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<title>"Neue Rheinische Zeitung" - Die russische Note</title>
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<p align="center"><a href="me05_289.htm"></a><a href="me05_289.htm"><font size=
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"2">Vereinbarungsdebatte über die Valdenairesche Angelegenheit</font></a> <font size=
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"2">|</font> <a href="../me_nrz48.htm"><font size="2">Inhalt</font></a> <font size="2">|</font>
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<a href="me05_300.htm"><font size="2">Das Ministerium Hansemann und der altpreußische
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Strafgesetzentwurf</font></a></p>
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<small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 293-299<br>
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Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971</small> <br>
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<h1><font size="5">Die russische Note</font></font></p>
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<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 64 vom 3. August 1848]</font></p>
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<p><b><a name="S293"><293></a></b> ~<i>Köln</i>, 1. August. Die russische Diplomatie
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hat statt eines Heeres vorläufig eine Note unter der Form eines Zirkulars an alle
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russischen Gesandtschaften in Deutschland einfallen lassen. Im amtlichen Organ der deutschen
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Reichsverwesung zu Frankfurt fand diese Note ihr erstes Quartier und bald auch bei andern
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offiziellen und nichtoffiziellen Blättern freundliche Aufnahme. Je ungewöhnlicher es
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ist, daß Herr Nesselrode, der russische Minister des Auswärtigen, in dieser Art
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öffentliche Staatskunst treibt, desto mehr verdient dieses Treiben eine nähere
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Besichtigung.</p>
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<p>In der glücklichen Zeit vor 1848 sorgte die deutsche Zensur dafür, daß kein
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der russischen Regierung mißliebiges Wort gedruckt werden durfte, selbst nicht unter der
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Rubrik Griechenland oder Türkei.</p>
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<p>Seit den bösen Märztagen ist dieser bequeme Ausweg leider versperrt. Nesselrode
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wird demnach Publizist.</p>
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<p>Ihm zufolge ist es die "deutsche Presse, deren Haß gegen Rußland einen
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Augenblick eingestellt schien", welche in betreff der russischen "Sicherheitsmaßregeln"
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an der Grenze die "ungegründetsten Voraussetzungen und Kommentare" veranlaßt hat.
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Auf den zart gehaltenen Eingang folgt weiterhin eine Verstärkung, indem es heißt:
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"Die deutsche Presse verbreitet täglich die abgeschmacktesten Gerüchte, die
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gehässigsten Verleumdungen gegen uns." Bald aber kommt die Rede auf "wütende
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Deklamationen", "Tollköpfe" und "perfide Böswilligkeit".</p>
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<p>Beim nächsten Preßprozeß mag ein deutscher Staatsprokurator seinem
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Requisitorium die russische Note als beglaubigte Urkunde zugrunde legen.</p>
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<p>Und weshalb ist die deutsche, insonderheit die "demokratische" Presse anzugreifen und wo
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möglich zu vernichten? Weil sie die "ebenso wohlwollenden als uneigennützigen
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Gesinnungen", die "offen friedfertigen Intentionen" des russischen Kaisers mißkennt !</p>
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<p><font size="2"><b><a name="S294"><294></a></b> "Wann hat sich denn Deutschland
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über uns zu beklagen gehabt?", fragt Nesselrode im Namen seines Gebieters. "Während
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der ganzen Zeit, als auf dem Kontinent die unterdrückende Herrschaft eines Eroberers
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dauerte, hat Rußland sein Blut vergossen, um Deutschland in der <i>Erhaltung seiner
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Integrität und Unabhängigkeit zu unterstützen</i>. Das russische Gebiet war
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längst befreit, als Rußland noch fortfuhr, seinen deutschen Verbündeten auf
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alle Schlachtfelder Europas zu folgen und ihnen beizustehen."</font></p>
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<p>Trotz seiner zahlreichen und gutbesoldeten Agenten ist Rußland in ärgster
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Täuschung befangen, wenn es durch Erinnerung an die sogenannten Freiheitskriege Sympathien
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im Jahre 1848 zu erwecken wähnt. Und Rußland hätte sein Blut für uns
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Deutsche vergossen?</p>
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<p>Ganz abgesehen davon, daß Rußland vor 1812 Deutschlands "Integrität und
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Unabhängigkeit" durch offenes Bündnis und geheime Traktate mit Napoleon
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"unterstützte", so hat es sich später für seine sogenannte Hülfe durch Raub
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und Plünderung hinreichend entschädigt. Seine Hülfe galt den mit ihm
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verbündeten Fürsten, sein Beistand trotz der Kalischer Proklamation den Vertretern
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des Absolutismus "von Gottes Gnaden" gegen einen aus der Revolution hervorgegangenen Herrscher.
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Die Heilige Allianz und ihre unheiligen Werke, die Banditen-Kongresse von Karlsbad, Laibach,
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Verona etc., die russisch-deutschen Verfolgungen gegen jedes freisinnige Wort, die ganze
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Politik seit 1815, die von Rußland geleitet wurde, haben uns freilich eine tiefe
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Dankbarkeit einprägen müssen. Das Haus Romanoff nebst seinen Diplomaten möge
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unbekümmert sein - wir werden <i>diese</i> Schuld nie vergessen. Was die russische
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Hülfe in den Jahren 1814 und 1815 anlangt, so sind wir eher jedem andern Gefühle, als
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der Erkenntlichkeit für jenen mit Englands Subsidien bezahlten Beistand
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zugänglich.</p>
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<p>Die Gründe liegen für den Einsichtsvollen auf der Hand. Blieb Napoleon in
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Deutschland Sieger, so beseitigte er wenigstens drei Dutzend geliebte Landesväter mit
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seiner bekannten energischen Formel. Französische Gesetzgebung und Verwaltung hätten
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eine solide Grundlage zur deutschen Einheit geschaffen und uns eine 33jährige Schmach und
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die Tyrannei des von Herrn Nesselrode natürlich hochgepriesenen Bundestages erspart. Durch
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ein paar napoleonische Dekrete wäre der ganze mittelalterliche Wust, wären jene
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Fronden und Zehnten, jene Exemtionen und Privilegien, jene gesamte Feudalwirtschaft und
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Patriarchalität, mit der wir uns jetzt noch an allen Ecken und Enden unserer
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Vaterländer herumquälen müssen, vollständig vernichtet worden. Das
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übrige Deutschland stände dann längst auf der nämlichen Stufe, welche das
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linke Rheinufer bald nach der ersten französischen Revolution erreichte; wir hätten
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jetzt weder uckermärkische Granden, noch eine <a name="S295"><b><295></b></a>
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pommersche Vendée und brauchten nicht mehr die Stickluft der "historischen" und
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"christlich-germanischen" Sümpfe einzuatmen.</p>
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<p>Aber Rußland ist großmütig. Selbst wenn ihm kein Dank zuteil wird, bewahrt
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sein Kaiser uns nach wie vor seine alten, "ebenso wohlwollenden als uneigennützigen
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Gesinnungen". Ja, "den Kränkungen und Herausforderungen zum Trotz, ist es nicht gelungen,
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unsere" (Rußlands) "Gesinnungen umzuwandeln".</p>
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<p>Diese Gesinnungen manifestieren sich vorläufig in einem "passiven und beobachtenden
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System", worin Rußland es unleugbar zu einer großen Virtuosität gebracht. Es
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versteht abzuwarten, bis ihm der gelegene Moment gekommen scheint. Ungeachtet der ungeheuren
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Truppenbewegungen, die seit dem März in Rußland stattgefunden, ist Herr Nesselrode
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so naiv, uns vorzureden, die russischen Truppen seien fortwährend "unbeweglich in ihren
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Kantonnierungen geblieben". Trotz des klassischen: "Jetzt, meine Herren, zu Pferde!", trotz der
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vertraulichen Herz- und Gallergießung des Polizeiministers Abramowicz in Warschau gegen
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das deutsche Volk, trotz oder vielmehr wegen der drohenden und erfolgreichen Noten aus
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Petersburg ist und bleibt die russische Regierung von Gesinnungen des "Friedens und der
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Versöhnung" beseelt. Rußland verharrt "offen friedfertig und defensiv". Im
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Nesselrodeschen Zirkular ist Rußland die Geduld selbst und die fromme, vielfach
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gekränkte und herausgeforderte Unschuld.</p>
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<p>Wir wollen einige der in der Note aufgeführten Verbrechen Deutschlands gegen
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Rußland aufführen: 1. "feindselige Stimmung" und 2. "Veränderungsfieber im
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ganzen Deutschland". So vielem Wohlwollen des Zaren gegenüber eine "feindselige" Stimmung!
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Wie kränkend für das väterliche Herz unsers teuren Schwagers. Und nun gar diese
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vermaledeite Krankheit -"Veränderungsfieber"! Das ist eigentlich die erste, wiewohl hier
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die zweite Entsetzlichkeit. Rußland beschenkt uns von Zeit zu Zeit mit einer andern
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Krankheit - mit der Cholera. Immerhin! Allein jenes "Veränderungsfieber" wirkt nicht nur
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ansteckend, es tritt oft in so bösartiger Steigerung auf, daß hohe Herrschaften sehr
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leicht zu einer übereilten Abreise nach England genötigt werden. War das "deutsche
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Veränderungsfieber" vielleicht einer der Gründe, welche Rußlands Eindringen im
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März und April abrieten? 3. Verbrechen: Das Vorparlament zu Frankfurt hat den Krieg gegen
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Rußland als eine Zeitnotwendigkeit dargestellt. Dasselbe ist in Klubs und Zeitungen
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geschehen, und um so unverzeihlicher, als nach den Bestimmungen der Heiligen Allianz und
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späteren Verträgen zwischen Rußland, Östreich und Preußen wir
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Deutsche bloß für das Interesse der Fürsten, aber nicht für unser eigenes
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das Blut vergießen sollen. 4. Man hat in Deutschland von <a name=
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"S296"><b><296></b></a> Wiederherstellung des alten Polens in seinen wirklichen Grenzen
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von 1772 gesprochen. Die Knute über euch und dann nach Sibirien! Doch nein, als Nesselrode
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das Zirkular schrieb, kannte er noch nicht die Abstimmung des Frankfurter Parlaments in der
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posenschen Einverleibungsfrage <Siehe <a href="me05_319.htm">"Die Polendebatte in
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Frankfurt"</a>>. Das Parlament hat unsere Schuld gesühnt, und ein mildes verzeihendes
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Lächeln schwebt jetzt auf den Lippen des Zaren. 5. Verbrechen Deutschlands: "Sein
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bedauerlicher Krieg gegen eine nordische Monarchie". Für solches Unterfangen dürfte
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Deutschland in Rücksicht auf den Erfolg der drohenden Note Rußlands, auf den
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eiligen, von Potsdam her befohlenen Rückzug des deutschen Heeres und in Anbetracht der vom
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preußischen Gesandten in Kopenhagen über Motive und Zweck des Krieges abgegebenen
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Erklärung milder bestraft werden, als ohne die Umstände zulässig wäre; 6.
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"offenes Predigen eines Schutz- und Trutzbündnisses zwischen Deutschland und Frankreich".
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Endlich 7. "die den polnischen Flüchtlingen gewordene Aufnahme, ihre Gratisreise auf den
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Eisenbahnen und die Insurrektion im Posenschen".</p>
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<p>Wäre den Diplomaten und einschlägigen Personen die Sprache nicht verliehen, "um
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ihre Gedanken zu verbergen", so würde uns Nesselrode und Schwager Nikolaus jubelnd um den
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Hals fallen und inbrünstig danken, daß so viele Polen aus Frankreich, England,
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Belgien etc. nach dem Posenschen gelockt und mit allen Erleichterungen hinbefördert
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worden, um sie mit Kartätschen und Schrapnells niederzuschießen, mit
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Höllenstein zu brandmarken, abzuschlachten, mit abgeschorenen Köpfen davonzuschicken
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etc. und um sie andererseits in Krakau durch ein verräterisches Bombardement
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womöglich ganz zu vertilgen.</p>
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<p>Und diesen sieben Todsünden Deutschlands gegenüber ist Rußland gleichwohl
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auf der Defensive geblieben, zu keinem Angriff geschritten? So ist's, und eben darum fordert
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der russische Diplomat die Welt zur Bewunderung der Friedensliebe und Mäßigung
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seines Kaisers auf.</p>
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<p>Die Verfahrungsregel des russischen Kaisers, "von der er bisher keinen Augenblick
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abgewichen", ist Herrn Nesselrode zufolge die,</p>
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<p><font size="2">"sich in keiner Weise in die innern Angelegenheiten der Länder
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einzumischen, welche ihre Organisation verändern wollten, vielmehr die Völker
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vollkommen frei zu lassen, ohne irgendein Hemmnis von seiner Seite die politischen und
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gesellschaftlichen Experimente zu bewerkstelligen, welche sie unternehmen wollten, keine Macht
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anzugreifen die nicht ihn selbst angegriffen hätte; dagegen aber entschlossen jede
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Beeinträchtigung seiner eigenen inneren Sicherheit zurückzustoßen und
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darüber zu wachen, daß, wenn das Territorialgleichgewicht auf irgendeinem Punkte
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vernichtet oder verändert würde, dies nicht auf Kosten unserer
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rechtmäßigen Interessen geschehe".</font></p>
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<p><b><a name="S297"><297></a></b> Die russische Note vergißt, die
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erläuternden Beispiele hinzuzufügen. Nach der Julirevolution zog der Kaiser an der
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westlichen Grenze ein Heer zusammen, um, mit seinen Getreuen in Deutschland verbündet, den
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Franzosen praktisch zu beweisen, wie er die Völker "vollkommen frei ihre politischen und
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gesellschaftlichen Experimente bewerkstelligen zu lassen gedenke". Daß er in seiner
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Verfahrungsregel gestört wurde, war nicht seine Schuld, sondern [die] der polnischen
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Revolution von 1830, die seinen Plänen eine andere Richtung gab. Wir erblickten das
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nämliche Verfahren bald darauf in betreff Spaniens und Portugals. Seine offene und geheime
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Unterstützung des Don Carlos und Dom Miguel sind Belege dazu. Als der König von
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Preußen Ende 1842 eine Art ständischer Verfassung geben wollte auf
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gemütlichster "historischer" Grundlage, die in den Patenten von 1847 eine so treffliche
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Rolle spielte, war es bekanntlich Nikolaus, der sich das ernstlich verbitten ließ und uns
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"christliche Germanen" um mehrjährige Patentfreuden betrog. Er tat es, wie Nesselrode
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sagt, weil sich Rußland niemals in die innere Organisation eines Landes einmischt. Krakau
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brauchen wir kaum zu erwähnen. Erinnern wir uns bloß an die neueste Probe der
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kaiserlichen "Verfahrungsregel": Die Walachen stürzen die alte Regierung und setzen an
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ihre Stelle provisorisch eine neue. Das ganze alte System wollen sie umgestalten und sich nach
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dem Vorgange zivilisierter Völker einrichten. "Um sie nun die politischen und
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gesellschaftlichen Experimente vollkommen frei bewerkstelligen zu lassen", fällt ein
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russisches Truppenkorps ins Land.</p>
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<p>Darnach könnte schon jeder die Anwendung dieser "Verfahrungsregel" auf Deutschland von
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selbst finden. Indes die russische Note erspart uns die eigene Folgerung. Sie sagt:</p>
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<p><font size="2">"Solange die <i>Konföderation</i>, welche <i>neue Form</i> sie sich auch
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geben mag, die Nachbarstaaten unangetastet läßt und nicht darauf ausgeht,
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zwangsweise ihre Gebietsumschreibung weiter auszudehnen oder ihre rechtmäßige
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Kompetenz außerhalb der <i>Marken</i>, welche die <i>Verträge</i> ihr vorschreiben,
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geltend zu machen, wird der Kaiser auch ihre <i>innere</i> Unabhängigkeit
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<i>achten</i>."</font></p>
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<p>Klarer lautet die zweite hierauf bezügliche Stelle:</p>
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<p><font size="2">"Wenn Deutschland wirklich dahin gelangt, das Problem seiner Organisation zu
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lösen, ohne Nachteil für seine innere Ruhe, ohne daß die neuen, seiner
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Nationalität aufgeprägten Formen derart sind, daß sie die Ruhe der andern
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Staaten gefährden, so werden wir uns aufrichtig Glück dazu wünschen aus
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denselben Gründen, die es uns stark und einig wünschen ließen unter seinen
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vormaligen politischen Formen."</font></p>
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<p>Am deutlichsten und zweifellosesten klingt jedoch folgende Stelle, wo das Zirkular von den
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unablässigen Bemühungen Rußlands spricht, Eintracht und Einheit in Deutschland
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zu empfehlen und zu erhalten:</p>
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<p><font size="2"><b><a name="S298"><298></a></b> "<i>Freilich nicht jene materielle
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Einheit</i>, <i>von welcher heute eine nivellierungs- und vergrößerungssüchtige
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Demokratie träumt</i>, und die, wenn sie die ehrgeizigen Theorien, wie sie dieselben
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aufgefaßt, verwirklichen könnte, früher oder später Deutschland unfehlbar
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mit allen benachbarten Staaten in Kriegszustand versetzen würde, - sondern die
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<i>moralische Einheit</i>, die aufrichtige Übereinstimmung der Ansichten und Absichten in
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allen politischen Fragen, welche der <i>Deutsche Bund</i> nach außen zu verhandeln
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hatte.</font></p>
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<p><i>Diese Einheit zu erhalten</i>, die Bande, welche die deutschen Regierungen miteinander
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verbinden, enger zu schließen, nur das ist, was unsere Politik erstrebte.</p>
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<p>Was wir zu jener Zeit wollten, wollen wir auch heute noch."</p>
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<p><i>Moralische</i> Einheit Deutschlands erlaubt uns, wie wir aus Vorstehendem sehen
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können, die russische Regierung herzlich gern, nur keine <i>materielle</i> Einheit, nur
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kein Verdrängen der bisherigen Bundestagswirtschaft durch eine auf
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Volkssouveränetät gegründete, nicht bloß scheinbare, sondern wirkliche und
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mit Ernst durchgreifende Zentralgewalt! Welche Großmut l</p>
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<p>"Was wir zu jener Zeit" (vor dem Februar 1848) "wollten, wollen wir auch heute noch."</p>
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<p>Das ist die einzige Phrase in der russischen Note, die gewiß niemand bezweifeln wird.
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Wir bemerken jedoch dem Herrn Nesselrode, daß Wollen und Vollbringen immer noch zweierlei
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sind.</p>
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<p>Die Deutschen wissen jetzt vollständig, woran sie sich hinsichtlich Rußlands zu
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halten haben. Solange das alte System, mit neuen modernen Farben überstrichen, ausdauert,
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oder wenn man, in der "Trunkenheit und Exaltation des Augenblicks" aus dem russischen und
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"historischen" Gleise gewichen, fügsam wieder einlenkt - solange wird Rußland "offen
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friedfertig" dastehen.</p>
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<p>Die Verhältnisse im Innern Rußlands, das Wüten der Cholera, die partiellen
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Aufstände in einzelnen Distrikten, die in Petersburg angezettelte, aber noch rechtzeitig
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verhinderte Revolution, das Komplott in der Zitadelle von Warschau, der vulkanische Boden im
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Königreich Polen - das alles sind jedenfalls Umstände, die zu den ebenso
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wohlwollenden als "uneigennützigen Gesinnungen" des Zaren Deutschland gegenüber
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beigetragen haben.</p>
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<p>Allein von weit mächtigerm Einflusse auf das "passive und beobachtende System" der
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russischen Regierung war zweifelsohne der bisherige Verlauf der Ereignisse in Deutschland
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selbst.</p>
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<p>Könnte Nikolaus in eigener Person seine Geschäfte besser besorgen, seine Absichten
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schneller in Ausführung bringen, als dies bisher in Berlin-Potsdam, zu Innsbruck, Wien und
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Prag, in Frankfurt wie in Hannover und fast in jedem andern traulichen Winkel unseres mit
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russischer Moraleinheit wieder erfüllten Vaterlandes geschehen ist? Haben nicht Pfuel (vom
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Höllenstein), <a name="S299"><b><299></b></a> Colomb und der Schrapnell-General
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<Hirschfeld> in Posen, wie Windischgrätz in Prag so gearbeitet, daß des Zaren
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Herz in Wonne schwimmen muß? Empfing Windischgrätz nicht ein brillantes
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Belobigungsschreiben des Nikolaus über Potsdam aus den Händen des jungen Herrn
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Meyendorf? Und lassen denn die Herren Hansemann-Milde-Schreckenstein zu Berlin, die Radowitz's,
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Schmerlings und Lichnowskis zu Frankfurt für Rußland etwas zu wünschen
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übrig? Muß nicht die <i>Bieder-</i> und <i>Basser</i>keit <Anspielung auf die
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Abgeordneten Biedermann und Bassermann> im Frankfurter Parlament für manchen Schmerz
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der jüngsten Vergangenheit ein lindernder Balsam sein? Unter solchen Verhältnissen
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bedurfte die russische Diplomatie keiner in Deutschland einfallenden Heere. Ihr genügt mit
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vollem Recht das "passive und beobachtende System" und - die eben besprochene Note!</p>
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</body>
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</html>
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