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2022-08-25 20:29:11 +02:00

632 lines
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Raw Blame History

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<TITLE>Rosa Luxemburg - Der politische Massenstreik und die Gewerkschaften</TITLE>
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<HR size="1">
<H2>Rosa Luxemburg</H2>
<H1> Der politische Massenstreik und die Gewerkschaften</H1>
<H3>Rede in der Generalversammlung der Freien Gewerkschaften in Hagen, 1. Oktober 1910</H3>
<HR size="1">
<P ALIGN="left">Parteigenossen und Parteigenossinnen! Werte Anwesende!</P>
<P align="left">
Ich mu&szlig; gestehen, da&szlig; ich nicht minder wie Sie &uuml;berrascht war,
als ich hier in der au&szlig;erordentlichen Mitgliederversammlung des
Metallarbeiterverbandes mehrere uniformierte Vertreter unserer
Obrigkeit auf Erden erblickt habe. Ich habe erfahren, da&szlig; au&szlig;er
den paar hochgestellten Herren, die in diesem Raume weilen, auch
noch eine ansehnliche Anzahl von Kommissaren und Schutzleuten
in der n&auml;chstliegenden Wache aufgestapelt worden sind. (Bewegung)
Parteigenossen und werte Anwesende! Ich mu&szlig; gestehen,
da&szlig; auf mich diese &Uuml;berraschung anders gewirkt hat wie auf Sie.
Nicht mit Entr&uuml;stung habe ich sie aufgenommen, sondern es ist
ein wundervolles Gef&uuml;hl der Sicherheit &uuml;ber mich gekommen.
(Ironisches &raquo;Bravo!&laquo;)</P>
<P>
Parteigenossen! Sie sind hier in Hagen wohl noch nicht so weit
in der preu&szlig;ischen Kultur wie wir in Berlin; ich komme aus der
Hauptstadt Berlin, und es gibt einen Stadtteil in Berlin, der Moabit
hei&szlig;t. Wir haben dort gelernt, Parteigenossen, da&szlig;, wo man
Sicherheit und Ordnung bewahren will, da ist die preu&szlig;ische Polizei
direkt unentbehrlich. (Lachen) Verehrte Anwesende! Erst
nachdem ich die Nachricht bekommen habe, da&szlig; unser Versammlungslokal
so ausgiebig vom polizeilichen Schutz gesegnet worden
ist, bin ich ganz ruhig, da&szlig; wir mit heilen Nasen, Ohren und
Augen und sonstigen K&ouml;rperteilen den Saal verlassen k&ouml;nnen.
(Lachen) Ich mu&szlig; Ihnen gestehen, da&szlig; ich anscheinend eine ganz
besondere Anziehungskraft gegen&uuml;ber der Polizei besitze. (Heiterkeit)
Ich mu&szlig; gestehen, da&szlig; ich jedesmal eine gewisse Freude und
als Referentin auch eine gewisse Dankbarkeit empfinde gegen&uuml;ber
der l&ouml;blichen Polizei. Ich mu&szlig; Ihnen sagen, gerade die Anwesenheit
dieser Herren mit ihren behelmten H&auml;uptern gibt der Sache
eine gewisse Spitze. (&raquo;Sehr gut!&laquo;) Und heute ist gerade die
Anwesenheit der l&ouml;blichen Polizei eine h&uuml;bsche Folie f&uuml;r das Thema,
das wir am heutigen Abend behandeln werden.
<P>
Ich werde im Laufe des heutigen Abends hoffentlich noch eine
Gelegenheit haben, den speziellen Zusammenhang zwischen den
Massenaktionen und Massendemonstrationen des Proletariats und
der l&ouml;blichen Polizei zu beleuchten. Ich glaube, es ist gut, wenn
auch diese Herren einmal die Gelegenheit haben, zu h&ouml;ren, was wir
von ihnen denken. (&raquo;Sehr richtig!&laquo;) Ich verliere nie die Hoffnung,
da&szlig; auch sie mal etwas lernen k&ouml;nnen, und daher sollten wir doch
nicht so geizig sein mit unseren Worten und Lehren. Wir wollen
auch einmal unsere Perlen vor die - preu&szlig;ische Polizei werfen.
<P>
Parteigenossen und werte Anwesende! In der Tat kann <B>kein
Thema in dem gegenw&auml;rtigen Moment in einer deutschen
Gewerkschaftsversammlung aktueller sein als das Thema: Massenstreik
und Gewerkschaften.</B> Wir haben uns hier versammelt, um dieses
Thema zu diskutieren, nachzudenken, gewisserma&szlig;en zwischen
zwei gewaltigen Schlachten. Erst vor wenigen Wochen haben Sie
hier in Hagen auf Schwelm einen musterg&uuml;ltigen gro&szlig;artigen
Kampf ausgefochten, wie er die Aufmerksamkeit und die Bewunderung
der gesamten klassenbewu&szlig;ten Arbeiterschaft in Deutschland
verdient, und in kurzer Zeit, <I>werte Anwesende</I>, werden Sie
vielleicht gezwungen sein, Sie und Ihre zahllosen Kollegen und
Kameraden in ganz Deutschland, in einen so gewaltigen Kampf
einzutreten, wie wir ihn in Deutschland noch niemals erlebt haben.
Sie wissen alle, da&szlig; in wenigen Tagen, &uuml;bermorgen, die Vertreter
der organisierten Arbeiterschaft mit den gewaltigen Kapitalmagnaten
der Schiffsbauwerften in Verhandlung treten, wonach
entschieden werden soll, ob 400 000 deutsche Metallarbeiter aufs
Pflaster geworfen werden.
<P>
Parteigenossen! Sollte es zur Tat werden und sollte daraus folgen,
was h&ouml;chstwahrscheinlich von der Solidarit&auml;t, von dem Klassenbewu&szlig;tsein,
von der Kampfenergie der gesamten organisierten
Metallarbeiterschaft zu erwarten ist, so w&uuml;rden wir in ganz
Deutschland Zeugen eines Kampfes sein, wie er vielleicht in der
Welt noch nie dagewesen ist, denn zusammen mit den n&auml;chsten
Angeh&ouml;rigen und mit den Familien w&uuml;rden vielleicht eine Million
Menschen im Kampfe sein, in einem Kampfe, in dem es sich
handelt um Sein oder Nichtsein zwischen der st&auml;rksten
Gewerkschaftsorganisation und dem &uuml;berm&auml;chtigen protzigen Kapital.
<P>
Parteigenossen! In einem solchen Moment, wie ich gesagt habe
zwischen zwei gewaltigen Schlachten, ist gerade angezeigt f&uuml;r uns,
&uuml;ber das Thema hier zu sprechen und nachzudenken, was f&uuml;r uns
die aktuellste Frage des Gestern und des Morgen bedeutet. So,
Parteigenossen, so, werte Anwesende, lernt einmal die k&auml;mpfende,
organisierte Arbeiterklasse in Deutschland und anderw&auml;rts, mitten
im Schlachtfelde, mitten im Feuer des Kampfes, einen Moment
erhaschen, um nachzudenken, zu analysieren, um das Bewu&szlig;tsein
zu sch&auml;rfen, um die Waffen zu pr&uuml;fen, die sie im Kampfe anzuwenden hat.
<P>
Und das ist ganz nat&uuml;rlich, das ergibt sich aus dem Wesen des
Arbeiterkampfes selbst. Die moderne proletarische Klasse f&uuml;hrt
ihren Kampf nicht nach irgendeinem fertigen, in einem Buch, in
einer Theorie niedergelegten Schema, <B>der moderne Arbeiterkampf
ist ein St&uuml;ck in der Geschichte</B>, ein St&uuml;ck der Sozialentwicklung,
und mitten in der Geschichte, mitten in der Entwicklung, mitten
im Kampf lernen wir, wie wir k&auml;mpfen m&uuml;ssen. Parteigenossen
und werte Anwesende! Das ist ja gerade das Bewundernswerte
das ist ja gerade das Epochemachende dieses kolossalen Kulturwerks,
das in der modernen Arbeiterbewegung liegt: Da&szlig; zuerst
die gewaltige Masse des arbeitenden Volkes selbst aus eigenem
Bewu&szlig;tsein, aus eigener &Uuml;berzeugung und auch aus eigenem Verst&auml;ndnis
sich die Waffen zu ihrer eigenen Befreiung schmiedet.
Und deshalb ist es au&szlig;erordentlich wichtig, da&szlig; wir solche kurzen
Momente des Stillstandes zwischen Schlachten, wie wir sie hier
erleben, vollauf ausnutzen zu kriegerischen Erw&auml;gungen, zur
Analyse, zur Pr&uuml;fung aller Seiten, aller Fragen, aller Probleme,
die das Leben an uns stellt.
<P>
Eines der wichtigsten Probleme, die jetzt sowohl die gewerkschaftlichen
wie die sozialistischen Organisationen besch&auml;ftigen,
nicht nur in Deutschland, sondern in allen modernen L&auml;ndern, ist
das <B>Problem des Massenstreiks</B>. Und nun sehen Sie, wie eine interessante
Erscheinung sich dabei herausstellt. Wie sooft, ergibt sich
hier, da&szlig; f&uuml;r unser soziales politisches Leben und Tun vollauf
gilt, was Mephisto in Goethes &raquo;Faust&laquo; gesagt hat: &raquo;Vernunft wird
Unsinn, Wohltat Plage.&laquo; Alles ver&auml;ndert sich mit der Zeit.
<P>
Das erste Gebot der politischen K&auml;mpfer, wie wir es sind, ist es,
mit der Entwicklung der Zeit zu gehen und sich jederzeit Rechenschaft
abzulegen &uuml;ber die Ver&auml;nderung in der modernen Welt wie
auch &uuml;ber eine Ver&auml;nderung <B>unserer Kampfstrategie</B>. Parteigenossen
und werte Anwesende! In der Geschichte der Idee vom
Massenstreik hat sich das ewige Gesetz der geschichtlichen Entwicklung
in gl&auml;nzender und schlagender Weise best&auml;tigt. Sie wissen alle
wohl, da&szlig; die Idee des Massenstreiks oder, wie er fr&uuml;her hie&szlig;
Generalstreik, keine Erfindung der letzten Tage oder Jahre ist ...
<P>
So standen die Dinge noch vor kurzem, und was sehen wir heutzutage?
Blicken wir auf die blo&szlig;en Tatsachen hin, auf die Ergebnisse
des letzten Jahrzehnts, auf die Jahre 1900 bis jetzt, blicken
wir auf alle die L&auml;nder der kapitalistischen Entwicklung, so m&uuml;ssen
wir konstatieren, da&szlig; in einem Lande nach dem andern, in
einem Jahre nach dem andern, die gewaltigen Generalstreiks und
Massenstreiks ausbrechen - Parteigenossen! Ich will Ihnen nur
noch einige der wichtigsten in Erinnerung rufen. Im Jahre 1900
hatten wir den gewaltigen Bergarbeiterstreik der Bergarbeiter in
Pennsylvanien, von dem die amerikanischen Parteigenossen behaupteten
und erkl&auml;rten, er habe f&uuml;r die Ausbreitung des sozialistischen
Klassenbewu&szlig;tseins mehr getan, als 10 Jahre Agitation
es sonst tun. Im Jahre 1902 hatten wir den gro&szlig;en Massenstreik
der Bergarbeiter in &Ouml;sterreich, der zun&auml;chst, wie es den Anschein
hatte, resultatlos verlief, der aber in der Folge durch die Umstimmung
der &ouml;ffentlichen Meinung und durch den Druck auf die
Regierung und auf das Parlament den neunst&uuml;ndigen Arbeitstag
f&uuml;r die Bergarbeiter erobert hat. Wir hatten 1903 den Massenstreik
der Bergarbeiter in Frankreich, der im weiteren Verlauf
f&uuml;r die franz&ouml;sischen Bergarbeiter den achtst&uuml;ndigen Arbeitstag
erobert hat. Wir hatten noch im Jahre 1902 in Belgien den gro&szlig;en
Massenstreik, den politischen Streik, den Kampf um das allgemeine
Wahlrecht. Wir hatten 1904, gerade zu Beginn, im Januar,
den gewaltigen Generalstreik der holl&auml;ndischen Eisenbahner, der
den kolossalsten Eindruck auf die Welt gemacht hat und der die
unerh&ouml;rte Kunde verbreitet hat, da&szlig; pl&ouml;tzlich in Holland der
ganze Verkehr und damit das ganze wirtschaftliche Leben lahmgelegt
wurde, und der erst durch den Willen einer bestimmten
Kategorie von Arbeitern zum Stillstand gebracht werden konnte.
Und dann, Parteigenossen, kam das Jahr 1905. Im Januar des Jahres
1905 kam nach Europa eine Kunde, die wie aus einem M&auml;rchenlande
lautete. Das war die Kunde, da&szlig; in der n&ouml;rdlichen Hauptstadt
des Zaren aller Reu&szlig;en - in Petersburg pl&ouml;tzlich 100000
bis 200000 Proletarier den Massenstreik erkl&auml;rt haben und zu
gleich sich vor das Schlo&szlig; begeben haben, um politische Freiheit
und den Achtstundentag zu fordern. Nun, Parteigenossen, seit
jenem Tage verging kein Monat, ja, kein Tag, da nicht in Ru&szlig;land
lokale Generalstreiks und Massenstreiks ausbrachen. In einem
Lande, von dem bisher angenommen wurde, da&szlig; es &uuml;berhaupt
eine Ausnahme der alten Kulturl&auml;nder darstellt. In einem Lande,
von dem man annahm, da&szlig; die Gesetze der historischen Entwicklung
ohnm&auml;chtig an seinen Grenzen, an seiner Schwelle zusammenbrechen,
in einem Lande, nach welchem die Machthaber aus
Deutschland und speziell aus Preu&szlig;en hinblickten, weil sie glaubten,
dort sei der einzige Landesvater, dem seine Landeskinder so
gar keine Sorge machten. Parteigenossen! In diesem Lande erhob
sich zuerst eine gewaltige Masse von Proletariern und gebrauchte
das Werkzeug des Massenstreiks, die Waffe des Massenstreiks, des
politischen und gewerkschaftlichen zugleich, zum Kampfe gegen
die Ausbeuterklasse und zur Eroberung der politischen Freiheit.
Und als ein lebhaftes Echo, als ein Nachhall dieser Sturmperiode,
hatten wir im Herbst in &Ouml;sterreich eine Reihe gewaltiger Massenstreiks
als Demonstration und Kampfmittel f&uuml;r das allgemeine
Wahlrecht zum Reichsrat und den einzelnen Landtagen in B&ouml;hmen,
Galizien und Triest. Im Jahre 1905 gleichfalls hatten wir
in Italien den kolossalen Streik der Eisenbahner, in Galizien den
Massenstreik von 200000 Landarbeitern, derjenigen Kategorie,
die im tiefsten Elend, in der tiefsten Erniedrigung lebt. Seitdem
vergeht kein Jahr ohne einen gewaltigen Massenstreik in diesem
oder jenem Lande. Im vergangenen Jahre, 1909, hatten wir den
unverge&szlig;lichen Generalstreik in Schweden, der Ihnen allen in
frischer Erinnerung ist. In diesem Moment, in diesem Jahre hatten
wir - ich werde Ihnen das, was Sie selbst erlebt haben, nicht
in Erinnerung zu rufen brauchen - in Amerika zwei gl&auml;nzend
durchgef&uuml;hrte und siegreiche Massenstreiks. Der erste begann im
M&auml;rz und endete im April, das war der Massenstreik in Philadelphia,
der zweite, j&uuml;ngst erst beendete, war der Generalstreik
von 70 000 m&auml;nnlichen und weiblichen Arbeitern der Frauenindustrie
in New York, die es durchgesetzt haben, da&szlig; in der ganzen
Branche in s&auml;mtlichen Werkst&auml;tten nur das als Gesetz gilt, was
die Gewerkschaft der Arbeiter bestimmt. (&raquo;Bravo!&laquo;) Parteigenossen!
Das ist sozusagen ein kurzer &Uuml;berblick &uuml;ber die nackten Tatsachen
der Geschichte des Massenstreiks des letzten Jahrzehnts.
Und es gen&uuml;gt, diese Tatsachen festzustellen, um daraus den Schlu&szlig;
zu ziehen: Es hat sich in den Bedingungen der Verwirklichung des
Massenstreiks Gewaltiges ver&auml;ndert in der letzten Zeit. Haben
wir denn einen Grund anzunehmen oder zu denken, da&szlig; alle diese
Massenstreiks und Generalstreiks, die ich Ihnen aufgez&auml;hlt habe,
sozusagen ein versp&auml;teter Triumph der anarchistischen Idee sei?
Nein, durchaus nicht, werte Anwesende, durchaus sind es nicht die
Anarchisten, die einen Grund zum Triumphieren und uns nicht
darauf hinzuweisen haben, da&szlig; wir sozusagen mit Versp&auml;tung
darauf gekommen sind. Merken Sie sich wohl, da&szlig; gerade in allen
den L&auml;ndern, wo die wirksamsten und machtvollsten Massenstreiks
in der letzten Zeit zustande gekommen sind, da&szlig; dort der
Anarchismus g&auml;nzlich ausgestorben ist, und merken Sie sich die
interessante Tatsache, da&szlig; w&auml;hrend der russischen Revolution in
jenem Lande, wo der Massenstreik als politisches Kampfmittel
gewisserma&szlig;en aus der Taufe gehoben ist, gewisserma&szlig;en als
epochemachendes gl&auml;nzendes Beispiel angewandt worden ist, da&szlig;
in diesem Lande, das au&szlig;erdem die Wiege des bekannten Theoretikers
und Anarchisten Michael Bakunin ist, mit dem noch Marx
und Engels in der Internationale heftige K&auml;mpfe f&uuml;hren mu&szlig;ten - da&szlig;
in Ru&szlig;land selbst w&auml;hrend der ganzen gro&szlig;en Revolution
der Anarchismus nicht nur keine Rolle gespielt hat, sondern
da&szlig; er g&auml;nzlich heruntergestampft worden ist von den siegreichen
Scharen des organisierten Proletariats. (&raquo;Bravo!&laquo;) Denn, Parteigenossen,
diese Tatsache mu&szlig; doch geschichtlich hervorgehoben
werden, in der einzigen Form, in der sich der Name des Anarchismus
dieser Schablone in der russischen Revolution erblicken lie&szlig;,
das war das Aush&auml;ngeschild des Lumpenproletariats, der Diebe,
der Banditen und Strolche, die, um in irgendeinen idealen Mantel
sich einzukleiden, sich anarchistische Kommunisten nannten und
von der ganzen sozialistischen Arbeiterschaft als das was sie sind,
die Vertreter des Lumpenproletariats erkannt wurden. Parteigenossen!
Somit trennt sich gewisserma&szlig;en gleich zu Beginn unserer
jetzigen Entwicklungsperiode die Idee des Massenstreiks
von den anarchistischen N&auml;hrv&auml;tern und Propagandisten des
Generalstreiks vollst&auml;ndig. Die Idee des Massenstreiks tritt auf
als direkter Gegensatz zu den Hirngespinsten des Anarchismus.
Denn, Parteigenossen und werte Anwesende, w&auml;hrend f&uuml;r die
alten Anarchisten die Idee des Generalstreiks ein wundert&auml;tiges
Mittel sein sollte, um gewisserma&szlig;en durch einen Zauberschlag
von heute auf morgen, ohne gro&szlig;e M&uuml;he, pl&ouml;tzlich in ein Paradies
des Sozialismus hin&uuml;berzuspringen, w&auml;hrend f&uuml;r die Anarchisten
die Idee des Massenstreiks ein direkter Gegensatz zur
politischen Bet&auml;tigung, zum politischen Kampf war, <B>erblicken wir
jetzt umgekehrt den Massenstreik als politische Waffe</B>, die am
meisten dazu dient, dem Volke politische Rechte zu erobern.
<P>
So, verehrte Anwesende, stellen sich die Tatsachen dar, und
nun haben wir allen Grund, uns als denkende K&auml;mpfer die Frage
vorzulegen: Was ist geschehen, wieso ist es m&ouml;glich geworden, da&szlig;
eine Idee, deren Ausf&uuml;hrbarkeit so lange Zeit unpraktisch erschien,
unrealisierbar erschien, da&szlig; sie gewisserma&szlig;en jetzt zur t&auml;glichen
Erscheinung geworden ist, da&szlig; sie heute auf jeder Tagesordnung
der politischen und gewerkschaftlichen Bewegung steht? Wenn Sie
die Antwort auf diese Idee mit jener Gr&uuml;ndlichkeit geben wollen,
die zu einem ernsten Politiker geh&ouml;rt, so m&uuml;ssen Sie vor allem
einen Blick in die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte
und namentlich des letzten Jahrzehnts werfen. Werte Anwesende
und Parteigenossen, diejenigen, die in einem der wichtigsten
Punkte des westlichen Industriegebietes wohnen, wissen
selbst, was sie am eigenen Leibe erfahren haben. Der hervorragende
Zug in der Entwicklung Deutschlands in der letzten Zeit
ist die gewaltige Konzentration des Kapitals, die Konzentration
und Ansammlung der Gro&szlig;industrie in ihrer Macht gegen&uuml;ber
dem Proletariat! Parteigenossen, erinnern Sie sich, da&szlig; vor etwa
12 Jahren in unseren eigenen Reihen, in den Reihen der Sozialdemokratie,
sich sehr laute Zweifelstimmen h&ouml;ren lie&szlig;en, die die
Revision der ganzen Marxschen Lehre verlangten, die behaupteten,
das, was Marx gesagt habe &uuml;ber die Linie, &uuml;ber die Richtung
der organisatorischen Entwicklung des Kapitals, das sei alles, was
zum alten Eisen geworfen werden m&uuml;sse. Denn in Wirklichkeit
entwickele sich der deutsche Kapitalismus nicht wie es Marx prophezeit
habe. Man sagte, die Konzentration des Kapitals geht
nicht so vor sich, denn viele kleine Betriebe erhalten sich noch am
Leben, und auf diese Weise habe das Proletariat durchweg nicht
so rasch n&ouml;tig, mit der kapitalistischen Herrschaft ein Ende zu
machen, und - Parteigenossen - kaum war diese Ansicht ausgesprochen,
kaum begann das gro&szlig;e Werk der Revidierung der
Marxschen Lehre, da kam das Leben selbst und zeigte - und zwar
in so deutlicher Weise, da&szlig; selbst ein Blinder es sehen mu&szlig;te -,
zeigte, da&szlig; in Deutschland die kapitalistische Entwicklung
gewisserma&szlig;en nach Marxschen Voraussetzungen in gl&auml;nzender Weise
best&auml;tigte, was unsere Lehre vorausgesagt hatte. Nirgends so wie
in Deutschland hat sich gerade im letzten Jahre das Kapital in
dieser &Uuml;bermacht gegen&uuml;ber dem Proletariat zu einer gewaltigen
Macht zusammengeballt.
<P>
Nirgends so wie in Deutschland, und speziell hier im westlichen
Industriegebiet. Blicken Sie nur auf die wichtigsten Industriezweige.
&Uuml;berall ist fast das gesamte Kapital, die gesamte Macht
&uuml;ber die Produktionsmittel konzentriert in wenigen H&auml;nden, von
Kartellen, die allm&auml;chtig beherrschen das ganze Gebiet.
<P>
Daraus ergibt sich, Parteigenossen, da&szlig; auch auf politischem
Gebiet jeder Schritt vorw&auml;rts, da&szlig; jedes politische Recht nicht
anders, als durch die arbeitenden Massen selbst in einer gro&szlig;en
k&uuml;hnen Aktion oder vielmehr in vielen langen Aktionen der Massen
drau&szlig;en auf der Stra&szlig;e erworben werden kann. Wir haben ja
bisher schon manchen Schritt vorw&auml;rts getan, wir haben erlebt,
Parteigenossen, in diesem Kampfe um das preu&szlig;ische Wahlrecht,
da&szlig; die bestehende herrschende Ordnung auch vor brutalsten Eingriffen
in unsere b&uuml;rgerlichen Rechte nicht zur&uuml;ckschreckt, um
uns den Sieg zu erschweren. Denken wir alle an das sch&ouml;ne Erlebnis,
das wir am 6. M&auml;rz im Berliner Tiergarten hatten, wo wir,
eine vieltausendk&ouml;pfige Menge, ganz ruhig und friedlich in der
Fr&uuml;hlingssonne standen und nichts anderes taten, als einmal &uuml;ber
das andere zu rufen: &raquo;Das allgemeine, gleiche Wahlrecht lebe
hoch!&laquo; Da zeigte sich pl&ouml;tzlich auf dem Platz eine Truppe berittener
Polizisten, die mit geschwungenen S&auml;beln wie eine wilde
Horde auf uns losst&uuml;rmten. Da zeigte es sich, wozu, zu welcher
Sicherheit die Polizeis&auml;bel getragen werden. Parteigenossen! Mit
Ruhe und Gelassenheit k&ouml;nnen wir diese vergangene Geschichte
erz&auml;hlen, wir haben diese Herren gezwungen, ihre S&auml;bel wieder
in die Plempen zu stecken. Parteigenossen! Wir haben noch mehr
gezeigt, wir haben den Chef der Polizei in Berlin gezwungen,
nachdem er gewaltige Proklamationen gegen uns, die revolution&auml;re
Partei, erlie&szlig; und plakatierte, die Stra&szlig;e geh&ouml;rt dem Verkehr,
Demonstrationen werden nicht geduldet, uns die Stra&szlig;en
einzur&auml;umen, und ihn gelehrt, da&szlig; die Stra&szlig;en uns, der Masse der
Arbeiter, geh&ouml;ren. (&raquo;Bravo!&laquo;) So, Parteigenossen, hat uns die
Massenbewegung bis jetzt schon gezeigt, da&szlig; <B>jeder Schritt vorw&auml;rts
unter dem Druck der gewaltigen Masse der Arbeiter drau&szlig;en
auf der Stra&szlig;e erzwungen werden mu&szlig;.</B> M&ouml;gen die herrschenden
Gewalten in Preu&szlig;en noch viel mehr mit dem S&auml;bel fuchteln,
Sie haben vielleicht alle geh&ouml;rt, welch neue sch&ouml;ne Geheimnisse
von jener Seite auf unserem letzten Magdeburger Parteitag offenbart
wurden, wie wiederum ein Herr aus Westfalen, der gewesene
Kommandierende General von Bissing, einen ganzen Feldzugsplan
gegen das demonstrierende Proletariat in den Stra&szlig;en entworfen
hat. M&ouml;gen die Herrschaften, wie sie am 6. M&auml;rz in Berlin getan
haben, ihre Kanonen, ihre mit scharfen Patronen geladenen Gewehre
gegen die Massen richten. Gegen die Waffen, die wir in
Vorrat haben, helfen keine Kanonen, keine scharfen S&auml;bel. (&raquo;Bravo!&laquo; Sehr richtig!&laquo;) Denn, Parteigenossen, alle bisherigen Erfahrungen
haben das bereits gezeigt. Kann denn irgendein Staat,
mag er an Verblendung, mag er an Brutalit&auml;t sogar den preu&szlig;ischen
Staat &uuml;bersteigen, kann er gegen hunderttausende ruhig und
friedlich streikende Arbeiter die Kanonen ausfahren lassen? T&ouml;richt
und verblendet w&auml;re derjenige Staat, der eine so gewaltige
Menge Arbeiter niedermetzeln wollte. Denn er w&uuml;rde ja mit eigenen
H&auml;nden die Biene morden, von deren Honig er als Drohne
lebt. (&raquo;Bravo!&laquo; Sehr richtig!&laquo;) Und, Parteigenossen, kann irgendein
Staat - und mag er s&auml;mtliche Kanonen gegen uns ausfahren
lassen -, kann er friedlich streikende Arbeiter dazu zwingen,
die Maschinen in Bewegung zu setzen? Nein! Das vermag
auch der despotischste Staat nicht zustande zu bringen, und so
erweist sich, da&szlig; gerade die friedliche und ruhige Waffe des
politischen Massenstreiks die sch&auml;rfste Waffe ist, zu der wir vielleicht
greifen m&uuml;ssen, wenn die herrschende Reaktion in ihrer Verbohrtheit
und Verblendung weiter beharrt. W&auml;hrend so, Parteigenossen,
die politische Entwicklung uns gerade dazu zwingt, zu Massenstreiks
immer mehr zu greifen, um die elementarsten politischen
Rechte zu erobern, f&uuml;hren wir genau nach derselben
Richtung eine solche Politik in der Gewerkschaftsbewegung.
<P>
Werte Anwesende! Welchen Umst&auml;nden verdanken wir die
letzten gro&szlig;en Massenstreiks auf wirtschaftlichem Gebiet, und
namentlich welche Lehren m&uuml;ssen wir ziehen aus dem Gewitter,
das heraufzieht &uuml;ber ihren bl&uuml;henden Metallarbeiterverband? Es
sind ja die Kapitalisten selbst, die mutwillig und planm&auml;&szlig;ig darauf
ausgehen, uns zu einer gewaltigen Kraftprobe zu provozieren.
Nach den Erfahrungen der Bauarbeiteraussperrung ist es geradezu
durch Dokumente erwiesen worden, da&szlig; der Streik gegen die
Organisation der Bauarbeiter von langer Hand vorbereitet war,
da&szlig; die Unternehmer es planm&auml;&szlig;ig dazu f&uuml;hrten, durch Aussperrungen
Proletarier zu einem Verzweiflungskampf zu zwingen,
und genau derselbe Plan liegt dem jetzigen Plan der
Schiffsbauwerftkapitalisten, ebenso wie der Kapitalisten der Metallindustrie
zugrunde. Wenn auf diese Weise die Kapitalisten selbst, die
Unternehmer, es in der Hand haben, dank der Protektion einer
zusammengef&uuml;gten Gewalt und durch Aussperrung zu einem
Massenstreik zu zwingen, so ergibt sich als eine dringende Notwendigkeit
f&uuml;r unsere gewerbliche Organisation, mit der Waffe
des Massenstreiks auf den Kampf zur Verteidigung des Koalitionsrechtes
sp&auml;ter einmal als unvermeidlich zu rechnen. Daraus
ergibt sich, da&szlig; es die praktischste Sache ist, der Zukunft klar in
die Augen zu blicken, sich zu sagen, je mehr die Massen des Proletariats
dazu vorbereitet werden durch klare Erfassung der gesamten
Lage, durch das Bewu&szlig;tsein der gro&szlig;en Aufgaben, die ihnen
bevorstehen, je mehr sie vorbereitet werden, diesen gro&szlig;en Kampf
auszufechten, um so mehr Chancen haben wir, aus diesem Kampf
als Sieger hervorzugehen.
<P>
Werte Genossen! Es stellen sich mehrere Argumente gegen den
Gebrauch des Massenstreiks ein, die meist ins Feld gef&uuml;hrt werden.
Zun&auml;chst wird uns gesagt: Wir gehen bei einem Massenstreik,
namentlich bei einem politischen Massenstreik, ein gewaltiges Risiko
ein, indem wir die gewerkschaftliche Organisation einer gewaltigen
Gefahr aussetzen. Unsere Gewerkschaftsorganisation
k&ouml;nnte bei einem solchen gro&szlig;en Zusammensto&szlig; in St&uuml;cke geschlagen
werden. Es stimmt schon, da&szlig; in diesem oder jenem st&uuml;rmischen
Massenstreik vielleicht unsere Organisation im ersten
Moment besch&auml;digt werden k&ouml;nnte. Aber <B>es gibt Lagen</B>, und wir
kommen immer mehr in diese Lage, <B>wo ein Kampf auch unter
ung&uuml;nstigen Bedingungen aufgenommen werden mu&szlig;, wenn
&uuml;berhaupt die Ehre der organisierten Arbeiterbewegung verteidigt werden soll.</B>
<P>
Parteigenossen! Die gewerkschaftlichen Organisationen sind da,
vor allem dazu geschaffen, uns in unserem Kampfe namentlich
zur Verteidigung unseres allerersten Rechtes, des Koalitionsrechtes,
das jetzt so bedroht wird, um uns dazu als Waffe im Kampfe
zu dienen. Unsere gewerkschaftlichen Organisationen sind ja unsere
Kanonen im Kampfe um eine bessere Zukunft. Was w&uuml;rden
Sie sagen von einem milit&auml;rischen Staat, welcher erkl&auml;ren w&uuml;rde,
er k&ouml;nne nicht in den Krieg ziehen vor Bef&uuml;rchtung, seine Kanonen
k&ouml;nnten dabei zerschmettert werden? Wozu haben wir die
Kanonen anders, um damit gegebenenfalls auf den Feind zu schie&szlig;en?
Andererseits sind unsere Waffen nicht von so plumper Beschaffenheit
wie die Waffen der Milit&auml;rstaaten. Die Kanonen der
Milit&auml;rstaaten k&ouml;nnen wirklich in einem Kampfe zerschmettert
und unbrauchbar gemacht werden. <B>Unsere Organisationen aber,
sie bew&auml;hren sich im Kampfe, sie k&ouml;nnen nur existieren im
Kampfe, sie wachsen nur im Kampfe.</B> Erinnern Sie sich an die
Zeit des Sozialistengesetzes. War das nicht die schwerste Zeit, die
die deutschen Gewerkschaften zusammen mit der deutschen
Sozialdemokratie erlebt haben? Wie sah es in unserer Organisation
denn aus im ersten Moment nach der Verwirklichung des
Sozialistengesetzes? Unsere Gewerkschaften waren zerschmettert, unsere
Presse lahmgelegt, unsere Organisation vernichtet, aber wie
sahen wir aus nach 12 Jahren, als das Sozialistengesetz aufgehoben
werden mu&szlig;te? Da standen wir da mit verzehnfachter Kraft, das
Sozialistengesetz lag zerschmettert. (Tosender Beifall) Und so
wird es immer gehen in dem gro&szlig;en Kampfe, der uns durch unsere
Gegner aufgezwungen wird.
<P>
Parteigenossen! Was zeigen die Erfahrungen der letzten Zeit?
Sie zeigen uns, da&szlig; es keine <B>g&uuml;nstigere Zeit zum Ausbau der
gewerkschaftlichen Organisationen gibt als einen gro&szlig;en Massenkampf</B>,
der die indifferenten Massen des Proletariats aufr&uuml;ttelt
und sie <B>aufnahmef&auml;hig macht f&uuml;r den Anschlu&szlig; an die Organisationen.</B>
(&raquo;Sehr richtig!&laquo;) Sie haben es hier in Hagen erlebt, wo seit
der letzten Aussperrung Ihr Metallarbeiterverband in so gl&auml;nzender
Weise einen Zuwachs aufzuweisen hat. Genau ebenso best&auml;tigt
sich dies auch anderswo. Nehmen Sie zum Beispiel das
fr&uuml;her erw&auml;hnte Ru&szlig;land. Bis zum Jahre 1905 gab es in Ru&szlig;land
fast keine Gewerkschaftsorganisationen. Infolge der gewaltigen
Massenstreikaktion, die wir im Jahre 1905 dort erlebt haben,
wachsen sie wie Pilze aus der Erde in einem Gouvernement nach
dem andern. Kr&auml;ftige, junge Gewerkschaftsorganisationen. Dasselbe
hat seinerzeit in Belgien stattgefunden. Bis zum Jahre 1886
gab es in Belgien keine Spur von Gewerkschaftsorganisation. Zuerst
kam da ein Zeichen des allgemeinen Erwachens nach dem
Sturm von Massenstreiks in den Eisenwerkst&auml;tten. Aus diesen
Massenstreiks wurde einerseits geboren die politische Bewegung,
der Kampf um das allgemeine, gleiche Wahlrecht und zugleich
die erste Gewerkschaftsorganisation Belgiens. Und die j&uuml;ngste
Erfahrung zeigt uns nach dieser Hinsicht sehr lehrreiche Beispiele in
Philadelphia in Amerika...
<P>
Und nun noch ein anderes Bedenken gegen die Massenstreiks.
Parteigenossen! Man weist uns darauf hin - und das hat auch
eine gro&szlig;e Rolle gespielt bei der Besprechung des Massenstreiks
im preu&szlig;ischen Wahlrechtskampf -, man weist uns darauf hin,
da&szlig; wir noch zu sehr zu tun hatten mit einer gro&szlig;en Masse
gegnerisch organisierter Kollegen. Wir haben noch mit den christlich
organisierten Arbeitern zu tun, die nicht auf unserm Standpunkt
stehen, und k&ouml;nnen wir denn eine so gro&szlig;e Aktion, wie die des
politischen Massenstreiks unternehmen, da wir gegen uns noch so
gro&szlig;e Scharen andersdenkender Proletarier haben? Parteigenossen,
diejenigen, die diese Bef&uuml;rchtung aussprechen, m&uuml;ssen erkennen,
da&szlig; die Geschichte gerade in dieser Hinsicht umgekehrt wirkt,
als sie behaupten. Nicht die christlich Organisierten k&ouml;nnen ein
ernstes Hindernis bei der Massenstreikaktion darstellen, sondern
umgekehrt. Es gibt kein sichereres Mittel, die gro&szlig;en Scharen der
genasf&uuml;hrten Arbeiterschaft von ihren b&uuml;rgerlichen F&uuml;hrern in
christlich-sozialen und andern Verb&auml;nden loszurei&szlig;en und zu uns
zu bringen, als eine k&uuml;hne, gro&szlig;e Massenaktion. Denn, Genossen,
je mehr Massenbewegungen kommen, je mehr es sich im Kampfe
um gro&szlig;e Fragen, um gro&szlig;e Probleme, um Grundinteressen des
Proletariats handelt, um so mehr m&uuml;ssen die Massen, auch die
christlichen Gewerkschaften und Hirsch-Dunckerschen, mit uns
zusammengeh&ouml;ren und je mehr kommt heraus, was wir sagen, da&szlig;
die ganze Politik ihrer F&uuml;hrer in den Verb&auml;nden in Wirklichkeit
nichts anderes als eine Nasf&uuml;hrung der Gewerkschaften ist.
Parteigenossen! Deshalb m&uuml;ssen wir uns jedesmal freuen, wenn durch
eine gro&szlig;e Massenbewegung die Anh&auml;nger der christlichen Verb&auml;nde
und der Hirsch-Dunckerschen Verb&auml;nde zusammenmarschieren.
Freilich, dieses Marschieren hat nur dann seinen Zweck
erf&uuml;llt, wenn wir dabei die volle &Ouml;ffentlichkeit haben und diese
politisch ausnutzen, und die Massen, die hinter den b&uuml;rgerlichen
F&uuml;hrern herlaufen, aufkl&auml;ren &uuml;ber das eigentliche Wesen ihrer
Interessen und Aufgaben.
<P>
Parteigenossen! Es gibt noch einen weiteren Einwand, der
scheinbar sehr plausibel und eine sehr gef&auml;hrliche Waffe gegen
den politischen Massenstreik ist, und dieser Einwand ist gew&ouml;hnlich
der: Wir stellen den Hauptfaktor der Macht unserer gewerkschaftlichen
Organisationen, wir stellen unsere Kasse, unsere
finanziellen Mittel auf die Probe. Keine Gewerkschaft kann von
sich, vor eine gewaltige Massenbewegung, vor einen gewaltigen
Massenstreik gestellt, erkl&auml;ren: wir haben in unserer Gewerkschaft
Mittel genug, um ungez&auml;hlte Hunderttausende w&auml;hrend langer
Monate unterhalten zu k&ouml;nnen. Aber, Genossen, die ganze Auffassung
der Sache ist vollst&auml;ndig falsch. <B>Wir k&ouml;nnen nicht vom
Standpunkte des Kassenbestandes &uuml;berhaupt so gewaltige Bewegungen,
wie politische Massenstreiks es sind, erw&auml;gen.</B> In solchen
F&auml;llen m&uuml;ssen wir vor allem rechnen auf etwas anderes als
auf die klingende M&uuml;nze in unsern Kassen und Kassenb&uuml;chern.
Wir m&uuml;ssen rechnen auf die unersch&ouml;pfliche Quelle des Idealismus
bei der Ausf&uuml;hrung der Sache. <B>Mit Kassen allein k&ouml;nnen
solche gewaltige Schlachten, wie sie uns jetzt bevorstehen, in Zukunft
nimmermehr geschlagen werden.</B> Da mu&szlig; die gro&szlig;e Hingebung
an unsere gro&szlig;en Ziele und Aufgaben angespannt werden,
da mu&szlig; der Letzte aus der Masse verstehen, da&szlig; es sich um solche
Aufgaben handelt, um deren Willen man nicht nur monatelang
darben kann, um derentwillen man n&ouml;tigenfalls das Leben dran
gibt. (&raquo;Bravo!&laquo;) Parteigenossen! Bis jetzt hat noch niemals die
Rechnung auf die Ideale der Massen in unserer Geschichte versagt.
Haben wir nicht Beispiele genug gehabt w&auml;hrend des modernen
proletarischen Kampfes um die Befreiung, da&szlig; die Massen wohl
das allerschwerste zu ertragen verstehen? Wenn sie nur vor sich
klar das Ziel erblicken, das dazu f&uuml;hrt, sie von dem Joch des
Kapitalismus zu befreien. Parteigenossen! So war es im Jahre 1848,
und nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich w&auml;hrend
der ber&uuml;hmten Februarrevolution. Damals trugen sich die
Proletarier mit dem holden Wahn, da&szlig; sie nur eine gro&szlig;e Anstrengung
voller Opfer zu machen brauchen, damit sie gleich in
k&uuml;rzester Frist die sozialistische Gesellschaftsordnung verwirklichen
k&ouml;nnen. Nachdem sie in Frankreich am 24. Februar erzwungen
haben bei der provisorischen Regierung, die Republik
zu proklamieren, haben sie sofort die Forderung gestellt: Wir
verlangen, da&szlig; diesmal eine <B>soziale Republik</B> in Frankreich
eingerichtet wird, in der es f&uuml;r jedermann Zuckererbsen und Brot
genug geben soll. Und, Parteigenossen, damals marschierten die
franz&ouml;sischen Proletarier auf den Stra&szlig;en von Paris mit einer
schwarzen Fahne, auf der geschrieben stand: Arbeiter, lebt oder
empfangt den Tod! Die provisorische Regierung, die damals die
gr&ouml;&szlig;te Furcht vor dem versammelten Proletariat auf der Stra&szlig;e
hatte, versprach, die sozialistische Republik einzurichten und
jedem Brot und Arbeit zu sichern: Sie m&uuml;sse aber dazu einige Zeit
haben. Die Herrschaften wu&szlig;ten aber, da&szlig; das Feld nach 3 Monaten
anders aussehen werde, sie mu&szlig;ten <B>Zeit gewinnen</B>, um die
blauen Bohnen zu sammeln, mit denen sie die Hungernden f&uuml;ttern
wollten. Parteigenossen! Die Proletarier erkl&auml;rten damals die
denkw&uuml;rdigen historischen Worte durch den Mund eines der
Ihren, eines der ersten und besten Arbeiter von Paris. Sie erkl&auml;rten
damals der versammelten provisorischen Regierung: Gut,
meine Herren, wir geben euch die Zeit, wir hungern die 3 Monate,
wir, das Proletariat von Paris, aber wir wollen die soziale Republik
haben. Es kamen 3 Monate furchtbarster Not, und sie haben
sie ausgehalten, weil sie glaubten, sie bek&auml;men die ber&uuml;hmte soziale
Republik, die f&uuml;r jedermann Brot und Arbeit haben sollte,
und als die 3 Monate um waren, da erschien nicht Brot und Arbeit
der sozialen Republik, sondern es erschien die Nationalgarde auf
der Stra&szlig;e, da erschien die Armee auf der Stra&szlig;e und da gab es
die ber&uuml;hmten Junik&auml;mpfe und Junischl&auml;chtereien, die w&auml;hrend
3 Tage und 3 N&auml;chte im Blute den Wahn der sozialen Republik
zu ersticken suchten.
<P>
Aber, Parteigenossen, schon damals hat sich gezeigt, da&szlig; die
Masse vor keinen Opfern zur&uuml;ckschreckt. Damals gab es keine
Kassen, um die Proletarier 3 Monate zu erhalten, damals gab es
keine Gewerkschaften, keine Organisation, um sie in ihrer
Kampfesstimmung aufrechtzuerhalten. Wie erst m&uuml;&szlig;te heutzutage unser
Augenmerk darauf hingerichtet sein, f&uuml;r alle K&auml;mpfe die Opfer
zu bringen, die n&ouml;tig sein sollen, nachdem wir solche gewaltige
Kulturarbeiten der deutschen Gewerkschaften und der deutschen
Sozialdemokratie hinter uns haben! <B>Um diesen Geist, um diesen
Idealismus aus der Masse hervorzurufen, brauchen wir nichts anderes,
als immer wieder darauf hinzuweisen, da&szlig; die K&auml;mpfe, die wir
jetzt f&uuml;hren, da&szlig; alle Massenstreiks, die wir vor uns haben, nichts
anderes sind, als eine notwendige geschichtliche Etappe zur
endg&uuml;ltigen Befreiung vom Kapitalismus, zur sozialistischen
Gesellschaftsordnung.</B>
<P>
Parteigenossen! Ist nicht jede Aussperrung, die wir heute erleben,
eine gewaltige Propaganda f&uuml;r den Sozialismus? Ist nicht
die Tatsache allein, da&szlig; wir heutzutage vor einer Entscheidung
stehen und uns fragen, ob in den n&auml;chsten Tagen schon durch einen
Machtspruch einer Handvoll Kapitalisten Hunderttausende von
M&auml;nnern und Frauen auf das Stra&szlig;enpflaster geworfen werden -
ist das nicht Beweis genug f&uuml;r den Blinden, da&szlig; eine solche
Gesellschaftsordnung wert ist, da&szlig; sie zum Teufel gejagt wird?
(Lebhafter Beifall)
<P>
Parteigenossen! Jede Aussperrung ist ein Schritt weiter, ist ein
neuer Nagel zum Sarge der kapitalistischen Ordnung, denn gerade
die jetzt beliebte Methode der Aussperrung, ohne das Proletariat
zu besiegen, ist der beste Beweis, da&szlig; die bestehende
Gesellschaftsordnung nicht mehr m&ouml;glich, sondern unhaltbar geworden
ist, da&szlig; sie <B>einer andern Platz machen mu&szlig;</B>. Und ist nicht
jeder Massenstreik ein Schritt weiter vorw&auml;rts auf dem Wege zu
ihrer Beseitigung? Parteigenossen, das ber&uuml;hmte &raquo;Kommunistische
Manifest&laquo; von Marx und Engels schlie&szlig;t mit den Worten: Das
Proletariat hat nichts zu verlieren als seine Ketten, zu gewinnen
eine ganze Welt. Nur dann werden wir gewappnet sein zu der
gewaltigen Schlacht, die wir in der n&auml;chsten Zeit zu schlagen
haben, wenn jeder gewerkschaftlich organisierte Proletarier
verstanden hat, da&szlig; sein Beruf in der Sozialdemokratischen Partei,
wenn jeder sozialistische Proletarier versteht, da&szlig; er verpflichtet
ist, die sozialistische Aufkl&auml;rungsliteratur sich zu eigen zu machen,
da&szlig; jeder gewerkschaftlich t&auml;tige und organisierte Arbeiter zugleich
ein zielbewu&szlig;ter sicherer K&auml;mpfer f&uuml;r die sozialistische Befreiung
ist. <B>Nur unter diesem Schlachtruf werden wir die n&auml;chsten
Schlachten zum Siege bringen, wenn der letzte Proletarier versteht,
da&szlig; man zu verlieren blo&szlig; seine Ketten, zu gewinnen eine
Welt hat.</B> (Anhaltender tosender Beifall!)</P>
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