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2022-08-25 20:29:11 +02:00

369 lines
No EOL
22 KiB
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<TITLE>Lenin: &Uuml;ber das Genossenschaftswesen</TITLE>
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<HR size="1">
<H2>Wladimir I. Lenin</H2>
<H1>&Uuml;ber das Genossenschaftswesen</H1>
<P>Januar 1923
</P>
<HR>
<FONT SIZE="-1">
Gedruckt nachzulesen in: Lenin Werke, Dietz Verlag Berlin, 1973, Band 33, Seite 453 bis 461
</FONT>
<P>
<HR>
<H4 ALIGN=Center>
<A NAME="Sekt1">I</A>
</H1>
<P>
Dem Genossenschaftswesen wird bei uns, wie mir scheint, nicht gen&uuml;gend
Aufmerksamkeit geschenkt. Wohl kaum alle begreifen, da&szlig; das
Genossenschaftswesen jetzt, seit der Oktoberrevolution und unabh&auml;ngig
von der N&Ouml;P (1) (umgekehrt, in dieser Beziehung mu&szlig; man sagen:
gerade dank der N&Ouml;P), bei uns eine ganz au&szlig;erordentliche Bedeutung
gewinnt. In den Tr&auml;umereien der alten Genossenschaftler ist vieles
phantastisch. Sie wirken wegen ihrer Phantasterei oft l&auml;cherlich. Aber
worin besteht ihre Phantasterei? Darin, da&szlig; diese Leute die wesentliche,
grundlegende Bedeutung des politischen Kampfes der Arbeiterklasse zum Sturz
der Ausbeuterherrschaft nicht verstehen. Dieser Sturz ist jetzt bei uns Tatsache
geworden, und nun wird vieles von dem, was an den Tr&auml;umereien der alten
Genossenschaftler phantastisch, sogar romantisch, ja abgeschmackt war, zur
ungeschminkten Wirklichkeit.
<P>
Bei uns ist wirklich, da die Staatsmacht in den H&auml;nden der Arbeiterklasse
liegt, da alle Produktionsmittel dieser Staatsmacht geh&ouml;ren - bei uns
ist wirklich nur die Aufgabe &uuml;briggeblieben, die Bev&ouml;lkerung
genossenschaftlich zusammenzuschlie&szlig;en. Unter der Voraussetzung des
maximalen genossenschaftlichen Zusammenschlusses der Bev&ouml;lkerung erreicht
jener Sozialismus, der fr&uuml;her berechtigten Spott, mitleidiges L&auml;cheln,
geringsch&auml;tziges Verhalten seitens derjenigen hervorrief, die mit Recht
von der Notwendigkeit des Klassenkampfes, des Kampfes um die politische Macht
usw. &uuml;berzeugt waren, von selbst das Ziel. Nun geben sich aber nicht
alle Genossen Rechenschaft dar&uuml;ber, welche gigantische, unerme&szlig;liche
Bedeutung der genossenschaftliche Zusammenschlu&szlig; Ru&szlig;lands jetzt
f&uuml;r uns gewinnt. Mit der N&Ouml;P haben wir dem Bauern als H&auml;ndler,
dem Prinzip des privaten Handels ein Zugest&auml;ndnis gemacht; gerade daraus
folgt (entgegen der landl&auml;ufigen Meinung) die gigantische Bedeutung
des Genossenschaftswesens. Unter der Herrschaft der N&Ouml;P ist ein
gen&uuml;gend breiter und tiefer genossenschaftlicher Zusammenschlu&szlig;
der russischen Bev&ouml;lkerung im Grunde genommen alles, was wir brauchen,
weil wir jetzt jenen Grad der Vereinigung der Privatinteressen, der privaten
Handelsinteressen, ihrer &Uuml;berwachung und Kontrolle durch den Staat,
den Grad ihrer Unterordnung unter die allgemeinen Interessen gefunden haben,
der fr&uuml;her f&uuml;r viele, viele Sozialisten den Stein des Ansto&szlig;es
bildete. In der Tat, die Verf&uuml;gungsgewalt des Staates &uuml;ber alle
gro&szlig;en Produktionsmittel, die Staatsmacht in den H&auml;nden des
Proletariats, das B&uuml;ndnis dieses Proletariats mit den vielen Millionen
Klein- und Zwergbauern, die Sicherung der F&uuml;hrerstellung dieses Proletariats
gegen&uuml;ber der Bauernschaft usw. - ist das nicht alles, was notwendig
ist, um aus den Genossenschaften, allein aus den Genossenschaften, die wir
fr&uuml;her geringsch&auml;tzig als kr&auml;merhaft behandelt haben und die
wir in gewisser Hinsicht jetzt, unter der N&Ouml;P, ebenso zu behandeln
berechtigt sind, ist das nicht alles, was notwendig ist, um die vollendete
sozialistische Gesellschaft zu errichten? Das ist noch nicht die Errichtung
der sozialistischen Gesellschaft, aber es ist alles, was zu dieser Errichtung
notwendig und hinreichend ist.
<P>
Eben dieser Umstand wird von vielen unserer Praktiker untersch&auml;tzt.
Man blickt bei uns auf die Genossenschaften von oben herab und begreift nicht,
welche au&szlig;erordentliche Bedeutung diese Genossenschaften haben, erstens
von der prinzipiellen Seite her gesehen (das Eigentum an den Produktionsmitteln
in den H&auml;nden des Staates), zweitens unter dem Gesichtspunkt des
&Uuml;bergangs zu neuen Zust&auml;nden auf einem Wege, der m&ouml;glichst
EINFACH, LEICHT UND ZUG&Auml;NGLICH F&Uuml;R DEN BAUERN ist.
<P>
Und das ist ja doch wiederum die Hauptsache. Es ist eine Sache, &uuml;ber
alle m&ouml;glichen Arbeitervereinigungen zum Aufbau des Sozialismus zu
phantasieren, und eine andere Sache, diesen Sozialismus praktisch so aufbauen
zu lernen, da&szlig; JEDER Kleinbauer an diesem Aufbau teilnehmen kann. Gerade
diese Stufe haben wir jetzt erreicht. Und es steht au&szlig;er Zweifel, da&szlig;
wir, nachdem wir diese Stufe erreicht haben, sie uns zuwenig zunutze machen.
<P>
Wir haben beim &Uuml;bergang zur N&Ouml;P den Bogen &uuml;berspannt, nicht
in der Beziehung, da&szlig; wir dem Prinzip der Gewerbe- und Handelsfreiheit
zuviel Platz einger&auml;umt h&auml;tten, sondern wir haben beim &Uuml;bergang
zur N&Ouml;P den Bogen in der Beziehung &uuml;berspannt, da&szlig; wir vergessen
haben, an die Genossenschaften zu denken, da&szlig; wir jetzt die
Genossenschaften untersch&auml;tzen, da&szlig; wir schon begonnen haben,
die riesige Bedeutung der Genossenschaften in dem oben angedeuteten zweifachen
Sinn dieser Bedeutung zu vergessen.
<P>
Ich habe die Absicht, mich nun mit dem Leser dar&uuml;ber zu unterhalten,
was man, von diesem "Genossenschafts"prinzip ausgehend, praktisch sofort
tun kann und mu&szlig;. Mit welchen Mitteln kann und mu&szlig; man sofort
beginnen, dieses "Genossenschafts"prinzip so zu entwickeln, da&szlig; seine
sozialistische Bedeutung allen und jedem einleuchtet?
<P>
Man mu&szlig; f&uuml;r die Genossenschaften eine solche politische Lage schaffen,
da&szlig; nicht nur die Genossenschaften &uuml;berhaupt und immer eine gewisse
Verg&uuml;nstigung genie&szlig;en, sondern da&szlig; diese Verg&uuml;nstigung
rein materieller Natur ist (H&ouml;he der Bankzinsen usw.). Man mu&szlig;
den Genossenschaften aus staatlichen Mitteln Darlehn geben, die, wenn auch
nur um ein geringes, die Mittel &uuml;bersteigen, die wir den Privatbetrieben,
selbst den Betrieben der Schwerindustrie usw., als Darlehn gew&auml;hren.
<P>
Jede Gesellschaftsordnung entsteht nur, wenn sie durch eine bestimmte Klasse
finanziell unterst&uuml;tzt wird. Man braucht nicht an jene Hunderte und
aber Hunderte Millionen Rubel zu erinnern, die die Geburt des "freien"
Kapitalismus kostete. Jetzt m&uuml;ssen wir erkennen, da&szlig; gegenw&auml;rtig
diejenige Gesellschaftsordnung, die wir &uuml;ber das gew&ouml;hnliche Ma&szlig;
hinaus unterst&uuml;tzen m&uuml;ssen, die genossenschaftliche Ordnung ist,
und diese Erkenntnis in die Tat umsetzen. Aber unterst&uuml;tzen m&uuml;ssen
wir sie im wahren Sinne dieses Wortes, d.h., es gen&uuml;gt nicht, unter
dieser Unterst&uuml;tzung die F&ouml;rderung eines beliebigen
genossenschaftlichen Umsatzes zu verstehen, unter dieser Unterst&uuml;tzung
mu&szlig; man die Unterst&uuml;tzung eines solchen genossenschaftlichen Umsatzes
verstehen, an dem WIRKLICHE MASSEN DER BEV&Ouml;LKERUNG WIRKLICH TEILNEHMEN.
Dem Bauern, der sich am Genossenschaftsumsatz beteiligt, eine Pr&auml;mie
zu gew&auml;hren, das ist unbedingt eine richtige Form, doch es gilt hierbei,
diese Beteiligung zu kontrollieren und zu pr&uuml;fen, ob es eine bewu&szlig;te
und qualitativ einwandfreie Beteiligung ist - das ist der Kernpunkt der Frage.
Wenn der Genossenschaftler in ein Dorf kommt und dort einen Genossenschaftsladen
einrichtet, so ist die Bev&ouml;lkerung, strenggenommen, daran nicht beteiligt,
gleichzeitig aber wird sie, vom eigenen Vorteil geleitet, schleunigst versuchen,
sich daran zu beteiligen.
<P>
Diese Sache hat auch noch eine andere Seite. Vom Standpunkt des "zivilisierten"
(vor allem des lese- und schreibkundigen) Europ&auml;ers m&uuml;ssen wir
nur noch sehr wenig tun, um ausnahmslos alle zu veranlassen, sich an den
Transaktionen der Genossenschaften zu beteiligen, und zwar nicht passiv,
sondern aktiv. Eigentlich bleibt uns "nur" eines zu tun: unsere Bev&ouml;lkerung
so "zivilisiert" zu machen, da&szlig; sie alle aus der allgemeinen Beteiligung
an den Genossenschaften entspringenden Vorteile einsieht und diese Beteiligung
organisiert. "Nur" das. Wir brauchen jetzt keine anderen Weisheiten, um zum
Sozialismus &uuml;berzugehen. Um aber dieses "Nur" zu vollbringen, bedarf
es einer ganzen Umw&auml;lzung, einer ganzen Periode kultureller Entwicklung
der gesamten Volksmasse. Deshalb m&uuml;ssen wir uns zur Regel machen:
m&ouml;glichst wenig Kl&uuml;geleien und m&ouml;glichst wenig Floskeln. Die
N&Ouml;P bedeutet in dieser Hinsicht insofern einen Fortschritt, als sie
sich dem Niveau des allergew&ouml;hnlichsten Bauern anpa&szlig;t, als sie
von ihm nichts H&ouml;heres verlangt. Um aber durch die N&Ouml;P die Beteiligung
ausnahmslos der gesamten Bev&ouml;lkerung an den Genossenschaften
herbeizuf&uuml;hren, dazu bedarf es einer ganzen geschichtlichen Epoche.
Wir k&ouml;nnen im g&uuml;nstigsten Fall diese Epoche in ein, zwei Jahrzehnten
durchschreiten. Aber dennoch wird das eine besondere geschichtliche Epoche
sein, und ohne diese geschichtliche Epoche, ohne allgemeine Elementarbildung
der gesamten Bev&ouml;lkerung, ohne einen gen&uuml;gend hohen Grad von
Aufgewecktheit, ohne die Bev&ouml;lkerung in ausreichendem Grade daran
gew&ouml;hnt zu haben, B&uuml;cher zu gebrauchen, und ohne die materielle
Grundlage daf&uuml;r, ohne eine gewisse Sicherung, sagen wir, gegen
Mi&szlig;ernte, gegen Hungersnot usw. - ohne das k&ouml;nnen wir unser Ziel
nicht erreichen. Alles kommt jetzt darauf an, da&szlig; wir es verstehen,
den revolution&auml;ren Schwung, den revolution&auml;ren Enthusiasmus, den
wir schon gezeigt, und zwar hinreichend gezeigt und mit vollem Erfolg
gekr&ouml;nt haben, mit der (hier m&ouml;chte ich fast sagen) F&auml;higkeit
zu vereinigen, ein aufgeweckter und des Schreibens und Rechnens kundiger
H&auml;ndler zu sein, was f&uuml;r einen guten Genossenschaftler durchaus
gen&uuml;gt. Unter der F&auml;higkeit, ein H&auml;ndler zu sein, verstehe
ich die F&auml;higkeit, ein H&auml;ndler zu sein, der Kulturanspr&uuml;chen
gen&uuml;gt. Das m&ouml;gen sich die russischen Menschen oder einfach die
Bauern hinter die Ohren schreiben, die meinen: Wenn einer Handel treibt,
dann versteht er auch H&auml;ndler zu sein. Das ist ganz falsch. Wohl treibt
er Handel, aber von da bis zu der F&auml;higkeit, ein H&auml;ndler zu sein,
der Kulturanspr&uuml;chen gen&uuml;gt, ist es noch sehr weit. Er treibt heute
Handel auf asiatische Manier; um aber zu verstehen, ein H&auml;ndler zu sein,
mu&szlig; man auf europ&auml;ische Manier Handel treiben. Davon trennt ihn
eine ganze Epoche.
<P>
Ich komme zum Schlu&szlig;. Eine Reihe von &ouml;konomischen, finanziellen
und Bankprivilegien f&uuml;r die Genossenschaften - darin mu&szlig; die
Unterst&uuml;tzung bestehen, die unser sozialistischer Staat dem neuen Prinzip
der Organisierung der Bev&ouml;lkerung erweist. Damit ist jedoch die Aufgabe
erst in allgemeinen Z&uuml;gen umrissen, weil der ganze Inhalt der Aufgabe
praktisch noch unbestimmt bleibt, noch nicht im Detail geschildert ist, d.h.,
man mu&szlig; verstehen, jene Form der "Pr&auml;mien" (und jene Bedingungen
f&uuml;r ihre Gew&auml;hrung) ausfindig zu machen, die wir f&uuml;r den
genossenschaftlichen Zusammenschlu&szlig; geben, jene Form der Pr&auml;mien,
durch die wir die Genossenschaften gen&uuml;gend f&ouml;rdern, jene Form
der Pr&auml;mien, durch die wir zu einem zivilisierten Genossenschaftler
gelangen. Aber ein System zivilisierter Genossenschaftler bei gesellschaftlichem
Eigentum an den Produktionsmitteln, beim Klassensieg des Proletariats &uuml;ber
die Bourgeoisie - das ist das System des Sozialismus.
<P ALIGN=Right>
4. Januar 1923
<P>
<HR>
<H4 ALIGN=Center>
<A NAME="Sekt2">II</A>
</H1>
<P>
Immer, wenn ich &uuml;ber die Neue &Ouml;konomische Politik schrieb, zitierte
ich meinen Artikel &uuml;ber den Staatskapitalismus aus dem Jahre 1918 (2).
Das erregte des &ouml;fteren Zweifel bei manchen jungen Genossen. Aber ihre
Zweifel betrafen vorwiegend die abstrakt politische Seite.
<P>
Es schien ihnen, da&szlig; eine Gesellschaftsordnung, unter der die
Produktionsmittel der Arbeiterklasse geh&ouml;ren und dieser Arbeiterklasse
die Staatsmacht geh&ouml;rt, nicht als Staatskapitalismus bezeichnet werden
d&uuml;rfe. Sie merkten jedoch nicht, da&szlig; die Bezeichnung
"Staatskapitalismus" bei mir gebraucht wurde: ERSTENS, um den historischen
Zusammenhang unserer gegenw&auml;rtigen Position mit der Position in meiner
Polemik gegen die sogenannten linken Kommunisten herzustellen, und auch damals
schon suchte ich zu beweisen, da&szlig; der Staatskapitalismus h&ouml;her
stehen w&uuml;rde als unsere heutige Wirtschaftsweise; mir lag daran, den
kontinuierlichen Zusammenhang des gew&ouml;hnlichen Staatskapitalismus mit
jenem ungew&ouml;hnlichen, sogar ganz und gar ungew&ouml;hnlichen
Staatskapitalismus festzustellen, von dem ich sprach, als ich den Leser in
die Neue &Ouml;konomische Politik einf&uuml;hrte. ZWEITENS war f&uuml;r mich
stets der praktische Zweck wichtig. Und der praktische Zweck unserer Neuen
&Ouml;konomischen Politik bestand darin, zu Konzessionen zu gelangen;
Konzessionen aber w&auml;ren unter unseren Verh&auml;ltnissen zweifellos
schon ein Staatskapitalismus von reinem Typus gewesen. Aus dieser Sicht stelle
ich meine Erw&auml;gungen &uuml;ber den Staatskapitalismus an.
<P>
Die Sache hat jedoch noch eine andere Seite, bei der uns der Staatskapitalismus
oder wenigstens ein Vergleich damit n&ouml;tig sein kann. Das ist die Frage
der Genossenschaften. Es ist unzweifelhaft, da&szlig; die Genossenschaften
in einem kapitalistischen Staat eine kapitalistische Kollektiveinrichtung
sind. Unzweifelhaft ist auch, da&szlig; in unserer jetzigen &ouml;konomischen
Wirklichkeit, wo wir privatkapitalistische Betriebe - jedoch nur auf
gesellschaftlichem Grund und Boden und nur unter der Kontrolle der Staatsmacht,
die in den H&auml;nden der Arbeiterklasse liegt - mit Betrieben von konsequent
sozialistischem Typus (sowohl die Produktionsmittel als auch der Grund und
Boden, auf dem der Betrieb steht, wie der Betrieb als Ganzes geh&ouml;ren
dem Staat) vereinigen, noch die Frage nach einer dritten Art von Betrieben
auftaucht, denen fr&uuml;her vom Standpunkt der prinzipiellen Bedeutung aus
keine Selbst&auml;ndigkeit zukam, n&auml;mlich den genossenschaftlichen
Betrieben. Unter dem Privatkapitalismus unterscheiden sich genossenschaftliche
Betriebe von kapitalistischen als kollektive Betriebe von privaten. Unter
dem Staatskapitalismus unterscheiden sich genossenschaftliche Betriebe von
staatskapitalistischen dadurch, da&szlig; sie erstens private, zweitens
kollektive Betriebe sind. In der bei uns bestehenden Gesellschaftsordnung
unterscheiden sich genossenschaftliche Betriebe von privatkapitalistischen
als kollektive Betriebe, aber sie unterscheiden sich nicht von sozialistischen
Betrieben, wenn sie auf dem Grund und Boden errichtet und mit Produktionsmitteln
ausger&uuml;stet sind, die dem Staat, d.h. der Arbeiterklasse geh&ouml;ren.
<P>
Eben dieser Umstand wird bei uns nicht gen&uuml;gend ber&uuml;cksichtigt,
wenn man von den Genossenschaften spricht. Man vergi&szlig;t, da&szlig; die
Genossenschaften bei uns dank der Besonderheit unserer Staatsordnung eine
ganz au&szlig;erordentliche Bedeutung gewinnen. Sondert man die Konzessionen
aus, die bei uns, nebenbei bemerkt, keine irgendwie betr&auml;chtliche
Entwicklung erfahren haben, so decken sich die Genossenschaften unter unseren
Verh&auml;ltnissen in der Regel v&ouml;llig mit dem Sozialismus.
<P>
Ich will meinen Gedanken n&auml;her ausf&uuml;hren. Worin bestand das
Phantastische an den Pl&auml;nen der alten Genossenschaftler, angefangen
mit Robert Owen? Darin,da&szlig; sie von einer friedlichen Umgestaltung der
modernen Gesellschaft durch den Sozialismus tr&auml;umten, ohne eine so
grundlegende Frage wie die des Klassenkampfes, der Eroberung der politischen
Macht durch die Arbeiterklasse, des Sturzes der Herrschaft der Ausbeuterklasse
zu beachten. Und deshalb sind wir im Recht, wenn wir in diesem
"Genossenschafts"sozialismus pure Phantasterei sehen, wenn wir etwas
Romantisches, ja sogar Abgeschmacktes in den Tr&auml;umereien erblicken,
da&szlig; man durch den blo&szlig;en genossenschaftlichen Zusammenschlu&szlig;
der Bev&ouml;lkerung die Klassenfeinde in Klassenfreunde und den Klassenkrieg
in den Klassenfrieden (den sogenannten Burgfrieden) verwandeln k&ouml;nne.
<P>
Es besteht kein Zweifel, da&szlig; wir vom Standpunkt der Grundaufgabe der
Gegenwart aus gesehen recht hatten, denn ohne den Klassenkampf um die politische
Macht im Staat kann der Sozialismus nicht verwirklicht werden.
<P>
Man betrachte aber, wie sich die Sache jetzt ge&auml;ndert hat, da ja die
Staatsmacht bereits in den H&auml;nden der Arbeiterklasse liegt, da die
politische Macht der Ausbeuter gest&uuml;rzt ist und alle Produktionsmittel
(mit Ausnahme derer, die der Arbeiterstaat freiwillig, zeitweilig und bedingt
den Ausbeutern als Konzession &uuml;berl&auml;&szlig;t) sich in den H&auml;nden
der Arbeiterklasse befinden.
<P>
Jetzt haben wir das Recht zu sagen, da&szlig; das einfache Wachstum der
Genossenschaften f&uuml;r uns (mit der oben erw&auml;hnten `kleinen' Ausnahme)
mit dem Wachstum des Sozialismus identisch ist, und zugleich m&uuml;ssen
wir zugeben, da&szlig; sich unsere ganze Auffassung vom Sozialismus grundlegend
ge&auml;ndert hat. Diese grundlegende &Auml;nderung besteht darin, da&szlig;
wir fr&uuml;her das Schwergewicht auf den politischen Kampf, die Revolution,
der Eroberung der Macht usw. legten und auch legen mu&szlig;ten. Heute dagegen
&auml;ndert sich das Schwergewicht so weit, da&szlig; es auf die friedliche
organisatorische "Kultur"arbeit verlegt wird. Ich w&uuml;rde sagen, da&szlig;
sich das Schwergewicht f&uuml;r uns auf blo&szlig;e Kulturarbeit verschiebt,
g&auml;be es nicht die internationalen Beziehungen, h&auml;tten wir nicht
die Pflicht, f&uuml;r unsere Position in internationalem Ma&szlig;stab zu
k&auml;mpfen. Wenn man aber davon absieht und sich auf die inneren
&ouml;konomischen Verh&auml;ltnisse beschr&auml;nkt, so reduziert sich bei
uns jetzt das Schwergewicht der Arbeit tats&auml;chlich auf blo&szlig;e
Kulturarbeit.
<P>
Vor uns stehen zwei Hauptaufgaben, die eine Epoche ausmachen. Das ist einmal
die Aufgabe, unseren Apparat umzugestalten, der absolut nichts taugt und
den wir g&auml;nzlich von der fr&uuml;heren Epoche &uuml;bernommen haben.
Hier ist ernstlich etwas umzugestalten, das haben wir in f&uuml;nf Jahren
Kampf nicht fertiggebracht und konnten es auch nicht fertigbringen. Unsere
zweite Aufgabe besteht in der kulturellen Arbeit f&uuml;r die Bauernschaft.
Und diese kulturelle Arbeit unter der Bauernschaft verfolgt als
&ouml;konomisches Ziel eben den genossenschaftlichen Zusammenschlu&szlig;.
Bei einem vollst&auml;ndigen genossenschaftlichen Zusammenschlu&szlig;
st&uuml;nden wir bereits mit beiden F&uuml;&szlig;en auf sozialistischem
Boden. Aber diese Voraussetzung, der vollst&auml;ndige genossenschaftliche
Zusammenschlu&szlig;, schlie&szlig;t ein derartiges Kulturniveau der Bauernschaft
(eben der Bauernschaft als der &uuml;bergro&szlig;en Masse) in sich ein,
da&szlig; dieser vollst&auml;ndige genossenschaftliche Zusammenschlu&szlig;
ohne eine ganze Kulturrevolution unm&ouml;glich ist.
<P>
Unsere Gegner hielten uns oft entgegen, es sei ein sinnloses Beginnen von
uns, in einem Lande mit ungen&uuml;gender Kultur den Sozialismus einf&uuml;hren
zu wollen. Aber sie irrten sich, und zwar deshalb, weil wir nicht an dem
Ende anfingen, an dem es nach der Theorie (von allerlei Pedanten) h&auml;tte
geschehen sollen, und weil bei uns die politische und soziale Umw&auml;lzung
jener kulturellen Umw&auml;lzung, jener Kulturrevolution vorausging, der
wir jetzt dennoch gegen&uuml;berstehen.
<P>
Uns gen&uuml;gt nun diese Kulturrevolution, um ein vollst&auml;ndig
sozialistisches Land zu werden, aber f&uuml;r uns bietet diese Kulturrevolution
ungeheure Schwierigkeiten sowohl rein kultureller (denn wir sind Analphabeten)
als auch materieller Natur (denn um Kultur zu haben, braucht man eine bestimmte
Entwicklung der materiellen Produktionsmittel, braucht man eine bestimmte
materielle Basis).
<P ALIGN=Right>
6. Januar 1923
<P>
<HR>
<P>
Zuerst ver&ouml;ffentlicht am 26. und 27. Mai 1923 in der "Prawda" Nr. 115
und 116. Nach dem Text der "Prawda", verglichen mit der stenographischen
Niederschrift. Unterschrift: N. Lenin.
<P>
<HR>
<H3>
Fu&szlig;noten:
</H3>
<P>
1. N&Ouml;P: Neue &Ouml;konomische Politik - Wirtschaftsmodell der Sowjetunion
in der ersten H&auml;lfte der zwanziger Jahre, das den "Kriegskommunismus"
der B&uuml;rgerkriegsphase abl&ouml;ste. Neben dem zentralisierten Sektor
verstaatlichter Industrie und Banken bestand ein gro&szlig;er
privatkapitalistischer Sektor von Kleinunternehmen, der insbesondere
Landwirtschaft und Handwerk umfa&szlig;te.
<P>
2. "&Uuml;ber `linke' Kinderei und &uuml;ber Kleinb&uuml;rgerlichkeit" (Lenin
Werke Bd. 27, Seite 315 - 347.)
<P>
<HR size="1">
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