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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>Franz Mehring: Karl Marx - Das Pariser Exil</TITLE>
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<TR>
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<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><!-- #BeginEditable "link1a" --><A HREF="fm03_015.htm"><SMALL>2.
Kapitel</SMALL></A><!-- #EndEditable --></TD>
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Kapitel</SMALL></A><!-- #EndEditable --></TD>
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<TD ALIGN="center" width="19%" height=20 valign=middle><A HREF="../default.htm"><SMALL>Franz
Mehring</SMALL></A></TD>
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<HR size="1">
<P><SMALL>Seitenzahlen nach: Franz Mehring - Gesammelte Schriften, Band 3. Berlin/DDR,
1960, S. <!-- #BeginEditable "Seitenzahlen" -->65-94<!-- #EndEditable -->.<BR>
1. Korrektur<BR>
Erstellt am 30.10.1999</SMALL></P>
<H2>Franz Mehring: Karl Marx - Geschichte seines Lebens</H2>
<H1><!-- #BeginEditable "Titel" -->Drittes Kapitel: Das Pariser Exil<!-- #EndEditable --></H1>
<hr size="1">
<!-- #BeginEditable "Text" -->
<H3 ALIGN="CENTER">1. Die &raquo;Deutsch-Franz&ouml;sischen Jahrb&uuml;cher&laquo;<A name="Kap_1"></A></H3>
<P><B>|64|</B> Die neue Zeitschrift hatte nicht Gl&uuml;ck und Stern; es ist nur
ein Doppelheft von ihr Ende Februar 1844 erschienen.</P>
<P>Das &raquo;gallo-germanische Prinzip&laquo; oder wie es von Ruge umgetauft war; die &raquo;intellektuelle
Allianz zwischen Deutschen und Franzosen&laquo;, lie&szlig; sich nicht verwirklichen:
das &raquo;politische Prinzip Frankreichs&laquo; wollte nichts wissen von der deutschen Mitgift,
dem &raquo;logischen Scharfblick&laquo; der Hegelschen Philosophie, die ihm als sicherer Kompa&szlig;
in den metaphysischen Regionen dienen sollte, in denen Ruge die Franzosen ohne
Steuer vor Wind und Wellen treiben sah.</P>
<P>Freilich, wenn nach seinem Zeugnis zun&auml;chst Lamartine, Lamennais, Louis
Blanc, Leroux und Proudhon gewonnen werden sollten, so war diese Liste an sich
schon bunt gew&uuml;rfelt genug. Eine Ahnung von deutscher Philosophie hatten
von ihnen nur Leroux und Proudhon, von denen dieser in der Provinz lebte und jener
die Schriftstellerei einstweilen an den Nagel geh&auml;ngt hatte, um &uuml;ber
der Erfindung einer Setzmaschine zu gr&uuml;beln. Die anderen aber lehnten aus
diesen oder jenen religi&ouml;sen Mucken ab, selbst Louis Blanc, der die Anarchie
in der Politik aus dem Atheismus in der Philosophie entstehen sah.</P>
<P>An deutschen Mitarbeitern gewann die Zeitschrift freilich einen ansehnlichen
Stab: neben den Herausgebern selbst waren Heine, Herwegh, Johann Jacoby Namen
ersten Ranges, und auch in zweiter Reihe konnten sich Moses He&szlig; und F. C.
Bernays, ein junger rheinpf&auml;lzischer Jurist, wohl sehen lassen, ganz zu geschweigen
des j&uuml;ngsten von allen, Friedrich Engels, der hier zuerst, nach manchen schriftstellerischen
Anl&auml;ufen, mit offenem Visier und in gl&auml;nzendem Harnisch zum Kampf antrat.
Aber auch diese Schar war bunt genug; manche darunter verstanden wenig von Hegelscher
Philosophie und noch weniger von deren &raquo;logischem Scharfblick&laquo;; vor allem zwischen
den beiden Herausgebern selbst tat sich alsbald ein Zwiespalt auf, der ein Zusammenarbeiten
zwischen ihnen unm&ouml;glich machte.</P>
<P>Er&ouml;ffnet wurde das erste Doppelheft der Zeitschrift, das ihr einziges
<A NAME="S65"></A><B>|65|</B> bleiben sollte, durch einen &raquo;Briefwechsel&laquo; zwischen
Marx, Ruge, Feuerbach und Bakunin, einem jungen Russen, der sich in Dresden an
Ruge angeschlossen und einen viel bemerkten Aufsatz in den &raquo;Deutschen Jahrb&uuml;chern&laquo;
ver&ouml;ffentlicht hatte. Es sind im ganzen acht Briefe, die mit den Anfangsbuchstaben
der Verfassernamen gezeichnet sind, wonach je drei von Marx und Ruge, je einer
von Bakunin und Feuerbach herr&uuml;hren. Ruge hat diesen Briefwechsel sp&auml;ter
als eine dramatische Szene bezeichnet, die von ihm verfa&szlig;t sei, obgleich
er &raquo;wirkliche Briefstellen teilweise&laquo; benutzt habe, und er hat ihn auch in seine
&raquo;S&auml;mtliche Werke&laquo; aufgenommen, bezeichnenderweise aber nur unter arger Verst&uuml;mmelung,
mit Unterdr&uuml;ckung des letzten Briefes, der von Marx gezeichnet ist und die
Pointe des ganzen Briefwechsels enth&auml;lt. Der Inhalt der Briefe l&auml;&szlig;t
keinen Zweifel zu, da&szlig; sie von den Verfassern herr&uuml;hren, deren Initialen
sie tragen, und soweit sie eine einheitliche Komposition darstellen, spielt Marx
die erste Geige in diesem Konzert, womit nicht bestritten zu werden braucht, da&szlig;
Ruge an seinen Briefen sowie an den Briefen Bakunins und Feuerbachs herumgebastelt
haben mag.</P>
<P>Wie Marx den Briefwechsel schlie&szlig;t, so er&ouml;ffnet er ihn mit einem
kurzen stimmungsvollen Anschlage: die romantische Reaktion f&uuml;hrt zur Revolution,
der Staat ist ein zu ernstes Ding, um zur Harlekinade gemacht zu werden; man k&ouml;nnte
vielleicht ein Schiff voll Narren eine gute Weile vor dem Winde treiben lassen,
aber seinem Schicksal trieb' es entgegen, eben weil die Narren dies nicht glaubten.
Darauf antwortet Ruge mit einer langen Jeremiade &uuml;ber die unverg&auml;ngliche
Schafsgeduld der deutschen Philister, &raquo;anklagend und hoffnungslos&laquo;, wie er sp&auml;ter
selbst gesagt hat oder wie Marx ihm sofort h&ouml;flicher erwidert: &raquo;Ihr Brief
ist eine gute Elegie, ein atemversetzender Grabgesang, aber politisch ist er ganz
und gar nicht.&laquo;<A name="ZT1"></A><A href="fm03_064.htm#Z1"><SPAN class="top">[1]</SPAN></A> Geh&ouml;re dem Philister die Welt, so lohne es sich, diesen Herrn
der Welt zu studieren. Herr der Welt sei er nur, indem er sie, wie die W&uuml;rmer
einen Leichnam, mit seiner Gesellschaft ausf&uuml;lle; so lange er das Material
der Monarchie sei, k&ouml;nne auch der Monarch nur der K&ouml;nig der Philister
sein. Aufgeweckter und munterer als sein Vater, habe der neue K&ouml;nig von Preu&szlig;en
den Philisterstaat auf seiner eigenen Basis aufheben wollen, aber so lange sie
blieben, was sie seien, habe er weder sich noch seine Leute zu freien wirklichen
Menschen machen k&ouml;nnen. So sei die R&uuml;ckkehr zum alten verkn&ouml;cherten
Diener- und Sklavenstaat erfolgt. Aber diese verzweifelte Lage erf&uuml;lle mit
neuer Hoffnung. Marx weist auf die Unf&auml;higkeit der Herren und die Tr&auml;gheit
der Diener und Untertanen hin, die alles gehen lie&szlig;en, wie es Gott gefalle,
und doch reiche beides zusammen schon hin, eine Katastrophe herbeizuf&uuml;hren.
<A NAME="S66"></A><B>|66|</B> Er weist auf die Feinde des Philistertums, auf alle
denkenden und leidenden Menschen hin, die zu einer Verst&auml;ndigung gelangt
seien, selbst auf das passive Fortpflanzungssystem der alten Untertanen, das jeden
Tag Rekruten f&uuml;r den Dienst der neuen Menschheit werbe. Noch viel schneller
f&uuml;hre das System des Erwerbes und Handels, des Besitzes und der Ausbeutung
der Menschen zu einem Bruche innerhalb der jetzigen Gesellschaft, den das alte
System nicht zu heilen verm&ouml;ge, weil es &uuml;berhaupt nicht heile und schaffe,
sondern nur existiere und genie&szlig;e. So sei die Aufgabe, die alte Welt vollkommen
ans Tageslicht zu ziehen und die neue positiv auszubilden.</P>
<P>Bakunin und Feuerbach schreiben, jeder in seiner Art, ebenfalls ermunternd
an Ruge. Darauf bekennt dieser sich &raquo;durch den neuen Anacharsis und den neuen
Philosophen&laquo; f&uuml;r &uuml;berzeugt. Hatte Feuerbach den Untergang der &raquo;Deutschen
Jahrb&uuml;cher&laquo; mit dem Untergang Polens verglichen, wo die Anstrengungen weniger
Menschen umsonst waren in dem allgemeinen Sumpf eines verfaulten Volkslebens,
so sagt nun Ruge in einem Brief an Marx: &raquo;Ja! Wie Polen der katholische Glaube
und die adelige Freiheit nicht rettet, so konnte uns die theologische Philosophie
und die vornehme Wissenschaft nicht befreien. Wir k&ouml;nnen unsere Vergangenheit
nicht anders fortf&uuml;hren, als durch den entschiedensten Bruch mit ihr. Die
&#155;Jahrb&uuml;cher&#139; sind untergegangen, die Hegelsche Philosophie geh&ouml;rt der
Vergangenheit an. Wir wollen in Paris ein Organ gr&uuml;nden, indem wir uns selbst
und ganz Deutschland v&ouml;llig frei und mit unerbittlicher Aufrichtigkeit beurteilen.&laquo;
Er verspricht, sich um das Merkantilische zu bem&uuml;hen und ersucht Marx, sich
&uuml;ber den Plan der Zeitschrift zu &auml;u&szlig;ern.</P>
<P>Wie das erste, so hat Marx das letzte Wort. Es sei klar, da&szlig; ein neuer
Sammelpunkt f&uuml;r die wirklich denkenden und unabh&auml;ngigen K&ouml;pfe geschaffen
werden m&uuml;sse. Aber wenn auch kein Zweifel &uuml;ber das Woher, so herrsche
desto gr&ouml;&szlig;ere Konfusion &uuml;ber das Wohin. &raquo;Nicht nur, da&szlig;
eine allgemeine Anarchie unter den Reformern ausgebrochen ist, so wird jeder sich
selbst gestehen m&uuml;ssen, da&szlig; er keine exakte Anschauung von dem hat,
was werden soll. Indessen ist das gerade wieder der Vorzug der neuen Richtung,
dar wir nicht dogmatisch die Welt antizipieren, sondern erst aus der Kritik der
alten Welt die neue finden wollen. Bisher hatten die Philosophen die Aufl&ouml;sung
aller R&auml;tsel in ihrem Pulte liegen, und die dumme exoterische Welt hatte
nur das Maul aufzusperren, damit ihr die gebratenen Tauben der absoluten Wissenschaft
in den Mund flogen. Die Philosophie hat sich verweltlicht, und der schlagendste
Beweis daf&uuml;r ist, da&szlig; das philosophische Bewu&szlig;tsein selbst in
die Qual des <A NAME="S67"></A><B>|67|</B> Kampfes nicht nur &auml;u&szlig;erlich,
sondern auch innerlich hineingezogen ist. Ist die Konstruktion der Zukunft und
das Fertigwerden f&uuml;r alle Zeiten nicht unsere Sache, so ist desto gewisser,
was wir gegenw&auml;rtig zu vollbringen haben, ich meine die <I>r&uuml;cksichtslose
Kritik alles Bestehenden</I>, r&uuml;cksichtslos sowohl in dem Sinne, da&szlig; die
Kritik sich nicht vor ihren Resultaten f&uuml;rchtet und ebensowenig vor dem Konflikte
mit den vorhandenen M&auml;chten.&laquo;<A name="ZT2"></A><A href="fm03_064.htm#Z2"><SPAN class="top">[2]</SPAN></A> Marx will keine dogmatische Fahne aufpflanzen,
und der Kommunismus, wie ihn Cabet, D&eacute;zamy, Weitling lehren, ist ihm auch
nur eine dogmatische Abstraktion. Das Hauptinteresse des jetzigen Deutschlands
sei einmal die Religion, dann die Politik; ihnen sei nicht irgendein System wie
die Reise nach Ikarien entgegenzusetzen, vielmehr m&uuml;sse an sie, wie sie auch
seien, angekn&uuml;pft werden.</P>
<P>Marx verwirft die Meinung der &raquo;krassen Sozialisten&laquo;, da&szlig; die politischen
Fragen unter aller W&uuml;rde seien. Aus dem Konflikt des politischen Staats,
aus dem Widerspruch seiner ideellen Bestimmung mit seinen realen Voraussetzungen,
lasse sich &uuml;berall die soziale Wahrheit entwickeln. &raquo;Es hindert uns also
nichts, unsre Kritik an die Kritik der Politik, an die Parteinahme in der Politik,
also an wirkliche K&auml;mpfe anzukn&uuml;pfen. Wir treten dann nicht der Welt
doktrin&auml;r mit einem neuen Prinzip entgegen: Hier ist die Wahrheit, hier kniee
nieder! Wir entwickeln der Welt aus den Prinzipien der Welt neue Prinzipien. Wir
sagen ihr nicht: La&szlig; ab von deinen K&auml;mpfen, sie sind dummes Zeug, wir
wollen dir die wahre Parole des Kampfes zuschrein. Wir zeigen ihr nur, warum sie
eigentlich k&auml;mpft, und das Bewu&szlig;tsein ist eine Sache, die sie sich
aneignen mu&szlig;, wenn sie auch nicht will.&laquo; So fa&szlig;t Marx das Programm
der neuen Zeitschrift dahin zusammen: Selbstverst&auml;ndigung (kritische Philosophie)
der Zeit &uuml;ber ihre K&auml;mpfe und W&uuml;nsche.</P>
<P>Zu dieser &raquo;Selbstverst&auml;ndigung&laquo; ist es nur f&uuml;r Marx gekommen, aber
nicht f&uuml;r Ruge. Schon der &raquo;Briefwechsel&laquo; zeigte, da&szlig; Marx der Treiber
war, Ruge aber nur der Getriebene. Es kam hinzu, da&szlig; Ruge nach seiner Ankunft
in Paris erkrankte und sich wenig an der Redaktion beteiligen konnte. Er war dadurch
in seiner wesentlichsten F&auml;higkeit lahmgelegt, f&uuml;r die ihm Marx &raquo;zu
umst&auml;ndlich&laquo; erschien. Er konnte der Zeitschrift nicht die Form und Haltung
geben, die er f&uuml;r die passendste hielt, und selbst nicht einmal eine eigene
Arbeit in ihr ver&ouml;ffentlichen. Gleichwohl stand er der ersten Lieferung noch
nicht v&ouml;llig ablehnend gegen&uuml;ber. Er fand &raquo;ganz merkw&uuml;rdige Sachen
darin, die in Deutschland viel Aufsehen machen w&uuml;rden&laquo;, wenn er auch tadelte,
da&szlig; &raquo;einige ungehobelte Sachen mit aufgetischt&laquo; seien, die er gebessert
haben w&uuml;rde, aber die nun so in der Eile mitgegangen seien. Es w&auml;re
wohl noch zu einer Fortsetzung <A NAME="S68"></A><B>|68|</B>* des Unternehmens
gekommen, wenn es nicht an &auml;u&szlig;eren Hindernissen gescheitert w&auml;re.</P>
<P>Zun&auml;chst versiegten sehr schnell die Mittel des Literarischen Kontors,
und Fr&ouml;bel erkl&auml;rte, das Unternehmen nicht fortf&uuml;hren zu k&ouml;nnen.
Dann aber machte die preu&szlig;ische Regierung schon auf die erste Kunde vom
Erscheinen der &raquo;Deutsch-Franz&ouml;sischen Jahrb&uuml;cher&laquo; gegen sie mobil.</P>
<P>Sie fand damit allerdings nicht einmal bei Metternich, geschweige denn bei
Guizot besondere Gegenliebe; sie mu&szlig;te sich begn&uuml;gen, am 18. April
1844 die Oberpr&auml;sidenten aller Provinzen zu benachrichtigen, da&szlig; die
&raquo;Jahrb&uuml;cher&laquo; den Tatbestand des versuchten Hochverrats und Majest&auml;tsverbrechens
darstellten; die Oberpr&auml;sidenten sollten, ohne dadurch Aufsehen zu erregen,
die Polizeibeh&ouml;rden anweisen, Ruge, Marx, Heine und Bernays, sobald sie preu&szlig;ischen
Boden betr&auml;ten, unter Beschlagnahme ihrer Papiere zu verhaften. Das war auch
noch recht harmlos, sintemalen die N&uuml;rnberger keinen henken, sie h&auml;tten
ihn denn zuvor. Aber gef&auml;hrlich wurde das b&ouml;se Gewissen des preu&szlig;ischen
K&ouml;nigs dadurch, da&szlig; es mit boshafter Angst die Grenzen zu bewachen
verstand. Auf einem Rheindampfer wurden 100, bei Bergzabern an der franz&ouml;sisch-pf&auml;lzischen
Grenze weit &uuml;ber 200 Exemplare aufgefangen; das waren sehr empfindliche Nackenschl&auml;ge
bei der verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig geringen Zahl der Auflage, mit der &uuml;berhaupt
gerechnet werden konnte.</P>
<P>Wo aber einmal innere Reibungen vorhanden sind, pflegen sie durch &auml;u&szlig;ere
Schwierigkeiten leicht verbittert und versch&auml;rft zu werden. Nach Angabe Ruges
haben sie auch seinen Bruch mit Marx beschleunigt oder gar hervorgerufen, woran
insoweit etwas Wahres sein mag, als Marx in Geldsachen von einer souver&auml;nen
Gleichg&uuml;ltigkeit, Ruge aber von kr&auml;merhaftem Argwohn war. Er scheute
sich nicht, das Gehalt, das Marx zu beanspruchen hatte, nach dem Muster des Trucksystems
in Exemplaren der &raquo;Jahrb&uuml;cher&laquo; auszuzahlen, geriet aber in gro&szlig;e Aufregung
&uuml;ber die angebliche Zumutung, sein Verm&ouml;gen an die Fortsetzung der Zeitschrift
zu wagen, da er doch ohne alle Kenntnis des Buchhandels sei. Eine solche Zumutung
hat Marx in &auml;hnlicher Lage allerdings an sich selbst gestellt, schwerlich
aber an Ruge. Er mag dazu geraten haben, die Flinte nicht gleich nach dem ersten
Mi&szlig;lingen ins Korn zu werfen, und darin mag Ruge, der schon &uuml;ber das
Ansinnen &raquo;zornig&laquo; wurde, ein paar Franken f&uuml;r die Drucklegung von Weitlings
Schriften springen zu lassen, ein gef&auml;hrliches Attentat auf seinen Geldbeutel
gewittert haben.</P>
<P>Obendrein deutet Ruge selbst auf die wirkliche Ursache des Bruchs hin, wenn
er als seinen unmittelbaren Anla&szlig; einen Streit &uuml;ber Herwegh angibt,
den er, &raquo;allerdings vielleicht zu heftig&laquo;, einen Lumpen&laquo; genannt, <A NAME="S69"></A><B>|69|*</B>
wogegen Marx Herweghs &raquo;gro&szlig;e Zukunft&laquo; betont habe. In der Sache hat Ruge
recht behalten; Herwegh hat keine &raquo;gro&szlig;e Zukunft&laquo; gehabt, und die Lebensweise,
die er damals in Paris f&uuml;hrte, scheint in der Tat sehr anfechtbar gewesen
zu sein; selbst Heine hat sie scharf gegei&szlig;elt und Ruge gibt zu, da&szlig;
auch Marx keine Freude daran gehabt habe. Gleichwohl ehrte den &raquo;bissigen&laquo; und
&raquo;galligen&laquo; Marx sein hochherziger Irrtum mehr, als sich der &raquo;honette&laquo; und &raquo;noble&laquo;
Ruge auf seinen unheimlichen Instinkt einbilden durfte. Denn dem einen kam es
auf den revolution&auml;ren Dichter, dem andern aber auf den untadeligen Spie&szlig;b&uuml;rger
an.</P>
<P>Dies war der tiefere Zusammenhang des unbedeutenden Zwischenfalls, der beide
M&auml;nner f&uuml;r immer trennte. F&uuml;r Marx hatte der Bruch mit Ruge nicht
die sachliche Bedeutung, wie etwa seine sp&auml;teren Auseinandersetzungen mit
Bruno Bauer oder Proudhon. Als Revolution&auml;r wird er sich lange an Ruge ge&auml;rgert
haben, bis ihm der Streit wegen Herweghs, wenn er sich wirklich nach Ruges Schilderung
abgespielt haben sollte, die Galle &uuml;berlaufen lie&szlig;.</P>
<P>Will man Ruge von seiner besten Seite kennenlernen, so mu&szlig; man die &raquo;Denkw&uuml;rdigkeiten&laquo;
lesen, die er zwanzig Jahre sp&auml;ter ver&ouml;ffentlicht hat. Die vier B&auml;nde
reichen bis zum Untergange der &raquo;Deutschen Jahrb&uuml;cher&laquo;, bis zur Zeit, wo das
Leben Ruges vorbildlich war f&uuml;r jene literarische Vorhut von Schulmeistern
und Studenten, die f&uuml;r ein B&uuml;rgertum sprachen, das von kleinem Schacher
und gro&szlig;en Illusionen lebte. Sie enthalten eine F&uuml;lle anmutiger Genrebilder
aus der Kindheit Ruges, der auf dem platten Lande in R&uuml;gen und Vorpommern
aufgewachsen war, und sie geben ein so lebendiges Bild der frischen Burschenschaftszeit
und der ruchlosen Demagogenjagd, wie es sonst in der deutschen Literatur nicht
existiert. Ihr Verh&auml;ngnis war nur, da&szlig; sie zu einer Zeit erschienen,
wo das deutsche B&uuml;rgertum die gro&szlig;en Illusionen verabschiedete, um
den gro&szlig;en Schacher zu beginnen. So blieben Ruges &raquo;Denkw&uuml;rdigkeiten&laquo;
fast unbeachtet, w&auml;hrend ein gleichartiges, aber nicht nur historisch, sondern
auch literarisch ungleich minderwertiges Buch, Reuters &raquo;Festungstid&laquo;, wahre Beifallsst&uuml;rme
entfesselte. Ruge war wirklicher Burschenschafter gewesen, w&auml;hrend Reuter
nur als lustiger Bruder von ungef&auml;hr in die Burschenschaft geraten war; der
Bourgeoisie aber, die schon mit den preu&szlig;ischen Bajonetten lieb&auml;ugelte,
gefiel der &raquo;goldene Humor&laquo;, mit dem Reuter &uuml;ber die infame Rechtsverh&ouml;hnung
der Demagogenjagd scherzte, ungleich besser, als der &raquo;dreiste Humor&laquo;, womit Ruge
nach Freiligraths treffendem Worte schilderte, da&szlig; ihn die Schufte nicht
untergekriegt und die Kasematten ihn frei gemacht h&auml;tten.</P>
<P><B><A NAME="S70">|70|</A></B> Aber gerade in der anschaulichen Schilderung
Ruges empfindet man lebhaft, da&szlig; der vorm&auml;rzliche Liberalismus trotz
aller gro&szlig;en Worte doch nur das reine Philistertum war und seine Wortf&uuml;hrer
am letzten Ende immer Philister bleiben mu&szlig;ten. Unter diesen Philistern
war Ruge noch der temperamentvollste, und innerhalb der ideologischen Schranken
hatte er tapfer genug gek&auml;mpft. Jedoch dasselbe Temperament ri&szlig; ihn
um so schneller herum, als ihm in Paris die gro&szlig;en Gegens&auml;tze des modernen
Lebens entgegentraten.</P>
<P>Hatte er sich mit dem Sozialismus als einer Spielerei philosophischer Menschenfreunde
abgefunden, so schlug ihn der Kommunismus der Pariser Handwerkerkreise mit der
panischen Angst des Spie&szlig;ers, nicht einmal um seine Haut, sondern nur um
seinen Beutel. Hatte er in den &raquo;Deutsch-Franz&ouml;sischen Jahrb&uuml;chern&laquo; der
Philosophie Hegels den Totenschein ausgestellt, so begr&uuml;&szlig;te er noch
im Laufe desselben Jahres 1844 den schrullenhaftesten Ausl&auml;ufer dieser Philosophie,
das Buch Stirners, als Befreiung von dem Kommunismus, der d&uuml;mmsten aller
Dummheiten, dem neuen Christentum, das die Einf&auml;ltigen predigen und dessen
Verwirklichung ein niedertr&auml;chtiges Schafstalleben sein w&uuml;rde.</P>
<P>Zwischen Marx und Ruge war das Tischtuch f&uuml;r immer zerschnitten.</P>
<H3 ALIGN="CENTER">2. Eine philosophische Fernsicht<A name="Kap_2"></A></H3>
<P>Demnach waren die &raquo;Deutsch-Franz&ouml;sischen Jahrb&uuml;cher&laquo; ein totgeborenes
Kind. Konnten ihre Herausgeber unm&ouml;glich auf die Dauer zusammengehen, so
kam wenig darauf an, wann und wie sie sich trennten und ein fr&uuml;herer Bruch
war sogar einem sp&auml;teren vorzuziehen. Genug, da&szlig; Marx in seiner &raquo;Selbstverst&auml;ndigung&laquo;
einen gro&szlig;en Schritt vorw&auml;rts getan hatte.</P>
<P>Er hat zwei Aufs&auml;tze in der Zeitschrift ver&ouml;ffentlicht, die &raquo;Einleitung&laquo;
zu einer &raquo;Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie&laquo; und eine Anzeige zweier Schriften,
die Bruno Bauer zur Judenfrage ver&ouml;ffentlicht hatte. Trotz der sehr verschiedenen
Gebiete ihres Stoffs h&auml;ngen sie ihrem gedanklichen Inhalt nach eng zusammen;
wenn Marx sp&auml;ter seine &raquo;Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie&laquo; dahin zusammengefa&szlig;t
hat, da&szlig; nicht in dem von Hegel gepriesenen Staat, sondern in der von ihm
mi&szlig;achteten Gesellschaft der Schl&uuml;ssel zum Verst&auml;ndnis der geschichtlichen
Entwicklung zu suchen sei, so wird dar&uuml;ber in dem zweiten Aufsatz sogar eingehender
gehandelt als in dem ersten.</P>
<P><B><A NAME="S71">|71|</A></B> Unter einem andern Gesichtspunkte verhalten sich
die beiden Aufs&auml;tze wie Mittel und Zweck zueinander. Der erste gibt einen
philosophischen Grundri&szlig; des proletarischen Klassenkampfes, der zweite einen
philosophischen Grundri&szlig; der sozialistischen Gesellschaft. Aber weder der
eine noch der andere erscheinen wie aus der Pistole geschossen, sondern beide
zeigen die geistige Entwicklung des Verfassers in streng logischer Folge. Der
erste kn&uuml;pft unmittelbar an Feuerbach an, der die Kritik der Religion, die
Voraussetzung aller Kritik, im wesentlichen beendet habe. Der Mensch mache die
Religion, die Religion mache nicht den Menschen. Aber so setzt Marx ein, der Mensch
ist kein abstraktes, au&szlig;er der Welt hockendes Wesen. Der Mensch, das ist
die Welt des Menschen, Staat, Soziet&auml;t, die die Religion als ein verkehrtes
Weltbewu&szlig;tsein produzieren, weil sie eine verkehrte Welt sind. Der Kampf
gegen die Religion ist also mittelbar der Kampf gegen jene Welt, deren geistiges
Aroma die Religion ist. So wird es zur Aufgabe der Geschichte, nachdem das Jenseits
der Wahrheit geschwunden ist, die Wahrheit des Diesseits zu etablieren. Die Kritik
des Himmels verwandelt sich damit in die Kritik der Erde, die Kritik der Religion
in die Kritik des Rechts, die Kritik der Theologie in die Kritik der Politik.</P>
<P>F&uuml;r Deutschland kann diese geschichtliche Aufgabe aber nur durch die Philosophie
gel&ouml;st werden. Verneint man die deutschen Zust&auml;nde von 1843, so steht
man, nach franz&ouml;sischer Zeitrechnung, kaum im Jahre 1789, noch weniger im
Brennpunkt der Gegenwart. Soll die moderne politisch-soziale Wirklichkeit der
Kritik unterworfen werden, so befindet sie sich au&szlig;erhalb der deutschen
Wirklichkeit, oder sie w&uuml;rde ihren Gegenstand unter ihrem Gegenstande greifen.
Als Beispiel daf&uuml;r, da&szlig; die deutsche Geschichte, gleich einem ungeschickten
Rekruten, bisher nur die Aufgabe hatte, abgedroschene Geschichten nachzuexerzieren,
bezieht sich Marx auf ein &raquo;Hautproblem der modernen Zeit&laquo;, auf das Verh&auml;ltnis
der Industrie, &uuml;berhaupt der Welt des Reichtums, zu der politischen Welt.</P>
<P>Dies Problem besch&auml;ftigt die Deutschen in der Form der Schutzz&ouml;lle,
des Prohibitivsystems der National&ouml;konomie. Man beginnt in Deutschland anzufangen,
womit man in Frankreich und England zu enden beginnt. Der alte faule Zustand,
gegen den diese L&auml;nder theoretisch im Aufruhr sind, und den sie nur noch
ertragen, wie man Ketten ertr&auml;gt, wird in Deutschland als die aufgehende
Morgenr&ouml;te einer sch&ouml;nen Zukunft begr&uuml;&szlig;t. W&auml;hrend das
Problem in Frankreich und England lautet: Politische &Ouml;konomie oder Herrschaft
der Soziet&auml;t &uuml;ber den Reichtum, lautet es in Deutschland: National&ouml;konomie
oder Herrschaft des Privateigentums <A NAME="S72"></A><B>|72|*</B> &uuml;ber die
Nationalit&auml;t. Dort handelt es sich um die L&ouml;sung und hier handelt es
sich erst um die Sch&uuml;rzung des Knotens.</P>
<P>Aber wenn nicht historische, so sind die Deutschen doch philosophische Zeitgenossen
der Gegenwart. Mitten in deren brennende Fragen f&uuml;hrt die Kritik der deutschen
Rechts- und Staatsphilosophie, die durch Hegel ihre konsequenteste Ausbildung
erhalten hat. Marx nimmt hier entschiedene Stellung sowohl zu den beiden Richtungen,
die in der &raquo;Rheinischen Zeitung&laquo; nebeneinander gegangen waren, als auch zu Feuerbach.
Hatte dieser die Philosophie zum alten Eisen geworfen, so sagt Marx, wenn man
an wirkliche Lebenskeime ankn&uuml;pfen wolle, so d&uuml;rfe man nicht vergessen,
da&szlig; der wirkliche Lebenskeim des deutschen Volkes bisher nur unter seinem
Hirnsch&auml;del gewuchert habe. Den &raquo;Baumwollrittern und Eisenhelden&laquo; aber sagte
er: Ihr habt ganz recht, die Philosophie aufzuheben, aber ihr k&ouml;nnt sie nicht
aufheben, ohne sie zu verwirklichen, und umgekehrt dem alten Freunde Bauer und
dessen Gefolge: Ihr habt ganz recht, die Philosophie zu verwirklichen, aber ihr
k&ouml;nnt sie nicht verwirklichen, ohne sie aufzuheben.</P>
<P>Die Kritik der Rechtsphilosophie verl&auml;uft in Aufgaben, f&uuml;r deren
L&ouml;sung es nur ein Mittel gibt: die Praxis. Wie kann Deutschland zu einer
Praxis auf der H&ouml;he des Prinzips gelangen, das hei&szlig;t zu einer Revolution,
die es nicht nur auf die gleiche Stufe mit den modernen V&ouml;lkern erhebt, sondern
auf die menschliche H&ouml;he, die die n&auml;chste Zukunft dieser V&ouml;lker
sein wird? Wie soll es mit einem Salto mortale nicht nur &uuml;ber seine eigenen
Schranken hinwegsetzen, sondern zugleich &uuml;ber die Schranken der modernen
V&ouml;lker, die es in der Wirklichkeit als Befreiung von seinen wirklichen Schranken
empfinden und erstreben mu&szlig;?</P>
<P>Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen,
die materielle Gewalt mu&szlig; gest&uuml;rzt werden durch materielle Gewalt,
allein auch die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift,
und sie ergreift die Massen, sobald sie radikal wird. Jedoch eine radikale Revolution
bedarf eines passiven Elements, einer materiellen Grundlage; die Theorie wird
in einem Volke immer nur soweit verwirklicht, als sie die Verwirklichung seiner
Bed&uuml;rfnisse ist. Es gen&uuml;gt nicht, da&szlig; der Gedanke zur Verwirklichung
dr&auml;ngt, die Wirklichkeit mu&szlig; sich selbst zum Gedanken dr&auml;ngen.
Daran aber scheint es in Deutschland zu fehlen, wo die verschiedenen Sph&auml;ren
sich nicht dramatisch, sondern episch zueinander verhalten, wo sogar das moralische
Selbstgef&uuml;hl der Mittelklasse nur auf dem Bewu&szlig;tsein beruht, die allgemeine
Repr&auml;sentantin von der philisterhaften Mittelm&auml;&szlig;igkeit aller &uuml;brigen
Klassen zu sein, wo jede Sph&auml;re der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft <A NAME="S73"></A><B>|73|</B>
ihre Niederlage erlebt, bevor sie ihren Sieg gefeiert hat, ihr engherziges Wesen
geltend macht, bevor sie ihr gro&szlig;m&uuml;tiges Wesen geltend machen kann,
so da&szlig; jede Klasse, bevor sie den Kampf mit der &uuml;ber ihr stehenden
Klasse beginnt, in den Kampf mit der unter ihr stehenden verwickelt wird.</P>
<P>Dadurch wird jedoch nicht bewiesen, da&szlig; die radikale, die allgemeinmenschliche,
sondern nur da&szlig; die halbe, die nur politische Revolution, die Revolution,
die die Pfeiler des Hauses stehen l&auml;&szlig;t, in Deutschland unm&ouml;glich
ist. Hier fehlen ihre Vorbedingungen: auf der einen Seite eine Klasse, die von
ihrer besonderen Situation aus die allgemeine Emanzipation der Gesellschaft unternimmt
und die ganze Gesellschaft befreit, wenn auch nur unter der Voraussetzung, da&szlig;
die ganze Gesellschaft sich in der Situation dieser Klasse befindet, also zum
Beispiel Geld oder Bildung besitzt oder beliebig erwerben kann: auf der andern
Seite eine Klasse, in der sich alle M&auml;ngel der Gesellschaft konzentrieren,
eine besondere soziale Sph&auml;re, die f&uuml;r das notorische Verbrechen der
ganzen Gesellschaft gelten mu&szlig;, so da&szlig; die Befreiung von dieser Sph&auml;re
als die allgemeine Selbstbefreiung erscheint. Die negativ-allgemeine Bedeutung
des franz&ouml;sischen Adels und der franz&ouml;sischen Klerisei bedingte die
positiv-allgemeine Bedeutung der zun&auml;chst angrenzenden und entgegenstehenden
Bourgeoisie.</P>
<P>Aus der Unm&ouml;glichkeit der halben schlie&szlig;t nun Marx die &raquo;positive
M&ouml;glichkeit&laquo; der radikalen Revolution. Auf die Frage, wo diese M&ouml;glichkeit
bestehe, antwortet er: &raquo;In der Bildung einer Klasse mit radikalen Ketten, einer
Klasse der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft, welche keine Klasse der b&uuml;rgerlichen
Gesellschaft ist, eines Standes, welcher die Aufl&ouml;sung aller St&auml;nde
ist, einer Sph&auml;re, welche einen universellen Charakter durch ihre universellen
Leiden besitzt und kein <I>besonderes Recht</I> in Anspruch nimmt, weil kein <I>besonderes
Unrecht</I>, sondern das <I>Unrecht schlechthin</I> an ihr ver&uuml;bt wird, welche
nicht mehr auf einen <I>historischen</I>, sondern nur noch auf den <I>menschlichen</I>
Titel provozieren kann, welche in keinem einseitigen Gegensatz zu den Konsequenzen,
sondern in einem allseitigen Gegensatz zu den Voraussetzungen des deutschen Staatswesens
steht, einer Sph&auml;re endlich, welche sich nicht emanzipieren kann, ohne sich
von allen &uuml;brigen Sph&auml;ren der Gesellschaft und damit alle &uuml;brigen
Sph&auml;ren der Gesellschaft zu emanzipieren, welche mit einem Wort der <I>v&ouml;llige
Verlust</I> des Menschen ist, also nur durch die <I>v&ouml;llige Wiedergewinnung
des Menschen</I> sich selbst gewinnen kann. Diese Aufl&ouml;sung der Gesellschaft
als ein besonderer Stand ist das <I>Proletariat</I>.&laquo;<A name="ZT3"></A><A href="fm03_064.htm#Z3"><SPAN class="top">[3]</SPAN></A> Es beginne erst durch die
hereinbrechende industrielle Bewegung f&uuml;r <A NAME="S74"></A><B>|74|</B> Deutschland
zu werden, denn nicht die naturw&uuml;chsig entstandene, sondern die k&uuml;nstlich
produzierte Armut, nicht die mechanische durch die Schwere der Gesellschaft niedergedr&uuml;ckte,
sondern die aus ihrer akuten Aufl&ouml;sung, vorzugsweise aus der Aufl&ouml;sung
des Mittelstandes hervorgehende Menschenmasse bilde das Proletariat, obgleich
allm&auml;hlich, wie sich von selbst verstehe, auch die naturw&uuml;chsige Armut
und die christlich-germanische Leibeigenschaft in seine Reihen treten.</P>
<P>Wie die Philosophie im Proletariat ihre materiellen, so findet das Proletariat
in der Philosophie seine geistigen Waffen, und sobald der Blitz des Gedankens
gr&uuml;ndlich in diesen naiven Volksboden eingeschlagen ist, wird sich die Emanzipation
der Deutschen zu Menschen vollziehen. Die Emanzipation des Deutschen ist die Emanzipation
des Menschen. Die Philosophie kann nicht verwirklicht werden ohne die Aufhebung
des Proletariats, das Proletariat kann sich nicht aufheben ohne die Verwirklichung
der Philosophie. Wenn alle inneren Bedingungen erf&uuml;llt sind, wird der deutsche
Auferstehungstag verk&uuml;ndet werden durch das Schmettern des gallischen Hahns.</P>
<P>Nach Form und Inhalt steht dieser Aufsatz in der ersten Reihe der Jugendarbeiten,
die sich von Marx erhalten haben; eine magere Skizze seiner Grundgedanken kann
nicht einmal einen entfernten Begriff von der &uuml;berstr&ouml;menden Gedankenf&uuml;lle
geben, die er in einer epigrammatisch knappen Form zu b&auml;ndigen wei&szlig;.
Die deutschen Professoren, die darin Fratzenhaftigkeit des Stils und H&ouml;he
der Geschmacklosigkeit entdecken wollten, haben nur ihrer eigenen Fratzenhaftigkeit
und Geschmacklosigkeit ein unr&uuml;hmliches Zeugnis ausgestellt. Freilich fand
auch Ruge schon die &raquo;Epigramme&laquo; des Aufsatzes &raquo;zu k&uuml;nstlich&raquo;; er tadelte
diese &raquo;Unform und &Uuml;berform&laquo;, aber entdeckte darin auch ein &raquo;kritisches Talent,
das bisweilen in &Uuml;bermut ausartende Dialektik&laquo; werde. Dies Urteil ist nicht
unbillig. Denn der junge Marx hat manches Mal schon am Klirren seiner scharfen
und schweren Waffen seine Freude gehabt. &Uuml;bermut ist die Mitgift jeder genialen
Jugend.</P>
<P>Noch ist es nur eine philosophische Fernsicht, die der Aufsatz in die Zukunft
er&ouml;ffnet. Niemand hat schl&uuml;ssiger als der sp&auml;tere Marx nachgewiesen,
da&szlig; keine Nation mit einem Salto mortale &uuml;ber notwendige Stufen ihrer
geschichtlichen Entwicklung hinwegsetzen kann. Aber es sind nicht sowohl unrichtige
als d&auml;mmernde Umrisse, die seine sichere Hand zeichnet. Im einzelnen sind
die Dinge anders gekommen, aber im ganzen doch so wie er vorher gesagt hat. Das
bezeugt ihm die Geschichte der deutschen Bourgeoisie sowohl wie die Geschichte
des deutschen Proletariats.</P>
<H3 align="center">3. Zur Judenfrage<A name="Kap_3"></A></H3>
<P><B><A NAME="S75">|75|</A></B> Nicht so packend in der Form, aber in der F&auml;higkeit
kritischer Zergliederung fast noch &uuml;berlegen, ist der zweite Aufsatz, den
Marx in den &raquo;Deutsch-Franz&ouml;sischen Jahrb&uuml;chern&laquo; ver&ouml;ffentlicht
hat. Er untersuchte in ihm den Unterschied zwischen menschlicher und politischer
Emanzipation, an der Hand zweier Abhandlungen Bruno Bauers &uuml;ber die Judenfrage.</P>
<P>Diese Frage war damals noch nicht so in den Niederungen anti- und philosemitischen
Geredes verkommen wie heutzutage. Eine Klasse der Bev&ouml;lkerung, die als hervorragendste
Tr&auml;gerin des Kaufmanns- und Wucherkapitals eine immer gr&ouml;&szlig;ere
Macht gewann, entbehrte um ihrer Religion willen aller b&uuml;rgerlichen Rechte,
es sei denn, da&szlig; ihr um ihres Wuchers willen besondere Vorrechte einger&auml;umt
wurden; der ber&uuml;hmteste Vertreter des &raquo;aufgekl&auml;rten Absolutismus&laquo;, der
Philosoph von Sanssouci, gab das erbauliche Vorbild, da&szlig; er den Geldjuden,
die ihm bei seinen M&uuml;nzf&auml;lschungen und sonstigen zweifelhaften Finanzoperationen
halfen, die &raquo;Freiheit von christlichen Bankiers&laquo; gew&auml;hrte, w&auml;hrend er
den Philosophen Moses Mendelssohn nur eben in seinen Staaten duldete, aber nicht
etwa, weil er ein Philosoph war und sich bem&uuml;hte, seine &raquo;Nation&laquo; in das deutsche
Geistesleben einzuf&uuml;hren, sondern weil er die Stelle eines Buchhalters bei
einem privilegierten Geldjuden bekleidete. Entlie&szlig; ihn dieser, so war er
vogelfrei.</P>
<P>Aber auch die b&uuml;rgerlichen Aufkl&auml;rer nahmen - mit einzelnen Ausnahmen
- keinen besonderen Ansto&szlig; an der &Auml;chtung einer Bev&ouml;lkerungsklasse
um ihrer Religion willen. Der israelitische Glaube war ihnen widerlich als Vorbild
der religi&ouml;sen Unduldsamkeit, von dem das Christentum erst die &raquo;Menschenm&auml;kelei&laquo;
gelernt hatte, und die Juden selbst zeigten nicht das geringste Interesse f&uuml;r
die b&uuml;rgerliche Aufkl&auml;rung. Sie erg&ouml;tzten sich an der aufkl&auml;rerischen
Kritik der christlichen Religion, die sie selbst von jeher verflucht hatten, aber
sie schrien &uuml;ber einen Verrat an der Menschheit, wenn die gleiche Kritik
an die j&uuml;dische Religion herantrat. So forderten sie die politische Emanzipation
des Judentums, aber nicht im Sinne der Gleichberechtigung, nicht in der Absicht,
ihre Sonderstellung preiszugeben, sondern vielmehr in der Absicht, sie zu befestigen,
allemal bereit, die liberalen Grunds&auml;tze preiszugeben, sobald sie einem j&uuml;dischen
Sonderinteresse widerstritten.</P>
<P>Die Kritik der Religion durch die Junghegelianer hatte sich nat&uuml;rlich
auch auf das Judentum erstreckt, das sie als eine Vorstufe des Christentums behandelten.
Feuerbach hatte das Judentum als die Religion des <A NAME="S76"></A><B>|76|</B>
Egoismus zergliedert. &raquo;Die Juden haben sich in ihrer Eigent&uuml;mlichkeit bis
auf den heutigen Tag erhalten. Ihr Prinzip, ihr Gott ist das praktischste Prinzip
der Welt - der Egoismus in der Form der Religion. Der Egoismus sammelt, konzentriert
den Menschen auf sich, aber er macht ihn theoretisch borniert, weil gleichg&uuml;ltig
gegen alles, was nicht unmittelbar auf das Wohl des Selbst sich bezieht.&laquo; &Auml;hnlich
Bruno Bauer, der den Juden nachsagte, da&szlig; sie sich in den Spalten und Ritzen
der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft eingenistet h&auml;tten, um ihre unsicheren
Elemente auszubeuten, gleich den G&ouml;ttern Epikurs, die in den Zwischenr&auml;umen
der Welt wohnten, wo sie der bestimmten Arbeit &uuml;berhoben seien. Ihre Religion
sei tierische Schlauheit und List, womit sich das sinnliche Bed&uuml;rfnis befriedige;
sie h&auml;tten sich von jeher dem geschichtlichen Fortschritt widersetzt und
sich in ihrem Hasse aller V&ouml;lker das abenteuerlichste und beschr&auml;nkteste
Volksleben gestiftet.</P>
<P>Allein wenn Feuerbach das Wesen der j&uuml;dischen Religion aus dem Wesen der
Juden erkl&auml;rte, so sah Bauer trotz der Gr&uuml;ndlichkeit, K&uuml;hnheit
und Sch&auml;rfe, die Marx seinen Abhandlungen &uuml;ber die Judenfrage nachr&uuml;hmte,
diese Frage doch nur erst durch die theologische Brille. Wie die Christen, so
k&ouml;nnen die Juden zur Freiheit nur durchdringen, indem sie ihre Religion &uuml;berwinden.
Der christliche Staat k&ouml;nne seinem religi&ouml;sen Wesen nach die Juden nicht
emanzipieren, aber so k&ouml;nnten auch die Juden ihrem religi&ouml;sen Wesen
nach nicht emanzipiert werden. Christen und Juden m&uuml;&szlig;ten aufh&ouml;ren,
Christen und Juden zu sein, wenn sie frei sein wollten. Da aber das Judentum als
Religion von dem Christentum als Religion &uuml;berholt worden sei, so habe der
Jude einen beschwerlicheren und weiteren Weg zur Freiheit als der Christ. Nach
Bauers Ansicht mu&szlig;ten die Juden erst das Christentum und die Hegelsche Philosophie
nachexerzieren, ehe sie frei werden konnten.</P>
<P>Dagegen warf Marx ein, da&szlig; es nicht gen&uuml;ge, zu untersuchen, wer
emanzipieren und wer emanzipiert werden solle, sondern die Kritik habe zu fragen,
um welche Art von Emanzipation es sich handle, ob um die politische oder die menschliche
Emanzipation. Die Juden wie die Christen seien in verschiedenen Staaten politisch
vollst&auml;ndig emanzipiert, ohne deshalb menschlich emanzipiert zu sein. Es
m&uuml;sse also zwischen der politischen und der menschlichen Emanzipation ein
Unterschied bestehen.</P>
<P>Das Wesen der politischen Emanzipation sei der ausgebildete moderne Staat,
und dieser Staat sei auch der vollendete christliche Staat, denn der christlich-germanische
Staat, der Staat der Privilegien, sei erst der unvollkommene, noch theologische,
noch nicht in politischer Reinheit <A NAME="S77"></A><B>|77|</B> ausgebildete
Staat. Der politische Staat in seiner h&ouml;chsten Ausbildung verlange aber weder
vom Juden die Aufhebung des Judentums, noch vom Menschen &uuml;berhaupt die Aufhebung
der Religion; er habe die Juden emanzipiert und m&uuml;sse sie seinem Wesen nach
emanzipieren. Wo die Staatsverfassung ausdr&uuml;cklich die Aus&uuml;bung politischer
Rechte f&uuml;r unabh&auml;ngig vom religi&ouml;sen Glauben erkl&auml;re, da halte
man gleichwohl einen Menschen ohne Religion f&uuml;r keinen anst&auml;ndigen Menschen.
Das Dasein der Religion widerspreche also der Vollendung des Staates nicht. Die
politische Emanzipation des Juden, des Christen, &uuml;berhaupt des religi&ouml;sen
Menschen, sei die Emanzipation des Staats vom Judentum, vom Christentum, &uuml;berhaupt
von der Religion. Der Staat k&ouml;nne sich von einer Schranke befreien, ohne
da&szlig; der Mensch wirklich von ihr frei w&auml;re, und darin zeige sich die
Grenze der politischen Emanzipation.</P>
<P>Marx spinnt nun diesen Gedanken noch weiter aus. Der Staat als Staat verneine
das Privateigentum; der Mensch erkl&auml;re auf politische Weise das Privateigentum
f&uuml;r aufgehoben, sobald er den Zensus f&uuml;r aktive und passive W&auml;hlbarkeit
aufhebe, wie es in vielen nordamerikanischen Freistaaten geschehen sei. Der Staat
hebe den Unterschied der Geburt, des Standes, der Bildung, der Besch&auml;ftigung
in seiner Weise auf, wenn er Geburt, Stand, Bildung, Besch&auml;ftigung f&uuml;r
unpolitische Unterschiede erkl&auml;re, wenn er ohne R&uuml;cksicht auf diese
Unterschiede jedes Glied des Volks zum gleichm&auml;&szlig;igen Teilnehmer der
Volkssouver&auml;nit&auml;t ausrufe. Nichtsdestoweniger lasse der Staat das Privateigentum,
die Bildung, die Besch&auml;ftigung auf ihre Weise, das hei&szlig;t als Privateigentum,
als Bildung, als Besch&auml;ftigung wirken und ihr besonderes Wesen geltend machen.
Weit entfernt, diese faktischen Unterschiede aufzuheben, existiere er vielmehr
nur unter ihrer Voraussetzung, empfinde er sich vielmehr nur als politischer Staat
und mache er seine Allgemeinheit geltend nur im Gegensatz zu diesen seinen Elementen.
Der vollendete politische Staat sei seinem Wesen nach das Gattungsleben der Menschheit
im Gegensatz zu seinem materiellen Leben. Alle Voraussetzungen dieses egoistischen
Lebens blieben au&szlig;erhalb der Staatssph&auml;re in der b&uuml;rgerlichen
Gesellschaft bestehen, aber als Eigenschaften der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft.
Das Verh&auml;ltnis des politischen Staats zu seinen Voraussetzungen, m&ouml;gen
dies nun materielle Elemente sein wie das Privateigentum oder aber geistige Elemente
wie die Religion, sei der Widerstreit zwischen dem allgemeinen und dem Privatinteresse.
Der Konflikt, worin sich der Mensch als Bekenner einer besonderen Religion mit
seinem Staatsb&uuml;rgertum, mit den anderen Menschen als Gliedern des Gemeinwesens
befinde, reduziere <A NAME="S78"></A><B>|78|</B> sich auf die Spaltung zwischen
dem politischen Staat und der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft.</P>
<P>Die b&uuml;rgerliche Gesellschaft ist die Grundlage des modernen Staats, wie
die antike Sklaverei die Grundlage des antiken Staats war. Der moderne Staat erkannte
seine Geburtsst&auml;tte durch die Verk&uuml;ndung der allgemeinen Menschenrechte
an, deren Genu&szlig; den Juden ebenso zusteht wie der Genu&szlig; der politischen
Rechte. Die allgemeinen Menschenrechte erkennen das egoistische, b&uuml;rgerliche
Individuum und die z&uuml;gellose Bewegung der geistigen und materiellen Elemente
an, die den Inhalt seiner Lebenslage, den Inhalt des heutigen b&uuml;rgerlichen
Lebens bilden. Sie befreien den Menschen nicht von der Religion, sondern geben
ihm Religionsfreiheit; sie befreien ihn nicht vom Eigentum, sondern geben ihm
die Freiheit des Eigentums; sie befreien ihn nicht vom Schmutze des Erwerbes,
sondern geben ihm Gewerbefreiheit. Die politische Revolution hat die b&uuml;rgerliche
Gesellschaft geschaffen, indem sie das buntscheckige Feudalwesen zertr&uuml;mmerte,
alle die St&auml;nde, Korporationen, Innungen, die ebenso viele Ausdr&uuml;cke
der Trennung des Volks von seinem Gemeinwesen waren; sie schuf den politischen
Staat als allgemeine Angelegenheit, als wirklichen Staat.</P>
<P>Demnach fa&szlig;t Marx zusammen: &raquo;Die politische Emanzipation ist die Reduktion
des Menschen, einerseits auf das Mitglied der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft,
auf das <I>egoistische unabh&auml;ngige</I> Individuum, andrerseits auf den <I>Staatsb&uuml;rger</I>,
auf die moralische Person. Erst wenn der wirkliche individuelle Mensch den abstrakten
Staatsb&uuml;rger in sich zur&uuml;cknimmt und als individueller Mensch in seinem
empirischen Leben, in seiner individuellen Arbeit, in seinen individuellen Verh&auml;ltnissen,
<I>Gattungswesen</I> geworden ist, erst wenn der Mensch seine &#155;forces propres&#139;
[Mehring &uuml;bersetzt: eigenen Kr&auml;fte] als <I>gesellschaftliche</I> Kr&auml;fte
erkannt und organisiert hat und daher die gesellschaftliche Kraft nicht mehr in
der Gestalt der politischen Kraft von sich trennt, erst dann ist die menschliche
Emanzipation vollbracht.&laquo;<A name="ZT4"></A><A href="fm03_064.htm#Z4"><SPAN class="top">[4]</SPAN></A></P>
<P>Es blieb noch die Behauptung zu pr&uuml;fen, da&szlig; der Christ emanzipationsf&auml;higer
sei als der Jude, eine Behauptung, die Bauer aus der j&uuml;dischen Religion zu
erkl&auml;ren gesucht hatte. Marx kn&uuml;pft an Feuerbach an, der die j&uuml;dische
Religion aus dem Juden, nicht aber den Juden aus der j&uuml;dischen Religion erkl&auml;rt
hatte. Allein er geht auch &uuml;ber Feuerbach hinaus, indem er das besondere
gesellschaftliche Element ermittelt, das sich in der j&uuml;dischen Religion widerspiegelt.
Welches sei der weltliche Grund des Judentums? Das praktische Bed&uuml;rfnis,
der Eigennutz. Welches sei der weltliche Kultus des Juden? Der Schacher. Welches
sein <A NAME="S79"></A><B>|79|</B> weltlicher Gott? Das Geld. &raquo;Nun wohl! Die Emanzipation
vom <I>Schacher</I> und vom <I>Geld</I>, also vom praktischen, realen Judentum,
w&auml;re die Selbstemanzipation unsrer Zeit. Eine Organisation der Gesellschaft,
welche die Voraussetzungen des Schachers, also die M&ouml;glichkeit des Schachers
aufh&ouml;be, h&auml;tte den Juden unm&ouml;glich gemacht. Sein religi&ouml;ses
Bewu&szlig;tsein w&uuml;rde wie ein fader Dunst in der wirklichen Lebensluft der
Gesellschaft sich aufl&ouml;sen. Andrerseits: wenn der Jude dies sein <I>praktisches</I>
Wesen als nichtig erkennt und an seiner Aufhebung arbeitet, arbeitet er aus seiner
bisherigen Entwicklung heraus, an der <I>menschlichen Emanzipation</I> schlechthin
und kehrt sich gegen den <I>h&ouml;chsten praktischen</I> Ausdruck der menschlichen
Selbstentfremdung.&laquo;<A name="ZT5"></A><A href="fm03_064.htm#Z5"><SPAN class="top">[5]</SPAN></A> Marx erkennt im Judentum ein allgemeines, gegenw&auml;rtiges,
antisoziales Element, das durch die geschichtliche Entwicklung, an der die Juden
in dieser schlechten Beziehung eifrig mitgearbeitet haben, auf seine jetzige H&ouml;he
getrieben worden sei, wo es sich notwendig aufl&ouml;sen m&uuml;sse.</P>
<P>Was Marx mit diesem Aufsatz erreichte, war ein zwiefacher Gewinn. Er sah dem
Zusammenhange zwischen Gesellschaft und Staat auf den Grund. Der Staat ist nicht,
wie Hegel meinte, die Wirklichkeit der sittlichen Idee, das absolut Vern&uuml;nftige
und der absolute Selbstzweck, sondern er mu&szlig; sich mit der ungleich bescheideneren
Aufgabe begn&uuml;gen, die Anarchie der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft zu sch&uuml;tzen,
die ihn zu ihrem W&auml;chter bestellt hat: den allgemeinen Kampf von Mann wider
Mann, Individuum wider Individuum, den Krieg aller nur mehr durch ihre Individualit&auml;t
voneinander abgeschlossenen Individuen gegeneinander, die allgemeine z&uuml;gellose
Bewegung der aus den feudalen Fesseln befreiten elementarischen Lebensm&auml;chte,
die tats&auml;chliche Sklaverei, wenn auch scheinbare Freiheit und Unabh&auml;ngigkeit
des Individuums, das die z&uuml;gellose Bewegung seiner entfremdeten Lebenselemente
wie Eigentum, Industrie, Religion f&uuml;r seine eigene Freiheit nimmt, w&auml;hrend
sie vielmehr seine vollendete Knechtschaft und Unmenschlichkeit ist.</P>
<P>Dann aber hatte Marx erkannt, da&szlig; die religi&ouml;sen Tagesfragen nur
noch eine gesellschaftliche Bedeutung haben. Die Entwicklung des Judentums wies
er nicht in der religi&ouml;sen Theorie, sondern in der industriellen und kommerziellen
Praxis nach, die in der j&uuml;dischen Religion einen phantastischen Reflex findet.
Das praktische Judentum ist nichts als die vollendete christliche Welt. Da die
b&uuml;rgerliche Gesellschaft durchaus kommerziellen j&uuml;dischen Wesens ist,
so geh&ouml;rt der Jude notwendig zu ihr und kann die politische Emanzipation
beanspruchen wie den Genu&szlig; der allgemeinen Menschenrechte. Die menschliche
Emanzipation jedoch ist eine neue Organisation der gesellschaftlichen Kr&auml;fte,
die den Menschen <A NAME="S80"></A><B>|80|*</B> zum Herrn seiner Lebensquellen
macht; in d&auml;mmernden Umrissen erscheint hier das Bild der sozialistischen
Gesellschaft.</P>
<P>In den &raquo;Deutsch-Franz&ouml;sischen Jahrb&uuml;chern&laquo; ackerte Marx noch auf
philosophischem Felde, aber in den Furchen, die sein kritischer Pflug zog, spro&szlig;ten
die Keime einer materialistischen Geschichtsauffassung auf, die im Lichte der
franz&ouml;sischen Zivilisation rasch in die Halme schossen.</P>
<H3 ALIGN="CENTER">4. Franz&ouml;sische Zivilisation<A name="Kap_4"></A></H3>
<P>Bei der Art, wie Marx arbeitete, ist es sehr wahrscheinlich, da&szlig; er die
beiden Aufs&auml;tze &uuml;ber die Hegelsche Rechtsphilosophie und die Judenfrage
wenigstens in ihren Grundrissen schon entworfen hatte, als er noch in Deutschland
lebte, in den ersten Monaten seiner gl&uuml;cklichen Ehe. Wenn sie sich aber schon
um die gro&szlig;e franz&ouml;sische Revolution bewegten, so lag es um so n&auml;her,
da&szlig; Marx sich in die Geschichte dieser Revolution st&uuml;rzte, sobald ihm
der Aufenthalt in Paris gestattete, ihre Quellen zu erforschen, sowie nicht minder
die Quellen ihrer Vorgeschichte, des franz&ouml;sischen Materialismus wie ihrer
Nachgeschichte, des franz&ouml;sischen Sozialismus.</P>
<P>Paris durfte sich damals mit Recht r&uuml;hmen, an der Spitze der b&uuml;rgerlichen
Zivilisation zu marschieren. In der Julirevolution von 1830 hatte die franz&ouml;sische
Bourgeoisie nach einer Reihe weltgeschichtlicher Illusionen und Katastrophen endlich
gesichert, was sie in der gro&szlig;en Revolution von 1789 begonnen hatte. Ihre
Talente reckten sich behaglich aus, aber wenn der Widerstand der alten M&auml;chte
noch l&auml;ngst nicht gebrochen war, so meldeten sich neue M&auml;chte an, und
in unabl&auml;ssigem Hin und Her wogte ein Kampf der Geister, wie nirgends sonst
in Europa, und am wenigsten in dem grabesstillen Deutschland.</P>
<P>In dies st&auml;hlende Wellenbad hat sich Marx mit breiter Brust geworfen.
Nicht in lobendem Sinn, aber um so beweiskr&auml;ftiger, schrieb Ruge im Mai 1844
an Feuerbach, Marx lese sehr viel und arbeite mit ungemeiner Intensivit&auml;t,
aber er vollende nichts, breche &uuml;berall ab und st&uuml;rze sich immer von
neuem in ein endloses B&uuml;chermeer. Er sei gereizt und heftig, am meisten wenn
er sich krank gearbeitet und drei, ja vier N&auml;chte hintereinander nicht ins
Bett gekommen sei. Die &raquo;Kritik der Hegelschen Philosophie&laquo; lasse er nun wieder
liegen und wolle seinen Pariser Aufenthalt dazu benutzen, was Ruge sehr richtig
fand, eine Geschichte <A NAME="S81"></A><B>|81|*</B> des Konvents zu schreiben,
wozu er das Material aufgeh&auml;uft und sehr fruchtbare Gesichtspunkte gefa&szlig;t
habe.</P>
<P>Marx hat die Geschichte des Konvents nicht geschrieben, aber die Angaben Ruges
werden dadurch nicht widerlegt, sondern vielmehr um so glaubhafter. Je tiefer
Marx in das historische Wesen der Revolution von 1789 eindrang, um so eher konnte
er auf die Kritik der Hegelschen Philosophie als ein Mittel zur &raquo;Selbstverst&auml;ndigung&laquo;
&uuml;ber die K&auml;mpfe und W&uuml;nsche der Zeit verzichten, jedoch um so weniger
konnte er sich an der Geschichte des Konvents gen&uuml;gen lassen, der zwar ein
Maximum der politischen Energie, der politischen Macht und des politischen Verstandes
dargestellt, aber sich der gesellschaftlichen Anarchie gegen&uuml;ber ohnm&auml;chtig
erwiesen hatte.</P>
<P>Au&szlig;er den sp&auml;rlichen Andeutungen Ruges hat sich leider kein Zeugnis
erhalten, woraus sich im einzelnen auf den Gang der Studien schlie&szlig;en l&auml;&szlig;t,
die Marx im Fr&uuml;hling und Sommer des Jahres 1844 getrieben hat. Aber im ganzen
l&auml;&szlig;t sich wohl erkennen, wie sich die Dinge gestaltet haben. Das Studium
der Franz&ouml;sischen Revolution f&uuml;hrte Marx auf jene Geschichtsliteratur
des &raquo;dritten Standes&laquo;, die unter der bourbonischen Restauration entstanden und
von gro&szlig;en Talenten gepflegt worden war, um die historische Existenz ihrer
Klasse bis ins elfte Jahrhundert zu verfolgen und die franz&ouml;sische Geschichte
seit dem Mittelalter als eine ununterbrochene Reihe von Klassenk&auml;mpfen darzustellen.
Diesen Historikern - er nennt namentlich Guizot und Thierry - verdankte Marx die
Kenntnis von dem geschichtlichen Wesen der Klassen und ihrer K&auml;mpfe, deren
&ouml;konomische Anatomie er dann aus den b&uuml;rgerlichen &Ouml;konomen lernte,
von denen er namentlich Ricardo nennt. Er selbst hat stets abgelehnt, die Theorie
des Klassenkampfs entdeckt zu haben; was er f&uuml;r sich beanspruchte, war nur,
nachgewiesen zu haben, da&szlig; die Existenz der Klassen an bestimmte historische
Entwicklungsk&auml;mpfe der Produktion gebunden sei, da&szlig; der Klassenkampf
notwendig zur Diktatur des Proletariats f&uuml;hre und da&szlig; diese Diktatur
selbst nur den &Uuml;bergang zur Aufhebung aller Klassen und zu einer klassenlosen
Gesellschaft bilde. Diese Gedankenreihen haben sich in Marx w&auml;hrend seines
Pariser Exils entwickelt.</P>
<P>Die gl&auml;nzendste und sch&auml;rfste Waffe, womit der &raquo;dritte Stand&laquo; gegen
die herrschenden Klassen k&auml;mpfte, war im achtzehnten Jahrhundert die materialistische
Philosophie. Auch sie hat Marx eifrig zur Zeit seines Pariser Exils studiert,
weniger in derjenigen ihrer beiden Richtungen, die von Descartes ausging und sich
in die Naturwissenschaft verlief, als in derjenigen, die an Locke ankn&uuml;pfte
und in die Gesellschaftswissenschaft <A NAME="S82"></A><B>|82|*</B> m&uuml;ndete.
Helv&eacute;tius und Holbach, die den Materialismus ins gesellschaftliche Leben
&uuml;bertragen, die nat&uuml;rliche Gleichheit der menschlichen Intelligenzen,
die Einheit zwischen dem Fortschritt der Vernunft und dem Fortschritt der Industrie,
die nat&uuml;rliche G&uuml;te der Menschheit, die Allmacht der Erziehung zu Hauptgesichtspunkten
ihres Systems gemacht hatten, waren ebenfalls Sterne, die den Pariser Arbeiten
des jungen Marx geleuchtet haben. Er taufte ihre Lehre als &raquo;realen Humanismus&laquo;,
sowie er auch Feuerbachs Philosophie taufte; nur da&szlig; der Materialismus der
Helv&eacute;tius und Holbach die &raquo;soziale Basis des Kommunismus&laquo; geworden war.</P>
<P>Den Kommunismus und Sozialismus zu studieren, wie Marx schon in der &raquo;Rheinischen
Zeitung&laquo; angek&uuml;ndigt hatte, bot Paris nun vollends die reichlichste Gelegenheit.
Was sich hier seinen Blicken darstellte, war ein Bild von einer fast verwirrenden
F&uuml;lle der Gedanken und Gestalten. Die geistige Luft war mit sozialistischen
Keimen ges&auml;ttigt, und selbst das &raquo;Journal des D&eacute;bats&laquo;, das klassische
Blatt der herrschenden Geldaristokratie, das von der Regierung mit einer betr&auml;chtlichen
Jahresspende unterst&uuml;tzt wurde, konnte sich dieser Str&ouml;mung nicht entziehen,
wenn es auch nur die sozusagen sozialistischen Schauerromane Eug&egrave;ne Sues
in seinem Feuilleton ver&ouml;ffentlichte. Den Gegenpol dazu bildeten geniale
Denker wie Leroux, die schon das Proletariat gebar. Dazwischen standen die Tr&uuml;mmer
der Saint-Simonisten und die r&uuml;hrige Sekte der Fourieristen, die in Consid&eacute;rant
ihren F&uuml;hrer und in der &raquo;Friedlichen Demokratie&laquo; ihr Organ hatte, christliche
Sozialisten, wie der katholische Priester Lamennais oder der ehemalige Carbonari
Buchez, kleinb&uuml;rgerliche Sozialisten wie Sismondi, Buret, Pecqueur, Vidal,
nicht zuletzt auch die sch&ouml;ne Literatur, in deren oft hervorragendsten Sch&ouml;pfungen
wie den Liedern B&eacute;rangers oder den Romanen der George Sand, sozialistische
Lichter und Schatten spielten.</P>
<P>Eigent&uuml;mlich aber war allen diesen sozialistischen Systemen, da&szlig;
sie auf die Einsicht und das Wohlwollen der besitzenden Klassen rechneten, die
durch eine friedliche Propaganda von der Notwendigkeit gesellschaftlicher Reformen
oder Umw&auml;lzungen &uuml;berzeugt werden m&uuml;&szlig;ten. Wenn sie selbst
aus den Entt&auml;uschungen der gro&szlig;en Revolution geboren waren, so verschm&auml;hten
sie den politischen Weg, der zu diesen Entt&auml;uschungen gef&uuml;hrt hatte;
den leidenden Massen sollte geholfen werden, da sie sich selbst nicht helfen konnten.
Die Arbeiteraufst&auml;nde der drei&szlig;iger Jahre waren gescheitert, und in
der Tat hatten ihre entschlossensten F&uuml;hrer, M&auml;nner wie Barb&egrave;s
und Blanqui, weder eine sozialistische Theorie noch bestimmte praktische Mittel
einer sozialen Umw&auml;lzung gekannt.</P>
<P><B><A NAME="S83">|83|</A></B> Allein deshalb wuchs die Arbeiterbewegung nur
um so schneller an, und mit dem Seherblick des Dichters kennzeichnete Heinrich
Heine das Problem, das daraus entstand, mit den Worten: &raquo;Die Kommunisten sind
die einzige Partei in Frankreich, die eine entschlossene Beachtung verdient. Ich
w&uuml;rde f&uuml;r die Tr&uuml;mmer des Saint-Simonismus, dessen Bekenner unter
seltsamen Aush&auml;ngeschildern noch immer am Leben sind, sowie auch f&uuml;r
die Fourieristen, die noch frisch und r&uuml;hrig wirken, dieselbe Aufmerksamkeit
beanspruchen, aber diese ehrenwerten M&auml;nner bewegt doch nur das Wort, die
soziale Frage als Frage, der &uuml;berlieferte Begriff, und sie werden nicht getrieben
von d&auml;monischer Notwendigkeit, sie sind nicht die pr&auml;destinierten Knechte,
womit der h&ouml;chste Weltwille seine ungeheuren Beschl&uuml;sse durchsetzt.
Fr&uuml;h oder sp&auml;t wird die zerstreute Familie Saint-Simons und der ganze
Generalstab der Fourierischen zu dem wachsenden Heere des Kommunismus &uuml;bergehen,
und, dem rohen Bed&uuml;rfnis das gestaltende Wort verleihend, gleichsam die Rolle
der Kirchenv&auml;ter &uuml;bernehmen.&laquo; So schrieb Heine am 15. Juni 1843, und
noch hatte sich das Jahr nicht gewendet, als der Mann nach Paris kam, der das
vollbrachte, was Heine in seiner dichterischen Sprache von den Saint-Simonisten
und Fourieristen beanspruchte, der dem rohen Bed&uuml;rfnis das gestaltende Wort
verlieh.</P>
<P>Vermutlich schon auf deutscher Erde und jedenfalls noch vom philosophischen
Standpunkte aus hatte sich Marx gegen die Konstruktion der Zukunft und das Fertigwerden
f&uuml;r alle Zeiten, gegen das Aufpflanzen einer dogmatischen Fahne, gegen die
Ansicht der krassen Sozialisten erkl&auml;rt, da&szlig; die Besch&auml;ftigung
mit den politischen Fragen unter aller W&uuml;rde sei. Und wenn er gemeint hatte,
es gen&uuml;ge nicht, da&szlig; der Gedanke zur Wirklichkeit dr&auml;nge, die
Wirklichkeit m&uuml;sse sich selbst zum Gedanken dr&auml;ngen, so erf&uuml;llte
sich ihm auch diese Bedingung. Seitdem im Jahre 1839 der letzte Arbeiteraufstand
niedergeschlagen worden war, begannen sich Arbeiterbewegung und Sozialismus in
drei Richtungen zu n&auml;hern.</P>
<P>Zun&auml;chst in der demokratisch-sozialistischen Partei. Mit ihrem Sozialismus
war es schwach bestellt, denn sie setzte sich aus kleinb&uuml;rgerlichen und proletarischen
Elementen zusammen, und die Schlagworte, die sie auf ihre Fahne schrieb: Organisation
der Arbeit und Recht auf Arbeit, waren kleinb&uuml;rgerliche Utopien, die sich
in der kapitalistischen Gesellschaft nicht verwirklichen lie&szlig;en. In ihr
ist die Arbeit so organisiert, wie sie nach den Lebensbedingungen dieser Gesellschaft
organisiert sein mu&szlig;, n&auml;mlich als Lohnarbeit, die das Kapital voraussetzt
und nur mit dem Kapital aufgehoben werden kann. Nicht anders steht es mit <A NAME="S84"></A><B>|84|</B>
dem Recht auf Arbeit, das sich nur verwirklichen l&auml;&szlig;t durch das Gemeineigentum
an den Arbeitswerkzeugen, also durch Aufhebung der b&uuml;rgerlichen Gesellschaft,
an deren Wurzeln die Axt zu legen die H&auml;upter dieser Partei, Louis Blanc,
Ledru-Rollin, Ferdinand Flocon, feierlich ablehnten. Sie wollten weder Kommunisten
noch Sozialisten sein.</P>
<P>Aber so utopisch die sozialen Ziele dieser Partei waren, so vollzog sie doch
einen entscheidenden Fortschritt, indem sie den politischen Weg zu ihnen einschlug.
Sie erkl&auml;rte jede soziale Reform f&uuml;r unm&ouml;glich ohne politische
Reform; die Eroberung der politischen Macht sei der einzige Hebel, womit die leidenden
Massen sich retten k&ouml;nnten. Sie forderte das allgemeine Stimmrecht, und diese
Forderung fand einen lebhaften Widerhall innerhalb des Proletariats, das, der
Handstreiche und Verschw&ouml;rungen m&uuml;de, nach wirksameren Waffen seines
Klassenkampfes suchte.</P>
<P>Noch gr&ouml;&szlig;ere Scharen sammelten sich um die Fahne des Arbeiterkommunismus,
die Cabet entfaltete. Er war urspr&uuml;nglich Jakobiner, aber auf literarischem
Wege, namentlich durch die Utopie Thomas Mores, zum Kommunismus bekehrt worden.
Er bekannte ihn ebenso offen, wie ihn die demokratisch-sozialistische Partei verwarf,
aber er stimmte insoweit mit ihr &uuml;berein, als er die politische Demokratie
f&uuml;r ein notwendiges &Uuml;bergangsstadium erkl&auml;rte. Dadurch wurde die
&raquo;Reise nach Ikarien&laquo;, worin Cabet die Gesellschaft der Zukunft zu zeichnen versuchte,
ungleich volkst&uuml;mlicher als die genialen Zukunftsphantasien Fouriers, mit
denen sie sich in ihrem engbr&uuml;stigen Zuschnitt sonst nicht entfernt messen
konnte.</P>
<P>Endlich erhoben sich aus dem Scho&szlig;e des Proletariats helle Stimmen, die
unzweideutig bekundeten, da&szlig; diese Klasse m&uuml;ndig zu werden begann.
Marx kannte Leroux und Proudhon, die beide als Schriftsetzer der Arbeiterklasse
angeh&ouml;rten, schon aus der &raquo;Rheinischen Zeitung&laquo; und hatte damals versprochen,
ihre Schriften gr&uuml;ndlich zu studieren. Das lag ihm um so n&auml;her, als
Leroux wie Proudhon an die deutsche Philosophie anzukn&uuml;pfen versuchten, beide
freilich mit gro&szlig;en Mi&szlig;verst&auml;ndnissen. Von Proudhon hat Marx
selbst bezeugt, da&szlig; er ihn in langen, oft &uuml;bern&auml;chtigen Unterhaltungen
&uuml;ber die Hegelsche Philosophie aufzukl&auml;ren gesucht habe. Sie sind zusammengekommen,
um sich alsbald wieder zu trennen, aber nach dem Tode Proudhons hat Marx willig
den gro&szlig;en Ansto&szlig; anerkannt, den dessen erstes Auftreten gegeben habe
und den auch er zweifellos empfangen hat. In Proudhons Erstlingsschrift, die unter
Verzicht auf alle Utopien das Privateigentum als die Ursache aller sozialen &Uuml;bel
einer gr&uuml;ndlichen und r&uuml;cksichtslosen Kritik <A NAME="S85"></A><B>|85|</B>
unterwarf, sah Marx das erste wissenschaftliche Manifest des modernen Proletariats.</P>
<P>Alle diese Richtungen bahnten die Verschmelzung zwischen der Arbeiterbewegung
und dem Sozialismus an, aber wie sie untereinander in Widerspruch standen, so
verlief sich jede nach den ersten Schritten in neue Widerspr&uuml;che. F&uuml;r
Marx kam es nun zun&auml;chst nach dem Studium des Sozialismus auf das Studium
des Proletariats an. Im Juli 1844 schrieb Ruge an einen gemeinsamen Freund in
Deutschland: &raquo;Marx hat sich in den deutschen hiesigen Kommunismus gest&uuml;rzt
- gesellig hei&szlig;t das, denn unm&ouml;glich kann er das traurige Treiben politisch
wichtig finden. Eine so partielle Wunde, als die Handwerksburschen und nun wieder
diese anderthalb hier eroberten zu machen imstande sind, kann Deutschland aushalten,
ohne viel daran zu doktern.&laquo; Alsbald sollte Ruge belehrt werden, weshalb Marx
das Treiben der anderthalb Handwerksburschen wichtig nahm.</P>
<H3 ALIGN="CENTER">5. Der &raquo;Vorw&auml;rts!&laquo; und die Ausweisung<A name="Kap_5"></A></H3>
<P>&Uuml;ber das pers&ouml;nliche Leben, das Marx in seinem Pariser Exil gef&uuml;hrt
hat, liegen nicht allzu viele Nachrichten vor. Seine Gattin schenkte ihm das erste
T&ouml;chterchen und reiste dann in die Heimat, um es den Verwandten vorzustellen.
Mit den Freunden in K&ouml;ln dauerte der alte Verkehr fort; durch eine Spende
von tausend Talern haben sie wesentlich dazu beigetragen, da&szlig; dies Jahr
f&uuml;r Marx so fruchtbar werden konnte.</P>
<P>In nahem Verkehr stand Marx mit Heinrich Heine, und er hatte seinen Anteil
daran, wenn das Jahr 1844 einen H&ouml;hepunkt in diesem Dichterleben bezeichnete.
Das &raquo;Winterm&auml;rchen&laquo; und das &raquo;Weberlied&laquo;, so auch die unsterblichen Satiren
auf die deutschen Despoten hat Marx aus der Taufe heben helfen. Er hat nur wenige
Monde mit dem Dichter verkehrt, aber auch ihm die Treue gehalten, selbst als das
Geschrei der Philister noch &auml;rger &uuml;ber Heine erscholl als &uuml;ber
Herwegh; Marx hat selbst gro&szlig;m&uuml;tig geschwiegen, als Heine auf seinem
Krankenlager ihn wider die Wahrheit als Zeugen aufrief f&uuml;r die Unverf&auml;nglichkeit
der Jahrespension, die der Dichter vom Ministerium Guizot bezogen hatte. Hatte
Marx, als halber Knabe noch, auch vergeblich nach dem dichterischen Lorbeer getrachtet,
so bewahrte er der Poetenzunft doch immer eine lebhafte Sympathie und gro&szlig;e
Nachsicht mit ihren kleinen Schw&auml;chen. Er meinte wohl, Dichter seien wunderliche
K&auml;uze, die man <A NAME="S86"></A><B>|86|</B> ihre Wege gehen lassen m&uuml;sse,
die man nicht mit dem Ma&szlig;e gew&ouml;hnlicher oder selbst ungew&ouml;hnlicher
Menschen messen d&uuml;rfe; sie wollten geschmeichelt sein, wenn sie singen sollten,
mit einer scharfen Kritik d&uuml;rfe man ihnen nicht kommen.</P>
<P>In Heine sah Marx aber zudem nicht nur den Dichter, sondern auch den K&auml;mpfer.
In dem Streit zwischen B&ouml;rne und Heine, der in jener Zeit sich zu einer Art
Pr&uuml;fstein der Geister ausgebildet hatte, trat er mit aller Entschiedenheit
f&uuml;r Heine ein. Er meinte, eine t&ouml;lpelhaftere Behandlung, als Heines
Schrift &uuml;ber B&ouml;rne von den christlich-germanischen Eseln erfahren habe,
sei noch in keiner Periode der deutschen Literatur anzutreffen gewesen, obgleich
es keiner an T&ouml;lpeln gefehlt habe. Durch den L&auml;rm &uuml;ber Heines angeblichen
Verrat, durch den sich selbst Engels und Lassalle, beide freilich in sehr jungen
Jahren, anfechten lie&szlig;en, ist Marx niemals beirrt worden. &raquo;Wir brauchen
ja wenige Zeichen, uns zu verstehen&laquo;, schrieb Heine einmal an ihn, um das &raquo;verworrene
Gekritzel&laquo; seiner Handschrift zu entschuldigen, aber das Wort hatte einen tieferen
Sinn als den &auml;u&szlig;erlichen, worin es gemeint war.</P>
<P>Marx sa&szlig; noch auf der Schulbank, als Heine im Jahre 1834 schon entdeckte,
da&szlig; der &raquo;Freiheitssinn&laquo; unserer klassischen Literatur &raquo;unter den Gelehrten,
Dichtern und Literaten viel minder&laquo; als &raquo;in der gro&szlig;en, aktiven Masse, unter
Handwerkern und Gewerbsleuten&laquo; sich ausspreche, und zehn Jahre sp&auml;ter, zur
Zeit, wo Marx in Paris lebte, entdeckte er, da&szlig; &raquo;die Proletarier in ihrem
Ankampfe gegen das Bestehende die fortgeschrittensten Geister, die gro&szlig;en
Philosophen als F&uuml;hrer&laquo; bes&auml;&szlig;en. Die Freiheit und Sicherheit dieses
Urteils versteht man vollends, wenn man erw&auml;gt, da&szlig; Heine dazwischen
den bei&szlig;endsten Spott &uuml;ber das best&auml;ndige Kannegie&szlig;ern in
den kleinen Fl&uuml;chtlingskonventikeln ergo&szlig;, in denen B&ouml;rne den
gro&szlig;en Tyrannenhasser spielte. Heine erkannte, da&szlig; es zwei ganz verschiedene
Dinge waren, ob sich B&ouml;rne oder Marx mit &raquo;anderthalb Handwerksburschen&laquo; abgab.</P>
<P>Was ihn mit Marx verband, war der Geist der deutschen Philosophie und der Geist
des franz&ouml;sischen Sozialismus, war die gr&uuml;ndliche Abneigung gegen die
christlich-germanische B&auml;renh&auml;uterei, das falsche Teutonentum, das mit
seinen radikalen Schlagworten das Kost&uuml;m altdeutscher Narrheit ein wenig
modernisierte. Die Ma&szlig;mann und Venedey, die in Heines Satire fortleben,
stapften doch nur in den Spuren B&ouml;rnes, so hoch dieser an Geist und Witz
&uuml;ber ihnen stehen mochte. Ihm fehlte jeder Sinn f&uuml;r Kunst und Philosophie,
gem&auml;&szlig; seinem berufenen Worte, da&szlig; Goethe ein gereimter und Hegel
ein ungereimter Knecht <A NAME="S87"></A><B>|87|</B> gewesen sei, aber wenn er
mit den gro&szlig;en &Uuml;berlieferungen der deutschen Geschichte brach, so gewann
er kein geistesverwandtes Verh&auml;ltnis zu den neuen M&auml;chten der westeurop&auml;ischen
Kultur. Heine dagegen konnte auf Goethe und Hegel nicht verzichten, ohne sich
selbst aufzugeben, und st&uuml;rzte sich auf den franz&ouml;sischen Sozialismus
mit hei&szlig;er Begier als eine neue Quelle geistigen Lebens. Seine Schriften
leben fort und fort; sie erregen den Zorn der Enkel noch ebenso, wie sie den Zorn
der Gro&szlig;v&auml;ter erregt haben, w&auml;hrend die Schriften B&ouml;rnes
vergessen sind, wegen des &raquo;kurzen Hundetrabs&laquo; ihres Stils viel weniger als ihres
Inhalts.</P>
<P>So abgeschmackt, fade und kleinlich habe er sich B&ouml;rne doch nicht vorgestellt,
meinte Marx gegen&uuml;ber den heimlichen Klatschereien, die B&ouml;rne schon
gegen Heine verbreitet hatte, als beide noch Schulter an Schulter standen, und
die B&ouml;rnes literarische Erben unklug genug waren, aus dessen Nachla&szlig;
zu ver&ouml;ffentlichen. An dem unbestreitbar ehrlichen Charakter des Kl&auml;tschers
w&uuml;rde Marx deshalb doch nicht gezweifelt haben, wenn er &uuml;ber den Streit
geschrieben h&auml;tte, wie es seine Absicht war. Es gibt im &ouml;ffentlichen
Leben nicht leicht &auml;rgere Jesuiten als die beschr&auml;nkten und buchstabengl&auml;ubigen
Radikalen, die im fadenscheinigen Mantel ihrer Tugendhaftigkeit vor keinen Verd&auml;chtigungen
der feineren und freieren Geister zur&uuml;ckscheuen, denen es gegeben ist, die
tieferen Zusammenh&auml;nge des geschichtlichen Lebens zu erkennen. Marx hat es
immer mit diesen gehalten, niemals mit jenen, zumal da er die tugendsame Rasse
aus eigener Erfahrung gr&uuml;ndlich kannte.</P>
<P>In sp&auml;teren Jahren hat Marx von &raquo;russischen Aristokraten&laquo; gesprochen,
die ihn in seinem Pariser Exil auf H&auml;nden getragen h&auml;tten, freilich
mit dem Hinzuf&uuml;gen, das sei nicht hoch anzuschlagen gewesen. Die russische
Aristokratie werde auf deutschen Universit&auml;ten erzogen und verlebe in Paris
ihre J&uuml;nglingszeit. Sie hasche immer nach dem Extremsten, was der Westen
liefere; das hindere aber dieselben Russen nicht, Halunken zu werden, sobald sie
in den Staatsdienst getreten seien. Marx scheint dabei an einen Grafen Tolstoi,
einen heimlichen Agenten der russischen Regierung, oder sonst wen gedacht zu haben;
nicht jedoch hat er dabei ein Auge gehabt oder konnte ein Auge haben auf den russischen
Aristokraten, auf dessen geistige Entwicklung er in jenen Tagen gro&szlig;en Einflu&szlig;
gehabt hat: n&auml;mlich Michail Bakunin. Dieser hat sich dazu noch in einer Zeit
bekannt, wo sich die Wege beider M&auml;nner weit getrennt hatten; auch in dem
Streit zwischen Marx und Ruge nahm Bakunin sehr entschieden Partei, f&uuml;r Marx
und gegen Ruge, der bis dahin sein Besch&uuml;tzer gewesen war.</P>
<P><B><A NAME="S88">|88|</A></B> Dieser Streit flammte im Sommer 1844 noch einmal
auf, und nunmehr &ouml;ffentlich. In Paris erschien seit Neujahr 1844, zweimal
in der Woche, der &raquo;Vorw&auml;rts!&laquo;, der nicht eben den feinsten Ursprung hatte.
Ein gewisser Heinrich B&ouml;rnstein, der in Theater- und sonstigen Reklamegesch&auml;ften
machte, hatte ihn f&uuml;r die Zwecke seines Gesch&auml;ftsbetriebs gegr&uuml;ndet,
und zwar mit einem reichlichen Trinkgelde, das ihm der Komponist Meyerbeer gespendet
hatte; man wei&szlig; ja aus Heine, wie sehr dieser k&ouml;niglich-preu&szlig;ische
Generalmusikdirektor, der mit Vorliebe in Paris lebte, auf eine weitverzweigte
Reklame versessen und auch wohl angewiesen war. Als geriebener Gesch&auml;ftsmann
hing B&ouml;rnstein dem &raquo;Vorw&auml;rts!&laquo; aber ein patriotisches M&auml;ntelchen
um und lie&szlig; das Blatt von Adalbert von Bornstedt redigieren, einem ehemals
preu&szlig;ischen Offizier und nunmehrigen Allerweltsspitzel, der sowohl &raquo;Konfident&laquo;
Metternichs war als auch von der Berliner Regierung bezahlt wurde. In der Tat
wurden die &raquo;Deutsch-Franz&ouml;sischen Jahrb&uuml;cher&laquo; sofort nach ihrem Erscheinen
vom &raquo;Vorw&auml;rts!&laquo; mit einer Schimpfsalve begr&uuml;&szlig;t, von der schwer
zu sagen ist, ob sie alberner oder p&ouml;belhafter war.</P>
<P>Bei alledem aber wollte das Gesch&auml;ft nicht gl&uuml;cken. Im Interesse
einer fingerfertigen &Uuml;bersetzungsfabrik, die B&ouml;rnstein eingerichtet
hatte, um neue St&uuml;cke der Pariser B&uuml;hne mit unglaublicher Fixigkeit
an die deutschen Theaterdirektionen zu vertreiben, mu&szlig;te er die jungdeutschen
Dramatiker auszustechen suchen, und wieder, um diesen Zweck bei den nun einmal
rebellisch gewordenen Spie&szlig;ern zu erreichen, mu&szlig;te er einiges vom
&raquo;gem&auml;&szlig;igten Fortschritt&laquo; faseln und dem &raquo;Ultrawesen&laquo; nicht nur nach
links, sondern auch nach rechts absagen. In derselben Notwendigkeit befand sich
Bornstedt, wenn er die Fl&uuml;chtlingskreise nicht kopfscheu machen wollte, in
denen unverd&auml;chtig zu verkehren ja die Vorbedingung seines S&uuml;ndensoldes
war. Allein die preu&szlig;ische Regierung war so verblendet, da&szlig; sie ihre
eigenen staatsretterischen Notwendigkeiten nicht begriff und den &raquo;Vorw&auml;rts!&laquo;
in ihren Staaten verbot, worauf andere deutsche Regierungen das gleiche taten.</P>
<P>Bornstedt gab nun das Spiel im Anfang Mai als hoffnungslos auf, aber nicht
so B&ouml;rnstein. Er wollte seine Gesch&auml;fte machen, so oder so, und sagte
sich mit der Kaltbl&uuml;tigkeit eines geriebenen Spekulanten, da&szlig; der &raquo;Vorw&auml;rts!&laquo;,
wenn er nun einmal in Preu&szlig;en verboten bleiben solle, auch alle W&uuml;rze
eines verbotenen Blattes erhalten m&uuml;sse, so da&szlig; es dem preu&szlig;ischen
Spie&szlig;b&uuml;rger lohne, ihn auf Schleichwegen zu beziehen. Es war ihm deshalb
sehr willkommen, als ihm der jugendliche Hei&szlig;sporn Bernays einen gepfefferten
Artikel f&uuml;r den &raquo;Vorw&auml;rts!&laquo; anbot, und nach einigem Gepl&auml;nkel erhielt
Bernays die redaktionelle Leitung des <A NAME="S89"></A><B>|89|</B> Blatts an
der Stelle Bornstedts. Nunmehr beteiligten sich auch andere Fl&uuml;chtlinge am
&raquo;Vorw&auml;rts!&laquo;, aus jeglichem Mangel an einem andern Organ, unabh&auml;ngig
von der Redaktion und jeder auf eigene Verantwortung.</P>
<P>Unter den ersten befand sich Ruge. Auch er pl&auml;nkelte erst unter seinem
Namen mit B&ouml;rnstein, wobei er sogar, als w&auml;re er noch v&ouml;llig einverstanden
mit Marx, dessen Aufs&auml;tze in den &raquo;Deutsch-Franz&ouml;sischen Jahrb&uuml;chern&laquo;
verteidigte. Ein paar Monate darauf ver&ouml;ffentlichte er zwei neue Artikel,
ein paar kurze Bemerkungen &uuml;ber die preu&szlig;ische Politik und einen langen
Klatschartikel &uuml;ber die preu&szlig;ische Dynastie, worin vom &raquo;trinkenden
K&ouml;nig&laquo; und der &raquo;hinkenden K&ouml;nigin&laquo;, von ihrer &raquo;rein spirituellen&laquo; Ehe
usw. gesprochen wurde, beide aber nicht mehr unter seinem Namen, sondern mit der
Unterschrift: Ein Preu&szlig;e, was auf Marx als Verfasser hindeutete. Ruge selbst
war Dresdner Stadtverordneter und als solcher bei der s&auml;chsischen Gesandtschaft
in Paris angemeldet; Bernays war bayrischer Rheinpf&auml;lzer und B&ouml;rnstein
ein geborener Hamburger, der sp&auml;ter viel in &Ouml;sterreich, aber niemals
in Preu&szlig;en gelebt hatte.</P>
<P>Was Ruge mit der irref&uuml;hrenden Unterschrift seiner Artikel bezweckt hat,
wird sich heute nicht mehr feststellen lassen. Er hatte sich inzwischen, wie seine
Briefe an seine Freunde und Verwandten zeigen, in einen w&uuml;tenden Ha&szlig;
gegen Marx als einen &raquo;ganz gemeinen Kerl&laquo; und &raquo;unversch&auml;mten Juden&laquo; hineingeredet,
und es ist auch unbestreitbar, da&szlig; er zwei Jahre sp&auml;ter in einer reum&uuml;tigen
Bittschrift an den preu&szlig;ischen Minister des Innern seine Pariser Exilsgenossen
verraten und diesen &raquo;namenlosen jungen Leuten&laquo; wider besseres Wissen die S&uuml;nden
aufgeb&uuml;rdet hat, die er selbst im &raquo;Vorw&auml;rts!&laquo; begangen hatte. Es ist
immerhin aber auch m&ouml;glich, da&szlig; Ruge, um den von preu&szlig;ischen
Dingen handelnden Artikeln einen st&auml;rkeren Nachdruck zu geben, sie als von
einem Preu&szlig;en herr&uuml;hrend bezeichnet hat. Dann handelte er aber &auml;u&szlig;erst
leichtfertig, und es war sehr begreiflich, da&szlig; Marx sich beeilte, den Streich
des angeblichen &raquo;Preu&szlig;en&laquo; zu parieren.</P>
<P>Es geschah nat&uuml;rlich in einer seiner w&uuml;rdigen Weise. Er kn&uuml;pfte
an die paar sozusagen sachlichen Bemerkungen Ruges &uuml;ber die preu&szlig;ische
Politik an und erledigte den langen Klatschartikel &uuml;ber die preu&szlig;ische
Dynastie mit der Fu&szlig;note, die er seiner Erwiderung beigab: &raquo;Spezielle Gr&uuml;nde
veranlassen mich zu der Erkl&auml;rung, da&szlig; der vorstehende Aufsatz der
erste ist, den ich dem &#155;Vorw&auml;rts!&#139; habe zukommen lassen.&laquo;<A name="ZT6"></A><A href="fm03_064.htm#Z6"><SPAN class="top">[6]</SPAN></A> Es ist beil&auml;ufig
auch der letzte geblieben.</P>
<P>In der Sache handelte es sich um den schlesischen Weberaufstand von <A NAME="S90"></A><B>|90|</B>
1844, den Ruge als eine gleichg&uuml;ltige Sache behandelt hatte; ihm habe die
politische Seele gefehlt und ohne eine politische Seele sei eine soziale Revolution
unm&ouml;glich. Was Marx dagegen einwandte, hatte er im Grunde schon im Aufsatze
zur Judenfrage gesagt. Die politische Gewalt kann keine sozialen &Uuml;bel heilen,
weil der Staat nicht Zust&auml;nde aufheben kann, deren Produkt er ist. Marx wandte
sich scharf gegen den Utopismus, indem er sagte, da&szlig; sich der Sozialismus
nicht ohne Revolution ausf&uuml;hren lasse, aber er wandte sich nicht minder scharf
gegen den Blanquismus, indem er ausf&uuml;hrte, da&szlig; der politische Verstand
den sozialen Instinkt betr&uuml;ge, wenn er durch kleine nutzlose Putsche vorw&auml;rts
zu kommen suche. Mit epigrammatischer Sch&auml;rfe erkl&auml;rte Marx das Wesen
der Revolution: &raquo;jede Revolution l&ouml;st die <I>alte Gesellschaft</I> auf; insofern
ist sie <I>sozial</I>. Jede Revolution st&uuml;rzt die <I>alte Gewalt</I>; insofern
ist sie <I>politisch</I>.&laquo;<A name="ZT7"></A><A href="fm03_064.htm#Z7"><SPAN class="top">[7]</SPAN></A> Die soziale Revolution mit einer politischen Seele,
die Ruge verlange, sei sinnlos, dagegen vern&uuml;nftig sei eine politische Revolution
mit einer sozialen Seele. Die Revolution &uuml;berhaupt - der Umsturz der bestehenden
Gewalt und die Aufl&ouml;sung der alten Verh&auml;ltnisse - sei ein politischer
Akt. Der Sozialismus bed&uuml;rfe dieses politischen Akts, soweit er der Zerst&ouml;rung
und Aufl&ouml;sung bed&uuml;rfe. Wo aber seine organisierende T&auml;tigkeit beginne,
wo sein Selbstzweck, seine Seele hervortrete, da schleudere der Sozialismus die
politische H&uuml;lle weg.</P>
<P>Kn&uuml;pfte Marx mit diesen Gedanken an den Aufsatz zur Judenfrage an, so
hatte der schlesische Weberaufstand schnell best&auml;tigt, was er &uuml;ber die
Mattigkeit des Klassenkampfs in Deutschland gesagt hatte. In der &raquo;K&ouml;lnischen
Zeitung&laquo; sei jetzt mehr Kommunismus als weiland in der &raquo;Rheinischen&laquo;, hatte ihm
sein Freund Jung aus K&ouml;ln geschrieben; sie er&ouml;ffne eine Subskription
f&uuml;r die Familien der gefallenen oder gefangenen Weber; f&uuml;r den gleichen
Zweck seien bei einem Abschiedsdiner f&uuml;r den Regierungspr&auml;sidenten von
den h&ouml;chsten Beamten und reichsten Kaufleuten der Stadt hundert Taler gesammelt
worden; &uuml;berall in der Bourgeoisie rege sich Sympathie f&uuml;r die gef&auml;hrlichen
Rebellen; &raquo;was bei Ihnen vor wenigen Monaten eine k&uuml;hne, v&ouml;llig neue
Aufstellung war, ist schon fast zur Gewi&szlig;heit des Gemeinplatzes geworden.&laquo;
Die allseitige Teilnahme f&uuml;r die Weber machte Marx gegen die Untersch&auml;tzung
des Aufstandes durch Ruge geltend, &raquo;aber der geringe Widerstand der Bourgeoisie
gegen soziale Tendenzen und Ideen&laquo; t&auml;uschte ihn nun doch nicht. Er sah voraus,
da&szlig; die Arbeiterbewegung die politischen Antipathien und Gegens&auml;tze
innerhalb der herrschenden Klassen ersticken und die ganze Feindschaft der Politik
gegen sich lenken werde, sobald sie eine entschiedene Macht erlangt habe. Marx
deckte <A NAME="S91"><B>|91|</B></A> den tiefsten Unterschied zwischen der b&uuml;rgerlichen
und der proletarischen Emanzipation auf, indem er jene als ein Produkt gesellschaftlichen
Wohlbefindens, diese als ein Produkt gesellschaftlicher Not nachwies. Die Isolierung
vom politischen Gemein-, vom Staatswesen sei die Ursache der b&uuml;rgerlichen,
die Isolierung vom menschlichen Wesen, vom wahren Gemeinwesen des Menschen, sei
die Ursache der proletarischen Revolution. Wie die Isolierung von diesem Wesen
unverh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig allseitiger, unertr&auml;glicher, f&uuml;rchterlicher,
widerspruchsvoller sei als die Isolierung vom politischen Gemeinwesen, so sei
ihre Aufhebung, selbst als partielle Erscheinung wie in dem schlesischen Weberaufstande,
um so viel unendlicher, wie der Mensch unendlicher sei als der Staatsb&uuml;rger
und das menschliche Leben als das politische Leben.</P>
<P>Hieraus ergibt sich, da&szlig; Marx &uuml;ber diesen Aufstand ganz anders urteilte
als Ruge. &raquo;Zun&auml;chst erinnere man sich an das <I>Weberlied</I>, an diese k&uuml;hne
<I>Parole</I> des Kampfes, worin ... das Proletariat sogleich seinen Gegensatz
gegen die Gesellschaft des Privateigentums in schlagender, scharfer, r&uuml;cksichtsloser,
gewaltsamer Weise herausschreit. Der schlesische Aufstand <I>beginnt</I> grade
damit, womit die franz&ouml;sischen und englischen Aufst&auml;nde <I>enden</I>,
mit dem Bewu&szlig;tsein &uuml;ber das Wesen des Proletariats. Die Aktion selbst
tr&auml;gt diesen <I>&uuml;berlegenen</I> Charakter. Nicht nur die Maschinen,
diese Rivalen des Arbeiters, werden zerst&ouml;rt, sondern auch die <I>Kaufmannsb&uuml;cher</I>,
diese Titel des Eigentums, und w&auml;hrend alle anderen Bewegungen sich zun&auml;chst
nur gegen den <I>Industrieherrn</I>, den sichtbaren Feind kehrten, kehrt sich
diese Bewegung zugleich gegen den Bankier, den versteckten Feind. Endlich ist
kein einziger englischer Arbeiteraufstand mit gleicher Tapferkeit, &Uuml;berlegung
und Ausdauer gef&uuml;hrt worden.&laquo;<A name="ZT8"></A><A href="fm03_064.htm#Z8"><SPAN class="top">[8]</SPAN></A></P>
<P>Im Anschlu&szlig; daran erinnerte Marx an die genialen Schriften Weitlings,
die in theoretischer Hinsicht oft selbst &uuml;ber Proudhon hinausgingen, sosehr
sie in der Ausf&uuml;hrung nachst&auml;nden. &raquo;Wo h&auml;tte die Bourgeoisie -
ihre Philosophen und Schriftgelehrten eingerechnet - ein &auml;hnliches Werk-
wie Weitlings <I>&#155;Garantien der Harmonie und Freiheit&#139;</I> in bezug auf die Emanzipation
der Bourgeoisie - die <I>politische</I> Emanzipation - aufzuweisen? Vergleicht
man die n&uuml;chterne, kleinlaute Mittelm&auml;&szlig;igkeit der deutschen politischen
Literatur mit diesem <I>ma&szlig;losen</I> und brillanten literarischen Deb&uuml;t
der deutschen Arbeiter; vergleicht man diese riesenhaften <I>Kinderschuhe</I>
des Proletariats mit der Zwerghaftigkeit der ausgetretenen politischen Schuhe
der deutschen Bourgeoisie, so mu&szlig; man dem <I>deutschen Aschenbr&ouml;del</I>
eine <I>Athletengestalt</I> prophezeien.&laquo; Marx nennt das deutsche Proletariat
den Theoretiker des <A NAME="S92"></A><B>|92|</B> europ&auml;ischen Proletariats,
wie das englische Proletariat sein National&ouml;konom und das franz&ouml;sische
Proletariat sein Politiker sei.</P>
<P>Was er &uuml;ber Weitlings Schriften sagt, ist durch das Urteil der Nachwelt
best&auml;tigt worden. Sie waren f&uuml;r ihre Zeit geniale Leistungen, um so
genialer, als der deutsche Schneidergeselle noch vor Louis Blanc, Cabet und Proudhon,
und wirksamer als sie, die Verst&auml;ndigung zwischen Arbeiterbewegung und Sozialismus
angebahnt hatte. Seltsamer erscheint heute, was Marx &uuml;ber die geschichtliche
Bedeutung des schlesischen Weberaufstandes sagt. Er legt ihm Tendenzen unter,
die ihm gewi&szlig; ganz fremd gewesen sind, und Ruge scheint die Rebellion der
Weber als blo&szlig;en Hungeraufruhr ohne tiefere Bedeutung viel richtiger eingesch&auml;tzt
zu haben. Jedoch wie bei ihrem fr&uuml;heren Streit &uuml;ber Herwegh, so zeigte
sich auch hier und noch schlagender, da&szlig; alles Unrecht der Philister gegen&uuml;ber
dem Genie darin besteht, Recht zu haben. Nur da&szlig; am letzten Ende ein gro&szlig;es
Herz immer den Sieg davontr&auml;gt &uuml;ber einen kleinen Verstand!</P>
<P>Die &raquo;anderthalb Handwerksburschen&laquo;, auf die Ruge ver&auml;chtlich herabsah,
w&auml;hrend Marx sie eifrig studierte, waren im Bunde der Gerechten organisiert,
der sich w&auml;hrend der drei&szlig;iger Jahre im Anschlu&szlig; an die franz&ouml;sischen
Geheimb&uuml;nde entwickelt hatte und in deren letzte Niederlage im Jahre 1839
verwickelt worden war. Es war ihm insofern zum Heil gewesen, als sich seine versprengten
Elemente nicht nur in dem alten Mittelpunkte Paris wieder gesammelt, sondern auch
den Bund nach England und der Schweiz verbreitet hatten, wo ihm die Vereins- und
Versammlungsfreiheit breiteren Spielraum bot, so da&szlig; diese Absenker sich
kr&auml;ftiger entwickelten als der alte Stamm. Die Pariser Organisation stand
unter der Leitung des Danzigers Hermann Ewerbeck, der, wie er Cabets Utopie ins
Deutsche &uuml;bersetzte, auch noch in Cabets moralisierendem Utopismus befangen
war. Ihm geistig &uuml;berlegen erwies sich Weitling, der die Agitation in der
Schweiz leitete, und mindestens an revolution&auml;rer Entschlossenheit wurde
Ewerbeck auch durch die Londoner F&uuml;hrer des Bundes &uuml;bertroffen, den
Uhrmacher Josef Moll, den Schuhmacher Heinrich Bauer und Karl Schapper, einen
ehemaligen Studenten der Forstwissenschaft, der sich bald als Schriftsetzer, bald
als Sprachlehrer durchs Leben schlug.</P>
<P>Von dem &raquo;imponierenden Eindruck&laquo; dieser &raquo;drei wirklichen M&auml;nner&laquo; wird
Marx zuerst durch Friedrich Engels geh&ouml;rt haben, der ihn im September 1844
bei einer Durchreise in Paris aufsuchte und zehn Tage mit ihm verkehrte. Sie fanden
nun vollauf die weitgehende &Uuml;bereinstimmung ihrer Gedanken best&auml;tigt,
die schon ihre Beitr&auml;ge zu den <A NAME="S93"></A><B>|93|</B> &raquo;Deutsch-Franz&ouml;sischen
Jahrb&uuml;chern&laquo; verraten hatten. Gegen diese Auffassung hatte sich inzwischen
ihr alter Freund Bruno Bauer in einer von ihm gegr&uuml;ndeten &raquo;Literaturzeitung&laquo;
gekehrt, und seine Kritik kam just w&auml;hrend ihres Zusammenseins zu ihrer Kenntnis.
Sie entschlossen sich kurzer Hand, ihm zu antworten, und Engels schrieb sofort
nieder, was er zu sagen hatte. Marx aber ging nach seiner Weise tiefer auf die
Sache ein, als urspr&uuml;nglich beabsichtigt war, und stellte in angestrengter
Arbeit w&auml;hrend der n&auml;chsten Monate zwanzig Druckbogen her, mit deren
Abschlu&szlig; im Januar 1845 zugleich sein Aufenthalt in Paris abschlo&szlig;.</P>
<P>Seitdem Bernays die Redaktion des &raquo;Vorw&auml;rts!&laquo; &uuml;bernommen hatte, ging
er gegen die &raquo;christlich-germanischen Pinsel&laquo; in Berlin scharf ins Zeug und lie&szlig;
es auch an &raquo;Majest&auml;tsbeleidigungen&laquo; nicht fehlen. Zumal Heine sandte einen
seiner z&uuml;ndenden Pfeile nach dem andern gegen den &raquo;neuen Alexander&laquo; im Berliner
Schlo&szlig;. Das legitime K&ouml;nigtum petitionierte daraufhin beim Polizeikn&uuml;ppel
des illegitimen B&uuml;rgerk&ouml;nigtums um einen Gewaltstreich gegen den &raquo;Vorw&auml;rts!&laquo;.
Guizot erwies sich jedoch als harth&ouml;rig; er war bei aller reaktion&auml;ren
Gesinnung ein gebildeter Mann und wu&szlig;te zudem, welches Gaudium er der heimischen
Opposition machen w&uuml;rde, wenn er sich als B&uuml;ttel der preu&szlig;ischen
Despoten erwiese. Er wurde erst etwas willf&auml;hriger, als der &raquo;Vorw&auml;rts!&laquo;
einen &raquo;verruchten Artikel&laquo; &uuml;ber das Attentat des B&uuml;rgermeisters Tschech
auf Friedrich Wilhelm IV. ver&ouml;ffentlicht hatte. Nach einer Beratung im Ministerrat
erkl&auml;rte sich Guizot bereit, gegen den &raquo;Vorw&auml;rts!&laquo; einzuschreiten, und
gleich in zweifacher Weise: einmal auf zuchtpolizeilichem Wege, indem man den
verantwortlichen Redakteur wegen mangelnder Kautionsleistung belangte, dann aber
auch auf strafrechtlichem Wege, indem man ihn wegen Aufforderung zum K&ouml;nigsmord
vor die Geschworenen stellte.</P>
<P>Mit dem ersten Vorschlage war man in Berlin einverstanden, doch erwies er sich
bei seiner Ausf&uuml;hrung als ein Schlag ins Wasser: Bernays wurde zu zwei Monaten
Gef&auml;ngnis und dreihundert Franken Geldstrafe verurteilt, weil er die gesetzlich
erforderliche Kaution nicht gestellt hatte, jedoch der &raquo;Vorw&auml;rts!&laquo; erkl&auml;rte
sofort, da&szlig; er fortan als Monatsschrift erscheinen w&uuml;rde, wozu er keiner
Kaution bedurfte. Von dem zweiten Vorschlage Guizots wollte man in Berlin aber
ganz und gar nichts wissen, in der vermutlich sehr berechtigten Angst, da&szlig;
Pariser Geschworene f&uuml;r den K&ouml;nig von Preu&szlig;en ihrem Gewissen keinen
Zwang antun w&uuml;rden. Man quengelte also weiter, Guizot m&ouml;ge die Redakteure
und Mitarbeiter des &raquo;Vorw&auml;rts!&laquo; ausweisen.</P>
<P>Nach l&auml;ngeren Verhandlungen lie&szlig; sich der franz&ouml;sische Minister
<A NAME="S94"></A><B>|94|</B> endlich breitschlagen: wie man damals annahm und
wie Engels noch in seiner Grabrede auf Frau Marx betont hat, durch die unsch&ouml;ne
Vermittlung Alexander von Humboldts, der mit dem preu&szlig;ischen Minister des
Ausw&auml;rtigen verschw&auml;gert war. Neuerdings ist Humboldts Andenken von
dieser Beschuldigung zu entlasten versucht worden durch die Angabe, da&szlig;
die preu&szlig;ischen Archive nichts dar&uuml;ber enthielten. Das ist aber kein
Gegenbeweis, denn erstens sind die Akten &uuml;ber die traurige Aff&auml;re nur
unvollst&auml;ndig erhalten, und zweitens werden solche Dinge nie schriftlich
abgemacht. Was wirklich Neues aus den Archiven beigebracht worden ist, beweist
vielmehr nur, da&szlig; sich ein entscheidender Akt hinter den Kulissen abgespielt
hat. In Berlin war man am w&uuml;tendsten auf Heine, der elf seiner sch&auml;rfsten
Satiren auf die preu&szlig;ische Wirtschaft und namentlich auch auf den K&ouml;nig
im &raquo;Vorw&auml;rts!&laquo; ver&ouml;ffentlicht hatte. Aber auf der andern Seite war Heine
f&uuml;r Guizot der kitzlichste Punkt der kitzlichen Sache. Er war ein Dichter
von europ&auml;ischem Namen und galt den Franzosen fast als ein nationaler Dichter.
Dies schwerste Bedenken Guizots mu&szlig; - da er selbst nicht wohl dar&uuml;ber
sprechen konnte - irgendein Vogel dem preu&szlig;ischen Gesandten in Paris in
die Ohren gezwitschert haben, denn am 4. Oktober meldete er urpl&ouml;tzlich nach
Berlin, es sei sehr zweifelhaft, ob Heine, von dem nur zwei Gedichte im &raquo;Vorw&auml;rts!&laquo;
gestanden h&auml;tten, zur Redaktion des Blattes geh&ouml;re, und nunmehr verstand
man auch in Berlin.</P>
<P>Heine blieb unbehelligt, dagegen erging gegen eine Reihe anderer deutscher
Fl&uuml;chtlinge, die f&uuml;r den &raquo;Vorw&auml;rts!&laquo; geschrieben hatten oder im
Verdacht standen, es getan zu haben, am 11. Januar 1845 der Ausweisungsbefehl;
unter ihnen Marx, Ruge, Bakunin, B&ouml;rnstein und Bernays. Ein Teil von ihnen
rettete sich: B&ouml;rnstein, indem er sich verpflichtete, auf die Herausgabe
des &raquo;Vorw&auml;rts!&laquo; zu verzichten, Ruge, indem er sich beim s&auml;chsischen
Gesandten und bei franz&ouml;sischen Deputierten die Stiefel ablief, um zu versichern,
ein wie loyaler Staatsb&uuml;rger er sei. F&uuml;r dergleichen war Marx nat&uuml;rlich
nicht zu haben; er siedelte nach Br&uuml;ssel &uuml;ber.</P>
<P>Sein Pariser Exil hatte wenig &uuml;ber ein Jahr gew&auml;hrt, aber es war
die bedeutsamste Zeit seiner Lehr- und Wanderjahre gewesen: reich an Anregungen
und Erfahrungen, reicher durch den Gewinn eines Waffengef&auml;hrten, den er je
l&auml;nger, je notwendiger brauchte, um das gro&szlig;e Werk seines Lebens zu
vollbringen.</P>
<HR size="1">
<P><A name="Z1"></A><SPAN class="top">[1]</SPAN> Karl Marx: Briefe aus den &raquo;Deutsch-Franzoesischen Jahrb&uuml;chern&laquo;, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me01/me01_337.htm#S338">Bd. 1, S. 338.</A> <A href="fm03_064.htm#ZT1">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z2"></A><SPAN class="top">[2]</SPAN> Karl Marx: Briefe aus den &raquo;Deutsch-Franzoesischen Jahrb&uuml;chern&laquo;, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me01/me01_337.htm#S344">Bd. 1, S. 344.</A> <A href="fm03_064.htm#ZT2">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z3"></A><SPAN class="top">[3]</SPAN> Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me01/me01_378.htm#S390">Bd. 1, S. 390.</A> <A href="fm03_064.htm#ZT3">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z4"></A><SPAN class="top">[4]</SPAN> Karl Marx: Zur Judenfrage, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me01/me01_347.htm#S370">Bd. 1, S. 370.</A> <A href="fm03_064.htm#ZT4">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z5"></A><SPAN class="top">[5]</SPAN> Karl Marx: Zur Judenfrage, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me01/me01_347.htm#S372">Bd. 1, S. 372.</A> <A href="fm03_064.htm#ZT5">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z6"></A><SPAN class="top">[6]</SPAN> Karl Marx: Kritische Randglossen zu dem Artikel &raquo;Der K&ouml;nig von Preu&szlig;en und die Sozialreform. Von einem Preu&szlig;en&laquo;, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me01/me01_392.htm">Bd. 1, S. 392.</A> <A href="fm03_064.htm#ZT6">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z7"></A><SPAN class="top">[7]</SPAN> Karl Marx: Kritische Randglossen zu dem Artikel &raquo;Der K&ouml;nig von Preu&szlig;en und die Sozialreform. Von einem Preu&szlig;en&laquo;, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me01/me01_392.htm#S409">Bd. 1, S. 409.</A> <A href="fm03_064.htm#ZT7">&lt;=</A></P>
<P><A name="Z8"></A><SPAN class="top">[8]</SPAN> Karl Marx: Kritische Randglossen zu dem Artikel &raquo;Der K&ouml;nig von Preu&szlig;en und die Sozialreform. Von einem Preu&szlig;en&laquo;, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, <A href="../../me/me01/me01_392.htm#S404">Bd. 1, S. 404/405.</A> <A href="fm03_064.htm#ZT8">&lt;=</A></P>
<!-- #EndEditable -->
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<P><SMALL>Pfad: &raquo;../fm/fm03&laquo;<BR>
Verkn&uuml;pfte Dateien: &raquo;<A href="http://www.mlwerke.de/css/format.css">../../css/format.css</A>&laquo;
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Kapitel</SMALL></A><!-- #EndEditable --></TD>
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Mehring</SMALL></A></TD>
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