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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>Rosa Luxemburg - Die Krise der Sozialdemokratie - I</TITLE>
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<TD ALIGN="center" width="24%" height=20 valign=middle><A HREF="../index.shtml.html"><SMALL>MLWerke</SMALL></A></TD>
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<TD ALIGN="center" width="24%" height=20 valign=middle><A HREF="luf.htm"><SMALL>Inhalt</SMALL></A></TD>
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<TD ALIGN="center" width="24%" height=20 valign=middle><A HREF="luf_2.htm"></A><A HREF="luf_2.htm"><SMALL>Teil 2</SMALL></A></TD>
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<TD ALIGN="center" width="24%" height=20 valign=middle><A HREF="default.htm"><SMALL>Rosa Luxemburg</SMALL></A></TD>
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</TABLE>
<HR size="1">
<H2>Rosa Luxemburg - Die Krise der Sozialdemokratie</H2>
<H1>Zur Einleitung</H1>
<HR size="1">
<P>2. Januar 1916</P>
<P>Die nachfolgende Darstellung ist im April vorigen Jahres verfa&szlig;t
worden. &Auml;u&szlig;ere Umst&auml;nde verhinderten damals ihre Ver&ouml;ffentlichung.</P>
<P>Ihre nunmehrige Herausgabe ist dem Umstande geschuldet, da&szlig; die
Arbeiterklasse, je l&auml;nger der Weltkrieg tobt, um so weniger seine
treibenden Kr&auml;fte aus den Augen verlieren darf.</P>
<P>Die Schrift erscheint ganz unver&auml;ndert, um dem Leser die Pr&uuml;fung
zu erm&ouml;glichen, wie sicher die historisch-materialistische Methode
den Gang der Entwicklung zu erfassen wei&szlig;.</P>
<P>Indem sie die Legende des deutschen Verteidigungskrieges kritisch aufl&ouml;ste
und die deutsche Beherrschung der T&uuml;rkei als das eigentliche Ziel
eines imperialistischen Angriffskrieges offenbarte, sagte sie voraus, was
sich seitdem von Tag zu Tag mehr best&auml;tigt hat und heute, wo der Weltkrieg
seinen Schwerpunkt im Orient gefunden hat, vor aller Welt Augen liegt.</P>
<H1 ALIGN="left">I.<BR>
Sozialismus oder Barbarei ?</H1>
<P>Die Szene hat gr&uuml;ndlich gewechselt. Der Marsch in sechs Wochen
nach Paris hat sich zu einem Weltdrama ausgewachsen; die Massenschl&auml;chterei
ist zum erm&uuml;dend eint&ouml;nigen Tagesgesch&auml;ft geworden, ohne
die L&ouml;sung vorw&auml;rts oder r&uuml;ckw&auml;rts zu bringen. Die
b&uuml;rgerliche Staatskunst sitzt in der Klemme, im eigenen Eisen gefangen;
die Geister, die man rief, kann man nicht mehr bannen.</P>
<P>Vorbei ist der Rausch. Vorbei der patriotische L&auml;rm in den Stra&szlig;en,
die Jagd auf Goldautomobile, die einander jagenden falschen Telegramme,
die mit Cholerabazillen vergifteten Brunnen, die auf jeder Eisenbahnbr&uuml;cke
Berlins bombenwerfenden russischen Studenten, die &uuml;ber N&uuml;rnberg
fliegenden Franzosen, die Stra&szlig;enexzesse des spionenwitternden Publikums,
das wogende Menschengedr&auml;nge in den Konditoreien, wo ohrenbet&auml;ubende
Musik und patriotische Ges&auml;nge die h&ouml;chsten Wellen schlugen;
ganze Stadtbev&ouml;lkerungen in P&ouml;bel verwandelt, bereit, zu denunzieren,
Frauen zu mi&szlig;handeln, Hurra zu schreien und sich selbst durch wilde
Ger&uuml;chte ins Delirium zu steigern; eine Ritualmordatmosph&auml;re,
eine Kischineff-Luft, in der der Schutzmann an der Stra&szlig;enecke der
einzige Repr&auml;sentant der Menschenw&uuml;rde war.</P>
<P>Die Regie ist aus. Die deutschen Gelehrten, die &raquo;wankenden Lemuren&laquo;,
sind l&auml;ngst zur&uuml;ckgepfiffen. Die Reservistenz&uuml;ge werden
nicht mehr vom lauten Jubel der nachst&uuml;rzenden Jungfrauen begleitet,
sie gr&uuml;&szlig;en nicht mehr das Volk aus den Wagenfenstern mit freudigem
L&auml;cheln; sie trotten still, ihren Karton in der Hand, durch die Stra&szlig;en,
in denen das Publikum mit verdrie&szlig;lichen Gesichtern dem Tagesgesch&auml;ft
nachgeht.</P>
<P>In der n&uuml;chternen Atmosph&auml;re des bleichen Tages t&ouml;nt
ein anderer Chorus: der heisere Schrei der Geier und Hy&auml;nen des Schlachtfeldes.
Zehntausend Zeltbahnen garantiert vorschriftsm&auml;&szlig;ig! 100.000 Kilo
Speck, Kakaopulver, Kaffee-Ersatz, nur per Kasse, sofort lieferbar! Granaten,
Drehb&auml;nke, Patronentaschen, Heiratsvermittlung f&uuml;r Witwen der
Gefallenen, Ledergurte, Vermittlung von Heereslieferungen &shy; nur ernst
gemeinte Offerten! Das im August, im September verladene und patriotisch
angehauchte Kanonenfutter verwest in Belgien, in den Vogesen, in den Masuren
in Toten&auml;ckern, auf denen der Profit m&auml;chtig in die Halme schie&szlig;t.
Es gilt, rasch die Ernte in die Scheunen zu bringen. &Uuml;ber den Ozean
strecken sich tausend gierige H&auml;nde, um mitzuraffen.</P>
<P>Das Gesch&auml;ft gedeiht auf Tr&uuml;mmern. St&auml;dte werden zu Schutthaufen,
D&ouml;rfer zu Friedh&ouml;fen, L&auml;nder zu W&uuml;steneien, Bev&ouml;lkerungen
zu Bettlerhaufen, Kirchen zu Pferdest&auml;llen; V&ouml;lker recht, Staatsvertr&auml;ge,
B&uuml;ndnisse, heiligste Worte, h&ouml;chste Autorit&auml;ten in Fetzen
zerrissen; jeder Souver&auml;n von Gottes Gnaden den Vetter von der Gegenseite
als Trottel und wortbr&uuml;chigen Wicht, jeder Diplomat den Kollegen von
der anderen Partei als abgefeimten Schurken, jede Regierung die andere
als Verh&auml;ngnis des eigenen Volkes der allgemeinen Verachtung preisgebend;
und Hungertumulte in Venetien, in Lissabon, in Moskau, in Singapur, und
Pest in Ru&szlig;land, und Elend und Verzweiflung &uuml;berall.</P>
<P>Gesch&auml;ndet, entehrt, im Blute watend, von Schmutz triefend - so
steht die b&uuml;rgerliche Gesellschaft da, so ist sie. Nicht wenn sie,
geleckt und sittsam, Kultur, Philosophie und Ethik, Ordnung, Frieden und
Rechtsstaat mimt &shy; als rei&szlig;ende Bestie, als Hexensabbat der
Anarchie, als Pesthauch f&uuml;r Kultur und Menschheit -, so zeigt sie
sich in ihrer wahren, nackten Gestalt.</P>
<P>Mitten in diesem Hexensabbat vollzog sich eine weltgeschichtliche Katastrophe:
die Kapitulation der internationalen Sozialdemokratie. Sich dar&uuml;ber
zu t&auml;uschen, sie zu verschleiern, w&auml;re das T&ouml;richtste, das
Verh&auml;ngnisvollste, was dem Proletariat passieren k&ouml;nnte. &raquo;...der
Demokrat&laquo; (das hei&szlig;t der revolution&auml;re Kleinb&uuml;rger),
sagt Marx, &raquo;geht ebenso makellos aus der schm&auml;hlichsten Niederlage
heraus, wie er unschuldig in sie hineingegangen ist, mit der neugewonnenen
&Uuml;berzeugung, da&szlig; er siegen mu&szlig;, nicht da&szlig; er selbst
und seine Partei den alten Standpunkt aufzugeben, sondern umgekehrt, da&szlig;
die Verh&auml;ltnisse ihm entgegen zureifen haben.&laquo;
Das moderne Proletariat geht anders aus geschichtlichen Proben hervor.
Gigantisch wie seine Aufgaben sind auch seine Irrt&uuml;mer. Kein vorgezeichnetes,
ein f&uuml;r allemal g&uuml;ltiges Schema, kein unfehlbarer F&uuml;hrer
zeigt ihm die Pfade, die es zu wandeln hat. Die geschichtliche Erfahrung
ist seine einzige Lehrmeisterin, sein Dornenweg der Selbstbefreiung ist
nicht blo&szlig; mit unerme&szlig;lichen Leiden, sondern auch mit unz&auml;hligen
Irt&uuml;mern gepflastert. Das Ziel seiner Reise, seine Befreiung h&auml;ngt
davon ab, ob das Proletariat versteht, aus den eigenen Irrt&uuml;mern zu
lernen. Selbstkritik, r&uuml;ckisichtslose, grausame, bis auf den Grund
der Dinge gehende Selbstkritik ist Lebensluft und Lebenslicht der proletarischen
Bewegung. Der Fall des sozialistischen Proletariats im gegenw&auml;rtigen
Weltkrieg ist beispiellos, ist ein Ungl&uuml;ck f&uuml;r die Menschheit.
Verloren w&auml;re der Sozialismus nur dann, wenn das internationale Proletariat
die Tiefe dieses Falls nicht ermessen, aus ihm nicht lernen wollte.</P>
<P>Was jetzt in Frage steht, ist der ganze letzte f&uuml;nfundvierzigj&auml;hrige
Abschnitt in der Entwicklung der modernen Arbeiterbewegung. Was wir erleben,
ist die Kritik, der Strich und die Summa unter den Posten unserer Arbeit
seit bald einem halben Jahrhundert. Das Grab der Pariser Kommune hatte
die erste Phase der europ&auml;ischen Arbeiterbewegung und die erste Internationale
geschlossen. Seitdem begann eine neue Phase. Statt der spontanen Revolutionen,
Aufst&auml;nde, Barrikadenk&auml;mpfe, nach denen das Proletariat jedesmal
wieder in seinen passiven Zustand zur&uuml;ckfiel, begann der systematische
Tageskampf, die Ausn&uuml;tzung des b&uuml;rgerlichen Parlamentarismus,
die Massenorganisation, die Verm&auml;hlung des wirtschaftlichen mit dem
politischen Kampfe und des sozialistischen Ideals mit der hartn&auml;ckigen
Verteidigung der n&auml;chsten Tagesinteressen. Zum ersten Male leuchtete
der Sache des Proletariats und seiner Emanzipation der Leitstern einer
strengen wissenschaftlichen Lehre. Statt der Sekten, Schulen, Utopien,
Experimente in jedem Lande auf eigene Faust erstand eine einheitliche internationale
theoretische Grundlage, die L&auml;nder wie Zeilen in einem Band verschlang.
Die marxistische Erkenntnis gab der Arbeiterklasse der ganzen Welt einen
Kompa&szlig; in die Hand, um sich im Strudel der Tagesereignisse zurechtzufinden,
um die Kampftaktik jeder Stunde nach dem unverr&uuml;ckbaren Endziel zu
richten.
<P>Tr&auml;gerin, Verfechterin und H&uuml;terin dieser neuen Methode war
die deutsche Sozialdemokratie. Der Krieg von 1870 und die Niederlage der
Pariser Kommune hatten den Schwerpunkt der europ&auml;ischen Arbeiterbewegung
nach Deutschland verlegt. Wie Frankreich die klassische St&auml;tte der
ersten Phase des proletarischen Klassenkampfes, wie Paris das pochende
und blutende Herz der europ&auml;ischen Arbeiterklasse in jener Zeit gewesen
war, so wurde die deutsche Arbeiterschaft zur Vorhut der zweiten Phase.
Sie hat durch zahllose Opfer der unerm&uuml;dlichen Kleinarbeit die st&auml;rkste
und musterg&uuml;ltige Organisation ausgebaut, die gr&ouml;&szlig;te Presse
geschaffen, die wirksamsten Bildungs- und Aufkl&auml;rungsmittel ins Leben
gerufen, die gewaltigsten W&auml;hlermassen um sich geschart, die zahlreichsten
Parlamentsvertretungen errungen. Die deutsche Sozialdemokratie galt als
die reinste Verk&ouml;rperung des marxistischen Sozialismus. Sie hatte
und beanspruchte eine Sonderstellung als die Lehrmeisterin und F&uuml;hrerin
der zweiten Internationale. Friedrich Engels schrieb im Jahre 1895 in seinem
ber&uuml;hmten Vorwort zu Marxens &raquo;Klassenk&auml;mpfen in Frankreich&laquo;: &raquo;Was auch in anderen L&auml;ndern geschehen m&ouml;ge, die deutsche
Sozialdemokratie hat eine besondere Stellung und damit wenigstens zun&auml;chst
auch eine besondere Aufgabe. Die zwei Millionen W&auml;hler, die sie an
die Urnen schickt, nebst den jungen M&auml;nnern und den Frauen, die als
Nichtw&auml;hler hinter ihnen stehen, bilden die zahlreichste, kompakteste
Masse, den entscheidenden ,Gewalthaufen' der internationalen proletarischen
Armee.&laquo; Die deutsche Sozialdemokratie war, wie die &raquo;Wiener Arbeiterzeitung&laquo; am 5. August 1914 schrieb, &raquo;das Juwel der Organisation des klassenbewu&szlig;ten,
Proletariats&laquo;. In ihre Fu&szlig;stapfen traten immer eifriger die franz&ouml;sische,
die italienische und die belgische Sozialdemokratie, die Arbeiterbewegung
Hollands, Skandinaviens, der Schweiz, der Vereinigten Staaten. Die slawischen
L&auml;nder aber, die Russen, die Sozialdemokraten des Balkans, blickten
zu ihr mit schrankenloser, beinahe kritikloser Bewunderung auf. In der
zweiten Internationale spielte der deutsche &raquo;Gewalthaufen&laquo; die
ausschlaggebende Rolle. Auf den Kongressen, in den Sitzungen des Internationalen
Sozialistischen B&uuml;ros wartete alles auf die deutsche Meinung. Ja,
gerade in den Fragen des Kampfes gegen den Militarismus und den Krieg trat
die deutsche Sozialdemokratie stets entscheidend auf. &raquo;F&uuml;r uns
Deutsche ist dies unannehmbar&laquo;, gen&uuml;gte regelm&auml;&szlig;ig,
um die Orientierung der Internationale zu bestimmen. Mit blindem Vertrauen
ergab sie sich der F&uuml;hrung der bewunderten m&auml;chtigen deutschen
Sozialdemokratie: diese war der Stolz jedes Sozialisten und der Schrecken
der herrschenden Klassen in allen L&auml;ndern.</P>
<P>Und was erlebten wir in Deutschland, als die gro&szlig;e historische
Probe kam? Den tiefsten Fall, den gewaltigsten Zusammenbruch. Nirgends
ist die Organisation des Proletariats so g&auml;nzlich in den Dienst des
Imperialismus gespannt, nirgends wird der Belagerungszustand so widerstandslos
ertragen, nirgends die Presse so geknebelt, die &ouml;ffentliche Meinung
so erw&uuml;rgt, der wirtschaftliche und politische Klassenkampf der Arbeiterklasse
so g&auml;nzlich preisgegeben wie in Deutschland.</P>
<P>Aber die deutsche Sozialdemokratie war nicht blo&szlig; der st&auml;rkste
Vortrupp, sie war das denkende Hirn der Internationale. Deshalb mu&szlig;
in ihr und an ihrem Fall die Analyse, der Selbstbesinnungsproze&szlig;
ansetzen. Sie hat die Ehrenpflicht, mit der Rettung des internationalen
Sozialismus, das hei&szlig;t mit schonungsloser Selbstkritik voranzugehen.
Keine andere Partei, keine andere Klasse der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft
darf die eigenen Fehler, die eigenen Schw&auml;chen im klaren Spiegel der
Kritik vor aller Welt zeigen, denn der Spiegel wirft ihr zugleich die vor
ihr stehende geschichtliche Schranke und das hinter ihr stehende geschichtliche
Verh&auml;ngnis zur&uuml;ck. Die Arbeiterklasse darf stets ungescheut der
Wahrheit, auch der bittersten Selbstbezichtigung ins Antlitz blicken, denn
ihre Schw&auml;che ist nur eine Verirrung, und das strenge Gesetz der Geschichte
gibt ihr die Kraft zur&uuml;ck, verb&uuml;rgt ihren endlichen Sieg.</P>
<P>Die schonungslose Selbstkritik ist nicht blo&szlig; das Daseinsrecht,
sie ist auch die oberste Pflicht der Arbeiterklasse. An unserem Bord f&uuml;hrten
wir die h&ouml;chsten Sch&auml;tze der Menschheit, zu deren H&uuml;ter
das Proletariat bestellt war! Und w&auml;hrend die b&uuml;rgerliche Gesellschaft,
gesch&auml;ndet und entehrt durch die blutige Orgie, ihrem Verh&auml;ngnis
weiter entgegenrennt, mu&szlig; und wird das internationale Proletariat
sich aufraffen und die goldenen Sch&auml;tze heben, die es im wilden Strudel
des Weltkrieges in einem Augenblick der Verwirrung und der Schw&auml;che
hat auf den Grund sinken lassen.</P>
<P>Eins ist sicher: der Weltkrieg ist eine Weltwende. Es ist ein t&ouml;richter
Wahn, sich die Dinge so vorzustellen, da&szlig; wir den Krieg nur zu &uuml;berdauern
brauchen, wie der Hase unter dem Strauch das Ende des Gewitters abwartet,
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um nachher munter wieder in alten Trott zu verfallen. Der Weltkrieg hat
die Bedingungen unseres Kampfes ver&auml;ndert und uns selbst am meisten.
Nicht als ob die Grundgesetze der kapitalistischen Entwicklung, der Krieg
zwischen Kapital und Arbeit auf Tod und Leben eine Abweichung oder eine
Milderung erfahren sollten. Schon jetzt, mitten im Kriege, fallen die Masken,
und es grinsen uns die alten bekannten Z&uuml;ge an. Aber das Tempo der
Entwicklung hat durch den Ausbruch des imperialistischen Vulkans einen
gewaltigen Ruck erhalten, die Heftigkeit der Auseinandersetzungen im Scho&szlig;e
der Gesellschaft, die Gr&ouml;&szlig;e der Aufgaben, die vor dem sozialistischen
Proletariat in unmittelbarer N&auml;he ragen &shy; sie lassen alles bisherige
in der Geschichte der Arbeiterbewegung als sanftes Idyll erscheinen.</P>
<P>Geschichtlich war dieser Krieg berufen, die Sache des Proletariats gewaltig
zu f&ouml;rdern. Bei Marx, der so viele historische Begebenheiten mit prophetischem
Blick im Scho&szlig;e der Zukunft entdeckt hat, findet sich in der Schrift
&uuml;ber &raquo;Die Klassenk&auml;mpfe in Frankreich&laquo; die folgende
merkw&uuml;rdige Stelle:</P>
<P><SMALL>&raquo;In Frankreich tut der Kleinb&uuml;rger,
was normalerweise der industrielle Bourgeois tun m&uuml;&szlig;te (um die
parlamentarischen Rechte k&auml;mpfen); der
Arbeiter tut, was normalerweise die Aufgabe des Kleinb&uuml;rgers w&auml;re
(um die demokratische Republik k&auml;mpfen);
und die Aufgabe des Arbeiters, wer l&ouml;st sie? Niemand. Sie wird nicht
in Frankreich gel&ouml;st, sie wird in Frankreich proklamiert. Sie wird
nirgendwo gel&ouml;st innerhalb der nationalen W&auml;nde. Der Klassenkrieg
innerhalb der franz&ouml;sischen Gesellschaft schl&auml;gt um in einen Weltkrieg,
worin sich die Nationen gegen&uuml;bertreten. Die L&ouml;sung, sie beginnt
erst in dem Augenblick, wo durch den Weltkrieg das Proletariat an die Spitze
des Volkes getrieben wird, das den Weltmarkt beherrscht, an die Spitze
Englands. Die Revolution, die hier nicht ihr Ende, sondern ihren organisatorischen
Anfang findet, ist keine kurzatmige Revolution. Das jetzige Geschlecht
gleicht den Juden, die Moses durch die W&uuml;ste f&uuml;hrt. Es hat nicht
nur eine neue Welt zu erobern, es mu&szlig; untergehen, um den Menschen
Platz zu machen, die einer neuen Welt gewachsen sind.&laquo;</SMALL></P>
<P>Das war im Jahre 1850 geschrieben, zu einer Zeit, wo England das einzige
kapitalistisch entwickelte Land, das englische Proletariat das bestorganisierte,
durch den wirtschaftlichen Aufschwung seines Landes zur F&uuml;hrung der
internationalen Arbeiterklasse berufen schien. Lies statt England: Deutschland,
und die Worte Marxens sind eine geniale Vorausahnung des heutigen Weltkrieges.
Er war berufen, das deutsche Proletariat an die Spitze des Volkes zu treiben
und damit &raquo;den organisatorischen Anfang&laquo; zu der gro&szlig;en
internationalen Generalauseinandersetzung zwischen der Arbeit und dem Kapital
um die politische Macht im Staate zu machen.</P>
<P>Und haben wir uns etwa die Rolle der Arbeiterklasse im Weltkriege anders
vorgestellt? Erinnern wir uns, wie wir noch vor kurzer Zeit das Kommende
zu schildern pflegten.</P>
<P><SMALL>&raquo;Dann kommt die <B>Katastrophe</B>. Alsdann wird
in Europa der gro&szlig;e Generalmarsch schlagen, auf den hin 16 bis 18
Millionen M&auml;nner, die Bl&uuml;te der verschiedenen Nationen, ausger&uuml;stet
mit den besten Mordwerkzeugen, gegeneinander als Feinde ins Feld r&uuml;cken.
Aber nach meiner &Uuml;berzeugung steht hinter dem gro&szlig;en Generalmarsch
der gro&szlig;e Kladderadatsch. Er kommt nicht durch uns, er kommt durch
Sie selber. Sie treiben die Dinge auf die Spitze, Sie f&uuml;hren es zu
einer Katastrophe. Sie werden ernten, was Sie ges&auml;t haben. <B>Die
G&ouml;tterd&auml;mmerung der b&uuml;rgerlichen Welt ist im Anzuge. Seien
Sie sicher: sie ist im Anzuge!</B>&laquo;</SMALL></P>
<P>So sprach unser Fraktionsredner, <B>Bebel</B>, in der <B>Marokkodebatte</B>
im Reichstag.</P>
<P>Die offizielle Flugschrift der Partei &raquo;Imperialismus oder Sozialismus?&laquo;,
die vor einigen Jahren in Hunderttausenden von Exemplaren verbreitet worden
ist, schlo&szlig; mit den Worten:</P>
<P><SMALL>&raquo;So w&auml;chst sich der Kampf gegen den Imperialismus
immer mehr zum <B>Entscheidungskampf zwischen Kapital und Arbeit</B> aus.
Kriegsgefahr, Teuerung und Kapitalismus. &shy; Friede, Wohlstand f&uuml;r
alle, Sozialismus! so ist die Frage gestellt. <B>Gro&szlig;en Entscheidungen
geht die Geschichte entgegen.</B> Unabl&auml;ssig mu&szlig; das Proletariat
an seiner welthistorischen Aufgabe arbeiten, die Macht seiner Organisation,
die Klarheit seiner Erkenntnis st&auml;rken. M&ouml;ge dann kommen, was
da will, mag es seiner Kraft gelingen, die f&uuml;rchterlichen Greuel eines
Weltkrieges der Menschheit zu ersparen, <B>oder mag die kapitalistische
Welt nicht anders in die Geschichte versinken, wie sie aus ihr geboren
ward, in Blut und in Gewalt: die historische Stunde</B> wird die Arbeiterklasse
bereit finden, und <B>bereit sein ist alles</B>.&laquo;</SMALL></P>
<P>Im offiziellen &raquo;Handbuch f&uuml;r sozialdemokratische W&auml;hler&laquo; vom Jahre 1911, zur letzten Reichstagswahl, steht auf S.42 &uuml;ber den
erwarteten Weltkrieg zu lesen:</P>
<P><SMALL>&raquo;Glauben unsere Herrschenden und herrschenden Klassen
dieses Ungeheure den V&ouml;lkern zumuten zu d&uuml;rfen? Wird nicht ein
Schrei des Entsetzens, des Zornes, der Emp&ouml;rung die V&ouml;lker erfassen
und sie veranlassen, diesem Morden ein Ende zu machen?&laquo;</SMALL></P>
<P><SMALL>Werden sie nicht fragen: F&uuml;r wen, f&uuml;r was das
alles? Sind wir denn Geisteskranke, um so behandelt zu werden oder uns
so behandeln zu lassen?</SMALL></P>
<P><SMALL>Wer sich die Wahrscheinlichkeit eines gro&szlig;en europ&auml;ischen
Krieges ruhig &uuml;berlegt, kann zu keinen anderen Schl&uuml;ssen, als
den hier angef&uuml;hrten kommen.</SMALL></P>
<P><SMALL>Der n&auml;chste europ&auml;ische Krieg wird ein Vabanquespiel,
wie es die Welt noch nicht gesehen, er ist aller Voraussicht nach der letzte
Krieg.&laquo;</SMALL></P>
<P>Mit dieser Sprache, mit diesen Worten warben unsere jetzigen Reichstagsabgeordneten
um ihre 110 Mandate.</P>
<P>Als im Sommer des Jahres 1911 der Panthersprung nach Agadir und die
l&auml;rmende Hetze der deutschen Imperialisten die Gefahr des europ&auml;ischen
Krieges in die n&auml;chste N&auml;he ger&uuml;ckt hatten, nahm eine internationale
Versammlung in London am 4. August die folgende Resolution an:</P>
<P><SMALL>&raquo;Die deutschen, spanischen, englischen, holl&auml;ndischen
und franz&ouml;sischen Delegierten der Arbeiterorganisationen erkl&auml;ren,
<B>bereit zu sein, sich jeder Kriegserkl&auml;rung mit allen zu Gebote
stehenden Mitteln zu widersetzen</B>. Jede vertretene Nation &uuml;bernimmt
die Verpflichtung, gem&auml;&szlig; den Beschl&uuml;ssen ihrer nationalen
und der internationalen Kongresse gegen alle verbrecherischen Umtriebe
der herrschenden Klassen <B>zu handeln</B>.&laquo;</SMALL></P>
<P>Als aber im November 1912 der Internationale Kongre&szlig; in Basel
zusammentrat, als der lange Zug der Arbeitervertreter im M&uuml;nster anlangte,
da ging ein Erschauern vor der Gr&ouml;&szlig;e der, kommenden Schicksalsstunde
und ein heroischer Entschlu&szlig; durch die Brust aller Anwesenden.
<P>Der k&uuml;hle, skeptische <B>Victor Adler</B> rief:</P>
<P><SMALL>&raquo;Genossen, das Wichtigste ist, da&szlig; wir hier
an dem gemeinsamen Quell Unserer Kraft sind, da&szlig; wir von hier die
Kraft mitnehmen, ein jeder in seinem Lande zu tun, was er kann, durch die
Formen und Mittel, die wir haben, mit der ganzen Macht, die wir besitzen,
uns entgegenzustemmen dem Verbrechen des Krieges. Und wenn es vollbracht
werden sollte, wenn es wirklich vollbracht werden sollte, <B>dann m&uuml;ssen
wir daf&uuml;r sorgen, da&szlig; es ein Stein sei, ein Stein vom Ende</B>.</SMALL></P>
<P><SMALL>Das ist die Gesinnung, die die ganze Internationale beseelt.</SMALL></P>
<P><SMALL>Und wenn Mord und Brand und Pestilenz durch das zivilisierte
Europa ziehen &shy; wir k&ouml;nnen nur mit Schaudern daran denken, und
Emp&ouml;rung und Entr&uuml;stung ringt sich aus unserer Brust. <B>Und
wir fragen uns: sind denn die Menschen, sind die Proletarier wirklich heute
noch Schafe</B>, da&szlig; sie stumm zur Schlachtbank gef&uuml;hrt werden
k&ouml;nnen?...&laquo;</SMALL></P>
<P><B>Troelstra</B> sprach im Namen der &raquo;kleinen Nationen&laquo;, auch
in Belgiens Namen:</P>
<P><SMALL>&raquo;Mit Gut und Blut steht das Proletariat der kleinen
L&auml;nder der Internationale zur Verf&uuml;gung in allem, was sie beschlie&szlig;en
will, um den Krieg fernzuhalten. Wir sprechen weiter die Erwartung aus,
da&szlig;, wenn einmal die herrschenden Klassen der gro&szlig;en Staaten
die S&ouml;hne ihres Proletariats zu den Waffen rufen, um die Habgier und
die Herrschaft ihrer Regierungen zu k&uuml;hlen in dem Blute und auf dem
Boden der kleinen V&ouml;lker, da&szlig; dann die Proletariers&ouml;hne
unter dem m&auml;chtigen Einflu&szlig; ihrer proletarischen Eltern, des
Klassenkampfes und der proletarischen Presse es sich dreimal &uuml;berlegen
werden, ehe sie im Dienste dieses kulturfeindlichen Unternehmens uns, ihren
Br&uuml;dern, ihren Freunden etwas zuleide tun.&laquo;</SMALL></P>
<P>Und <B>Jaur&egrave;s</B> schlo&szlig; seine Rede, nachdem er im Namen
des Internationalen B&uuml;ros das Manifest gegen den Krieg verlesen hatte:</P>
<P><SMALL>&raquo;Die Internationale vertritt alle sittlichen Kr&auml;fte
in der Welt! Und wenn einmal die tragische Stunde schl&auml;gt, in der
wir uns ganz hingeben m&uuml;&szlig;ten, dieses Bewu&szlig;tsein w&uuml;rde
uns st&uuml;tzen und st&auml;rken. Nicht nur leichthin gesprochen, nein,
<B>aus dem Tiefsten unseres Wesens erkl&auml;ren wir, wir sind zu allen
Opfern bereit.&laquo;</B></SMALL></P>
<P>Es war wie ein R&uuml;tlischwur. Die ganze Welt richtete die Blicke
auf den Basler M&uuml;nster, wo die Glocken zur k&uuml;nftigen gro&szlig;en
Schlacht zwischen der Armee der Arbeit und der Macht des Kapitals ernst
und feierlich l&auml;uteten.</P>
<P>Am 3. Dezember 1912 sprach der sozialdemokratische Fraktionsredner David
im Deutschen Reichstag:</P>
<P><SMALL>&raquo;Das war eine der sch&ouml;nsten Stunden meines Lebens,
das bekenne ich. Als die Glocken des M&uuml;nsters den Zug der internationalen
Sozialdemokraten begleiteten, als die roten Fahnen im Chor der Kirche um
den Altar sich aufstellten, und als Orgelklang die Sendboten der V&ouml;lker
begr&uuml;&szlig;te, die den Frieden verk&uuml;nden wollten, da war das
allerdings ein Eindruck, den ich nicht vergessen werde... Was sich hier
vollzieht, das sollte Ihnen doch klarwerden. <B>Die Massen h&ouml;ren auf,
willenlose, gedankenlose Herden zu sein</B>. Das ist neu in der Geschichte.
Fr&uuml;her haben sich die Massen blindlings von denen, die Interesse an
einem Krieg hatten, gegeneinanderhetzen und in den Massenmord treiben lassen.
Das h&ouml;rt auf. <B>Die Massen h&ouml;ren auf, willenlose Instrumente
und Trabanten irgendwelcher Kriegsinteressenten zu sein</B>.&laquo;</SMALL>
<P>Noch eine Woche vor Ausbruch des Krieges, am 26. Juli 1914, schrieben
deutsche Parteibl&auml;tter:</P>
<P><SMALL>&raquo;Wir sind keine Marionetten, wir bek&auml;mpfen mit
aller Energie ein System, das die Menschen zu willenlosen Werkzeugen der
blind waltenden Verh&auml;ltnisse macht, diesen Kapitalismus, der das nach
Frieden d&uuml;rstende Europa in ein dampfendes Schlachthaus zu verwandeln
sich anschickt. Wenn das Verderben seinen Gang geht, wenn der entschlossene
Friedenswille des deutschen, des internationalen Proletariats, der in den
n&auml;chsten Tagen sich in machtvollen Kundgebungen offenbaren wird, nicht
imstande sein sollte, den Weltkrieg abzuwehren, <B>dann soll er wenigstens
der letzte Krieg, dann soll er die G&ouml;tterd&auml;mmerung des Kapitalismus
werden</B>.&laquo; (&raquo;Frankfurter Volksstimme.&laquo;) </SMALL></P>
<P>Noch am 30. Juli 1914 rief das Zentralorgan der deutschen Sozialdemokratie:</P>
<P><SMALL>&raquo;Das sozialistische Proletariat lehnt jede Verantwortung
f&uuml;r die Ereignisse ab, die eine bis zum Aberwitz verblendete herrschende
Klasse heraufbeschw&ouml;rt. Es wei&szlig;, da&szlig; <B>gerade ihm neues
Leben aus den Ruinen bl&uuml;hen wird</B>. Alle <B>Verantwortung</B> f&auml;llt
auf die <B>Machtbaber von heute</B>.</SMALL></P>
<P><SMALL>F&uuml;r sie handelt es sich um <B>Sein oder Nichtsein</B>.</SMALL></P>
<P><SMALL><B>Die Weltgeschichte ist das Weltgericht</B>.&laquo;</SMALL></P>
<P>Und dann kam das Unerh&ouml;rte, das Beispiellose, der 4. August 1914.</P>
<P>Ob es so kommen mu&szlig;te? Ein Geschehnis von dieser Tragweite ist
gewi&szlig; kein Spiel des Zufalls. Es m&uuml;ssen ihm tiefe und weitgreifende
objektive Ursachen zugrunde liegen. Aber diese Ursachen k&ouml;nnen auch
in Fehlern der F&uuml;hrerin des Proletariats, der Sozialdemokratie, im
Versagen unseres Kampfwillens, unseres Muts, unserer &Uuml;berzeugungstreue
liegen. Der wissenschaftliche Sozialismus hat uns gelehrt, die objektiven
Gesetze der geschichtlichen Entwicklung zu begreifen. Die Menschen machen
ihre Geschichte nicht aus freien St&uuml;cken. Aber sie machen sie selbst.
Das Proletariat ist in seiner Aktion von dem jeweiligen Reifegrad der gesellschaftlichen
Entwicklung abh&auml;ngig, aber die gesellschaftliche Entwicklung geht
nicht jenseits des Proletariats vor sich, es ist in gleichem Ma&szlig;e
ihre Triebfeder und Ursache, wie es ihr Produkt und Folge ist. Seine Aktion
selbst ist mitbestimmender Teil der Geschichte. Und wenn wir die geschichtliche
Entwicklung so wenig &uuml;berspringen k&ouml;nnen, wie der Mensch seinen
Schatten, wir k&ouml;nnen sie wohl beschleunigen oder verlangsamen.</P>
<P>Der Sozialismus ist die erste Volksbewegung der Weltgeschichte, die
sich zum Ziel setzt und von der Geschichte berufen ist, in das gesellschaftliche
Tun der Menschen einen bewu&szlig;ten Sinn, einen planm&auml;&szlig;igen
Gedanken und damit den freien Willen hineinzutragen. Darum nennt Friedrich
Engels den endg&uuml;ltigen Sieg des sozialistischen Proletariats einen
Sprung der Menschheit aus dem Tierreich in das Reich der Freiheit. Auch
dieser &raquo;Sprung&laquo; ist an eherne Gesetze der Geschichte, an tausend
Sprossen einer vorherigen qualvollen und allzu langsamen Entwicklung gebunden.
Aber er kann nimmermehr vollbracht werden, wenn aus all dem von der Entwicklung
zusammengetragenen Stoff der materiellen Vorbedingungen nicht der z&uuml;ndende
Funke des bewu&szlig;ten Willens der gro&szlig;en Volksmasse aufspringt.
Der Sieg des Sozialismus wird nicht wie ein Fatum vom Himmel herabfallen.
Er kann nur durch eine lange Kette gewaltiger Kraftproben zwischen den
alten und den neuen M&auml;chten erk&auml;mpft werden, Kraftproben, in
denen das internationale Proletariat unter der F&uuml;hrung der Sozialdemokratie
lernt und versucht, seine Geschicke in die eigene Hand zu nehmen, sich
des Steuers des gesellschaftlichen Lebens zu bem&auml;chtigen, aus einem
willenlosen Spielball der eigenen Geschichte zu ihrem zielklaren Lenker
zu werden.
<P>Friedrich Engels sagte einmal: <I>die b&uuml;rgerliche Gesellschaft steht
vor einem Dilemma: entweder &Uuml;bergang zum Sozialismus oder R&uuml;ckfall
in die Barbarei.</I> Was bedeutet ein &raquo;R&uuml;ckfall in die Barbarei&laquo; auf unserer H&ouml;he der europ&auml;ischen Zivilisation? Wir haben wohl
alle die Worte bis jetzt gedankenlos gelesen und wiederholt, ohne ihren
furchtbaren Ernst zu ahnen. Ein Blick um uns in diesem Augenblick zeigt,
was ein R&uuml;ckfall der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft in die Barbarei
bedeutet. Dieser Weltkrieg - das ist ein R&uuml;ckfall in die Barbarei.
Der Triumph des Imperialismus f&uuml;hrt zur Vernichtung der Kultur &shy;
sporadisch w&auml;hrend der Dauer eines modernen Krieges, und endg&uuml;ltig,
wenn die nun begonnene Periode der Weltkriege ungehemmt bis zur letzten
Konsequenz ihren Fortgang nehmen sollte. Wir stehen also heute, genau wie
Friedrich Engels vor einem Menschenalter, vor vierzig Jahren, voraussagte,
vor der Wahl: entweder Triumph des Imperialismus und Untergang jeglicher
Kultur, wie im alten Rom, Entv&ouml;lkerung, Ver&ouml;dung, Degeneration,
ein gro&szlig;er Friedhof. Oder Sieg des Sozialismus, das hei&szlig;t der
bewu&szlig;ten Kampfaktion des internationalen Proletariats gegen den Imperialismus
und seine Methode: den Krieg. Dies ist ein Dilemma der Weltgeschichte,
ein Entweder - Oder, dessen Waagschalen zitternd schwanken vor dem Entschlu&szlig;
des klassenbewu&szlig;ten Proletariats. Die Zukunft der Kultur und der
Menschheit h&auml;ngt davon ab, ob das Proletariat sein revolution&auml;res
Kampfschwert mit m&auml;nnlichem Entschlu&szlig; in die Waagschale wirft.
</P>
<P>In diesem Kriege hat der Imperialismus gesiegt. Sein blutiges Schwert des
V&ouml;lkermordes hat mit brutalem &Uuml;bergewicht die Waagschale in den
Abgrund des Jammers und der Schmach hinabgezogen. Der ganze Jammer und
die ganze Schmach k&ouml;nnen nur dadurch aufgewogen werden, da&szlig;
wir aus dem Kriege und im Kriege lernen, wie das Proletariat sich aus der
Rolle eines Knechts in den H&auml;nden der herrschenden Klassen zum Herrn
des eigenen Schicksals aufrafft.
<P>Teuer erkauft die moderne Arbeiterklasse jede Erkenntnis ihres historischen
Berufes. Der Golgathaweg ihrer Klassenbefreiung ist mit furchtbaren Opfern
bes&auml;t. Die Junik&auml;mpfer, die Opfer der Kommune, die M&auml;rtyrer
der russischen Revolution &shy; ein Reigen blutiger Schatten schier ohne
Zahl. Jene waren aber auf dem Felde der Ehre gefallen, sie sind, wie Marx
&uuml;ber die Kommune-Helden schrieb, auf &raquo;ewige Zeiten eingeschreint
in dem gro&szlig;en Herzen der Arbeiterklasse&laquo;. Jetzt fallen Millionen
Proletarier aller Zungen auf dem Felde der Schmach, des Brudermordes, der
Selbstzerfleischung mit dem Sklavengesang auf den Lippen. Auch das sollte
uns nicht erspart bleiben. Wir gleichen wahrhaft den Juden, die Moses durch
die W&uuml;ste f&uuml;hrt. Aber wir sind nicht verloren, und wir werden
siegen, wenn wir zu lernen nicht verlernt haben. Und sollte die heutige
F&uuml;hrerin des Proletariats, die Sozialdemokratie, nicht zu lernen verstehen,
dann wird sie untergehen, &raquo;um den Menschen Platz zu machen, die einer
neuen Welt gewachsen sind&laquo;.</P>
<HR size="1" align="left" width="200">
<P><SMALL>Quelle: &raquo;die nicht mehr existierende Website "Unser Kampf" auf fr<66>her "http://felix2.2y.net/deutsch/index.html"&laquo;<BR>
Pfad: &raquo;../lu/&laquo;<BR>
Verkn&uuml;pfte Dateien: &raquo;<A href="http://www.mlwerke.de/css/format.css">../css/format.css</A>&laquo;</SMALL>
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