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<title>"Neue Rheinische Zeitung" - Demokratischer Charakter des Aufstandes</title>
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<p align="center"><a href="me05_106.htm"><font size="2">Patows
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Ablösungsdenkschrift</font></a> <font size="2">|</font> <a href="../me_nrz48.htm"><font
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size="2">Inhalt</font></a> <font size="2">|</font> <a href="me05_110.htm"><font size=
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"2">[Nachrichten aus Paris]</font></a></p>
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<small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 108-109<br>
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Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971</small> <br>
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<h1>Demokratischer Charakter des Aufstandes</font></p>
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<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 25 vom 25. Juni 1848]</font></p>
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<p><b><a name="S108"><108></a></b> *<i>Prag</i>. Es bestätigt sich täglich
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mehr, daß unsre Auffassung des Prager Aufstandes (Nr. 18 d[ieser] Z[eitung] <Siehe <a
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href="me05_080.htm">"Der Prager Aufstand"</a>>) die richtige und daß die
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Verdächtigungen deutscher Blätter gegen die tschechische Partei, sie diene der
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Reaktion, der Aristokratie, den Russen etc., reine Lügen waren.</p>
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<p>Man sah nur den Grafen Leo Thun und seine Aristokraten, man sah nicht die Masse des
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böhmischen Volks, der zahlreichen industriellen Arbeiter, der Bauern. Darin, daß die
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Aristokratie einen Augenblick die tschechische Bewegung zu ihren und der Innsbrucker Kamarilla
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Gunsten zu konfiszieren versuchte, darin lag allerdings ja schon, daß das
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revolutionäre Prager Proletariat, das 1844 schon drei Tage lang Prag vollständig
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beherrschte, das Interesse des Adels und der Reaktion überhaupt vertrat!</p>
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<p>Aber alle diese Verleumdungen zerstoben vor dem ersten entscheidenden Schlage der
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tschechischen Partei. Der Aufstand war so entschieden demokratisch, daß die Grafen
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<i>Thun</i>, statt an seine Spitze zu treten, sofort zurücktraten und als
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östreichische Geiseln vom Volk zurückgehalten wurden. Er war so entschieden
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demokratisch, daß alle Tschechen von der aristokratischen Partei vor ihm flohen. Er war
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ebensogut gegen die tschechischen Feudalherren wie gegen die östreichische Soldateska
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gerichtet.</p>
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<p>Die Östreicher griffen das Volk an, nicht weil es tschechisch, sondern weil es
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<i>revolutionär</i> war. Dem Soldaten galt der Sturm auf Prag nur als ein Vorspiel der
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Einäscherung und Erstürmung Wiens.</p>
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<p>So schreibt die "Berl[iner] Z[eitungs]-H[alle]" "<i>Wien</i>, 20. Juni":</p>
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<p>"Heute kam die Deputation zurück, welche der hiesige
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Bürgerausschuß nach Prag geschickt hatte, einzig und allein mit dem Auftrage,
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dafür zu sorgen, daß die <a name="S109"><b><109></b></a> Berichte des
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Telegraphen überwacht werden und wir nicht, wie in den letzten Tagen, oft 24 Stunden auf
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eine Nachricht von dort warten müßten. Die Deputation stattete dem Ausschusse
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Bericht über ihre Mission ab. Sie berichtet Schreckliches über die
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Militärherrschaft in Prag. Sie habe nur ein Wort für all die Schrecken einer
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eroberten, bombardierten, belagerten Stadt, daß es keine Worte gebe, diese Greuel zu
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schildern. Mit Lebensgefahr gelangten sie von der letzten Station vor Prag zu Wagen in die
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Stadt, mit Lebensgefahr durch die Soldaten aufs Prager Schloß.</p>
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<p>Überall riefen ihnen die Soldaten entgegen: 'Seid ihr auch hier, ihr Wiener Hunde!
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Jetzt haben wir euch!' Viele wollten auf die Deputierten einhauen, selbst die Offiziere
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benahmen sich mit maßloser Roheit. Endlich kamen sie aufs Schloß. Graf Wallmoden
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nahm ihr Beglaubigungsschreiben vom Ausschuß in Empfang, sah auf die Unterschrift und
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sagte: '<i>Pillersdorf</i>? der gilt hier nicht bei uns.' Windischgrätz begegnete der
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Bürgerkanaille schroffer als je und sagte: '<i>Überall hat die Revolution gesiegt;
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hier sind wir Sieger und erkennen keine Zivilautorität an</i>. Solange ich in Wien war,
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blieb's ruhig. Kaum war ich fort, da warf man alles im Sturme über den Haufen.' Der
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Deputation wurden die Waffen abgenommen, sie selbst in einem Zimmer auf dem Schlosse
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gefangengehalten. Nach zwei Tagen erhielten sie erst die Erlaubnis auszugehen; die Waffen
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wurden nicht zurückgestellt.</p>
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<p>So berichteten unsere Deputierten, so behandelte sie der Tilly Prags, so benahmen sich die
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Soldaten, und hier tut man noch, als glaube man an einen bloßen Kampf gegen die
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Tschechen. Sprachen etwa die Deputierten böhmisch? Hatten sie nicht Wiener
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Nationalgardenuniform, hatten sie nicht die Vollmacht des Ministeriums und des von diesem als
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legislative Autorität bevollmächtigten Bürgerausschusses in Händen?</p>
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<p>Aber die Revolution hat schon zu weite Fortschritte gemacht. Windischgrätz hält
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sich für den Mann, ihr einen Damm zu setzen, Die Böhmen schießt man wie Hunde
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nieder, und wenn das Wagestück an der Zeit ist, wird man gegen Wien rücken. Warum
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wurde Leo Thun von Windischgrätz befreit, derselbe Leo Thun, welcher sich an die Spitze
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der Prager provisorischen Regierung gestellt hatte, welcher die Losreißung Böhmens
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predigte? Warum, fragen wir, wurde dieser aus den Händen der Tschechen befreit, wenn sein
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ganzes Tun und Treiben nicht ein mit der Aristokratie abgekartetes Spiel gewesen, um den
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Ausbruch herbeizuführen?</p>
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<p>Vorgestern ging ein Train von Prag weg. Auf demselben befanden sich deutsche flüchtige
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Studenten, Wiener Nationalgarden, flüchtige Familien aus Prag, denen es dort, trotz der
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hergestellten Ruhe, nicht recht heimisch mehr war. Auf der ersten Station vor Prag fordert das
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dort aufgestellte Militärpikett, die Reisenden ohne Unterschied sollen ihre Waffen
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abliefern, und auf ihre Weigerung schießen die Soldaten in die Waggons hinein, mitten
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unter wehrlose Männer, Frauen und Kinder. Sechs Leichen zog man aus den Wagen, und die
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Reisenden wischten sich das Blut der Gemordeten von den Gesichtern. Das geschah gegen Deutsche
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vom Militär, das man hier als Rettungsengel deutscher Freiheit betrachtet wissen
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will."</p>
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<p>Geschrieben von Friedrich Engels.</p>
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