emacs.d/clones/www.mlwerke.de/me/me11/me11_124.htm
2022-08-25 20:29:11 +02:00

22 lines
No EOL
10 KiB
HTML

<!DOCTYPE HTML PUBLIC "-//W3C//DTD HTML 3.2//EN">
<HTML>
<HEAD>
<META HTTP-EQUIV="Content-Type" CONTENT="text/html; charset=ISO-8859-1">
<TITLE>Friedrich Engels - Das Schicksal des grossen Abenteurers</TITLE>
</HEAD>
<BODY LINK="#0000ff" VLINK="#800080" BGCOLOR="#ffffaf">
<FONT SIZE=2><P>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 11, S. 124-127<BR>
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1961</P>
</FONT><H2>Friedrich Engels</H2>
<H1>Das Schicksal des gro&szlig;en Abenteurers</H1>
<FONT SIZE=2><P>Geschrieben um den 16. M&auml;rz 1855.<BR>
Aus dem Englischen.</P>
</FONT><P><HR></P>
<FONT SIZE=2><P>["New-York Daily Tribune" Nr. 4353 vom 2. April 1855, Leitartikel]</P>
</FONT><B><P><A NAME="S124">&lt;124&gt;</A></B> Unl&auml;ngst ver&ouml;ffentlichten wir einige interessante Ausz&uuml;ge aus dem vom Prinzen Napoleon k&uuml;rzlich herausgegebenen Pamphlet, die sicherlich bei unseren Lesern geb&uuml;hrende Beachtung fanden. Jenes Pamphlet enth&uuml;llt die auffallende und h&ouml;chst bedeutsame Tatsache, da&szlig; die Krimexpedition eine Originalerfindung von Louis Bonaparte selbst ist, da&szlig; er sie ausgearbeitet in allen ihren Details, ohne sich mit jemandem zu beraten, und da&szlig; er sie in seiner eigenen Handschrift nach Konstantinopel schickte, um die Einw&uuml;rfe des Marschalls Vaillant zu vermeiden. Seit all dies bekannt, ist ein gro&szlig;er Teil der schreiendsten milit&auml;rischen B&ouml;cke dieser Expedition durch die dynastischen Bed&uuml;rfnisse ihres Urhebers erkl&auml;rt. Im Kriegsrat zu Varna mu&szlig;te sie den gegenw&auml;rtigen Admiralen und Generalen aufgezwungen werden durch S[ain]t-Arnauds direkten Appell an die Autorit&auml;t des "Kaisers", w&auml;hrend dagegen jener Potentat alle gegnerischen Meinungen &ouml;ffentlich als "furchtsame Ratschl&auml;ge" brandmarkte. Einmal in der Krim, ward Raglans wirklich furchtsamer Ratschlag, nach Balaklawa zu marschieren, eifrig von St-Arnaud adoptiert, da er, wenn nicht direkt nach Sewastopol hinein, wenigstens nahe an seine Tore f&uuml;hrte. Die fieberhaften Anstrengungen, die Belagerung voranzutreiben - obgleich ohne hinreichende Mittel -, die Begierde, das Feuer zu er&ouml;ffnen, welche die Franzosen die Solidit&auml;t ihrer Werke zu einem solchen Grade vernachl&auml;ssigen lie&szlig;, da&szlig; ihre Batterien von dem Feind in ein paar Stunden zum Schweigen gebracht wurden; die st&auml;ndige &Uuml;beranstrengung der Truppen in den Laufgr&auml;ben, die nun erwiesenerma&szlig;en so viel zum Untergang der britischen Armee beigetragen hat; die un&uuml;berlegte und nutzlose Kanonade vom 17. Oktober bis 5. November; die Vernachl&auml;ssigung aller Defensivwerke und sogar einer ausreichenden Besetzung der <A NAME="S125"><B>&lt;125&gt;</A></B> Bergkette in Richtung der Tschornaja, was den Verlust von Balaklawa und Inkerman zur Folge hatte, dies alles ist nun so deutlich aufgekl&auml;rt, wie man es nur w&uuml;nschen kann. Die Dynastie Bonaparte war entschlossen, Sewastopol um jeden Preis und auf den k&uuml;rzesten Termin einzunehmen, und die alliierten Armeen hatten das auszuf&uuml;hren. Canrobert, wenn erfolgreich, w&auml;re Marschall von Frankreich, Graf, Herzog, Prinz, was er w&uuml;nschte, mit unbegrenzten Vollmachten, im Finanzfache "Unregelm&auml;&szlig;igkeiten" zu begehen. Wenn ungl&uuml;cklich, w&auml;re er ein Verr&auml;ter am Kaiser, h&auml;tte er gehen und sich seinen fr&uuml;heren Kollegen Lamonci&egrave;re, Bedeau und Changarnier in ihrem Exil zugesellen m&uuml;ssen. Und Raglan war altweibisch genug, seinem interessierten Kollegen nachzugeben.</P>
<P>All dies jedoch sind nur die weniger bedeutenden Folgen dieses imperatorischen Operationsplanes. Neun franz&ouml;sische Divisionen - gleich einundachtzig Bataillone - sind in dieser hoffnungslosen Aff&auml;re engagiert worden. Die gr&ouml;&szlig;ten Anstrengungen, die verschwenderischsten Opfer haben zu keinem Resultat gef&uuml;hrt. Sewastopol ist st&auml;rker als zuvor. Die franz&ouml;sischen Laufgr&auml;ben, wie wir nun aus authentischer Quelle wissen, sind noch volle 400 Yards &lt;1 Yard = 91,44 cm&gt; von den russischen Werken entfernt, w&auml;hrend die britischen Laufgr&auml;ben noch einmal so weit ab liegen. General Niel, durch Bonaparte abgesandt, um die Belagerungswerke zu besichtigen, erkl&auml;rt, da&szlig; an St&uuml;rmung nicht zu denken ist. Er hat den Hauptpunkt des Angriffes von der franz&ouml;sischen nach der britischen Seite verlegt und dadurch nicht nur einen Aufschub in der Belagerung verursacht, sondern auch den Hauptangriff auf eine Vorstadt gelenkt, die, selbst wenn genommen, von der Stadt noch getrennt ist durch den inneren Hafen. Kurz, Entwurf auf Entwurf, List auf List, um nicht die Hoffnung, sondern den blo&szlig;en Schein einer Hoffnung auf Erfolg aufrechtzuerhalten. Und w&auml;hrend die Dinge bis auf diesen Punkt gediehen sind, w&auml;hrend ein allgemeiner Krieg auf dem Kontinent bevorsteht, w&auml;hrend eine neue Expedition nach der Ostsee ger&uuml;stet wird, eine Expedition, die in dieser Jahreszeit etwas tun und daher &uuml;ber bei weitem mehr Landungstruppen verf&uuml;gen mu&szlig; als 1854 - in diesem Augenblick stachelt der Eigensinn Louis Bonaparte an, f&uuml;nf neue Divisionen Infanterie in diesem Krimsumpfe zu engagieren, wo Menschen verschwinden und ganze Regimenter vergehen wie durch Zauber! Und als ob das noch nicht gen&uuml;gte, ist er entschlossen, selbst dorthin zu gehen, um den entscheidenden Angriff seiner Soldaten zu beobachten.</P>
<P>Dies ist die Situation, wozu das erste strategische Experiment Bonapartes Frankreich reduziert hat. Der Mann, der mit einigem Recht glaubt, es sei <A NAME="S126"><B>&lt;126&gt;</A></B> ihm bestimmt, ein gro&szlig;er Feldherr zu sein und einigerma&szlig;en an den Begr&uuml;nder seiner Dynastie heranzukommen, erweist sich von vornherein als ein anma&szlig;endes St&uuml;ck Unf&auml;higkeit. Bei nur sp&auml;rlicher Information entwirft er, ungef&auml;hr dreitausend Meilen von Ort und Stelle entfernt, den Plan der Expedition, arbeitet ihn in allen seinen Details aus und schickt ihn heimlich, ohne sich mit jemandem zu beraten, an seinen Oberbefehlshaber ab, der, obgleich nur wenige hundert Meilen vom Angriffspunkt entfernt, deshalb nicht weniger unkundig ist hinsichtlich der Art der Hindernisse und der Widerstandskr&auml;fte, auf die man wahrscheinlich sto&szlig;en wird. Die Expedition einmal begonnen, folgt eine Katastrophe der anderen, selbst der Sieg ist &auml;rger als fruchtlos, und das einzige Ergebnis ist die Vernichtung des Expeditionsheeres selbst. Napoleon h&auml;tte auch zu seiner besten Zeit niemals auf solch einem Unternehmen beharrt. In einem solchen Falle pflegte er irgendeine neue List zu finden, seine Truppen ganz unversehens auf einen neuen Angriffspunkt zu f&uuml;hren und durch ein brillantes mit Erfolg gekr&ouml;ntes Man&ouml;ver zeitweilige Niederlagen selbst als steuernd zum definitiven Sieg erscheinen zu lassen. Was w&auml;re geschehen, h&auml;tte er bei Aspern bis zum &Auml;u&szlig;ersten Widerstand geleistet? Erst in den Tagen seines Verfalls, nachdem der Donnerschlag von 1812 sein Selbstvertrauen gebrochen hatte, verkehrte sich seine Energie in verblendeten Starrsinn, der ihn, wie bei Leipzig, bis zum letzten Mann Positionen behaupten lie&szlig;, die, was ihm sein milit&auml;risches Urteil h&auml;tte sagen m&uuml;ssen, v&ouml;llig falsch waren. Doch hierin besteht gerade der Unterschied zwischen den beiden Kaisern: womit Napoleon endete, beginnt Louis-Napoleon.</P>
<P>Sehr wahrscheinlich hat Louis Bonaparte die feste Absicht, sich nach der Krim zu begeben und selbst Sewastopol zu erobern. Er mag seine Abreise aufschieben, doch nichts wird seinen Entschlu&szlig; wanken machen, es sei denn der Friede. In der Tat, sein pers&ouml;nliches Schicksal ist mit dieser Expedition verkn&uuml;pft, seinem ersten milit&auml;rischen Unternehmen. Indessen, von dem Tag an, da er wirklich aufbricht, kann man den Beginn der vierten und gr&ouml;&szlig;ten franz&ouml;sischen Revolution datieren. Jedermann in Europa f&uuml;hlt das, jeder widerr&auml;t ihm. Ein Schaudern erfa&szlig;t die Reihen der franz&ouml;sischen Bourgeoisie, sobald diese Abreise erw&auml;hnt wird. Doch der Held von Stra&szlig;burg ist unersch&uuml;tterlich. Ein Spieler sein Leben lang und in letzter Zeit ein Spieler, der sich an die allerh&ouml;chsten Eins&auml;tze gew&ouml;hnt hat, setzt er - trotz der ung&uuml;nstigsten Chancen - alles auf die eine Karte, auf seinen "Stern" Au&szlig;erdem wei&szlig; er nur zu gut, da&szlig; die Hoffnungen der Bourgeoisie, der Krise zu entgehen, indem man ihn in Paris zur&uuml;ckh&auml;lt, v&ouml;llig leer sind. Ob er dort ist oder nicht, das Schicksal des franz&ouml;sischen Kaiserreiches, das Schicksal der bestehenden Gesellschaftsordnung entscheidet sich in den Laufgr&auml;ben vor <A NAME="S127"><B>&lt;127&gt;</A></B> Sewastopol. Sollte er dort wider allem Erwarten Erfolg haben, so wird er durch seine Anwesenheit, wenigstens in der Meinung Europas, die Schranke zwischen einem Stra&szlig;enr&auml;uber und einem Helden &uuml;berschreiten; hat er keinen Erfolg, so ist sein Kaiserreich unter allen Umst&auml;nden dahin. Da&szlig; er mit der M&ouml;glichkeit eines solchen Ausgangs rechnet, zeigt er dadurch, da&szlig; er seinen Rivalen und mutma&szlig;lichen Erben, den jungen J&eacute;r&ocirc;me Bonaparte, in der Uniform eines Generalleutnants mitnehmen wird.</P>
<P>Gerade jetzt hat &Ouml;sterreich den gr&ouml;&szlig;ten Nutzen von dieser Krimexpedition. Wenn der Kampf vor Sewastopol sich noch einige Monate hinzieht, wird dieser Kampf, der ein Armeekorps nach dem andern verschlingt und die Kraft Frankreichs und Ru&szlig;lands schw&auml;cht, &Ouml;sterreich zum Hauptschiedsrichter auf dem Kontinent machen, wo in kompakter Masse seine 600.000 Bajonette zur Verf&uuml;gung stehen, um als &uuml;berw&auml;ltigendes Gewicht in die Waagschale geworfen zu werden. Doch es gibt gl&uuml;cklicherweise ein Gegengewicht gegen diese Suprematie &Ouml;sterreichs. In dem Augenblick, in dem Frankreich wieder den Weg der Revolution beschreitet, l&ouml;st sich diese Macht &Ouml;sterreichs in ihre verschiedenen Elemente auf. Deutsche, Ungarn, Polen, Italiener und Kroaten werden die aufgezwungenen Bande, die sie zusammenketten, von sich werfen, und an Stelle der unbestimmten und zuf&auml;lligen B&uuml;ndnisse und Antagonismen von heute wird Europa wieder in zwei gro&szlig;e Lager mit verschiedenen Bannern und neuen Zielen geteilt sein. Dann wird der Kampf allein zwischen der <I>demokratischen Revolution </I>auf der einen und der <I>monarchistischen Konterrevolution </I>auf der anderen Seite gef&uuml;hrt werden.</P>
</BODY>
</HTML>