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<TITLE>Teil 1; V. Kapitel: Die Zwangsfamilie als Erziehungsapparat</TITLE>
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<BODY BGCOLOR="#ffff80">
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Wilhelm Reich
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Die sexuelle Revolution
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Quelle: Fischer Taschenbuch, Frankfurt / Main 1972
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Teil 1; V. Kapitel: Die Zwangsfamilie als Erziehungsapparat
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Die wichtigste Erzeugungsstätte der ideologischen Atmosphäre des
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Konservatismus ist die Zwangsfamilie. Ihr Grundtypus ist das Dreieck: Vater,
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Mutter und Kind. Während die konservative Anschauung in der Familie
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die Grundlage, wie manche sagen, die "Zelle" der menschlichen Gesellschaft
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überhaupt sieht, erblicken wir in ihr bei Berücksichtigung ihrer
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Wandlungen im Laufe der historischen Entwicklung und ihrer jeweiligen
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gesellschaftlichen Funktion ein <I>Ergebnis</I> bestimmter ökonomischer
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Strukturen. Wir sehen also die Familie nicht als Baustein und Grundlage,
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sondern als Folge einer bestimmten ökonomischen Struktur der Gesellschaft
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an (matriarchalische, patriarchalische Familie, Zadruga, polygynes und monogynes
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Patriarchat usw.).
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<P>
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Wenn aber die konservative Sexualforschung, die reaktionäre Sozialethik
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und die Rechtsordnung von der Familie immer wiederum als <I>der</I> Grundlage
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des "Staates" und der "Gesellschaft" sprechen, so haben sie nur in dem Sinne
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recht, daß die Zwangsfamilie zum Bestand des autoritären Staates
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und der autoritären Gesellschaft unabtrennbar gehört. Ihr
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gesellschaftlicher Sinn erschöpft sich in drei Grundeigenschaften:
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<OL>
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<LI>
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Ökonomisch: Sie war in den Anfängen des Kapitalismus der
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wirtschaftliche Kleinbetrieb und ist es heute noch in der Bauernschaft und
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im Kleingewerbe.
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<LI>
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Sozial: Sie hat in der autoritären Gesellschaft die wichtige Funktion
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des Schutzes der wirtschaftlich und sexuell entrechteten Frau und der Kinder.
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<LI>
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Politisch: Während die Familie in der vorkapitalistischen Zeit des
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Privateigentums und in den Anfängen des Kapitalismus eine unmittelbare
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ökonomische Wurzel in der familiären Kleinwirtschaft (wie heute
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noch in der Kleinbauernwirtschaft) hatte, vollzog sich mit der Entwicklung
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der Produktivkräfte und der Kollektivierung des Arbeitsprozesses ein
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<I>Funktionswechsel</I> der Familie. Ihre unmittelbare ökonomische Basis
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verlor an Bedeutung, und zwar zunehmend mit dem Grad der Einbeziehung der
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Frauen in den Produktionsprozeß; was an ökonomischer Basis
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verlorenging, wurde durch ihre politische Funktion ersetzt. Ihre kardinale
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Aufgabe, diejenige, um derentwillen sie von konservativer Wissenschaft und
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konservativem Recht am meisten verteidigt wird, ist ihre Eigenschaft als
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<I>Fabrik autoritärer Ideologien</I> und konservativer Strukturen.
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</OL>
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<P>
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Sie bildet den Erziehungsapparat, durch den fast ausnahmslos jedes Mitglied
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der Gesellschaft vom ersten Atemzug an hindurch muß. Nicht nur als
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Institution autoritärer Art, sondern wie wir gleich sehen werden, kraft
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der ihr eigenen Struktur beeinflußt sie das Kind im Sinne der konservativen
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Weltanschauung; sie ist der Mittler zwischen der wirtschaftlichen Struktur
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der Gesellschaft und deren ideologischem Überbau, sie ist durchtränkt
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von der konservativen Atmosphäre, die sich notwendigerweise jedem ihrer
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Mitglieder unauslöschlich einprägt. Sie übermittelt durch
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ihre Formation und durch direkte Beeinflussung nicht nur allgemeine Einstellungen
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zur bestehenden Gesellschaftsordnung und konservative Gesinnungsart, sondern
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nimmt auch insbesondere durch die sexuelle Struktur, der sie entspringt und
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die sie weiterpflanzt, unmittelbaren Einfluß auf die sexuelle Struktur
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der Kinder im konservativen Sinne.
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<P>
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Es ist kein Zufall, daß die Einstellung der Jugend für beziehungsweise
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gegen die herrschende Ordnung bis zu einem sehr hohen Grade in einem
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proportionalen Verhältnis zu ihrer Einstellung für beziehungsweise
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gegen die Familie steht. Es ist auch kein Zufall, daß die konservative
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und die reaktionäre Jugend im großen und ganzen, von abweichenden
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Einzelfällen abgesehen, familienanhänglich und -erhaltend, die
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revolutionäre Jugend dagegen familienfeindlich und -zerstörend
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ist und sich aus dem Familienverband mehr oder weniger vollständig
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löst.
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<P>
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Das hängt mit der sexualfeindlichen Atmosphäre und Struktur der
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Familie, mit den Beziehungen der Familienmitglieder zueinander aufs innigste
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zusammen.
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<P>
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Wir haben demnach, wenn wir die erzieherische Bedeutung der Familie betrachten,
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zwei Tatbestände gesondert zu untersuchen: den Einfluß der konkreten
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gesellschaftlichen Ideologien, die sich der Familenerziehung bei der
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Beeinflussung der Jugend bedienen, und den unmittelbaren Einfluß der
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"Dreiecksstruktur" selbst.
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<P>
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<HR>
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<H3>
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1. Der Einfluß der gesellschaftlichen Ideologie
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</H3>
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<P>
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Die Familien des Großbürgertums unterscheiden sich von denen des
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Kleinbürgertums, und diese wieder von denen der Industriearbeiter. Sie
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alle sind aber der gleichen sexualmoralischen Atmosphäre ausgesetzt,
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die die spezifische Klassenmoral nicht austilgt, sondern diese bleibt teils
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widerspruchsvoll neben jener bestehen, teils schließt sie mit ihr
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Kompromisse.
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<P>
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Der vorherrschende Typus der Familie, der kleinbürgerliche, reicht nun
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bedeutend weiter als die gesellschaftliche Schicht "Kleinbürgertum",
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weit hinein bis ins Großbürgertum und noch weiter in die
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Industriearbeiterschaft. Die Grundlage der kleinbürgerlichen Familie
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ist die Beziehung des patriarchalischen Vaters zu Frau und Kindern. Er ist
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sozusagen der Exponent und Vertreter der staatlichen Autorität in der
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Familie. Er ist wegen des Widerspruchs zwischen seiner Stellung im
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Produktionsprozeß (Diener) und seiner Familienfunktion (Herr) folgerichtig
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und typisch eine Feldwebelnatur; er duckt sich nach oben, saugt die herrschenden
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Anschauungen restlos auf (daher seine Nachahmungstendenz) und er herrscht
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nach unten; er gibt die obrigkeitlichen und gesellschaftlichen Anschauungen
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weiter und setzt sie durch.
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<P>
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In <I>sexualideologischer</I> Hinsicht fällt in der kleinbürgerlichen
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Familie die gesellschaftliche Eheideologie mit dem Kern der Familie
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überhaupt, der dauermonogamen Ehe, zusammen. So miserabel und trostlos,
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leidvoll und unerträglich die Ehesituation und Familienkonstellation
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ist, ideologisch muß sie nach außen sowohl wie nach innen von
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den Familienmitgliedern verfochten werden. Die gesellschaftliche Notwendigkeit
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dieses Seins zwingt zum Vertuschen der Misere und zu ideologischem Hochhalten
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der Familie und Ehe, erzeugt auch die weitverbreitete
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Familiensentimentalität und die Schlagworte vom 'Familienglück',
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vom 'trauten Heim', vom 'stillen Ruhepunkt' und vom Glück, das die Familie
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für die Kinder angeblich bedeutet.
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<P>
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Aus der Tatsache, daß es in unserer Gesellschaft außerhalb der
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Ehe und Familie noch trostloser aussieht, weil da jeder materielle, rechtliche
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und ideologische Schutz des Sexuallebens fehlt, schließt man auf die
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Naturnotwendigkeit der Familieninstitution. Das Verschleiern vor sich selbst
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und die sentimentalen Schlagworte, welche wichtige Bestandteile der ideologischen
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Beeinflussungsatmosphäre bilden, sind seelisch notwendig, denn sie
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unterstützen das Durchhalten und der seelisch unökonomischen
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Familiensituation. So erklärt es sich, daß die Behandlung von
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Neurosen so leicht den Familien- und Ehezusammenhang zerstört; sie
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räumt nämlich mit den Illusionen auf, die Wahrheit tritt unerbittlich
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zutage.
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<P>
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<I>Erziehung zur Ehe und zur Familie ist das Ziel der Aufzucht der Kinder
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von Anbeginn.</I> Die Erziehung zum Beruf tritt ja erst viel später
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hinzu. Die sexualverneinende und -verleugnende Erziehung ist nicht nur von
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der gesellschaftlichen Atmosphäre diktiert, sondern sie wird notwendig
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durch die Sexualverdrängung der Erwachsenen. Ohne umfassenden Sexualverzicht
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ist ein Existieren in der Familienatmosphäre nicht möglich.
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<P>
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In der typischen kleinbürgerlichen Familie nimmt die Beeinflussung des
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sexuellen Triebapparates bestimmte, für sie spezifische Formen an, welche
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die individuelle Disposition für "Ehe- und Familiensinn" legen. Es wird
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nämlich die prägenitale Erotik durch Überbetonung der Eß-
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und Exkretionsfunktionen fixiert, während die genitale Betätigung
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restlos unterbunden wird (Onaniebekämpfung). Die genitale Hemmung und
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die prägenitale Fixierung bedingen eine Verschiebung des sexuellen
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Interesses ins Sadistische, und die sexuelle Wißbegierde des Kindes
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wird aktiv unterdrückt. Das gerät in Widerspruch mit der Wohnungslage,
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der allgemeinen sexuellen Ungeniertheit der Eltern und mit dem unvermeidlich
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sexuell betonten Milieu in der Familie. Die Kinder nehmen ja doch alle
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Vorgänge wahr, wenn auch verzerrt und mit falschen Auslegungen durchsetzt.
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<P>
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Die ideologische und erzieherische Hemmung des Sexuellen einerseits, das
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Mitansehen und Miterleben der intimsten Vorgänge unter den Erwachsenen
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andererseits setzen im Kinde bereits die Grundlage zur sexuellen Heuchelei.
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Das ist etwas gemildert in Industriearbeiterfamilien, wo die Betonung der
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Eß- und Verdauungsfunktion weniger stark ist, die genitalen
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Betätigungen hingegen stärker besetzt und weniger verboten sind.
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Die Widersprüche sind daher geringer, die Bahn für die
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Genitalität ist freier. Das ist durchwegs bedingt durch die wirtschaftliche
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Daseinsweise der Industriearbeiterfamilie. Steigt ein Industriearbeiter
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wirtschaftlich auf in die Reihen der Arbeiteraristokratie, so verändert
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sich dementsprechend auch seine Gesinnung, seine Kinder geraten unter
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stärkeren Druck von seiten der konservativen Moral.
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<P>
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Während in der kleinbürgerlichen Familie die Sexualunterdrückung
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sich mehr oder minder vollständig durchsetzt, gerät sie im
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Industriearbeitermilieu in Widersprüche mit der notwendigerweise geringeren
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Beaufsichtigung der Kinder, die sich ja meist selbst überlassen sind.
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<P>
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<HR>
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<H3>
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2. Die Dreiecksstruktur
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</H3>
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<P>
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Während die Familie, derart von der ideologischen Atmosphäre der
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Gesellschaft beeinflußt, auf das Kind einwirkt, ergibt sich aus ihrer
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<I>Dreiecksstruktur</I> überdies eine für sie spezifische Konstellation
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des Kindes, ganz in der Richtung der konservativen Tendenzen der Gesellschaft.
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<P>
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Die Freudsche Entdeckung, daß überall, wo diese Dreiecksstruktur
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besteht, das Kind in ganz bestimmte sexuelle Beziehungen sinnlicher und
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zärtlicher Art zu seinen Eltern kommt, ist grundlegend für das
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Verständnis der individuellen sexuellen Entwicklung. Der sogenannte
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"Ödipus-Komplex" umfaßt alle diese Beziehungen, die in ihrer
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Quantität, vor allem aber in ihrem Ausgang, von der weiteren Umgebung
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und von der Struktur der Familie bestimmt werden. Das Kind richtet seine
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ersten genitalen Liebesregungen (von den prägenitalen sehen wir hier
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der Einfachheit halber ab) auf die nächsten Personen seiner Umgebung,
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und das sind meist die Eltern. Typischerweise wird der heterosexuelle Elternteil
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geliebt und der gleichgeschlechtliche zunächst gehaßt. Gegen diesen
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werden Eifersuchtsregungen und Haß entwickelt, aber gleichzeitig auch
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Schuldgefühle und Angst vor ihm. Die Angst betrifft in erster Linie
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die eigenen genitalen Regungen zum andersgeschlechtlichen Elternteil. Diese
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Angst, zusammen mit der realen Unmöglichkeit der Befriedigung des
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Inzestwunsches, bringt diesen mitsamt der genitalen Strebung zur
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Verdrängung. Aus dieser Verdrängung leiten sich die allermeisten
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späteren Liebesstörungen ab.
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<P>
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Nun sind aber zwei für die Folgen dieses kindlichen Erlebens kardinale
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Tatbestände nicht zu übersehen. Erstens käme keine
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Verdrängung zustande, wenn der Knabe etwa zwar auf seine Mutter verzichten
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müßte, ihm aber das genitale Spiel mit Altersgenossinnen sowie
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die Onanie gesellschaftlich gestattet wären. Man gibt nicht gern zu,
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daß solche sexuellen Spiele ("Doktorspiele" usw.) immer stattfinden,
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wo Kinder mit anderen länger beisammen sind; sie erfolgen allerdings
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mit klarem Wissen um das Verpönte dieses Tuns, daher mit
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Schuldgefühlen und schädigenden Fixierungen an diese Spiele. Das
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Kind, das solche Spiele, wenn es Gelegenheit dazu hat, nicht wagt, ist sicherer
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Kandidat einer schweren Beeinträchtigung seines späteren Sexuallebens,
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es entspricht aber den Prinzipien der Familienerziehung. Über die Versuche,
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solche Feststellungen als Produkte verderbter Phantasie abzutun, wird sich
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die Geschichte glatt hinwegsetzen. Man wird nicht lange diese Tatsachen
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verleugnen und den Konsequenzen, die sie aufzwingen, ausweichen können.
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Freilich, die offizielle gesellschaftliche Auseinandersetzung mit ihnen wird
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nicht und so lange nicht erfolgen, wie die Familienerziehung innerhalb der
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autoritären Gesellschaft wirtschaftlich und politisch verankert ist.
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<P>
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Die Verdrängung der frühen sexuellen Regungen wird qualitativ und
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quantitativ entscheidend von der sexuellen Denkungsart der Eltern bestimmt.
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Es hängt viel davon ab, ob sie mit mehr oder weniger Strenge erfolgt,
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ob sie die Onanie mitbetrifft oder nicht, u.a.m.
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<P>
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|
Daß das Kind gerade im kritischen Alter zwischen dem vierten und dem
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sechsten Lebensjahr seine Genitalität im Elternhaus erlebt, zwingt ihm
|
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eine bestimmte, eben für die Familienerziehung spezifische Lösung
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auf. Ein Kind, das vom dritten Lebensjahre an in Gemeinschaft mit anderen
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Kindern und unbeeinflußt von der Elternbindung erzogen wäre,
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würde seine Sexualität ganz anders entwickeln, in Formen, die hier
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nicht zur Diskussion kommen können. Man darf auch die Tatsache nicht
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unterschätzen, daß die Familienerziehung praktisch individualistisch
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ist, den günstigen Einfluß eines Kinderkollektivs ausschließt,
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auch dann, wenn das Kind täglich einige Stunden in einem Kindergarten
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verbringt. Die Familienideologie beeinflußt praktisch weit mehr den
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Kindergarten als dieser die Familienerziehung.
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<P>
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Das Kind ist also in die Familie hineingezwängt und bringt daher eine
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Fixierung an die Eltern in sexueller und autoritativer Hinsicht zustande.
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Es wird schon zufolge seiner physischen Kleinheit von der elterlichen
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Autorität erdrückt, möge diese nun streng sein oder nicht.
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Die autoritative Bindung überwuchert bald die sexuelle, drängt
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sie in den Zustand der unbewußten Existenz und steht später, wenn
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die sexuellen Interessen sich der außerfamiliären Welt zuwenden
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sollen, als mächtiger hemmender Block zwischen Sexualinteresse und
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Wirklichkeit. Gerade weil die autoritative Bindung selbst zu einem großen
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Teil unbewußt wird, entzieht sie sich der bewußten Beeinflussung.
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<P>
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Es hat wenig zu sagen, wenn die unbewußte Bindung an die elterliche
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Autorität oft als Gegenteil, als neurotisches Revoltieren zum Ausdruck
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kommt; es vermag die sexuellen Interessen dennoch nicht zur Entfaltung zu
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bringen, es sei denn in Form triebhafter und unbeherrschter sexueller Aktionen,
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als krankhafte Kompromisse zwischen Sexualität und Schuldgefühl.
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Die spätere Lösung dieser Bindung an die Eltern ist <I>die</I>
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Voraussetzung eines gesunden Sexuallebens. Sie gelingt heute in der Minderzahl.
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<P>
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Die Elternbindung, sowohl die sexuelle Gebundenheit wie die Unterordnung
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unter die Autorität des Vaters, erschwert in der Pubertät den Schritt
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in die sexuelle und soziale Realität, wo sie ihn nicht völlig
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unmöglich macht. Das kleinbürgerliche Ideal des braven Sohnes und
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der braven Haustochter, die noch bis ins reife Alter in der kindlichen Situation
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stecken, ist das extreme Gegenteil der freien, selbständigen Jugend.
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|
<P>
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Ein weiteres Kennzeichen der Familienerziehung ist, daß die Eltern,
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im besonderen die Mutter, sofern sie nicht gezwungen ist, ihren Lebensunterhalt
|
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außerhalb des Hauses zu verdienen, in ihren Kindern bald immer mehr
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<I>den</I> Inhalt ihres Lebens suchen - und zu deren Nachteil auch finden,
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daß die Kinder dabei die Rolle von Haushunden spielen, die man lieben,
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|
aber auch beliebig quälen kann, daß die affektive Einstellung
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der Eltern sie völlig ungeeignet zur Erziehung macht, das sind allzu
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|
abgeleierte Tatsachen, als daß wir uns hier ausführlicher mit
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ihnen beschäftigen müßten.
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<P>
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|
Was an Ehemisere in den ehelichen Konflikten nicht direkt ausgelebt werden
|
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kann, ergießt sich auf die Kinder. Das setzt neuerliche Schädigungen
|
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ihrer Selbständigkeit und sexuellen Struktur, schafft aber auch einen
|
|
neuerlichen Widerspruch: den zwischen dem Miterlebthaben der elterlichen
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Ehe, daher <I>Ehegegnerschaft</I>, und dem späteren wirtschaftlichen
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|
Zwang zu heiraten. In der Pubertät spielen sich gerade dann Tragödien
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ab, wenn die Jugendlichen sich glücklich aus den Schädigungen der
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|
kindlichen Sexualerziehung gerettet haben und nunmehr auch die puberilen
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|
Fesseln der Familie abstreifen wollen.
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<P>
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|
Die Sexualeinschränkung, die die Erwachsenen auf sich nehmen mußten,
|
|
um das eheliche und familiäre Dasein ertragen zu können, pflanzen
|
|
sie auf ihre Kinder fort. Und da diese später aus wirtschaftlichen
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|
Gründen in die familiäre Situation zurücksinken müssen,
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|
setzt sich die Sexualeinschränkung von Generation zu Generation fort.
|
|
<P>
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|
Da die Zwangsfamilie ökonomisch mit der autoritären Gesellschaft
|
|
verwachsen ist, heißt es völlig blind den Tatsachen und
|
|
Zusammenhängen gegenüberstehen, wenn man ihre Wirkungen innerhalb
|
|
dieser Gesellschaft auszurotten hofft. Diese Wirkungen liegen ja in der Situation
|
|
der Familie selbst und sind durch die unbewußten Mechanismen der
|
|
Triebstruktur in den einzelnen Individuen unausrottbar verankert.
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|
<P>
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|
Zur direkten Sexualhemmung, die aus dem Verhältnis zu den Eltern resultiert,
|
|
addieren sich die Schuldgefühle aus dem maßlosen Haß, welcher
|
|
sich in den Kindern in der jahrelangen familiären Situation aufspeicherte.
|
|
Bleibt dieser Haß bewußt, so kann er zu einer mächtigen
|
|
individuellen revolutionären Triebkraft werden; er wird der Motor der
|
|
Lösung aus dem Familienverband und kann sich dann leicht auf die rationellen
|
|
Ziele des Kampfes gegen diejenigen Zustände übertragen, die diesen
|
|
Haß verursachten.
|
|
<P>
|
|
Wird aber der Haß verdrängt, so entwickeln sich aus ihm die
|
|
entgegengesetzten Regungen der treuen Anhänglichkeit und des kindlichen
|
|
Gehorsams, welche sicher zu Bleigewichten werden, wenn rationelle Gründe
|
|
den Betreffenden später zur freiheitlichen Bewegung bringen. Man begegnet
|
|
dann dem Typus, der vielleicht sogar für die vollständige Freiheit
|
|
ist, aber seinen Kindern Religionsunterricht erteilen läßt und
|
|
selber aus der Kirche nicht austritt, obwohl es seiner Überzeugung
|
|
widerspricht, weil er "so etwas seinen alten Eltern nicht antun" kann. Man
|
|
beobachtet an ihm aber auch Züge des Zauderns und Zögerns,
|
|
Unentschlossenheit, Gebundenheit durch Rücksichten auf die Familie usw.
|
|
Er ist sicher nicht der Typus des Vorkämpfers für Freiheit.
|
|
<P>
|
|
Aus der gleichen familiären Situation kann aber auch der "Revolutionär
|
|
aus neurotischen Gründen" entstehen. Er ist sehr häufig bei
|
|
kleinbürgerlichen Intellektuellen. Das sagt natürlich über
|
|
seinen Wert als Revolutionär nichts aus. Aber die Verbundenheit mit
|
|
Schuldgefühlen macht die so strukturierte revolutionäre
|
|
Persönlichkeit zu einer problematischen Angelegenheit.
|
|
<P>
|
|
Die familiäre Sexualerziehung muß ihrem Wesen nach Schädigungen
|
|
des Sexuallebens beim einzelnen setzen. Gelingt es dem einen oder anderen
|
|
doch, sich zu einem gesunden Sexualleben durchzuringen, so geschieht es
|
|
gewöhnlich auf Kosten seiner familiären Bindungen.
|
|
<P>
|
|
Die Unterdrückung der sexuellen Bedürfnisse wirkt sich darüber
|
|
hinaus in einer allgemeinen Schwächung der geistigen und
|
|
gefühlsmäßigen Funktionen aus, vor allem der Selbstsicherheit,
|
|
der Willensstärke und der Kritikfähigkeit. Der autoritären
|
|
Gesellschaftsordnung kommt es nicht auf die "Moral an sich" an. Die
|
|
Veränderungen im psychischen Organismus, die der Verankerung der Sexualmoral
|
|
zuzuschreiben sind, schaffen erst diejenige seelische Struktur, die die
|
|
massenpsychologische Basis jeder autoritären Gesellschaftsordnung bildet.
|
|
Die Untertanenstruktur ist ein Gemisch aus sexueller Impotenz, Hilflosigkeit,
|
|
Anlehnungsbedürftigkeit, Führersehnsucht, Autoritätsfurcht,
|
|
Lebensängstlichkeit und Mystizismus. Sie kennzeichnet sich durch Neigung
|
|
zum Rebellentum und durch Hörigkeit gleichzeitig. Die Sexualscheu und
|
|
Sexualheuchelei bilden den Kern dessen, was man Spießertum nennt. Derartig
|
|
strukturierte Menschen sind demokratieunfähig. An ihren Strukturen
|
|
zerbrechen die Versuche, echt demokratisch geleitete Organisationen aufzubauen
|
|
oder zu erhalten. Sie bilden den massenpsychologischen Boden, auf dem sich
|
|
die diktatorischen Gelüste und bürokratischen Neigungen der
|
|
demokratisch gewählten Führer entwickeln können.
|
|
<P>
|
|
Die politische Funktion der Familie ist also eine doppelte:
|
|
<OL>
|
|
<LI>
|
|
Sie reproduziert sich selbst, indem sie die Menschen sexuell verkrüppelt;
|
|
indem sich die patriarchalische Familie erhält, konserviert sich auch
|
|
die Sexualunterdrückung mit ihren Folgen: Sexualstörungen, Neurosen,
|
|
Geisteskrankheiten, Sexualverbrechen.
|
|
<LI>
|
|
Sie erzeugt den autoritätsfürchtigen, lebensängstlichen Untertanen
|
|
und schafft derart immer neu die Möglichkeit, daß Massen durch
|
|
eine Handvoll Machthabender beherrscht werden können.
|
|
</OL>
|
|
<P>
|
|
So gewinnt die Familie für den Konservativen ihre besondere Bedeutung
|
|
als Bollwerk der von ihm bejahten Gesellschaftsordnung. Daher kommt es auch,
|
|
daß sie in der konservativen Sexualwissenschaft eine der am
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|
schärfsten verteidigten Positionen ist. Denn sie ist "staats- und
|
|
volkserhaltend" - im reaktionären Sinn. Die Bewertung der Familie darf
|
|
uns daher als Maßstab für die Beurteilung der allgemeinen Natur
|
|
gesellschaftlicher Ordnungen dienen.
|
|
<P>
|
|
<HR>
|
|
<H4>
|
|
... zum 6. Kapitel: Das Problem der Pubertät
|
|
</H4>
|
|
<div id="Abspann">
|
|
<script type="text/javascript" language="JavaScript"> DateiInfo(); </script>
|
|
</div> <!-- Abspann -->
|
|
</BODY>
|
|
</HTML> |