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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<META NAME="Author" CONTENT="Friedrich Engels">
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<META NAME="Date" CONTENT="1998-01-18">
<TITLE>Friedrich Engels - Revolution und Konterrevolution in Deutschland - V</TITLE>
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<P><SMALL>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 8, "Revolution und Konterrevolution in Deutschland", S. 35-38 <BR>
Dietz Verlag, Berlin/DDR, 1960</SMALL></P>
<P ALIGN="CENTER"><A HREF="me08_029.htm"><FONT SIZE=2>IV - [&Ouml;sterreich]</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="me08_003.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="me08_039.htm"><FONT SIZE=2>VI - [Der Berliner Aufstand]</FONT></A></P>
<FONT SIZE=5><STRONG><P ALIGN="CENTER">V <BR>
[Der Wiener M&auml;rzaufstand]</P>
</FONT><P><A NAME="S35">&lt;35&gt;</A> </STRONG>Am 24. Februar 1848 wurde Louis-Philippe aus Paris verjagt und die franz&ouml;sische Republik ausgerufen. Am folgenden 13. M&auml;rz brach das Volk von Wien die Macht des F&uuml;rsten Metternich und zwang ihn zu schimpflicher Flucht aus dem Lande. Am 18. M&auml;rz griff das Volk von Berlin zu den Waffen und erlebte nach einem erbitterten, achtzehnst&uuml;ndigen Kampf die Genugtuung, da&szlig; der K&ouml;nig vor ihm kapitulierte. Um dieselbe Zeit kam es auch in den Hauptst&auml;dten der kleineren Staaten Deutschlands zu mehr oder minder heftigen Ausbr&uuml;chen, und zwar &uuml;berall mit dem gleichen Ergebnis. Wenn das deutsche Volk seine erste Revolution auch nicht bis zu Ende durchgef&uuml;hrt hat, so hat es die revolution&auml;re Bahn doch wenigstens wirklich betreten.</P>
<P>Auf die Einzelheiten der verschiedenen Erhebungen k&ouml;nnen wir hier nicht eingehen; was wir klarzulegen haben, ist ihr Charakter und die Stellung, die die verschiedenen Klassen der Bev&ouml;lkerung ihnen gegen&uuml;ber einnahmen.</P>
<P>Die Revolution in Wien wurde von einer, man kann sagen, fast einm&uuml;tigen Bev&ouml;lkerung gemacht. Die Bourgeoisie - mit Ausnahme der Bankiers und der B&ouml;rsenspekulanten -, das Kleinb&uuml;rgertum, die gesamte Arbeiterschaft erhoben sich gleichzeitig wie ein Mann gegen eine Regierung, die von allen verabscheut, eine Regierung, die so allgemein verha&szlig;t war, da&szlig; die kleine Minderheit von Adligen und Geldf&uuml;rsten, die sie unterst&uuml;tzt hatte, gleich beim ersten Ansturm von der Bildfl&auml;che verschwand. Die Bourgeoisie war von Metternich in einer derartigen politischen Unwissenheit gehalten worden, da&szlig; die Nachrichten aus Paris &uuml;ber die Herrschaft von Anarchie, Sozialismus und Terror und &uuml;ber bevorstehende K&auml;mpfe der Kapitalistenklasse und der Arbeiterklasse v&ouml;llig unverst&auml;ndlich f&uuml;r sie blieben. In ihrer politischen Unschuld vermochte sie aus diesen Nachrichten entweder &uuml;berhaupt nicht schlau zu werden, oder hielten sie f&uuml;r teuflische Erfindungen Metter- <A NAME="S36"><STRONG>&lt;36&gt;</A></STRONG> nichs, um sie durch Angst zum Gehorsam zu bringen. Zudem hatte sie noch niemals gesehen, da&szlig; die Arbeiter als Klasse handelten oder sich f&uuml;r ihre eigenen, besonderen Klasseninteressen erhoben. Auf Grund ihrer bisherigen Erfahrungen konnte sie sich nicht vorstellen, da&szlig; es zwischen Klassen, die eben in so herzlicher Eintracht eine allen verha&szlig;te Regierung gest&uuml;rzt hatten, zu Differenzen kommen k&ouml;nnte. Sie sah, da&szlig; das arbeitende Volk mit ihr in allen Punkten einig war: in der Frage einer Verfassung, der Schwurgerichte, der Pressefreiheit usw. Sie war daher, zum mindestens im M&auml;rz 1848, mit Leib und Seele bei der Bewegung, und die Bewegung ihrerseits erhob die Bourgeoisie - wenigstens in der Theorie - sogleich zur herrschenden Klasse im Staat.</P>
<P>Aber es ist das Schicksal aller Revolutionen, da&szlig; dies B&uuml;ndnis verschiedener Klassen, das bis zu einem gewissen Grade immer die notwendige Voraussetzung jeder Revolution ist, nicht von langer Dauer sein kann. Kaum ist der Sieg &uuml;ber den gemeinsamen Feind errungen, da beginnen die Sieger sich in verschiedene Lager zu scheiden und die Waffen gegeneinander zu kehren. Gerade die rasche, heftige Entwicklung des Klassenantagonismus macht in alten, komplizierten gesellschaftlichen Organismen die Revolution zu einer so m&auml;chtigen Triebkraft des sozialen und politischen Fortschritts; gerade das unaufh&ouml;rliche, schnelle Emporschie&szlig;en neuer Parteien, die nacheinander an der Macht sind, l&auml;&szlig;t eine Nation in Zeiten so heftiger Ersch&uuml;tterungen in f&uuml;nf Jahren weiter vorankommen als unter normalen Verh&auml;ltnissen in einem Jahrhundert.</P>
<P>Die Revolution in Wien machte die Bourgeoisie theoretisch zur herrschenden Klasse; das hei&szlig;t, die der Regierung abgerungenen Zugest&auml;ndnisse h&auml;tten, einmal in der Praxis angewandt und eine Zeitlang aufrecht erhalten, die Herrschaft der Bourgeoisie unbedingt sichergestellt. Aber in Wirklichkeit war die Herrschaft dieser Klasse keineswegs fest begr&uuml;ndet. Durch die Schaffung einer Nationalgarde, die der Bourgeoisie und dem Kleinb&uuml;rgertum Waffen in die Hand gab, erlangte diese Klasse zwar Macht und Einflu&szlig;; durch die Einsetzung eines "Sicherheitsausschusses", einer Art revolution&auml;rer, niemandem verantwortlicher Regierung, in der die Bourgeoisie das entscheidende Wort hatte, gelangte sie an die Spitze der Macht. Aber gleichzeitig wurde auch ein Teil der Arbeiter bewaffnet; sie und die Studenten hatten die Hauptlast des Kampfes getragen, soweit es einen Kampf &uuml;berhaupt gegeben hatte; und die Studenten, an die 4.000 Mann stark, gut bewaffnet und weit besser diszipliniert als die Nationalgarde, bildeten den Kern, die eigentliche St&auml;rke der revolution&auml;ren Streitmacht, und sie waren keineswegs gewillt, blo&szlig; Werkzeug in den H&auml;nden des Sicherheitsauschusses zu sein. Wenn sie ihn auch an- <A NAME="S37"><STRONG>&lt;37&gt;</A></STRONG> erkannten, ja sogar seine begeisterten Verteidiger waren, so stellten sie doch eine Art selbst&auml;ndiger, ziemlich turbulenter Truppe dar, die in der "Aula" ihre eigenen Beratungen abhielt, eine Mittelstellung zwischen der Bourgeoisie und der Arbeiterklasse einnahm, durch st&auml;ndige Unruhe daf&uuml;r sorgte, da&szlig; die Dinge nicht wieder in den alten, gem&auml;chlichen Trott des Alltags zur&uuml;ckfielen und oftmals dem Sicherheitsausschu&szlig; ihre Beschl&uuml;sse aufzwang. Die Arbeiter wiederum, die fast s&auml;mtlich Lohn und Brot verloren hatten, mu&szlig;ten auf Staatskosten mit &ouml;ffentlichen Arbeiten besch&auml;ftigt werden, und die Mittel f&uuml;r diesen Zweck hatte nat&uuml;rlich der Geldbeutel der Steuerzahler oder die Kasse der Stadt Wien aufzubringen. Das alles mu&szlig;te f&uuml;r die Wiener Gesch&auml;ftsleute recht unangenehm werden. Die Fabrikanten der Stadt, auf den Bedarf der reichen aristokratischen Hofhaltungen eines gro&szlig;en Landes berechnet, waren durch die Revolution, infolge der Flucht der Aristokratie und des Hofes, naturgem&auml;&szlig; v&ouml;llig lahmgelegt; der Handel lag darnieder, und die Unruhe, die Erregung, die von den Studenten und Arbeitern unausgesetzt gesch&uuml;rt wurde, war gewi&szlig; nicht das geeignete Mittel, um "das Vertrauen wiederherzustellen", wie die Redensart lautete. So entwickelte sich sehr bald ein ziemlich k&uuml;hles Verh&auml;ltnis zwischen der Bourgeoisie auf der einen, den turbulenten Studenten und Arbeitern auf der anderen Seite; und wenn diese K&uuml;hle sich l&auml;ngere Zeit nicht zu offener Feindschaft auswuchs, so nur darum, weil das Ministerium, und namentlich der Hof, in ihrer Ungeduld, die alten Zust&auml;nde wiederherzustellen, immer wieder den Argwohn und die st&uuml;rmische Regsamkeit der entschiedeneren revolution&auml;ren Gruppen rechtfertigten und sogar vor den Augen der Bourgeoisie immer wieder das Schreckgespenst des alten Metternichschen Despotismus heraufbeschworen. So kam es am 15. und dann wieder am 26. Mai zu neuen Erhebungen aller Klassen in Wien, weil die Regierung versucht hatte, einige der neuerrungenen Freiheiten anzutasten oder zu untergraben, und bei jeder dieser Gelegenheiten wurde das B&uuml;ndnis zwischen der Nationalgarde - d.h. der bewaffneten Bourgeoisie -, den Studenten und den Arbeitern nochmals f&uuml;r einige Zeit gefestigt.</P>
<P>Was die anderen Klassen der Bev&ouml;lkerung anbelangt, so waren die Aristokratie und die gro&szlig;en Geldleute verschwunden, und die Bauernschaft war allenthalben emsig am Werke, den Feudalismus mit Haut und Haaren auszurotten. Mit R&uuml;cksicht auf den Krieg in Italien und auf die Sorgen, die Wien und Ungarn dem Hofe bereiteten, lie&szlig; man die Bauern frei gew&auml;hren, und daher gelang ihnen das Werk ihrer Befreiung in &Ouml;sterreich besser als in irgendeinem anderen Teile Deutschlands. Der &ouml;sterreichische Reichstag brauchte kurz darauf nur die Schritte zu best&auml;tigen, die die Bauernschaft praktisch bereits unternommen, und was die Regierung des F&uuml;rsten Schwarzenberg sonst <A NAME="S38"><STRONG>&lt;38&gt;</A></STRONG> auch wiederherzustellen imstande sein mag, so wird es doch niemals in ihrer Macht stehen, die feudale Knechtschaft der Bauern wieder einzuf&uuml;hren. Und wenn &Ouml;sterreich augenblicklich wieder verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig ruhig, sogar stark ist, so haupts&auml;chlich deshalb, weil die gro&szlig;e Mehrheit des Volkes, die Bauern, durch die Revolution wirklich etwas gewonnen hat und weil, was immer die wiederhergestellte Regierung auch sonst beseitigt hat, diese handgreiflichen materiellen Vorteile, die die Bauern errangen, bisher unangetastet geblieben sind.</P>
<P>London, Oktober 1851 </P></BODY>
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