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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<title>Karl Marx - Die Klassenkaempfe in Frankreich 1848 bis 1850 - I</title>
</head>
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<p align="center"><a href="../me22/me22_509.htm"><font size="2">Einleitung (1895)</font></a> |
<a href="me07_009.htm"><font size="2">Inhalt und Einleitung</font></a> | <a href=
"me07_035.htm"><font size="2">II - Der 13. Juni 1849</font></a></p>
<p><small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 7, "Die
Klassenk&auml;mpfe in Frankreich 1848-1850", S. 12-34<br>
Dietz Verlag Berlin/DDR 1960</small></p>
<p align="center"><font size="5">I<br>
Die Juniniederlage 1848</font><br>
<i>Vom Februar bis Juni 1848</i></p>
<p><b><a name="S12">&lt;12&gt;</a></b> Nach der Julirevolution, als der liberale Bankier Lafitte
seinen comp&egrave;re &lt;Gefatter; Helfershelfer&gt;, den Herzog von Orl&eacute;ans, im Triumph
auf das H&ocirc;tel de Ville &lt;Stadthaus von Paris&gt; geleitete, lie&szlig; er das Wort
fallen: <i>"Von nun an werden die Bankiers herrschen."</i> Lafitte hatte das Geheimnis der
Revolution verraten.</p>
<p>Nicht die franz&ouml;sische Bourgeoisie herrschte unter Louis-Philippe, sondern <i>eine
Fraktion</i> derselben, Bankiers, B&ouml;rsenk&ouml;nige, Eisenbahnk&ouml;nige, Besitzer von
Kohlen- und Eisenbergwerken und Waldungen, ein Teil des mit ihnen ralliierten Grundeigentums -
die sogenannte <i>Finanzaristokratie</i>. Sie sa&szlig; auf dem Throne, sie diktierte in den
Kammern Gesetze, sie vergab die Staatsstellen vom Ministerium bis zum Tabaksb&uuml;ro.</p>
<p>Die eigentliche <i>industrielle Bourgeoisie</i> bildete einen Teil der offiziellen Opposition,
d.h., sie war in der Kammer nur als Minorit&auml;t vertreten. Ihre Opposition trat um so
entschiedener hervor, je reiner sich die Alleinherrschaft der Finanzaristokratie entwickelte und
je mehr sie selbst nach den in Blut erstickten Emeuten 1832, 1834 und 1839 ihre Herrschaft
&uuml;ber die Arbeiterklasse gesichert w&auml;hnte. <i>Grandin</i>, Fabrikant von Rouen, in der
konstituierenden wie in der legislativen Nationalversammlung das fanatische Organ der
b&uuml;rgerlichen Reaktion, war in der Deputiertenkammer der heftigste Widersacher Guizots.
<i>L&eacute;on Faucher</i>, sp&auml;ter durch seine ohnm&auml;chtigen Anstrengungen bekannt, sich
zum Guizot der franz&ouml;sischen Kontrerevolution aufzuschwingen, f&uuml;hrte in den letzten
Zeiten Louis-Philippes einen Federkrieg f&uuml;r die Industrie gegen die Spekulation und ihren
Schleppentr&auml;ger, die Regierung. <i>Bastiat</i> agitierte im Namen von Bordeaux und des
ganzen weinproduzierenden Frankreichs gegen das herrschende System.</p>
<p>Die <i>kleine Bourgeoisie</i> in allen ihren Abstufungen, ebenso die <i>Bauernklasse</i> waren
vollst&auml;ndig von der politischen Macht ausgeschlossen. Es befanden <a name=
"S13"><b>&lt;13&gt;</b></a> sich endlich in der offiziellen Opposition oder g&auml;nzlich
au&szlig;erhalb des pays l&eacute;gal &lt;des Kreises der Wahlberechtigten&gt; die
<i>ideologischen</i> Vertreter und Wortf&uuml;hrer der angef&uuml;hrten Klassen, ihre Gelehrten,
Advokaten, &Auml;rzte usw., mit einem Worte: ihre sogenannten <i>Kapazit&auml;ten</i>.</p>
<p>Durch ihre Finanznot war die Julimonarchie von vorn herein abh&auml;ngig von der hohen
Bourgeoisie, und ihre Abh&auml;ngigkeit von der hohen Bourgeoisie wurde die unersch&ouml;pfliche
Quelle einer wachsenden Finanznot. Unm&ouml;glich, die Staatsverwaltung dem Interesse der
nationalen Produktion unterzuordnen, ohne das Gleichgewicht im Budget herzustellen, das
Gleichgewicht zwischen Staatsausgaben und Staatseinnahmen. Und wie dies Gleichgewicht herstellen
ohne Beschr&auml;nkung des Staatsaufwandes, d.h. ohne Interessen zu verletzen, die ebenso viele
St&uuml;tzen des herrschenden Systems waren, und ohne die Steuerverteilung neu zu regeln, d.h.
ohne einen bedeutenden Teil der Steuerlast auf die Schultern der hohen Bourgeoisie selbst zu
w&auml;lzen?</p>
<p><i>Die Verschuldung des Staates</i> war vielmehr das <i>direkte Interesse</i> der durch die
Kammern herrschenden und gesetzgebenden Bourgeoisfraktion. Das <i>Staatsdefizit</i>, es war eben
der eigentliche Gegenstand ihrer Spekulation und die Hauptquelle ihrer Bereicherung. Nach jedem
Jahre ein neues Defizit. Nach dem Verlaufe von vier bis f&uuml;nf Jahren eine neue Anleihe. Und
jede neue Anleihe bot der Finanzaristokratie neue Gelegenheit, den k&uuml;nstlich in der Schwebe
des Bankerotts gehaltenen Staat zu prellen - er mu&szlig;te unter den ung&uuml;nstigsten
Bedingungen mit den Bankiers kontrahieren. Jede neue Anleihe gab eine zweite Gelegenheit, das
Publikum, das seine Kapitalien in Staatspapiere angelegt, durch B&ouml;rsenoperationen zu
pl&uuml;ndern, in deren Geheimnis Regierung und Kammermajorit&auml;t eingeweiht waren.
&Uuml;berhaupt bot der schwankende Stand des Staatskredits und der Besitz der Staatsgeheimnisse
den Bankiers wie ihren Affiliierten in den Kammern und auf dem Throne die M&ouml;glichkeit,
au&szlig;erordentliche, pl&ouml;tzliche Schwankungen im Kurse der Staatspapiere hervorzurufen,
deren stetes Resultat der Ruin einer Masse kleinerer Kapitalisten sein mu&szlig;te und die
fabelhafte schnelle Bereicherung der gro&szlig;en Spieler. War das Staatsdefizit das direkte
Interesse der herrschenden Bourgeoisfraktion, so erkl&auml;rt es sich, wie die
<i>au&szlig;erordentlichen</i> Staatsverwendungen in den letzten Regierungsjahren Louis-Philippes
bei weitem um das Doppelte die au&szlig;erordentlichen Staatsverwendungen unter Napoleon
&uuml;berstiegen, ja beinah j&auml;hrlich die Summe von 400 Millionen frs. erreichten,
w&auml;hrend die j&auml;hrliche Gesamtausfuhr Frankreichs im Durchschnitt sich selten zur
H&ouml;he von 750 Millionen frs. erhob. Die enormen Summen, die so durch <a name=
"S14"><b>&lt;14&gt;</b></a> die H&auml;nde des Staates flossen, gaben &uuml;berdem Gelegenheit zu
gaunerischen Lieferungskontrakten, Bestechungen, Unterschleifen, Spitzb&uuml;bereien aller Art.
Die &Uuml;bervorteilung des Staates, wie sie durch die Anleihen im Gro&szlig;en geschah,
wiederholte sich bei den Staatsarbeiten im Detail. Das Verh&auml;ltnis zwischen Kammer und
Regierung vervielf&auml;ltigte sich als Verh&auml;ltnis zwischen den einzelnen Administrationen
und den einzelnen Unternehmern.</p>
<p>Wie die Staatsverwendungen &uuml;berhaupt und die Staatsanleihen, so exploitierte die
herrschende Klasse die <i>Eisenbahnbauten</i>. Dem Staate w&auml;lzten die Kammern die
Hauptlasten zu, und der spekulierenden Finanzaristokratie sicherten sie die goldenen
Fr&uuml;chte. Man erinnert sich der Skandale in der Deputiertenkammer, wenn es gelegentlich zu
Vorschein kam, da&szlig; s&auml;mtliche Mitglieder der Majorit&auml;t, ein Teil der Minister
eingerechnet, als Aktion&auml;re bei denselben Eisenbahnbauten beteiligt waren, die sie hinterher
als Gesetzgeber auf Staatskosten ausf&uuml;hren lie&szlig;en.</p>
<p>Die kleinste finanzielle Reform scheiterte dagegen an dem Einflusse der Bankiers. So z.B. die
<i>Postreform</i>. Rothschild protestierte. Durfte der Staat Einnahmequellen schm&auml;lern, aus
denen seine wachsende Schuld zu verzinsen war?</p>
<p>Die Julimonarchie war nichts als eine Aktienkompanie zur Exploitation des franz&ouml;sischen
Nationalreichtums, deren Dividenden sich verteilten unter Minister, Kammern, 240.000 W&auml;hler
und ihren Anhang. Louis-Philippe war der Direktor dieser Kompanie - Robert Macaire auf dem
Throne. Handel, Industrie, Ackerbau, Schiffahrt, die Interessen der industriellen Bourgeois
mu&szlig;ten best&auml;ndig unter diesem System gef&auml;hrdet und beeintr&auml;chtigt werden.
Wohlfeile Regierung, gouvernement &agrave; bon march&eacute;, hatte sie in den Julitagen auf ihre
Fahne geschrieben.</p>
<p>Indem die Finanzaristokratie die Gesetze gab, die Staatsverwaltung leitete, &uuml;ber
s&auml;mtliche organisierte &ouml;ffentliche Gewalten verf&uuml;gte, die &ouml;ffentliche Meinung
durch die Tatsachen und durch die Presse beherrschte, wiederholte sich in allen Sph&auml;ren, vom
Hofe bis zum Caf&eacute; Borgne &lt;Bezichnung f&uuml;r verrufene Kaffeh&auml;user und Kneipen in
Paris&gt; dieselbe Prostitution, derselbe schamlose Betrug, dieselbe Sucht, sich zu bereichern,
nicht durch die Produktion, sondern durch die Eskamotage schon vorhandenen fremden Reichtums,
brach namentlich an den Spitzen der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft die schrankenlose, mit den
b&uuml;rgerlichen Gesetzen selbst jeden Augenblick kollidierende Geltendmachung der ungesunden
und liederlichen Gel&uuml;ste aus, worin der aus dem Spiele entspringende Reichtum
naturgem&auml;&szlig; seine Befriedigung sucht, wo der Genu&szlig; crapuleux
&lt;ausschweifend&gt; wird, wo Geld, Schmutz und Blut <a name="S15"><b>&lt;15&gt;</b></a>
zusammenflie&szlig;en. Die Finanzaristokratie, in ihrer Erwerbsweise wie in ihren Gen&uuml;ssen,
ist nichts als die <i>Wiedergeburt des Lumpenproletariats auf den H&ouml;hen der
b&uuml;rgerlichen Gesellschaft</i>.</p>
<p>Und die nicht herrschenden Fraktionen der franz&ouml;sischen Bourgeoisie schrien
<i>Korruption!</i> Das Volk schrie: <i>&Agrave; bas les grands voleurs! &Agrave; bas les
assassins!</i> &lt;<i>Nieder mit den gro&szlig;en Dieben! Nieder mit den M&ouml;rdern!</i>&gt;
als im Jahre 1847 auf den erhabensten B&uuml;hnen der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft dieselben
Szenen &ouml;ffentlich aufgef&uuml;hrt wurden, welche das Lumpenproletariat regelm&auml;&szlig;ig
in die Bordells, in die Armen- und Irrenh&auml;user, vor den Richter, in die Bagnos und auf das
Schafott f&uuml;hren. Die industrielle Bourgeoisie sah ihre Interessen gef&auml;hrdet, die kleine
Bourgeoisie war moralisch entr&uuml;stet, die Volksphantasie war emp&ouml;rt, Paris war von
Pamphlets &uuml;berflutet - "La dynastie Rothschild", "Les juifs rois de l'&eacute;poque"
&lt;"Die Dynastie Rothschild", "Die Juden - K&ouml;nige unserer Zeit"&gt; etc. -, worin die
Herrschaft der Finanzaristokratie mit mehr oder weniger Geist denunziert und gebrandmarkt
wurde.</p>
<p>Rien pour la gloire! &lt;Nichts f&uuml;r den Ruhm!&gt; Der Ruhm bringt nichts ein! La paix
partout et toujours! &lt;&gt;Friede &uuml;berall und immer!&gt; Der Krieg dr&uuml;ckt den Kurs
der drei- und vierprozentigen! - hatte das Frankreich der B&ouml;rsenjuden auf seine Fahne
geschrieben. Seine ausw&auml;rtige Politik verlor sich daher in eine Reihe von Kr&auml;nkungen
des franz&ouml;sischen Nationalgef&uuml;hls, das um so lebhafter auffuhr, als mit der
Einverleibung Krakaus in &Ouml;sterreich der Raub an Polen vollendet wurde und Guizot im
schweizerischen Sonderbundskrieg aktiv auf seiten der Heiligen Allianz trat. Der Sieg der
Schweizer Liberalen in diesem Scheinkriege hob das Selbstgef&uuml;hl der b&uuml;rgerlichen
Opposition in Frankreich, die blutige Erhebung des Volkes zu Palermo wirkte wie ein elektrischer
Schlag auf die paralysierte Volksmasse und rief ihre gro&szlig;en revolution&auml;ren
Erinnerungen und Leidenschaften wach.<a name="Z1"></a><a href="me07_012.htm#M1">(1)</a></p>
<p>Der Ausbruch des allgemeinen Mi&szlig;behagens wurde endlich beschleunigt, die Verstimmung zur
Revolte gereift durch zwei <i>&ouml;konomische Weltereignisse</i>.</p>
<p>Die <i>Kartoffelkrankheit</i> und <i>Mi&szlig;ernten</i> von 1845 und 1846 steigerten die
allgemeine G&auml;rung im Volke. Die Teuerung von 1847 rief in Frankreich wie auf dem
&uuml;brigen Kontinente blutige Konflikte hervor. Gegen&uuml;ber den schamlosen Orgien der
Finanzaristokratie - der Kampf des Volkes um die ersten Lebensmittel! Zu Buzan&ccedil;ais die
Emeutiers des Hungers hingerichtet, zu <a name="S16"><b>&lt;16&gt;</b></a> Paris
&uuml;bers&auml;ttigte Escrocs &lt;Gauner&gt; den Gerichten durch die k&ouml;nigliche Familie
entrissen!</p>
<p>Das zweite gro&szlig;e &ouml;konomische Ereignis, welches den Ausbruch der Revolution
beschleunigte, war eine <i>allgemeine Handels- und Industriekrise</i> in England; schon Herbst
1845 angek&uuml;ndigt durch die massenhafte Niederlage der Eisenbahnaktien-Spekulaten,
hingehalten w&auml;hrend des Jahres 1846 durch eine Reihe von Inzidenzpunkten wie die
bevorstehende Abschaffung der Kornz&ouml;lle, eklatierte sie endlich Herbst 1847 in den
Bankerotten der gro&szlig;en Londoner Kolonialwarenh&auml;ndler, denen die Falliten der
Landbanken und das Schlie&szlig;en der Fabriken in den englischen Industriebezirken auf dem
Fu&szlig;e nachfolgten. Noch war die Nachwirkung dieser Krise auf dem Kontinent nicht
ersch&ouml;pft, als die Februarrevolution ausbrach.</p>
<p>Die Verw&uuml;stung des Handels und der Industrie durch die &ouml;konomische Epidemie machte
die Alleinherrschaft der Finanzaristokratie noch unertr&auml;glicher. In ganz Frankreich rief die
oppositionelle Bourgeoisie die <i>Bankettagitation</i> f&uuml;r eine <i>Wahlreform</i> hervor,
welche ihr die Majorit&auml;t in den Kammern erobern und das Ministerium des B&ouml;rse
st&uuml;rzen sollte. Zu Paris hatte die industrielle Krisis noch speziell die Folge, eine Masse
Fabrikanten und Gro&szlig;h&auml;ndler, die auf dem ausw&auml;rtigen Markte unter den
gegenw&auml;rtigen Umst&auml;nden keine Gesch&auml;fte mehr machen konnten, auf den inneren
Handel zu werfen. Sie errichteten gro&szlig;e Etablissements, deren Konkurrenz &Eacute;piciers
und Boutiquiers &lt;Kr&auml;mer und Kleinh&auml;ndler&gt; massenhaft ruinierte. Daher eine Unzahl
Falliten in diesem Teile der Pariser Bourgeoisie, daher ihr revolution&auml;res Auftreten im
Februar.. Es ist bekannt, wie Guizot und die Kammern die Reformvorschl&auml;ge mit einer
unzweideutigen Herausforderung beantworteten, wie Louis-Philippe sich zu sp&auml;t zu einem
Ministerium Barrot entschlo&szlig;, wie es zum Handgemenge zwischen dem Volke und der Armee kam,
wie die Armee durch die passive Haltung der Nationalgarde entwaffnet wurde, wie die Julimonarchie
einer provisorischen Regierung den Platz r&auml;umen mu&szlig;te.</p>
<p>Die <i>provisorische Regierung</i>, die sich auf den Februarbarrikaden erhob, spiegelte in
ihrer Zusammensetzung notwendig die verschiedenen Parteien ab, worunter sich der Sieg verteilte.
Sie konnte nichts anderes sein als ein <i>Kompromi&szlig; der verschiedenen Klassen</i>, die
gemeinsam den Julithron umgest&uuml;rzt, deren Interessen sich aber feindlich
gegen&uuml;berstanden. Ihre <i>gro&szlig;e Majorit&auml;t</i> bestand aus Vertretern der
Bourgeoisie. Das republikanische Kleinb&uuml;rgertum vertreten in Ledru-Rollin und Flocon, die
republikanische Bourgeoisie in den Leuten vom "National", die dynastische Opposition in <a name=
"S17"><b>&lt;17&gt;</b></a> Cr&eacute;mieux, Dupont de l'Eure usw. Die Arbeiterklasse besa&szlig;
nur zwei Repr&auml;sentanten, Louis Blanc und Albert. Lamartine endlich in der provisorischen
Regierung, das war zun&auml;chst kein wirkliches Interesse, keine bestimmte Klasse, das war die
Februarrevolution selbst, die gemeinsame Erhebung mit ihren Illusionen, ihrer Poesie, ihrem
eingebildeten Inhalt und ihrer Phrase. &Uuml;brigens geh&ouml;rte der Wortf&uuml;hrer der
Februarrevolution, seiner Stellung wie seinen Ansichten nach, der <i>Bourgeoisie</i> an.</p>
<p>Wenn Paris infolge der politischen Zentralisation Frankreich beherrscht, beherrschen die
Arbeiter in Augenblicken revolution&auml;rer Erdbeben Paris. Der erste Lebensakt der
provisorischen Regierung war der Versuch, sich diesem &uuml;berw&auml;ltigenden Einflusse zu
entziehen durch einen Appell von dem trunkenen Paris an das n&uuml;chterne Frankreich. Lamartine
bestritt den Barrikadenk&auml;mpfern das Recht, die Republik auszurufen, dazu sei nur die
Majorit&auml;t der Franzosen befugt; ihre Stimmgebung sei abzuwarten, das Pariser Proletariat
d&uuml;rfe seinen Sieg nicht beflecken durch eine Usurpation. Die Bourgeoisie erlaubte dem
Proletariat nur <i>eine</i> Usurpation - die des Kampfes.</p>
<p>Um die Mittagsstunde des 25. Februar war die Republik noch nicht ausgerufen, waren dagegen
s&auml;mtliche Ministerien schon verteilt unter die b&uuml;rgerlichen Elemente der provisorischen
Regierung und unter die Generale, Bankiers und Advokaten des "National". Aber die Arbeiter waren
entschlossen, diesmal keine &auml;hnliche Eskamotage zu dulden wie im Juli 1830. Sie waren
bereit, von neuem den Kampf aufzunehmen und die Republik durch Waffengewalt zu erzwingen. Mit
dieser Botschaft begab sich <i>Raspail</i> auf das H&ocirc;tel de Ville: Im Namen des Pariser
Proletariats <i>befahl</i> er der provisorischen Regierung, die Republik auszurufen.; sei dieser
Befehl des Volkes im Laufe von zwei Stunden nicht vollstreckt, so werde er an der Spitze von
200.000 Mann zur&uuml;ckkehren. Noch waren die Leichen der Gefallenen kaum erkaltet , die
Barrikaden nicht wegger&auml;umt, die Arbeiter nicht entwaffnet, und die einzige Macht, die man
ihnen entgegenstellen konnte, war die Nationalgarde. Unter diesen Umst&auml;nden verschwanden
pl&ouml;tzlich die staatsklugen Bedenken und juristischen Gewissensskrupel der provisorischen
Regierung. Die Frist von zwei Stunden war nicht abgelaufen, und schon prangten an allen Mauern
von Paris die historischen Riesenworte:</p>
<p><i>R&eacute;publique fran&ccedil;ais! Libert&eacute;, Egalit&eacute;,
Fraternit&eacute;!</i></p>
<p>Mit der Proklamation der Republik auf der Grundlage des allgemeinen Wahlrechts war selbst die
Erinnerung an die beschr&auml;nkten Zwecke und Motive ausgel&ouml;scht, welche die Bourgeoisie in
die Februarrevolution gejagt hatten. <a name="S18"><b>&lt;18&gt;</b></a> Statt einer weniger
Fraktionen des B&uuml;rgertums - s&auml;mtliche Klassen der franz&ouml;sischen Gesellschaft
pl&ouml;tzlich in den Kreis der politischen Macht hineingeschleudert, gezwungen, die Logen, das
Parterre, die Galerie zu verlassen und in eigener Person auf der revolution&auml;ren B&uuml;hne
mitzuspielen! Mit dem konstitutionellen K&ouml;nigtum auch der Schein einer eigenm&auml;chtig der
b&uuml;rgerlichen Gesellschaft gegen&uuml;berstehenden Staatsmacht verschwunden und die ganze
Reihe von untergeordneten K&auml;mpfen, welche diese Scheinmacht herausfordert!</p>
<p>Das Proletariat, indem es der provisorischen Regierung und durch die provisorische Regierung
ganz Frankreich die Republik diktierte, trat sofort als selbst&auml;ndige Partei in den
Vordergrund, aber es forderte zugleich das ganze b&uuml;rgerliche Frankreich gegen sich in die
Schranken. Was es eroberte, war das Terrain f&uuml;r den Kampf um seine revolution&auml;re
Emanzipation, keineswegs diese Emanzipation selbst.</p>
<p>Die Februarrepublik mu&szlig;te zun&auml;chst vielmehr die <i>Herrschaft der Bourgeoisie
vervollst&auml;ndigen</i>, indem sie neben der Finanzaristokratie <i>s&auml;mtliche besitzenden
Klassen</i> in den Kreis der politischen Macht eintreten lie&szlig;. Die Majorit&auml;t der
gro&szlig;en Grundbesitzer, die Legitimisten wurden von der politischen Nichtigkeit emanzipiert,
wozu die Julimonarchie sie verurteilt hatte. Nicht umsonst hatte die "Gazette de France"
gemeinsam mit den Oppositionsbl&auml;ttern agitiert, nicht umsonst La Rochejaquelein in der
Sitzung der Deputiertenkammer vom 24. Februar die Partei der Revolution ergriffen. Durch das
allgemeine Wahlrecht wurden die nominellen Eigent&uuml;mer, welche die gro&szlig;e Majorit&auml;t
der Franzosen bilden, die <i>Bauern</i>, zu Schiedsrichtern &uuml;ber das Schicksal Frankreichs
eingesetzt. Die Februarrepublik lie&szlig; endlich die Bourgeoisherrschaft rein hervortreten,
indem sie die Krone abschlug, hinter der sich das Kapital versteckt hielt.</p>
<p>Wie die Arbeiter in den Julitagen die <i>b&uuml;rgerliche Monarchie</i>, hatten sie in den
Februartagen die <i>b&uuml;rgerliche Republik</i> erk&auml;mpft. Wie die Julimonarchie gezwungen
war, sich anzuk&uuml;ndigen als eine <i>Monarchie, umgeben von republikanischen
Institutionen</i>, so die Februarrepublik als eine <i>Republik, umgeben von sozialen
Institutionen</i>. Das Pariser Proletariat <i>erzwang</i> auch diese Konzession.</p>
<p>Marche, ein Arbeiter, diktierte das Dekret, worin die eben erst gebildete provisorische
Regierung sich verpflichtete, die Existenz der Arbeiter durch die Arbeit sicherzustellen, allen
B&uuml;rgern Arbeit zu verschaffen usw. Und als sie wenige Tage sp&auml;ter ihre Verpflichtung
verga&szlig; und aus den Augen verloren zu haben schien, marschierte eine Masse von 20.000
Arbeitern auf das H&ocirc;tel de Ville mit dem Rufe: <i>Organisation der Arbeit! Bildung eines
eigenen Ministeriums der Arbeit!</i> Widerstrebend und nach langen Debat- <a name=
"S19"><b>&lt;19&gt;</b></a> ten ernannte die provisorische Regierung eine permanente
Spezialkommission, beauftragt, die Mittel zur Verbesserung der arbeitenden Klassen
<i>auszufinden</i>! Diese Kommission wurde gebildet aus Delegierten der Pariser
Handwerkskorpoationen und pr&auml;sidiert von Louis Blanc und Albert. Das Luxembourg wurde ihr
als Sitzungssaal angewiesen. So waren die Vertreter der Arbeiterklasse von dem Sitze der
provisorischen Regierung verbannt, der b&uuml;rgerliche Teil derselben behielt die wirkliche
Staatsmacht und die Z&uuml;gel der Verwaltung ausschlie&szlig;lich in den H&auml;nden, und
<i>neben</i> den Ministerien der Finanzen, des Handels, der &ouml;ffentlichen Arbeiten,
<i>neben</i> der Bank und der B&ouml;rse erhob sich eine <i>sozialistische Synagoge</i>, deren
Hohepriester, Louis Blanc und Albert, die Aufgabe hatten, das gelobte Land zu entdecken, das neue
Evangelium zu verk&uuml;nden und das Pariser Proletariat zu besch&auml;ftigen. Zum Unterschiede
von jeder profanen Staatsmacht stand ihnen kein Budget, keine exekutive Gewalt zur
Verf&uuml;gung. Mit dem Kopfe sollten sie die Grundpfeiler der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft
einrennen. W&auml;hrend das Luxembourg den Stein der Weisen suchte, schlug man im H&ocirc;tel de
Ville die kurshabende M&uuml;nze.</p>
<p>Und dennoch, die Anspr&uuml;che des Pariser Proletariats, soweit sie &uuml;ber die
b&uuml;rgerliche Republik hinausgingen, sie konnte keine andere Existent gewinnen als die
nebelhafte des Luxembourg.</p>
<p>Gemeinsam mit der Bourgeoisie hatten die Arbeiter die Februarrevolution gemacht, <i>neben</i>
der Bourgeoisie suchten sie ihre Interessen durchzusetzen, wie sie in der provisorischen
Regierung selbst neben die b&uuml;rgerliche Majorit&auml;t einen Arbeiter installiert hatten.
<i>Organisation der Arbeit!</i> Aber die Lohnarbeit, das ist die vorhandene b&uuml;rgerliche
Organisation der Arbeit. Ohne sie kein Kapital, keine Bourgeoisie, keine b&uuml;rgerliche
Gesellschaft. Ein <i>eigenes Ministerium der Arbeit!</i> Aber die Ministerien der Finanzen, des
Handels, der &ouml;ffentlichen Arbeiten, sind sie nicht die <i>b&uuml;rgerlichen</i> Ministerien
der Arbeit? Und <i>neben</i> ihnen ein <i>proletarisches</i> Ministerium des Arbeit, es
mu&szlig;te ein Ministerium der Ohnmacht sein, ein Ministerium der frommen W&uuml;nsche, eine
Kommission des Luxembourg. Wie die Arbeiter glaubten, neben der Bourgeoisie sich emanzipieren, so
meinten sie, neben den &uuml;brigen Bourgeoisienationen innerhalb der nationalen W&auml;nde
Frankreichs eine proletarische Revolution vollziehen zu k&ouml;nnen. Aber die franz&ouml;sischen
Produktionsverh&auml;ltnisse sind bedingt durch den ausw&auml;rtigen Handel Frankreichs, durch
seine Stellung auf dem Weltmarkt und die Gesetze desselben; wie sollte Frankreich sie brechen
ohne einen europ&auml;ischen Revolutionskrieg, der auf den Despoten des Weltmarkts, England,
zur&uuml;ckschl&uuml;ge?</p>
<p>Eine Klasse, worin sich die revolution&auml;ren Interessen der Gesellschaft konzentrieren,
sobald sie sich erhoben hat, findet unmittelbar in ihrer eigenen <a name=
"S20"><b>&lt;20&gt;</b></a> Lage den Inhalt und das Material ihrer revolution&auml;ren
T&auml;tigkeit: Feinde niederzuschlagen, durch das Bed&uuml;rfnis des Kampfes gegebene
Ma&szlig;regeln zu ergreifen; die Konsequenzen ihrer eigenen Taten treiben sie weiter. Sie stellt
keine theoretischen Untersuchungen &uuml;ber ihre eigene Aufgabe an. Die franz&ouml;sische
Arbeiterklasse befand sich aber nicht auf diesem Standpunkte, sie war noch unf&auml;hig, ihre
eigene Revolution durchzuf&uuml;hren.</p>
<p>Die Entwicklung des industriellen Proletariats ist &uuml;berhaupt bedingt durch die
Entwicklung der industriellen Bourgeoisie. Unter ihrer Herrschaft gewinnt es erst die ausgedehnte
nationale Existenz, die seine Revolution zu einer nationalen erheben kann, schafft es selbst erst
die modernen Produktionsmittel, welche ebenso viele Mittel seiner revolution&auml;ren Befreiung
werden. Ihre Herrschaft rei&szlig;t erst die materiellen Wurzeln der feudalen Gesellschaft aus
und ebnet das Terrain, worauf allein eine proletarische Revolution m&ouml;glich ist. Die
franz&ouml;sische Industrie ist ausgebildeter und die franz&ouml;sische Bourgeoisie
revolution&auml;rer entwickelt als die des &uuml;brigen Kontinents. Aber die Februarrevolution,
war sie nicht unmittelbar gegen die Finanzaristokratie gerichtet? Diese Tatsache bewies,
da&szlig; die industrielle Bourgeoisie Frankreich nicht beherrschte. Die industrielle Bourgeoisie
kann nur da herrschen, wo die moderne Industrie alle Eigentumsverh&auml;ltnisse sich
gem&auml;&szlig; gestaltet, und nur da kann die Industrie diese Gewalt gewinnen, wo sie den
Weltmarkt erobert hat, denn die nationalen Grenzen gen&uuml;gen ihrer Entwicklung nicht.
Frankreichs Industrie aber, zum gro&szlig;en Teil, behauptet selbst den nationalen Markt nur
durch ein mehr oder minder modifiziertes Prohibitivsystem. Wenn das franz&ouml;sische Proletariat
daher in dem Augenblicke einer Revolution zu Paris eine faktische Gewalt und einen Einflu&szlig;
besitzt, die es zu einem Anlaufe &uuml;ber seine Mittel hinaus anspornen, so ist es in dem
&uuml;brigen Frankreich an einzelnen zerstreuten industriellen Zentralpunkten
zusammengedr&auml;ngt, fast verschwindend unter einer &Uuml;berzahl von Bauern und
Kleinb&uuml;rgern. Der Kampf gegen das Kapital in seiner entwickelten modernen Form, in seinem
Springpunkt, der Kampf des industriellen Lohnarbeiters gegen den industriellen Bourgeois ist in
Frankreich ein partielles Faktum, das nach den Februartagen um so weniger den nationalen Inhalt
der Revolution abgeben konnte, als der Kampf gegen die untergeordneten Exploitationsweisen des
Kapitals, des Bauern gegen den Wucherer und die Hypotheke, des Kleinb&uuml;rgers gegen den
Gro&szlig;h&auml;ndler, Bankier und Fabrikanten, mit einem Worte, gegen den Bankerott, noch
eingeh&uuml;llt war in die allgemeine Erhebung gegen die Finanzaristokratie. Nichts
erkl&auml;rlicher also, als da&szlig; das Pariser Proletariat sein Interesse <i>neben</i> dem
b&uuml;rgerlichen durchzusetzen suchte, statt es als das revolution&auml;re Interesse der
Gesellschaft selbst zur Geltung zu bringen, da&szlig; <a name="S21"><b>&lt;21&gt;</b></a> es die
<i>rote</i> Fahne vor der <i>trikoloren</i> fallen lie&szlig;. Die franz&ouml;sischen Arbeiter
konnten keinen Schritt vorw&auml;rts tun, kein Haar der b&uuml;rgerlichen Ordnung kr&uuml;mmen,
bevor der Gang der Revolution die zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie stehende Masse der
Nation, Bauern und Kleinb&uuml;rger, nicht gegen diese Ordnung, gegen die Herrschaft des Kapitals
emp&ouml;rt, sie gezwungen hatte, sich den Proletariern als ihren Vork&auml;mpfern
anzuschlie&szlig;en. Nur durch die ungeheure Niederlage im Juni konnten die Arbeiter diesen Sieg
erkaufen.</p>
<p>Die Kommission des Luxembourg, diesem Gesch&ouml;pfe der Pariser Arbeiter, bleibt das
Verdienst, das Geheimnis der Revolution des neunzehnten Jahrhunderts von einer europ&auml;ischen
Trib&uuml;ne herab verraten zu haben: <i>die Emanzipation des Proletariat</i>. Der "Moniteur"
err&ouml;tete, als er die "wilden Schw&auml;rmereien" offiziell propagieren mu&szlig;te, die
bisher vergraben lagen in den apokryphischen Schriften der Sozialisten und nur von Zeit zu Zeit
als ferne, halb f&uuml;rchterliche, halb l&auml;cherliche Sagen an das Ohr der Bourgeoisie
anschlugen. Europa fuhr &uuml;berrascht aus seinem b&uuml;rgerlichen Halbschlummer auf. In der
Idee der Proletarier also, welche die Finanzaristokratie mit der Bourgeoisie &uuml;berhaupt
verwechselten; in der Einbildung republikanischer Biederm&auml;nner, welche die Existenz selbst
der Klassen leugneten oder h&ouml;chstens als Folge der konstitutionellen Monarchie zugaben; in
den heuchlerischen Phrasen der bisher von der Herrschaft ausgeschlossenen b&uuml;rgerlichen
Fraktionen war die <i>Herrschaft der Bourgeoisie</i> abgeschafft mit der Einf&uuml;hrung der
Republik. Alle Royalisten verwandelten sich damals in Republikaner und alle Million&auml;re von
Paris in Arbeiter. Die Phrase, welche dieser eingebildeten Aufhebung der Klassenverh&auml;ltnisse
entsprach, war die <i>fraternit&eacute;</i>, die allgemeine Verbr&uuml;derung und
Br&uuml;derschaft. Diese gem&uuml;tliche Abstraktion von den Klassengegens&auml;tzen, diese
sentimentale Ausgleichung der sich widersprechenden Klasseninteressen, diese schw&auml;rmerische
Erhebung &uuml;ber den Klassenkampf, die fraternit&eacute; , sie war das eigentliche Stichwort
der Februarrevolution. Die Klassen waren durch ein blo&szlig;es <i>Mi&szlig;verst&auml;ndnis</i>
gespalten und Lamartine taufte die provisorische Regierung am 24. Februar: "un gouvernement qui
suspende <i>ce malentendu terrible qui existe entre les diff&eacute;rent classes"</i>. &lt;"eine
Regierung, die <i>dieses f&uuml;rchterliche Mi&szlig;verst&auml;ndnis aufhebt</i>, das
<i>zwischen den verschiedenen Klassen besteht</i>"&gt; Das Pariser Proletariat schwelgte in
diesem gro&szlig;m&uuml;tigen Fraternit&auml;tsrausche.</p>
<p>Die provisorische Regierung ihrerseits, einmal gezwungen, die Republik zu proklamieren, tat
alles, um sie der Bourgeoisie und den Provinzen annehm <a name="S22"><b>&lt;22&gt;</b></a> bar zu
machen. Die blutigen Schrecken der ersten franz&ouml;sischen Republik wurden desavouiert durch
die Abschaffung der Todesstrafe f&uuml;r politische Verbrechen, die Presse wurde allen Meinungen
freigegeben, die Armee, die Gerichte, die Administration blieben mit wenigen Ausnahmen in den
H&auml;nden ihrer alten W&uuml;rdentr&auml;ger, keiner der gro&szlig;en Schuldigen der
Julimonarchie wurde zur Rechenschaft gezogen. Die b&uuml;rgerlichen Republikaner des "National"
am&uuml;sierten sich damit, monarchische Namen und Kost&uuml;me mit altrepublikanischen zu
vertauschen. F&uuml;r sie war die Republik nichts als ein neuer Ballanzug f&uuml;r die alte
b&uuml;rgerliche Gesellschaft. Ihr Hauptverdienst suchte die junge Republik darin, nicht
abzuschrecken, vielmehr selbst best&auml;ndig zu erschrecken und durch die weiche Nachgiebigkeit
und Widerstandslosigkeit ihrer Existenz Existenz zu gewinnen und den Widerstand zu entwaffnen.
Den privilegierten Klassen im Innern, den despotischen M&auml;chten nach au&szlig;en wurde laut
verk&uuml;ndet, die Republik sei friedfertiger Natur. Leben und leben lassen sei ihr Motto. Es
kam hinzu, da&szlig; kurz nach der Februarrevolution Deutsche, Polen, &Ouml;sterreicher, Ungarn,
Italiener, jedes Volk seiner unmittelbaren Situation gem&auml;&szlig; revoltierte. Ru&szlig;land
und England waren, letzteres selbst bewegt und das andere eingesch&uuml;chtert, nicht
vorbereitet. Die Republik fand also vor sich keinen <i>nationalen</i> Feind. Also keine
gro&szlig;artigen ausw&auml;rtigen Verwicklungen, welche die Tatkraft entz&uuml;nden, den
revolution&auml;ren Proze&szlig; beschleunigen, die provisorische Regierung vorw&auml;rtstreiben
oder &uuml;ber Bord werfen konnten. Das Pariser Proletariat, das in der Republik seine eigene
Sch&ouml;pfung erblickte, akklamierte nat&uuml;rlich jedem Akt der provisorischen Regierung, der
sie leichter in der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft Platz greifen lie&szlig;. Von
Caussidi&egrave;re lie&szlig; es sich willig zu Polizeidiensten verwenden, um das Eigentum in
Paris zu besch&uuml;tzen, wie es die Lohnzwiste zwischen Arbeitern und Meistern von Louis Blanc
schlichten lie&szlig;. Es war sein Point d'honneur, vor den Augen von Europa die b&uuml;rgerliche
Ehre der Republik unangetastet zu erhalten.</p>
<p>Die Republik fand keinen Widerstand, weder von au&szlig;en noch von innen. Damit war sie
entwaffnet. Ihre Aufgabe bestand nicht mehr darin, die Welt revolution&auml;r umzugestalten, sie
bestand nur noch darin, sich den Verh&auml;ltnissen der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft
anzupassen. Mit welchem Fanatismus sich die provisorische Regierung dieser Aufgabe unterzog,
daf&uuml;r gibt es keine sprechenderen Zeugnisse als ihre <i>finanziellen
Ma&szlig;regeln</i>.</p>
<p>Der <i>&ouml;ffentliche Kredit</i> und der <i>Privatkredit</i> waren nat&uuml;rlich
ersch&uuml;ttert. Der <i>&ouml;ffentliche Kredit</i> beruhte auf dem Vertrauen, da&szlig; sich
der Staat durch die Juden der Finanz exploitieren l&auml;&szlig;t. Aber der alte Staat war
verschwunden, und die Revolution war vor allem gegen die Finanzaristokratie gerichtet. Die
<a name="S23"><b>&lt;23&gt;</b></a> Schwingungen der letzten europ&auml;ischen Handelskrise
hatten noch nicht ausgeschlagen: Noch folgten Bankerotte auf Bankerotte.</p>
<p>Der <i>Privatkredit</i> war also paralysiert, die Zirkulation gehemmt, die Produktion
gestockt, ehe die Februarrevolution ausbrach. Die revolution&auml;re Krise steigerte die
kommerzielle. Und wenn der Privatkredit auf dem Vertrauen beruht, da&szlig; die b&uuml;rgerliche
Produktion in dem ganzen Umfange ihrer Verh&auml;ltnisse, da&szlig; die b&uuml;rgerliche Ordnung
unangetastet und unantastbar ist, wie mu&szlig;te eine Revolution wirken, welche die Grundlage
der b&uuml;rgerlichen Produktion, die &ouml;konomische Sklaverei des Proletariats in Frage
stellte, welche der B&ouml;rse gegen&uuml;ber die Sphinx des Luxembourg aufrichtet? Die Erhebung
des Proletariats, das ist die Abschaffung des b&uuml;rgerlichen Kredits; denn es ist die
Abschaffung der b&uuml;rgerlichen Produktion und ihrer Ordnung. Der &ouml;ffentliche Kredit und
der Privatkredit sind der &ouml;konomische Thermometer, woran man die Intensit&auml;t einer
Revolution messen kann. <i>In demselben Grade, worin sie fallen, steigt die Glut und die
Zeugungskraft der Revolution.</i></p>
<p>Die provisorische Regierung wollte der Republik den antib&uuml;rgerlichen Schein abstreifen.
Sie mu&szlig;te daher vor allem den <i>Tauschwert</i> dieser neuen Staatsform, ihren <i>Kurs</i>
auf der B&ouml;rse zu sichern suchen. Mit dem Preiskurant der Republik auf der B&ouml;rse hob
sich notwendig wieder der Privatkredit.</p>
<p>Um selbst den <i>Verdacht</i> zu beseitigen, als wolle oder k&ouml;nne sie den von der
Monarchie &uuml;bernommenem Verpflichtungen nicht nachkommen, um an die b&uuml;rgerliche Moral
und Zahlungsf&auml;higkeit der Republik glauben zu machen, nahm die provisorische Regierung zu
einer ebenso w&uuml;rdelosen als kindischen Renommage ihre Zuflucht. <i>Vor</i> dem gesetzlichen
Zahlungstermin zahlte sie den Staatsgl&auml;ubigern die Zinsen der 5%, 41/2%, 4% aus. Das
b&uuml;rgerliche Aplomb, das Selbstgef&uuml;hl der Kapitalisten erwachte pl&ouml;tzlich, als sie
die &auml;ngstliche Hast sahen, womit man ihr Vertrauen zu erkaufen suchte.</p>
<p>Die Geldverlegenheit der provisorischen Regierung verminderte sich nat&uuml;rlich nicht durch
einen Theaterstreich, der sie des vorr&auml;tigen baren Geldes beraubte. Die Finanzklemme war
nicht l&auml;nger zu verbergen, und <i>Kleinb&uuml;rger</i>, <i>Dienstboten, Arbeiter</i>
mu&szlig;ten die angenehme &Uuml;berraschung zahlen, welche man den Staatsgl&auml;ubigern
bereitet hatte.</p>
<p>Die <i>Sparkassenb&uuml;cher</i> &uuml;ber den Betrag von 100 frs. hinaus wurden f&uuml;r
nicht mehr in Geld einwechselbar erkl&auml;rt. Die in den Sparkassen niedergelegten Summen wurden
konfisziert und durch ein Dekret in eine nicht r&uuml;ckzahlbare Staatsschuld verwandelt. Damit
wurde der ohnehin bedr&auml;ngte <i>Kleinb&uuml;rger</i> gegen die Republik erbittert. Indem er
an die Stelle seiner Sparkassenb&uuml;cher Staatsschuldscheine erhielt, wurde er gezwungen, auf
die B&ouml;rse <a name="S24"><b>&lt;24&gt;</b></a> zu gehen, um sie zu verkaufen und sich so
direkt in die H&auml;nde der B&ouml;rsenjuden zu liefern, gegen die er die Februarrevolution
gemacht hatte.</p>
<p>Die Finanzaristokratie, welche unter der Julimonarchie herrschte, hatte ihre Hochkirche in der
<i>Bank</i>. Wie die B&ouml;rse den Staatskredit regiert, so die Bank den
<i>Handelskredit</i>.</p>
<p>Durch die Februarrevolution direkt bedroht, nicht nur in ihrer Herrschaft, sondern in ihrer
Existenz, suchte die Bank von vornherein die Republik zu diskreditieren, indem sie die
Kreditlosigkeit allgemein machte. Den Bankiers, den Fabrikanten, den Kaufleuten k&uuml;ndigte sie
pl&ouml;tzlich den Kredit auf. Dieses Man&ouml;ver, indem es nicht sofort eine Kontrerevolution
hervorrief, schlug notwendig auf die Bank selbst zur&uuml;ck. Die Kapitalisten zogen das Geld
zur&uuml;ck, das sie in den Kellern der Bank niedergelegt hatten. Die Inhaber von Banknoten
st&uuml;rzten an ihre Kasse, um sie gegen Gold und Silber auszuwechseln.</p>
<p>Ohne gewaltsame Einmischung, auf legale Weise konnte die provisorische Regierung die Bank zum
<i>Bankerott</i> zwingen; sie hatte sich nur passiv zu verhalten und die Bank ihrem Schicksale zu
&uuml;berlassen. Der <i>Bankerott der Bank</i> - das war die S&uuml;ndflut, welche die
Finanzaristokratie, die m&auml;chtigste und gef&auml;hrlichste Feindin der Republik, das goldene
Piedestal der Julimonarchie, in einem Nu von dem franz&ouml;sischen Boden wegfegte. Und die Bank
einmal bankerott, mu&szlig;te die Bourgeoisie selbst es als einen letzten verzweifelten
Rettungsversuch betrachten, wenn die Regierung eine Nationalbank schuf und den nationalen Kredit
der Kontrolle der Nation unterwarf.</p>
<p>Die provisorische Regierung gab dagegen den Noten der Bank <i>Zwangskurs</i>. Sie tat mehr.
Sie verwandelte alle Provinzialbanken in Zweiginstitute der Banque de France und lie&szlig; sie
ihr Netz &uuml;ber ganz Frankreich auswerfen. Sie versetzte ihr sp&auml;ter die
<i>Staatswaldungen</i> als Garantie f&uuml;r eine Anleihe, die sie bei ihr kontrahierte. So
befestigte und erweiterte die Februarrevolution unmittelbar die Bankokratie, die sie st&uuml;rzen
sollte.</p>
<p>Unterdessen kr&uuml;mmte sich die provisorische Regierung unter dem Alp eines wachsenden
Defizits. Vergebens bettelte sie um patriotische Opfer. Nur die Arbeiter warfen ihr Almosen hin.
Er mu&szlig;te zu einem heroischen Mittel geschritten werden, zur Ausschreibung einer <i>neuen
Steuer</i>. Aber wen besteuern? Die B&ouml;rsenw&ouml;lfe, die Bankk&ouml;nige, die
Staatsgl&auml;ubiger, die Rentiers, die Industriellen? Das war kein Mittel, die Republik bei der
Bourgeoisie einzuschmeicheln. Das hie&szlig; von der einen Seite des Staatskredit und den
Handelskredit gef&auml;hrden, w&auml;hrend man ihn von der anderen Seite mit so gro&szlig;en
Opfern und Dem&uuml;tigungen zu erkaufen suchte. Aber jemand mu&szlig;te blechen. Wer wurde dem
b&uuml;rgerlichen Kredit geopfert? Jacques le bonhomme, der <i>Bauer</i>.</p>
<p><b><a name="S25">&lt;25&gt;</a></b> Die provisorische Regierung schrieb eine Zusatzsteuer von
45 Centimes pro Franc auf die vier direkten Steuern aus. Dem Pariser Proletariat schwindelte die
Regierungspresse vor, diese Steuer falle vorzugsweise auf das gro&szlig;e Grundeigentum, auf die
Inhaber der von der Restauration oktroyierten Milliarde. In der Wirklichkeit traf sie aber vor
allem die <i>Bauernklasse</i>, d.h. die gro&szlig;e Majorit&auml;t des franz&ouml;sischen Volkes.
<i>Sie mu&szlig;ten die Kosten der Februarrevolution zahlen</i>, an ihnen gewann die
Kontrerevolution ihr Hauptmaterial. Die 45-Centimes-Steuer, das war eine Lebensfrage f&uuml;r den
franz&ouml;sischen Bauer, er machte sie zur Lebensfrage f&uuml;r die Republik. Die
<i>Republik</i> f&uuml;r den franz&ouml;sischen Bauer, das war von diesem Augenblicke an die
<i>45-Centimes-Steuer</i>, und in dem Pariser Proletariat erblickte er den Verschwender, der sich
auf seine Kosten gem&uuml;tlich tat.</p>
<p>W&auml;hrend die Revolution von 1789 damit begann, den Bauern die Feudallasten
abzusch&uuml;tteln, k&uuml;ndigte sich die Revolution von 1848, um das Kapital nicht zu
gef&auml;hrden und seine Staatsmaschinerie im Gange zu halten, mit einer neuen Steuer bei der
Landbev&ouml;lkerung an.</p>
<p>Nur durch <i>ein</i> Mittel konnte die provisorische Regierung alle diese Ungelegenheiten
beseitigen und den Staat aus seiner alten Bahn herausschleudern - durch die <i>Erkl&auml;rung des
Staatsbankerotts</i>. Man erinnert sich, wie Ledru-Rollin in der Nationalversammlung
nachtr&auml;glich die tugendhafte Entr&uuml;stung rezitierte, womit er diese Zumutung des
B&ouml;rsenjuden Fould, jetzigen franz&ouml;sischen Finanzministers, von sich abwies. Fould hatte
ihm den Apfel vom Baume der Erkenntnis gereicht.</p>
<p>Indem die provisorische Regierung die Wechsel anerkannte, welche die alte b&uuml;rgerliche
Gesellschaft auf den Staat gezogen hatte, war sie ihr verfallen. Sie war zum bedr&auml;ngten
Schuldner der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft geworden, statt ihr als drohender Gl&auml;ubiger
gegen&uuml;berzustehen, der vielj&auml;hrige revolution&auml;re Schuldforderungen einzukassieren
hatte. Sie mu&szlig;te die wankenden b&uuml;rgerlichen Verh&auml;ltnisse befestigen, um
Verpflichtungen nachzukommen, die nur innerhalb dieser Verh&auml;ltnisse zu erf&uuml;llen sind.
Der Kredit ward zu ihrer Lebensbedingung und die Konzessionen an das Proletariat, die ihm
gemachten Verhei&szlig;ungen, zu ebenso vielen <i>Fesseln</i>, die gesprengt werden
<i>mu&szlig;ten</i>. Die Emanzipation der Arbeiter - selbst als <i>Phrase</i> - wurde zu einer
unertr&auml;glichen Gefahr f&uuml;r die neue Republik, denn sie war eine best&auml;ndige
Protestation gegen die Herstellung des Kredits, der auf der ungest&ouml;rten und ungetr&uuml;bten
Anerkennung der bestehenden &ouml;konomischen Klassenverh&auml;ltnisse beruhte. Es mu&szlig;te
also mit <i>den Arbeitern geendet werden.</i></p>
<p>Die Februarrevolution hatte die Armee aus Paris hinausgeworfen. Die Nationalgarde, d.h. die
Bourgeoisie in ihren verschiedenen Abstufungen, <a name="S26"><b>&lt;26&gt;</b></a> bildete die
einzige Macht. Allein f&uuml;hlte sie sich indes dem Proletariat nicht gewachsen. &Uuml;berdem
war sie gezwungen, wenngleich nach dem z&auml;hesten Widerstande, hundert verschiedene
Hindernisse entgegenhaltend, allm&auml;hlich und bruchweise ihre Reihen zu &ouml;ffnen und
bewaffnete Proletarier in dieselben eintreten zu lassen. Es blieb also nur ein Ausweg &uuml;brig:
<i>einen Teil der Proletarier dem andren entgegenzustellen</i>.</p>
<p>Zu diesem Zwecke bildete die provisorische Regierung 24 Bataillone <i>Mobilgarden</i>, jedes
zu tausend Mann, aus jungen Leuten von 15 bis 20 Jahren. Sie geh&ouml;rten
gr&ouml;&szlig;tenteils dem <i>Lumpenproletariat</i> an, das in allen gro&szlig;en St&auml;dten
eine vom industriellen Proletariat genau unterschiedende Masse bildet, ein Rekrutierplatz
f&uuml;r Diebe und Verbrecher aller Art, von den Abf&auml;llen der Gesellschaft lebend, Leute
ohne bestimmten Arbeitszweig, Herumtreiber, gens sans feu et sans aveu &lt;dunkle Existenzen
(Menschen ohne Heim und ohne gesellschaftliche Anerkennung)&gt;, verschieden nach dem
Bildungsgrade der Nation, der sie angeh&ouml;ren, nie den Lazzaronicharakter verleugnend; in dem
jugendlichen Alter, worin die provisorische Regierung sie rekrutierte, durchaus bestimmbar, der
gr&ouml;&szlig;ten Heldentaten und der exaltiertesten Aufopferung f&auml;hig, wie der gemeinsten
Banditenstreiche und der schmutzigsten Bestechlichkeit. Die provisorische Regierung zahlte ihnen
pro Tag 1 fr. 50 cts., d.h., sie erkaufte sie. Sie gab ihnen eine eigene Uniform, d.h., sie
unterschied sie &auml;u&szlig;erlich von der Bluse. Zu F&uuml;hrern wurden ihnen teils Offiziere
aus dem stehenden Heere zugeordnet, teils w&auml;hlten sie selbst junge Bourgeoiss&ouml;hne,
deren Rodomontaden vom Tode f&uuml;rs Vaterland und Hingebung f&uuml;r die Republik
bestachen.</p>
<p>So stand dem Pariser Proletariat eine aus seiner eigenen Mitte gezogene Armee von 24.000
jugendlich kr&auml;ftigen, tollk&uuml;hnen M&auml;nnern gegen&uuml;ber. Es schrie der Mobilgarde
auf ihren Z&uuml;gen durch Paris <i>Vivats</i>! zu. Es erkannte in ihr seine Vork&auml;mpfer auf
den Barrikaden. Es betrachtete sie als die <i>proletarische</i> Garde im Gegensatze zur
b&uuml;rgerlichen Nationalgarde. Sein Irrtum war verzeihlich.</p>
<p>Neben der Mobilgarde beschlo&szlig; die Regierung noch eine industrielle Arbeiterarmee um sich
zu scharen. Hunderttausend durch die Krise und die Revolution auf das Pflaster geworfene Arbeiter
einrollierte der Minister Marie in sogenannte Nationalateliers. Unter diesem prunkenden Namen
versteckte sich nichts anderes als die Verwendung der Arbeiter zu langweiligen, eint&ouml;nigen,
unproduktiven <i>Erdarbeiten</i> f&uuml;r einen Arbeitslohn von 23 Sous. <i>Englische workhouses
im Freien</i> - weiter waren diese Nationalateliers nichts. In ihnen glaubte die provisorische
Regierung eine <i>zweite proletarische Armee</i> <a name="S27"><b>&lt;27&gt;</b></a> <i>gegen die
Arbeiter selbst</i> gebildet zu haben. Diesmal irrte sich die Bourgeoisie in den
Nationalateliers, wie sich die Arbeiter in der Nationalgarde irrten. Sie hatte eine <i>Armee
f&uuml;r die Emeute</i> geschaffen.</p>
<p>Aber <i>ein</i> Zweck war erreicht.</p>
<p><i>Nationalateliers</i> - das war der Name der Volkswerkst&auml;tten, die Louis Blanc im
Luxembourg predigte. Die Ateliers Maries, im direkten <i>Gegensatze</i> zum Luxembourg entworfen,
boten durch die gemeinsame Firma den Anla&szlig; zu einer Intrige der Irrungen, w&uuml;rdig der
spanischen Bedientenkom&ouml;die. Die provisorische Regierung selbst verbreitete unter der Hand
das Ger&uuml;cht, diese Nationalateliers seien die Erfindung Louis Blanc, und es schien dies um
so glaublicher, als Louis Blanc, der Prophet der Nationalateliers, Mitglied der provisorischen
Regierung war. Und in der halb naiven, halb absichtlichen Verwechslung der Pariser Bourgeoisie,
in der k&uuml;nstlich unterhaltenen Meinung Frankreichs, Europas waren jene workhouses die erste
Verwirklichung des Sozialismus, der mit ihnen an den Pranger gestellt wurde.</p>
<p>Nicht durch ihren Inhalt, aber durch ihren Titel waren die <i>Nationalateliers</i> die
verk&ouml;rperte Protestation des Proletariats gegen die b&uuml;rgerliche Industrie, den
b&uuml;rgerlichen Kredit und die b&uuml;rgerliche Republik. Auf sie w&auml;lzte sich also der
ganze Ha&szlig; der Bourgeoisie. In ihnen hatte sie zugleich den Punkt gefunden, worauf sie den
Angriff richten konnte, sobald sie genug erstarkt war, offen mit der Februarrevolution zu
brechen. Alles Unbehagen, aller Mi&szlig;mut der <i>Kleinb&uuml;rger</i> richtete sich
gleichzeitig auf diese Nationalateliers, die gemeinsame Zielscheibe. Mit wahrem Grimme
berechneten sie die Summen, welche die proletarischen Tagediebe verschlangen, w&auml;hrend ihre
eigene Lage t&auml;glich unertr&auml;glicher wurde. Eine Staatspension f&uuml;r eine
Scheinarbeit, das ist der Sozialismus! knurrten sie in sich hinein. Die Nationalateliers, die
Deklamationen des Luxembourg, die Z&uuml;ge der Arbeiter durch Paris - in ihnen suchten sie den
Grund ihrer Misere. Und niemand fanatisierte sich mehr gegen die angeblichen Machinationen der
Kommunisten als der Kleinb&uuml;rger, der rettungslos am Abgrunde des Bankerotts schwebte.</p>
<p>So waren im bevorstehenden Handgemenge zwischen Bourgeoisie und Proletariat alle Vorteile,
alle entscheidenden Posten, alle Mittelschichten der Gesellschaft in den H&auml;nden der
Bourgeoisie zur selben Zeit, als die Wellen der Februarrevolution &uuml;ber den ganzen Kontinent
hoch zusammenschlugen und jede neue Post ein neues Revolutionsbulletin brachte, bald aus Italien,
bald aus Deutschland, bald aus dem fernsten S&uuml;dosten von Europa, und den allgemeinen Taumel
des Volkes unterhielt, ihm best&auml;ndiges Zeugnisse eines Sieges bringend, den es schon
verwirkt hatte.</p>
<p>Der <i>17. M&auml;rz</i> und der <i>16. April</i> waren die ersten Pl&auml;nklergefechte in
dem <a name="S28"><b>&lt;28&gt;</b></a> gro&szlig;en Klassenkampfe, den die b&uuml;rgerliche
Republik unter ihren Fittichen verbarg.</p>
<p>Der <i>17. M&auml;rz</i> offenbarte die zweideutige, keine entscheidende Tat zulassende
Situation des Proletariats. Seine Demonstration bezweckte urspr&uuml;nglich, die provisorische
Regierung auf die Bahn der Revolution zur&uuml;ckzuwerfen, nach Umst&auml;nden die
Ausschlie&szlig;ung ihrer b&uuml;rgerlichen Glieder zu bewirken und die Aufschiebung der Wahltage
f&uuml;r die Nationalversammlung und die Nationalgarde zu erzwingen. Aber am 16. M&auml;rz machte
die in der Nationalgarde vertretene Bourgeoisie eine der provisorischen Regierung feindselige
Demonstration. Unter dem Rufe: &Agrave; bas Ledru-Rollin! &lt;Nieder mit Ledru-Rollin!&gt; drang
sie zum H&ocirc;tel de Ville. Und das Volk war gezwungen, am 17. M&auml;rz zu rufen: Es lebe
Ledru-Rollin! Es lebe die provisorische Regierung! Es war gezwungen, <i>gegen</i> das
B&uuml;rgertum die Partei der b&uuml;rgerlichen Republik zu ergreifen, die ihm in Frage gestellt
schien. Der 17. M&auml;rz verpuffte in eine melodramatische Szene, und wenn das Pariser
Proletariat an diesem Tage noch einmal seinen Riesenleib zur Schau trug, war die Bourgeoisie
innerhalb und au&szlig;erhalb der provisorischen Regierung um so entschlossener, ihn zu
brechen.</p>
<p>Der <i>16. April</i> war ein durch die provisorische Regierung mit der Bourgeoisie
veranstaltetes <i>Mi&szlig;verst&auml;ndnis</i>. Die Arbeiter hatten sich zahlreich auf dem
Marsfelde versammelt und im Hippodrom, um ihre Wahlen f&uuml;r den Generalstab der Nationalgarde
vorzubereiten. Pl&ouml;tzlich verbreitete sich in ganz Paris, von einem Ende bis zum anderen, mit
Blitzesschnelle das Ger&uuml;cht, die Arbeiter h&auml;tten sich im Marsfeld bewaffnet versammelt,
unter der Abf&uuml;hrung Louis Blanc, Blanquis, Cabets und Raspails, um von da auf das
H&ocirc;tel de Ville zu ziehen, die provisorische Regierung zu st&uuml;rzen und eine
kommunistische Regierung zu proklamieren. Der Generalmarsch wird geschlagen - Ledru-Rollin,
Marrast, Lamartine machten sich sp&auml;ter die Ehre seiner Initiative streitig -, in einer
Stunde stehen 100.000 Mann unter den Waffen, das H&ocirc;tel e Ville ist an allen Punkten von
Nationalgarden besetzt, der Ruf: Nieder mit den Kommunisten! Nieder mit Louis Blanc, mit Blanqui,
mit Raspail, mit Cabet! donnerte durch ganz Paris, und der provisorischen Regierung wird von
einer Unzahl Deputationen gehuldigt, alle bereit, das Vaterland und die Gesellschaft zu retten.
Als die Arbeiter endlich vor dem H&ocirc;tel de Ville erscheinen, um der provisorischen Regierung
eine patriotische Kollekte zu &uuml;berreichen, die sie auf dem Marsfelde gesammelt hatten,
erfahren sie zu ihrer Verwunderung, da&szlig; das b&uuml;rgerliche Paris in einem h&ouml;chst
behut- <a name="S29"><b>&lt;29&gt;</b></a> sam angelegten Scheinkampfe ihren Schatten geschlagen
hat. Das furchtbare Attentat vom 16. April gab den Vorwand <i>zur Zur&uuml;ckberufung der Armee
nach Paris</i> - der eigentliche Zweck der plump angelegten Kom&ouml;die - und zu den
reaktion&auml;ren f&ouml;deralistischen Demonstrationen der Provinzen.</p>
<p>Am 4. Mai trat die aus den <i>direkten allgemeinen Wahlen</i> hervorgegangene
<i>Nationalversammlung</i> zusammen. Das allgemeine Stimmrecht besa&szlig; nicht die magische
Kraft, welche ihm die Republikaner alten Schlages zugetraut hatten. In ganz Frankreich,
wenigstens in der Majorit&auml;t der Franzosen, erblickten sie <i>Citoyens</i> mit denselben
Interessen, derselben Einsicht usw. Es war dies ihr <i>Volkskultus</i>. Statt ihres
<i>eingebildeten</i> Volkes brachten die Wahlen das <i>wirkliche</i> Volk ans Tageslicht, d.h.
Repr&auml;sentanten der verschiedenen Klassen, worin es zerf&auml;llt. Wir haben gesehen, warum
Bauern und Kleinb&uuml;rger unter der Leitung der kampflustigen Bourgeoisie und der
restaurationsw&uuml;tigen gro&szlig;en Grundeigent&uuml;mer w&auml;hlen mu&szlig;ten. Aber wenn
das allgemeine Stimmrecht nicht die wundert&auml;tige W&uuml;nschelrute war, wof&uuml;r
republikanische Biederm&auml;nner es angesehen hatten, besa&szlig; es das ungleich h&ouml;here
Verdienst, den Klassenkampf zu entfesseln, die verschiedenen Mittelschichten der
b&uuml;rgerlichen Gesellschaft ihre Illusionen und Entt&auml;uschungen rasch durchleben zu
lassen, s&auml;mtliche Fraktionen der exploitierenden Klasse in einem Wurfe auf die
Staatsb&uuml;hne zu schleudern und ihnen so die tr&uuml;gerische Larve abzurei&szlig;en,
w&auml;hrend die Monarchie mit ihrem Zensus nur bestimmte Fraktionen der Bourgeoisie sich
kompromittieren und die anderen hinter den Kulissen im Versteck lie&szlig; und sie mit dem
Heiligenschein einer gemeinsamen Opposition umgab.</p>
<p>In der konstituierenden Nationalversammlung, die am 4. Mai zusammentrat, besa&szlig;en die
<i>Bourgeoisrepublikaner</i>, die Republikaner des "National" die Oberhand. Legitimisten und
Orleanisten selbst wagten sich zun&auml;chst nur unter der Maske des b&uuml;rgerlichen
Republikanismus zu zeigen. Nur im Namen der Republik konnte der Kampf gegen das Proletariat
aufgenommen werden.</p>
<p><i>Vom 4. Mai</i>, <i>nicht vom 25. Februar, datiert die Republik</i>, d.h. die vom
franz&ouml;sischen Volke anerkannte Republik; es ist nicht die Republik, welche das Pariser
Proletariat der provisorischen Regierung aufdrang, nicht die Republik mit sozialen Institutionen,
nicht das Traumbild, das des Barrikadenk&auml;mpfern vorschwebte. Die von der Nationalversammlung
proklamierte, die einzig legitime Republik, es ist die Republik, welche keine revolution&auml;re
Waffe gegen die b&uuml;rgerliche Ordnung, vielmehr ihre politische Rekonstitution, die politische
Wiederbefestigung der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft ist, mit einem Worte: <i>die
b&uuml;rgerliche Republik</i>. Von der Trib&uuml;ne der Nationalversammlung erscholl <a name=
"S30"><b>&lt;30&gt;</b></a> diese Behauptung, in der gesamten republikanischen und
antirepublikanischen B&uuml;rgerpresse fand sie ihr Echo.</p>
<p>Und wie haben gesehen, wie die Februarrepublik wirklich nichts anderes war und sein konnte als
eine <i>b&uuml;rgerliche</i> Republik, wie aber die provisorische Regierung unter dem
unmittelbaren Drucke des Proletariats gezwungen war, sie als eine <i>Republik mit sozialen
Institutionen</i> anzuk&uuml;ndigen, wie das Pariser Proletariat noch unf&auml;hig war, anders
als in der <i>Vorstellung</i>, in der <i>Einbildung</i> &uuml;ber die b&uuml;rgerliche Republik
hinauszugehen, wie es &uuml;berall in ihrem Dienste handelte, wo es wirklich zur Handlung kam,
wie die ihm gemachten Verhei&szlig;ungen zur unertr&auml;glichen Gefahr f&uuml;r die neue
Republik wurden, wie der ganze Lebensproze&szlig; der provisorischen Regierung sich in einen
fortdauernden Kampf gegen die Forderungen des Proletariats zusammenfa&szlig;te.</p>
<p>In der Nationalversammlung sa&szlig; ganz Frankreich zu Gericht &uuml;ber das Pariser
Proletariat. Sie brach sofort mit den sozialen Illusionen der Februarrevolution, sie proklamierte
rundheraus die <i>b&uuml;rgerliche Republik</i>, nichts als die b&uuml;rgerliche Republik. Sofort
schlo&szlig; sie aus der von ihr ernannten Exekutivkommission die Vertreter des Proletariats aus:
Louis Blanc und Albert; sie verwarf den Vorschlag eines besondern Arbeitsministeriums, sie
empfing mit st&uuml;rmischen Beifallsrufen die Erkl&auml;rung des Ministers Tr&eacute;lat: "Es
handelt sich nur noch darum, <i>die Arbeit auf ihre alten Bedingungen
zur&uuml;ckzuf&uuml;hren</i>."</p>
<p>Aber das alles gen&uuml;gte nicht. Die Februarrevolution war von den Arbeitern erk&auml;mpft
unter dem passiven Beistande der Bourgeoisie. Die Proletarier betrachteten sich mit Recht als die
Sieger des Februar, und sie machten die hochm&uuml;tigen Anspr&uuml;che des Siegers. Sie
mu&szlig;ten auf der Stra&szlig;e besiegt, es mu&szlig;te ihnen gezeigt werden, da&szlig; sie
unterlagen, sobald sie nicht <i>mit</i> der Bourgeoisie, sondern <i>gegen</i> die Bourgeoisie
k&auml;mpften. Wie die Februarrepublik mit ihren sozialistischen Zugest&auml;ndnissen einer
Schlacht des mit der Bourgeoisie gegen das K&ouml;nigtum vereinten Proletariats bedurfte, so war
eine zweite Schlacht n&ouml;tig, um die Republik von den sozialistischen Zugest&auml;ndnissen zu
scheiden, um die <i>b&uuml;rgerliche Republik</i> offiziell als die herrschende herauszuarbeiten.
Mit den Waffen in der Hand mu&szlig;te die Bourgeoisie die Forderungen des Proletariats
widerlegen. Und die wirkliche Geburtsst&auml;tte der b&uuml;rgerlichen Republik, es ist nicht der
<i>Februarsieg</i>, es ist die <i>Juniniederlage</i>.</p>
<p>Das Proletariat beschleunigte die Entscheidung, als es den 15. Mai in die Nationalversammlung
drang, seinen revolution&auml;ren Einflu&szlig; erfolglos wiederzuerobern suchte und nur seine
energischen F&uuml;hrer den Kerkermeistern der Bourgeoisie ausgeliefert hatte. <i>Il faut en
finir!</i> Diese Situation mu&szlig; endigen! In diesem Schrei machte die Nationalversammlung
ihrem Entschlusse Luft, das Proletariat zum entscheidenden Kampfe zu zwingen. Die Exekutiv-
<a name="S31"><b>&lt;31&gt;</b></a> kommission erlie&szlig; eine Reihe herausfordernder Dekrete,
wie das Verbot der Volkszusammenscharungen usw. Von der Trib&uuml;ne der konstituierenden
Nationalversammlung herab wurden die Arbeiter direkt provoziert, beschimpft, verh&ouml;hnt. Aber
der eigentliche Angriffspunkt war, wie wir gesehen haben, in den <i>Nationalateliers</i> gegeben.
Auf sie wies die konstituierende Versammlung gebieterisch die Exekutivkommission hin, die nur
darauf harrte, ihren eigenen Plan als Gebot der Nationalversammlung ausgesprochen zu
h&ouml;ren.</p>
<p>Die Exekutivkommission begann damit, den Zutritt in die Nationalateliers zu erschweren, den
Taglohn in St&uuml;cklohn zu verwandeln, die nicht in Paris geb&uuml;rtigen Arbeiter nach der
Sologne, angeblich zur Ausf&uuml;hrung von Erdarbeiten, zu verbannen. Diese Erdarbeiten waren nur
eine rhetorische Formel, womit man ihre Verjagung besch&ouml;nigte, wie die entt&auml;uschten
zur&uuml;ckkehrenden Arbeiter ihren Genossen verk&uuml;ndeten. Endlich am 21. Juni erschien ein
Dekret im "Moniteur", welches die gewaltsame Austreibung aller unverheirateten Arbeiter aus den
Nationalateliers verordnete oder ihre Einrollierung in die Armee.</p>
<p>Es blieb den Arbeitern keine Wahl, sie mu&szlig;ten verhungern oder losschlagen. Sie
antworteten am 22. Juni mit der ungeheuren Insurrektion, worin die erste gro&szlig;e Schlacht
geliefert wurde zwischen den beiden Klassen, welche die moderne Gesellschaft spalten. Es war der
Kampf um die Erhaltung oder Vernichtung der <i>b&uuml;rgerlichen</i> Ordnung. Der Schleier, der
die Republik verh&uuml;llte, zerri&szlig;.</p>
<p>Es ist bekannt, wie die Arbeiter mit beispielloser Tapferkeit und Genialit&auml;t, ohne Chefs,
ohne gemeinsamen Plan, ohne Mittel, zum gr&ouml;&szlig;ten Teil der Waffen entbehrend, die Armee,
die Mobilgarde, die Pariser Nationalgarde und die aus der Provinz hinzustr&ouml;mende
Nationalgarde w&auml;hrend f&uuml;nf Tagen im Schach hielten. Es ist bekannt, wie die Bourgeoisie
f&uuml;r die ausgestandene Todesangst sich in unerh&ouml;rter Brutalit&auml;t entsch&auml;digte
und &uuml;ber 3.000 Gefangene massakrierte.</p>
<p>So sehr waren die offiziellen Vertreter der franz&ouml;sischen Demokratie in der
republikanischen Ideologie befangen, da&szlig; sie erst einige Wochen sp&auml;ter den Sinn des
Junikampfes zu ahnen begannen. Sie waren wie bet&auml;ubt von dem Pulverdampfe, worin ihre
phantastische Republik zerrann.</p>
<p>Der unmittelbare Eindruck, den die Nachricht von der Juniniederlage auf uns hervorbrachte, der
Leser wird uns erlauben, ihn mit den Worten der "Neuen Rheinischen Zeitung" zu schildern:</p>
<p>"Der letzte offizielle Rest der Februarrevolution, die Exekutivkommission, ist vor dem Ernst
der Ereignisse wie ein Nebelbild zerflossen. Lamartines Leuchtkugeln haben sich verwandelt in die
Brandraketen Cavaignacs. Die <a name="S32"><b>&lt;32&gt;</b></a> Fraternit&eacute;, die
Br&uuml;derlichkeit der entgegengesetzten Klassen, wovon die eine die andere exploitiert, die
Fraternit&eacute;, im Februar proklamiert, mit gro&szlig;en Buchstaben auf die Stirne von Paris
geschrieben, auf jedes Gef&auml;ngnis, auf jede Kaserne - ihr wahrer, unverf&auml;lschter, ihr
prosaischer Ausdruck, das ist der <i>B&uuml;rgerkrieg</i>, der B&uuml;rgerkrieg in seiner
f&uuml;rchterlichsten Gestalt, der Krieg der Arbeit und des Kapitals. Diese Br&uuml;derlichkeit
flammte vor allen Fenstern von Paris am Abend des 25. Juni, als das Paris der Bourgeoisie
illuminierte, w&auml;hrend das Paris des Proletariats verbrannte, verblutete, ver&auml;chzte. Die
Br&uuml;derlichkeit w&auml;hrte gerade so lange, als das Interesse der Bourgeoisie mit dem
Interesse des Proletariats verbr&uuml;dert war. - Pedanten der alten revolution&auml;ren
&Uuml;berlieferung von 1793, sozialistische Systematiker, die bei der Bourgeoisie f&uuml;r das
Volk bettelten und denen erlaubt worden wurde, lange Predigten zu halten und sich so lange zu
kompromittieren, als der proletarische L&ouml;we in Schlaf gelullt werden mu&szlig;te,
Republikaner, welche die ganze alte b&uuml;rgerliche Ordnung mit dem Abzug des gekr&ouml;nten
Kopfes verlangten, dynastische Oppositionelle, denen der Zufall an die Stelle eines
Ministerwechsels den Sturz einer Dynastie unterschob, Legitimisten, welche die Livr&eacute;e
nicht abwerfen, sondern ihren Schnitt ver&auml;ndern wollten, das waren die Bundesgenossen, womit
das Volk seinen Februar machte ... Die Februarrevolution war die <i>sch&ouml;ne</i> Revolution,
die Revolution der allgemeinen Sympathie, weil die Gegens&auml;tze, die in ihr gegen das
K&ouml;nigtum eklatierten, <i>unentwickelt</i>, eintr&auml;chtig nebeneinander schlummerten, weil
der soziale Kampf, der ihren Hintergrund bildete, nur eine luftige Existenz gewonnen hatte, die
Existenz der Phrase, des Worts. Die <i>Junirevolution</i> ist die <i>h&auml;&szlig;liche</i>
Revolution, die absto&szlig;ende Revolution, weil an die Stelle der Phrase die Sache getreten
ist, weil die Republik das Haupt des Ungeheuers selbst entbl&ouml;&szlig;te, indem sie ihm die
schirmende und versteckende Krone abschlug. - <i>Ordnung!</i> war der Schlachtruf Guizots.
<i>Ordnung!</i> schrie S&eacute;bastiani, der Guizotin, als Warschau russisch wurde.
<i>Ordnung!</i> schreit Cavaignac, das brutale Echo der franz&ouml;sischen Nationalversammlung
und der republikanischen Bourgeoisie. <i>Ordnung!</i> donnerten seine Kart&auml;tschen, als sie
den Leib des Proletariats zerrissen. Keine der zahlreichen Revolutionen der franz&ouml;sischen
Bourgeoisie seit 1789 war ein Attentat auf die <i>Ordnung</i>, denn sie lie&szlig; die
<i>b&uuml;rgerliche</i> Ordnung bestehen, sooft auch die politische Form dieser Herrschaft und
dieser Sklaverei wechselte. Der Juni hat diese Ordnung angetastet. Wehe &uuml;ber den Juni!" ("N.
Rh. Z.", 29. Juni 1848)</p>
<p>Wehe &uuml;ber den Juni! schallt das europ&auml;ische Echo zur&uuml;ck.</p>
<p><b><a name="S33">&lt;33&gt;</a></b> Von der Bourgeoisie wurde das Pariser Proletariat zur
Juniinsurrektion <i>gezwungen</i>. Schon darin lag sein Verdammungsurteil. Weder sein
unmittelbares eingestandenes Bed&uuml;rfnis trieb es dahin, den Sturz der Bourgeoisie gewaltsam
erk&auml;mpfen zu wollen, noch war es dieser Aufgabe gewachsen. Der <i>"Moniteur"</i> mu&szlig;te
ihm offiziell er&ouml;ffnen. da&szlig; die Zeit vor&uuml;ber, wo die Republik vor seinen
Illusionen die Honneurs zu machen sich veranla&szlig;t sah, und erst seine Niederlage
&uuml;berzeugte es von der Wahrheit, da&szlig; die geringste Verbesserung seiner Lage eine
<i>Utopie</i> bleibt <i>innerhalb</i> der b&uuml;rgerlichen Republik, eine Utopie, die zum
Verbrechen wird, sobald sie sich verwirklichen will. An die Stelle seiner, der Form nach
&uuml;berschwenglichen, dem Inhalte nach kleinlichen und selbst noch b&uuml;rgerlichen
Forderungen, deren Konzession es der Februarrepublik abdingen wollte, trat die k&uuml;hne
revolution&auml;re Kampfparole: <i>Sturz der Bourgeoisie! Diktatur der Arbeiterklasse!</i></p>
<p>Indem das Proletariat seine Leichenst&auml;tte zur Geburtsst&auml;tte der <i>b&uuml;rgerlichen
Republik</i> machte, zwang es sie sogleich, in ihrer reinen Gestalt herauszutreten als der Staat,
dessen eingestandener Zweck ist, die Herrschaft des Kapitals, die Sklaverei der Arbeit zu
verewigen. Im steten Hinblicke auf den narbenvollen, unvers&ouml;hnbaren, unbesiegbaren Feind -
unbesiegbar, weil seine Existenz die Bedingung ihres eigenen Lebens ist - mu&szlig;te die von
allen Fesseln befreite Bourgeoisherrschaft sofort in den <i>Bourgeoisterrorismus</i> umschlagen.
Das Proletariat einstweilen von der B&uuml;hne beseitigt, die Bourgeoisdiktatur offiziell
anerkannt, mu&szlig;ten die mittleren Schichten der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft,
Kleinb&uuml;rgertum und Bauernklasse, in dem Ma&szlig;e, als ihre Lage unertr&auml;glicher und
ihr Gegensatz gegen die Bourgeoisie schroffer wurde, mehr und mehr sich an das Proletariat
anschlie&szlig;en. Wie fr&uuml;her in seinem Aufschwunge, mu&szlig;ten sie jetzt in seiner
Niederlage den Grund ihrer Misere finden.</p>
<p>Wenn die Juniinsurrektion &uuml;berall auf dem Kontinent das Selbstgef&uuml;hl der Bourgeoisie
hob und sie offen in einen Bund mit dem feudalen K&ouml;nigtum gegen das Volk treten lie&szlig;,
wer war das erste Opfer diese Bundes? Die kontinentale Bourgeoisie selbst. Die Juniniederlage
verhinderte sie, ihre Herrschaft zu befestigen und das Volk auf der untergeordnetsten Stufe der
b&uuml;rgerlichen Revolution halb befriedigt, halb verstimmt, stillstehn zu machen.</p>
<p>Endlich verriet die Juniniederlage den despotischen M&auml;chten Europas das Geheimnis,
da&szlig; Frankreich unter allen Bedingungen den Frieden nach au&szlig;en aufrechterhalten
m&uuml;sse, um den B&uuml;rgerkrieg nach innen f&uuml;hren zu k&ouml;nnen. So wurden die
V&ouml;lker, die den Kampf um ihre nationale Unabh&auml;ngigkeit begonnen hatten, der
&Uuml;bermacht Ru&szlig;lands, &Ouml;sterreichs und Preu&szlig;ens preisgegeben., aber
gleichzeitig wurde das Schicksal dieser nationalen Revolutionen <a name=
"S34"><b>&lt;34&gt;</b></a> dem Schicksal der proletarischen Revolution unterworfen, ihrer
scheinbaren Selbst&auml;ndigkeit, ihrer Unabh&auml;ngigkeit von der gro&szlig;en sozialen
Umw&auml;lzung beraubt. Der Ungar soll nicht frei sein, nicht der Pole, nicht der Italiener,
solange der Arbeiter Sklave bleibt!</p>
<p>Endlich nahm Europa durch die Siege der Heiligen Allianz eine Gestalt an, die jede neue
proletarische Erhebung in Frankreich mit einem <i>Weltkriege</i> unmittelbar zusammenfallen
l&auml;&szlig;t. Die neue franz&ouml;sische Revolution ist gezwungen, sofort den nationalen Boden
zu verlassen und das <i>europ&auml;ische Terrain zu erobern</i>, auf dem allein die soziale
Revolution des 19. Jahrhunderts sich durchf&uuml;hren kann.</p>
<p>Erst durch die Juniniederlage also wurden alle Bedingungen geschaffen, innerhalb deren
Frankreich die <i>Initiative</i> der europ&auml;ischen Revolution ergreifen kann. Erst in das
Blut der <i>Juniinsurgenten</i> getaucht, wurde die Trikolore zur Fahne der europ&auml;ischen
Revolution - zur <i>roten Fahne!</i></p>
<p>Und wir rufen: <i>Die Revolution ist tot! - Es lebe die Revolution!</i></p>
<hr>
<p>Anmerkungen von Friedrich Engels zur Ausgabe von 1895</p>
<p><a name="M1">(1)</a> Annexion von Krakau durch &Ouml;sterreich im Einverst&auml;ndnis mit
Ru&szlig;land und Preu&szlig;en 11. November 1846. - Schweizer Sonderbundskrieg 4. bis 28.
November 1847. - Aufstand in Palermo 12. Januar 1848, Ende Januar neunt&auml;giges Bombardement
der Stadt durch die Neapolitaner. <a href="me07_012.htm#Z1">&lt;=</a></p>
</body>
</html>