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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>Rosa Luxemburg - Einf&uuml;hrung in die National&ouml;konomie - I. 3</TITLE>
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<!--Hier war ein unzureichend terminierter Kommentar -->
<P ALIGN="CENTER"><A HREF="lu05_530.htm"><FONT SIZE=2>I. 2</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="lu05_en.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="lu05_557.htm"><FONT SIZE=2>I. 4</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>Rosa Luxemburg - Gesammelte Werke. Herausgegeben vom Institut f&uuml;r Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Band 5. Berlin/DDR. 1975. "Einf&uuml;hrung in die National&ouml;konomie", S. 535-557</P>
<P>1. Korrektur<BR>
Erstellt am 06.01.1999.</FONT> </P>
<FONT SIZE=4><P ALIGN="CENTER">I. 3</P>
</FONT><P>Man erz&auml;hlt uns von den Bed&uuml;rfnissen eines Volkes, von der Befriedigung dieser Bed&uuml;rfnisse in einer zusammenh&auml;ngenden Wirtschaft und auf diese Weise von der Wirtschaft eines Volkes. Die National&ouml;konomie soll die Wissenschaft sein, die uns das Wesen dieser Volkswirtschaft erkl&auml;rt, das hei&szlig;t die Gesetze, nach denen ein Volk seinen Reichtum durch die Arbeit schafft, vermehrt, an die einzelnen verteilt, verbraucht und von neuem schafft. Es soll also das Wirtschaftsleben eines ganzen Volkes sein, was den Gegenstand der Untersuchung bildet, im Gegensatz zur Privatwirtschaft oder Einzelwirtschaft, was diese letztere immer bedeuten mag. So tr&auml;gt auch in scheinbarer Best&auml;tigung dieser Auffassung das 1776 erschienene epochemachende Werk des Engl&auml;nders Adam Smith, den man den Vater der National&ouml;konomie nennt, den Titel "Der Reichtum der Nationen"<A NAME="ZF1"><A HREF="lu05_535.htm#F1">[1]</A></A>.</P>
<P>Gibt es aber, so m&uuml;ssen wir vor allem fragen, in Wirklichkeit so etwas wie die Wirtschaft eines Volkes? F&uuml;hren denn die V&ouml;lker jedes einen besonderen Haushalt, ein geschlossenes wirtschaftliches Leben f&uuml;r sich? Die Ausdr&uuml;cke "Volkswirtschaft", "National&ouml;konomie" werden besonders in Deutschland mit Vorliebe gebraucht, so richten wir denn unsere Blicke auf Deutschland.</P>
<P>Durch die H&auml;nde deutscher Arbeiter und Arbeiterinnen werden allj&auml;hrlich in der Landwirtschaft und Industrie ungeheure Mengen von allerlei Gebrauchsg&uuml;tern produziert. Wird dies alles aber etwa zum Eigen- <A NAME="S536"><B>|536|</A></B> gebrauch der im Deutschen Reich wohnenden Bev&ouml;lkerung hergestellt? Wir wissen, da&szlig; ein enormer und mit jedem Jahr wachsender Teil der deutschen Produkte nach anderen L&auml;ndern und Weltteilen, f&uuml;r andere V&ouml;lker ausgef&uuml;hrt wird. Die deutschen Eisenwaren gehen nach verschiedenen benachbarten L&auml;ndern in Europa, ferner nach S&uuml;damerika, nach Australien; Leder und Lederwaren gehen aus Deutschland nach allen europ&auml;ischen Staaten; Glassachen, Zucker, Handschuhe wandern nach England; Pelzfelle nach Frankreich, England, &Ouml;sterreich-Ungarn; der Farbstoff Alizarin nach England, nach den Vereinigten Staaten, nach Indien; Thomasschlacken, die als D&uuml;ngemittel dienen, nach den Niederlanden, nach &Ouml;sterreich-Ungarn; Koks nach Frankreich; Steinkohle nach &Ouml;sterreich, Belgien, nach den Niederlanden, der Schweiz; elektrische Kabel nach England, Schweden, Belgien; Spielzeug nach den Vereinigten Staaten; deutsches Bier, Indigo sowie Anilin und andere Teerfarbstoffe, deutsche Arzneien, Zellulose, Goldwaren, Str&uuml;mpfe, baumwollene und wollene Stoffe und Kleider, deutsche Eisenbahnschienen werden fast nach s&auml;mtlichen handeltreibenden L&auml;ndern der Welt verschickt.</P>
<P>Aber auch umgekehrt ist das deutsche Volk auf Schritt und Tritt bei der Arbeit wie im t&auml;glichen Verbrauch auf Erzeugnisse fremder L&auml;nder und V&ouml;lker angewiesen. Wir essen Brot aus russischem Getreide und Fleisch von ungarischem, d&auml;nischem, russischem Vieh; der Reis, den wir verzehren, stammt aus Ostindien und aus Nordamerika; der Tabak aus Niederl&auml;ndisch-Indien und aus Brasilien; wir beziehen Kakaobohnen aus Westafrika, Pfeffer aus Indien; Schweineschmalz aus den Vereinigten Staaten; Tee aus China; Obst aus Italien, Spanien und aus den Vereinigten Staaten; Kaffee aus Brasilien, Zentralamerika und Niederl&auml;ndisch-Indien; Fleischextrakt aus Uruguay; Eier aus Ru&szlig;land, Ungarn und Bulgarien; Zigarren von der Insel Kuba; Taschenuhren aus der Schweiz; Schaumweine aus Frankreich; Rindsh&auml;ute aus Argentinien; Bettfedern aus China; Seide aus Italien und Frankreich; Flachs und Hanf aus Ru&szlig;land; Baumwolle aus den Vereinigten Staaten, aus Indien, &Auml;gypten; feine Wolle aus England; Jute aus Indien; Malz aus &Ouml;sterreich-Ungarn; Leinsaat aus Argentinien; gewisse Sorten Steinkohle aus England; Braunkohle aus &Ouml;sterreich; Salpeter aus Chile; Quebrachoholz zum Gerben aus Argentinien; Nutz- und Bauholz aus Ru&szlig;land; Korkholz aus Portugal; Kupfer aus den Vereinigten Staaten; Zinn aus Niederl&auml;ndisch-Indien; Zink aus Australien; Aluminium aus &Ouml;sterreich-Ungarn und Kanada; Asbest aus Kanada; Asphalt und Marmor aus Italien; Pflastersteine aus Schweden; Blei aus Belgien, den Vereinigten Staaten, Australien; Graphit von Cey- <A NAME="S537"><B>|537|</A></B> lon; phosphorsalzigen Kalk aus Amerika und aus Algerien; Jod aus Chile ... <A NAME="ZF2"><A HREF="lu05_535.htm#F2">[2]</A></A></P>
<P>Vom einfachsten Nahrungsmittel des t&auml;glichen Gebrauches bis zu den ausgesuchtesten Gegenst&auml;nden des Luxus und den notwendigen Stoffen und Werkzeugen stammt das meiste direkt oder indirekt, ganz oder in irgendeinem Bestandteil aus fremden L&auml;ndern, ist Produkt fremder Volksarbeit. Wir lassen somit, um in Deutschland leben und arbeiten zu k&ouml;nnen, fast s&auml;mtliche L&auml;nder, V&ouml;lker, Weltteile f&uuml;r uns arbeiten und arbeiten unsererseits f&uuml;r alle L&auml;nder.</P>
<P>Um uns den enormen Umfang dieses Austausches zu vergegenw&auml;rtigen, werfen wir einen Blick auf die offizielle Statistik der Einfuhr und Ausfuhr. Nach dem "Statistischen Jahrbuch f&uuml;r das Deutsche Reich" 1914 gestaltete sich der Gesamteigenhandel (das hei&szlig;t ohne die nur &uuml;ber Deutschland zur Durchfuhr gelangenden fremden Waren) wie folgt:</P>
<P>Deutschland hat im Jahre 1913 eingef&uuml;hrt:</P>
<P ALIGN="CENTER"><CENTER><TABLE CELLSPACING=0 BORDER=0 CELLPADDING=2 WIDTH=400>
<TR><TD WIDTH="57%" VALIGN="TOP">
<P>an Rohstoffen</TD>
<TD WIDTH="43%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r &nbsp;&nbsp;5.262 Millionen M</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="57%" VALIGN="TOP">
<P>an halbfertigen Waren</TD>
<TD WIDTH="43%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r &nbsp;&nbsp;1.246 Millionen M</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="57%" VALIGN="TOP">
<P>an fertigen Waren</TD>
<TD WIDTH="43%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r &nbsp;&nbsp;1.776 Millionen M</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="57%" VALIGN="TOP">
<P>an Nahrungs- und Genu&szlig;mitteln</TD>
<TD WIDTH="43%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r &nbsp;&nbsp;3.063 Millionen M</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="57%" VALIGN="TOP">
<P>an lebenden Tieren</TD>
<TD WIDTH="43%" VALIGN="TOP">
<U><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;289 Millionen M</U></TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="57%" VALIGN="TOP">
<P>im ganzen <A NAME="ZF3"><A HREF="lu05_535.htm#F3">[3]</A></A></TD>
<TD WIDTH="43%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 11.638 Millionen M</TD>
</TR>
</TABLE>
</CENTER></P>
<P>oder beinahe f&uuml;r 12 Milliarden Mark.</P>
<P>In demselben Jahre hat Deutschland ausgef&uuml;hrt:</P>
<P ALIGN="CENTER"><CENTER><TABLE CELLSPACING=0 BORDER=0 CELLPADDING=2 WIDTH=400>
<TR><TD WIDTH="57%" VALIGN="TOP">
<P>an Rohstoffen</TD>
<TD WIDTH="43%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r &nbsp;&nbsp;1.720 Millionen M</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="57%" VALIGN="TOP">
<P>an halbfertigen Waren</TD>
<TD WIDTH="43%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r &nbsp;&nbsp;1.159 Millionen M</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="57%" VALIGN="TOP">
<P>an fertigen Waren</TD>
<TD WIDTH="43%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r &nbsp;&nbsp;6.642 Millionen M</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="57%" VALIGN="TOP">
<P>an Nahrungs- und Genu&szlig;mitteln</TD>
<TD WIDTH="43%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r &nbsp;&nbsp;1.362 Millionen M</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="57%" VALIGN="TOP">
<P>an lebenden Tieren</TD>
<TD WIDTH="43%" VALIGN="TOP">
<U><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r &nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;&nbsp;7 Millionen M</U></TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="57%" VALIGN="TOP">
<P>im ganzen <A HREF="lu05_535.htm#F3">[3]</A></TD>
<TD WIDTH="43%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 10.891 Millionen M</TD>
</TR>
</TABLE>
</CENTER></P>
<P>oder beinahe f&uuml;r 11 Milliarden Mark. Zusammen bel&auml;uft sich der j&auml;hrliche Au&szlig;enhandel Deutschlands somit auf mehr als 22 Milliarden.</P>
<P>Dasselbe aber, was in Deutschland, ist in gr&ouml;&szlig;erem oder geringerem Ma&szlig;e auch in den anderen modernen L&auml;ndern der Fall, das hei&szlig;t gerade <A NAME="S538"><B>|538|</A></B> in jenen, mit deren Wirtschaftsleben sich die National&ouml;konomie ausschlie&szlig;lich befa&szlig;t. Alle diese L&auml;nder produzieren f&uuml;reinander, zum Teil auch f&uuml;r die entlegensten Weltteile, lassen sich aber auch ihrerseits auf Schritt und Tritt Erzeugnisse s&auml;mtlicher Weltteile bei Konsumtion wie bei Produktion zunutze kommen.</P>
<P>Wie soll man angesichts eines so enorm entwickelten gegenseitigen Austausches die Grenzen zwischen der "Wirtschaft" eines Volkes und der eines anderen ziehen, von ebenso vielen "Volkswirtschaften" sprechen, als w&auml;ren es &ouml;konomisch ganz f&uuml;r sich zu betrachtende Gebiete?</P>
<P>Nun, der zunehmende internationale Warenaustausch ist freilich keine Entdeckung, die etwa den b&uuml;rgerlichen Gelehrten unbekannt w&auml;re. Die offiziellen statistischen Erhebungen mit ihren allj&auml;hrlich ver&ouml;ffentlichten Berichten haben die einschl&auml;gigen Tatsachen l&auml;ngst zum Gemeingut aller Gebildeten gemacht; der Gesch&auml;ftsmann, der Industriearbeiter kennt sie &uuml;berdies aus dem t&auml;glichen Leben. Die Tatsache des rapid zunehmenden Welthandels ist heute so allgemein bekannt und anerkannt, da&szlig; sie nicht mehr bestritten oder angezweifelt werden kann. Allein, wie wird diese Tatsache von den Fachgelehrten der National&ouml;konomie aufgefa&szlig;t? Als rein &auml;u&szlig;erer loser Zusammenhang, als Ausfuhr des sogenannten "&Uuml;berschusses" in den Erzeugnissen eines Landes &uuml;ber den eigenen Bedarf und als Einfuhr des zur eigenen Wirtschaft "etwa Fehlenden" - ein Zusammenhang, der sie durchaus nicht hindert, nach wie vor von der "Volkswirtschaft" und der "Volkswirtschaftslehre" zu sprechen.</P>
<P>So verk&uuml;ndet zum Beispiel Professor B&uuml;cher, nachdem er uns des langen und breiten &uuml;ber die heutige "Volkswirtschaft" als die h&ouml;chste und letzte Entwicklungsstufe in der Reihe der geschichtlichen Wirtschaftsformen belehrt hat:</P>
<P>"Es ist ein Irrtum, wenn man aus der im liberalistischen Zeitalter erfolgten Erleichterung des internationalen Verkehrs schlie&szlig;en zu d&uuml;rfen meint, die Periode der Volkswirtschaft gehe zur Neige und mache der Periode der Weltwirtschaft Platz ... Gewi&szlig; sehen wir heute in Europa eine Reihe von Staaten, welche der nationalen Selbst&auml;ndigkeit in ihrer G&uuml;terversorgung insofern entbehren, als sie erhebliche Mengen ihrer Nahrungs- und Genu&szlig;mittel aus dem Auslande zu beziehen gen&ouml;tigt sind, w&auml;hrend ihre industrielle Produktionsf&auml;higkeit weit &uuml;ber das nationale Bed&uuml;rfnis hinausgewachsen ist und dauernd &Uuml;bersch&uuml;sse liefert, die auf fremden Konsumtionsgebieten ihre Verwertung finden m&uuml;ssen. Aber das Nebeneinanderbestehen solcher Industrie und Rohproduktionsl&auml;nder, die gegenseitig aufeinander angewiesen sind, diese 'internationale Arbeitsteilung' ist <A NAME="S539"><B>|539|</A></B> nicht als Zeichen anzusehen, da&szlig; die Menschheit eine neue Stufe der Entwicklung zu erklimmen im Begriffe steht, die unter dem Namen der <I>Weltwirtschaft </I>den fr&uuml;heren Stufen gegen&uuml;bergestellt werden m&uuml;&szlig;te. Denn einerseits hat keine Wirtschaftsstufe volle Selbstherrlichkeit der Bed&uuml;rfnisbefriedigung auf die Dauer garantiert; jede lie&szlig; gewisse L&uuml;cken bestehen, die so oder so ausgef&uuml;llt werden mu&szlig;ten. Andererseits hat jene sogenannte Weltwirtschaft bis jetzt wenigstens keine Erscheinungen hervortreten lassen, die von denen der Volkswirtschaft in wesentlichen Merkmalen abweichen, und es steht sehr zu bezweifeln, da&szlig; solche in absehbarer Zukunft auftreten werden."<A NAME="ZN1"><A HREF="lu05_535.htm#N1">(1)</A></A></P>
<P>Noch k&uuml;hner ist Protessor B&uuml;chers j&uuml;ngerer Kollege Sombart, der schlankweg erkl&auml;rt, da&szlig; wir nicht in die Weltwirtschaft hineinwachsen, sondern gar umgekehrt uns immer mehr von ihr entfernen: "Die Kulturv&ouml;lker, so behaupte ich vielmehr, sind heute (im Verh&auml;ltnis zu ihrer Gesamtwirtschaft) nicht wesentlich mehr, sondern eher weniger durch Handelsbeziehungen untereinander verkn&uuml;pft. Die einzelne Volkswirtschaft ist heute nicht mehr, sondern eher weniger in den Weltmarkt einbezogen als vor hundert oder f&uuml;nfzig Jahren. Mindestens aber ... ist es falsch, anzunehmen, da&szlig; die internationalen Handelsbeziehungen eine verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig wachsende Bedeutung f&uuml;r die moderne Volkswirtschaft gewinnen. Das Gegenteil ist richtig." Professor Sombart ist &uuml;berzeugt, da&szlig; "die einzelnen Volkswirtschaften immer vollkommenere Mikrokosmen (das hei&szlig;t kleine abgeschlossene Welten - <I>R. L.</I>) werden und da&szlig; der innere Markt f&uuml;r alle Gewerbe den Weltmarkt immer mehr an Bedeutung &uuml;berfl&uuml;gelt".<A NAME="ZN2"><A HREF="lu05_535.htm#N2">(2)</A></A></P>
<P>Diese funkelnde Narretei, die allen t&auml;glichen Wahrnehmungen des Wirtschaftslebens ungeniert ins Gesicht schl&auml;gt, unterstreicht aufs gl&uuml;cklichste jene verbissene Abneigung der Herren Zunftgelehrten gegen die Anerkennung der Weltwirtschaft als einer neuen Entwicklungsphase der menschlichen Gesellschaft - eine Abneigung, die wir uns wohl zu merken und deren verborgenen Wurzeln wir nachzugehen haben.</P>
<P>Weil also schon auf den "fr&uuml;heren Wirtschaftsstufen", zum Beispiel zu K&ouml;nig Nebukadnezars Zeiten, "gewisse L&uuml;cken" im Wirtschaftsleben der Menschen durch den Austausch ausgef&uuml;llt wurden, so hat der <I>heutige </I>Welthandel gar nichts zu besagen, und es bleibt bei der "Volkswirtschaft". Dies die Meinung Professor B&uuml;chers.</P>
<B><P><A NAME="S540">|540|</A></B> Wie bezeichnend f&uuml;r die Roheit der geschichtlichen Auffassung eines Gelehrten, dessen Ruhm gerade auf angeblich scharfsinnigen und tiefen wirtschaftshistorischen Einblicken beruht! Den internationalen Handel verschiedenster, durch Jahrtausende getrennter Kultur und Wirtschaftsstufen bringt er einem abgeschmackten Schema zuliebe ohne weiteres unter einen Hut. Freilich, es gibt und gab keine Gesellschaftsform ohne Austausch. Die &auml;ltesten vorgeschichtlichen Funde, die rohesten H&ouml;hlen, die der "vorsintflutlichen" Menschheit als Wohnr&auml;ume dienten, die primitivsten Gr&auml;ber aus der Vorzeit, sie alle sind schon Zeugen eines gewissen Austausches der Produkte zwischen weit entfernten Gegenden. Der Austausch ist so alt wie die Kulturgeschichte der Menschheit, er ist seit jeher ihr st&auml;ndiger Begleiter und ihr m&auml;chtigster F&ouml;rderer gewesen. In dieser allgemeinen und in ihrer Allgemeinheit ganz vagen Erkenntnis ertr&auml;nkt nun unser Gelehrter alle Besonderheiten der Epochen, der Kulturstufen, der Wirtschaftsformen. Wie in der Nacht alle Katzen grau sind, so sind im Dunkel dieser professoralen Theorie alle himmelweit verschiedenen Gestalten des Austausches ein und dasselbe. Der primitive Austausch einer Botokudenhorde in Brasilien, die hier und da gelegentlich ihre eigenartig geflochtenen Tanzmasken gegen kunstvoll verfertigte Bogen und Pfeile einer anderen Horde austauscht; die gl&auml;nzenden Warenlager Babylons, wo die Pracht der orientalischen Hofhaltung aufgestapelt war; der antike Markt Korinths, wo am Neumond orientalische Linnen, griechische Tonwaren, Papier aus Tyrus, syrische und anatolische Sklaven f&uuml;r die reichen Sklavenhalter feilgeboten wurden; der mittelalterliche Seehandel Venedigs, der Luxusgegenst&auml;nde f&uuml;r die europ&auml;ischen Feudalh&ouml;fe und Patrizierh&auml;user lieferte - und der heutige kapitalistische Welthandel, der Orient und Okzident, Nord und S&uuml;d, s&auml;mtliche Ozeane und Weltwinkel in sein Netz gespannt hat, der alles - vom t&auml;glichen Brot und Z&uuml;ndholz des Bettlers bis zum ausgesuchtesten Kunstgegenstand des reichen Liebhabers, vom einfachsten Bodenprodukt bis zum kompliziertesten Werkzeug, von den menschlichen Arbeitsh&auml;nden, der Quelle allen Reichtums, bis zu den Mordwerkzeugen des Krieges - jahrein, jahraus in ungeheuren Massen hin und her w&auml;lzt, das alles ist unserem Professor der National&ouml;konomie ein und dasselbe: blo&szlig;es "Ausf&uuml;llen" "gewisser L&uuml;cken" im selbst&auml;ndigen Wirtschaftsorganismus! ...<A NAME="ZF4"><A HREF="lu05_535.htm#F4">[4]</A></A></P>
<P>Vor 50 Jahren erz&auml;hlte Schulze von Delitzsch den deutschen Arbeitern, jedermann produziere heute zun&auml;chst f&uuml;r sich selbst die gewonnenen Produkte, aber "die er nicht f&uuml;r sich selbst gebrauche", gebe er "im Austausch <A NAME="S541"><B>|541|</A></B> gegen die Produkte der anderen hin".<A NAME="ZF5"><A HREF="lu05_535.htm#F5">[5]</A></A> Die Antwort Lassalles auf diesen Unsinn bleibt unverge&szlig;lich:</P>
<P>"Herr Schulze! Patrimonialrichter! Haben Sie denn <I>gar keinen </I>Begriff von der wirklichen Gestalt der heutigen gesellschaftlichen Arbeit? Sind Sie denn nie aus Bitterfeld und Delitzsch herausgekommen? In welchem Jahrhundert des Mittelalters leben Sie denn eigentlich noch mit allen Ihren Anschauungen? ... Haben Sie denn gar keine Ahnung davon, da&szlig; sich die <I>heutige </I>gesellschaftliche Arbeit <I>gerade dadurch charakterisiert</I>, da&szlig; jeder das produziert, was er f&uuml;r sich selbst <I>nicht </I>gebrauchen kann? Haben Sie <I>gar </I>keine Ahnung davon, da&szlig; dies seit der gro&szlig;en Industrie so sein <I>mu&szlig;</I>, da&szlig; hierin die <I>Form </I>und das <I>Wesen </I>der heutigen Arbeit liegt und da&szlig; ohne <I>die sch&auml;rfste Festhaltung dieses Punktes </I>keine einzige Seite unserer heutigen &ouml;konomischen Zust&auml;nde, keine einzige unserer heutigen &ouml;konomischen Erscheinungen begriffen werden kann?</P>
<P>Nach Ihnen produziert also Herr Leonor Reichenheim auf W&uuml;ste-Giersdorf zun&auml;chst das <I>Baumwollgarn</I>, das er <I>f&uuml;r sich </I>gebraucht. Den &Uuml;berschu&szlig; desselben, den ihm seine T&ouml;chter nicht mehr zu Str&uuml;mpfen und Nachtjacken verarbeiten k&ouml;nnen, tauscht er aus.</P>
<P>Herr Borsig produziert zun&auml;chst Maschinen f&uuml;r seinen <I>Familienbedarf</I>. Die &uuml;bersch&uuml;ssigen Maschinen verkauft er dann.</P>
<P>Die Trauermodenmagazine arbeiten zun&auml;chst vorsorglich f&uuml;r die Todesf&auml;lle in der eigenen Familie. Was dann, indem diese zu sp&auml;rlich ausfallen, an Trauerstoffen noch &uuml;brigbleibt, tauschen sie aus.</P>
<P>Herr Wolff, der Eigent&uuml;mer des hiesigen Telegraphenb&uuml;ros, l&auml;&szlig;t zun&auml;chst die Depeschen zu seiner eigenen Belehrung und Vergn&uuml;gen kommen. Was dann, nachdem er sich hinreichend an ihnen ges&auml;ttigt, noch &uuml;brigbleibt, tauscht er mit den B&ouml;rsenw&ouml;lfen und Zeitungsredaktionen aus, die ihm dagegen mit ihren &uuml;bersch&uuml;ssigen Zeitungskorrespondenzen und Aktien aufwarten! ...</P>
<P>Also: <I>Das </I>ist eben der <I>unterscheidende, scharf festzuhaltende Charakter </I>der Arbeit in <I>fr&uuml;heren </I>Gesellschaftsperioden, da&szlig; man damals zun&auml;chst f&uuml;r den <I>eigenen Bedarf </I>produzierte und den &Uuml;berschu&szlig; abgab, das hei&szlig;t vorherrschend <I>Naturalwirtschaft </I>trieb.</P>
<P>Und das ist wieder der <I>unterscheidende Charakter, </I>die <I>spezifische Bestimmtheit </I>der Arbeit in der modernen Gesellschaft, da&szlig; jeder nur produziert, was er durchaus <I>nicht </I>braucht, das hei&szlig;t, da&szlig; jeder <I>Tauschwerte </I>produziert wie fr&uuml;her vorherrschend <I>Nutzwerte</I>. </P>
<B><P><A NAME="S542">|542|</A></B> Und begreifen Sie nicht, Herr Schulze, da&szlig; dies die <I>notwendige </I>und immer mehr um sich greifende 'Form und Art der Arbeitsverrichtung' ist in einer Gesellschaft, in welcher sich die <I>Teilung der Arbeit </I>so weit entwickelt hat wie in der modernen Gesellschaft?"<A NAME="ZF6"><A HREF="lu05_535.htm#F6">[6]</A></A></P>
<P>Was Lassalle hier Schulzen von dem kapitalistischen Privatbetrieb klarzumachen sucht, trifft heute mit jedem Tage mehr auf die Wirtschaftsweise so stark entwickelter kapitalistischer L&auml;nder zu wie England, Deutschland, Belgien, die Vereinigten Staaten, in deren Fu&szlig;tapfen die &uuml;brigen L&auml;nder, eines nach dem anderen, treten. Und die Irref&uuml;hrung der Arbeiter durch den fortschrittlichen Patrimonialrichter aus Bitterfeld war nur viel naiver, aber nicht gr&ouml;ber als die tendenzi&ouml;se Polemik eines B&uuml;cher oder eines Sombart heute gegen den Begriff der Weltwirtschaft.</P>
<P>Ein deutscher Professor liebt als p&uuml;nktlicher Beamter in seinem Ressort die Ordnung. Der Ordnung zuliebe pflegt er auch die Welt h&uuml;bsch sauber in die Schubf&auml;cher eines wissenschaftlichen Schemas einzuschachteln. Und genau wie er seine B&uuml;cher auf den Regalen aufstellt, so hat er auch die verschiedenen L&auml;nder auf zwei Regale verteilt: hier L&auml;nder, die Industrieprodukte herstellen und davon "einen &Uuml;berschu&szlig;" haben; dort L&auml;nder, die Landbau und Viehzucht treiben und deren Rohprodukte jenen anderen L&auml;ndern mangeln. Daraus entsteht und darauf beruht der internationale Handel.</P>
<P>Deutschland ist eines der industriellsten L&auml;nder der Welt. Nach dem Schema m&uuml;&szlig;te es den regsten Austausch mit einem agrarischen Gro&szlig;staat wie Ru&szlig;land f&uuml;hren. Wie kommt es nun, da&szlig; Deutschlands wichtigste Partner im Handel die beiden anderen industriellsten L&auml;nder: die Vereinigten Staaten von Amerika und England, sind? Der Austausch Deutschlands mit den Vereinigen Staaten belief sich n&auml;mlich 1913 auf 2,4 Milliarden Mark, mit England auf 2,3 Milliarden; Ru&szlig;land kommt erst an dritter Stelle in Betracht. Und speziell was die Ausfuhr betrifft, so ist gerade der erste Industriestaat der Welt der gr&ouml;&szlig;te Abnehmer f&uuml;r die deutsche Industrie: mit 1,4 Milliarden Mark Jahreseinfuhr aus Deutschland steht England an der Spitze und l&auml;&szlig;t alle anderen Staaten weit hinter sich. Das britische Reich mit seinen Kolonien aber nimmt ein ganzes F&uuml;nftel der gesamten deutschen Ausfuhr auf. Was sagt das professorale Schema zu diesem merkw&uuml;rdigen Ph&auml;nomen?</P>
<P>Hie Industriestaat - dort Agrarstaat, dies ist das starre Gerippe der <A NAME="S543"><B>|543|</A></B> weltwirtschaftlichen Beziehungen, mit dem Professor B&uuml;cher und die meisten seiner Kollegen operieren. Nun, Deutschland war in den sechziger Jahren ein Agrarstaat; es f&uuml;hrte einen &Uuml;berschu&szlig; an landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus und mu&szlig;te sich mit den n&ouml;tigsten Industriewaren von England versehen lassen. Seitdem hat es sich selbst in einen Industriestaat und in den m&auml;chtigsten Rivalen Englands verwandelt. Die Vereinigten Staaten machen dasselbe, was Deutschland in den siebziger und achtziger Jahren, in einer noch k&uuml;rzeren Frist durch; sie sind gerade jetzt mitten im Wandel begriffen. Noch sind sie neben Ru&szlig;land, Kanada, Australien und Rum&auml;nien das gr&ouml;&szlig;te Weizenland der Welt, und noch waren nach der letzten Z&auml;hlung (freilich aus dem Jahre 1900) ganze 36 Prozent ihrer Gesamtbev&ouml;lkerung in der Landwirtschaft besch&auml;ftigt. Zugleich aber schreitet die Industrie der Union mit beispielloser Geschwindigkeit vorw&auml;rts, so da&szlig; sie neben der englischen und der deutschen als gef&auml;hrliche Nebenbuhlerin auftritt. Und wir geben einer hohen national&ouml;konomischen Fakult&auml;t die Preisaufgabe, zu definieren, ob die Vereinigten Staaten im Schema des Professors B&uuml;cher in der Rubrik Agrarstaat oder in der Rubrik Industriestaat unterzubringen seien. Ru&szlig;land folgt langsam auf derselben Bahn und wird - sobald es die Fesseln einer veralteten Staatsform abgestreift hat - dank der ungeheuren Bev&ouml;lkerung und dem unersch&ouml;pflichen Naturreichtum mit Siebenmeilenstiefeln das Vers&auml;umte nachholen, um vielleicht noch vor unseren Augen, die wir heute leben, als m&auml;chtiger Industriestaat Deutschland, England und der amerikanischen Union an die Seite zu treten, wo nicht sie zu &uuml;berfl&uuml;geln. Die Welt ist also nicht ein starres Gerippe, wie die Weisheit eines Professors, sondern sie bewegt sich, lebt, ver&auml;ndert sich. Der polare Gegensatz zwischen Industrie und Landwirtschaft, aus dem der internationale Austausch allein entspringen soll, ist also selbst ein flie&szlig;endes Element; er wird immer weiter aus dem Kreis der modernen Kulturwelt an ihre Peripherie verdr&auml;ngt. Was geschieht aber mittlerweile mit dem Handel innerhalb dieses Kulturkreises? Nach der B&uuml;cherschen Theorie m&uuml;&szlig;te er immer mehr zusammenschrumpfen. Anstatt dessen wird er - o Wunder! - gerade zwischen den Industriel&auml;ndern immer gewaltiger.</P>
<P>Nichts ist so lehrreich wie das Bild, das uns die Entwicklung unseres modernen Wirtschaftsgebietes in dem letzten Vierteljahrhundert bietet. Trotzdem wir seit den achtziger Jahren in allen Industriel&auml;ndern und Gro&szlig;staaten in Europa wie in Amerika wahre Orgien der Schutzz&ouml;llnerei, das hei&szlig;t der gegenseitigen k&uuml;nstlichen Absperrung der "Volkswirtschaften", erleben, ist die Entwicklung des Welthandels im gleichen Zeitraum <A NAME="S544"><B>|544|</A></B> nicht blo&szlig; nicht zum Stillstand gekommen: sie ist in eine rasende Karriere verfallen. Wie dabei gerade die zunehmende Industrialisierung und der Welthandel Hand in Hand gehen, dies kann ein Blinder an den drei f&uuml;hrenden L&auml;ndern: England, Deutschland und den Vereinigten Staaten, ablesen.</P>
<P>Kohle und Eisen sind die Seele der modernen Industrie. Nun stieg von 1885 bis 1910 die Kohlengewinnung:</P>
<P ALIGN="CENTER"><CENTER><TABLE CELLSPACING=0 BORDER=0 CELLPADDING=2 WIDTH=439>
<TR><TD WIDTH="49%" VALIGN="TOP">
<P>in England</TD>
<TD WIDTH="51%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">von 162 auf 269 Millionen Tonnen</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="49%" VALIGN="TOP">
<P>in Deutschland</TD>
<TD WIDTH="51%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">von &nbsp;&nbsp;74 auf 222 Millionen Tonnen</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="49%" VALIGN="TOP">
<P>in den Vereinigten Staaten </TD>
<TD WIDTH="51%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">von 101 auf 455 Millionen Tonnen</TD>
</TR>
</TABLE>
</CENTER></P>
<P>Die Roheisengewinnung stieg in derselben Zeit:</P>
<P ALIGN="CENTER"><CENTER><TABLE CELLSPACING=0 BORDER=0 CELLPADDING=2 WIDTH=439>
<TR><TD WIDTH="49%" VALIGN="TOP">
<P>in England</TD>
<TD WIDTH="51%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">von 7,5 auf 10,2 Millionen Tonnen</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="49%" VALIGN="TOP">
<P>in Deutschland</TD>
<TD WIDTH="51%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">von 3,7 auf 14,8 Millionen Tonnen</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="49%" VALIGN="TOP">
<P>in den Vereinigten Staaten </TD>
<TD WIDTH="51%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">von 4,1 auf 27,7 Millionen Tonnen</TD>
</TR>
</TABLE>
</CENTER></P>
<P>Gleichzeitig stieg der j&auml;hrliche Au&szlig;enhandel (Einfuhr und Ausfuhr) von 1885 bis 1912:</P>
<P ALIGN="CENTER"><CENTER><TABLE CELLSPACING=0 BORDER=0 CELLPADDING=2 WIDTH=439>
<TR><TD WIDTH="49%" VALIGN="TOP">
<P>in England</TD>
<TD WIDTH="51%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">von 13&nbsp;&nbsp;&nbsp; auf 27,4 Milliarden Mark</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="49%" VALIGN="TOP">
<P>in Deutschland</TD>
<TD WIDTH="51%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">von &nbsp;&nbsp;6,2 auf 21,3 Milliarden Mark</TD>
</TR>
<TR><TD WIDTH="49%" VALIGN="TOP">
<P>in den Vereinigten Staaten </TD>
<TD WIDTH="51%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">von &nbsp;&nbsp;5,5 auf 16,2 Milliarden Mark</TD>
</TR>
</TABLE>
</CENTER></P>
<P>Nimmt man aber den gesamten Au&szlig;enhandel (Einfuhr und Ausfuhr) <I>aller </I>wichtigeren L&auml;nder der Erde in der j&uuml;ngsten Zeit, so ist er von 105 Milliarden Mark im Jahre 1904 auf 165 Milliarden Mark im Jahre 1912 gestiegen. Das bedeutet ein Wachstum um 57 Prozent binnen 8 Jahren! In der Tat ein so atemraubendes Tempo der wirtschaftlichen Entwicklung, wie davon die ganze bisherige Weltgeschichte kein ann&auml;herndes Beispiel zu bieten hat! "Die Toten reiten schnelle."<A NAME="ZF7"><A HREF="lu05_535.htm#F7">[7]</A></A> Die kapitalistische "Volkswirtschaft" scheint Eile zu haben, die Grenzen ihrer Existenzf&auml;higkeit zu ersch&ouml;pfen, die Gnadenfrist ihrer Daseinsberechtigung abzuk&uuml;rzen. Was sagt aber zu alledem das Schema von "gewissen L&uuml;cken" und von dem schwerf&auml;lligen Tanz zwischen Industriestaat und Agrarstaat?</P>
<P>Doch es gibt im modernen Wirtschaftsleben solcher R&auml;tsel noch mehr.</P>
<P>Betrachten wir etwas aufmerksamer die Tabellen der deutschen Einfuhr und Ausfuhr, statt uns mit Gesamtsummen der ausgetauschten Warenwerte oder nur mit ihren gro&szlig;en allgemeinen Kategorien zu begn&uuml;gen, lassen wir zur Probe die wichtigsten Warengattungen des deutschen Handels vor uns Revue passieren.</P>
<B><P><A NAME="S545">|545|</A></B> Es wurden im Jahre 1913</P>
<P ALIGN="CENTER"><CENTER><TABLE CELLSPACING=0 BORDER=0 CELLPADDING=2 WIDTH=600>
<TR><TD WIDTH="48%" VALIGN="TOP" COLSPAN=2>
<P>nach Deutschland eingef&uuml;hrt:</TD>
<TD WIDTH="4%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="48%" VALIGN="TOP" COLSPAN=2>
<P>aus Deutschland ausgef&uuml;hrt:</TD>
</TR>
<TR>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">Millionen Mark</TD>
<TD WIDTH="4%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP">
<P ALIGN="RIGHT">Millionen Mark</TD>
</TR>
<TR>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Baumwolle, roh</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 607</TD>
<TD WIDTH="4%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP"><P>Maschinen aller Art</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 680</TD>
</TR>
<TR>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Weizen</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 417</TD>
<TD WIDTH="4%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Eisenwaren</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 652</TD>
</TR>
<TR>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Schafwolle, roh</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 413</TD>
<TD WIDTH="4%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Steinkohlen</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 516</TD>
</TR>
<TR>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Gerste</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 390</TD>
<TD WIDTH="4%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Baumwollwaren</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 446</TD>
</TR>
<TR>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Kupfer, roh</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 335</TD>
<TD WIDTH="4%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Wollwaren</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 271</TD>
</TR>
<TR>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Rindsh&auml;ute</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 322</TD>
<TD WIDTH="4%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Papier u. Papierwaren</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 263</TD>
</TR>
<TR>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Eisenerze</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 227</TD>
<TD WIDTH="4%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Felle zu Pelzwerk</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 225</TD>
</TR>
<TR>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Steinkohlen</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 204</TD>
<TD WIDTH="4%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Eisen in St&auml;ben</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 205</TD>
</TR>
<TR>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Eier</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 194</TD>
<TD WIDTH="4%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Seidenwaren</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 202</TD>
</TR>
<TR>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Felle zu Pelzwerk</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 188</TD>
<TD WIDTH="4%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Koks</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 147</TD>
</TR>
<TR>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Chilesalpeter</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 172</TD>
<TD WIDTH="4%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Anilin und andere </TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="BOTTOM">&nbsp;</TD>
</TR>
<TR>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Rohseide</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 158</TD>
<TD WIDTH="4%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Teerfabrikate</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 142</TD>
</TR>
<TR>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Kautschuk</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 147</TD>
<TD WIDTH="4%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Kleider</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 132</TD>
</TR>
<TR>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Nadelholz, ges&auml;gt</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 135</TD>
<TD WIDTH="4%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Kupferwaren</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 130</TD>
</TR>
<TR>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Baumwollgarn</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 116</TD>
<TD WIDTH="4%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Oberleder</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 114</TD>
</TR>
<TR>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Wollgarn</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 108</TD>
<TD WIDTH="4%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Lederwaren</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 114</TD>
</TR>
<TR>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Nadelholz, roh</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r &nbsp;&nbsp;97</TD>
<TD WIDTH="4%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Spielzeug</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 103</TD>
</TR>
<TR>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Kalbfelle</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r &nbsp;&nbsp;95</TD>
<TD WIDTH="4%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Eisenblech</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r 102</TD>
</TR>
<TR>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Jute</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r &nbsp;&nbsp;94</TD>
<TD WIDTH="4%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Wollgarn</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r &nbsp;&nbsp;91</TD>
</TR>
<TR>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Maschinen aller Art</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r &nbsp;&nbsp;80</TD>
<TD WIDTH="4%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Eiserne R&ouml;hren</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r &nbsp;&nbsp;84</TD>
</TR>
<TR>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Lamm-, Schaf- und</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="4%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Rindsh&auml;ute</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r &nbsp;&nbsp;81</TD>
</TR>
<TR>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Ziegenfelle</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r &nbsp;&nbsp;73</TD>
<TD WIDTH="4%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Eisendraht</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r &nbsp;&nbsp;76</TD>
</TR>
<TR>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Baumwollwaren</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r &nbsp;&nbsp;72</TD>
<TD WIDTH="4%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Eisenbahnschienen etc.</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r &nbsp;&nbsp;73</TD>
</TR>
<TR>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Braunkohlen</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r &nbsp;&nbsp;69</TD>
<TD WIDTH="4%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Roheisen</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r &nbsp;&nbsp;65</TD>
</TR>
<TR>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Wolle, gek&auml;mmt</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r &nbsp;&nbsp;61</TD>
<TD WIDTH="4%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Baumwollgarn</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r &nbsp;&nbsp;61</TD>
</TR>
<TR>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Wollwaren</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r &nbsp;&nbsp;43</TD>
<TD WIDTH="4%" VALIGN="TOP">&nbsp;</TD>
<TD WIDTH="35%" VALIGN="TOP">Kautschukwaren</TD>
<TD WIDTH="13%" VALIGN="TOP"><P ALIGN="RIGHT">f&uuml;r &nbsp;&nbsp;57</TD>
</TR>
</TABLE>
</CENTER></P>
<P>Zwei Tatsachen springen hier auch dem oberfl&auml;chlichsten Beobachter sofort in die Augen. Die erste ist, da&szlig; ein und dieselbe Warengattung mehrfach in <I>beiden </I>Rubriken, wenn auch mit verschiedenen Betr&auml;gen, figuriert. Deutschland setzt f&uuml;r enorme Summen Maschinen im Auslande ab, es bezieht aber gleichzeitig f&uuml;r die ansehnliche Summe von 80 Millionen Mark im Jahre Maschinen aus dem Auslande. Ebenso werden Steinkohlen aus Deutschland ausgef&uuml;hrt und zugleich ausl&auml;ndische Steinkohlen nach Deutschland eingef&uuml;hrt, Dasselbe bezieht sich auf Baumwollwaren, Woll- <A NAME="S546"><B>|546|</A></B> garne und Wollwaren, dasselbe auf Rindsh&auml;ute und Pelzfelle und noch auf viele andere Waren, die nicht in der Tabelle aufgez&auml;hlt sind. Vom Standpunkte des kahlen Gegensatzes zwischen Industrie und Landwirtschaft, der unserem Professor der National&ouml;konomie wie Aladins Zauberlampe alle Geheimnisse des modernen Welthandels beleuchten hilft, ist diese merkw&uuml;rdige Duplizit&auml;t ganz unbegreiflich, ja sie wirkt wie eine vollendete Absurdit&auml;t. Wie denn nun? Hat Deutschland an Maschinen einen "&Uuml;berschu&szlig; &uuml;ber den eigenen Bedarf" oder hat es darin umgekehrt "gewisse L&uuml;cken"? Und an Steinkohle und an Baumwollwaren? Und an Rindsh&auml;uten? Und an hundert anderen Dingen! Oder wie sollte eine "Volkswirtschaft" gleichzeitig und an denselben Produkten st&auml;ndig etwaigen "&Uuml;berschu&szlig;" und "gewisse L&uuml;cken" aufweisen k&ouml;nnen? Aladins Lampe flackert unsicher. Offenbar ist die beobachtete Tatsache nur zu erkl&auml;ren, wenn wir annehmen, da&szlig; zwischen Deutschland und den anderen L&auml;ndern kompliziertere, tiefgreifende wirtschaftliche Zusammenh&auml;nge bestehen, eine weitverzweigte, ins einzelne gehende Arbeitsteilung, die gewisse Sorten derselben Produkte in Deutschland f&uuml;r das Ausland, andere Sorten im Auslande f&uuml;r Deutschland herstellen l&auml;&szlig;t, ein t&auml;gliches Hin&uuml;ber und Her&uuml;ber schafft und einzelne L&auml;nder nur als organische Teile eines gr&ouml;&szlig;eren Ganzen erscheinen l&auml;&szlig;t.</P>
<P>Jedermann mu&szlig; ferner schon beim ersten Blick auf die Tabelle von der Tatsache frappiert sein, da&szlig; Einfuhr und Ausfuhr hier nicht als zwei getrennte, etwa hier durch "L&uuml;cken" der eigenen Wirtschaft, dort durch ihre "&Uuml;bersch&uuml;sse" erkl&auml;rliche Erscheinungen auftreten, da&szlig; sie vielmehr miteinander urs&auml;chlich verkettet sind. Die enorme Baumwolleinfuhr Deutschlands ist ganz augenscheinlich nicht durch den eigenen Bedarf der Bev&ouml;lkerung bemessen, vielmehr soll sie von vornherein die gro&szlig;e Ausfuhr von Baumwollstoffen und Kleidern aus Deutschland erm&ouml;glichen. Ebenso der Zusammenhang zwischen der Einfuhr von Wolle und der Ausfuhr von Wollwaren, desgleichen zwischen der enormen Einfuhr fremder Erze und der enormen Ausfuhr von Eisenwaren in jeglicher Gestalt, und so auf Schritt und Tritt. Deutschland f&uuml;hrt also ein, um ausf&uuml;hren zu k&ouml;nnen. Es schafft sich k&uuml;nstlich "gewisse L&uuml;cken", um diese L&uuml;cken hintennach in ebenso viele "&Uuml;bersch&uuml;sse" zu verwandeln. Der deutsche "Mikrokosmos" erscheint so von vornherein in allen seinen Ma&szlig;st&auml;ben als ein Splitter eines gr&ouml;&szlig;eren Ganzen, als eine Werkstatt der Welt.</P>
<P>Doch schauen wir uns diesen "Mikrokosmos" in seiner "immer vollkommeneren" Selbstherrlichkeit einmal genauer an. Denken wir uns, da&szlig; durch irgendeine soziale und politische Katastrophe die deutsche "Volks- <A NAME="S547"><B>|547|</A></B> wirtschaft" wirklich von der &uuml;brigen Welt abgeschnitten, auf sich gestellt w&auml;re. Welches Bild b&ouml;te sich da unseren Augen?</P>
<P>Fangen wir mit dem t&auml;glichen Brot an. Der deutsche Ackerbau weist eine doppelt so gro&szlig;e Ertragsf&auml;higkeit auf als in den Vereinigten Staaten; er nimmt in bezug auf seine Qualit&auml;t unter den Agrarstaaten der Welt die erste Stelle ein und steht nur dem noch intensiveren Ackerbau Belgiens, Irlands und der Niederlande nach. Vor 50 Jahren geh&ouml;rte Deutschland mit seiner damals noch viel r&uuml;ckst&auml;ndigeren Landwirtschaft zu den Kornkammern Europas, es ern&auml;hrte andere L&auml;nder mit dem &Uuml;berschu&szlig; an eigenem Brot. Heute reicht der deutsche Ackerbau trotz seiner Ertragsf&auml;higkeit nicht entfernt hin, das eigene Volk und den eigenen Viehstand zu ern&auml;hren: Ein Sechstel der Nahrungsmittel mu&szlig; vom Auslande bezogen werden. Das hei&szlig;t mit anderen Worten: Sperren Sie die deutsche "Volkswirtschaft" von der Welt ab, und ein Sechstel der Bev&ouml;lkerung, &uuml;ber 11 Millionen Deutsche, sind ihrer Lebensmittel beraubt!</P>
<P>Das deutsche Volk verzehrt j&auml;hrlich f&uuml;r 220 Millionen Mark Kaffee, f&uuml;r 67 Millionen Kakao, f&uuml;r 8 Millionen Tee, f&uuml;r 61 Millionen Reis; es verbraucht f&uuml;r etwa ein Dutzend Millionen verschiedene Gew&uuml;rze und f&uuml;r 134 Millionen Mark fremde Tabakbl&auml;tter. Alle diese Erzeugnisse, ohne die der &Auml;rmste heute sein Leben nicht fristen kann, die zu den t&auml;glichen Gewohnheiten, zu unserer Lebenshaltung geh&ouml;ren, werden in Deutschland gar nicht (oder, wie beim Tabakbau, nur in geringen Mengen) erzeugt, weil das deutsche Klima hierf&uuml;r ungeeignet ist. Schlie&szlig;en Sie Deutschland dauernd von der Welt ab, und die Lebenshaltung des deutschen Volkes, die seiner heutigen Kultur entspricht, bricht zusammen.</P>
<P>Nach der Ern&auml;hrung kommt die Kleidung in Betracht. Die Leibw&auml;sche sowie die gesamte Kleidung der breiten Volksmassen sind heute fast ausschlie&szlig;lich aus Baumwolle, die W&auml;sche des reicheren B&uuml;rgertums aus Leinwand, die Kleider aus feiner Wolle und Seide. Baumwolle und Seide werden in Deutschland gar nicht erzeugt, ebensowenig der hochwichtige Textilstoff Jute, ebensowenig die feinste Wolle, deren Monopol in der ganzen Welt England innehat; an Hanf und Flachs hat Deutschland ein gro&szlig;es Defizit. Sperren Sie Deutschland dauernd von der Welt ab, entziehen Sie ihm die Rohstoffe und den Absatz im Auslande, und das deutsche Volk in allen seinen Schichten ist seiner notwendigsten Kleidung beraubt, die <I>deutsche Textilindustrie</I>, die heute zusammen mit der Bekleidungsindustrie 1.400.000 erwachsene und jugendliche Arbeiter und Arbeiterinnen ern&auml;hrt, ist ruiniert.</P>
<P>Gehen wir weiter. Das R&uuml;ckgrat der heutigen Gro&szlig;industrie ist die so- <A NAME="S548"><B>|548|</A></B> genannte schwere Industrie: die <I>Maschinenproduktion </I>und die <I>Metallbearbeitung</I>; das R&uuml;ckgrat dieser sind aber Metallerze. Deutschland verbraucht (1913) j&auml;hrlich etwa 17 Millionen Tonnen Roheisen. Seine eigene Gewinnung an Roheisen betr&auml;gt gleichfalls 17 Millionen Tonnen. Auf den ersten Blick k&ouml;nnte man meinen, die deutsche "Volkswirtschaft" decke so ziemlich ihren Bedarf an Eisen selbst. Zur Gewinnung von Roheisen geh&ouml;ren aber Eisenerze, und da finden wir, da&szlig; die eigene F&ouml;rderung Deutschlands nur etwa 27 Millionen Tonnen zum Werte von &uuml;ber 110 Millionen Mark betr&auml;gt, w&auml;hrend 12 Millionen Tonnen h&ouml;herwertige Eisenerze f&uuml;r mehr als 200 Millionen Mark, Erze, ohne die die deutsche Metallindustrie gar nicht auskommen k&ouml;nnte, aus Schweden, Frankreich und Spanien bezogen werden.</P>
<P>Ungef&auml;hr dasselbe Bild sehen wir in bezug auf die anderen Metalle. Bei einem Jahresverbrauch von 220.000 Tonnen Zink hat Deutschland eine Eigengewinnung von 270.000 Tonnen, von denen 100.000 Tonnen ausgef&uuml;hrt werden, w&auml;hrend mehr als 50.000 Tonnen fremden Metalls den deutschen Bedarf mit decken m&uuml;ssen. Die ben&ouml;tigten Zinkerze werden wiederum nur zum Teil in Deutschland gef&ouml;rdert: n&auml;mlich etwa eine halbe Million Tonnen im Werte von 50 Millionen Mark. 300.000 Tonnen h&ouml;herwertige Erze f&uuml;r 40 Millionen Mark m&uuml;ssen vom Auslande bezogen werden. An Blei f&uuml;hrt Deutschland 94.000 Tonnen fertigen Metalls und 123.000 Tonnen Erze ein. Endlich was das Kupfer betrifft, so ist die deutsche Produktion bei einem Jahresverbrauch von 241.000 Tonnen mit ganzen 206.000 Tonnen auf die Einfuhr <A NAME="ZF8"><A HREF="lu05_535.htm#F8">[8]</A></A> vom Auslande angewiesen. Vollends wird Zinn ganz von ausw&auml;rts bezogen. - Sperren Sie Deutschland dauernd von der Welt ab, und mit dieser Zufuhr der wertvollsten Metalle sowie mit dem enormen Absatz der deutschen Eisenerzeugnisse und deutscher Maschinen im Auslande schwindet die Existenzbasis der deutschen Metallbearbeitung, die 662.000 Arbeiter besch&auml;ftigt, und der Maschinenindustrie, bei der 1.130.000 Arbeiter und Arbeiterinnen ihr Brot finden. Mit der Metall und Maschinenindustrie m&uuml;&szlig;te aber eine ganze Reihe anderer Gewerbezweige, die von jenen Rohstoffe und Werkzeuge beziehen, wie auch solcher, die ihnen Roh- und Hilfsstoffe liefern, namentlich also der Kohlenbergbau, wie endlich auch solcher, die f&uuml;r die gewaltigen Arbeiterarmeen dieser Industriezweige Lebensmittel produzieren, zusammenbrechen.</P>
<P>Erw&auml;hnen wir nur noch die <I>chemische Industrie </I>mit ihren 168.000 Arbeitern, die f&uuml;r die ganze Welt produziert. Erw&auml;hnen wir die <I>Holzindu</I>- <A NAME="S549"><B>|549|</A></B> <I>strie</I>, die heute 450.000 Arbeiter besch&auml;ftigt, die aber ohne ausl&auml;ndisches Bau- und Nutzholz zum gr&ouml;&szlig;ten Teil ihren Betrieb schlie&szlig;en m&uuml;&szlig;te. Erw&auml;hnen wir die <I>Lederindustrie, </I>die ohne ausl&auml;ndische H&auml;ute wie auch ohne den gro&szlig;en Absatz im Auslande mit ihren 117.000 Arbeitern auf dem Pflaster liegen w&uuml;rde. Erw&auml;hnen wir die Edelmetalle Gold und Silber, die das <I>Geldmaterial </I>und als solches die unentbehrliche Basis des ganzen heutigen Wirtschaftslebens bilden, die aber in Deutschland so gut wie gar nicht produziert werden. Stellen wir uns das alles lebendig vor, und fragen wir dann: Was ist die deutsche "Volkswirtschaft"? Das hei&szlig;t, vorausgesetzt, da&szlig; Deutschland wirklich und dauernd von der &uuml;brigen Welt abgeschnitten w&auml;re und seine Wirtschaft ganz allein f&uuml;hren m&uuml;&szlig;te, was w&uuml;rde aus dem heutigen Wirtschaftsleben und somit aus der ganzen heutigen Kultur Deutschlands werden? Ein Produktionszweig w&uuml;rde nach dem anderen zusammenbrechen, einer den anderen in den Abgrund ziehen, eine enorme Proletariermasse ohne Besch&auml;ftigung, die ganze Bev&ouml;lkerung beraubt der notwendigsten Nahrungs- und Genu&szlig;mittel und der Kleidung, der Handel beraubt seiner Basis, des Edelmetallgeldes, die ganze "Volkswirtschaft" - ein Haufen von Tr&uuml;mmern, ein zerschmettertes Wrack! ...<A NAME="ZF9"><A HREF="lu05_535.htm#F9">[9]</A></A></P>
<P>So sehen die "gewissen L&uuml;cken" im deutschen Wirtschaftsleben aus und so der "immer vollkommenere Mikrokosmos", der sich selbstgef&auml;llig im blauen &Auml;ther der professoralen Theorie wiegt,</P>
<P>Doch halt! Und der Weltkrieg von 1914, die gro&szlig;e Probe aufs Exempel der "Volkswirtschaft"? Hat er nicht die B&uuml;cher und Sombart aufs gl&auml;nzendste gerechtfertigt? Hat er nicht der neidischen Welt gezeigt, wie vortrefflich der deutsche "Mikrokosmos" dank der strammen staatlichen Organisation und der Leistungsf&auml;higkeit der deutschen Technik auch in hermetischer Abschlie&szlig;ung vom Weltverkehr existenzf&auml;hig, gesund und kr&auml;ftig ist? Hat nicht die Ern&auml;hrung des Volkes ohne fremde Landwirtschaft vollauf ausgereicht, und ist nicht das R&auml;derwerk der Industrie ohne Zufuhr aus dem Auslande, ohne Absatz dorthin munter in Bewegung geblieben?</P>
<P>Sehen wir uns die Tatsachen an.</P>
<P>Zun&auml;chst die Ern&auml;hrung. Sie war nicht entfernt von der deutschen Landwirtschaft allein bestritten. Mehrere Millionen erwachsener m&auml;nnlicher Bev&ouml;lkerung, zur Armee geh&ouml;rig, wurden fast w&auml;hrend der ganzen Dauer des Krieges von fremden L&auml;ndern erhalten: von Belgien, Nordfrankreich und zum Teil von Polen und Litauen. Zur Ern&auml;hrung des deut- <A NAME="S550"><B>|550|</A></B> schen Volkes wurde also die Fl&auml;che der eigenen "Volkswirtschaft" um das ganze Areal der okkupierten Landstriche Belgiens und Nordfrankreichs, im zweiten Kriegsjahre um den westlichen Teil des russischen Reiches vergr&ouml;&szlig;ert, die mit ihren landwirtschaftlichen Erzeugnissen in hohem Ma&szlig;e den Ausfall in der deutschen Zufuhr decken mu&szlig;ten. Das erg&auml;nzende Gegenst&uuml;ck dazu bildete das grauenhafte Defizit in der Ern&auml;hrung der einheimischen Bev&ouml;lkerung jener fremden Landstriche, die ihrerseits - wie zum Beispiel in Belgien - auf dem Wege der Wohlt&auml;tigkeit von Produkten der amerikanischen Landwirtschaft erhalten wurde. Die zweite Erg&auml;nzung bildete in Deutschland die Verteuerung s&auml;mtlicher Lebensmittel um 100 bis 200 Prozent und die erschreckende Unterern&auml;hrung breitester Schichten der einheimischen Bev&ouml;lkerung,</P>
<P>Ferner das industrielle R&auml;derwerk. Wie konnte dieses im Betrieb erhalten werden ohne die Zufuhr fremder Rohstoffe und anderer Produktionsmittel, deren ungeheuere Wichtigkeit wir kennengelernt haben? Wie konnte ein solches Wunder geschehen? Das R&auml;tsel l&ouml;st sich auf die einfachste Weise und ohne jedes Wunder. Die deutsche Industrie konnte in T&auml;tigkeit bleiben einzig und allein deshalb, weil sie eben mit den unentbehrlichen ausl&auml;ndischen Rohstoffen fortlaufend gespeist wurde, und zwar bezog sie diese auf dreifachem Wege: erstens aus gro&szlig;en Vorr&auml;ten, die Deutschland an Baumwolle, an Wolle, an Kupfer etc. in verschiedenster Gestalt bereits im Lande besa&szlig; und nur aus ihren Schlupfwinkeln hervorzulocken und fl&uuml;ssig zu machen brauchte; zweitens aus den Vorr&auml;ten, die es wiederum in fremden L&auml;ndern: Belgien, Nordfrankreich, zum Teil Polen und Litauen, kraft milit&auml;rischer Okkupation mit Beschlag belegte und f&uuml;r die eigene Industrie nutzbar machte; drittens endlich aus der fortlaufenden Zufuhr vom Auslande, die durch die Vermittlung neutraler L&auml;nder (und aus Luxemburg) auch im Laufe des ganzen Krieges nicht aufgeh&ouml;rt hatte. F&uuml;gt man hinzu, da&szlig; die unentbehrliche Voraussetzung dieser ganzen "Kriegswirtschaft" und ihres glatten Fortganges auch noch ein enormer Vorrat ausl&auml;ndischen Edelmetalls war, das in den deutschen Banken aufgeschatzt lag, so erweist sich, da&szlig; die hermetische Abschlie&szlig;ung der deutschen Industrie und des Handels von der Au&szlig;enwelt eine ebensolche Legende war wie die ausreichende Ern&auml;hrung der deutschen Bev&ouml;lkerung durch die einheimische Landwirtschaft und da&szlig; die angebliche Selbstherrlichkeit des deutschen "Mikrokosmos" im Weltkriege somit auf zwei Ammenm&auml;rchen beruhte.</P>
<P>Endlich der Absatz der deutschen Industrie, den wir in so hohem Ma&szlig;e in allen Weltgegenden festgestellt haben. Er wurde w&auml;hrend der Kriegs- <A NAME="S551"><B>|551|</A></B> dauer durch den eigenen Kriegsbedarf des Staates ersetzt. Mit anderen Worten hatten die wichtigsten Industriezweige: Metall, Textil, Leder, chemische Industrie, eine Ummodelung erfahren und wurden in ausschlie&szlig;liche Lieferungsindustrien f&uuml;r die Armee verwandelt. Da die Kosten des Krieges von den deutschen Steuerzahlern gedeckt werden, so bedeutete diese Umwandlung der Industrie in Kriegsindustrie, da&szlig; die deutsche "Volkswirtschaft", statt einen gro&szlig;en Teil ihrer Produkte ins Ausland zum Austausch zu schicken, ihn der fortlaufenden Vernichtung im Kriege preisgab, mit dem so entstehenden Verlust aber vermittelst des &ouml;ffentlichen Kreditsystems die zuk&uuml;nftigen Ergebnisse der Wirtschaft auf Jahrzehnte hinaus belastete.</P>
<P>Nimmt man alles zusammen, dann ist es klar, da&szlig; das wunderbare Gedeihen des "Mikrokosmos" im Kriege nach jeder Richtung ein Experiment darstellte, von dem es nur eine Frage war, wie lange es hingezogen werden kann, ohne da&szlig; das k&uuml;nstliche Geb&auml;ude wie ein Kartenhaus zusammenst&uuml;rzt.</P>
<P>Jetzt noch einen Blick auf eine merkw&uuml;rdige Erscheinung. Wenn wir den ausw&auml;rtigen Handel Deutschlands in seinen Gesamtzahlen betrachten, so f&auml;llt es auf, da&szlig; seine Einfuhr bedeutend gr&ouml;&szlig;er ist als die Ausfuhr: die erstere betrug 1913 11,6, die letztere 10,9 Milliarden. Und dieses Verh&auml;ltnis ist nicht etwa eine Ausnahme des genannten Jahres, sondern seit einer l&auml;ngeren Reihe von Jahren zu konstatieren. Dasselbe bei Gro&szlig;britannien, das 1913 im Gesamteigenhandel f&uuml;r 13 Milliarden Mark ein- und f&uuml;r 10 Milliarden Mark ausf&uuml;hrte. &Auml;hnlich liegen die Dinge in Frankreich, in Belgien, in den Niederlanden. Wie ist eine derartige Erscheinung m&ouml;glich? Will Professor B&uuml;cher uns nicht mit seiner Theorie des "&Uuml;berschusses &uuml;ber den eigenen Bedarf" und der "gewissen L&uuml;cken" erleuchten?</P>
<P>Wenn die wirtschaftlichen Beziehungen der verschiedenen "Volkswirtschaften" zueinander sich darin ersch&ouml;pfen, da&szlig;, wie der Professor uns belehrt, die einzelnen "Volkswirtschaften" einander, wie schon zu Zeiten Nebukadnezars, ihre jeweiligen "&Uuml;bersch&uuml;sse" zuwerfen, das hei&szlig;t, wenn der einfache Warenaustausch die einzige Br&uuml;cke &uuml;ber den blauen Luftraum ist, der einen dieser "Mikrokosmen" von dem anderen trennt, dann ist es klar, da&szlig; ein Land just so viel an fremden Waren einf&uuml;hren kann, wie es an eigenen ausf&uuml;hrt. Ist doch das Geld bei einfachem Warenaustausch blo&szlig;er Vermittler, und wird die fremde Ware letzten Endes mit der eigenen Ware bezahlt. Wie kann eine "Volkswirtschaft" also das Kunstst&uuml;ck fertigbringen, dauernd mehr aus der Fremde einzuf&uuml;hren, als <A NAME="S552"><B>|552|</A></B> sie an eigenem "&Uuml;berschu&szlig;" ausf&uuml;hrt? Vielleicht wird uns der Professor sp&ouml;ttisch zurufen: Aber die L&ouml;sung ist die einfachste von der Welt: Das einf&uuml;hrende Land braucht den &Uuml;berschu&szlig; seiner Einfuhr &uuml;ber seine Ausfuhr blo&szlig; mit barem Gelde zu begleichen. Allein, mit Verlaub! Einen solchen Luxus, jahrein, jahraus in den Abgrund seines ausw&auml;rtigen Handels eine betr&auml;chtliche Summe baren Geldes auf Nimmerwiedersehen zu schmei&szlig;en, k&ouml;nnte sich h&ouml;chstens ein Land mit reichen eigenen Gold und Silbergruben leisten, was weder auf Deutschland noch auf Frankreich, weder auf Belgien noch auf die Niederlande zutrifft. Au&szlig;erdem sehen wir - o Wunder! - die folgende &Uuml;berraschung: Deutschland f&uuml;hrt nicht blo&szlig; st&auml;ndig mehr Waren, sondern auch mehr Geld ein als aus! So betrug im Jahre 1913 die deutsche Einfuhr an Gold und Silber 441,3 Millionen Mark, die Ausfuhr 102,8 Millionen Mark, und ungef&auml;hr dasselbe Verh&auml;ltnis schon seit Jahren. Was sagt Professor B&uuml;cher mit seinen "&Uuml;bersch&uuml;ssen" und seinen "L&uuml;cken" zu diesem R&auml;tsel? Die Zauberlampe flackerte tr&uuml;bselig. In der Tat. Wir fangen an zu ahnen, da&szlig; hinter dem r&auml;tselhaften Zeichen des Welthandels wohl noch ganz andersgeartete &ouml;konomische Verh&auml;ltnisse zwischen den einzelnen "Volkswirtschaften" bestehen m&uuml;ssen als einfacher Warenaustausch; st&auml;ndig von anderen L&auml;ndern mehr an Produkten kriegen, als man ihnen von Eigenem abgibt, k&ouml;nnte offenbar nur ein Land, das etwa &ouml;konomische Forderungsrechte an jene anderen h&auml;tte. Rechte, die vom Austausch zwischen Gleichen durchaus verschieden sind. Und solche Forderungsrechte und Abh&auml;ngigkeitsverh&auml;ltnisse zwischen den L&auml;ndern bestehen in der Tat auf Schritt und Tritt, obwohl professorale Theorien nichts von ihnen wissen. Ein solches Abh&auml;ngigkeitsverh&auml;ltnis, und zwar in einfachster Form, ist das eines sogenannten Mutterlandes zu seiner Kolonie. Gro&szlig;britannien zieht aus seiner gr&ouml;&szlig;ten Kolonie, Britisch-Indien, j&auml;hrlich &uuml;ber 1 Milliarde Mark Tribut in verschiedener Form. Und wir sehen dementsprechend, da&szlig; die Warenausfuhr Indiens nur 1,2 Milliarden Mark j&auml;hrlich seine Einfuhr &uuml;bertrifft. Dieser "&Uuml;berschu&szlig;" ist nichts anderes als der &ouml;konomische Ausdruck der kolonialen Ausbeutung Indiens durch den englischen Kapitalismus - ob wir uns die Waren als direkt f&uuml;r Gro&szlig;britannien bestimmt denken oder ob Indien an alle m&ouml;glichen Staaten jedes Jahr f&uuml;r 1,2 Milliarden Mark Waren speziell zu dem Zwecke verkaufen mu&szlig;, um den Tribut an seine englischen Ausbeuter zu entrichten.<A NAME="ZF10"><A HREF="lu05_535.htm#F10">[10]</A></A> Aber es gibt noch andere <A NAME="S553"><B>|553|</A></B> wirtschaftliche Abh&auml;ngigkeitsverh&auml;ltnisse, die nicht durch politische Gewaltherrschaft begr&uuml;ndet sind. Ru&szlig;land f&uuml;hrt j&auml;hrlich um 1 Milliarde Mark mehr Waren aus als ein. Ist es etwa der gro&szlig;e "&Uuml;berflu&szlig;" an Bodenprodukten &uuml;ber die Bed&uuml;rfnisse der eigenen "Volkswirtschaft", was diesen gewaltigen Warenstrom j&auml;hrlich aus dem russischen Reich wegdr&auml;niert? Aber der russische Muschik, dessen Korn in dieser Weise aus dem Lande gef&uuml;hrt wird, krankt bekanntlich an Skorbut vor Unterern&auml;hrung und verzehrt h&auml;ufig Brot mit reichlicher Zutat an Baumrinde! Die massenhafte Ausfuhr seiner Brotfrucht ist eben unter Vermittlung eines zweckentsprechenden Finanz- und Steuersystems im Innern eine blanke Lebensnotwendigkeit f&uuml;r den russischen Staat, um dessen Verpflichtungen aus ausw&auml;rtigen Anleihen nachzukommen. Ru&szlig;lands staatlicher Apparat wird seit dem famosen Zusammenbruch im Krimkriege und seit seiner Modernisierung durch Reformen Alexanders II. in hohem Ma&szlig;e durch geliehenes Kapital aus Westeuropa, in der Hauptsache aus Frankreich, bestritten. Um auf die franz&ouml;sischen Anleihen Zinsen zahlen zu k&ouml;nnen, mu&szlig; Ru&szlig;land j&auml;hrlich Massen von Weizen, Holz, Flachs, Hanf, Rindern und Gefl&uuml;gel an England, Deutschland, die Niederlande verkaufen. Der enorme &Uuml;berschu&szlig; der russischen Ausfuhr repr&auml;sentiert somit den Tribut des Schuldners an den Gl&auml;ubiger, ein Verh&auml;ltnis, dem auf seiten Frankreichs ein gro&szlig;er &Uuml;berschu&szlig; an Einfuhr entspricht, der nichts anderes als die vom Leihkapital eingeheimsten Zinsen darstellt. Aber in Ru&szlig;land selbst zieht sich die Kette der &ouml;konomischen Zusammenh&auml;nge weiter. Das geliehene franz&ouml;sische Kapital dient seit Jahrzehnten in der Hauptsache zu zwei Zwecken: Eisenbahnbau mit Staatsgarantien und Milit&auml;rr&uuml;stungen. Zur Bedienung beider ist in Ru&szlig;land seit den siebziger Jahren - unter dem Schutze des Hochschutzzollsystems - eine starke Gro&szlig;industrie entstanden. Das Leihkapital aus dem alten kapitalistischen Lande Frankreich hat in Ru&szlig;land einen jungen Kapitalismus gro&szlig;gezogen, der aber seinerseits nachhaltig der Unterst&uuml;tzung und Erg&auml;nzung durch eine bedeutende Einfuhr an Maschinen und anderen Produktionsmitteln aus technisch f&uuml;hrenden Industriel&auml;ndern, England und Deutschland, bedarf. So schlingt sich zwischen Ru&szlig;land, Frankreich, Deutschland, England ein Band &ouml;konomischer Zusammenh&auml;nge, von denen der Warenaustausch nur das letzte knappe Wort ist.</P>
<P>Doch ist die Mannigfaltigkeit der Zusammenh&auml;nge damit noch nicht ersch&ouml;pft. Ein Land wie die T&uuml;rkei oder China gibt dem professoralen <A NAME="S554"><B>|554|</A></B> Schema ein neues R&auml;tsel auf: Es hat, umgekehrt wie Ru&szlig;land und &auml;hnlich wie Deutschland und Frankreich, eine stark &uuml;berwiegende Einfuhr, die in manchem Jahr nahezu das Doppelte der Ausfuhr betr&auml;gt. Wie k&ouml;nnen sich die T&uuml;rkei oder China den Luxus einer so reichlichen Ausf&uuml;llung eigener "L&uuml;cken" in der "Volkswirtschaft" leisten, da diese ihre Volkswirtschaften nicht entfernt entsprechende "&Uuml;bersch&uuml;sse" abzugeben imstande sind? Wird dem Halbmond und dem Reiche des Zopfes etwa jahrein, jahraus von den europ&auml;ischen Westm&auml;chten in christlicher Liebe ein Geschenk von mehreren 100 Millionen Mark in Gestalt von allerlei n&uuml;tzlichen Waren gemacht? Aber jedes Kind wei&szlig;, da&szlig; sowohl die T&uuml;rkei wie China vielmehr &uuml;ber die Ohren in den Krallen des europ&auml;ischen Wuchers stecken und den englischen, deutschen, franz&ouml;sischen Bankh&auml;usern enorme Tribute an Zinsen zahlen m&uuml;ssen. Nach dem russischen Beispiel m&uuml;&szlig;te sowohl die T&uuml;rkei wie China also umgekehrt einen &Uuml;berschu&szlig; an Ausfuhr von eigenen Landesprodukten aufweisen, um an ihre westeurop&auml;ischen Wohlt&auml;ter Zinsen zahlen zu k&ouml;nnen. Allein in der T&uuml;rkei wie in China ist die sogenannte "Volkswirtschaft" grundverschieden von der russischen. Die ausw&auml;rtigen Anleihen werden zwar gleichfalls in der Hauptsache zu Eisenbahnbauten, Hafenanlagen sowie zu Milit&auml;rr&uuml;stungen verwendet. Aber die T&uuml;rkei besitzt bis jetzt so gut wie gar keine eigene Industrie und kann sie aus dem Boden einer mittelalterlichen b&auml;uerlichen Naturalwirtschaft mit ihrem primitiven Feldbau und ihrem Zehnten nicht pl&ouml;tzlich stampfen. Ungef&auml;hr dasselbe in abweichenden Formen ist in China der Fall. Darum m&uuml;ssen nicht nur der gesamte Bedarf der Bev&ouml;lkerung an Industrieerzeugnissen, sondern auch alle f&uuml;r die Verkehrskonstruktionen wie f&uuml;r die Ausr&uuml;stung von Heer und Flotte notwendigen Hilfsmittel fertig aus Westeuropa bezogen und von europ&auml;ischen Unternehmern, Technikern, Ingenieuren an Ort und Stelle in Ausf&uuml;hrung genommen werden. Ja die Anleihen sind h&auml;ufig im voraus an solche Lieferungen gekn&uuml;pft. China kriegt zum Beispiel von dem deutschen und &ouml;sterreichischen Bankkapital eine Anleihe nur unter der Bedingung, da&szlig; es gleich bei den Skoda-Werken und bei Krupp f&uuml;r eine bestimmte Summe R&uuml;stungen bestellt; andere Anleihen werden von vornherein an Konzessionen zur Ausf&uuml;hrung von Eisenbahnen gekn&uuml;pft. So wandert das europ&auml;ische Kapital nach der T&uuml;rkei, nach China meist gleich schon als Waren (Milit&auml;rr&uuml;stungen) oder als Industriekapital in natura in Gestalt von Maschinen, Eisen usw. Diese letzteren Waren flie&szlig;en hin nicht zum Austausch, sondern zur Profiterzeugung. Die Zinsen auf dieses Kapital nebst &uuml;brigen Profiten werden von den europ&auml;ischen Kapitalisten im Lande <A NAME="S555"><B>|555|</A></B> selbst aus dem t&uuml;rkischen Bauern resp. aus dem chinesischen Bauern mit Hilfe eines entsprechenden Steuersystems unter europ&auml;ischer Finanzkontrolle herausgeschunden. Hinter den knappen Zahlen der &uuml;berwiegenden t&uuml;rkischen oder chinesischen Einfuhr und der entsprechenden europ&auml;ischen Ausfuhr lauert so das eigenartige Verh&auml;ltnis zwischen dem reichen gro&szlig;kapitalistischen Westen und dem von ihm ausgesogenen armen und zur&uuml;ckgebliebenen Orient, der von jenem mit den modernsten und gro&szlig;artigsten Verkehrsanlagen und Milit&auml;reinrichtungen versehen wird - und zugleich mit dem rei&szlig;enden Ruin der alten b&auml;uerlichen "Volkswirtschaft". Noch einen anderen Fall zeigen uns die Vereinigten Staaten. Hier &uuml;bertrifft wiederum, wie in Ru&szlig;land, die Ausfuhr um ein bedeutendes die Einfuhr - die letztere betrug 1913 7,4, die erstere 10,2 Milliarden Mark -; aber die Ursachen dieser Erscheinung sind von den russischen grundverschieden. Freilich verschlingt auch die amerikanische Union enorme Mengen europ&auml;ischen Kapitals. Schon seit Beginn des 19. Jahrhunderts saugt die Londoner B&ouml;rse ganze St&ouml;&szlig;e amerikanischer Anleihepapiere und Anteilscheine auf; die Spekulation in amerikanischen Gr&uuml;ndungen und Papieren zeigte bis in die sechziger Jahre wie ein Fieberthermometer jedesmal den nahen Ausbruch einer gro&szlig;en englischen Industrie und Handelskrise an. Seitdem hat der Zuflu&szlig; englischen Kapitals nach den Vereinigten Staaten nicht aufgeh&ouml;rt. Dieses Kapital wandert nach der Union zum Teil als Leihkapital an die St&auml;dte und Privatgesellschaften, meistens jedoch als Industriekapital: sei es, da&szlig; an der Londoner B&ouml;rse amerikanische Eisenbahn- und Industriepapiere gekauft werden, sei es, da&szlig; englische Industriekartelle in der Union eigene Filialen gr&uuml;nden, um die hohe Zollmauer zu umgehen, oder da&szlig; sie durch Aufkauf der Aktien dortige Unternehmungen an sich bringen, um ihre Konkurrenz auf dem Weltmarkt loszuwerden. Die Vereinigten Staaten besitzen denn auch heute eine hochentwickelte und immer rascher fortschreitende Gro&szlig;industrie, die, w&auml;hrend ihr immerfort aus Europa Geldkapital zuflie&szlig;t, selbst schon in steigendem Ma&szlig;e Industriekapital - Maschinen, Kohle - nach Kanada, Mexiko und anderen zentral- und s&uuml;damerikanischen L&auml;ndern ausf&uuml;hrt. Die Vereinigten Staaten verbinden auf diese Weise eine enorme Ausfuhr an Rohprodukten: Baumwolle, Kupfer, Weizen, Holz, Petroleum, nach den alten kapitalistischen L&auml;ndern mit einer wachsenden industriellen Ausfuhr nach den jungen L&auml;ndern beginnender Industrialisierung. In dem gro&szlig;en Ausfuhr&uuml;berschu&szlig; der amerikanischen Union spiegelt sich so das eigent&uuml;mliche &Uuml;bergangsstadium von einem Kapital empfangenden Agrarland zum Kapital ausf&uuml;hrenden Industrieland, die Rolle eines ver- <A NAME="S556"><B>|556|</A></B> mittelnden Gliedes zwischen dem alten kapitalistischen Europa und dem jungen zur&uuml;ckgebliebenen amerikanischen Kontinent.</P>
<P>&Uuml;berblickt man im ganzen diese gro&szlig;e Auswanderung des Kapitals aus den alten Industriel&auml;ndern nach den jungen und die ihr entsprechende R&uuml;ckwanderung der aus jenem Kapital bezogenen Einkommen, die als Tribut der jungen L&auml;nder j&auml;hrlich an die alten zur&uuml;ckflie&szlig;en, so ergeben sich haupts&auml;chlich drei gewaltige Str&ouml;me. England hatte nach Sch&auml;tzungen aus dem Jahre 1906 schon damals in seinen Kolonien und im Auslande 54 Milliarden Mark angelegt, wovon es ein j&auml;hrliches Einkommen von 2,8 Milliarden Mark als Zinsen bezog. Das Auslandskapital Frankreichs betrug um dieselbe Zeit 32 Milliarden Mark mit einer Jahreseinnahme von mindestens 1,3 Milliarden Mark. Endlich Deutschland hatte vor 10 Jahren bereits 26 Milliarden Mark im Auslande angelegt, die ihm etwa 1,24 Milliarden Mark j&auml;hrlich eintrugen. Seitdem sind diese Anlagen wie Einkommen rapid gewachsen. Die gro&szlig;en Hauptstr&ouml;me verteilen sich aber zum Schlu&szlig; in d&uuml;nnere Nebenfl&uuml;sse. Wie die Vereinigten Staaten den Kapitalismus weiter auf dem amerikanischen Kontinent verbreiten, so &uuml;bertr&auml;gt sogar Ru&szlig;land - selbst noch ganz von franz&ouml;sischem Kapital, von englischer und deutscher Industrie gespeist - bereits Leihkapital wie Industrieerzeugnisse auf seine asiatischen Hinterl&auml;nder: nach China, Persien, Zentralasien; es beteiligt sich am Eisenbahnbau in China usw.</P>
<P>So entdecken wir hinter den trockenen Hieroglyphen des internationalen Handels ein ganzes Netz von wirtschaftlichen Verschlingungen, die mit dem einfachen Warenaustausch, der allein f&uuml;r die Professoralweisheit existiert, nichts zu tun haben.</P>
<P>Wir entdecken, da&szlig; die Unterscheidung des gelehrten Herrn B&uuml;cher nach L&auml;ndern der Industrieproduktion und nach L&auml;ndern der Rohproduktion, auf welches h&ouml;lzerne Ger&uuml;st er den internationalen Austausch spannt, selbst nur ein rohes Produkt der professoralen Schematik ist. Parf&uuml;merie, Baumwollstoffe und Maschinen sind gleicherma&szlig;en Fabrikate. Aber die Ausfuhr der ersten aus Frankreich zeigt nur, da&szlig; Frankreich das Land der Luxusproduktion f&uuml;r die d&uuml;nne Schicht der reichen Bourgeoisie in der ganzen Welt ist; die Ausfuhr von Baumwollstoffen aus Japan beweist, da&szlig; Japan um die Wette mit Westeuropa in ganz Ostasien die hergebrachte b&auml;uerliche und handwerksm&auml;&szlig;ige Produktion untergr&auml;bt und durch den Warenhandel verdr&auml;ngt; die Ausfuhr von Maschinen aus England, Deutschland und den Vereinigten Staaten aber zeigt, da&szlig; diese drei L&auml;nder die Gro&szlig;industrie selbst nach allen Weltgegenden verpflanzen.</P>
<P>Wir entdecken also, da&szlig; heute eine "Ware" ausgef&uuml;hrt und eingef&uuml;hrt <B>|557|</B> wird, die zu K&ouml;nig Nebukadnezars Zeiten und auch in der ganzen antiken und mittelalterlichen Geschichtsperiode unbekannt war: <I>das Kapital</I>. Und diese Ware dient nicht dazu, "gewisse L&uuml;cken" fremder "Volkswirtschaften" auszuf&uuml;llen, sondern umgekehrt dazu, L&uuml;cken zu schaffen, Risse und Spalten im Gem&auml;uer altert&uuml;mlicher "Volkswirtschaften" zu &ouml;ffnen, in sie einzudringen und, wie Sprengpulver wirkend, &uuml;ber kurz oder lang jene "Volkswirtschaften" in Tr&uuml;mmerhaufen zu verwandeln. Mit der "Ware" Kapital werden so noch merkw&uuml;rdigere "Waren" immer massenhafter aus einigen alten L&auml;ndern nach der ganzen Welt getragen; moderne Verkehrsmittel und Ausrottung ganzer eingeborene V&ouml;lkerschaften, Geldwirtschaft und Verschuldung des Bauerntums, Reichtum und Armur, Proletariat und Ausbeutung, Unsicherheit der Existenz und Krisen, Anarchie und Revolutionen. Die europ&auml;ischen "Volkswirtschaften' strecken ihre Polypenarme nach s&auml;mtlichen L&auml;ndern und V&ouml;lkern der Erde aus, um sie in einem gro&szlig;en Netz der kapitalistischen Ausbeutung zu erw&uuml;rgen.</P>
<P><HR></P>
<P>Fu&szlig;noten von Rosa Luxemburg</P>
<P><A NAME="N1">(1)</A> [Karl B&uuml;cher:] Die Entstehung der Volkswirtschaft, [Vortr&auml;ge und Versuche,] 5. Aufl. [T&uuml;bingen 1906], S. 141/142. <A HREF="lu05_535.htm#ZN1">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="N2">(2)</A> W[erner] Sombart: Die deutsche Volkswirtschaft im Neunzehnten Jahrhundert, 2. Aufl., [Berlin] 1909, S. 400-420. <A HREF="lu05_535.htm#ZN2">&lt;=</A></P>
<P><HR></P>
<P>Redaktionelle Anmerkungen</P>
<P><A NAME="F1">[1]</A> Adam Smith: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations. In 2 B&auml;nden, London 1776. <A HREF="lu05_535.htm#ZF1">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F2">[2]</A> Punkte in der Quelle. <A HREF="lu05_535.htm#ZF2">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F3">[3]</A> Die Differenz um 2 bzw. 1 Million Mark bei der Addition der Zahlen ergibt sich daraus, da&szlig; R. L. bei ihrer Aufstellung die Tausender weggelassen, diese aber in der Endsumme ber&uuml;cksichtigt hat. <A HREF="lu05_535.htm#ZF3">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F4">[4]</A> Punkte in der Quelle. <A HREF="lu05_535.htm#ZF4">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F5">[5]</A> Hermann Schulze-Delitzsch: Capitel zu einem deutschen Arbeiterkatechismus. Sechs Vortr&auml;ge vor dem Berliner Arbeiterverein, Leipzig 1863, S. 15. <A HREF="lu05_535.htm#ZF5">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F6">[6]</A> Ferdinand Lassalle: Herr Bastiat - Schulze von Delitzsch, der &ouml;konomische Julian, oder Kapital und Arbeit. In: Ferd. Lassalle's Reden und Schriften. Neue Gesammt-Ausgabe. Mit einer biographischen Einleitung hrsg. von Ed. Bernstein, Dritter Band, Berlin 1893, S. 275. <A HREF="lu05_535.htm#ZF6">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F7">[7]</A> Gottfried August B&uuml;rger: Leonore. In: B&uuml;rgers Werke in einem Band, Weimar 1962, S. 67. <A HREF="lu05_535.htm#ZF7">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F8">[8]</A> In der Quelle: Ausfuhr. <A HREF="lu05_535.htm#ZF8">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F9">[9]</A> Punkte in der Quelle. <A HREF="lu05_535.htm#ZF9">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F10">[10]</A> Randnotiz R. L.: Hintergrund in Indien: die "Volkswirtschaft" der Bauerngemeinde bricht zusammen. Industrie ... Die stummen Zahlen der Ein- und Ausfuhr sprechen eine eindringliche Sprache davon. <A HREF="lu05_535.htm#ZF10">&lt;=</A></P>
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