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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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Raw Blame History

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<TITLE>Rosa Luxemburg - Die Akkumulation des Kapitals, 27. Kapitel</TITLE>
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<P align="CENTER"><A href="lu05_296.htm"><FONT size=2>26. Kapitel</FONT></A><FONT size=1> | </FONT><A href="lu05_005.htm"><FONT size=2>Inhalt</FONT></A><FONT size=2> | </FONT><A href="lu05_334.htm"><FONT size=2>28. Kapitel</FONT></A></P>
<FONT size=2><P>Rosa Luxemburg - Gesammelte Werke. Herausgegeben vom Institut f&uuml;r Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Band 5. Berlin/DDR. 1975. "Die Akkumulation des Kapitals", S. 316-333.</P>
<P>1. Korrektur.<BR>
Erstellt am 20.10.1998</P>
<HR>
</FONT><FONT size=5><P align="CENTER">Siebenundzwanzigstes Kapitel</P>
<I><P align="CENTER">Der Kampf gegen die Naturalwirtschaft</P>
</I></FONT><P><B><A name="S316">&lt;316&gt;</A></B> Der Kapitalismus kommt zur Welt und entwickelt sich historisch in einem nichtkapitalistischen sozialen Milieu. In den westeurop&auml;ischen L&auml;ndern umgibt ihn zuerst das feudale Milieu, aus dessen Scho&szlig; er hervorgeht - die Fronwirtschaft auf dem platten Lande, das Zunfthandwerk in der Stadt -, dann, nach Abstreifung des Feudalismus, ein vorwiegend b&auml;uerlich-handwerksm&auml;&szlig;iges Milieu, als einfache Warenproduktion in der Landwirtschaft wie im Gewerbe. Au&szlig;erdem umgibt den europ&auml;ischen Kapitalismus ein gewaltiges Terrain au&szlig;ereurop&auml;ischer Kulturen, welches die ganze Skala von Entwicklungsstufen von den primitivsten kommunistischen Horden wandernder J&auml;ger und Sammler bis zur b&auml;uerlichen und handwerksm&auml;&szlig;igen Warenproduktion darbietet. Mitten in diesem Milieu arbeitet sich der Proze&szlig; der Kapitalakkumulation vorw&auml;rts.</P>
<P>Es sind dabei drei Phasen zu unterscheiden: der Kampf des Kapitals mit der Naturalwirtschaft, der Kampf mit der Warenwirtschaft und der Konkurrenzkampf des Kapitals auf der Weltb&uuml;hne um die Reste der Akkumulationsbedingungen.</P>
<P>Der Kapitalismus bedarf zu seiner Existenz und Fortentwicklung nichtkapitalistischer Produktionsformen als seiner Umgebung. Aber nicht mit jeder dieser Formen ist ihm gedient. Er braucht nichtkapitalistische soziale Schichten als Absatzmarkt f&uuml;r seinen Mehrwert, als Bezugsquellen seiner <A name="S317"></A><B>&lt;317&gt;</B> Produktionsmittel und als Reservoirs der Arbeitskr&auml;fte f&uuml;r sein Lohnsystem. Zu allen diesen Zwecken kann das Kapital mit <I>naturalwirtschaftlichen</I> Produktionsformen nichts anfangen. In allen naturalwirtschaftlichen Formationen - ob es sich um primitive Bauerngemeinden mit Gemeineigentum an Grund und Boden, feudale Fronverh&auml;ltnisse oder dergleichen handelt - ist die Produktion f&uuml;r den Selbstbedarf das Ausschlaggebende der Wirtschaft, daher kein oder geringer Bedarf nach fremden Waren und in der Regel auch kein &Uuml;berflu&szlig; an eigenen Produkten oder zum mindesten kein dringendes Bed&uuml;rfnis, &uuml;bersch&uuml;ssige Produkte loszuwerden. Was das wichtigste jedoch: Alle naturalwirtschaftlichen Produktionsformen beruhen auf dieser oder jener Art Gebundenheit sowohl der Produktionsmittel wie der Arbeitskr&auml;fte. Die kommunistische Bauerngemeinde so gut wie der feudale Fronhof und dergleichen st&uuml;tzen sich in ihrer wirtschaftlichen Organisation auf die Fesselung des wichtigsten Produktionsmittels - des Grund und Bodens - sowie der Arbeitskr&auml;fte durch Recht und Herkommen. Die Naturalwirtschaft setzt somit den Bed&uuml;rfnissen des Kapitals in jeder Hinsicht starre Schranken entgegen. Der Kapitalismus f&uuml;hrt deshalb vor allem stets und &uuml;berall einen Vernichtungskampf gegen die Naturalwirtschaft in jeglicher historischer Form, auf die er st&ouml;&szlig;t, gegen die Sklavenwirtschaft, gegen den Feudalismus, gegen den primitiven Kommunismus, gegen die patriarchalische Bauernwirtschaft. In diesem Kampfe bilden politische Gewalt (Revolution, Krieg), staatlicher Steuerdruck und Billigkeit der Waren die Hauptmethoden, die teils nebeneinander laufen, teils einander folgen und sich gegenseitig unterst&uuml;tzen. &Auml;u&szlig;erte sich die Gewalt im Kampfe gegen den Feudalismus in Europa in revolution&auml;rer Gestalt (die b&uuml;rgerlichen Revolutionen des 17., 18. und 19. Jahrhunderts geh&ouml;ren in letzter Linie hierher), so in au&szlig;ereurop&auml;ischen L&auml;ndern - im Kampfe gegen primitivere soziale Formen - in der Gestalt der Kolonialpolitik. Das hier praktizierte Steuersystem wie der Handel, namentlich mit primitiven Gemeinwesen, stellen ein Gemisch dar, in dem politische Gewalt und &ouml;konomische Faktoren eng ineinandergreifen.</P>
<P>Die &ouml;konomischen Zwecke des Kapitalismus im Kampfe mit naturalwirtschaftlichen Gesellschaften sind im einzelnen:</P>
<P>1. sich wichtiger Quellen von Produktivkr&auml;ften direkt zu bem&auml;chtigen, wie Grund und Boden, Wild der Urw&auml;lder, Mineralien, Edelsteine und Erze, Erzeugnisse exotischer Pflanzenwelt, wie Kautschuk usw.;</P>
<P>2. Arbeitskr&auml;fte "frei" zu machen und zur Arbeit f&uuml;r das Kapital zu zwingen;</P>
<P><B><A name="S318">&lt;318&gt;</A></B> 3. die Warenwirtschaft einzuf&uuml;hren;</P>
<P>4. Landwirtschaft von Gewerbe zu trennen.</P>
<P>Bei der primitiven Akkumulation, d.h. in den ersten geschichtlichen Anf&auml;ngen des Kapitalismus in Europa am Ausgang des Mittelalters und bis ins 19. Jahrhundert hinein, bildete das Bauernlegen in England und auf dem Kontinent das gro&szlig;artigste Mittel zur massenhaften Verwandlung der Produktionsmittel und Arbeitskr&auml;fte in Kapital. Indes dieselbe Aufgabe wird bis auf den heutigen Tag durch das herrschende Kapital in ganz anders gro&szlig;artigem Ma&szlig;stab ausgef&uuml;hrt - in der modernen Kolonialpolitik. Es ist eine Illusion, zu hoffen, der Kapitalismus w&uuml;rde sich je nur mit Produktionsmitteln begn&uuml;gen, die er auf dem Wege des Warenhandels erstehen kann. Die Schwierigkeit f&uuml;r das Kapital besteht in dieser Hinsicht schon darin, da&szlig; auf gewaltigen Strecken der exploitierbaren Erdoberfl&auml;che die Produktivkr&auml;fte sich im Besitz von gesellschaftlichen Formationen befinden, die entweder zum Warenhandel nicht neigen oder aber gerade die wichtigsten Produktionsmittel, auf die es dem Kapital ankommt, &uuml;berhaupt nicht feilbieten, weil die Eigentumsformen wie die ganze soziale Struktur dies von vornherein ausschlie&szlig;en. Dahin geh&ouml;ren vor allem Grund und Boden mit dem ganzen Reichtum an mineralischem Gehalt im Innern sowie mit dem Wiesen-, W&auml;lder- und Wasserbestand an der Oberfl&auml;che, ferner Viehherden bei viehz&uuml;chtenden primitiven V&ouml;lkern. Sich hier auf den Proze&szlig; der langsamen auf Jahrhunderte berechneten inneren Zersetzung dieser naturalwirtschaftlichen Gebilde verlassen und ihre Resultate erst abwarten, bis sie zur Ent&auml;u&szlig;erung der wichtigsten Produktionsmittel auf dem Wege des Warenhandels f&uuml;hren, w&uuml;rde f&uuml;r das Kapital soviel bedeuten, wie &uuml;berhaupt auf die Produktivkr&auml;fte jener Gebiete verzichten. Daraus folgert der Kapitalismus gegen&uuml;ber den Koloniall&auml;ndern die gewaltsame Aneignung der wichtigsten Produktionsmittel als eine Lebensfrage f&uuml;r sich. Da aber gerade die primitiven sozialen Verb&auml;nde der Eingeborenen der st&auml;rkste Schutzwall der Gesellschaft wie ihrer materiellen Existensbasis sind, so erfolgt als einleitende Methode des Kapitals die systematische, planm&auml;&szlig;ige Zerst&ouml;rung und Vernichtung der nichtkapitalistischen sozialen Verb&auml;nde, auf die es in seiner Ausbreitung st&ouml;&szlig;t. Hier haben wir es nicht mehr mit der primitiven Akkumulation zu tun, der Proze&szlig; dauert fort bis auf den heutigen Tag. Jede neue Kolonialerweiterung wird naturgem&auml;&szlig; von diesem hartn&auml;ckigen Krieg des Kapitals <A name="S319"></A><B>&lt;319&gt;</B> gegen die sozialen und &ouml;konomischen Zusammenh&auml;nge der Eingeborenen begleitet sowie von dem gewaltsamen Raub ihrer Produktionsmittel und ihrer Arbeitskr&auml;fte. Die Hoffnung, den Kapitalismus ausschlie&szlig;lich auf den "friedlichen Wettbewerb", d.h. auf den regelrechten Warenhandel, wie er zwischen kapitalistisch produzierenden L&auml;ndern gef&uuml;hrt wird, als die einzige Grundlage seiner Akkumulation verweisen zu k&ouml;nnen, beruht auf der doktrin&auml;ren T&auml;uschung, als ob die Kapitalakkumulation ohne die Produktivkr&auml;fte und die Nachfrage primitiverer Gebilde auskommen, sich auf den langsamen inneren Zersetzungsproze&szlig; der Naturalwirtschaft verlassen k&ouml;nnte. Sowenig die Kapitalakkumulation in ihrer sprunghaften Ausdehnungst&auml;tigkeit auf den nat&uuml;rlichen Zuwachs der Arbeiterbev&ouml;lkerung zu warten und mit ihm auszukommen vermag, sowenig wird sie auch die nat&uuml;rliche langsame Zersetzung der nichtkapitalistischen Formen und ihren &Uuml;bergang zur Warenwirtschaft abwarten und sich mit ihm begn&uuml;gen. Das Kapital kennt keine andere L&ouml;sung der Frage als Gewalt, die eine st&auml;ndige Methode der Kapitalakkumulation als geschichtlicher Proze&szlig; ist, nicht blo&szlig; bei der Genesis, sondern bis auf den heutigen Tag. F&uuml;r die primitiven Gesellschaften aber gibt es, da es sich in jedem solchen Falle um Sein oder Nichtsein handelt, kein anderes Verhalten als Widerstand und Kampf auf Tod und Leben, bis zur v&ouml;lligen Ersch&ouml;pfung oder bis zur Ausrottung. Daher die st&auml;ndige milit&auml;rische Besetzung der Kolonien, die Aufst&auml;nde der Eingeborenen und die Kolonialexpeditionen zu ihrer Niederwerfung als permanente Erscheinungen auf der Tagesordnung des Kolonialregimes. Die gewaltsame Methode ist hier die direkte Folge des Zusammenpralls des Kapitalismus mit naturalwirtschaftlichen Formationen, die seiner Akkumulation Schranken setzen. Ohne ihre Produktionsmittel und Arbeitskr&auml;fte kann er nicht auskommen, sowenig wie ohne ihre Nachfrage nach seinem Mehrprodukt. Um ihnen aber Produktionsmittel und Arbeitskr&auml;fte zu entnehmen, um sie in Warenabnehmer zu verwandeln, strebt er zielbewu&szlig;t danach, sie als selbst&auml;ndige soziale Gebilde zu vernichten. Diese Methode ist vom Standpunkt des Kapitals die zweckm&auml;&szlig;igste, weil sie zugleich die rascheste und profitabelste ist. Ihre andere Seite ist n&auml;mlich der wachsende Militarismus, &uuml;ber dessen Bedeutung f&uuml;r die Akkumulation in anderem Zusammenhang weiter unten. Die klassischen Beispiele der Anwendung dieser Methoden des Kapitals in den Kolonien bieten die Politik der Engl&auml;nder in Indien und die der Franzosen in Algier.</P>
<P>Die uralte Wirtschaftsorganisation der Inder - die kommunistische Dorfgemeinde - hatte sich in ihren verschiedenen Formen durch Jahr- <A name="S320"></A><B>&lt;320&gt;</B> tausende erhalten und eine lange innere Geschichte durchgemacht, trotz aller St&uuml;rme "in den politischen Wolkenregionen". Im 6. Jahrhundert vor der christlichen &Auml;ra drangen in das Indusgebiet die Perser und unterwarfen sich einen Teil des Landes. Zwei Jahrhunderte sp&auml;ter zogen die Griechen ein und hinterlie&szlig;en als Ableger einer ganz fremden Kultur die alexandrinischen Kolonien. Die wilden Skythen machten eine Invasion ins Land. Jahrhundertelang herrschten die Araber in Indien. Sp&auml;ter kamen von den H&ouml;hen des Iran die Afghanen, bis auch diese durch den ungest&uuml;men Ansturm der Tatarenhorden aus Transoxanien vertrieben wurden. Schrecken und Vernichtung bezeichneten den Weg, auf dem die Mongolen vor&uuml;berzogen, ganze D&ouml;rfer wurden niedergemetzelt, und die friedlichen Fluren mit den zarten Reishalmen f&auml;rbten sich purpurn von Str&ouml;men vergossenen Blutes. Aber die indische Dorfgemeinde hat alles &uuml;berdauert. Denn alle mohammedanischen Eroberer, die einander abl&ouml;sten, lie&szlig;en schlie&szlig;lich das innere soziale Leben der Bauernmasse und seine &uuml;berlieferte Struktur unangetastet. Sie setzten blo&szlig; in den Provinzen ihre Statthalter ein, die die milit&auml;rische Organisation &uuml;berwachten und Abgaben von der Bev&ouml;lkerung einsammelten. Alle Eroberer gingen auf die Beherrschung und Ausbeutung des Landes aus, keiner hatte ein Interesse daran, dem Volke seine Produktivkr&auml;fte zu rauben und seine soziale Organisation zu vernichten. Der Bauer mu&szlig;te im Reiche des Gro&szlig;moguls j&auml;hrlich seinen Tribut in Naturalien an die Fremdherrschaft entrichten, aber er konnte in seinem Dorf ungeschoren leben und auf seiner Sholgura wie seine Urv&auml;ter Reis bauen. Dann kamen die Engl&auml;nder, und der Pesthauch der kapitalistischen Zivilisation vollbrachte in kurzer Zeit, was Jahrtausende nicht vermocht und was das Schwert der Nogaier nicht fertiggebracht hatte: die ganze soziale Organisation des Volkes zu zertr&uuml;mmern. Der Zweck des englischen Kapitals war in letzter Linie, die Existenzbasis selbst der indischen Gemeinde: den Grund und Boden, in die eigene Macht zu kriegen.</P>
<P>Zu diesem Zwecke diente vor allem die bei den europ&auml;ischen Kolonisatoren seit jeher beliebte Fiktion, wonach alles Land in der Kolonie Eigentum der politischen Herrscher w&auml;re. Die Engl&auml;nder schenkten nachtr&auml;glich ganz Indien als Privatbesitz dem Gro&szlig;mogul und seinen Statthaltern, um es als deren "rechtm&auml;&szlig;ige" Nachfolger zu erben. Die angesehensten Gelehrten der National&ouml;konomie, wie James Mill, st&uuml;tzten diese Fiktion diensteifrig mit "wissenschaftlichen" Gr&uuml;nden, so namentlich mit dem famosen Schlu&szlig;: man m&uuml;sse annehmen, da&szlig; das Grundeigentum in Indien dem Herrscher geh&ouml;rte, "denn wollten wir annehmen, da&szlig; nicht er der <A name="S321"></A><B>&lt;321&gt;</B> Grundeigent&uuml;mer war, so w&auml;ren wir nicht imstande zu sagen: Wer war denn Bjgent&uuml;mer?<A name="ZF1">"<A href="lu05_316.htm#F1">(1)</A></A> Demgem&auml;&szlig; verwandelten die Engl&auml;nder schon 1793 in Bengalen alle Samindars, d.h. die vorgefundenen mohammedanischen Steuerp&auml;chter oder auch die erblichen Marktvorsteher in ihren Bezirken in Grundbesitzer dieser Bezirke, um sich auf diese Weise einen starken Anhang im Lande bei ihrem Feldzuge gegen die Bauernmasse zu schaffen. Genauso verfuhren sie auch sp&auml;ter bei neuen Eroberungen, in der Provinz Agra, in Audh, in den Zentralprovinzen. Die Folge war eine Reihe von st&uuml;rmischen Bauernaufst&auml;nden, bei denen die Steuereinnehmer h&auml;ufig vertrieben wurden. In der allgemeinen Verwirrung und Anarchie, die dabei entstand, wu&szlig;ten englische Kapitalisten einen ansehnlichen Teil der L&auml;ndereien in ihre H&auml;nde zu bringen.</P>
<P>Ferner wurde die Steuerlast so r&uuml;cksichtslos erh&ouml;ht, da&szlig; sie
fast die ge- <A name="S322"></A><B>&lt;322&gt;</B> samte Frucht der Arbeit der
Bev&ouml;lkerung verschlang. Es kam so weit, da&szlig; (nach dem offiziellen
Zeugnis der englischen Steuerbeh&ouml;rde aus dem Jahre 1854) in den Distrikten
Delhi und Allahabad die Bauern es vorteilhaft fanden, ihre Landanteile lediglich
gegen die als Steuer auf sie entfallende Summe zu verpachten und zu verpf&auml;nden.
Auf dem Boden dieses Steuersystems zog der Wucher in das indische Dorf ein und
setzte sich in ihm fest, wie ein Krebs von innen die soziale Organisation zerfressend.<A name="ZF2"><A href="lu05_316.htm#F2">(2)</A></A>
Zur Beschleunigung des Prozesses f&uuml;hrten die Engl&auml;nder ein Gesetz
ein, das allen Traditionen und Rechtsbegriffen der Dorfgemeinde ins Gesicht
schlug: die zwangsweise Ver&auml;u&szlig;erlichkeit der Dorffelder wegen Steuerr&uuml;ckst&auml;nden.
Der alte Geschlechtsverband suchte sich dagegen vergeblich durch das Vorkaufsrecht
der Gesamtmark und der verwandten Marken zu sch&uuml;tzen. Die Aufl&ouml;sung
war im vollen Gange. Zwangsversteigerungen, Austritte einzelner aus der Mark,
Verschuldung und Enteignung der Bauern waren an der Tagesordnung.</P>
<P>Die Engl&auml;nder suchten sich dabei, wie es ihre Taktik in den Kolonien stets war, den Anschein zu geben, als sei ihre Gewaltpolitik, die v&ouml;llige Unsicherheit der Grundbesitzverh&auml;ltnisse und den Zusammenbruch der Bauernwirtschaft der Hindus herbeigef&uuml;hrt hatte, gerade im Interesse des Bauerntums und zu seinem Schutze gegen die eingeborenen Tyrannen und Ausbeuter notwendig gewesen.<A name="ZF3"><A href="lu05_316.htm#F3">(3)</A></A> Erst schuf England k&uuml;nstlich eine Landaristokratie in Indien auf Kosten uralter Eigentumsrechte der <A name="S323"></A><B>&lt;323&gt;</B> Bauerngemeinden, um hinterdrein die Bauern gegen diese Bedr&uuml;cker zu sch&uuml;tzen und das "widerrechtlich usurpierte Land" in die H&auml;nde englischer Kapitalisten zu bringen.</P>
<P>So entstand in Indien in kurzer Zeit der Gro&szlig;grundbesitz, w&auml;hrend die Bauern auf enormen Strecken in eine verarmte, proletarisierte Masse kleiner P&auml;chter mit kurzen Pachtfristen verwandelt wurden.</P>
<P>Endlich kam noch in einem markanten Umstand die spezifische Kapitalmethode
der Kolonisation zum Ausdruck. Die Engl&auml;nder waren die ersten Eroberer
Indiens, die eine rohe Gleichg&uuml;ltigkeit f&uuml;r die &ouml;ffentlichen
Kulturwerke wirtschaftlichen Charakters mitbrachten. Araber, Afghanen wie Mongolen
leiteten und unterst&uuml;tzten in Indien gro&szlig;artige Kanalanlagen, durchzogen
das Land mit Stra&szlig;en, &uuml;berspannten Fl&uuml;sse mit Br&uuml;cken,
lie&szlig;en wasserspendende Brunnen graben. Der Ahne der Mongolendynastie in
Indien, Timur oder Tamerlan, trug Sorge f&uuml;r die Bodenkultur, Bew&auml;sserung,
Sicherheit der Wege und Verpflegung der Reisenden.<A name="ZF4"><A href="lu05_316.htm#F4">(4)</A></A>
"Die primitiven Radschas Indiens, die afghanischen oder mongolischen Eroberer,
zuweilen grausam f&uuml;r die Individuen, bezeichneten wenigstens ihre Herrschaft
durch jene wunderbaren Konstruktionen, die man heute auf jedem Schritt findet
und die das Werk einer Rasse von Riesen zu sein scheinen ... Die Kompanie (die
englische Ostindische Kompanie, die bis 1858 in Indien herrschte - <I>R. L.</I>)
hat nicht eine Quelle ge&ouml;ffnet, nicht einen Brunnen gegraben, nicht einen
Kanal gebaut, nicht eine Br&uuml;cke zum Nutzen der Inder errichtet."<A name="ZF5"><A href="lu05_316.htm#F5">(5)</A></A></P>
<P>Ein anderer Zeuge, der Engl&auml;nder James Wilson, sagt: "In der Provinz von
Madras wird jedermann unwillk&uuml;rlich durch die grandiosen altert&uuml;mlichen
Bew&auml;sserungsanlagen frappiert, deren Spuren sich bis auf unsere Zeit erhalten
haben. Stausysteme die die Fl&uuml;sse stauten, bildeten ganze Seen, aus denen
Kan&auml;le auf 60 und 70 Meilen im Umkreis Wasser ver- <A name="S324"></A><B>&lt;324&gt;</B>
breiteten. Auf gro&szlig;en Fl&uuml;ssen gab es solcher Schleusen 30-40 St&uuml;ck
... Das Regenwasser, das von den Bergen hinabflo&szlig;, wurde in besonders
zu diesem Behufe gebauten Teichen gesammelt, von denen viele bis jetzt 15 bis
25 Meilen im Umkreis haben. Diese gigantischen Konstruktionen waren fast alle
vor dem Jahre 1750 vollendet. In der Epoche der Kriege der Kompanie mit den
mongolischen Herrschern und, wir m&uuml;ssen hinzuf&uuml;gen, <I>w&auml;hrend
der ganzen Periode unserer Herrschaft in Indien</I> sind sie in gro&szlig;en
Verfall geraten."<A name="ZF6"><A href="lu05_316.htm#F6">(6)</A></A></P>
<P>Ganz nat&uuml;rlich: F&uuml;r das englische Kapital kam es nicht darauf an,
die indischen Gemeinwesen lebensf&auml;hig zu erhalten und wirtschaftlich zu
st&uuml;tzen, sondern im Gegenteil, sie zu zerst&ouml;ren, ihnen die Produktivkr&auml;fte
zu entrei&szlig;en. Die rasch zugreifende ungest&uuml;me Gier der Akkumulation,
die ihrem ganzen Wesen nach von "Konjunkturen" lebt und nicht an den morgigen
Tag zu denken imstande ist, kann den Wert der alten wirtschaftlichen Kulturwerke
von weitsichtigerem Standpunkt nicht einsch&auml;tzen. In &Auml;gypten zerbrachen
sich k&uuml;rzlich die englischen Ingenieure, als sie f&uuml;r die Zwecke des
Kapitals am Nil Riesenstauwerke errichten sollten, den Kopf, um die Spuren jener
antiken Kanalsysteme aufzudecken, die sie in ihren indischen Provinzen mit der
stupiden Sorglosigkeit von Botokuden hatten g&auml;nzlich verfallen lassen.
Die Engl&auml;nder haben das edle Werk ihrer H&auml;nde erst einigerma&szlig;en
zu w&uuml;rdigen gelernt, als die furchtbare Hungersnot, die im Distrikt Orissa
allein in einem Jahre eine Million Menschenleben dahingerafft hatte, im Jahre
1867 eine Untersuchung &uuml;ber die Ursachen der Notlage vom englischen Parlament
erzwungen hat. Gegenw&auml;rtig sucht die englische Regierung die Bauern auf
administrativem Wege vor dem Wucher zu retten. Die Punjab Alienation Act (1900)
verbietet die Ver&auml;u&szlig;erung oder Belastung des Bauernlandes zugunsten
von Angeh&ouml;rigen anderer Kasten als die landbautreibende und macht Ausnahmen
im Einzelfalle von der Genehmigung des Steuereinnehmers abh&auml;ngig.<A name="ZF7"><A href="lu05_316.htm#F7">(7)</A></A>
Nachdem sie die sch&uuml;tzenden Bande der uralten sozialen Verb&auml;nde der
Hindus planm&auml;&szlig;ig zerrissen und einen Wucher gro&szlig;gezogen haben,
bei dem ein Zinsfu&szlig; von 15 Prozent eine gew&ouml;hnliche Erscheinung ist,
stellen die Engl&auml;nder den ruinierten und verelendeten indischen Bauer unter
die Vormundschaft des Fiskus und seiner Beamten, d.h. unter den "Schutz" seiner
unmittelbaren Blutsauger.</P>
<P><B><A name="S325">&lt;325&gt;</A></B> Neben dem Martyrium Britisch-Indiens beansprucht in der kapitalistischen Kolonialwirtschaft die Geschichte der franz&ouml;sischen Politik in Algerien einen Ehrenplatz. Als die Franzosen Algerien eroberten, herrschten unter der Masse der arabisch-kabylischen Bev&ouml;lkerung die uralten sozialen und wirtschaftlichen Einrichtungen, die sich trotz der langen und bewegten Geschichte des Landes bis ins 19. Jahrhundert, ja zum Teil bis heute erhalten haben.</P>
<P>Mochte in den St&auml;dten, unter den Mauren und Juden, unter Kaufleuten, Handwerkern und Wucherern Privateigentum herrschen und auf dem flachen Lande bereits gro&szlig;e Strecken von der t&uuml;rkischen Vasallenherrschaft her als staatliche Dom&auml;nen usurpiert sein, immerhin geh&ouml;rte noch fast die H&auml;lfte des benutzten Landes in ungeteiltem Eigentum den arabisch-kabylischen St&auml;mmen, und hier herrschten noch uralte, patriarchalische Sitten. Dasselbe Nomadenleben, nur dem oberfl&auml;chlichen Blick unstet und regellos, in Wirklichkeit streng geregelt und h&ouml;chst eint&ouml;nig, f&uuml;hrte wie seit jeher noch im 19. Jahrhundert viele arabische Geschlechter mit M&auml;nnern, Weibern und Kindern, mit Herden und Zelten jeden Sommer an den von Meereswinden angef&auml;chelten k&uuml;hleren K&uuml;stenteil <I>Tell</I> und jeden Winter wieder in die sch&uuml;tzende W&auml;rme der W&uuml;ste zur&uuml;ck. Jeder Stamm und jedes Geschlecht hatte seine bestimmten Wanderungsstrecken und bestimmte Sommer- und Winterstationen, wo sie ihre Zelte aufschlugen. Die ackerbautreibenden Araber besa&szlig;en das Land gleichfalls vielfach noch im Gemeineigentum der Geschlechter. Und ebenso patriarchalisch nach althergebrachten Regeln lebte die kabylische Gro&szlig;familie unter der Leitung ihrer gew&auml;hlten Oberh&auml;upter.</P>
<P>Die Hauswirtschaft dieses gro&szlig;en Familienkreises war ungeteilt von dem &auml;ltesten weiblichen Mitglied geleitet, jedoch gleichfalls auf Grund der Wahl der Familie, oder aber von den Frauen der Reihe nach. Die kabylische Gro&szlig;familie, die in dieser Organisation am Saum der afrikanischen W&uuml;ste ein eigent&uuml;mliches Seitenst&uuml;ck zu der ber&uuml;hmten s&uuml;dslawischen "Zadruga" darbot, war Eigent&uuml;merin nicht blo&szlig; des Grund und Bodens, sondern auch aller Werkzeuge, Waffen und Gelder, die zum Betrieb des Berufs aller Mitglieder erforderlich waren und von ihnen er- <A name="S326"></A><B>&lt;326&gt;</B> worben wurden. Als Privateigentum geh&ouml;rte jedem Mann nur ein Anzug und jeder Frau nur die Kleidungsst&uuml;cke und die Schmucksachen, die sie als Brautgeschenk erhalten hatte. Alle kostbareren Gew&auml;nder aber und Juwelen galten als ungeteiltes Familieneigentum und durften von einzelnen nur mit Einwilligung aller gebraucht werden. War die Familie nicht zu zahlreich, so nahm sie ihre Mahlzeiten an einem gemeinsamen Tische ein, wobei alle Frauen nach der Reihe kochten, die &auml;ltesten aber die Verteilung besorgten. War der Kreis der Personen zu gro&szlig;, dann wurden allmonatlich die Nahrungsmittel vom Vorstand in rohem Zustand bei Beobachtung strenger Gleichheit unter die Einzelfamilien verteilt und von diesen zubereitet. Engste Bande der Solidarit&auml;t, gegenseitiger Hilfe und Gleichheit umspannten diese Gemeinwesen, und die Patriarchen pflegten sterbend den S&ouml;hnen das treue Festhalten am Familienverband als letztes Verm&auml;chtnis ans Herz zu legen.<A name="ZF8"><A href="lu05_316.htm#F8">(8)</A></A></P>
<P>Schon die t&uuml;rkische Herrschaft, die sich im 16. Jahrhundert in Algerien etablierte, hatte ernste Eingriffe in diese sozialen Verh&auml;ltnisse gemacht. Freilich war es nur eine sp&auml;ter von den Franzosen erfundene Fabel, da&szlig; die T&uuml;rken s&auml;mtlichen Grund und Boden f&uuml;r den Fiskus konfisziert h&auml;tten. Diese wilde Phantasie, die nur den Europ&auml;ern einfallen konnte, befand sich im Widerspruch mit der ganzen &ouml;konomischen Grundlage des Islams und seiner Bekenner. Im Gegenteil, die Grundbesitzverh&auml;ltnisse der Dorfgemeinden und der Gro&szlig;familien wurden von den T&uuml;rken im allgemeinen nicht angetastet. Nur ein gro&szlig;er Teil unbebauter L&auml;ndereien wurde von ihnen als Staatsdom&auml;ne den Geschlechtern gestohlen und unter den t&uuml;rkischen Lokalverwaltern in Beyliks verwandelt, die zum Teil direkt von Staats wegen mit eingeborenen Arbeitskr&auml;ften bewirtschaftet, zum Teil gegen Zins oder Naturalleistungen in Pacht gegeben wurden. Daneben benutzten die T&uuml;rken jede Meuterei der unterworfenen Geschlechter und jede Verwirrung im Lande, um durch umfassende Landkonfiskationen die fiskalischen Besitzungen zu vergr&ouml;&szlig;ern und darauf Milit&auml;rkolonien zu gr&uuml;nden oder die konfiszierten Guter &ouml;ffentlich zu versteigern, wobei sie meist in die H&auml;nde von t&uuml;rkischen und anderen Wucherern gerieten. Um den Konfiskationen und dem Steuerdruck zu ent- <A name="S327"></A><B>&lt;327&gt;</B> gehen, begaben sich viele Bauern, genau wie in Deutschland im Mittelalter, unter den Schutz der Kirche, die auf diese Weise zum obersten Grundherrn &uuml;ber ansehnliche Strecken Landes wurde. Schlie&szlig;lich stellten die Besitzverh&auml;ltnisse Algeriens nach all diesen wechselvollen Geschicken zur Zeit der franz&ouml;sischen Eroberung das folgende Bild dar: 1.500.000 Hektar Land umfa&szlig;ten die Dom&auml;nen, 3.000.000 Hektar unbenutztes Land waren gleichfalls dem Staate unterstellt als "Gemeineigentum aller Rechtgl&auml;ubigen" (Bled-el-Islam); das Privateigentum umfa&szlig;te 3.000.000 Hektar, die sich noch von r&ouml;mischen Zeiten her im Besitze der Berber befanden, und 1.500.000 Hektar, die unter der t&uuml;rkischen Herrschaft in Privath&auml;nde &uuml;bergegangen waren. In ungeteiltem Gemeineigentum der arabischen Geschlechter verblieben danach nur noch 5.000.000 Hektar Land. Was die Sahara betrifft, so befanden sich darin zirka 3.000.000 Hektar brauchbaren Landes im Bereiche der Oasen teils in ungeteiltem Gro&szlig;familienbesitz, teils in Privatbesitz. Die &uuml;brigen 23.000.000 Hektar stellten meist &Ouml;dland dar.</P>
<P>Die Franzosen begannen, nachdem sie Algerien in ihre Kolonie verwandelt hatten, mit gro&szlig;em Tamtam ihr Werk der Zivilisierung. War doch Algerien, nachdem es anfangs des 18. Jahrhunderts die Abh&auml;ngigkeit von der T&uuml;rkei abgestreift hatte, ein freies Seer&auml;ubernest geworden, welches das Mittelmeer unsicher machte und Sklavenhandel mit Christen trieb. Gegen diese Ruchlosigkeiten der Mohammedaner erkl&auml;rten namentlich Spanien und die nordamerikanische Union, die selbst im Sklavenhandel zu jener Zeit Erkleckliches leisteten, unerbittlichen Krieg. Auch w&auml;hrend der Gro&szlig;en Franz&ouml;sischen Revolution wurde ein Kreuzzug gegen die Anarchie in Algerien proklamiert. Die Unterwerfung Algeriens durch Frankreich war also unter den Losungen der Bek&auml;mpfung der Sklaverei und der Einf&uuml;hrung geordneter, zivilisierter Zust&auml;nde durchgef&uuml;hrt. Die Praxis sollte bald zeigen, was dahinter steckte. In den vierzig Jahren, die seit der Unterwerfung Algeriens verflossen waren, hat bekanntlich kein europ&auml;ischer Staat so h&auml;ufigen Wechsel des politischen Systems durchgemacht wie Frankreich. Auf die Restauration war die Julirevolution und das B&uuml;rgerk&ouml;nigtum gefolgt, auf diese die Februarrevolution, die Zweite Republik, das Zweite Kaiserreich, endlich das Debakel des Jahres 1870 und die Dritte Republik. Adel, Hochfinanz, Kleinb&uuml;rgertum, die breite Schicht der Mittelbourgeoisie l&ouml;sten einander in der politischen Herrschaft ab. Aber ein ruhender Pol in dieser Erscheinungen Flucht war die Politik Frankreichs in Algerien, die von Anfang bis Ende auf ein und dasselbe Ziel gerichtet war und am Saum der afrikanischen W&uuml;ste am besten ver- <A name="S328"></A><B>&lt;328&gt;</B> riet, da&szlig; sich s&auml;mtliche Staatsumw&auml;lzungen Frankreichs im 19. Jahrhundert um ein und dasselbe Grundinteresse: um die Herrschaft der kapitalistischen Bourgeoisie und ihrer Eigentumsform, drehten.</P>
<P>"Die Ihrem Studium unterbreitete Gesetzesvorlage", sagte der Abgeordnete Humbert
am 30. Juni 1873 in der Sitzung der franz&ouml;sischen Nationalversammlung als
Berichterstatter der Kommission zur Ordnung der Agrarverh&auml;ltnisse in Algerien,
"ist nicht mehr als die Kr&ouml;nung des Geb&auml;udes, dessen Fundament durch
eine ganze Reihe von Ordonnanzen, Dekreten, Gesetzen und Senatuskonsulten gelegt
war, die alle zusammen und jedes insbesondere ein und dasselbe Ziel verfolgen:
die Etablierung des Privateigentums bei den Arabern." Die planm&auml;&szlig;ige,
bewu&szlig;te Vernichtung und Aufteilung des Gemeineigentums, das war der unverr&uuml;ckbare
Pol, nach dem sich der Kompa&szlig; der franz&ouml;sischen Kolonialpolitik ungeachtet
aller St&uuml;rme im inneren Staatsleben w&auml;hrend eines halben Jahrhunderts
richtete, und zwar aus dem folgenden klar erkannten Doppelinteresse. Die Vernichtung
des Gemeineigentums sollte vor allem die Macht der arabischen Geschlechter als
sozialer Verb&auml;nde zertr&uuml;mmern und damit ihren hartn&auml;ckigen Widerstand
gegen das franz&ouml;sische Joch brechen, der sich trotz aller Milit&auml;r&uuml;bermacht
Frankreichs in unaufh&ouml;rlichen Rebellionen der St&auml;mme kundtat und einen
unaufh&ouml;rlichen Kriegszustand in der Kolonie zur Folge hatte.<A name="ZF9"><A href="lu05_316.htm#F9">(9)</A></A>
Ferner war der Ruin des Gemeineigentums eine Vorbedingung, um in den wirtschaftlichen
Genu&szlig; des eroberten Landes zu treten, d.h. den seit einem Jahrtausend
von den Arabern besessenen Grund und Boden ihren H&auml;nden zu entrei&szlig;en
und in die H&auml;nde franz&ouml;sischer Kapitalisten zu bringen. Zu diesem
Behufe diente vor allem dieselbe uns schon bekannte Fiktion, wonach der gesamte
Grund und Boden nach muselm&auml;nnischem Gesetz Eigentum des jeweiligen Herrschers
w&auml;re. Genau wie die Engl&auml;nder in Britisch-Indien erkl&auml;rten die
Gouverneure Louis-Philippes in Algerien die Existenz eines Gemeineigentums ganzer
Geschlechter f&uuml;r eine "Unm&ouml;glichkeit" Auf Grund dieser Fiktion wurden
die meisten unbebauten L&auml;ndereien, namentlich aber die Almenden, W&auml;lder
und Wiesen f&uuml;r Staatseigentum erkl&auml;rt und zu Kolonisationszwecken
verwendet. Es kam ein ganzes System der Ansiedelungen, die sog. Cantonnements,
auf, bei dem inmitten der Geschlechterl&auml;ndereien franz&ouml;sische Kolonisten
gesetzt, die St&auml;mme selbst aber auf einem minimalen Gebiet zusammengepfercht
werden sollten. Durch Er- <A name="S329"></A><B>&lt;329&gt;</B> lasse vom Jahre
1830, 1831,1840, 1844, 1845, 1846 wurden diese Diebst&auml;hle an arabischen
Geschlechterl&auml;ndereien "gesetzlich" begr&uuml;ndet. Dieses Ansiedelungssystem
f&uuml;hrte aber in Wirklichkeit gar nicht zur Kolonisation, es hat blo&szlig;
z&uuml;gellose Spekulation und Wucher gro&szlig;gezogen. Die Araber verstanden
in den meisten F&auml;llen, die ihnen weggenommenen L&auml;ndereien zur&uuml;ckzukaufen,
wobei sie freilich tief in Schulden gerieten. Der franz&ouml;sische Steuerdruck
wirkte nach derselben Richtung. Namentlich aber hat das Gesetz vom 16. Juni
1851, das alle Forsten zum Staatseigentum erkl&auml;rte und so 2,4 Millionen
Hektar halb Weide, halb Gestr&uuml;pp den Eingeborenen stahl, der Viehzucht
die Existenzbasis entzogen. Unter dem Platzregen all dieser Gesetze, Ordonnanzen
und Ma&szlig;nahmen entstand in den Eigentumsverh&auml;ltnissen des Landes eine
unbeschreibliche Verwirrung. Zur Ausnutzung der herrschenden fieberhaften Bodenspekulation
und in der Hoffnung auf baldige Zur&uuml;ckgewinnung des Bodens ver&auml;u&szlig;erten
viele Eingeborene ihre Grundst&uuml;cke an Franzosen, wobei sie h&auml;ufig
an zwei und drei K&auml;ufer zugleich dasselbe Grundst&uuml;ck verkauften, das
sich obendrein gar nicht als ihr Eigentum, sondern als unver&auml;u&szlig;erliches
Geschlechtereigentum herausstellte. So glaubte eine Spekulantengesellschaft
aus Rouen 20.000 Hektar gekauft zu haben, w&auml;hrend sie im Resultat nur 1.370
Hektar strittigen Gebietes ihr eigen nennen durfte. In einem anderen Falle stellte
sich ein verkauftes Gebiet von 1.230 Hektar nach der Aufteilung als 2 Hektar
aus. Es folgte eine unendliche Reihe von Prozessen, wobei die franz&ouml;sischen
Gerichte prinzipiell alle Aufteilungen und Anspr&uuml;che der K&auml;ufer unterst&uuml;tzten.
Unsicherheit der Verh&auml;ltnisse, Spekulation, Wucher und Anarchie wurden
allgemein. Aber der Plan der franz&ouml;sischen Regierung, sich mitten in der
arabischen Bev&ouml;lkerung eine starke St&uuml;tze in einer franz&ouml;sischen
Kolonistenmasse zu schaffen, hat elend Schiffbruch gelitten. Deshalb nimmt die
franz&ouml;sische Politik unter dem Zweiten Kaiserreich eine andere Wendung:
Die Regierung, die sich nach 30 Jahren hartn&auml;ckigen Leugnens des Gemeineigentums
in ihrer europ&auml;ischen Borniertheit eines Besseren hat belehren lassen m&uuml;ssen,
erkannte endlich offiziell die Existenz des ungeteilten Geschlechtereigentums
an, doch nur, um im gleichen Atem die Notwendigkeit seiner gewaltsamen Aufteilung
zu proklamieren. Diesen Doppelsinn hat der Senatuskonsult vom 22. April 1863.
"Die Regierung", erkl&auml;rte General Allard im Staatsrat, "verliert nicht
aus dem Auge, da&szlig; das allgemeine Ziel ihrer Politik dies ist, den Einflu&szlig;
der Geschlechtervorsteher zu schw&auml;chen und die Geschlechter aufzul&ouml;sen.
Auf diese Weise wird es die letzten Reste des Feudalismus (!) beseitigen, als
dessen Verteidiger die Gegner der Regierungs- <A name="S330"></A><B>&lt;330&gt;</B>
vorlage auftreten. Die Herstellung des Privateigentums, die Ansiedelung europ&auml;ischer
Kolonisten inmitten der arabischen Geschlechter ..., das werden die sichersten
Mittel zur Beschleunigung des Aufl&ouml;sungsprozesses der Geschlechtsverb&auml;nde
sein."<A name="ZF10"><A href="lu05_316.htm#F10">(10)</A></A> Das Gesetz vom Jahre 1863 schuf
zum Zwecke der Aufteilung der L&auml;ndereien besondere Kommissionen, die folgenderma&szlig;en
zusammengesetzt waren: ein Brigadegeneral oder Hauptmann als Vorsitzender, ferner
ein Unterpr&auml;fekt, ein Beamter der arabischen Milit&auml;rbeh&ouml;rden
und ein Beamter der Dom&auml;nenverwaltung. Diesen geborenen Kennern wirtschaftlicher
und sozialer Verh&auml;ltnisse Afrikas wurde die dreifache Aufgabe gestellt:
erst die Grenzen der Geschlechtergebiete genau abzustecken, dann das Gebiet
jedes einzelnen Geschlechts unter seine einzelnen Zweige oder Gro&szlig;familien
aufzuteilen und endlich auch diese Gro&szlig;familienl&auml;ndereien in einzelne
Privatparzellen zu zerschlagen. Der Feldzug der Brigadegener&auml;le ins Innere
Algeriens wurde p&uuml;nktlich ausgef&uuml;hrt, die Kommissionen begaben sich
an Ort und Stelle, wobei sie Feldmesser, Landaufteiler und obendrein Richter
in allen Landstreitigkeiten in einer Person waren. Der Generalgouverneur von
Algerien sollte die Aufteilungspl&auml;ne in letzter Instanz best&auml;tigen.
Nachdem die Kommissionen 10 Jahre lang im Schwei&szlig;e ihres Angesichts gearbeitet
hatten, war das Resultat folgendes: Von 1863 bis 1873 wurden von den 700 arabischen
Geschlechtergebieten zirka 400 unter die Gro&szlig;familien aufgeteilt. Schon
hier wurde zur k&uuml;nftigen Ungleichheit, zum Gro&szlig;grundbesitz und zur
kleinen Parzelle der Grund gelegt. Denn je nach der Gr&ouml;&szlig;e des Gebietes
und der Zahl der Mitglieder eines Geschlechts entfiel pro Mitglied bald 1 bis
4 Hektar, bald 100 und selbst 180 Hektar Land. Die Aufteilung blieb jedoch bei
den Gro&szlig;familien stehen. Die Aufteilung des Familiengebietes begegnete
trotz aller Brigadegener&auml;le un&uuml;berwindlichen Schwierigkeiten in den
Sitten der Araber. Der Zweck der franz&ouml;sischen Politik: die Schaffung des
individuellen Eigentums und dessen &Uuml;berf&uuml;hrung in den Besitz der Franzosen,
war also wieder einmal im gro&szlig;en und ganzen gescheitert.</P>
<P>Erst die Dritte Republik, das unumwundene Regiment der Bourgeoisie, hat den Mut und den Zynismus gefunden, alle Umschweife auf die Seite zu legen und ohne die vorbereitenden Schritte des Zweiten Kaiserreichs die Sache vom anderen Ende anzugreifen. Die direkte Aufteilung der Gebiete aller 700 arabischen Geschlechter in individuelle Anteile, eine <A name="S331"></A><B>&lt;331&gt;</B> parforce Einf&uuml;hrung des Privateigentums in k&uuml;rzester Zeit, das war der offen ausgesprochene Zweck des Gesetzes, den die Nationalversammlung im Jahre 1873 ausgearbeitet hat. Den Vorwand dazu boten die verzweifelten Zust&auml;nde der Kolonie. Genau wie erst die gro&szlig;e Hungersnot in Indien 1866 der &Ouml;ffentlichkeit in England die sch&ouml;nen Resultate der englischen Kolonialpolitik drastisch vor die Augen gef&uuml;hrt und eine parlamentarische Kommission zur Untersuchung der Mi&szlig;st&auml;nde veranla&szlig;t hatte, so wurde Europa zu Ende der sechziger Jahre durch den Notschrei aus Algerien alarmiert, wo massenhafte Hungersnot und au&szlig;erordentliche Sterblichkeit unter den Arabern &uuml;ber 40 Jahre franz&ouml;sischer Herrschaft quittierten. Zur Untersuchung der Ursachen und zur Begl&uuml;ckung der Araber durch neue gesetzliche Ma&szlig;nahmen wurde eine Kommission eingesetzt, die zu dem einstimmigen Beschlusse kam, da&szlig; den Arabern als Rettungsanker nur eins helfen k&ouml;nne - das Privateigentum. Dann erst w&uuml;rde n&auml;mlich jeder Araber in der Lage sein, sein Grundst&uuml;ck zu verkaufen oder darauf Hypotheken aufzunehmen und sich so vor der Not zu sch&uuml;tzen. Um also der Notlage der Araber abzuhelfen, die durch teilweise von den Franzosen bereits ausgef&uuml;hrte Diebereien an algerischem Grund und Boden wie durch die von ihnen geschaffene Steuerlast und damit verbundene Verschuldung der Araber entstanden war, erkl&auml;rte man als einziges Mittel: die vollst&auml;ndige Auslieferung der Araber in die Krallen des Wuchers. Diese Possenrei&szlig;erei wurde vor der Nationalversammlung mit v&ouml;llig ernstem Gesicht Vorgetragen und von der w&uuml;rdigen K&ouml;rperschaft mit ebensolchem Ernst aufgenommen. Die Schamlosigkeit der "Sieger" &uuml;ber die Pariser Kommune feierte Orgien.</P>
<P>Zwei Argumente dienten besonders in der Nationalversammlung zur St&uuml;tze des neuen Gesetzes. Die Araber selbst w&uuml;nschen dringend die Einf&uuml;hrung des Privateigentums, betonten immer wieder die Verteidiger der Regierungsvorlage. In der Tat, sie w&uuml;nschten es, n&auml;mlich die Bodenspekulanten und die Wucherer in Algerien, die ein dringendes Interesse daran hatten, ihre Opfer aus den sch&uuml;tzenden Banden der Geschlechter und ihrer Solidarit&auml;t zu "befreien". Solange n&auml;mlich das muselm&auml;nnische Recht in Algerien galt, fand die Verpf&auml;ndung des Grund und Bodens an der Nichtver&auml;u&szlig;erlichkeit des Gentil- und Familienbesitzes eine un&uuml;berwindliche Schranke. Erst das Gesetz von 1863 hatte darin eine Bresche geschlagen. Es galt, das Hindernis ganz wegzur&auml;umen, um dem Wucher freien Spielraum zu lassen. Das zweite Argument war ein "wissenschaftliches". Es stammte aus demselben geistigen Arsenal, aus dem der ehrw&uuml;rdige James Mill seine Verst&auml;ndnislosigkeit f&uuml;r die Eigentumsverh&auml;ltnisse Indiens sch&ouml;pfte: <A name="S332"></A><B>&lt;332&gt;</B> aus der englischen klassischen National&ouml;konomie. Das Privateigentum ist die notwendige Vorbedingung jeder intensiveren, besseren Bodenbebauung in Algerien, die Hungersn&ouml;ten vorbeugen w&uuml;rde, denn es ist klar, da&szlig; niemand Kapital oder intensive Arbeit in einen Boden stecken will, der nicht sein individuelles Eigentum ist und dessen Fr&uuml;chte nicht ausschlie&szlig;lich von ihm genossen werden - deklamierten mit Emphase die wissenschaftlich gebildeten J&uuml;nger Smith-Ricardos. Die Tatsachen freilich redeten eine andere Sprache. Sie zeigten, da&szlig; die franz&ouml;sischen Spekulanten das von ihnen in Algerien geschaffene Privateigentum zu allem anderen gebrauchten, nur nicht zur intensiveren und h&ouml;heren Bodenbebauung. Von den 400.000 Hektar Landes, die im Jahre 1873 den Franzosen geh&ouml;rten, befanden sich 120.000 Hektar in den H&auml;nden der beiden kapitalistischen Gesellschaften, der Algerischen und der Setif-Kompanie, die ihre L&auml;ndereien &uuml;berhaupt nicht selbst bewirtschafteten, sondern den Eingeborenen in Pacht zur&uuml;ckgaben, die sie ihrerseits in althergebrachter Weise bebauten. Ein Viertel der &uuml;brigen franz&ouml;sischen Eigent&uuml;mer befa&szlig;te sich ebensowenig mit Landwirtschaft. Die Kapitaleinlagen und intensive Bodenbebauung lie&szlig;en sich eben hier sowenig wie die kapitalistischen Verh&auml;ltnisse &uuml;berhaupt k&uuml;nstlich aus dem Boden stampften. Diese bestanden nur in der profitgierigen Phantasie der franz&ouml;sischen Spekulanten und in der doktrin&auml;ren Nebelwelt ihrer wissenschaftlichen Ideologen aus der National&ouml;konomie. Es handelte sich einfach, wenn man die Vorw&auml;nde und die Floskeln in der Begr&uuml;ndung des Gesetzes von 1873 auf die Seite schiebt, um den nackten Wunsch, den Arabern ihre Existenzbasis, den Grund und Boden, zu entrei&szlig;en. Und trotz aller Fadenscheinigkeit der Argumentation, trotz offensichtlicher Verlogenheit seiner Begr&uuml;ndung wurde das Gesetz, das der Bev&ouml;lkerung Algeriens und ihrem materiellen Wohlstand den Todessto&szlig; versetzen sollte, am 26. Juli 1873 fast einstimmig angenommen.</P>
<P>Doch das Fiasko des Gewaltstreiches lie&szlig; nicht lange auf sich warten. Die Politik der Dritten Republik scheiterte an der Schwierigkeit, das b&uuml;rgerliche Privateigentum in uralten kommunistischen Gro&szlig;familienverb&auml;nden mit einem Schlage einzuf&uuml;hren, genauso, wie die Politik des Zweiten Kaiserreichs daran gescheitert war. Das Gesetz vom 26. Juli 1873, das durch ein zweites Gesetz vom 28. April 1887 erg&auml;nzt wurde, ergab nach 17j&auml;hriger Wirkung das folgende Resultat: Bis 1890 waren 14 Millionen Franc f&uuml;r ein Bereinigungsverfahren von 1,6 Millionen Hektar ausgegeben. Man berechnete, da&szlig; die Fortsetzung des Verfahrens bis 1950 h&auml;tte dauern und weitere 60 Millionen Franc kosten m&uuml;ssen. Das Ziel jedoch, <A name="S333"></A><B>&lt;333&gt;</B> den Gro&szlig;familienkommunismus zu beseitigen, war dabei immer noch nicht erreicht. Das einzige, was wirklich und unzweifelhaft bei alledem erreicht wurde, war eine tolle Bodenspekulation, ein &uuml;ppig gedeihender Wucher und der wirtschaftliche Ruin der Eingeborenen.</P>
<P>Das Fiasko der gewaltsamen Einf&uuml;hrung des Privateigentums f&uuml;hrte
darauf zu einem neuen Experiment. Obwohl das algerische Generalgouvernement
schon 1890 eine Kommission eingesetzt hatte, die die Gesetze von 1873 und 188
nachgepr&uuml;ft und verurteilt hat, dauerte es noch 7 Jahre, bis die Herren
Gesetzgeber an der Seine sich zu einer Reform im Interesse des ruinierten Landes
aufrafften. Bei der neuen Schwenkung hat man von der zwangsweisen Einf&uuml;hrung
des Privateigentums von Staats wegen im Prinzip abgesehen. Das Gesetz vom 27.
Februar 1897 sowie die Instruktion des algerischen Generalgouverneurs vom 7.
M&auml;rz 1898 sehen haupts&auml;chlich die Einf&uuml;hrung des Privateigentums
auf freiwilligen Antrag der Eigent&uuml;mer oder der Erwerber vor.<A name="ZF11"><A href="lu05_316.htm#F11">(11)</A></A>
Da jedoch bestimmte Klauseln auch die Einf&uuml;hrung des Privateigentums auf
Antrag <I>eines</I> Eigent&uuml;mers ohne Zustimmung der &uuml;brigen Miteigent&uuml;mer
des Grund und Bodens f&uuml;r zul&auml;ssig erkl&auml;ren und da ferner ein
"freiwilliger" Antrag der verschuldeten Besitzer unter dem Drucke des Wucherers
jeden Augenblick nach Wunsch herbeigef&uuml;hrt werden kann, so &ouml;ffnet
auch das neue Gesetz der weiteren Zernagung und Auspl&uuml;nderung der Stammesl&auml;ndereien
und der Gro&szlig;familienbesitzungen durch franz&ouml;sische und eingeborene
Kapitalisten T&uuml;r und Tor.</P>
<P>Die achtzigj&auml;hrige Vivisektion an Algerien findet namentlich in der letzten
Zeit um so schw&auml;cheren Widerstand, als die Araber durch die Unterwerfung
einerseits Tunesiens 1881, anderseits neuerdings Marokkos von dem franz&ouml;sischen
Kapital immer mehr eingekreist und ihm rettungslos preisgegeben werden. Das
j&uuml;ngste Ergebnis des franz&ouml;sischen Regimes in Algerien ist die Massenauswanderung
der Araber nach der asiatischen T&uuml;rkei. <A name="ZF12"><A href="lu05_316.htm#ZF12">(12)</A></A></P>
<P><HR><P></P>
<P>Fu&szlig;noten von Rosa Luxemburg</P>
<P><A name="F1">(1)</A> Nachdem er in seiner Geschichte Britisch-Indiens die Zeugnisse aus den verschiedensten Quellen, aus Mungo Park, Herodot, Volney, Acosta, Garcilaso de la Vega, Abb&eacute; Grosier, Barrow, Diodorus, Strabo u.a., wahllos und kritiklos zusammengeschleppt hat, um den Satz zu konstruieren, da&szlig; in primitiven Verh&auml;ltnissen der Grund und Boden stets und &uuml;berall Eigentum des Herrschers war, zieht Mill durch Analogie auch f&uuml;r Indien den folgenden Schlu&szlig;: "From these facts only one conclusion can be drawn, that the property of the soil resided in the sovereign, for if it did not reside in him, it will be impossible to show to whom it belonged." (James Mill: The History of British-India, Bd. I, 4. Aufl., 1840. S. 311) Zu dieser klassischen Schlu&szlig;folgerung des b&uuml;rgerlichen &Ouml;konomen gibt sein Herausgeber H. H. Wilson, der als Professor des Sanskrit an der Universit&auml;t in Oxford genauer Kenner der altindischen Rechtsverh&auml;ltnisse war, einen interessanten Kommentar. Nachdem er schon in der Vorrede seinen Autor als einen Parteig&auml;nger charakterisiert, der die ganze Geschichte Britisch-Indiens zur Rechtfertigung der theoretical views of Mr. Bentham zurechtgestutzt und dabei mit zweifelhaftesten Mitteln ein Zerrbild des Hinduvolkes gezeichnet h&auml;tte (a portrait of the Hindus which has no resemblance whereever to the original, and which almost outrages humanity), macht er die folgende Fu&szlig;note: "The greater part of the text and of the notes here is wholly irrelevant. The illustrations drawn from Mahometans practice, supposing them to be correct, have nothing to do with the laws and rights of the Hindus. They are not, however, even accurate, and Mr. Mill's guides have misled him." Wilson bestreitet dann rundweg speziell in bezug auf Indien die Theorie von dem Eigentumsrecht des Souver&auml;ns auf Grund und Boden. (Siehe l.c., S. 305, Fu&szlig;note.) Auch Henry Maine meint, da&szlig; die Engl&auml;nder ihren anf&auml;nglichen Anspruch auf den gesamten Grundbesitz in Indien, den Maine wohl als grundfalsch erkennt, von ihren muselmanischen Vorg&auml;ngern &uuml;bernommen h&auml;tten: "The assumption which the English first made was one which they inherited from their Mahometan predecessors. It was, that all the soil belonged in absolute property to the sovereign, and that all private property in land existed by his sufferance. The Mahometan theory and the corresponding Mahometan practice had put out of sight the ancient view of the sovereign's rights, which though it assigned to him a far larger share of the produce of the land than any western ruler has ever claimed, yet in nowise denied the existence of &#9;private property in land" (Village communities in the East and West, 5. Aufl., 1890. 104). Maxim Kowalewski hat demgegen&uuml;ber gr&uuml;ndlich nachgewiesen, da&szlig; die angebliche "muselm&auml;nnische Theorie und Praxis" blo&szlig; eine englische Fabel war. (Siehe seine ausgezeichnete Studie in russischer Sprache: Das Gemeineigentum an Grund und Boden. Ursachen, Verlauf und Folgen seiner Zersetzung. Teil I, Moskau 1879.) Die englischen Gelehrten wie &uuml;brigens auch ihre franz&ouml;sischen Kollegen halten jetzt zum Beispiel an einer analogen Fabel in bezug auf China fest, indem sie behaupten, alles Land sei dort Eigentum des Kaisers gewesen. Siehe die Widerlegung dieser Legende bei Dr. O. Franke: Die Rechtsverh&auml;ltnisse am Grundeigentum in China. 1903.) <A href="lu05_316.htm#ZF1">&lt;=</A></P>
<P><A name="F2">(2)</A> "The partition of inheritance and execution for debt levied
on land are destroying the communities - this is the formla heard now-a-days
everywhere in India." Henry Maine: l.c., S.113.) <A href="lu05_316.htm#ZF2">&lt;=</A></P>
<P><A name="F3">(3)</A> Diese typische Beleuchtung der offiziellen britischen
Politik in den Kolonien findet man z.B. bei dem langj&auml;hrigen Vertreter
der englischen Macht in Indien, Lord Roberts of Kandahar, der zur Erkl&auml;rung
des Sepoyaufstandes nichts anderes anzuf&uuml;hren wei&szlig; als lauter "Mi&szlig;verst&auml;ndnisse"
&uuml;ber die v&auml;terlichen Absichten der englischen Regenten: "Der Siedelungskommission
warf man f&auml;lschlicherweise Ungerechtigkeit vor, wenn sie, wie es ihre Pflicht
war, die Berechtigung von Landbesitz und auch die F&uuml;hrung von damit verbundenen
Titeln kontrollierte, um dann den rechtm&auml;&szlig;igen Besitzer eines Grundst&uuml;cks
zur Grundsteuer heranzuziehen ... Nachdem Frieden und Ordnung hergestellt war,
mu&szlig;te der Landbesitz, welcher teilweise durch Raub und Gewalt erlangt
war, wie das unter den eingeborenen Regenten und Dynastien die Gewohnheit ist,
gepr&uuml;ft werden. Unter diesen Gesichtspunkten wurden Er&ouml;rterungen angestellt
in bezug auf Besitzrecht usw. Das Resultat dieser Untersuchungen war, da&szlig;
viele Familien von Rang und Einflu&szlig; sich einfach das Eigentum ihrer weniger
angesehenen Nachbarn angeeignet hatten oder sie zu einer Steuer heranzogen,
die ihrem Landbesitz entsprach. Das wurde in gerechter Weise abge&auml;ndert.
Obwohl diese Ma&szlig;regel mit gro&szlig;er R&uuml;cksicht und in der besten
Meinung getroffen wurde, war sie doch den h&ouml;heren Klassen &auml;u&szlig;erst
unangenehm, w&auml;hrend es nicht gelang, die Massen zu vers&ouml;hnen. Die
regierenden Familien nahmen uns die Versuche, eine gerechte Verteilung der Rechte
und gleichm&auml;&szlig;ige Besteuerung des Landbesitzes herbeizuf&uuml;hren,
geh&ouml;rig &uuml;bel ... Obwohl auf der anderen Seite die Landbev&ouml;lkerung
durch unsere Regierung bessergestellt wurde, kam sie doch nicht zur Erkenntnis,
da&szlig; wir beabsichtigten, durch alle diese Ma&szlig;regeln ihre Lage zu
bessern." (Forty one years in India, Bd. I, deutsche Ausgabe 1904, S. 307.)
<A href="lu05_316.htm#ZF3">&lt;=</A></P>
<P><A name="F4">(4)</A> In den Regierungsmaximen Timurs (1783 aus dem Persischen ins Englische &uuml;bersetzt, hie&szlig; es</P>
<P>"And I commanded that they should build places of worship, and monasteries in every city; and that they should erect structures for the reception of travellers on the high roads and that they should make bridges across the rivers.</P>
<P>An I commanded that the ruined bridges should be repaired and that bridges should be constructed over the rivulets and over the rivers; and that on the roads, at the distance of one stage from each other, Kauruwansarai should be erected, and that guards and watchers &amp;c. should be stationed on the road, and that in every Kauruwansarai people should be appointed to reside etc.</P>
<P>And I ordained, whoever undertook the cultivation of waste lands, or build an aqueduct, or made a canal or planted a grove, or restored to culture a deserted district, that in the first year nothing should be taken from him, and that in the second year, whatever the subject voluntarily offered should be received, and that in the third year the duties, should he collected according to the regulation." (James Mill: The History of British India, Bd. II. 4. Aufl., S. 492-498.) <A href="lu05_316.htm#ZF4">&lt;=</A></P>
<P><A name="F5">(5)</A> Graf Warren: De l'&eacute;tat moral de la population indig&egrave;ne.
Zit. bei: Kowalewski: l.c., S. 164. <A href="lu05_316.htm#ZF5">&lt;=</A></P>
<P><A name="F6">(6)</A> Historical and descriptive account of British India from
the most remote period to the conclusion of the Afghan war by Hugh Marray, James
Wilson, Greville, Prof. Jameson, William Wallace and Captain Dalrymple, Bd.
II, 4. Aufl., Edinburgh 1843, S. 427. Zit. bei Kowalewski: l.c. <A href="lu05_316.htm#ZF6">&lt;=</A></P>
<P><A name="F7">(7)</A> Siehe Victor v. Leyden: Agrarverfassung und Grundsteuer
in Britisch-Ostindien In: Jahrbuch f&uuml;r Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft,
XXXVI. Jg., Heft 4, S. 1855. <A href="lu05_316.htm#ZF7">&lt;=</A></P>
<P><A name="F8">(8)</A> "Presque toujours, le p&egrave;re de famille en mourant
recommande &agrave; ses descendants de vivre dans l'indivision, suivant l'exemple
de leurs a&iuml;eux t'est l&agrave; sa derni&egrave;re exhortation et son v<>u
le plus cher." (A. Hanotaux et A. Letourneux: La Kabylie et les coutumes Kabyles
Bd. 1; Droit civil, 1873, S. 468-473.) Die Verfasser bringen es &uuml;brigens
fertig, die oben wiedergegebene frappante Schilderung des Gro&szlig;familienkommunismus
mit der folgenden Sentenz einzuleiten: "Dans la ruche laborieuse de la famille
associ&eacute;e, tous sont r&eacute;unis dans un but commun, tous travaillent
dans un int&eacute;r&ecirc;t g&eacute;n&eacute;ral; mais nul n'abdique sa libert&eacute;
et ne renonce &agrave; ses droits h&eacute;r&eacute;ditaires. Chez aucune nation
on ne trouve de combinaison qui soit plus pr&egrave;s de l'&eacute;galit&eacute;
et <I>plus loin du communisme</I>!" <A href="lu05_316.htm#ZF8">&lt;=</A></P>
<P><A name="F9">(9)</A> "Wir m&uuml;ssen uns beeilen", erkl&auml;rte in der Nationalversammlung
1851 der Abgeordnete Didier als Berichterstatter, "die Geschlechtsverb&auml;nde
aufzul&ouml;sen, denn sie sind der Hebel jeder Opposition gegen unsere Herrschaft."
<A href="lu05_316.htm#ZF9">&lt;=</A></P>
<P><A name="F10">(10)</A> Zit. bei: Kowalewski: l.c., S. 217. Bekanntlich ist in Frankreich seit der gro&szlig;en Revolution Mode, jede Opposition gegen die Regierung als offene oder versteckte Verteidigung des "Feudalismus" zu bezeichnen. <A href="lu05_316.htm#ZF10">&lt;=</A></P>
<P><A name="F11">(11)</A> Vgl. G. K. Anton: Neuere Agrarpolitik in Algerien und Tunesien. In: Jahrbuch f&uuml;r Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, 1900, S. 1341 ff. <A href="lu05_316.htm#ZF11">&lt;=</A></P>
<P><A name="F12">(12)</A> In seiner Rede am 20. Juni 1912 in der franz&ouml;sischen Abgeordnetenkammer f&uuml;hrte der Berichterstatter der Kommission f&uuml;r die Reform des "Indigenants" (der administrativen Justiz) in Algerien, Albin Rozet, die Tatsache an, da&szlig; aus dem Bezirk Setif Tausende Algerier emigrieren. Aus Tlemcen sind im vergangenen Jahre in einem Monat 1.200 Eingeborene ausgewandert. Das Ziel der Auswanderung ist Syrien. Ein Auswanderer schrieb aus der neuen Heimat: "Ich habe mich jetzt in Damaskus niedergelassen und bin vollkommen gl&uuml;cklich. Wir sind hier in Syrien zahlreiche Algerier, die gleich mir ausgewandert sind und denen die Regierung Grund und Boden bewilligt sowie die Mittel zu seiner Bearbeitung erleichtert hat." Die algerische Regierung bek&auml;mpft die Auswanderung in der Weise, da&szlig; sie - die P&auml;sse verweigert. (Siehe Journal officiel vom 21. Juni 1912, S. 1594 ff.) <A href="lu05_316.htm#ZF12">&lt;=</A></P></BODY>
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