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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>Rosa Luxemburg - Die Akkumulation des Kapitals, 15. Kapitel</TITLE>
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<P ALIGN="CENTER"><A HREF="lu05_181.htm"><FONT SIZE=2>14. Kapitel</FONT></A><FONT SIZE=1> | </FONT><A HREF="lu05_005.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="lu05_196.htm"><FONT SIZE=2>16. Kapitel</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>Rosa Luxemburg - Gesammelte Werke. Herausgegeben vom Institut f&uuml;r Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Band 5. Berlin/DDR. 1975. "Die Akkumulation des Kapitals", S. 186-196</P>
<P>1. Korrektur.<BR>
Erstellt am 20.10.1998</P>
<HR></FONT><FONT SIZE=5><P ALIGN="CENTER">Zweiter Waffengang</P>
<I><P ALIGN="CENTER">Kontoverse zwischen Rodbertus und v. Kirchmann</P>
</I><P ALIGN="CENTER">F&uuml;nfzehntes Kapitel</P>
<I><P ALIGN="CENTER">v. Kirchmanns Reproduktionstheorie</P>
</I></FONT><B><P><A NAME="S186">&lt;186&gt;</A></B> Auch die zweite theoretische Polemik um das Problem der Akkumulation hat ihren Ansto&szlig; von aktuellen Ereignissen bekommen. Wenn Sismondi zu seiner Opposition gegen die klassische Schule durch die erste englische Krise und die von ihr ausgel&ouml;sten Leiden der Arbeiterklasse angeregt war, so sch&ouml;pft Rodbertus fast f&uuml;nfundzwanzig Jahre sp&auml;ter den Ansto&szlig; zu seiner Kritik der kapitalistischen Produktion von der inzwischen aufgekommenen revolution&auml;ren Arbeiterbewegung. Die Aufst&auml;nde der Seidenweber in Lyon, die Chartistenbewegung in England gellten ihre Kritik auf die herrlichste aller Gesellschaftsformen in die Ohren der Bourgeoisie noch ganz anders als die unbestimmten Gespenster, die die erste Krise auf den Plan gerufen hatte. Die fr&uuml;heste sozial&ouml;konomische Schrift Rodbertus', die wahrscheinlich aus dem Ende der 30er Jahre stammt und die, f&uuml;r die "Augsburger Allgemeine Zeitung" geschrieben, von dem genannten Blatte aber nicht aufgenommen war, tr&auml;gt den bezeichnenden Titel "Die Forderungen der arbeitenden Classen" und beginnt mit den Worten: "Was wollen die arbeitenden Klassen? Werden die andern ihnen dies vorenthalten k&ouml;nnen? Wird das, was sie wollen, das Grab der modernen Kultur sein? - Da&szlig; einst mit gro&szlig;er Zudringlichkeit die Geschichte diese Fragen tun w&uuml;rde, wu&szlig;te der Denkende l&auml;ngst, durch die Chartistenversammlungen und die Birminghamszenen hat es auch die Alltagswelt erfahren." Bald sollte in Frankreich in den 40er Jahren die lebhafteste G&auml;rung der revolution&auml;ren Ideen in den verschiedensten geheimen Gesell- <A NAME="S187"><B>&lt;187&gt;</A></B> schaften und sozialistischen Schulen der Proudhonisten, Blanquisten, der Anh&auml;nger Cabets, Louis Blancs usw. - zum Ausdruck kommen und in der Februarrevolution, in der Proklamierung des "Rechts auf Arbeit", in den Junitagen, in einer ersten Generalschlacht zwischen den zwei Welten der kapitalistischen Gesellschaft eine epochemachende Explosion der in ihrem Scho&szlig;e verborgenen Widerspr&uuml;che herbeif&uuml;hren. Was die andere sichtbare Form dieser Widerspr&uuml;che, die Krisen, betrifft, so verf&uuml;gt man zu den Zeiten der zweiten Kontroverse &uuml;ber ein unvergleichlich reicheres Beobachtungsmaterial als zu Beginn der 20er Jahre des Jahrhunderts. Die Debatte zwischen Rodbertus und v. Kirchmann fand statt unter den unmittelbaren Eindr&uuml;cken der Krisen von 1837, 1839, 1847, ja der ersten Weltkrise 1857 (die interessante Schrift Rodbertus' "Die Handelskrisen und die Hypothekennoth der Grundbesitzer" stammt aus dem Jahre 1858). Die inneren Widerspr&uuml;che der kapitalistischen Wirtschaft gaben also vor den Augen Rodbertus' noch ganz anders eine grelle Kritik auf die Harmonielehren der englischen Klassiker und ihrer Vulgarisatoren in England wie auf dem Kontinent ab als zu den Zeiten, da Sismondi seine Stimme erhob.</P>
<P>Da&szlig; die Kritik von Rodbertus &uuml;brigens unter dem direkten Einflu&szlig; der Sismondischen stand, bezeugt ein Zitat aus Sismondi in seiner &auml;ltesten <A NAME="S188"><B>&lt;188&gt;</A></B> Schrift. Mit der franz&ouml;sischen zeitgen&ouml;ssischen Literatur der Opposition gegen die klassische Schule war Rodbertus also wohl vertraut, vielleicht weniger mit der viel zahlreicheren englischen, in welchem Umstand bekanntlich die Legende der deutschen Professorenwelt &uuml;ber die sogenannte "Priorit&auml;t" Rodbertus' vor Marx in der "Begr&uuml;ndung des Sozialismus" ihre einzige schwache Wurzel hat. So schreibt Professor Diehl in seiner Skizze &uuml;ber Rodbertus im "Handw&ouml;rterbuch der Staatswissenschaften":</P>
<P>"Rodbertus ist als der eigentliche Begr&uuml;nder des wissenschaftlichen Sozialismus in Deutschland zu bezeichnen, denn schon vor Marx und Lassalle hatte er in seinen Schriften aus den Jahren 1839 und 1842 ein vollst&auml;ndiges sozialistisches System geliefert, eine Kritik des Smithianismus, eine neue theoretische Grundlage und soziale Reformvorschl&auml;ge." Dies bieder, fromm und gottesf&uuml;rchtig im Jahre 1901 (2. Auflage) - nach allem und trotz allem, was Engels, Kautsky und Mehring zur Zerst&ouml;rung der professoralen Legende geschrieben hatten. Da&szlig; &uuml;brigens der monarchisch, national und preu&szlig;isch gesinnte "Sozialist" Rodbertus, der Kommunist f&uuml;r die Zukunft nach 500 Jahren und f&uuml;r die Gegenwart Anh&auml;nger einer festen Ausbeutungsrate von 200 Prozent, gegen&uuml;ber dem internationalen "Umst&uuml;rzler" Marx in den Augen aller deutschen Gelehrten der National&ouml;konomie ein f&uuml;r allemal die Palme der "Priorit&auml;t" erringen mu&szlig;te, versteht sich von selbst und kann durch die triftigsten Nachweise nicht ersch&uuml;ttert werden. Doch uns interessiert hier eine andere Seite der Rodbertusschen Analyse. Derselbe Diehl setzt seinen Panegyrikus folgenderma&szlig;en fort: "Doch nicht nur f&uuml;r den Sozialismus hat Rodbertus bahnbrechend gewirkt, sondern die gesamte national&ouml;konomische Wissenschaft verdankt ihm gro&szlig;e Anregung und F&ouml;rderung, die theoretische National&ouml;konomie besonders durch die Kritik der klassischen National&ouml;konomen, durch die neue Theorie der Einkommensverteilung, durch die Unterscheidung der logischen und historischen Kategorien von Kapital usw." Mit diesen letzteren Gro&szlig;taten Rodbertus" namentlich mit den "usw.", wollen wir uns hier befassen.</P>
<P>Die Kontroverse zwischen Rodbertus und v. Kirchmann wurde angeregt durch die grundlegende Schrift des ersteren "Zur Erkenntni&szlig; unserer staatswirthschaftlichen Zust&auml;nde" aus dem Jahre 1842. v. Kirchmann antwortete darauf in den "Demokratischen Bl&auml;ttern" in zwei Abhandlungen: "&Uuml;ber die Grundrente in socialer Beziehung" und "Die Tauschgesellschaft", worauf Rodbertus 1850 und 1851 mit den "Socialen Briefen" replizierte. Damit kam die Diskussion auf jenes theoretische Gebiet, auf dem drei&szlig;ig Jahre fr&uuml;her die Polemik zwischen Malthus-Sismondi und <A NAME="S189"><B>&lt;189&gt;</A></B> Say-Ricardo-MacCulloch ausgefochten wurde. Rodbertus hatte bereits in seiner fr&uuml;hesten Schrift jenen Gedanken ausgesprochen, da&szlig; in der heutigen Gesellschaft bei der steigenden Produktivit&auml;t der Arbeit der Arbeitslohn eine immer kleinere Quote des Nationalprodukts wird - ein Gedanke, den er als den seinigen "in Anspruch nahm", den er aber auch seitdem und bis zu seinem Tode, also w&auml;hrend dreier Jahrzehnte, immer nur zu wiederholen und zu variieren verstand. In dieser fallenden Lohnquote erblickt Rodbertus die gemeinsame Wurzel aller &Uuml;bel der heutigen Wirtschaft, namentlich des Pauperismus und der Krisen, die er zusammen als "die soziale Frage der Gegenwart" bezeichnet.</P>
<P>v. Kirchmann ist mit dieser Erkl&auml;rung nicht einverstanden. Er f&uuml;hrt den Pauperismus auf die Wirkungen der steigenden Grundrente zur&uuml;ck, die Krisen aber auf den Mangel an Absatzwegen. Von diesem behauptet er namentlich, da&szlig; "der gr&ouml;&szlig;te Teil der sozialen &Uuml;bel nicht in der mangelnden Produktion, sondern in dem mangelnden Absatze der Produkte liege; da&szlig; ein Land, je mehr es zu produzieren verm&ouml;ge, je mehr es Mittel habe, alle Bed&uuml;rfnisse zu befriedigen, desto mehr der Gefahr des Elends und Mangels ausgesetzt sei". Auch die Arbeiterfrage ist hier mit begriffen, denn "das ber&uuml;chtigte Recht auf Arbeit l&ouml;se sich am Ende auf in eine Frage der Absatzwege". "Man sieht", folgert v. Kirchmann, "da&szlig; die soziale Frage beinahe identisch ist mit der Frage nach den Absatzwegen. Selbst die &Uuml;bel der vielgeschm&auml;hten Konkurrenz werden mit sicheren Absatzwegen verschwinden; es wird nur das Gute an ihr bleiben; es wird der Wetteifer bleiben, gute und billige Waren zu liefern, aber es wird der Kampf auf Tod und Leben verschwinden, der nur in den f&uuml;r alle ungen&uuml;genden Absatzwegen seinen Grund hat."<A NAME="ZF1"><A HREF="lu05_186.htm#F1">(1)</A></A></P>
<P>Der Unterschied zwischen dem Gesichtswinkel Rodbertus' und v. Kirchmanns springt in die Augen. Rodbertus sieht die Wurzel des &Uuml;bels in einer fehlerhaften Verteilung des Nationalprodukts, v. Kirchmann in den Marktschranken der kapitalistischen Produktion. Bei allem Konfusen in den Ausf&uuml;hrungen v. Kirchmanns, namentlich in seiner idyllischen Vorstellung von einer auf l&ouml;blichen Wetteifer um die beste und billigste Ware reduzierten kapitalistischen Konkurrenz sowie in der Aufl&ouml;sung des "ber&uuml;chtigten Rechts auf Arbeit" in die Frage der Absatzm&auml;rkte, zeigt er doch zum Teil mehr Verst&auml;ndnis f&uuml;r den wunden Punkt der kapitalistischen Produktion: ihre Marktschranken, als Rodbertus, der an der Frage der <A NAME="S190"><B>&lt;190&gt;</A></B> Verteilung haftet. Es ist also v. Kirchmann, der diesmal das Problem wieder aufnimmt, das fr&uuml;her von Sismondi auf die Tagesordnung gestellt war. Bei alledem ist v. Kirchmann mit der Beleuchtung und L&ouml;sung des Problems durch Sismondi keineswegs einverstanden, er steht eher auf seiten der Opponenten Sismondis. Er akzeptiert nicht nur die Ricardosche Theorie der Grundrente, nicht nur das Smithsche Dogma, "da&szlig; die Preise der Waren sich nur aus den zwei Teilen, aus dem Kapitalzins und dem Arbeitslohn, zusammensetzen" (v. Kirchmann verwandelt den Mehrwert in "Kapitalzins"), sondern auch den Say-Ricardoschen Satz, da&szlig; Produkte nur mit Produkten gekauft werden und die Produktion ihren eigenen Absatz bilde, so da&szlig;, wo auf der einen Seite zuviel produziert zu sein scheine, auf der anderen Seite nur zuwenig produziert sei. Man sieht, v. Kirchmann folgt den Spuren der Klassiker, aber allerdings ist das eine "deutsche Klassikerausgabe" - mit allerlei Wenn und Aber. So findet v. Kirchmann zun&auml;chst, da&szlig; das Saysche Gesetz des nat&uuml;rlichen Gleichgewichts zwischen Produktion und Nachfrage "die Wirklichkeit noch nicht ersch&ouml;pfe", und er f&uuml;gt hinzu: "Es liegen noch andere Gesetze in dem Verkehr verborgen, welche die reine Verwirklichung dieser S&auml;tze verhindern und durch deren Auffindung allein die gegenw&auml;rtige &Uuml;berf&uuml;llung der M&auml;rkte erkl&auml;rt werden kann, durch deren Auffindung aber vielleicht auch der Weg entdeckt werden kann, diesem gro&szlig;en &Uuml;bel aus dem Wege zu gehen. Wir glauben, da&szlig; drei Verh&auml;ltnisse in dem gegenw&auml;rtigen Systeme der Gesellschaft es sind, welche diese Widerspr&uuml;che zwischen jenem unzweifelhaften Gesetze Says und der Wirklichkeit herbeif&uuml;hren." Diese Verh&auml;ltnisse sind: die "zu ungleiche Verteilung der Produkte" - hier neigt sich v. Kirchmann, wie wir sehen, in gewissem Ma&szlig;e dem Standpunkt Sismondis zu -, die Schwierigkeiten, welche die Natur der menschlichen Arbeit in der Rohproduktion bereitet, endlich die Mangelhaftigkeit des Handels als der vermittelnden Operation zwischen Produktion und Konsumtion. Ohne uns auf die beiden letzten "Hindernisse" des Sayschen Gesetzes n&auml;her einzulassen, betrachten wir die Argumentation v. Kirchmanns im Zusammenhang mit dem ersten Punkt:</P>
<P>"Das erste Verh&auml;ltnis", erkl&auml;rt er, "kann k&uuml;rzer dahin ausgedr&uuml;ckt werden, 'da&szlig; der Arbeitslohn zu niedrig steht', da&szlig; daraus eine Stockung des Absatzes entsteht. F&uuml;r denjenigen, der wei&szlig;, da&szlig; die Preise der Waren sich nur aus den zwei Teilen, aus dem Kapitalzins und dem Arbeitslohn, zusammensetzen, kann dieser Satz auffallend erscheinen; ist der Arbeitslohn niedrig, so sind auch die Warenpreise niedrig, und sind jene hoch, so sind auch diese hoch. (Man sieht, v. Kirchmann akzeptiert das <A NAME="S191"><B>&lt;191&gt;</A></B> Smithsche Dogma auch noch in seiner verkehrtesten Fassung: nicht der Preis <I>l&ouml;st sich</I> in Arbeitslohn + Mehrwert <I>auf</I>, sondern er <I>setzt sich</I> als einfache Summe aus ihnen <I>zusammen</I> - eine Fassung, in der Smith sich von seiner Arbeitswerttheorie am weitesten entfernt hatte. - <I>R. L.</I>) Lohn und Preis stehen so in geradem Verh&auml;ltnis und gleichen sich einander aus. England hat nur deshalb seine Getreidez&ouml;lle und seine Z&ouml;lle auf Fleisch und andere Lebensmittel aufgehoben, um die Arbeitsl&ouml;hne sinken zu machen und so den Fabrikanten in den Stand zu setzen, durch noch billigere Ware auf den Weltm&auml;rkten jeden anderen Konkurrenten zu verdr&auml;ngen. Es ist indes dies nur zum Teil richtig und ber&uuml;hrt nicht das Verh&auml;ltnis, in dem sich das Produkt zwischen Kapital und Arbeiter verteilt. In der zu ungleichen Verteilung zwischen diesen beiden liegt der erste und wichtigste Grund, weshalb Says Gesetz sich in der Wirklichkeit nicht vollzieht, weshalb trotz der Produktion in allen Zweigen doch alle M&auml;rkte an &Uuml;berf&uuml;llung leiden." Diese seine Behauptung illustriert v. Kirchmann ausf&uuml;hrlich an einem Beispiel. Nach dem Muster der klassischen Schule werden wir nat&uuml;rlich versetzt in eine imagin&auml;re isolierte Gesellschaft, die ein widerstandsloses, wenn auch nicht dankbares Objekt f&uuml;r die national&ouml;konomischen Experimente darbietet.</P>
<P>Man stelle sich einen Ort vor - suggeriert uns v. Kirchmann -, der ausgerechnet 903 Einwohner umfa&szlig;t, und zwar 3 Unternehmer mit je 300 Arbeitern. Der Ort befriedige alle Bed&uuml;rfnisse seiner Einwohner durch eigene Produktion, und zwar in drei Unternehmungen, von denen die eine f&uuml;r Kleidung sorgt, die zweite f&uuml;r Nahrung, Licht, Feuerung und Rohstoffe, die dritte f&uuml;r Wohnung, M&ouml;bel und Werkzeuge. In jeder dieser drei Abteilungen liefere der Unternehmer "das Kapital samt Rohstoffen". Die Entlohnung der Arbeiter erfolgt in jedem dieser drei Gesch&auml;fte so, da&szlig; die Arbeiter die H&auml;lfte des j&auml;hrlichen Produkts als Lohn erhalten und der Unternehmer die andere H&auml;lfte "als Zins seines Kapitals und als Unternehmergewinn". Die von jedem Gesch&auml;ft gelieferte Menge Produkt reiche gerade hin, um alle Bed&uuml;rfnisse s&auml;mtlicher 903 Einwohner zu decken. So enth&auml;lt dieser Ort "alle Bedingungen eines allgemeinen Wohlseins" f&uuml;r seine s&auml;mtlichen Einwohner, alles macht sich demgem&auml;&szlig; frisch und mutig an die Arbeit. Aber nach wenigen Tagen wandelt sich Freude und Wohlgefallen in allgemeinen Jammer und in Z&auml;hneklappern, es passiert n&auml;mlich auf der v. Kirchmannschen Insel der Gl&uuml;ckseligen etwas, was man dort sowenig erwarten mochte wie den Einsturz des Himmels: Es bricht eine regelrechte moderne Industrie- und Handelskrise aus! Die 900 Arbeitet haben nur die allernotd&uuml;rftigste Kleidung, Nahrung und <A NAME="S192"><B>&lt;192&gt;</A></B> Wohnung, die drei Unternehmer aber haben ihre Magazine voll Kleider und Rohstoffe, sie haben Wohnungen leer stehen; sie klagen &uuml;ber Mangel an Absatz, w&auml;hrend die Arbeiter umgekehrt &uuml;ber unzureichende Befriedigung ihrer Bed&uuml;rfnisse klagen. Und woher illae lacrimae? Etwa weil, wie Say und Ricardo annahmen, von den einen Produkten zuviel und von den anderen zuwenig da sei? Mitnichten! antwortet v. Kirchmann; in dem "Ort" gibt es von allen Dingen eine wohlproportionierte Menge, die alle just ausreichen w&uuml;rden, um s&auml;mtliche Bed&uuml;rfnisse der Gesellschaft zu befriedigen. Woher also "das Hemmnis", die Krise? Das Hemmnis liegt einzig und allein in der Verteilung. Doch das will in eigenen Worten v. Kirchmanns genossen werden: "Das Hemmnis, da&szlig; dieses (glatter Austausch) dessenungeachtet nicht geschieht, liegt lediglich und allein in der Verteilung dieser Produkte; die Verteilung erfolgt nicht gleich unter alle, sondern die Unternehmer behalten als Zins und Gewinn die H&auml;lfte f&uuml;r sich und geben nur die H&auml;lfte an ihre Arbeiter. Es ist klar, da&szlig; der Kleiderarbeiter sich deshalb mit seinem halben Produkt auch nur die H&auml;lfte der Produkte an Nahrung und Wohnung und so fort eintauschen kann, und es ist klar, da&szlig; die Unternehmer ihre andere H&auml;lfte nicht loswerden k&ouml;nnen, weil kein Arbeiter noch ein Produkt hat, um sie von ihnen eintauschen zu k&ouml;nnen. Die Unternehmer wissen nicht wohin mit ihrem Vorrat, die Arbeiter wissen nicht wohin mit ihrem Hunger und ihrer Bl&ouml;&szlig;e." Und die Leser - f&uuml;gen wir hinzu - wissen nicht wohin mit den Konstruktionen des Herrn v. Kirchmann. Das Kindische seines Beispiels st&uuml;rzt uns in der Tat aus einem R&auml;tsel ins andere.</P>
<P>Zun&auml;chst ist ganz unerfindlich, auf welcher Grundlage und zu welchem Zweck die Dreiteilung der Produktion fingiert ist. Wenn in den analogen Beispielen Ricardos und MacCullochs gew&ouml;hnlich die P&auml;chter den Fabrikanten entgegengestellt werden, so ist das u.E. nur die antiquierte Vorstellung der Physiokraten von der gesellschaftlichen Reproduktion, die von Ricardo &uuml;bernommen war, trotzdem sie mit seiner Werttheorie, die der physiokratischen entgegengesetzt war, jeden Sinn verloren hatte, und trotzdem schon Smith bedeutende Anl&auml;ufe zur Ber&uuml;cksichtigung wirklicher sachlicher Grundlagen des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses gemacht hatte. Immerhin haben wir gesehen, da&szlig; sich jene physiokratische Unterscheidung der Landwirtschaft und Industrie als Grundlagen der Reproduktion in der theoretischen National&ouml;konomie traditionell erhalten hatte, bis Marx seine epochemachende Unterscheidung der beiden gesellschaftlichen Abteilungen: Produktion von Produktionsmitteln und Produktion von Konsummitteln, eingef&uuml;hrt hat. Hingegen haben die drei <A NAME="S193"><B>&lt;193&gt;</A></B> Abteilungen v. Kirchmanns &uuml;berhaupt keinen begreiflichen Sinn. Da hier Werkzeuge mit M&ouml;beln, Rohstoffe mit Nahrungsmitteln zusammengeworfen sind, die Kleider eine Abteilung f&uuml;r sich bilden, so sind offenbar gar keine sachlichen Standpunkte der Reproduktion, sondern reine Willk&uuml;r bei dieser Einteilung ma&szlig;gebend gewesen. Es k&ouml;nnte an sich ebensogut oder schlecht eine Abteilung f&uuml;r Lebensmittel, Kleider und Baulichkeiten, eine andere f&uuml;r Apothekerwaren und eine dritte f&uuml;r Zahnb&uuml;rsten fingiert werden. Es kam v. Kirchmann offenbar nur darauf an, die gesellschaftliche Arbeitsteilung anzudeuten und f&uuml;r den Austausch einige m&ouml;glichst "gleich gro&szlig;e" Produktenmengen vorauszusetzen. Allein der Austausch selbst, um den es sich bei der ganzen Beweisf&uuml;hrung dreht, spielt im v. Kirchmannschen Beispiel gar keine Rolle, da nicht Wert, sondern Produktenmenge, Masse der Gebrauchswerte als solcher zur Verteilung gelangt. Andererseits findet in dem interessanten "Ort" der v. Kirchmannschen Phantasie erst Verteilung der Produkte statt, alsdann soll darauf, nach geschehener Verteilung, der allgemeine Austausch stattfinden, w&auml;hrend es auf der platten Erde der kapitalistischen Produktion bekanntlich der Austausch ist, der umgekehrt die Verteilung des Produkts einleitet und vermittelt. Dabei passieren in der v. Kirchmannschen Verteilung die wunderlichsten Dinge: Zwar besteht der Preis der Produkte, also auch des gesellschaftlichen Gesamtprodukts, "wie man wei&szlig;", nur aus "Arbeitslohn und Kapitalzins", nur aus v + m, und das Gesamtprodukt gelangt auch demgem&auml;&szlig; restlos zur individuellen Verteilung unter die Arbeiter und Unternehmer, allein v. Kirchmann hat dabei zu seinem Pech eine schwache Erinnerung bewahrt, da&szlig; zu jeglicher Produktion so etwas wie Werkzeuge und Rohstoffe geh&ouml;ren. Er schmuggelt auch in seinem "Ort" unter den Nahrungsmitteln Rohstoffe und unter M&ouml;beln Werkzeuge ein, es fragt sich aber alsdann, wem bei der allgemeinen Verteilung diese unverdaulichen Dinge zufallen: den Arbeitern als Lohn oder den Kapitalisten als Unternehmergewinn? Beide Teile w&uuml;rden sich wohl bedanken. Und unter solchen Voraussetzungen soll dann noch der Clou der Vorstellung stattfinden: der Austausch zwischen den Arbeitern und den Unternehmern. Der grundlegende Austauschakt der kapitalistischen Produktion: der zwischen Lohnarbeitern und Kapitalisten, wird von v. Kirchmann aus dem Austausch zwischen lebendiger Arbeit und Kapital in einen Produktenaustausch verwandelt! Nicht der erste Akt: der Austausch zwischen Arbeitskraft und variablem Kapital, sondern der zweite: die Realisierung des aus variablem Kapital erhaltenen Lohns, wird in den Mittelpunkt des Getriebes gestellt und umgekehrt der ganze Warenaustausch der kapitalistischen <A NAME="S194"><B>&lt;194&gt;</A></B> Gesellschaft auf diese Realisierung des Arbeitslohns reduziert! Doch dann kommt das sch&ouml;nste: Dieser in den Brennpunkt des Wirtschaftslebens ger&uuml;ckte Austausch zwischen den Arbeitern und den Unternehmern ist bei n&auml;herem Zusehen gar keiner, er findet &uuml;berhaupt nicht statt. Denn nachdem alle Arbeiter ihren Lohn in Naturalien, und zwar in der H&auml;lfte ihres eigenen Produkts erhalten haben, kann jetzt nur noch der Austausch unter den Arbeitern selbst stattfinden, indem die einen ihren in lauter Kleidungsst&uuml;cken, die anderen den in lauter Nahrungsmitteln und die dritten den in lauter M&ouml;beln bestehenden Lohn nunmehr so untereinander austauschen, da&szlig; jeder Arbeiter seinen Lohn zu je einem Drittel in Nahrung, Kleidung und M&ouml;beln realisiert. Mit Unternehmern hat dieser Austausch nichts mehr zu tun. Diese sitzen ihrerseits mit ihrem Mehrwert, der in der H&auml;lfte aller von der Gesellschaft hergestellten Kleider, Nahrungsmittel und M&ouml;bel besteht, da und wissen allerdings, drei Mann, die sie sind, nicht, "wohin" mit dem Krempel. Doch gegen dieses von v. Kirchmann angerichtete Malheur w&uuml;rde auch keine noch so gener&ouml;se Verteilung des Produkts etwas helfen. Im Gegenteil, je gro&szlig;er die Portion des gesellschaftlichen Produkts, die den Arbeitern zugewiesen w&auml;re, um so weniger h&auml;tten sie mit den Unternehmern bei ihrem Austausch zu tun, es w&uuml;rde nur der gegenseitige Austausch der Arbeiter untereinander an Umfang zunehmen. Allerdings w&uuml;rde auch der die Unternehmer bedr&uuml;ckende Haufe von Mehrprodukt entsprechend zusammenschmelzen, aber nicht etwa weil dadurch der Austausch dieses Mehrprodukts erleichtert, sondern nur weil der Mehrwert selbst abnehmen w&uuml;rde. Von einem Austausch des Mehrprodukts zwischen Arbeitern und Unternehmern k&ouml;nnte nach wie vor keine Rede sein. Man mu&szlig; gestehen, da&szlig; die hier auf verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig kleinem Raum zusammengetragene Anzahl von Kindereien und &ouml;konomischen Absurdit&auml;ten sogar jenes Ma&szlig; &uuml;bersteigt, das einem preu&szlig;ischen Staatsanwalt zugute gehalten werden darf - v. Kirchmann war bekanntlich Staatsanwalt, und zwar zu seinen Ehren ein disziplinarisch zweimal gema&szlig;regelter Staatsanwalt. Trotzdem geht v. Kirchmann nach seinen wenig versprechenden Pr&auml;liminarien direkt auf die Sache los. Er sieht ein, da&szlig; die Unverwendbarkeit des Mehrwerts hier durch seine eigene Pr&auml;misse gegeben ist: durch die konkrete Gebrauchsgestalt des Mehrprodukts. Er l&auml;&szlig;t nun die Unternehmer mit der halben als Mehrwert angeeigneten gesellschaftlichen Arbeitsmenge nicht "ordin&auml;re Waren" f&uuml;r die Arbeiter, sondern Luxuswaren herstellen. Da es "Wesen der Luxusware ist, da&szlig; sie dem Konsumenten es m&ouml;glich macht, mehr an Kapital und Arbeitskraft zu verbrauchen als bei den ordin&auml;ren Waren m&ouml;g- <A NAME="S195"><B>&lt;195&gt;</A></B> lich ist", so bringen es die drei Unternehmer ganz allein fertig, die ganze H&auml;lfte des in der Gesellschaft geleisteten Arbeitsquantums in Spitzen, eleganten Kutschen und dergleichen zu verzehren. Nun bleibt nichts Unver&auml;u&szlig;erliches &uuml;brig, die Krise ist gl&uuml;cklich behoben, die &Uuml;berproduktion ein f&uuml;r allemal unm&ouml;glich gemacht, die Kapitalisten wie die Arbeiter sind in sicheren Verh&auml;ltnissen, und das Wundermittel v. Kirchmanns, das alle diese Wohltaten herbeigef&uuml;hrt und das Gleichgewicht zwischen Produktion und Konsumtion wieder hergestellt hat, hei&szlig;t: Luxus! Mit anderen Worten, der Rat, den der gute Mann den Kapitalisten gibt, die nicht wissen, wohin mit ihrem unrealisierbaren Mehrwert, ist, sie sollen ihn selbst aufessen. In der kapitalistischen Gesellschaft ist nun freilich Luxus auch eine l&auml;ngst bekannte Erfindung, und die Krisen w&uuml;ten trotzdem. - Woher kommt denn das? "Die Antwort kann nur die sein", belehrt uns v. Kirchmann, "da&szlig; diese Stockung des Absatzes in der wirklichen Welt lediglich daher kommt, weil noch zu wenig Luxus vorhanden ist oder, mit anderen Worten, da&szlig; von den Kapitalisten, d.h. von denen, welche die Mittel zur Konsumtion haben, noch zu wenig konsumiert wird." Diese unangebrachte Enthaltsamkeit der Kapitalisten kommt aber von einer durch die National&ouml;konomie f&auml;lschlich gef&ouml;rderten Untugend: vom Hang zum Sparen zu Zwecken der "produktiven Konsumtion". Anders gesagt: <I>Die Krisen kommen von der Akkumulation</I> - das ist die Hauptthese v. Kirchmanns. Er beweist sie wieder an einem Beispiel von r&uuml;hrender Einfalt. Man setze den Fall, sagt er, "den von der National&ouml;konomie als den besseren gepriesenen Fall", wo die Unternehmer sagen: Wir wollen unsere Revenuen nicht in Pracht und Luxus bis auf den letzten Heller verzehren, sondern wir wollen sie wieder produktiv anlegen. Was hei&szlig;t das? Nichts anderes als neue Produktionsgesch&auml;fte aller Art begr&uuml;nden, mittelst deren wieder Produkte gewonnen werden, durch deren Verkauf die Zinsen (v. K. will sagen: Profit) f&uuml;r jenes Kapital erlangt werden k&ouml;nnen, das aus den nicht verzehrten Revenuen der drei Unternehmer abgespart und angelegt worden ist. Die drei Unternehmer entschlie&szlig;en sich demgem&auml;&szlig;, nur das Produkt von 100 Arbeitern zu verzehren, d.h. ihren Luxus erheblich einzuschr&auml;nken, und die Arbeitskraft der &uuml;brigen 350 Arbeiter mit dem von diesen benutzten Kapital zur Anlegung neuer Produktionsgesch&auml;fte zu verwenden. Hier entsteht die Frage, in welchen Produktionsgesch&auml;ften sollen diese Fonds verwendet werden? "Die drei Unternehmer haben nur die Wahl, entweder wieder Gesch&auml;fte f&uuml;r ordin&auml;re Waren einzurichten oder Gesch&auml;fte f&uuml;r Luxuswaren", da nach der v. Kirchmannschen Annahme das konstante Kapital nicht reproduziert wird und das gesamte gesellschaft- <A NAME="S196"><B>&lt;196&gt;</A></B> liche Produkt in lauter Konsumtionsmitteln besteht. Damit kommen die Unternehmer aber in das uns schon bekannte Dilemma: Produzieren sie "ordin&auml;re Waren", so entsteht eine Krise, da die Arbeiter keine Mittel zum Ankauf dieser zusch&uuml;ssigen Lebensmittel haben, sind sie doch bereits mit der H&auml;lfte des Produktenwerts abgefunden; produzieren sie aber Luxuswaren, so m&uuml;ssen sie sie auch selbst verzehren, Tertium non datur. Auch der ausw&auml;rtige Handel &auml;ndert nichts an dem Dilemma, denn die Wirkung des Handels besteht nur darin, "die Mannigfaltigkeit der Waren des inl&auml;ndischen Markts zu vergr&ouml;&szlig;ern" oder die Produktivit&auml;t zu steigern. "Entweder also sind diese ausl&auml;ndischen Waren - ordin&auml;re Waren, dann mag sie der Kapitalist nicht kaufen, und der Arbeiter kann sie nicht kaufen, weil er die Mittel nicht hat, oder es sind Luxuswaren, dann kann sie nat&uuml;rlich der Arbeiter noch weniger kaufen, und der Kapitalist mag wegen seines Bestrebens zu sparen sie ebenfalls nicht." So primitiv die Beweisf&uuml;hrung, so kommt dabei doch der Grundgedanke v. Kirchmanns und der Alp der theoretischen National&ouml;konomie ganz h&uuml;bsch und klar zum Ausdruck: In einer lediglich aus Arbeitern und Kapitalisten bestehenden Gesellschaft erscheint die Akkumulation als eine Unm&ouml;glichkeit. v. Kirchmann zieht daraus die Konsequenz, indem er unumwunden die Akkumulation, das "Sparen", die "produktive Konsumtion" des Mehrwerts bek&auml;mpft, gegen die Bef&uuml;rwortung dieser Irrt&uuml;mer durch die klassische National&ouml;konomie heftig polemisiert und den mit der Produktivit&auml;t der Arbeit steigenden Luxus als das Mittel gegen die Krisen predigt. Man sieht, wenn v. Kirchmann in seinen theoretischen Pr&auml;missen eine Karikatur Ricardo-Says war, so ist er in seinen Schlu&szlig;folgerungen eine Karikatur Sismondis. Es war jedoch notwendig, die Fragestellung v. Kirchmanns ganz scharf ins Auge zu fassen, um die Antikritik Rotibertus' und den Ausgang der Kontroverse w&uuml;rdigen zu k&ouml;nnen.</P>
<P><HR></P>
<P><A NAME="F1">(1)</A> Die Kirchmannsche Beweisf&uuml;hrung ist bei Rodbertus sehr ausf&uuml;hrlich w&ouml;rtlich zitiert. Ein vollst&auml;ndiges Exemplar der "Demokratischen Bl&auml;tter" mit dem Originalaufsatz ist nach der Versicherung der Herausgeber Rodbertus' nicht zu erlangen. <A HREF="lu05_186.htm#ZF1">&lt;=</A></P></BODY>
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