, die Rechte seiner christlichen Untertanen zu respektieren und zu vergr&ouml;&szlig;ern, und dieses Versprechen wurde als wesentlicher Bestandteil in den Friedensvertrag aufgenommen, um die Einhaltung des Versprechens zu garantieren. Unter diesen Bedingungen verzichtete der Kongre&szlig; in der neunten Klausel des Vertrages auf jede weitere Einmischung in die inneren Angelegenheiten der T&uuml;rkei. </P>
<B><P><A NAME="S148">&lt;148&gt;</A></B> Aber hat der Kongre&szlig; wirklich eine Garantie f&uuml;r die Durchf&uuml;hrung des Hatt-i-Humajun erhalten? Ist der Sultan irgendwelche effektive Verpflichtungen eingegangen? In dieser Beziehung gab es keine Festlegungen. Denn, obwohl die Weisheit des Hatt-i-Humajun im Vertrag viel gepriesen wird, blieb dieses Dokument, wie ganz Europa es vorausgesagt, ein toter Buchstabe. Aber schlimmer als das - Europa wurde durch den neuen Vertrag aller Rechte der legalen Einmischung beraubt, auch wenn der Hatt-i-Humajun niemals durchgef&uuml;hrt und schon vier Jahre nach seinem Erscheinen trotzdem die schrecklichsten Greueltaten ver&uuml;bt wurden. Erst k&uuml;rzlich machte Ru&szlig;land alle Kabinette Europas darauf aufmerksam, da&szlig; der Fanatismus der T&uuml;rken weder an Eifer noch an Heftigkeit nachgelassen habe und da&szlig; man bald neue Ausbr&uuml;che erwarten k&ouml;nne, obgleich es in der Tat nie eine Entspannungspause gegeben habe. Doch auch danach gab sich Europa mit den Versprechungen der Pforte zufrieden und hing der Hoffnung nach, die schuldigen Parteien bestraft und Gesetz und Ordnung bald wiederhergestellt zu sehen. Es bedurfte eines gro&szlig;en Gemetzels seitens jener Barbaren, um eine &Auml;nderung der Anschauung Europas zu bewirken. Dann entschlo&szlig; es sich endlich einzugreifen, obwohl es dies mit derartigen Verz&ouml;gerungen und Umschweifen tat, da&szlig; man glauben konnte, es beabsichtige, die Schuldigen laufen zu lassen. Alles wurde vom Buchstaben des Vertrages vom 30. M&auml;rz 1856 abh&auml;ngig gemacht, und genau wie im Falle Italien im vergangenen Jahr wog das Leid eines Volkes nichts im Vergleich zum Text eines diplomatischen Dokuments. </P>
<P>Wir haben aber zu alldem eine ganz andere Meinung. Der Vertrag Europas mit der T&uuml;rkei garantiert in unseren Augen die Prinzipien der Humanit&auml;t, der Religion und der Zivilisation. Wenn die T&uuml;rkei diese Prinzipien verletzt, so hat sie sich die Einmischung Europas selbst zuzuschreiben. </P>
<P>Bis zum Jahre 1856 besa&szlig;en die europ&auml;ischen M&auml;chte kraft mehrerer mit der Pforte abgeschlossener Vertr&auml;ge ein legales Recht, hinsichtlich der Lage der christlichen Rajahs vorstellig zu werden. Heute jedoch scheint es fraglich, ob dieses Recht durch den Vertrag vom 30. M&auml;rz 1856 aufgehoben ist oder nicht. Hat Europa auf das Privileg verzichtet, seine Glaubensbr&uuml;der zu sch&uuml;tzen? Es hat verzichtet, wenn es jemals mit der Durchf&uuml;hrung des Hatt-i-Humajun vom 18. Februar rechnete, wenn es jemals daran glaubte, da&szlig; versprochene Reformen und durchgef&uuml;hrte Reformen ein und dasselbe sind, wenn es jemals hoffte, da&szlig; die Gewohnheiten, Leidenschaften und Gesetze der Muselmanen sich &auml;ndern konnten. Aber nat&uuml;rlich war Europa nie dieser Meinung und konnte es nie sein. Verleitet von dem Glauben, da&szlig; die Integrit&auml;t des Osmanischen Reiches f&uuml;r das Gleichgewicht der Kr&auml;fte eine sine qua non &lt;unerl&auml;&szlig;liche Bedingung&gt; ist, gestattete es dem Sultan, der europ&auml;ischen V&ouml;lkerfamilie beizutreten. Dies wurde aber nur unter der Bedingung gew&auml;hrt, da&szlig; sich die T&uuml;rkei von muselmanischen Traditionen trenne und in ihren Einrichtungen europ&auml;isch werde, da&szlig; das Schwert nicht l&auml;nger der einzige Gesetzgeber zwischen Gl&auml;ubigen und Ungl&auml;ubigen sein solle, da&szlig; die Christen nicht l&auml;nger die Sklaven ihrer Herren sein sollten und das Eigentum der vornehmen Rajahs nicht mehr den &uuml;blichen Grund f&uuml;r die Pl&uuml;ndereien der Muselmanen abgeben solle. Das war in der Tat der <A NAME="S149"><B>&lt;149&gt;</A></B> Grundgedanke, von dem Europa sich im Jahre 1856 leiten lie&szlig;. Bei all seinem Zorn gegen Ru&szlig;land, die nat&uuml;rliche Folge eines blutigen und ungerechten Krieges, entband es die Pforte nicht von ihren fr&uuml;heren Verpflichtungen, sondern forderte im Gegenteil eine fortschreitende Verbesserung der Lage der Christen. Dieses Ziel auf sicherem Wege zu erreichen war der einzige Zweck des gemeinsamen Protektorats Europas &uuml;ber die Pforte, und nur um diesen Preis garantierte Europa die Integrit&auml;t der Gebiete des Sultans. Ohne dies w&auml;re weder der Krieg noch der Frieden zu rechtfertigen gewesen. Ohne dies w&auml;re die T&uuml;rkei nie in die Familie der M&auml;chte aufgenommen noch die Integrit&auml;t ihrer Besitzt&uuml;mer gesch&uuml;tzt worden. Die zwei Bedingungen sind so eng verbunden, da&szlig; sie nicht getrennt werden k&ouml;nnen; jeder, der &uuml;berhaupt sehen will, kann das sehen. Zwar h&auml;tte die Form der Bedingungen wirkungsvoller sein k&ouml;nnen als sie es ist; wenn man den Vertrag buchst&auml;blich nimmt, so hat Europa durch die neunte Klausel formell auf sein Recht zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten der T&uuml;rkei verzichtet; doch sogar in dieser Klausel wird der Hatt-i-Humajun vom 18. Februar erw&auml;hnt, demzufolge die Christen das gleiche Recht genie&szlig;en sollen wie die Muselmanen. Es entspricht daher nur der gesunden Logik, anzunehmen, da&szlig; mit der Nichtbeachtung des Hatt-i-Humajun auch die neunte Klausel hinf&auml;llig wird. </P>
<P>Vergebens versucht die T&uuml;rkei nun, den letzten Aufruhr in Syrien zu ersticken. Dieser Aufruhr war unvermeidlich, wenn man bedenkt, da&szlig; sich die Lage der Christen nicht gebessert, sondern im Gegenteil verschlechtert hat. Vergebens bem&uuml;ht sich England, das Eingreifen Europas zu verhindern; es ist gut m&ouml;glich, da&szlig; es seine eigene Politik verfolgt und von politischen und kommerziellen Motiven bestimmt wird, deren Rechtm&auml;&szlig;igkeit und Wichtigkeit wir nicht abw&auml;gen m&ouml;chten; aber es kann seine Einw&auml;nde nicht auf die neunte Klausel des Pariser Vertrags st&uuml;tzen. Vergebens versucht Europa die Tatsache seiner Einmischung unter dem Vorwand zu verbergen, da&szlig; sie auf Wunsch des Sultans erfolgt sei. Wir sagen, da&szlig; dies alles vergeblich ist; obwohl Troja nicht an die Prophezeiungen der Kassandra glaubte, haben wir zumindest die Genugtuung zu wissen, da&szlig; Troja zerst&ouml;rt wurde." </P>
</BODY>
</HTML>