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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<title>Karl Kautsky: Finis Poloniae? - www.mlwerke.de</title>
<meta name="description" content="Karl Kautsky antwortet auf Rosa Luxemburgs Artikel &uuml;ber 'Politische Str&ouml;mungen in der polnischen Sozialdemokratie" und verteidigt die Forderung nach Wiederherstellung Polens'>
<meta name="keywords" content="Karl Kautsky, Polen, polnische Frage, Rosa Luxemburg">
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<div id="Vorspann">
<h1>Finis Poloni&aelig;?</h1>
<p class="AutorInfo">Von Karl Kautsky.</p>
<h2><a name="Teil1"></a>I. Die Polen, die Revolution, der Panslavismus.</h2>
<p class="FirstPub">Die Neue Zeit, 14. Jahrgang (1896), 2. Band, Nr. , S. 484-491</p>
<p class="RedNote">Die Seitenzahlen beziehen sich auf diese Ausgabe von "Die Neue Zeit".
Ein Klick auf die spitzen Klammern vor und hinter den Seitenzahlen bewirkt einen Sprung zu der vorigen bzw. folgenden Seite.</p>
<p class="RedNote">Die von Kautsky praktizierte Schreibung wurde unver&auml;ndert beibehalten;
Nach dem Versuch, mit amtlicher Hilfe, die deutsche Sprache nach erfundenen Regeln umzumodeln, besteht kein Grund mehr, sich an irgendwelche Vorgaben zu halten.
Auch wurden durch Sperrung hervorgehobene Textstellen
weiterhin durch Sperrung hervorgehoben anstatt stattdessen Kursivschrift einzusetzen. </p>
<p class="RedNote">Lenin bezieht sich in seinem 1903 geschriebenen und ver&ouml;ffentlichten Artikel &uuml;ber <a href="../../le/le06/le06_452.htm">Die nationale Frage in unserem Programm</a> positiv auf diese Ausf&uuml;hrungen von Karl Kautsky.</p>
</div>
<div id="Textteil">
<p><a class="Seitenzahl" name="S484">484</a><a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S485">&gt;</a>An der Wiege der "Internationale" stand die polnische Frage. 1863 brach in
Russisch&ndash;Polen die letzte Insurrektion aus. Die Arbeiter Westeuropas wurden dadurch aufs Tiefste erregt, und
ihr Eintreten f&uuml;r die Unabh&auml;ngigkeit Polens war die erste Aktion, in der die Proletarier aller L&auml;nder
seit der Revolution von 1848 sich zu gemeinsamem Wirken zusammenfanden. In London wurden 1863 und 1864 gro&szlig;e
Meetings zu Gunsten der Polen abgehalten, auf denen Redner der verschiedensten Nationen sprachen. Zu manchen
derselben sandten die Pariser Arbeiter eigene Delegirte. So entwickelte sich ein internationales Zusammen&shy;wirken,
das schlie&szlig;lich auf dem gro&szlig;en Polenmeeting in St. Martins Hall am 28. September 1864 zu der
Gr&uuml;ndung einer internationalen Organisation f&uuml;hrte.<a class="FNzeichen" name="FNanker01" href=
"nz14_484.htm#FNtext01">1</a></p>
<p>Diese enge Verbindung des Kampfes um ein unabh&auml;ngiges Polen mit der Entstehung der internationalen
Arbeiterassoziation ist kein Zufall. Seit der gro&szlig;en franz&ouml;sischen Revolution war die Frage der
Selbst&auml;ndigkeit Polens f&uuml;r die revolution&auml;ren Parteien aller L&auml;nder Europas von
gr&ouml;&szlig;ter Bedeutung; sie war unter den internationalen politischen Aufgaben der europ&auml;ischen Revolution
die wichtigste.</p>
<p>Das wird leicht begreiflich angesichts der Bedeutung, die Ru&szlig;land f&uuml;r die europ&auml;ische Revolution
erlangt hatte. War Frankreich das Land der Revolution <span class="Fremdworte">par excellence,</span> das Land, das die
Freiheit den &uuml;brigen V&ouml;lkern zu bringen <a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S484">&lt;</a><a class="Seitenzahl" name="S485">485</a><a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S486">&gt;</a>hatte, so war Ru&szlig;land der Hort
der Reaktion in ganz Europa. Die Revolution konnte in Europa nicht dauernd siegen, so lange das Zarenthum ungebrochen
dastand. Die Feinde des Zaren waren die nat&uuml;rlichen Verb&uuml;ndeten der euro&shy;p&auml;ischen Revolution. War
die Herrschaft des Zarenthums eine internationale Gefahr f&uuml;r die Demokratie und die Zivilisation Europas, so war
die Unterst&uuml;tzung seiner Gegner die internationale Pflicht der gesammten europ&auml;ischen Demokratie.</p>
<p>Zwei Punkte waren es, die Ru&szlig;land f&uuml;r die europ&auml;ische Demokratie gef&auml;hrlich machten: der
v&ouml;llige Mangel einer revolution&auml;ren Klasse in seinem Innern und sein Ausdehnungsbestreben in der Richtung
nach Westen und S&uuml;den.<a class="FNzeichen" name="FNanker02" href="nz14_484.htm#FNtext02">2</a>
Die erstere Eigenth&uuml;mlichkeit brachte Ru&szlig;land in die angenehme Position,
der einzige europ&auml;ische Staat zu sein, der w&auml;hrend einer europ&auml;ischen Revolution im Innern v&ouml;llig
ruhig blieb, so da&szlig; er alle seine Kr&auml;fte nach au&szlig;en entfalten und die Wage zu Ungunsten der
Revolution wenden konnte. Sein Ausdehnungs&shy;bed&uuml;rfni&szlig; aber drohte einen immer gr&ouml;&szlig;eren Theil
Europas in st&auml;ndige Unter&shy;jochung unter seine eiserne, jegliche Freiheit erw&uuml;rgende Faust zu bringen
und das Gebiet der politischen Freiheit immer mehr einzuengen.</p>
<p>Neben dem politischen Drange jeder absoluten Monarchie, sich auszudehnen, ihr Macht- und Ausbeutungsbereich zu
vermehren, wirkte in Ru&szlig;land auch der kommerzielle Drang, sich Konstantinopels zu bem&auml;chtigen, der
Beherrscherin des &ouml;stlichen Mittelmeerbeckens und einiger der wichtigsten Handelswege nach dem Orient. Die
Herrschaft &uuml;ber Konstantinopel setzte aber die Zertr&uuml;mmerung &Ouml;ster&shy;reichs und der T&uuml;rkei und
die Annektirung eines gro&szlig;en Theiles ihrer Gebiete voraus.</p>
<p>Bei diesem Drange nach Eroberungen in &Ouml;sterreich und der T&uuml;rkei fand das Zarenthum einen m&auml;chtigen
Verb&uuml;ndeten im Panslavismus<a class="FNzeichen" name="FNanker03" href="nz14_484.htm#FNtext03">3</a>.
In der Zeit, die hier vornehmlich in Frage kommt, den vierziger, f&uuml;nfziger
und sechziger Jahren unseres Jahrhunderts, waren die Slaven &Ouml;sterreichs und gar die der T&uuml;rkei kaum noch
beleckt von der modernen Kultur, politisch unselbst&auml;ndig, entweder ganz regungslos oder entschieden
reaktion&auml;r. Man durfte also erwarten, sie leicht in das Gef&uuml;ge des russischen Reiches einf&uuml;gen zu
k&ouml;nnen, ohne diesem ein gef&auml;hr&shy;liches Element der Bewegung zuzuf&uuml;hren. Sie zu gewinnen, wurde eine
Haupt&shy;aufgabe der ausw&auml;rtigen Politik des Zarenthums. Es &uuml;berschwemmte die slavi&shy;schen Gebiete
&Ouml;sterreichs und der T&uuml;rkei mit seinen Agenten und adaptirte im Panslavismus das westeurop&auml;ische
Nationalit&auml;tenprinzip seinen Bed&uuml;rfnissen, um dadurch die intelligenteren Theile der nichtrussischen Slaven
zu k&ouml;dern. Politisch ganz naiv, glaubten diese um so eher den Verhei&szlig;ungen der russischen Agenten, je
h&auml;rter der &ouml;konomische und politische Druck des Habsburgischen und osmanischen Absolutismus auf ihnen
lastete.</p>
<p>Der Panslavismus, der das ganze Slaventhum Europas Ru&szlig;land botm&auml;&szlig;ig machte und dessen Gebiet
enorm zu vermehren drohte, wurde ein gef&auml;hrlicher Feind der westeurop&auml;ischen Demokratie, trotz der
demokratischen All&uuml;ren und Illusionen, die er mitunter annahm. Dies gab ihr ein Interesse an der Erhaltung des
t&uuml;rkischen Reiches; dies dr&auml;ngte sie aber auch, f&uuml;r die Wiederherstellung Polens als eines
<a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S485">&lt;</a><a class="Seitenzahl" name="S486">486</a><a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S487">&gt;</a>
Bollwerks gegen die russischen Expansionsgel&uuml;ste einzutreten, denn die Polen
erwiesen sich als die einzige slawische Nation, die dem Panslavismus unzug&auml;nglich blieb, die ihm vielmehr
entschieden feindlich gegen&uuml;berstand.</p>
<p>Die Gef&auml;hrlichkeit des Panslavismus war jedoch nicht der einzige Grund, der die Wiederherstellung Polens zu
einer dringenden gemeinsamen Angelegenheit aller freiheitlich gesinnten Elemente Europas machte.</p>
<p>Einen zweiten haben wir bereits oben angedeutet. Wir wollen ihn nun etwas eingehender betrachten.</p>
<p>Innerhalb des russischen Riesenreichs lag alles willenlos, bewegungslos dem Zaren zu F&uuml;&szlig;en; es gab dort
nur ein Element des Widerstandes und der Bewegung: die Polen. Aber wenn man genauer zusah, galt dies nicht einmal von
den gesammten Polen. Das Element der Unruhe in Polen war der Adel, namentlich der niedere Adel, nebst einigen
Schichten des st&auml;dtischen Kleinb&uuml;rger&shy;thums und der Intelligenz, die sich gro&szlig;entheils aus dem
kleinen Adel rekrutirte und v&ouml;llig unter dem Einflu&szlig; seines Ideengangs stand. Diese nichtadeligen
Schichten waren f&uuml;r den Charakter der polnischen revolution&auml;ren Bewegungen so wenig ma&szlig;gebend,
da&szlig; wir hier von ihnen absehen k&ouml;nnen.</p>
<p>In keinem Theile Europas hat der niedere Adel in der neueren Zeit eine solche Rolle gespielt, wie in Polen, dank
der Hemmung der &ouml;konomischen Ent&shy;wicklung, die Polen ebenso wie Deutschland und Italien durch das Vordringen
der T&uuml;rken, die Verlegung der Handelswege nach dem Orient und die Entdeckung Amerikas erfuhr. Hier wie dort
waren die Folgen die gleichen: innere Zer&shy;rissenheit, Verwandlung des Landes in einen st&auml;ndigen
Kriegsschauplatz, Abh&auml;ngig&shy;keit vom Ausland. Aber nirgends wirkten diese Umst&auml;nde so verheerend wie in
Polen. Von den genannten L&auml;ndern war es das r&uuml;ckst&auml;ndigste, als die gro&szlig;e &ouml;konomische
Revolution eintrat, die das Regime des Kapitalismus einleitete; die Ostsee wurde durch die Ver&auml;nderung der alten
Handelswege weit schwerer getroffen, als das Mittelmeer; die Nordsee gewann sogar dadurch. Und der fremde
Ein&shy;flu&szlig;, der Deutschland seit dem drei&szlig;igj&auml;hrigen Kriege beherrschte, war der Frank&shy;reichs,
eines damals kulturell h&ouml;her entwickelten Landes, das Deutschland manche fruchtbare Anregung brachte; Polens
Nachbar dagegen, dem es unterlag, war Ru&szlig;land, eine orientalische Despotie, die dem Westen nur seine
Herrschaftsmittel, Armee und Bureaukratie entlehnte, um ihrer Barbarei eine unerh&ouml;rte Kraft zu verleihen, ohne
an ihren Grundlagen etwas zu &auml;ndern. Die Vorherrschaft dieses Staates konnte nicht anders wirken, als
degradirend.</p>
<p>W&auml;hrend daher Deutschland am Ende des siebzehnten Jahrhunderts, wenn auch nur langsam und m&uuml;hevoll,
anf&auml;ngt, der &ouml;konomischen und politischen Entwicklung Westeuropas nachzuhinken, geht Polen seit dem
siebzehnten Jahrhundert rapid abw&auml;rts. Deutschland gelangt im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert nicht zur
Bildung eines geschlossenen Nationalstaats, aber es gelingt in dieser Zeit wenigstens den H&auml;uptern des hohen
Adels, mehr oder weniger ausgedehnte souver&auml;ne F&uuml;rstenth&uuml;mer zu errichten, die absolutistisch regiert
werden, in denen der B&uuml;rger und Bauer bis zu einem gewissen Grade gesch&uuml;tzt, der niedere Adel der
Staatsgewalt botm&auml;&szlig;ig gemacht wird. In Polen wird die Reichsgewalt ein Schatten, ohne da&szlig; es dem
hohen Adel gel&auml;nge, Kleinstaaten im Reiche zu schaffen; das st&auml;dtische B&uuml;rgerthum verf&auml;llt
g&auml;nzlich und der niedere Adel wei&szlig; seine politischen Befugnisse zu wahren.</p>
<p>Aber mit dem gesammten Lande, und schneller noch als dieses, verkommt auch er &ouml;konomisch, und sein Ruin
fl&ouml;&szlig;t ihm stete und unstillbare Unzufriedenheit ein. Jedoch ungleich anderen verkommenden Klassen ist er
wehrhaft und mit dem
<a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S486">&lt;</a><a class="Seitenzahl" name="S487">487</a><a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S488">&gt;</a>
Waffenhandwerk wohl vertraut. So wird seine Unzufriedenheit unter
einer schwachen Staatsgewalt zu einer Quelle ununterbrochener Unruhen und B&uuml;rgerkriege, die das Land vollends
entkr&auml;ften und schlie&szlig;lich zur Beute der Nachbarn machen.</p>
<p>Aber derselbe Faktor, der Polens Schw&auml;che gegen&uuml;ber Ru&szlig;land bewirkt hatte, wurde zu einem Element
der Schw&auml;che Ru&szlig;lands, sobald dieses sich des gr&ouml;&szlig;ten Theiles Polens bem&auml;chtigt. Polen
blieb ein Land der Unruhen und der B&uuml;rgerkriege, und war die russische Staatsgewalt stark genug, in normalen
Zeiten Ausbr&uuml;che des Mi&szlig;vergn&uuml;gens niederzuhalten, so waren die Explosionen um so heftiger, wenn
irgend eine Gelegenheit den lange unterdr&uuml;ckten Groll zur That entflammte.</p>
<p>Diese st&auml;ndige Kriegsbereitschaft des polnischen Kleinadels gegen&uuml;ber der Zarenherrschaft h&auml;tte
allein schon gen&uuml;gt, ihn zum nat&uuml;rlichen Bundesgenossen der westeurop&auml;ischen Demokratie zu machen. Das
B&uuml;ndni&szlig; dieser beiden Elemente wurde aber durch einen anderen Umstand noch sehr verst&auml;rkt. Je mehr
der pol&shy;nische Adel &ouml;konomisch verkam, so da&szlig; ihm als einziges Mittel des Erwerbs sein Schwert blieb,
desto mehr dr&auml;ngte es ihn fort aus der Heimath, seitdem dort seinem Thatendrang so enge Schranken gesetzt waren.
Dazu kam, da&szlig; jede niedergeschlagene Erhebung zahlreiche Schaaren von Emigranten, gerade die
wage&shy;lustigsten und wehrhaftesten der Polen, ins Ausland trieb. So sehen wir denn, da&szlig;, &auml;hnlich wie im
f&uuml;nfzehnten und sechzehnten Jahrhundert der verkommende deutsche Ritter in aller Herren L&auml;nder als
Landsknecht zu finden ist, seit der Theilung Polens in den verschiedensten L&auml;ndern bei jeder bewaffneten
Unter&shy;nehmung, in der f&uuml;r Freiwillige Raum ist, also vor allem bei jeder revolutio&shy;n&auml;ren Erhebung,
Polen betheiligt sind.</p>
<p>Das war von gro&szlig;er Bedeutung, so lange die revolution&auml;ren Entscheidungen im Kampfe der Waffen,
namentlich im Stra&szlig;enkampf, entschieden wurden. Die moderne Kriegf&uuml;hrung ist ein Gewerbe, das gelernt sein
will, und das rein theoretisch nicht gelernt werden kann. Die Schichten, aus denen die K&auml;mpfer in den
revolution&auml;ren Erhebungen unseres Jahrhunderts sich rekrutirten, Kleinb&uuml;rger, Bauern und namentlich
Proletarier, waren mit der Kriegf&uuml;hrung nicht vertraut, wenigstens nicht dort, wo die allgemeine Wehrpflicht
nicht herrschte, sie waren &uuml;berall der Truppenf&uuml;hrung v&ouml;llig unkundig. Auf der anderen Seite ist der
Adel diejenige Klasse, die ihrer ganzen Erziehung und sozialen Stellung nach mit dem Kriegswesen und den Aufgaben der
Truppenf&uuml;hrung am leichtesten sich vertraut macht und von vornherein am meisten vertraut ist. Aber gerade diese
Klasse stand in allen revolution&auml;ren K&auml;mpfen auf Seite der Gegner der Revolution. Nur der polnische niedere
Adel machte eine Ausnahme von dieser Regel, dank seiner besonderen Stellung &mdash; einmal, 1848, auch der
ungarische. Die Polen waren daher das Offizierskorps jeder europ&auml;ischen Revolution, sie haben ihr die besten
Generale geliefert. Nicht nur in den Erhebungen gegen den zarischen Despo&shy;tismus, nein, auf allen Schlachtfeldern
der Revolution in Europa haben die Polen ihr B&uuml;ndni&szlig; mit der Demokratie besiegelt.</p>
<p>Sicher war viel Gl&uuml;cksritterthum dabei im Spiele; zum gro&szlig;en Theil aber auch eine ehrliche
demokratische &Uuml;berzeugung.</p>
<p>Gleich dem Kleinb&uuml;rger nimmt auch der kleine Adelige eine Zwitterstellung ein. Wie dieser nicht ganz
Proletarier ist und nicht ganz Kapitalist und je nach den Verh&auml;ltnissen bald mehr als der eine, bald mehr als
der andere sich f&uuml;hlt, so bildet der niedere Adel dort, wo er finanziell ruinirt ist, ein Zwischenglied zwischen
den Privilegirten und dem Volk und neigt bald auf diese, bald auf jene Seite. Sein Rang in der Gesellschaft macht ihn
zum Verfechter der Privilegien,
<a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S487">&lt;</a><a class="Seitenzahl" name="S488">488</a><a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S489">&gt;</a>
zum Aristokraten und Konservativen; aber seine
unbefriedigende &ouml;konomische Lage wirkt mitunter in entgegengesetzter Richtung. Wo die Staatsgewalt ihn
&ouml;konomisch st&uuml;tzt und ihm ein Parasitendasein erm&ouml;glicht, wird er freilich zum Preisfechter des
staatlichen Absolutismus. Aber wo die Staatsgewalt ihn sich selbst &uuml;ber&shy;l&auml;&szlig;t oder gar ihm
hinderlich in den Weg tritt, da schl&auml;gt er sich auf die Seite des Volkes, wird ein Revolution&auml;r und ein
Vork&auml;mpfer der Demokratie.</p>
<p>Die soziale Stellung des niederen Adeligen ist gleich der des Kleinb&uuml;rgers voll von Widerspr&uuml;chen. Aber
viel selbst&auml;ndiger und selbstbewu&szlig;ter als dieser, entwickelt er die Widerspr&uuml;che seiner Stellung in
viel h&ouml;herem Ma&szlig;e, liefert er die klassischsten Figuren f&uuml;r den Romantiker wie f&uuml;r den
Satiriker. Derselben Zeit und derselben Schicht, der Ulrich von Hutten und Florian Geyer entstammen, entsprossen die
Vorbilder Falstaffs und Don Quixotes; und die polnischen Frei&shy;heitshelden von Kosciusko bis Dombrowski sind auf
demselben Stamme gewachsen, wie Krap&uuml;linski und Waschlapski.</p>
<p>Diesem widerspruchsvollen Charakter des niederen Adels entsprach auch der Charakter seiner Erhebungen in Polen.
Man hat viel dar&uuml;ber gestritten, ob sie &mdash; namentlich die letzte von 1863/64 &mdash; aristokratische oder
demokratische Ten&shy;denzen verfolgt h&auml;tten. Thats&auml;chlich verfolgten sie beide; je nach der Sachlage
traten bald die einen, bald die anderen mehr in den Vordergrund.</p>
<p>In Westeuropa konnte aber der polnische Revolution&auml;r nur die demokratische Seite seines Wesens entwickeln. In
dem Milieu, auf das er dort angewiesen war, fand die aristokratische Seite keinen Boden.</p>
<p>Wenn man alle diese Umst&auml;nde in Erw&auml;gung zieht, dann begreift man es, da&szlig; das B&uuml;ndni&szlig;
der revolution&auml;ren Parteien Europas mit den Resten des pol&shy;nischen Feudalismus um so inniger wurde, je
hei&szlig;er der Kampf der Revolution gegen die Reste des Feudalismus in Westeuropa entbrannte, und da&szlig; das
Ein&shy;treten f&uuml;r die Unabh&auml;ngigkeit Polens eine der vornehmsten internationalen Pflichten der
Revolutionsparteien Europas wurde, die das Proletariat von der b&uuml;rgerlichen Demokratie &uuml;bernahm. Die
V&auml;ter des kommunistischen Manifests und der Inter&shy;nationale gehorchten nur einer historischen
Nothwendigkeit, wenn auch sie die Unabh&auml;ngigkeit Polens auf ihre Fahne schrieben.</p>
<p>Seitdem die Internationale sich in diesem Sinne ausgesprochen, ist ein Menschenalter verflossen; die alte
Internationale ist dahingegangen und eine neue ist erstanden. Wie an jene, ergeht nun an diese die Aufforderung, ein
Votum zu Gunsten der Unabh&auml;ngigkeit Polens abzugeben.</p>
<p>Da tritt etwas Unerwartetes ein: ein Widerspruch aus den Reihen der polnischen Sozialdemokratie wird dagegen laut;
Polen protestiren dagegen, da&szlig; das internationale Proletariat die Forderung der Befreiung Polens erhebt.</p>
<p>Unsere Leser kennen die Argumentationen dieser protestirenden Polen, als deren Wortf&uuml;hrerin Frl. Luxemburg in
vorliegender Zeitschrift zweimal zum Worte gekommen ist<a class="FNzeichen" name="FNanker04" href="nz14_484.htm#FNtext04">4</a>.
Sie weist mit gro&szlig;er Entschiedenheit darauf hin,
da&szlig; die inter&shy;nationale Stellung Polens, wie auch feine inneren Verh&auml;ltnisse heute ganz anders liegen,
als noch zur Zeit der ersten Internationale, und da&szlig; die Sozialdemokratie ihre Haltung in der polnischen Frage
nicht nach ihren Traditionen, sondern nach den Thatsachen der Gegenwart einzurichten habe.</p>
<p>Werfen wir einen Blick auf diese Thatsachen, so m&uuml;ssen wir allerdings gestehen, da&szlig; die Situation
Polens eine g&auml;nzlich ver&auml;nderte ist.</p>
<p>Schon dadurch mu&szlig;te die Bedeutung der Polen f&uuml;r die europ&auml;ischen demo&shy;kratischen und
revolution&auml;ren Bewegungen abnehmen, da&szlig; deren Entscheidungen nicht mehr mit bewaffneter Hand ausgefochten
werden. Seit der Gr&uuml;ndung der
<a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S488">&lt;</a><a class="Seitenzahl" name="S489">489</a><a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S490">&gt;</a>ersten Internationale haben das allgemeine Wahlrecht,
Koalitionsfreiheit, Pre&szlig;&ndash; und Versammlungsfreiheit &uuml;berall in Westeuropa ihren Einzug gehalten und
die Formen des politischen Kampfes g&auml;nzlich ver&auml;ndert. Die Mieroslawski, Bem, Dombrowski f&auml;nden heute
kein Feld f&uuml;r ihre Feldherrnth&auml;tigkeit in den Reihen der Demokratie und Sozialdemokratie.</p>
<p>Diese Klasse der polnischen Revolution&auml;re ist aber gleichzeitig auch g&auml;nzlich verschwunden. Die
Niederschlagung der Insurrektion von 1863/64 hat ihr den Todessto&szlig; gegeben. Ein Theil des niederen polnischen
Adels ist in der Emigration, ein anderer in Sibirien gestorben und verdorben. Der in Russisch&ndash;Polen selbst
verbleibende Theil des Adels wurde durch den Aufstand und dessen Folgen finan&shy;ziell ruinirt. Die Kraft des Adels
in Russisch&ndash;Polen ist gebrochen und seine Reste suchen ihren Frieden mit dem Zarenthum zu machen. Sie
k&uuml;ssen die Hand, die sie gez&uuml;chtigt, und suchen ihr einige Almosen abzubetteln. In
Preu&szlig;isch&ndash;Polen nimmt der polnische Junker an den Liebesgaben theil, die das deutsche Junker&shy;thum
f&uuml;r sich ergattert, er wird H&ouml;fling und Staatspension&auml;r und entwickelt die antidemokratische Seite
seines Wesens. Noch mehr ist dies der Fall in Galizien. So wie der Zwiespalt zwischen den beiden Kulturnationen
Deutschland und Frank&shy;reich das barbarische Ru&szlig;land zum Beherrscher Europas macht, so macht der Zwiespalt
zwischen .den beiden am meisten entwickelten Nationen &Ouml;sterreichs, den Deutschen und den Tschechen, den
barbarischen polnischen Adel zum Beherrscher &Ouml;sterreichs, dessen Staatsgewalt ihm fast unumschr&auml;nkt zur
Verf&uuml;gung steht. Da sind die demokratischen All&uuml;ren des niederen Adels l&auml;ngst zum Teufel gegangen. Die
galizischen Schlachzizen w&uuml;rden in ein Hohngel&auml;chter ausbrechen, wenn man von ihnen verlangte, sie sollten,
wie 1848, f&uuml;r die Rechte des Volkes eintreten. Die Rolle, welche die Polen heute in &Ouml;sterreich spielen, ist
das gerade Gegentheil ihrer Rolle im Jahre 1848.</p>
<p>W&auml;hrend so Polen aufgeh&ouml;rt hat, das Revolutionsland <span class="Fremdworte">par excellence</span> zu sein, hat
auch die Idee einer Wiederherstellung Polens als Bollwerk des freien Europas gegen&uuml;ber dem russischen
Absolutismus viel von ihrer Bedeutung verloren.</p>
<p>Im Krimkrieg trat es deutlich zu Tage, da&szlig; eine moderne Armee und eine moderne Bureaukratie nur zu einer
sehr beschr&auml;nkten Leistungsf&auml;higkeit gebracht werden k&ouml;nnen und von einem bestimmten Punkte an
versagen, wenn ihnen die &ouml;konomischen und politischen Grundlagen eines modernen Staates fehlen. Die Niederlage
seiner Armeen und seiner Verwaltung zwang den russischen Absolutis&shy;mus, seinem Lande die Bahn der
&ouml;konomischen, ja bis zu einem gewissen Grade sogar der politischen Entwicklung zu er&ouml;ffnen. Damit
f&uuml;hrte er aber auch selbst in den Staat neue Elemente der Bewegung ein, die das alte System des orientalischen
Despotismus fr&uuml;her oder sp&auml;ter &uuml;ber den Haufen werfen m&uuml;ssen. Ru&szlig;land zeitigt
revolution&auml;re Bewegungen, die zeitweise schon eine h&ouml;chst bedeutende Kraft erlangt haben und die
gegenw&auml;rtig in neuem Aufschwung begriffen sind. Eine Revolution in Westeuropa w&uuml;rde heute in Ru&szlig;land
solche revolution&auml;re Kr&auml;fte entfesseln, da&szlig; der Zarismus vollauf zu Hause besch&auml;ftigt w&auml;re
und zur Unterdr&uuml;ckung aus&shy;w&auml;rtiger Revolutionen nicht das Geringste beitragen k&ouml;nnte. Petersburg
ist heute ein viel wichtigeres revolution&auml;res Zentrum als Warschau, die russische revolution&auml;re Bewegung
hat bereits eine gr&ouml;&szlig;ere internationale Bedeutung als die polnische.</p>
<p>Aber auch als Bollwerk gegen den Panslavismus kommt Polen wenig mehr in Betracht. Nicht nur, da&szlig;, wie schon
erw&auml;hnt, die Widerstandskraft seines Adels gebrochen ist, der Panslavismus selbst nimmt an Kraft und
Gef&auml;hr&shy;lichkeit rasch ab.</p>
<p><a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S489">&lt;</a><a class="Seitenzahl" name="S490">490</a><a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S491">&gt;</a>
Wir haben eben der Elemente gedacht, die in Ru&szlig;land in Bewegung gerathen sind.
Aber noch mehr sind die au&szlig;errussischen Slaven in &Ouml;sterreich und den Balkanl&auml;ndern w&auml;hrend der
letzten Jahrzehnte in Bewegung gerathen, nicht zum Wenigsten in Folge der panslavistischen Agitationen selbst, in
erster Linie aber in Folge der Umw&auml;lzung der &ouml;konomischen und politischen Verh&auml;lt&shy;nisse, die seit
den sechziger Jahren in den genannten L&auml;ndern eingetreten ist.</p>
<p>Es war stets ein gef&auml;hrliches Wagni&szlig; f&uuml;r Ru&szlig;land, sich L&auml;nder mit regem politischen
Leben, erf&uuml;llt oder wenigstens ber&uuml;hrt von modernen Anschauungen, einzuverleiben. Jetzt, angesichts der
stets anwachsenden Bewegung im eigenen Lande, die ihm &uuml;ber den Kopf zu wachsen droht, mu&szlig; ihm jede
erhebliche Er&shy;weiterung seines europ&auml;ischen Gebiets als ein h&ouml;chst bedenkliches Unternehmen
erscheinen.</p>
<p>Andererseits mu&szlig; in den au&szlig;errussischen Slaven die Sehnsucht nach der russischen Knute um so
platonischer werden, je gr&ouml;&szlig;er ihre eigenen Freiheiten, je reger ihr politisches Leben. In &Ouml;sterreich
ist der Panslavismus kaum noch irgendwo eine Macht. Die Zeiten sind vorbei, wo tschechische, ruthenische und
kroatische Deputationen nach Moskau pilgerten, wie 1867, und von dem russischen Zaren fast wie Unterthanen
begr&uuml;&szlig;t wurden.</p>
<p>Auch in den Balkanl&auml;ndern geht es mit der slavischen Solidarit&auml;t bergab. Wohl sind diese L&auml;nder
noch das Lieblingsgebiet f&uuml;r russische Intriguen, auch panslavistische Traditionen machen sich noch geltend,
Ru&szlig;land sucht seine einmal dort gewonnene Stellung zu behaupten, aber praktisch ist doch seit einigen Jahren
die hervorstechendste Eigenth&uuml;mlichkeit der russischen Balkanpolitik das Bed&uuml;rfni&szlig; nach Ruhe, nicht
mehr, wie ehedem, nach Unruhe.</p>
<p>Jede Einschr&auml;nkung des sultanischen Despotismus kommt eben nicht mehr dem zarischen Despotismus zu Gute,
sondern den Elementen der Bewegung und der Selbst&auml;ndigkeit an den russischen Grenzen. Das Gelingen einer
Insurrektion in Mazedonien oder Kreta kann nur die Macht Bulgariens oder Griechenlands st&auml;rken, deren
Widerstandskraft vermehren und das Gebiet der Ans&auml;tze zu einem modernen politischen Leben im Bereich des
Slaventhums und der orthodoxen Kirche vergr&ouml;&szlig;ern; die Gew&auml;hrung der Autonomie an das t&uuml;rkische
Armenien w&uuml;rde den Armeniern in Ru&szlig;land ein gef&auml;hrliches Beispiel geben. Wo dagegen der Sultan
unumschr&auml;nkt herrscht, kann sich kein Element entwickeln, das im Stande w&auml;re, die unumschr&auml;nkte
Herrschaft des Zaren zu gef&auml;hrden.</p>
<p>Gleichzeitig verliert auch Konstantinopel zusehends an Werth f&uuml;r Ru&szlig;land. Je mehr die slavischen
Gebiete &Ouml;sterreichs und der T&uuml;rkei ihre Anziehungskraft f&uuml;r den russischen Despotismus verlieren,
desto st&auml;rker wird sein Trieb, sich nach Osten und S&uuml;dosten auszudehnen, in Zentralasien und China. Dort
findet es Gebiete, deren soziale Verh&auml;ltnisse v&ouml;llig mit seiner politischen Struktur harmoniren, die sie
nicht untergraben, sondern st&uuml;tzen. Die Beherrschung Chinas wird aber' auch &ouml;konomisch f&uuml;r
Ru&szlig;land von weit gr&ouml;&szlig;erer Bedeutung, als die Beherrschung der T&uuml;rkei. Neben Afrika bildet das
ungeheure Reich der Mitte das einzige gro&szlig;e Gebiet, das noch dem Weltmarkt zu erschlie&szlig;en ist. Aber das
&auml;lteste der bestehenden Kulturreiche mit seinen Hunderten von Millionen Ein&shy;wohnern bildet einen ganz
anderen Markt, als das Innere Afrikas mit einigen Millionen bed&uuml;rfni&szlig;loser Barbaren. W&auml;hrend die
westlichen Nationen Europas, durch ihre geographische Lage verf&uuml;hrt, sich in Afrika verbei&szlig;en und ihre
besten Kr&auml;fte dort vergeuden, umklammert Ru&szlig;land seinen Nachbar in Ostasien immer mehr und macht ihn
politisch und &ouml;konomisch von sich abh&auml;ngig. Noch bedarf es heute der freien Passage durch den Bosporus und
den Suezkanal, um seine
<a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S490">&lt;</a><a class="Seitenzahl" name="S491">491</a><a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#Teil2">&gt;</a>
ostasiatischen Interessen zu wahren. Aber die transkaspische
Eisenbahn hat ihm bereits eine Route nach Indien er&ouml;ffnet, die es unabh&auml;ngig von Konstantinopel macht, und
die sibirische Eisenbahn wird das Gleiche f&uuml;r den Weg nach China bewirken. Konstantinopel wird dann
aufh&ouml;ren, Zarigrad, die Zarenstadt zu sein, die Stadt, ohne deren Besitz das Zarenreich unvollst&auml;ndig
ist.</p>
<p>Alles das f&uuml;hrt dahin, da&szlig; der Boden f&uuml;r den Panslavismus innerhalb wie au&szlig;erhalb
Ru&szlig;lands schwindet. Ru&szlig;land h&ouml;rt auf, der Hort der unterdr&uuml;ckten slavischen Br&uuml;der zu
fein, und diese fangen an, ihr Vertrauen auf die Hilfe des V&auml;terchens an der Newa zu verlieren.</p>
<p>Gegen&uuml;ber der T&uuml;rkei sind heute schon die Rollen v&ouml;llig vertauscht. Ru&szlig;&shy;land ist ein Herz
und eine Seele mit den t&uuml;rkischen Machthabern, unger&uuml;hrt durch armenische und kretensische Greuel,
inde&szlig; die Engl&auml;nder, nicht blos Liberale, sondern auch Tories, als die Anw&auml;lte der unterdr&uuml;ckten
Nationen der T&uuml;rkei auf&shy;treten und nur durch die Furcht vor einem Weltkrieg davor zur&uuml;ckgehalten
werden, diesen Nationen zur Unabh&auml;ngigkeit zu verhelfen.</p>
<p>Von dieser ver&auml;nderten Situation bleibt aber auch Polen nicht unber&uuml;hrt.</p>
<p>Der Niedergang des Panslavismus ebenso wie das Erstehen einer starken revo&shy;lution&auml;ren Bewegung in
Ru&szlig;land bewirken, da&szlig; das Eintreten f&uuml;r die Wieder&shy;herstellung Polens ebenso wie das f&uuml;r
die Integrit&auml;t der T&uuml;rkei aufh&ouml;ren, eine dringende Notwendigkeit f&uuml;r die westeurop&auml;ische
Demokratie zu bilden. Die eine wie die andere dieser Forderungen verliert die gro&szlig;e internationale Bedeutung,
die sie, wie f&uuml;r die Demokratie im Allgemeinen, so auch f&uuml;r das revolution&auml;re Proletariat Europas
besessen, und es w&auml;re ganz verkehrt, wollte man die alte Schablone wiederbeleben und der neuen Internationale
znmuthen, in der pol&shy;nischen Frage genau die Haltung einzunehmen, die die erste Internationale
ein&shy;genommen.</p>
<p>H&auml;tte Frl. Luxemburg nicht mehr beweisen wollen als das, wir w&uuml;rden ihr vollkommen zustimmen.</p>
<p>Aber sie geht noch einen Schritt weiter. Sie leugnet nicht blos die inter&shy;nationale Bedeutung der polnischen
Frage. Sie protestirt auch dagegen, da&szlig; die polnische Sozialdemokratie selbst die Unabh&auml;ngigkeit Polens zu
einer ihrer Forderungen macht.</p>
<p>Wir wollen in einem folgenden Artikel untersuchen, ob wir ihr auch in diesem Punkte zustimmen k&ouml;nnen.</p>
<h2><a name="Teil2" id="Teil2"></a>II. Die Unabh&auml;ngigkeit Polens.</h2>
<p class="FirstPub">Die Neue Zeit, Nr. 43. XIV. Jahrgang, II. Band. 1895-96. Seiten 513-525</p>
<p><a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S491">&lt;</a><a class="Seitenzahl" name="S513">513</a><a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S514">&gt;</a>Frl. Luxemburg f&uuml;hrt drei Gr&uuml;nde an, die nach ihrer Ansicht dagegen
sprechen, da&szlig; die polnische Sozialdemokratie die Forderung der Unabh&auml;ngigkeit Polens zu der ihrigen
macht:</p>
<p>1) Ist diese Forderung in der heutigen Gesellschaft unerreichbar, geh&ouml;rt also ebenso wenig in unser
praktisches Programm, als etwa der famose Milit&auml;r&shy;strike, f&uuml;r den Nieuwenhuis eintrat.</p>
<p>2) Bedeutet diese Forderung nichts Anderes, als ein Bestreben, sich der &ouml;konomischen Entwicklung zu
widersetzen, die auf die organische Einverleibung der entscheidenden Theile Polens in Ru&szlig;land hinwirkt.</p>
<p>3) Bringt das Eintreten f&uuml;r diese Forderung die polnische Sozialdemokratie ins Schlepptau des
kleinb&uuml;rgerlichen Nationalismus und entfremdet sie in jedem der drei Theile Polens den praktischen Aufgaben, die
sie zu l&ouml;sen hat, die in jedem der drei Staaten, unter die Polen eingetheilt ist, andere sind, und die den
engsten Anschlu&szlig; der polnischen Proletarier an ihre Genossen in Deutschland, bezw. &Ouml;sterreich und
Ru&szlig;land, erforderlich machen.</p>
<p>Am k&uuml;rzesten k&ouml;nnen wir den ersten dieser drei Punkte abthun, der auf einer seltsamen Verkennung des
Wesens eines sozialistischen Programms beruht.</p>
<p>Unsere praktischen Forderungen, m&ouml;gen sie nun ausdr&uuml;cklich in einem Pro&shy;gramm formulirte oder
stillschweigend acceptirte "Postulate" sein, werden nicht darnach bemessen, ob sie unter den bestehenden
Machtverh&auml;ltnissen <span class="gesperrt">erreichbar</span> sind, sondern darnach, ob sie mit der bestehenden
Gesellschaftsordnung <span class="gesperrt">vereinbar</span> sind und ob ihre Durchf&uuml;hrung geeignet ist, den
Klassenkampf des Proletariats zu erleichtern und zu f&ouml;rdern und diesem den Weg zur politischen Herrschaft zu
ebnen.</p>
<p>Auf die augenblicklichen Machtverh&auml;ltnisse nehmen wir dabei keine R&uuml;cksicht. Ein sozialdemokratisches
Programm wird nicht f&uuml;r den Augenblick gemacht, es soll m&ouml;glichst f&uuml;r alle Eventualit&auml;ten in der
heutigen Gesellschaft ausreichen. Und es soll nicht blos der Aktion, sondern auch der Propaganda dienen, es soll in
der Form konkreter Forderungen anschaulicher, als es abstrakte Ausf&uuml;hrungen verm&ouml;gen, die Richtung angeben,
in der wir zu marschiren gedenken. Je weiter wir uns <a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S513">&lt;</a><a class="Seitenzahl" name="S514">514</a><a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S515">&gt;</a>dabei unsere praktischen Ziele
stecken k&ouml;nnen, ohne uns in utopistische Spekulationen zu verlieren, um so besser. Um so klarer wird f&uuml;r
die Massen &mdash; auch f&uuml;r jene, die nicht im Stande sind, unsere theoretischen Grundlegungen zu erfassen
&mdash; die Richtung, die wir verfolgen.</p>
<p>Das Programm soll zeigen, was wir von der heutigen Gesellschaft oder vom heutigen Staat <span class=
"gesperrt">verlangen</span>, nicht das, was wir von ihnen <span class="gesperrt">erwarten</span>.</p>
<p>Nehmen wir z. B. das Programm der deutschen Sozialdemokratie. Es fordert die Wahl der Beh&ouml;rden durch das
Volk. Diese Forderung ist, wenn man den Ma&szlig;stab des Frl. Luxemburg anlegen will, ebenso utopistisch, wie die
der Herstellung eines polnischen Nationalstaats. Niemand wird sich der T&auml;uschung hingeben, da&szlig; die Wahl
der Staatsbeamten durchs Volk im Deutschen Reiche unter den bestehenden politischen Verh&auml;ltnissen erreichbar
sei. Mit demselben Rechte, mit dem mau annehmen k&ouml;nnte, der polnische Nationalstaat sei erst durchf&uuml;hrbar,
wenn das Proletariat die politische Macht erobert hat, k&ouml;nnte man dies von der genannten Forderung behaupten.
W&auml;re dies ein Grund, sie nicht in unser praktisches Programm aufzunehmen?</p>
<p>Oder nehmen wir eine damit verwandte Forderung, die allerdings im Pro&shy;gramm der deutschen Sozialdemokratie
nicht formulirt ist, die aber als "Postulat", als Ideal in der Brust eines jeden Sozialdemokraten lebt, die Republik.
Die deutsche Republik ist um kein Haar n&auml;her und erreichbarer, als ein freies Polen. Deshalb wird Frl. Luxemburg
es den deutschen Sozialdemokraten doch nicht ver&shy;&uuml;beln, da&szlig; sie Republikaner sind. Was aber f&uuml;r
die Deutschen recht, ist f&uuml;r die Polen billig. Wenn diese nun Republikaner sind, welcher Art kann ihr Ideal
sein? Kann man erwarten, da&szlig; sie B&uuml;rger einer deutschen Republik sein wollen oder einer
&ouml;sterreichischen (?!) oder einer russischen? Wenn sie die Republik wollen, k&ouml;nnen sie nur eine wollen, die
polnische. Will Frl. Luxemburg den polnischen Sozialdemokraten verbieten, das Postulat eines unabh&auml;ngigen Polens
aufzustellen, weil dies heute unerreichbar, dann mu&szlig; sie ihnen auch verbieten, Republikaner zu sein.</p>
<p>G&auml;nzlich verungl&uuml;ckt ist der Vergleich der Resolution zu Gunsten der Un&shy;abh&auml;ngigkeit Polens,
die dem internationalen Kongre&szlig; vorgelegt werden wird, mit der holl&auml;ndischen Resolution zu Gunsten des
Generalstrikes. Diese forderte eine <span class="gesperrt">bestimmte That</span> zu einem <span class="gesperrt">bestimmten
Zeitpunkt</span>. Bei der Aufstellung einer derartigen Forderung mu&szlig; man allerdings die augenblicklichen
Machtverh&auml;lt&shy;nisse in Betracht ziehen. Wer die Verpflichtung &uuml;bernimmt, eine bestimmte That bei einer
bestimmten Gelegenheit zu vollf&uuml;hren, ohne auch nur im Entferntesten die Macht zu besitzen, feine Verpflichtung
einzul&ouml;sen, ist ein Narr oder ein l&auml;cher&shy;licher Prahlhans, und ein gewissenloser obendrein, wenn er
durch die &Uuml;bernahme dieser Aufgabe schwere Gefahren heraufbeschw&ouml;rt.</p>
<p>Auch mit den sch&auml;rfsten Augen wird man in der polnischen Resolution nichts der Art entdecken k&ouml;nnen. Ja,
wenn sie jedem Proletarier die Verpflich&shy;tung auferlegte, am 1. Mai 1897 nach Warschau zu ziehen, um dort die
pol&shy;nische Republik zu proklamiren, dann st&auml;nde sie auf derselben H&ouml;he, wie die Nieuwenhuis'sche
Resolution. In Wirklichkeit ist sie aber eine einfache Sympathie&shy;erkl&auml;rung, die nur eine moralische Wirkung
&uuml;ben soll. Selbst wenn die Unab&shy;h&auml;ngigkeit Polens vor dem Anbruch der politischen Herrschaft des
Proletariats auf jeden Fall ausgeschlossen w&auml;re, w&uuml;rde der Londoner internationale Kongre&szlig; sich durch
Annahme der polnischen Resolution ebenso wenig eines l&auml;cherlichen Utopismus schuldig machen, als die erste
Internationale durch ihre polnischen Resolutionen gethan.</p>
<p><a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S514">&lt;</a><a class="Seitenzahl" name="S515">515</a><a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S516">&gt;</a>Ist aber die Erreichung der Unabh&auml;ngigkeit Polens wirklich so aussichtslos, wie
sie dem Frl. Luxemburg erscheint? Sie behauptet, die &ouml;konomische Entwick&shy;lung Russisch&ndash;Polens &mdash;
wir sehen hier ab von Preu&szlig;isch&ndash; und &Ouml;sterreichisch&ndash;Polen, die nicht ausschlaggebend sind und
deren Einbeziehung in die Untersuchung unseren Artikel &uuml;ber Geb&uuml;hr vergr&ouml;&szlig;ern w&uuml;rde &mdash;
kette dieses immer enger an Ru&szlig;land, und von den in der heutigen Gesellschaft ma&szlig;gebenden Klassen Polens
habe keine mehr ein Interesse an der Selbst&auml;ndigkeit ihres Vaterlandes. Sie wei&szlig; ihre Behauptungen durch
eine Reihe h&ouml;chst instruktiver Thatsachen zu belegen, und hier ist sicher ein ziemlich starker Punkt ihrer
Position zu suchen.</p>
<p>Der fr&uuml;here Tr&auml;ger des nationalen Gedankens, der niedere Adel, ist, wie wir im vorhergehenden Artikel
gesehen, zum gro&szlig;en Theil vernichtet und sein &Uuml;berrest unf&auml;hig und unwillig, den Kampf gegen das
russische Joch weiter zu f&uuml;hren. Gerade in der Zeit, in der der Adel zu Grunde ging, begann aber eine neue
herrschende und ausbeutende Klasse in Polen aufzusteigen, eine indu&shy;strielle Bourgeoisie. Diese war jedoch ganz
anders, wie die Bourgeoisie anderer L&auml;nder, keineswegs national gesinnt. Die neuen Kapitalisten waren zumeist
ent&shy;weder Deutsche oder Juden, die eine Art eigenartiges Deutschthum repr&auml;sen&shy;tirten. Und die Wurzel
ihres &ouml;konomischen Gedeihens war die Verbindung Polens mit Ru&szlig;land.</p>
<p>Als nach dem Krimkrieg die russische Regierung sich gen&ouml;thigt sah, der industriellen Entwicklung freie Bahn
zu schaffen, und als nach dem Aufstande von 1863/64 dieselbe Regierung die Zolllinie zwischen Polen und Ru&szlig;land
aufhob, um jenes um so enger an dieses zu fesseln, da begann eine Zeit des gro&szlig;artigsten wirthschaftlichen
Aufschwungs f&uuml;r die polnische Industrie. Wir brauchen hier diese Erscheinung nicht weiter zu schildern, noch
auch ihre Ursachen auseinanderzusetzen. Der Leser findet in dem letzten Artikel des Frl. Luxemburg, sowie in dem
Artikel eines sachkundigen polnischen Genossen im zw&ouml;lften Jahr&shy;gang, Band 2 der "Neuen Zeit" ("Die
industrielle Politik Ru&szlig;lands in dessen polnischen Provinzen", S. 787<a class="FNzeichen" name=
"FNanker05" href="nz14_484.htm#FNtext05">5</a>) ausreichende Informationen
dar&uuml;ber.</p>
<p>Kein Zweifel, da&szlig; diese Entwicklung sehr dazu beigetragen hat, die Kraft des nationalen Gedankens in
Russisch&ndash;Polen, also dem entscheidenden Theile Polens, zu l&auml;hmen, und wir geben gerne zu, da&szlig; Jeder,
der geneigt ist, die Kraft des nationalen Gedankens in der heutigen polnischen Gesellschaft zu
&uuml;ber&shy;sch&auml;tzen, gut thun wird, den Thatsachen, auf die Frl. Luxemburg hinweist, Be&shy;achtung zu
schenken. Aber von da bis zu der &Uuml;berzeugung, die Unabh&auml;ngigkeit Polens sei damit bis zum Siege des
Proletariats endgiltig begraben, ist noch ein weiter Schritt.&ndash; Und den scheint Frl. Luxemburg etwas voreilig
gemacht zu haben.</p>
<p>Vor allem m&uuml;ssen wir ihr entgegenhalten, da&szlig; jene Tendenz, die ihr als eine st&auml;ndige erscheint,
nur eine vor&uuml;bergehende Phase ist, auf die man bald ebenso wenig wird bauen k&ouml;nnen, wie auf die Traditionen
des alten adeligen Polens.</p>
<p>Die sch&ouml;nen Zeiten des m&uuml;helosen Profits haben auch f&uuml;r Russisch&ndash;Polen ein Ende erreicht. Die
Ausdehnungskraft der kapitalistischen Gro&szlig;industrie ist eine zu gewaltige, als da&szlig; irgendwo eine Aera des
kr&auml;ftigsten wirthschaftlichen Aufschwungs lange dauern k&ouml;nnte. W&auml;hrend in Polen die Industrie sich
rapid entwickelte, erwuchs ihr ein m&auml;chtiger Konkurrent in Ru&szlig;land selbst, und zwischen den beiden Rivalen
entspinnt sich ein w&uuml;thender Kampf um den russischen und den asiatischen Markt. Nun beginnen aber die
Kapitalisten in Polen mit der Kehrseite der Medaille Bekanntschaft zu machen; die Vereinigung Polens mit
Ru&szlig;&shy;land, die ihnen eine Zeitlang so g&uuml;nstig gewesen, zeitigt nun weniger angenehme <a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S515">&lt;</a><a class="Seitenzahl" name="S516">516</a><a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S517">&gt;</a>Konsequenzen f&uuml;r sie. Sie lernen es jetzt empfinden, da&szlig; der Pole in Ru&szlig;land nur
ein Mensch zweiter Klasse ist, da&szlig; Polen von der Willk&uuml;r Ru&szlig;lands ab&shy;h&auml;ngt. Die russische
Regierung greift in den Konkurrenzkampf zwischen Russen und Polen ein zu Ungunsten der Letzteren. Noch hat man nicht
eine Zollgrenze zwischen Polen und Ru&szlig;land aufgerichtet; aber bereits wird die polnische Kon&shy;kurrenz
gesch&auml;digt durch h&ouml;here Steuern, eine Tarifpolitik der Eisenbahnen, die den Transport russischer Waaren
erleichtert und polnischer Waaren erschwert, sowie durch Chikanen aller Art. Man vergleiche dar&uuml;ber die
lehrreichen That&shy;sachen in dem oben erw&auml;hnten Artikel "Die industrielle Politik Ru&szlig;lands etc." und dem
ihn erg&auml;nzenden Artikel von demselben Verfasser "Ein Beitrag zur Geschichte der Agrarpolitik Ru&szlig;lands in
dessen polnischen Provinzen" in Nr. 40 des jetzigen Jahrgangs der "Neuen Zeit".<a class="FNzeichen" name=
"FNanker06" href="nz14_484.htm#FNtext06">6</a></p>
<p>Der erstere dieser beiden Artikel schlie&szlig;t mit den Worten: "Polen wird gegenw&auml;rtig in wirthschaftlicher
Beziehung als ein ausw&auml;rtiger Staat behandelt, gegen den ein &ouml;konomischer Krieg gef&uuml;hrt wird. Selbst
aber besitzt es keine Macht, sich gegen die Angriffe der russischen Regierung zu wehren."</p>
<p>Dieser Krieg Ru&szlig;lands gegen die Polen wird aber offenbar immer energischer gef&uuml;hrt werden, je mehr die
Industrie in beiden L&auml;ndern sich entwickelt und je mehr Einflu&szlig; die russische Kapitalistenklasse auf ihre
Regierung erlangt. In demselben Ma&szlig;e mu&szlig; aber auch der Gegensatz der polnischen Bourgeoisie zum
russischen Regiment wachsen, mu&szlig; sie der nationalen Idee zug&auml;nglicher werden und anfangen, Interesse
f&uuml;r ein selbst&auml;ndiges Polen zu erlangen. Da&szlig; in Preu&szlig;isch&ndash;Polen und Galizien noch keine
nennenswerthe Gro&szlig;industrie existirt, da&szlig; dort nicht Konkurrenten, sondern Konsumenten wohnen, da&szlig;
diese Gebiete der Industrie eines vereinigten selbst&auml;ndigen Polens einen Markt sichern w&uuml;rden, der sie
entsch&auml;digen k&ouml;nnte f&uuml;r den Verlust des Marktes, der ihr in Ru&szlig;land schritt&shy;weise
abgeschnitten wird, d&uuml;rfte den nationalen Aspirationen in den Augen der polnischen Bourgeoisie auch nicht
schaden. Damit bricht aber auch der Grund&shy;pfeiler der Argumentationen des Frl. Luxemburg zusammen, der
"untr&uuml;gliche Schlu&szlig;, da&szlig; die Wiedervereinigung Polens nicht im Interesse seiner &ouml;konomischen
Entwicklung liegen kann, die sich eben in der polnischen Bourgeoisie verk&ouml;rpert", und da&szlig; die
Unabh&auml;ngigkeit Polens der Bourgeoisie von dem Proletariat auf&shy;gezwungen werden m&uuml;&szlig;te.</p>
<p>Allerdings, die Bourgeoisie ist heute nirgends mehr revolution&auml;r gesinnt; sie hat nie im Vorkampfe der
Revolution gestanden und empfindet jetzt noch weniger das Bed&uuml;rfni&szlig; dazu als je, auch in Ru&szlig;land und
Polen. Die polnische Bourgeoisie wird nie eine Insurrektion beginnen, wie ehedem der niedere Adel; sie wird nie
f&uuml;r die Unabh&auml;ngigkeit Polens ihre Haut zu Markte tragen. Aber das ist auch gar nicht nothwendig. Die
Freiheit Polens findet noch andere K&auml;mpfer, die entschiedener f&uuml;r sie eintreten.</p>
<p>Frl. Luxemburg spricht ziemlich geringsch&auml;tzig vom Kleinb&uuml;rgerthum. Nun ist dieses f&uuml;r die Heute
herrschende Produktionsweise fast ohne jede Bedeutung, und der Theoretiker, der diese erforschen will, darf von ihm
absehen. Er braucht blos von Kapitalisten und Proletariern zu handeln. Aber der praktische Politiker w&uuml;rde einen
gro&szlig;en Fehler begehen, wollte er ebenso wie der Theoretiker des kapitalistischen Produktionsprozesses das
Kleinb&uuml;rgerthum als <span class="Fremdworte">quantit&eacute; n&eacute;gligable</span> behandeln.</p>
<p>Die Kleinb&uuml;rger bilden bei Beginn der kapitalistischen Produktionsweise die gro&szlig;e Masse der
st&auml;dtischen Bev&ouml;lkerung. <span class="gesperrt">Relativ</span>, das hei&szlig;t, im Verh&auml;ltni&szlig; zum
Proletariat, nimmt ihre Zahl im Fortgang der modernen Produktionsweise <a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S516">&lt;</a><a class="Seitenzahl" name="S517">517</a><a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S518">&gt;</a>rasch ab, aber
ihre Zahl kann dabei absolut zunehmen, mitunter sogar relativ, im Verh&auml;ltni&szlig; zur Gesamtbev&ouml;lkerung,
wenn die st&auml;dtische Bev&ouml;lkerung rasch genug w&auml;chst. Der Zuzug vom Lande vermehrt nicht blos die Zahl
der prole&shy;tarischen, sondern auch die der kleinb&uuml;rgerlichen Existenzen in der Stadt. Und die Konkurrenz der
kapitalistischen gro&szlig;en Unternehmungen ruinirt die kleinen, beseitigt sie aber nicht ebenso schnell. Sie
&auml;u&szlig;ert ihre Wirkung vielmehr darin, den Charakter der kleinen Unternehmungen zu &auml;ndern. Sie beseitigt
z.&nbsp;B. nicht &uuml;berall den Handwerker. &Ouml;fter verwandelt sie ihn in einen Flicker, einen H&auml;ndler mit
Fabrikwaaren oder einen Sweater<a class="FNzeichen" name="FNanker07" href="nz14_484.htm#FNtext07">7</a>.
Endlich giebt das Proletariat selbst einen stets wachsenden N&auml;hrboden
f&uuml;r ein zahlreiches parasitisches Klein&shy;b&uuml;rgerthum ab &mdash; f&uuml;r Kleinh&auml;ndler, Gastwirthe
und dergleichen.</p>
<p>Nicht in der Abnahme der Zahl der Kleinb&uuml;rger &auml;u&szlig;ert sich am auf&shy;fallendsten der Ruin des
Kleinb&uuml;rgerthums, den die kapitalistische Produktions&shy;weise mit sich bringt, sondern in der Abnahme ihres
<span class="gesperrt">Wohlstandes</span>, der Ab&shy;nahme der Sicherheit ihrer Existenz, in der Zunahme ihrer
Abh&auml;ngigkeit und in der v&ouml;lligen Aussichtslosigkeit aller Bem&uuml;hungen, aus eigener Kraft wieder auf
einen gr&uuml;nen Zweig zu kommen. Die individuelle Selbsthilfe, die der Kleinb&uuml;rger ehedem als das <span class=
"Fremdworte">non plus ultra</span> der Lebensweisheit pries, verliert nun jede Be&shy;deutung in seinen Augen; wer sie ihm
anpreist, wird ihm als "&ouml;der Manchester&shy;mann" verha&szlig;t. Der wachsende Druck des Elends und der
Unsicherheit dr&auml;ngt ihn immer mehr, von der Staatsgewalt zu fordern, was er selbst nicht leisten kann: die
Schaffung ausk&ouml;mmlicher Existenzbedingungen. Und da keine Gewalt das in der heutigen Gesellschaft
erm&ouml;glichen kann, wird er naturnothwendig oppositionell gegen die jeweilige Regierung, wird er rebellisch.</p>
<p>Dieselbe Produktionsweise jedoch, die die Kleinb&uuml;rger ins Elend st&uuml;rzt, auf&shy;stachelt und erbittert,
beseitigt auch die Abgeschlossenheit der einzelnen St&auml;dte von einander, bewirkt, da&szlig; nicht blos in den
politischen Zentren, sondern selbst in den kleinen Landst&auml;dtchen neben dem stets regen Interesse f&uuml;r
kommunale An&shy;gelegenheiten auch das Interesse f&uuml;r Staatsangelegenheiten erwacht. Und so kommt es, da&szlig;
trotz des &ouml;konomischen R&uuml;ckganges des Kleinb&uuml;rgerthums die Kraft und Ausdehnung der
kleinb&uuml;rgerlichen Opposition im Lande stets zunimmt &mdash; allerdings nicht im Verh&auml;ltni&szlig; zur Kraft
und Ausdehnung der proletarischen Opposition, aber im Verh&auml;ltni&szlig; zur Kraft der Staatsgewalt.</p>
<p>Diese kleinb&uuml;rgerliche Opposition tritt verm&ouml;ge ihres &ouml;konomisch reaktion&auml;ren Charakters
h&auml;ufig in ganz grotesken Gestalten aus; sie bildet den N&auml;hrboden f&uuml;r die modernen Formen des
Klerikalismus und Antisemitismus. Wo aber inner&shy;halb eines Landes zwei Nationen einander gegen&uuml;berstehen, da
nimmt diese Oppo&shy;sition naturnothwendig, namentlich bei der schw&auml;cheren Nation, einen nationalen Charakter
an. Jeder Gegensatz der Klassen oder der Konkurrenten versch&auml;rft und verbittert sich, wenn er mit einem
nationalen Unterschied zusammentrifft, und wirkt dahin, den nationalen Unterschied in einen nationalen Gegensatz zu
ver&shy;wandeln. Und wo der erstere zur Minderberechtigung und Mehrausbeutung der einen Nationalit&auml;t f&uuml;hrt,
da wird der letztere vollends lebendig, beim Kleinb&uuml;rger mehr noch als beim Bourgeois, weil jener mehr darunter
leidet, weniger sich wehren kann, und weil er naturgem&auml;&szlig; dahin kommt, auch die Sch&auml;digungen, die ihm
die &ouml;konomische Entwicklung unter allen Umst&auml;nden auferlegen w&uuml;rde, aufs Konto der feindlichen Nation
zu schreiben. Sicher wird, wenn die kapitalistische Produktions&shy;weise lange genug dauert, das
Kleinb&uuml;rgerthum zusammenschmelzen und damit auch seine Opposition an Kraft und Ausdehnung abnehmen. Aber
vorl&auml;ufig ist sie im Wachsen, namentlich in einem Lande, wie Russisch&ndash;Polen, das so unver&shy;
<a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S517">&lt;</a><a class="Seitenzahl" name="S518">518</a><a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S519">&gt;</a>mittelt von der b&auml;uerlichen Naturalwirtschaft zur kapitalistischen Produktion
&uuml;ber&shy;gesprungen ist und das seine Industrie so rasch entwickelt. Hier findet diese kein zahlreiches und
kraftvolles Kleinb&uuml;rgerthum vor, das sie zu expropriiren h&auml;tte. Hier schafft die kapitalistische
Produktionsweise, indem sie eine ausgedehnte st&auml;dtische Bev&ouml;lkerung hervorruft und auch auf dem flachen
Lande die Natural&shy;wirtschaft durch Waarenproduktion und Waarenhandel immer mehr verdr&auml;ngt, zugleich mit
ihrem Boden auch den f&uuml;r ein Kleinb&uuml;rgerthum, das mit ihr bis zu einem gewissen Punkte der Entwicklung
w&auml;chst, und man hat gegr&uuml;ndete Ursache, anzunehmen, da&szlig; das absolute Regiment des Zarismus nicht so
lange lebt, bis dieser Punkt erreicht ist, und da&szlig; bis dahin die Opposition des Klein&shy;b&uuml;rgerthums
stets kraftvoller sich &auml;u&szlig;ern wird.</p>
<p>Fast noch geringsch&auml;tziger als vom Kleinb&uuml;rgerthum spricht Frl. Luxemburg von der "Intelligenz". Aber
auch diese ist eine nicht zu untersch&auml;tzende Macht. Sie &uuml;bt in der kapitalistischen Gesellschaft
h&ouml;chst wichtige, geradezu unentbehrliche Funktionen aus. Diese Gesellschaft bedarf nicht nur der Ingenieure,
Staats&ndash; und Privatbeamten, Schullehrer und Professoren, sowie der &Auml;rzte, sondern auch der Journalisten und
der Advokaten, um ihr Getriebe im Gang zu erhalten. Mit der kapitalistischen Produktionsweise w&auml;chst die
Ausdehnung dieser Berufe und ihre Bedeutung f&uuml;r das wirtschaftliche Leben. Aber auch in der Politik spielen sie
eine hervorragende Rolle. Sie besitzen das Monopol des Wissens in der heutigen Gesellschaft und sind einer klareren
Erkenntni&szlig; der gesellschaftlichen Zusammenh&auml;nge f&auml;hig. Ihre Interessen sind zu verschieden, als
da&szlig; sie eine geschlossene Klasse bilden k&ouml;nnten; im Allgemeinen stehen sie der Bourgeoisie am
n&auml;chsten, aber sie nehmen nicht als Klasse an deren Klassenk&auml;mpfen theil. Die Mitglieder der Intelligenz
k&ouml;nnen sich also leichter als die der Bourgeoisie &uuml;ber die Klassenbornirtheit erheben, und zu Vertretern
der Gesammtinteressen der Nation oder gro&szlig;er Volksschichten innerhalb derselben werden, die ihre besondere
Theilnahme erregen. Die b&uuml;rgerliche Intelligenz ist daher in modernen Staaten die vornehmste Verfechterin einer
nationalen Bewegung, sie liefert aber auch allenthalben die geistigen Wegweiser der unteren Klassen in ihren
Klassenk&auml;mpfen, namentlich in deren Anf&auml;ngen, so lange diese rein instinktiver Natur, und giebt ihnen durch
gr&ouml;&szlig;ere Klarheit auch gr&ouml;&szlig;ere Entschiedenheit und Kraft. Dadurch allein schon politisch
wichtig, wird sie es noch mehr dort, wo sie in Masse f&uuml;r eine bestimmte Idee eintritt, denn sie bildet das
geistige Band der Gesellschaft, sie beeinflu&szlig;t mehr als jede Gesellschaftsschicht die &ouml;ffentliche Meinung,
ermutigt oder entmutigt die herrschenden Klassen.</p>
<p>Frl. Luxemburg hat aber selbst schon darauf hingewiesen, wie gerade die Intelligenz in Polen am schwersten unter
der russischen Herrschaft zu leiden hat, wie sie gewaltsam den nationalen Bestrebungen in die Arme getrieben wird,
f&uuml;r die sie von vornherein mehr als jede Klasse disponirt ist. Trifft das zusammen mit einer weitgehenden
nationalen Emp&ouml;rung im Kleinb&uuml;rgerthum und beginnender Unzufriedenheit mit dem russischen Regime in der
Bourgeoisie, so mu&szlig; dies der nationalen Bewegung eine Kraft verleihen, von der wir nichts weniger als
ge&shy;ringsch&auml;tzig denken.</p>
<p>Bleibt die <span class="gesperrt">Bauernschaft</span>. Diese bildete allerdings bisher den wundesten Punkt der
nationalen Bewegung in Polen, fast mehr noch als die Bourgeoisie. Der Adel war der n&auml;chste Feind des Bauern, und
so lange der Adel den Tr&auml;ger der nationalen Idee bildete, mu&szlig;te der Bauer, so weit er &uuml;berhaupt sich
darum bek&uuml;mmerte, ihr entschiedener Gegner sein. Darauf beruhte das B&uuml;ndni&szlig; zwischen der polnischen
Bauernschaft und dem Zaren, dessen Kosten der Adel zu tragen hatte.</p>
<p><a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S518">&lt;</a><a class="Seitenzahl" name="S519">519</a><a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S520">&gt;</a>Aber darf man erwarten, die Bauernfreundschaft des Zaren und die Zaren&shy;liebe des
Bauern werde ewig w&auml;hren? Diese Erscheinungen m&uuml;ssen mit der besonderen historischen Situation
verschwinden, die sie geboren, und heute schon lassen sich deutliche Ans&auml;tze dazu erkennen. Der Zar hat keine
Ursache mehr, dem polnischen Bauern besonderes Wohlwollen zu Theil werden zu lassen, seit&shy;dem der Adel theils
ruinirt, theils zu Kreuz gekrochen ist. Die finanzielle Si&shy;tuation Ru&szlig;lands w&uuml;rde ihm auch ein
derartiges Wohlwollen sehr erschweren. Wie dem russischen, wird auch dem polnischen Bauer ausgepre&szlig;t, was sich
aus ihm erpressen l&auml;&szlig;t.</p>
<p>Nun kommt die Agrarkrisis, die Getreidepreise sinken, das russische Getreide &uuml;berschwemmt nicht nur die
deutschen, sondern auch die polnischen M&auml;rkte. Der deutsche Grundbesitzer wird gegen diese Invasion durch
Z&ouml;lle gesch&uuml;tzt; der Grund&shy;besitzer in Russisch&ndash;Polen bleibt nicht nur ungesch&uuml;tzt, er wird
noch benachtheiligt gegen&uuml;ber seinem russischen Konkurrenten durch eine schlau ausgeheckte Tarifpolitik der
Eisenbahnen des russischen Reichs und andere Ma&szlig;nahmen der Staatsgewalt. Gleich dem Bourgeois wird so auch dem
Bauern in Russisch&ndash;Polen <span class="Fremdworte">ad oculos<a class="FNzeichen" name="FNanker08" href=
"nz14_484.htm#FNtext08">8</a></span> demonstrirt, was es hei&szlig;t, nicht Herr im eigenen
Hause, sondern der Sklave eines fremden Eroberers zu sein. Und je mehr die Agrarkrisis sich versch&auml;rft, desto
mehr mu&szlig; der Gegensatz des polnischen Bauern zum russischen Regime zu&shy;nehmen. Sollte da der Bauer in Polen
fortfahren, ein ernsthaftes Hinderni&szlig; f&uuml;r die nationale Bewegung zu bilden? Mu&szlig; er nicht in dem
Ma&szlig;e, in dem die &ouml;konomische Entwicklung fortschreitet, ein immer lebhafteres Interesse an der
Unabh&auml;ngigkeit Polens erhalten?</p>
<p>Angesichts aller dieser Thatsachen sind wir weit entfernt davon, mit Frl. Luxemburg anzunehmen, die nationale
Bewegung in Polen sei ein Ding der Vergangenheit, ohne festen Boden in der Gegenwart und in v&ouml;lligem Widerspruch
zu den Tendenzen der &ouml;konomischen Entwicklung. Gewi&szlig;, die Ausf&uuml;hrungen des Frl. Luxemburg sind nicht
reine Phantasie, sie beruhen auf soliden Thatsachen. Aber Frl. Luxemburg sieht nur die eine Seite dieser Thatsachen
und &uuml;bertreibt dieselbe, und sie h&auml;lt Thatsachen f&uuml;r dauernd, die vor&uuml;bergehend sind. Die
Zust&auml;nde, auf die sie sich beruft, haben wirklich bestanden, waren aber nie so kra&szlig;, wie sie sie
schildert, und sie sind im Verschwinden begriffen. Das Klein&shy;b&uuml;rgerthum und die Intelligenz sind nicht so
machtlos, wie sie meint, und ihre Kraft verspricht eher zu- statt abzunehmen; und Bourgeoisie und Bauernschaft
gerathen allm&auml;lig in eine Situation, die ihnen die Vereinigung Polens mit Ru&szlig;land schlie&szlig;lich
unertr&auml;glich erscheinen lassen mu&szlig;. Hat man Unrecht, wenn man auf diese Thatsachen gest&uuml;tzt, annimmt,
auf dem Grabe der alten, feudalen Bewegung f&uuml;r die Wiederherstellung Polens beginne nach einer kurzen Pause eine
neue nationalpolnische Bewegung zu erstehen, eine der modernen Entwicklung entsprossene, lebenskr&auml;ftige und
zukunftsreiche?</p>
<p>Ebensowenig wie die innere Entwicklung Polens, verweist die seiner Um&shy;gebung den polnischen Nationalstaat in
das Gebiet des Zukunftsstaates. Wir wollen ganz absehen von einem Weltkrieg, der oft ganz unerwartete Wendungen mit
sich bringt, und nur einen Faktor in Erw&auml;gung ziehen, dessen Wirksamkeit sich leichter &uuml;bersehen
l&auml;&szlig;t. Unter allen europ&auml;ischen Staaten ist Ru&szlig;land der&shy;jenige, dessen politische Struktur
mit seinem gesellschaftlichen Organismus und dessen Bed&uuml;rfnissen am meisten in Widerspruch gerathen ist und der
am meisten der Organe ermangelt, die einen derartigen Widerspruch schrittweise und ohne Gewaltth&auml;tigkeit
aufheben k&ouml;nnten. Kein europ&auml;ischer Staat steht daher so nahe vor einer politischen Revolution wie
Ru&szlig;land. Eine solche kann sich aber nicht
<a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S519">&lt;</a><a class="Seitenzahl" name="S520">520</a><a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S521">&gt;</a>
vollziehen, ohne da&szlig; auch die polnische Frage auftaucht und ihre L&ouml;sung heischt &mdash; also nicht erst im proletarischen,
sondern schon im heutigen, im "Klassenstaat".</p>
<p>Es w&auml;re m&uuml;&szlig;ig, sich den Kopf dar&uuml;ber zu zerbrechen, was beim Eintreten derartiger
revolution&auml;rer Ereignisse erfolgen wird, ob schon die Einigung Polens oder nur ein vorbereitender Schritt in
dieser Richtung; ob Kongre&szlig;polen dann schon ein selbst&auml;ndiger Staat wird oder ob sein
Verh&auml;ltni&szlig; zu Ru&szlig;land sich &auml;hnlich gestaltet, wie das Norwegens zu Schweden, das Ungarns zu
&Ouml;ster&shy;reich oder das Kroatiens zu Ungarn. Das wird von den Umst&auml;nden abh&auml;ngen, von der Kraft,
welche die nationalpolnische Bewegung bis dahin erlangt hat, von den Kr&auml;ften, welche die Revolution zu Gunsten
und zu Ungunsten der Selbst&shy;st&auml;ndigkeit Polens in Ru&szlig;land entfesseln wird &mdash; lauter Faktoren, die
v&ouml;llig unberechenbar sind. Aber darum handelt es sich hier auch gar nicht, sondern um den Nachweis, da&szlig;
bereits im Rahmen der heutigen Gesellschaft, in abseh&shy;barer Zeit, die polnische Unabh&auml;ngigkeit zu einer
Frage sehr praktischer Politik werden kann, und da&szlig; das polnische Proletariat daher alle Ursache hat, zu ihr
Stellung zu nehmen und sich nicht mit dem Hinweis auf den gro&szlig;en Kladdera&shy;datsch, der Alles von selbst in
Ordnung bringen werde, um sie herumzudr&uuml;cken.</p>
<p>Wenn aber das polnische Proletariat zur Frage der Unabh&auml;ngigkeit Polens Stellung nimmt, dann kann gar kein
Zweifel dar&uuml;ber sein, welcher Art seine Stellungnahme zu sein hat. Frl. Luxemburg selbst zweifelt nicht im
geringsten daran, da&szlig; der Sieg des Proletariats die polnische Nation befreien wird, da&szlig; ein
unselbst&auml;ndiges Polen unvereinbar ist mit den Grundlagen einer sozialistischen Gesellschaft. Sobald also das
Proletariat sich mit der polnischen Frage befa&szlig;t, kann es gar nicht anders, als sich zu Gunsten der
Unabh&auml;ngigkeit Polens aus&shy;zusprechen, damit aber auch die Unterst&uuml;tzung jedes Schrittes
gutzuhei&szlig;en, der in dieser Richtung heute schon gethan werden kann, soweit er &uuml;berhaupt vereinbar ist mit
den Klasseninteressen des internationalen k&auml;mpfenden Proletariats.</p>
<p>Dieser Vorbehalt mu&szlig; allerdings gemacht werden. Die nationale Unab&shy;h&auml;ngigkeit h&auml;ngt nicht so
innig mit den Klasseninteressen des k&auml;mpfenden Prole&shy;tariats zusammen, da&szlig; sie bedingungslos, unter
allen Umst&auml;nden anzustreben w&auml;re. Marx und Engels traten f&uuml;r die Einigung und Befreiung Italiens mit
gr&ouml;&szlig;ter Entschiedenheit ein, das hinderte sie aber nicht, 1859 sich gegen das mit Napoleon verb&uuml;ndete
Italien zu erkl&auml;ren.</p>
<p>Hier kommen wir zu dem letzten Hauptargument des Frl. Luxemburg gegen den "Sozialpatriotismus": Das Eintreten
f&uuml;r die Unabh&auml;ngigkeit Polens droht die polnische Sozialdemokratie in das Schlepptau des
kleinb&uuml;rgerlichen Nationa&shy;lismus zu bringen und ihr Interesse wie ihre Kraft f&uuml;r die praktischen
K&auml;mpfe zu schm&auml;lern, die sie in jedem der drei Theile Polens mit Proletariern anderer Nationalit&auml;ten
zusammen zu k&auml;mpfen hat.</p>
<p>Was letzteren Punkt anbelangt, so wollen wir durchaus nicht leugnen, da&szlig; in einem mehrsprachigen Staate das
Hineintragen des nationalen Elements in Fragen der Organisation und Propaganda durchaus nicht f&ouml;rderlich
f&uuml;r den Klassenkampf ist. Das getrennt Marschiren und vereint Schlagen kann allerdings unter Umst&auml;nden
ausgezeichnete Resultate ergeben, aber es ist immer mit einer Vergeudung von Kr&auml;ften verbunden, schlie&szlig;t
jene Schlagfertigkeit aus, die eine zentralisirte Organisation erm&ouml;glicht, und giebt Raum zu Reibungen, die sehr
verdrie&szlig;lich werden k&ouml;nnen, nie f&ouml;rderlich sind.</p>
<p>Uns scheint denn auch z. B. die heutige Organisation der Sozialdemo&shy;kratie in &Ouml;sterreich nichts weniger
als eine ideale zu sein. Wir w&uuml;rden dem nationalen F&ouml;deralismus eine zentralisirte Organisation entschieden
vorziehen.</p>
<p><a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S520">&lt;</a><a class="Seitenzahl" name="S521">521</a><a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S522">&gt;</a>Aber es fragt sich, ob eine solche m&ouml;glich ist und ob es nicht gerade die
prak&shy;tischen Aufgaben sind, die eine gr&ouml;&szlig;ere Ber&uuml;cksichtigung des nationalen Moments erheischen.
Je mehr die Sozialdemokratie in den Massen festen Fu&szlig; fa&szlig;t, je mehr sie auf die Massen und durch die
Massen wirkt, desto mehr werden sich in ihr die nationalen Verschiedenheiten bemerkbar machen &mdash; ob mit oder
ohne "sozialpatriotisches" Programm.</p>
<p>Wir haben schon einmal darauf hingewiesen, da&szlig; der Materialismus des Frl. Luxemburg an gro&szlig;er
Einseitigkeit leidet; sie &uuml;bersch&auml;tzt einige Momente, andere ignorirt sie ganz ungerechtfertigter Weise.
Dazu geh&ouml;rt auch die <span class="gesperrt">Sprache</span>. Das gesellschaftliche Produziren, das ganze
gesellschaftliche Leben ist unm&ouml;glich ohne die Sprache. Die Gesellschaft und die Sprache bedingen einander aufs
Innigste. Ein enges gesellschaftliches Zusammenleben erzeugt mit Naturnothwendigkeit auch eine gewisse
Sprachgemeinschaft; auf der anderen Seite ist das Fehlen der Sprachgemeinschaft eines der gr&ouml;&szlig;ten
Hindernisse eines gesellschaftlichen Zusammenhangs. Auf Polen angewendet besagt das, da&szlig; das Fehlschlagen der
Germanisirung wie der Russifizirung des eigentlichen Polen deutlich beweist, wie lose und ganz &auml;u&szlig;erlich
jene angeblich "organische" Verbindung Polens mit seinen Nachbarn ist, auf die Frl. Luxemburg sich beruft. Anderseits
besagt es aber auch, da&szlig; trotz der Zoll&shy;grenzen, trotz der Verschiedenheit der praktischen Aufgaben der
Sozialdemokratie in Deutschland, &Ouml;sterreich und Ru&szlig;land, die Sprachgemeinschaft ein festeres Band bildet
als die Kampfgenossenschaft in den praktischen K&auml;mpfen. Dieser &uuml;berm&auml;chtige Einflu&szlig; der
Sprachgemeinschaft und nicht der Einflu&szlig; sozialpatriotischer Forderungen ist es, der die polnischen
Sozialdemokraten aller drei Reiche in allen internationalen Fragen als geschlossene Einheit vorgehen l&auml;&szlig;t,
so da&szlig; sie auf den internationalen Kongressen als besondere Nation auftreten, ihre Maifestbl&auml;tter
gemeinsam herstellen u.&nbsp;s.&nbsp;w. Die Sprachgemeinschaft ist es aber auch, die be&shy;wirkt, da&szlig; in der
praktischen Agitation innerhalb des Landes selbst der Einflu&szlig; der polnischen Genossen der Nachbarstaaten
vielfach mehr zur Geltung kommt, als der der nichtpolnischen Genossen des eigenen Staates. Es ist ganz
selbst&shy;verst&auml;ndlich, da&szlig; den Sozialdemokraten Posens die sozialistischen Zeitungen und
Brosch&uuml;ren, die in Galizien erscheinen, n&auml;her liegen und auf sie gr&ouml;&szlig;ere Wirkung aus&uuml;ben,
als die Zeitungen und Schriften der deutschen Sozialdemokratie, die der Masse der polnischen Arbeiter gar nicht oder
nur in &Uuml;bersetzungen zug&auml;nglich sind. Und ebenso ist es nat&uuml;rlich, da&szlig; dem Schriftsteller in
Krakau oder Lem&shy;berg das Urtheil des Publikums in Posen oder Warschau wichtiger ist, als das des Publikums in
Wien oder in Graz.</p>
<p>Wir sind weit entfernt, die Unbequemlichkeiten, ja sogar Gefahren zu untersch&auml;tzen, die aus diesem Zustande
f&uuml;r die sozialistische Bewegung in den in Rede stehenden drei L&auml;ndern, namentlich in &Ouml;sterreich und
Ru&szlig;land, erwachsen k&ouml;nnen; aber wir verstehen nicht, wie man daraus ein Argument gegen die
Un&shy;abh&auml;ngigkeit Polens schmieden kann. Denn nicht aus der Agitation f&uuml;r diese Unabh&auml;ngigkeit
entspringen die Mi&szlig;st&auml;nde des nationalen F&ouml;deralismus, sondern gerade aus dem <span class=
"gesperrt">Fehlen</span> dieser Unabh&auml;ngigkeit. Sie bezeugen deutlich genug, da&szlig; das polnische Proletariat nicht
seine volle Kraft im praktischen Kampfe entfalten noch auch seine Organisation zur Vollendung bringen kann, so lange
die Thei&shy;lung Polens besteht; da&szlig; das polnische Proletariat erst in einem geeinigten, selbst&auml;ndigen
Polen den Boden findet, dessen es bedarf, um im Staate den seiner Entwicklungsstufe entsprechenden Einflu&szlig; zu
&uuml;ben; da&szlig; also die Forderung der Unabh&auml;ngigkeit Polens nicht eine bedeutungslose Spielerei, sondern
eine h&ouml;chst praktische Forderung von gro&szlig;em Werthe ist.</p>
<p><a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S521">&lt;</a><a class="Seitenzahl" name="S522">522</a><a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S523">&gt;</a>Bedroht aber die Erhebung dieser Forderung nicht die polnische Sozial&shy;demokratie
mit der Gefahr des Versinkens in kleinb&uuml;rgerlichen Nationalismus? Sicher, diese Gefahr ist vorhanden, aber so
viel Vertrauen m&uuml;ssen wir schon zu unserer Partei haben, da&szlig; sie im Stande ist, den Gefahren zu begegnen,
die der Eintritt in das Leben mit sich bringt. Die Tugend, die nur unter strengstem Verschlu&szlig; bewahrt werden
kann, die ist keinen Schu&szlig; Pulver werth. Die Gefahr, die hier auftaucht, ist aber kaum gr&ouml;&szlig;er als
die Gefahr, die aus der Verfechtung irgend einer Forderung droht, die wir mit der b&uuml;rgerlichen Demokratie gemein
haben.</p>
<p>Wenn die Sozialdemokratie ihre Schuldigkeit thut, ist ein sch&auml;dlicher Ein&shy;flu&szlig; des "Postulats"
eines unabh&auml;ngigen Polens nicht zu f&uuml;rchten. Schon des&shy;wegen nicht, weil die Agitation der
Sozialdemokratie f&uuml;r die nationale Unab&shy;h&auml;ngigkeit eine ganz andere sein mu&szlig;, als die der
b&uuml;rgerlichen Demokratie. Sie ist frei von jedem Chauvinismus, und die polnische Sozialdemokratie hat bewiesen,
da&szlig; sie der internationalen Solidarit&auml;t des Proletariats sich ebenso tief bewu&szlig;t ist, wie die
Sozialdemokratie irgend eines Landes. Die nationalf&ouml;deralistische Organisation unserer Partei in &Ouml;sterreich
mag manche Schwerf&auml;lligkeit, manche Reibung mit sich bringen, die bei einer geschlosseneren Organisation
h&auml;tten vermieden werden k&ouml;nnen, aber das Verh&auml;ltni&szlig; des galizischen klassenbewu&szlig;ten
Proletariats zu den anderen Theilen des &ouml;sterreichischen Proletariats ist das herzlichste und es ist gar nicht
daran zu denken, da&szlig; das Eintreten f&uuml;r die Unabh&auml;ngigkeit Polens die geringste Tr&uuml;bung dieses
Verh&auml;ltnisses herbeif&uuml;hren k&ouml;nnte.</p>
<p>Die Sozialdemokratie steht aber auch allen Forderungen, die sie mit der b&uuml;rgerlichen Demokratie gemein hat,
kritisch gegen&uuml;ber, und m&ouml;gen sie noch so berechtigt und nothwendig sein. Sie mu&szlig; neben der Bedeutung
auch die Unzu&shy;l&auml;nglichkeit dieser Forderungen betonen. Dies gilt, wie von der politischen Frei&shy;heit, so
auch von der nationalen Unabh&auml;ngigkeit.</p>
<p>Der einzelne Agitator kann nat&uuml;rlich die Bedeutung der einzelnen praktischen Forderungen, die wir stellen, in
einer Weise &uuml;bertreiben, die dem Wesen unserer Partei nicht entspricht, vielleicht sogar in entschiedenem
Gegensatz dazu steht. Er kann Illusionen hegen und verbreiten &uuml;ber die Wirkungen des allgemeinen
Wahl&shy;rechts, des Achtstundentags, also auch der nationalen Unabh&auml;ngigkeit, Illusionen, die mehr
b&uuml;rgerlichen Reformern als proletarischen Revolution&auml;ren entsprechen. Aber das <span class=
"gesperrt">mu&szlig;</span> doch nicht geschehen, und da&szlig; es geschehen <span class="gesperrt">kann</span>, ist sicher kein
Grund, die betreffende Forderung nicht aufzustellen!</p>
<p>Frl. Luxemburg wird selbst diesem Argument, losgel&ouml;st von den anderen, keine besondere Beweiskraft
zusprechen. Wir h&auml;tten es kaum nothwendig gefunden, es &uuml;berhaupt zu ber&uuml;hren, wenn wir nicht
ann&auml;hmen, da&szlig; gerade in diesem Punkt der wichtigste, allerdings nicht theoretische, sondern <span class=
"gesperrt">psychologische</span> Grund f&uuml;r die Gegnerschaft gegen die Idee der Unabh&auml;ngigkeit Polens bei der
antinationalen Fraktion der polnischen Sozialdemokraten zu suchen ist. Soweit wir aus ver&shy;einzelten
&Auml;u&szlig;erungen urtheilen k&ouml;nnen, scheint es uns allerdings, als ob mancher polnische Parteigenosse aus
Furcht, nicht national genug zu erscheinen, und aus dem Bed&uuml;rfni&szlig;, sich in der Konkurrenz mit dem
kleinb&uuml;rgerlichen Nationalismus nicht &uuml;berfl&uuml;geln zu lassen, der nationalen Phrase und der nationalen
Illusion zu gro&szlig;e Konzessionen machte. Das mag ein Extrem in entgegengesetzter Rich&shy;tung hervorrufen. Aber
wenn diese gegens&auml;tzliche Richtung sich nicht darauf be&shy;schr&auml;nkt, Kritik innerhalb der Partei zu
&uuml;ben, wenn sie die Reinheit der Partei&shy;prinzipien f&uuml;r gef&auml;hrdet erkl&auml;rt und die Partei
spaltet, um dem Proletariat zuzu&shy;muthen, da&szlig; es nicht nur auf die nationale Unabh&auml;ngigkeit verzichte,
das hei&szlig;t auf den Boden, auf dem es erst zu voller Entfaltung seiner Kraft kommen
<a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S522">&lt;</a><a class="Seitenzahl" name="S523">523</a><a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S524">&gt;</a>kann, sondern da&szlig; es sogar jeden Versuch bek&auml;mpfe, der einen Schritt zur natio&shy;nalen
Unabh&auml;ngigkeit bedeuten k&ouml;nnte, dann bleibt diese Richtung allerdings von der Gefahr des
kleinb&uuml;rgerlichen Nationalismus entschieden verschont, aber sie ger&auml;th in die entgegengesetzte, viel
gr&ouml;&szlig;ere Gefahr, die Gesch&auml;fte der Unterdr&uuml;cker Polens zu besorgen. Die antinationalen
Sozialdemokraten Polens, die sich lieber der Gefahr aussetzen, dem Zaren zu n&uuml;tzen, als der Gefahr, der
kleinb&uuml;rgerlichen Demokratie Vorschub zu leisten, erinnern uns an manche englische Sozialisten, die, ebenfalls
mit Berufung auf Materialismus und Marxismus, f&uuml;r die Tones stimmten, damit die Reinheit ihrer Prinzipien ja
nicht in Gefahr komme, durch b&uuml;rgerlichen Radikalismus verdorben zu werden. Die Erfahrungen dieser
eng&shy;lischen Sozialisten sollten die polnische Sozialdemokratie gerade nicht ermuthigen, ein &auml;hnliches
Experiment auf dem viel schl&uuml;pfrigeren Boden des russischen Abso&shy;lutismus zu versuchen.</p>
<p>Von welcher Seite wir also auch die Frage der Selbst&auml;ndigkeit Polens betrachten m&ouml;gen, wir finden
nirgends einen Grund f&uuml;r die polnischen Sozialisten, einzustimmen in den Ruf: <span class="Fremdworte">finis
poloni&aelig;!</span> und auf die Unabh&auml;ngigkeit ihres
Vater&shy;landes in ihrer praktischen Th&auml;tigkeit Verzicht zu leisten.</p>
<p>Ebenso wenig aber erwarten wir, da&szlig; ein internationaler Proletarierkongre&szlig; ihnen eine derartige
Resignation zumuthen wird. Die einzige Frage, die in dieser Beziehung auftauchen k&ouml;nnte, w&auml;re die, ob ein
internationaler Sozialistenkongre&szlig; &uuml;berhaupt ein Urtheil &uuml;ber die nationalen Bestrebungen der Polen
abzugeben hat. Praktisch ist diese Frage momentan die wichtigste, angesichts des in wenigen Tagen in London
zusammentretenden internationalen Kongresses<a class="FNzeichen" name="FNanker09" href="nz14_484.htm#FNtext09">9</a>, dem ja bekanntlich zwei polnische Resolutionen vorliegen werden. <a class=
"FNzeichen" name="FNanker10" href="nz14_484.htm#FNtext10">10</a></p>
<p>Frl. Luxemburg weist darauf hin, da&szlig; die polnische Frage die internationale Bedeutung f&uuml;r das
k&auml;mpfende Proletariat verloren habe, die sie noch vor einem Menschenalter besessen, und da&szlig; es doch nicht
angehe, den internationalen Kongre&szlig; zum Schiedsrichter in nationalen Streitfragen zu machen, was ein sehr
gef&auml;hr&shy;liches Beginnen w&auml;re.</p>
<p>Beides ist richtig. Trotzdem k&ouml;nnen wir dem Schlusse nicht zustimmen, den sie daraus zieht. W&uuml;rde es
sich blos um die Polen in Preu&szlig;en und &Ouml;ster&shy;reich handeln, dann w&auml;re es allerdings h&ouml;chst
&uuml;berfl&uuml;ssig, da&szlig; der Kongre&szlig; sich ihrer ann&auml;hme; Nationen, die in Versammlungen, in der
Presse, in gesetzgebenden K&ouml;rpern zu Worte kommen k&ouml;nnen, bed&uuml;rfen der F&uuml;rsorge des
internationalen Proletariats nicht, um so mehr, da sich's gezeigt, da&szlig; die Proletarier der ver&shy;schiedenen
Nationen &uuml;berall die verschiedenen nationalen Streitfragen unter sich ohne internationale Intervention zu
erledigen wissen: die els&auml;ssische Frage bildet keinen Differenzpunkt zwischen den deutschen und den
franz&ouml;sischen Sozialisten, die Frage der <span class="Fremdworte">Italia irredenta</span> keinen Streitpunkt zwischen
den Sozialisten &Ouml;ster&shy;reichs und denen Italiens. Aber die russischen Polen leben als Unterthanen des Zaren
in einem Ausnahmsfalle. Jede &ouml;ffentliche Th&auml;tigkeit ist ihnen unm&ouml;glich gemacht. Weder k&ouml;nnen die
Proletarier in Russisch&ndash;Polen sich mit ihren Genossen im eigentlichen Ru&szlig;land &ouml;ffentlich
verst&auml;ndigen, noch k&ouml;nnen sie vor der &Ouml;ffent&shy;lichkeit ihr besonderes Programm entwickeln. Dagegen
bietet ein internationaler Kongre&szlig; eine vortreffliche und ganz einzige Gelegenheit, der Welt kund zu thun,
da&szlig; das polnische Proletariat festh&auml;lt an der Forderung der Unabh&auml;ngigkeit Polens, und da&szlig; es
diese Forderung verficht im Einverst&auml;ndni&szlig; mit dem Pro&shy;letariat der ganzen Welt, inbegriffen das
russische Proletariat.</p>
<p>Au&szlig;erdem kommt aber noch ein anderes Moment hier in Betracht. In keinem Lande ist der Kampf der
revolution&auml;ren Elemente gegen das bestehende
<a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S523">&lt;</a><a class="Seitenzahl" name="S524">524</a><a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S525">&gt;</a>
Regime von gr&ouml;&szlig;erer
internationaler Bedeutung, als in Ru&szlig;land. Denn noch ist das Zarenthum der Hort der Reaktion, der
gef&auml;hrlichste Feind jeglicher west&shy;europ&auml;ischen Zivilisation, und seine Bek&auml;mpfung eine der
Aufgaben des gesammten Proletariats aller L&auml;nder. In <span class="gesperrt">dieser</span> Beziehung hat sich nicht das
Mindeste ge&auml;ndert. Allerdings, der Kampf um die Unabh&auml;ngigkeit Polens steht heute nicht mehr im Vordergrund
unter den revolution&auml;ren Tendenzen, die im Zarenreiche wirken; aber er hat darum doch nicht aufgeh&ouml;rt, ein
Faktor zu sein, der die Sympathien des internationalen Proletariats vollauf verdient. Und dieses hat die Pflicht,
seinen Sympathien entschiedenen und herzlichen Ausdruck zu geben, wenn die polnischen Sozialisten der Ansicht sind,
eine derartige Kundgebung werde sie moralisch st&auml;rken und dem Zarenthum Abbruch thun.</p>
<p>Hier kommen wir zu dem dritten Moment, das es w&uuml;nschenswert macht, da&szlig; der Kongre&szlig; sich f&uuml;r
die Unabh&auml;ngigkeit Polens ausspreche. In keinem Lande ist die Arbeiterbewegung so abh&auml;ngig von der
internationalen Bewegung, wie in Ru&szlig;land. Sind auch alle Mittel der Propaganda und der Verst&auml;ndigung dort
unterbunden, eines kann man nicht beseitigen, die Nachrichten aus dem Aus&shy;land. &Uuml;ber ihre eigene
Klassenbewegung erfahren die russischen Arbeiter fast noch weniger, als das Ausland. Aber von den Bewegungen im
&uuml;brigen Europa erhalten sie Kunde, von den gro&szlig;en Strikes, den Wahlstegen, den Erweiterungen des
Wahlrechts u&nbsp;s.&nbsp;w. Und das giebt ihnen den Muth und den Wunsch, &Auml;hn&shy;liches auch selbst zu
versuchen.</p>
<p>Angesichts dieser intellektuellen Abh&auml;ngigkeit vom Ausland ist es f&uuml;r die Proletarier Ru&szlig;lands
viel wichtiger, als f&uuml;r die eines jeden anderen Landes, sich in &Uuml;bereinstimmung mit ihren
ausl&auml;ndischen Genossen zu wissen, und daher mu&szlig; jede Kundgebung in diesem Sinne h&ouml;chst ermuthigend
auf sie wirken.</p>
<p>Alles das sind Momente, die es unseres Erachtens wohl rechtfertigen, da&szlig; der internationale Kongre&szlig;
sich mit der polnischen Frage besch&auml;ftigt, trotzdem er die Entscheidung westeurop&auml;ischer nationaler Fragen
von sich weist.</p>
<p>Damit wollen wir allerdings nicht sagen, da&szlig; wir uns f&uuml;r die Resolution zu Gunsten der
Unabh&auml;ngigkeit Polens, die dem Kongre&szlig; vorgelegt werden soll, sehr begeistern k&ouml;nnten. Sie ist in der
"Neuen Zeit" zweimal abgedruckt worden, zuerst im Artikel H&auml;ckers<a class="FNzeichen" name="FNanker11"
href="nz14_484.htm#FNtext11">11</a>, dann in dem letzten des Frl. Luxemburg (S. 461)<a class="FNzeichen" name="FNanker12" href="nz14_484.htm#FNtext12">12</a>,
wir k&ouml;nnen also davon absehen, sie noch einmal zu ver&ouml;ffentlichen.</p>
<p>Sie giebt zwei Gr&uuml;nde an, warum die Unabh&auml;ngigkeit Polens im Interesse der internationalen
Arbeiterbewegung liegt: erstens den Umstand, da&szlig; die Unter&shy;jochung einer Nation stets f&uuml;r das
Proletariat der unterdr&uuml;ckten wie der unter&shy;dr&uuml;ckenden Nation verderblich ist; zweitens die
Gef&auml;hrlichkeit des russischen Zaren&shy;thums f&uuml;r die internationale Arbeiterbewegung. Der erste Punkt ist
etwas zu unbestimmt ausgedr&uuml;ckt; es ist darin keine Rede von der Wichtigkeit der natio&shy;nalen Einigung und
Unabh&auml;ngigkeit f&uuml;r den Klassenkampf des Proletariats, davon, da&szlig; in einer zerst&uuml;ckelten Nation
das Proletariat f&uuml;r seinen Klassenkampf nicht sein volles Interesse und seine volle Kraft entfalten kann,
da&szlig; die Unabh&auml;ngig&shy;keit der Nation ebenso eine Vorbedingung f&uuml;r die kraftvollste F&uuml;hrung des
Klassen&shy;kampfes bildet, wie die politische Freiheit. Abgesehen davon aber macht das erste Argument der polnischen
Resolution die Unabh&auml;ngigkeit Polens zwar zu einer nothwendigen Forderung f&uuml;r die polnische Arbeiterschaft,
es kann aber nicht bestimmend sein f&uuml;r das internationale Proletariat. Ginge der Kongre&szlig; auf diese
Motivirung ein, dann h&auml;tten die Ruthenen, Rum&auml;nen, Slovaken, Irreden&shy;tisten in Tirol und Triest,
Tschechen, Iren etc. auch das Recht, sich vom Kongre&szlig; die Nothwendigkeit ihrer nationalen Forderungen
best&auml;tigen zu lassen.</p>
<p>Wo k&auml;me
<a class="Seitensprung" href="nz14_484.htm#S524">&lt;</a><a class="Seitenzahl" name="S525">525</a>
man da hin! Nein, dies Motiv kann <span class="gesperrt">nebenbei</span> den
Kongre&szlig; der Unabh&auml;ngig&shy;keit Polens g&uuml;nstig stimmen, es kann nicht das entscheidende Motiv sein,
welches diese zu einer internationalen Notwendigkeit erhebt. Diese wird einzig und allein durch die
eigent&uuml;mliche Rolle gegeben, die das Zarenthum spielt. Aber die polnische Resolution &uuml;bertreibt in diesem
Punkte entschieden, wenn sie das Zarenthum "seine inneren Kr&auml;fte und seine &auml;u&szlig;ere Bedeutung aus der
Unterjochung und Theilung Polens" ziehen l&auml;&szlig;t. Die Zeiten sind vorbei, wo das galt. Weder zieht das
Zarenthum heute den Haupttheil seiner Kraft aus der Theilung Polens, noch ist dessen Unabh&auml;ngigkeit heute der
Feind, der es im Innern am &auml;rgsten bedroht.</p>
<p>Anfangs der sechziger Jahre konnte man noch eine Resolution gegen das Zarenthum fassen, in der blos von der
Unabh&auml;ngigkeit Polens die Rede war. Heute erschiene es uns als eine Unbilligkeit gegen die russische
revolution&auml;re Be&shy;wegung, wenn ein internationaler Kongre&szlig;, sobald er auf die Bek&auml;mpfung des
Zarenthums zu sprechen kommt, blos von Polen spr&auml;che, und nicht die Befreiung Ru&szlig;lands ebenso sehr
f&uuml;r eine internationale Notwendigkeit erkl&auml;rte, wie die Unabh&auml;ngigkeit Polens.</p>
<p>Wir glauben, beide Momente lie&szlig;en sich sehr gut nebeneinander betonen, und das w&uuml;rde der historischen
Situation besser entsprechen, als die Resolution in ihrer jetzigen Fassung, die etwas antiquirt ist.</p>
<p>Aber das Entscheidende bei einer Resolution ist nicht ihre Motivirung sondern der Grundsatz, den sie ausspricht.
Und dem Grundsatz der polnischen Resolution stimmen wir r&uuml;ckhaltlos zu.</p>
<div id="Fussnoten">
<p><a class="FNzeichen" name="FNtext01" href="nz14_484.htm#FNanker01" id=
"1">1</a>Siehe die &bdquo;<a href="../../me/me16/me16_005.htm">Inauguraladresse der Internationalen
Arbeiter&ndash;Assoziation, gegr&uuml;ndet am 28. September 1864 in &ouml;ffentlicher Versammlung in St. Martin's
Hall, Long Acre, in London</a>&ldquo; in diesem Archiv</p>
<p><a class="FNzeichen" name="FNtext02" href="nz14_484.htm#FNanker02">2</a>
[Anm. Kautsky:] Vergl. dar&uuml;ber den klassischen Artikel von <a href="../../me/me22/me22_011.htm">
Fr. Engels &uuml;ber "Die ausw&auml;rtige Politik des russischen Zarenthums"</a>,
"Neue Zeit", 8. Jahrg., S. 145ff
<small>(geschrieben Dezember 1889 bis Februar 1890 &ndash; Erg&auml;nzung mlwerke.de)</small>
</p>
<p><a class="FNzeichen" name="FNtext03" href="nz14_484.htm#FNanker03">3</a>
[Anm. Kautsky:] In der T&uuml;rkei kam ihm neben der nationalen auch die religi&ouml;se
Phrase zu Gute. Es trat dort nicht blos als der Befreier der slavischen Br&uuml;der, sondern auch als der
Sch&uuml;tzer der Christen vor den Mohamedanern auf. Auf die Griechen, Rum&auml;nen, Armenier konnte man eben mit
dem slavischen Beruf Ru&szlig;lands nicht wirken. Dieser wurde erg&auml;nzt durch seine religi&ouml;se Inbrunst.
</p>
<p><a class="FNzeichen" name="FNtext04" href="nz14_484.htm#FNanker04">4</a>
Rosa Luxemburg: <a href="../../lu/lu01/lu01a014.htm">
Neue Str&ouml;mungen in der polnischen sozialistischen Bewegung in Deutschland und &Ouml;sterreich</a>.
In Die Neue Zeit, 14. Jahrgang 1895/96, 2. Band,
S. 176-181 und 206-216.
Rosa Luxemburg: <a href="../../lu/lu01/lu01a037.htm">Der Sozialpatriotismus in Polen</a>.
In Die Neue Zeit, 14. Jahrgang 1895/96, 2. Band, S. 459-470.
Abgedruckt in &bdquo;Rosa Luxemburg &ndash; Gesammelte Werke&ldquo;, Dietz Verlag Berlin 1982, Band 1-1, S. 14-36 bzw. 37-51
</p>
<p><a class="FNzeichen" name="FNtext05" href="nz14_484.htm#FNanker05">5</a>
In diesem Archiv: <a href="../../NeueZeit/nz12/nz12_787.htm">
S.G.: "Die industrielle Politik Ru&szlig;lands in dessen polnischen Provinzen"</a>
Ein weiterer Artikel desselben Autors erschien nach dieser Kontroverse im selben Jahrgang von "Die Neue Zeit" zum Thema <a href="../../NeueZeit/nz14/nz14_556.htm">"Die finanzielle Politik Ru&szlig;lands in ihren polnischen Provinzen"</a>. Die Neue Zeit, 14. Jahrgang 1896, 2. Halbband, S. 556-561, den wir der Vollst&auml;ndigkeit halber ebenfalls in diesem Archiv zug&auml;nglich machen.
</p>
<p><a class="FNzeichen" name="FNtext06" href="nz14_484.htm#FNanker06">6</a>
In diesem Archiv: <a href="../../NeueZeit/nz14/nz14_431.htm">
S.G.: "Ein Beitrag zur Geschichte der Agrarpolitik Ru&szlig;lands in dessen polnischen Provinzen"</a></p>
<p><a class="FNzeichen" name="FNtext07" href="nz14_484.htm#FNanker07">7</a>
Sweater: Ausbeuter, Inhaber eines &bdquo;Sweatshops&ldquo;, der eine geringe Zahl von
Arbeitern unter schlechtesten Arbeitsbedingungen erbarmungslos ausbeutet.</p>
<p><a class="FNzeichen" name="FNtext08" href="nz14_484.htm#FNanker08">8</a>
<span class="Fremdworte">ad oculos</span>: augenf&auml;llig</p>
<p><a class="FNzeichen" name="FNtext09" href="nz14_484.htm#FNanker09">9</a>
Der "Internationale sozialistische Arbeiter- und Gewerkschaftskongre&szlig;" tagte vom 27. Juli bis 1. August 1896 in London. Er wird als der dritte Kongre&szlig; der Sozialistischen oder 2. Internationale gez&auml;hlt.</p>
<p><a class="FNzeichen" name="FNtext10" href="nz14_484.htm#FNanker10">10</a>
Die Resolutionsentw&uuml;rfe sind in den Artikel von S. H&auml;cker und Rosa Luxemburg wiedergegeben. Sie die beiden folgenden Fu&szlig;noten:</p>
<p><a class="FNzeichen" name="FNtext11" href="nz14_484.htm#FNanker11">11</a>
In diesem Archiv: <a href="../../NeueZeit/nz14/nz14_324.htm">S. H&auml;cker (Krakau): &bdquo;Der Sozialismus in Polen&ldquo;</a>,
in Die Neue Zeit, 14. Jahrgang 1895/96, 2. Band, S. 324ff</p>
<p><a class="FNzeichen" name="FNtext12" href="nz14_484.htm#FNanker12" >12</a>
Siehe in unserem Archiv &bdquo;<a href="../../lu/lu01/lu01a037.htm#Kap1">Rosa Luxemburg: Der Sozialpatriotismus in Polen</a>&ldquo;,:</p>
</div> <!-- Fussnoten -->
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</div>
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<TABLE width="100%" border="0" align="center" cellspacing=0 cellpadding=0>
<TR>
<TD ALIGN="center" width="49%" height=20 valign=middle><A HREF="../../index.shtml.html"><SMALL>MLWerke</SMALL></A></TD>
<TD ALIGN="center">|</TD>
<TD ALIGN="center" width="49%" height=20 valign=middle><A HREF="../default.htm"><SMALL>Karl Kautsky</SMALL></A></TD>
</TR>
</TABLE></div>
</body>
</html>