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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>Karl Marx - Die Ostindische Kompanie, ihre Geschichte und die Resultate ihres Wirkens</TITLE>
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<FONT SIZE=2><P>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 9, S. 148-156<BR>
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1960</P>
</FONT><H2>Karl Marx</H2>
<H1>Die Ostindische Kompanie, ihre Geschichte und die Resultate ihres Wirkens</H1>
<FONT SIZE=2><P>Aus dem Englischen.</P>
</FONT><P><HR></P>
<FONT SIZE=2><P>["New-York Daily Tribune" Nr. 3816 vom 11. Juli 1853]</P>
</FONT><B><P><A NAME="S148">&lt;148&gt;</A></B> London, Freitag, 24. Juni 1853</P>
<P>Die Debatte &uuml;ber Lord Stanleys Antrag, die Indien-Gesetzgebung zu verschieben, ist bis heute abend ausgesetzt worden. Zum ersten Male seit 1783 ist die indische Frage zu einer Regierungsfrage geworden. Aus welchem Grunde?</P>
<P>Die eigentlichen Anf&auml;nge der Ostindischen Kompanie reichen nicht weiter als bis 1702 zur&uuml;ck, als die verschiedenen Gesellschaften, die auf das Monopol des ostindischen Handels Anspruch erhoben, sich zu einer einzigen Kompanie zusammengeschlossen hatten. Bis zu diesem Zeitpunkt war selbst das Bestehen der urspr&uuml;nglichen Ostindischen Kompanie wiederholt gef&auml;hrdet: einmal, zur Zeit des Protektorats Cromwells, wurde sie auf Jahre hinaus suspendiert, ein andermal, unter der Herrschaft Wilhelms III., durch Eingreifen des Parlaments mit g&auml;nzlicher Aufl&ouml;sung bedroht. Es war unter der Herrschaft jenes holl&auml;ndischen Prinzen, als die Whigs zu den eigentlichen Sch&ouml;pfern des Reichtums des Britischen Reiches wurden, die Bank von England ins Leben gerufen wurde, das Schutzzollsystem in England festen Fu&szlig; gefa&szlig;t hatte und das Gleichgewicht der Kr&auml;fte in Europa endg&uuml;ltig hergestellt war, da&szlig; das Bestreben einer Ostindischen Kompanie durch das Parlament anerkannt wurde. Doch war diese &Auml;ra scheinbarer Freiheit in Wirklichkeit eine &Auml;ra der Monopole, die zwar nicht durch k&ouml;nigliche Urkunden, wie zu Zeiten Elisabeths und Karls I., eingef&uuml;hrt, wohl aber durch Parlamentsbeschlu&szlig; sanktioniert und auf das ganze Land ausgedehnt wurden. Diese Epoche in der Geschichte Englands weist in der Tat die weitgehendste &Auml;hnlichkeit mit der Epoche Louis-Philippes in Frankreich auf. Die alte Grundaristokratie hatte eine Niederlage erlitten, dieweil die Bourgeoisie deren Platz nicht anders als <A NAME="S149"><B>&lt;149&gt;</A></B> unter der &Auml;gide der Plutokratie, der "haute finance" &lt;"Finanzaristokratie"&gt;, zu besetzen vermochte. Die Ostindische Kompanie schlo&szlig; das einfache Volk vom Handel mit Indien zur selben Zeit aus, als das Unterhaus es seiner Vertretung im Parlament beraubte. In diesem Falle und auch in anderen F&auml;llen sehen wir, da&szlig; der erste entscheidende Sieg der Bourgeoisie &uuml;ber die Feudalaristokratie mit der entschiedensten Reaktion gegen das Volk zusammenf&auml;llt, eine Erscheinung, die mehr als einen popul&auml;ren Schriftsteller, wie z.B. Cobbett, veranla&szlig;t hat, die Volksfreiheit mehr in der Vergangenheit als in der Zukunft zu suchen.</P>
<P>Das B&uuml;ndnis der konstitutionellen Monarchie mit den monopolistischen Finanzinteressen, der Ostindischen Kompanie mit der "glorreichen" Revolution von 1688, wurde durch die gleiche Macht gef&ouml;rdert, mit deren Hilfe die liberalen Interessen und die liberale Dynastie zu allen Zeiten und in allen L&auml;ndern sich fanden und zusammenschlossen: durch die Macht der Korruption, diese erste und letzte Triebkraft der konstitutionellen Monarchie, diesen Schutzengel Wilhelms III. und b&ouml;sen Geist Louis-Philippes. Wie parlamentarische Untersuchungen ergaben, erreichen die j&auml;hrlichen Ausgaben der Ostindischen Kompanie unter dem Posten "Geschenke" an Regierungsm&auml;nner - einem Posten, der vor der Revolution 1.200 Pfd.St. nur selten &uuml;berschritten hatte - bereits 1693 die Summe von 90.000 Pfd.St. Der Herzog von Leeds wurde beschuldigt, eine Bestechungssumme von 5.000 Pfd.St., und der tugendhafte K&ouml;nig selbst wurde &uuml;berf&uuml;hrt, eine solche von 10.000 Pfd.St. empfangen zu haben. Au&szlig;er durch solche direkten Bestechungen wurden Konkurrenzgesellschaften dadurch beseitigt, da&szlig; man der Regierung enorme Darlehen zu niedrigstem Zinsfu&szlig; gew&auml;hrte oder rivalisierende Direktoren dieser Gesellschaften kaufte.</P>
<P>Die Ostindische Kompanie mu&szlig;te die Macht, die sie - ebenso wie die Bank von England - durch Bestechung der Regierung erlangt hatte, nun auch - ebenso wie die Bank von England - durch weitere Bestechungen aufrechterhalten. Jedesmal, wenn die Frist ihres Monopols abgelaufen war, vermochte sie eine Erneuerung ihrer Charte nur durch die Anbietung neuer Anleihen und neuer Geschenke an die Regierung zu erwirken.</P>
<P>Die Ereignisse dieses siebenj&auml;hrigen Krieges verwandelten die Ostindische Kompanie aus einer Handels- in eine Milit&auml;r- und Territorial-Macht. Damals wurde der Grundstein zum gegenw&auml;rtigen Britischen Reich im Osten gelegt. Die Aktien der Ostindischen Kompanie stiegen damals auf 263 Pfd.St., und es wurden Dividenden in H&ouml;he von 12<FONT SIZE="-1"><SUP>1</FONT></SUP>/<FONT SIZE="-2">2</FONT>% gezahlt. Doch da tauchte ein neuer Feind der Kompanie auf, zwar nicht mehr in der Gestalt rivalisierender <A NAME="S150"><B>&lt;150&gt;</A></B> Gesellschaften, wohl aber rivalisierender Minister und eines rivalisierenden Volkes. Man berief sich darauf, da&szlig; das Territorium der Gesellschaft mit Hilfe der britischen Flotte und der britischen Truppen erobert worden sei und da&szlig; mithin britische Untertanen keine Souver&auml;nit&auml;t &uuml;ber von der Krone unabh&auml;ngige Territorien besitzen k&ouml;nnten. Damals beanspruchten die Minister und das Volk ihren Anteil an den "m&auml;rchenhaften Sch&auml;tzen", die - wie man annahm - die Kompanie durch die letzte Eroberung erhalten hatte. Die Kompanie rettete ihren Fortbestand nur durch ein 1767 zustande gebrachtes &Uuml;bereinkommen, laut welchem sie j&auml;hrlich 400.000 Pfd.St. an das staatliche Schatzamt zu entrichten hatte. Anstatt aber das &Uuml;bereinkommen zu erf&uuml;llen und dem englischen Volk seinen Anteil auszuzahlen, geriet die Ostindische Kompanie in finanzielle Schwierigkeiten und appellierte an das Parlament um finanzielle Unterst&uuml;tzung. Die Folge dieses Schrittes waren erhebliche &Auml;nderungen in der Charte der Kompanie. Da sich indessen die Verh&auml;ltnisse der Kompanie trotz der neuen Lage nicht gebessert und das englische Volk gleichzeitig seine Kolonien in Nordamerika verloren hatte, machte sich die Notwendigkeit, an anderer Stelle ein gro&szlig;es Kolonialreich zu gewinnen, immer allgemeiner f&uuml;hlbar. Der illustre Fox hielt 1783 den Augenblick f&uuml;r gekommen, seine ber&uuml;hmte Indienbill einzubringen, die den Vorschlag enthielt, das Direktorium und den Aufsichtsrat abzuschaffen und die gesamte Verwaltung Indiens sieben durch das Parlament einzusetzenden Kommiss&auml;ren zu &uuml;bertragen. Durch den pers&ouml;nlichen Einflu&szlig; des schwachsinnigen K&ouml;nigs &lt;Georg III.&gt; auf das Oberhaus wurde jedoch der Antrag des Herrn Fox abgelehnt und dazu benutzt, die damalige Koalitionsregierung Fox-Lord North zu st&uuml;rzen und den ber&uuml;hmten Pitt an die Spitze der Regierung zu setzen. Pitt brachte 1784 in beiden H&auml;usern einen Gesetzentwurf zur Annahme, der die Bildung einer aus sechs Mitgliedern des Geheimen Staatsrates bestehenden Kontrollbeh&ouml;rde anordnete, die die Aufgabe hatte,</P>
<FONT SIZE=2><P>"alle Ma&szlig;nahmen, Operationen und Angelegenheiten, die auf irgendeine Weise mit der Zivil- und Milit&auml;rverwaltung, mit den Eink&uuml;nften aus L&auml;ndereien und Besitzt&uuml;mern der Ostindischen Kompanie in Verbindung standen, zu z&uuml;geln, zu &uuml;berwachen und zu kontrollieren".</P>
</FONT><P>Dazu bemerkt der Historiker Mill:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Die Annahme dieses Gesetzes verfolgte einen doppelten Zweck. Um der Unterstellung zu entgehen, zu welcher der angeblich verruchte Zweck des Gesetzentwurfes des Herrn Fox Anla&szlig; gegeben hatte, war es notwendig, den <I>Anschein </I>zu erwecken, als <A NAME="S151"><B>&lt;151&gt;</A></B> verbliebe der Hauptteil der Macht in den H&auml;nden der Direktoren. Das Regierungsinteresse erforderte, da&szlig; ihnen in <I>Wirklichkeit </I>die Macht g&auml;nzlich genommen w&uuml;rde. Angeblich unterschied sich der Gesetzentwurf Pitts von dem seines Rivalen haupts&auml;chlich dadurch, da&szlig;, w&auml;hrend jener die Macht der Direktoren vernichtete, dieser sie fast unangetastet lie&szlig;. Unter dem Gesetz Fox' w&auml;re die Macht der Minister offen zutage getreten, unter dem Pitts dagegen sollte die Macht geheim durch Trug ausge&uuml;bt werden. Der Gesetzentwurf Fox' &uuml;bertrug die Macht der Kompanie auf die durch das Parlament eingesetzten Kommiss&auml;re. Der Gesetzentwurf des Herrn Pitt &uuml;bertrug sie auf Kommiss&auml;re, die vom K&ouml;nig ernannt wurden."</P>
</FONT><P>Die Jahre 1783 und 1784 waren somit die ersten und bis auf den heutigen Tag einzigen Jahre, in denen die indische Frage eine Regierungsfrage gewesen. Nach Annahme des Pittschen Gesetzentwurfes wurde die Charte der Ostindischen Kompanie erneuert und die indische Frage f&uuml;r zwanzig Jahre ad acta gelegt. 1813 aber wurden alle &uuml;brigen politischen Fragen durch den Antijakobinerkrieg und 1833 durch die neu eingebrachte Reformbill in den Hintergrund gedr&auml;ngt.</P>
<P>Der Hauptgrund also, da&szlig; die indische Frage vor 1784 und nachher zu keiner gro&szlig;en politischen Frage geworden ist, besteht darin, da&szlig; vor dieser Zeit sich die Ostindische Kompanie erst ihr Daseinsrecht und ihr Gewicht erk&auml;mpfen mu&szlig;te, nach dieser Zeit aber die Oligarchie ihr soviel Macht nahm, als sie nehmen konnte, ohne gleichzeitig die Verantwortung f&uuml;r sie zu tragen, und endlich, noch sp&auml;ter, das englische Volk allgemein gerade in den Jahren der Erneuerung der Charte, also 1813 und 1833, durch wichtigere Fragen in Anspruch genommen war.</P>
<P>Nun wollen wir die Sache einmal von einer anderen Seite betrachten. Die Ostindische Kompanie begann ihre T&auml;tigkeit damit, da&szlig; sie blo&szlig; den Versuch machte, Faktoreien f&uuml;r ihre Agenten und Depots f&uuml;r ihre Waren einzurichten. Um diese zu sch&uuml;tzen, baute sie mehrere Forts. Obwohl sie bereits 1689 die Absicht hatte, ihre Herrschaft in Indien zu begr&uuml;nden und die Bodensteuer zu einer ihrer Einkommenquellen zu machen, hatte sie bis 1744 doch nur einige unwichtige Distrikte um Bombay, Madras und Kalkutta erworben. Der Krieg, der danach in Karnatik ausbrach, hatte zur Folge, da&szlig; die Kompanie nach einer Reihe von K&auml;mpfen zum tats&auml;chlichen Souver&auml;n dieses Teils Indiens wurde. Weit betr&auml;chtlichere Folgen hatten der Krieg in Bengalen und die Siege von Clive. Diese f&uuml;hrten zur faktischen Besetzung von Bengalen, Bihar und Orissa. Ende des 18. und in den ersten Jahren unseres Jahrhunderts folgten dann die Kriege mit Tippu Sahib, die einen bedeutenden Machtzuwachs und eine ungeheure Ausdehnung des Subsidiensystems herbeigef&uuml;hrt hatten. Im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts ist schlie&szlig;-<A NAME="S152"><B> &lt;152&gt; </A></B>lich die erste geeignete Grenze Indiens, und zwar die innerhalb der W&uuml;ste, erobert worden. Erst damit hatte das britische Weltreich im Osten jene Gegenden Asiens erreicht die stets der Sitz jeder m&auml;chtigen Zentralgewalt Indiens gewesen waren. Doch der verwundbarste Teil des Reiches, von dem aus es noch immer, sobald ein alter Eroberer durch einen neuen vertrieben wurde, &uuml;berrannt worden war, die Barriere der Westgrenze, befand sich noch nicht in den H&auml;nden der Engl&auml;nder. In der Periode von 1838 bis 1849, in den Kriegen gegen die Sikhs und Afghanen, setzte sich das englische Regime durch die gewaltsame Annexion von Pandschab und Sind endg&uuml;ltig in den Besitz der ethnographischen, politischen und milit&auml;rischen Grenzen des ost-indischen Kontinents. Deren Besitz war unbedingt notwendig, um jede aus Mittelasien einfallende Macht zur&uuml;ckzuschlagen und um Ru&szlig;lands Vordringen gegen die Grenzen Persiens zu verhindern. Im Laufe dieses letzten Jahrzehnts wurde das britische Hoheitsgebiet in Indien um 167.000 Quadratmeilen mit einer Bev&ouml;lkerung von 8.572.630 Seelen vergr&ouml;&szlig;ert. Was das Innere des Landes anbelangt, so waren nun alle einheimischen Staaten von britischem Besitz umringt, in verschiedener Form der britischen Suzer&auml;nit&auml;t unterworfen und mit der einzigen Ausnahme von Gudscharat und Sind von der Seek&uuml;ste abgeschnitten. Was die &auml;u&szlig;ere Gestalt Indiens betrifft, so war Indien damit vollendet. Erst seit 1849 besteht ein einheitliches gro&szlig;es angloindisches Reich.</P>
<P>So k&auml;mpfte die britische Regierung zwei Jahrhunderte hindurch unter dem Decknamen der Ostindischen Kompanie, bis sie schlie&szlig;lich die nat&uuml;rlichen Grenzen Indiens erreicht hatte. Wir verstehen nun, warum alle Parteien in England, selbst jene, die entschlossen waren, nach vollendetem Arrondissement eines einheitlichen indischen Reiches ihre heuchlerischen Friedensschalmeien am lautesten ert&ouml;nen zu lassen, stillschweigend zusahen. Mu&szlig;ten sie doch nat&uuml;rlich dieses Reich erst schaffen, bevor sie es zum Gegenstand ihrer unb&auml;ndigen Menschenliebe machen konnten. Von diesem Gesichtspunkt verstehen wir den ver&auml;nderten Aspekt der indischen Frage, heute, im Jahre 1853, im Vergleich mit allen fr&uuml;heren Perioden der Erneuerung der Charte.</P>
<P>Die Dinge lassen sich nun noch aus einem anderen Gesichtswinkel betrachten. Wir werden die eigent&uuml;mliche Krise der Indien-Gesetzgebung noch besser erfassen, wenn wir die Geschichte des Handelsverkehrs zwischen Gro&szlig;britannien und Indien in ihren verschiedenen Phasen verfolgen.</P>
<P>Zu Beginn ihrer T&auml;tigkeit unter der Herrschaft Elisabeths erhielt die Ostindische Kompanie. um ihren Handel mit Indien gewinnbringend fortf&uuml;hren zu k&ouml;nnen, die Erlaubnis, allj&auml;hrlich Silber, Gold und ausl&auml;ndische M&uuml;nzen im Werte von 30.000 Pfd.St. auszuf&uuml;hren. Das bedeutete den Bruch mit allen <A NAME="S153"><B>&lt;153&gt;</A></B> Vorurteilen des Zeitalters, und Thomas Mun mu&szlig;te in "A Discourse on Trade from England into the East Indies" die Grundlagen des "Merkantilismus" entwickeln, wobei er einr&auml;umte, da&szlig; Edelmetalle den einzigen wirklichen Reichtum eines Landes ausmachten, gleichzeitig aber behauptete, da&szlig; ihre Ausfuhr dennoch ruhig erlaubt werden d&uuml;rfe, vorausgesetzt, da&szlig; die<I> Zahlungsbilanz </I>f&uuml;r die ausf&uuml;hrende Nation g&uuml;nstig sei. In diesem Sinne forderte er, da&szlig; die aus Ostindien eingef&uuml;hrten Waren in der Hauptsache nach solchen L&auml;ndern wieder ausgef&uuml;hrt w&uuml;rden, aus denen eine weit erheblichere Menge Edelmetall nach England hereinkomme, als f&uuml;r die Bezahlung jener Waren in Indien erforderlich sei. Im gleichen Sinne verfa&szlig;te Sir Josiah Child "A Treatise wherin it is demonstrated that the East India Trade is the most national Trade of all Trades". Allm&auml;hlich wurden die Parteig&auml;nger der Ostindischen Kompanie k&uuml;hner, und es kann als ein Kuriosum in dieser sonderbaren indischen Geschichte verzeichnet werden, da&szlig; die Monopolisten in Indien die ersten Verk&uuml;nder des Freihandels in England waren.</P>
<P>Ein Vorgehen des Parlaments gegen die Ostindische Kompanie wurde Ende des 17. und w&auml;hrend des gr&ouml;&szlig;eren Teils des 18. Jahrhunderts wieder verlangt, aber nicht von der Handelsklasse, sondern von der Industriellenklasse, als die Einfuhr von Baumwoll- und Seidenstoffen aus Ostindien die armen englischen Fabrikanten angeblich zugrunde richtete - eine Behauptung, die z.B. in der Schrift von John Pollexfens: "England and India inconsistent in their Manufactures", London 1697, vertreten wurde. Dieser Titel hat sich anderthalb Jahrhunderte sp&auml;ter, wenn auch in einem ganz anderen Sinne, auf sonderbare Art bewahrheitet. Das Parlament griff hierauf ein. Durch die Regierungsakte Wilhelms III. Nr. 11 und 12, Kapitel 10, wurde angeordnet, da&szlig; das Tragen von verarbeiteter Seide wie von bedrucktem oder gef&auml;rbtem Kattun aus Indien, Persien und China verboten sei. Alle Personen, die sich im Besitz solcher Waren bef&auml;nden oder solche verkauften, w&uuml;rden einer Geldstrafe in H&ouml;he von 200 Pfd.St. unterworfen. &Auml;hnliche Gesetze wurden wegen der wiederholten Beschwerden der sp&auml;ter so "aufgekl&auml;rten" britischen Fabrikanten unter Georg I., II. und III. erlassen. So wurden also w&auml;hrend des gr&ouml;&szlig;eren Teils des 18. Jahrhunderts indische Manufakturwaren im allgemeinen nach England nur eingef&uuml;hrt, um auf dem Kontinent abgesetzt zu werden. Vom englischen Markt selbst blieben sie ausgeschlossen.</P>
<P>Au&szlig;er diesem durch die gierigen britischen Fabrikanten veranla&szlig;ten Eingreifen des Parlaments in die ostindischen Angelegenheiten wurden bei jeder Erneuerung der Charte seitens der Kaufleute von London, Liverpool und Bristol Anstrengungen gemacht, um das Handelsmonopol der Ostindi- <A NAME="S154"><B>&lt;154&gt;</A></B> schen Kompanie zu durchbrechen und sich an diesem Handel, in dem man eine wahre Goldgrube erblickte, zu beteiligen. Als Folge dieser Anstrengungen wurde in das Gesetz von 1773, durch das die Charte der Ostindischen Kompanie bis zum 1. M&auml;rz 1814 verl&auml;ngert wurde, eine Bestimmung aufgenommen, laut welcher nahezu alle Waren von britischen Privatpersonen von England nach Indien ausgef&uuml;hrt und von Angestellten der Ostindischen Kompanie nach England eingef&uuml;hrt werden durften. Dieses Zugest&auml;ndnis war jedoch an Bedingungen gekn&uuml;pft, die seine Wirkung in bezug auf das Recht der privaten Kaufleute zur Ausfuhr nach Britisch-Indien zunichte machten. 1813 war die Ostindische Kompanie nicht mehr in der L&auml;ge, dem Druck des nicht monopolisierten Handels standzuhalten. Mit Ausnahme des Monopols f&uuml;r den Chinahandel wurde der Handel mit Indien unter bestimmten Bedingungen f&uuml;r das private Unternehmertum freigegeben. Nach der Erneuerung der Charte im Jahre 1833 fielen schlie&szlig;lich auch diese letzten Einschr&auml;nkungen: Der Kompanie wurde jeglicher Handel verboten, ihr kommerzieller Charakter wurde v&ouml;llig aufgehoben und ihr Privileg, britische Staatsangeh&ouml;rige vom indischen Territorium fernzuhalten, annulliert.</P>
<P>Inzwischen machte der Handel mit Ostindien eine Reihe ernster Umw&auml;lzungen durch, die das Verh&auml;ltnis der verschiedenen Klasseninteressen in England ihm gegen&uuml;ber v&ouml;llig ver&auml;nderten. W&auml;hrend des gesamten 18. Jahrhunderts wurden die aus Indien nach England gebrachten Sch&auml;tze weit weniger durch den verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig geringf&uuml;gigen Handel als durch direkte Ausbeutung dieses Landes und aus den aus ihm herausgepre&szlig;ten, nach England &uuml;berf&uuml;hrten enormen Verm&ouml;gen gewonnen. Als 1813 der Handel mit Indien freigegeben worden war, hat er sich in k&uuml;rzester Zeit mehr als verdreifacht. Doch war das noch nicht alles. Der ganze Charakter des Handels wurde ge&auml;ndert. Bis 1813 war Indien in der Hauptsache ein exportierendes Land, w&auml;hrend es nun zu einem importierenden wurde, und zwar mit einer solchen Geschwindigkeit, da&szlig; der Wechselkurs, der im allgemeinen 2 sh. 6 d. f&uuml;r die Rupie betrug, 1823 schon auf 2 sh. f&uuml;r die Rupie zur&uuml;ckgegangen war. Indien, seit undenklichen Zeiten die gewaltigste Werkstatt f&uuml;r Baumwollwaren, wurde nun mit englischem Garn und englischen Baumwollstoffen &uuml;berschwemmt. Hatte man die einheimische indische Produktion von England ferngehalten oder nur unter den h&auml;rtesten Bedingungen zugelassen, so wurde Indien nun selbst mit englischen Waren bei niedrigem, lediglich nominellem Zoll &uuml;berschwemmt. Das bedeutete den Ruin der einst so ber&uuml;hmten einheimischen Baumwollindustrie. 1780 betrug der Wert der nach Indien ausgef&uuml;hrten englischen Produkte und Manufakturwaren nur 386.152 Pfd.St., der Wert der w&auml;hrend desselben Jahres ausgef&uuml;hrten Edel- <A NAME="S155"><B>&lt;155&gt;</A></B> metalle 15.041 Pfd.St. Der Gesamtwert der Ausfuhr im Jahre 1780 belief sich auf 12.648.616 Pfd.St., so da&szlig; der Handel mit Indien nur <FONT SIZE="-1"><SUP>1</FONT></SUP>/<FONT SIZE="-2">32</FONT> des gesamten Au&szlig;enhandels ausmachte. 1850 dagegen betrug die Ausfuhr aus Gro&szlig;britannien und Irland nach Indien 8.024.000 Pfd.St., wovon auf Baumwollwaren allein 5.220.000 Pfd.St. entfielen, so da&szlig; sie mehr als <FONT SIZE="-1"><SUP>1</FONT></SUP>/<FONT SIZE="-2">5</FONT> der Gesamtausfuhr und mehr als <FONT SIZE="-1"><SUP>1</FONT></SUP>/<FONT SIZE="-2">4</FONT> des Baumwollau&szlig;enhandels ausmachten. Die Baumwollfabriken besch&auml;ftigten nunmehr <FONT SIZE="-1"><SUP>1</FONT></SUP>/<FONT SIZE="-2">5</FONT> der Bev&ouml;lkerung Gro&szlig;britanniens und lieferten <FONT SIZE="-1"><SUP>1</FONT></SUP>/<FONT SIZE="-2">12</FONT> des gesamten Nationaleinkommens. Nach jeder Handelskrise wurde der Handel mit Ostindien von &uuml;berragender Bedeutung f&uuml;r die englischen Baumwollfabrikanten, und der ostindische Kontinent wurde tats&auml;chlich zu ihrem besten Absatzmarkt. In gleichem Ma&szlig;e, wie die Baumwollindustrie von vitaler Bedeutung f&uuml;r das gesamte soziale System Gro&szlig;britanniens wurde, wurde Ostindien von vitaler Bedeutung f&uuml;r die englische Baumwollindustrie.</P>
<P>Soweit waren die Interessen der Plutokratie, die Indien zu ihrem Grundeigentum gemacht, die Interessen der Oligarchie, die es mit ihren Armeen erobert, und die Interessen der Millokratie, die es mit ihren Fabrikaten &uuml;berschwemmt hatten, Hand in Hand gegangen. Je mehr aber die britischen Industriellen vom indischen Markte abh&auml;ngig wurden, um so mehr f&uuml;hlten sie die Notwendigkeit, in Indien, nachdem sie dort die einheimische Industrie zerst&ouml;rt hatten, neue Produktivkr&auml;fte zu schaffen. Man kann nicht auf die Dauer ein Land mit seinen eigenen Erzeugnissen &uuml;berschwemmen, wenn man ihm nicht erm&ouml;glicht, irgendwelche andere Produkte daf&uuml;r in Austausch zu geben. Die englischen Industriellen stellten fest, da&szlig; ihr Handel abnahm, statt zuzunehmen. In den mit 1846 abschlie&szlig;enden vier Jahren betrug die Einfuhr aus Gro&szlig;britannien nach Indien 261 Millionen Rupien. In den mit 1850 abschlie&szlig;enden vier Jahren betrug sie nur 253 Millionen, w&auml;hrend die Ausfuhr aus Indien in der ersten Periode 274 Millionen Rupien, in der zweiten Periode 254 Millionen Rupien betrug. Die Industriellen stellten fest, da&szlig; die Kaufkraft f&uuml;r ihre Waren in Indien auf die denkbar niedrigste Stufe gesunken war, da&szlig; der Konsum ihrer Produkte in Britisch-Westindien etwa 14 sh. im Jahre pro Kopf der Bev&ouml;lkerung ausmachte, in Chile 9 sh. 3 d., in Brasilien 6 sh. 5 d., in Kuba 6 sh. 2 d., in Peru 5 sh. 7 d., in Zentralamerika 10 d., in Indien hingegen nur etwa 9 d. Dann kam die Baumwollmi&szlig;ernte in den Vereinigten Staaten, die den britischen Industriellen 1850 einen Verlust von 1 Millionen Pfd.St. verursachte, und sie waren erbittert, da&szlig; sie von Amerika abh&auml;ngig waren und nicht statt dessen aus Ostindien Rohbaumwolle in ausreichenden Mengen erhielten. Au&szlig;erdem fanden sie, da&szlig; sie bei allen Versuchen, in Indien Kapital anzulegen, auf Hindernisse und Schikanen <A NAME="S156"><B>&lt;156&gt;</A></B> seitens der britischen Beh&ouml;rden in Indien stie&szlig;en. So wurde Indien zum Schlachtfeld im Kampfe zwischen dem Industriekapital auf der einen und der Plutokratie und Oligarchie auf der anderen Seite. Die britischen Industriellen, ihres &uuml;berwiegenden Einflusses in England sicher, verlangen jetzt die Vernichtung dieser ihnen feindlich gegen&uuml;berstehenden M&auml;chte in Indien, die Zerst&ouml;rung des dortigen gesamten alten Verwaltungsapparates und die endg&uuml;ltige Beseitigung der Ostindischen Kompanie.</P>
<P>Nun zum vierten und letzten Gesichtspunkt, von dem aus die indische Frage beurteilt werden mu&szlig;. Seit 1784 sind die indischen Finanzschwierigkeiten immer gr&ouml;&szlig;er geworden. Es besteht jetzt eine Staatsschuld von 50 Millionen Pfd.St., eine st&auml;ndige Abnahme der Einnahmequellen und eine entsprechende Zunahme der Ausgaben. Ein zweifelhaftes Gleichgewicht wird durch das ungewisse Einkommen aus der Opiumsteuer erzielt, das gegenw&auml;rtig dadurch, da&szlig; die Chinesen anfangen, selbst Mohn anzubauen, von Vernichtung bedroht wird. Die infolge des sinnlosen Krieges gegen Birma zu erwartenden Ausgaben versch&auml;rfen und erschweren die Lage noch mehr.</P>
<FONT SIZE=2><P>"Wie die Dinge liegen", sagt Herr Dickinson, "w&uuml;rde der Verlust des indischen Reiches den Ruin Englands bedeuten - w&auml;hrend die Notwendigkeit, es zu erhalten, unsere eigenen Finanzen mit Ruin bedroht."</P>
</FONT><P>Ich habe damit gezeigt, wie die indische Frage zum erstenmal seit 1783 zu einer englischen Frage und einer Regierungsfrage geworden ist.</P>
<I><P ALIGN="RIGHT">Karl Marx</P>
</I>
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