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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>Karl Marx - Bestaetigte Wahrheit</TITLE>
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<FONT SIZE=2><P>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 13, 7. Auflage 1971, unver&auml;nderter Nachdruck der 1. Auflage 1961, Berlin/DDR. S. 440-443.</P>
<P>1. Korrektur.<BR>
Erstellt am 04.08.1998</P>
</FONT><H2>Karl Marx</H2>
<H1>Best&auml;tigte Wahrheit</H1>
<FONT SIZE=2><P>Geschrieben am 22. Juli 1859.<BR>
Aus dem Englischen.</P>
</FONT><P><HR></P>
<FONT SIZE=2><P>["New-York Daily Tribune" Nr. 5704 vom 4. August 1859, Leitartikel]</P>
</FONT><B><P><A NAME="S440">&lt;440&gt;</A></B> In seinem Buch &uuml;ber den italienischen Feldzug von 1796 und 1797 bemerkt Clausewitz an einer Stelle, da&szlig; der Krieg im Grunde genommen keine so theatralische Angelegenheit sei, wie manche Leute anzunehmen scheinen, und da&szlig; sich Siege und Niederlagen, mit dem Auge der Wissenschaft betrachtet, ganz anders darstellen als in den K&ouml;pfen der politischen Schw&auml;tzer. Das Wissen um diese Wahrheit erm&ouml;glichte es uns, mit Gleichmut die l&auml;rmenden Zornesausbr&uuml;che zu ertragen, die durch unsere Einsch&auml;tzung der milit&auml;rischen Geschehnisse des letzten Krieges von Zeit zu Zeit bei verschiedenen eifrigen, wenn auch wenig intelligenten bonapartistischen Organen dieses Landes, sowohl in franz&ouml;sischer als auch englischer Sprache, hervorgerufen wurden. Wir haben jetzt die Genugtuung, unsere Einsch&auml;tzung dieser Ereignisse viel fr&uuml;her als erwartet durch die entscheidenden Beteiligten am Kampf, durch Franz Joseph und Louis-Napoleon, best&auml;tigt zu finden.</P>
<P>Lassen wir reine Detailfragen beiseite. Worin bestand der Kern unserer Kritik? Einerseits f&uuml;hrten wir die Niederlagen der &Ouml;sterreicher nicht auf irgendeine von den Alliierten offenbarte Genialit&auml;t zur&uuml;ck, nicht auf die sagenhaften Wirkungen der gezogenen Kanonen, nicht auf die imagin&auml;re Abtr&uuml;nnigkeit der ungarischen Regimenter, nicht auf die vielgepriesene K&uuml;hnheit der franz&ouml;sischen Soldaten, sondern lediglich auf die strategischen Fehler der &ouml;sterreichischen Generale, die von Franz Joseph und seinen pers&ouml;nlichen Beratern an die Stelle solcher M&auml;nner wie General He&szlig; gesetzt, worden waren. Dank dieser fehlerhaften Strategie wurden dem Feind nicht nur &uuml;berall zahlenm&auml;&szlig;ig unterlegene Kr&auml;fte entgegengestellt, sondern sogar die verf&uuml;gbaren Truppen auf dem Schlachtfeld in h&ouml;chst widersinniger Weise aufgestellt!. Andererseits leistete die &ouml;sterreichische <A NAME="S441"><B>&lt;441&gt;</A></B> Armee selbst unter solchen Bedingungen hartn&auml;ckigen Widerstand; beide Armeen k&auml;mpften in den Schachten trotz des ungleichen Kr&auml;fteverh&auml;ltnisses der sich gegen&uuml;berstehenden Truppen nahezu gleichwertig; die strategischen Fehler der Franzosen und ihre unverzeihliche Saumseligkeit bei der Verfolgung des Gegners entwerteten den Sieg und gaben sogar dessen Fr&uuml;chte preis - all dies rechtfertigte unsere Feststellung, da&szlig; die Lage der kriegf&uuml;hrenden Parteien wahrscheinlich umgekehrt gewesen w&auml;re, wenn man das Oberkommando der &ouml;sterreichischen Armee in f&auml;higere H&auml;nde gelegt h&auml;tte. Als zweiten und wichtigsten Punkt hoben wir schon vor Ausbruch des Krieges hervor, da&szlig; in dem Augenblick, da die &Ouml;sterreicher aus der Offensive in die Defensive &uuml;bergehen, der Krieg in zwei Teile geteilt w&uuml;rde, in den melodramatischen, der in der Lombardei ausgefochten wird, und in den ernsthaften, der hinter der Minciolinie innerhalb des furchtbaren Netzwerkes der vier Festungen beginnt. Alle Siege der Franzosen, sagten wir, fallen &uuml;berhaupt nicht ins Gewicht, wenn man sie mit den Pr&uuml;fungen vergleicht, die sie noch in einer Position zu bestehen haben, deren &Uuml;berwindung selbst dem echten Napoleon neun Monate gekostet hat, obwohl seinerzeit Verona, Legnago und Peschiera milit&auml;risch bedeutungslos waren und Mantua allein die ganze Wucht des Angriffs aushalten mu&szlig;te. Wie wir jetzt aus den Wiener Zeitungen ersehen, hatte General He&szlig;, der den status quo der &ouml;sterreichischen Feldherrnkunst nat&uuml;rlich besser kannte als wir, zu Beginn des Krieges vorgeschlagen, nicht in Piemont einzufallen, sondern vielmehr die Lombardei zu evakuieren und erst hinter dem Mincio den Kampf aufzunehmen. H&ouml;ren wir jetzt, was Franz Joseph und Louis Bonaparte zu ihrer Entschuldigung anf&uuml;hren - der eine, weil er einen Teil einer Provinz verlor; der andere, weil er das zu Beginn des Kriege aufgestellt Programm verf&auml;lschte.</P>
<P>Franz Joseph stellt im Hinblick auf den Krieg zwei Tatsachen fest, in denen ihm der "Moniteur" nicht widerspricht. In seinem Armeebefehl sagt er, da&szlig; den &ouml;sterreichischen Streitkr&auml;ften immer ein zahlenm&auml;&szlig;ig &uuml;berlegener Gegner gegen&uuml;berstand. Der "Moniteur" wagt diese Feststellung nicht zu bestreiten, da sie genau gesehen dem &ouml;sterreichischen Kaiser selbst die Hauptschuld gibt. Wie dem auch immer sei, wir rechnen es uns als Verdienst an, aus den widersprechendsten Berichten "eigener Korrespondenten", aus franz&ouml;sischen L&uuml;gen und &ouml;sterreichischen &Uuml;bertreibungen die wirkliche Lage der Dinge herausgesch&auml;lt und mit den geringen und ungenauen Hilfsquellen, die uns zur Verf&uuml;gung standen, das Kr&auml;fteverh&auml;ltnis der k&auml;mpfenden Parteien in unseren kritischen Betrachtungen &uuml;ber die einzelnen Schlachten von Montebello bis Solferino richtig dar- <A NAME="S442"><B>&lt;442&gt;</A></B> gestellt zu haben. Franz Joseph legt gro&szlig;es Gewicht auf einen anderen Punkt, der einer gewissen Sorte von Zeitungsschreibern ziemlich befremdend klingen mu&szlig;. Wir geben Erkl&auml;rung w&ouml;rtlich wieder.</P>
<FONT SIZE=2><P>"Ebenso unbezweifelt steht die Tatsache fest, da&szlig; unsere Gegner trotz der &auml;u&szlig;ersten Anstrengungen und des Aufgebots ihrer &uuml;berreichen, zu dem beabsichtigten Schlage schon seit langem vorbereiteten Hilfsquellen, <I>selbst um den Preis ungeheurer Opfer nur Vorteile, aber keinen entscheidenden Sieg zu erringen vermochten</I>, w&auml;hrend &Ouml;sterreichs Heer, noch unersch&uuml;ttert an Kraft und Mut, eine Stellung behauptete, deren Besitz ihm die M&ouml;glichkeit offen lie&szlig;, dem Feind die errungenen Vorteile vielleicht wieder entwinden zu k&ouml;nnen."</P>
</FONT><P>Franz Joseph wagte jedoch in seinem Manifest nicht zu erkl&auml;ren, da&szlig; er und seine Kamarilla in den ganzen Krieg ein heilloses Durcheinander gebracht haben, indem sie seiner F&uuml;hrung ihre Launen und Grillen aufzwangen und den plebejischen, aber f&auml;higen Generalen unsinnige Hemmnisse in den Weg legten. Aber selbst dieses Vergehen wird jetzt, wenn nicht in Worten, so doch zumindest durch Taten, offen eingestanden. General He&szlig;, dessen Rat w&auml;hrend des ganzen Feldzuges mi&szlig;achtet und dem die ihm auf Grund seiner Vergangenheit, seines Alters und sogar seines Platzes in der &ouml;sterreichischen Rangliste zustehende Stellung vorenthalten wurde, ist jetzt zum Feldmarschall ernannt worden; ihm wurde das Oberkommando &uuml;ber die Streitkr&auml;fte in Italien &uuml;bertragen und Franz Joseph stattete bei seiner Ankunft in Wien als erstes der Frau des alten Generals einen demonstrativen Besuch ab. Mit einem Wort, die ganze jetzige Haltung des habsburgischen Autokraten gegen&uuml;ber dem Manne, der durch seine plebejische Geburt, seine liberalen Sympathien, seine grobe Offenheit und sein milit&auml;risches Genie die Pr&auml;tentionen der aristokratischen Kreise in Sch&ouml;nbrunn verletzte, ist ein Schuldbekenntnis, das f&uuml;r Menschen aller St&auml;nde dem&uuml;tigend ist, doch am meisten f&uuml;r die erblichen Machthaber &uuml;ber die Menschheit.</P>
<P>Sehen wir uns jetzt das Gegenst&uuml;ck zu dem &ouml;sterreichischen Manifest die Verteidigungsrede Bonaparte an. Teilt er die einf&auml;ltige Illusion seiner Bewunderer, da&szlig; er entscheidende Schlachten gewonnen habe? Glaubt er, da&szlig; in Zukunft R&uuml;ckschl&auml;ge ausgeschlossen sind? L&auml;&szlig;t er durchblicken, da&szlig; ein entscheidender Punkt erreicht wurde und da&szlig; mit gen&uuml;gender Ausdauer seine Siege zu einem ruhmreichen Ergebnis gef&uuml;hrt werden k&ouml;nnen? Ganz im Gegenteil. Er gibt zu, da&szlig; der melodramatische Teil des Kampfes sein Ende gefunden hat, da&szlig; der Aspekt des Krieges sich unvermeidlich ver&auml;ndern w&uuml;rde, da&szlig; ihn R&uuml;ckschl&auml;ge erwarten, da&szlig; er sich nicht nur vor der drohenden Revolution f&uuml;rchtete, sondern vor der Macht "des hinter gro&szlig;en <A NAME="S443"><B>&lt;443&gt;</A></B> Festungen verschanzten Feindes in der Fronte". Er sah nichts anderes vor sich als "einen langen und unfruchtbaren Krieg". Hier sind seine Worte:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Unter den Mauern Veronas angelangt, mu&szlig;te der Kampf unvermeidlich anderer Art werden, sowohl in milit&auml;rischer als in politischer Hinsicht. Gen&ouml;tigt, den Feind, der hinter gro&szlig;en Festungen verschanzt und in seinen Flanken durch die Neutralit&auml;t der ihn umgebenden Territorien gesch&uuml;tzt ist, in der Fronte anzugreifen, und im Begriff, einen langen und unfruchtbaren Krieg zu f&uuml;hren, fand ich mich dem bewaffneten Europa gegen&uuml;ber, das bereit war, uns unsere Erfolge streitig zu machen oder unsere Niederlagen zu verschlimmern."</P>
</FONT><P>Mit anderen Worten, Louis-Napoleon schlo&szlig; nicht nur aus Furcht vor Preu&szlig;en, Deutschland und der Revolution Frieden, sondern er f&uuml;rchtete sich auch vor den vier gro&szlig;en Festungen. Zur Belagerung von Verona h&auml;tte er, wie ein offizi&ouml;ser Artikel in der "Ind&eacute;pendance Belge" mitteilt, eine Verst&auml;rkung von 60.000 Mann ben&ouml;tigt, die er nicht aus Frankreich abziehen und dort zugleich die notwendigen Kr&auml;fte f&uuml;r die Nordarmee unter P&eacute;lissier belassen konnte. Und wenn er mit Verona fertig geworden w&auml;re, so blieben noch Legnano und Mantua zu bezwingen. Kurz, Napoleon III. und Franz Joseph best&auml;tigen nach dem Krieg vollkommen, was wir vor und w&auml;hrend des Krieges sowohl &uuml;ber die milit&auml;rischen Ressourcen der beiden L&auml;nder als auch &uuml;ber die Merkmale des Feldzuges gesagt haben. Wir zitieren diese beiden Zeugen als unfreiwillige Verteidiger des gesunden Menschenverstandes und der historischen Wahrheit gegen jene Flut bl&ouml;dsinniger &Uuml;bertreibung und t&ouml;richter Verblendung, die in den letzten beiden Monaten einen Umfang angenommen hat, der allem Anschein nach so schnell nicht wieder erreicht werden wird.</P>
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