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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>Karl Marx - Nachrichten aus Indien</TITLE>
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<FONT SIZE=2><P>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 12, Berlin/DDR 1961. S. 247-249.</P>
</FONT><H2>Karl Marx</H2>
<H1>Nachrichten aus Indien</H1>
<FONT SIZE=2><P>Aus dem Englischen.</P>
</FONT><P><HR></P>
<FONT SIZE=2><P>["New-York Daily Tribune" Nr. 5091 vom 14. August 1857]</P>
</FONT><B><P><A NAME="S247">&lt;247&gt;</A></B> London, 31. Juli 1857</P>
<P>Die letzte Post aus Indien, die Nachrichten aus Delhi bis zum 17. Juni und aus Bombay bis zum 1. Juli bringt, best&auml;tigt die d&uuml;stersten Erwartungen. Als Herr Vernon Smith, der Pr&auml;sident der Kontrollbeh&ouml;rde, das Unterhaus zum ersten Mal &uuml;ber den indischen Aufstand informierte, erkl&auml;rte er zuversichtlich, die n&auml;chste Post w&uuml;rde die Nachricht bringen, Delhi w&auml;re dem Erdboden gleich gemacht. Die Post kam an, aber Delhi war noch nicht "aus den Annalen der Geschichte gestrichen". Dann sagte man, der Artilleriepark k&ouml;nne nicht vor dem 9. Juni herangebracht werden und darum m&uuml;sse der Angriff auf die dem Untergang geweihte Stadt auf dieses Datum verschoben werden. Der 9. Juni verstrich, ohne da&szlig; etwas besonderes passierte. Am 12. und 15. Juni kam es zu einigen Ereignissen, doch eher in entgegengesetzter Richtung, denn Delhi wurde nicht von den Engl&auml;ndern gest&uuml;rmt, sondern die Engl&auml;nder wurden von den Insurgenten angegriffen, deren wiederholte Ausf&auml;lle allerdings zur&uuml;ckgeschlagen wurden. Der Fall von Delhi ist somit wiederum verschoben, wof&uuml;r man jetzt nicht mehr allein den Mangel an Belagerungsartillerie als Ursache angibt, sondern auch den Beschlu&szlig; General Barnards, auf Verst&auml;rkungen zu warten, da seine Streitkr&auml;fte - etwa 3.000 Mann - bei weitem nicht zur Einnahme der alten Hauptstadt ausreichen, die von 30.000 Sepoys verteidigt wird und im Besitz aller Milit&auml;rmagazine ist. Die Rebellen hatten sogar vor dem Adschmir-Tor ein Lager aufgeschlagen. Bisher stimmten alle Milit&auml;rschriftsteller darin &uuml;berein, da&szlig; eine englische Truppe von 3.000 Mann v&ouml;llig ausreiche, um eine Sepoy-Armee von 30.000 oder 40.000 Mann zu vernichten; und wenn dies nicht der Fall w&auml;re, wie k&ouml;nnte dann England - um einen Ausdruck der Londoner "Times" zu gebrauchen - jemals in der Lage sein, Indien "zur&uuml;ckzuerobern"?</P>
<P>Die britische Armee in Indien besteht gegenw&auml;rtig aus 30.000 Mann. <A NAME="S248"><B>&lt;248&gt;</A></B> 20.000 bis 25.000 Mann sind das H&ouml;chste, was im n&auml;chsten halben Jahr aus England hintransportiert werden kann; von diesen m&uuml;ssen 6.000 Mann die Reihen der europ&auml;ischen Truppen in Indien auff&uuml;llen, und die restlichen 18.000 oder 19.000 Mann werden durch Verluste auf der Fahrt, Verluste infolge des Klimas und durch andere Todesf&auml;lle auf etwa 14.000 Soldaten reduziert, die auf dem Kriegsschauplatz eintreffen k&ouml;nnen. Die britische Armee mu&szlig; sich zum Kampf gegen die Meuterer bei einem sehr ungleichen Zahlenverh&auml;ltnis entschlie&szlig;en oder &uuml;berhaupt auf einen Zusammensto&szlig; mit ihnen verzichten. Und doch bleibt uns die Schwerf&auml;lligkeit ihrer Truppenkonzentration um Delhi unverst&auml;ndlich. Wenn sich zu dieser Jahreszeit die Hitze als un&uuml;berwindbares Hindernis erweist, was zur Zeit Sir Charles Napiers nicht der Fall war, so wird einige Monate sp&auml;ter, bei Ankunft der europ&auml;ischen Truppen, die Regenzeit einen noch stichhaltigeren Vorwand f&uuml;r einen Stillstand bieten. Man darf nie vergessen, da&szlig; die jetzige Meuterei tats&auml;chlich schon im Januar begonnen hatte, und da&szlig; die britische Regierung damit deutlich genug gewarnt worden war, ihr Pulver trocken und ihre Truppen in Bereitschaft zu halten.</P>
<P>Da&szlig; es den Sepoys gelungen ist, Delhi so lange gegen eine englische Belagerungsarmee zu halten, hat selbstverst&auml;ndlich seine nat&uuml;rliche Auswirkung gehabt. Die Meuterei breitete sich bis unmittelbar vor die Tore Kalkuttas aus, f&uuml;nfzig bengalische Regimenter haben aufgeh&ouml;rt zu bestehen, die bengalische Armee selbst geh&ouml;rt wie eine Sage der Vergangenheit an, und die Europ&auml;er, &uuml;ber ein gewaltiges Territorium zerstreut und an isolierten Orten eingeschlossen, waren entweder von den Rebellen umgebracht oder standen in hoffnungsloser Verteidigung. In Kalkutta bildeten die christlichen Einwohner eine Freiwilligentruppe, nachdem man ein Komplott f&uuml;r einen Handstreich auf den Sitz der Regierung entdeckt hatte, der bis in das letzte Detail ausgearbeitet gewesen sein soll, und die dort stationierten Eingeborenentruppen waren aufgel&ouml;st worden. In Benares stie&szlig; der Versuch, ein Eingeborenenregiment zu entwaffnen, auf den Widerstand einer Abteilung Sikhs und des 13. irregul&auml;ren Kavallerieregiments. Diese Tatsache ist von sehr gro&szlig;er Bedeutung, da sie zeigt, da&szlig; die Sikhs wie die Mohammedaner schon gemeinsame Sache mit den Brahmanen machten, und da&szlig; sich somit ein allgemeiner Zusammenschlu&szlig; der verschiedenen V&ouml;lkerschaften gegen die britische Herrschaft bereits schnell vollzog. Das englische Volk hatte fest daran geglaubt, da&szlig; die Sepoy-Armee seine ganze St&auml;rke in Indien darstelle. Nun auf einmal ist es v&ouml;llig davon &uuml;berzeugt, da&szlig; gerade diese Armee eine einzige Gefahr darstellt, die es bedroht. Noch w&auml;hrend der letzten Indiendebatten erkl&auml;rte der Pr&auml;sident der Kontrollbeh&ouml;rde, Herr Vernon Smith, da&szlig;</P>
<B><FONT SIZE=2><P><A NAME="S249">&lt;249&gt;</A></B> "gar nicht stark genug betont werden kann, da&szlig; es &uuml;berhaupt keine Verbindung zwischen den einheimischen F&uuml;rsten und der Revolte gibt".</P>
</FONT><P>Zwei Tage darauf mu&szlig;te derselbe Vernon Smith eine Depesche bekanntgeben, die den unheilvollen Satz enthielt:</P>
<FONT SIZE=2><P>"Am 14. Juni wurde der Exk&ouml;nig von Audh auf Grund abgefangener Papiere, die ihn der Verbindung mit der Verschw&ouml;rung &uuml;berf&uuml;hren, in Fort William eingeliefert; seine Anh&auml;nger wurden entwaffnet."</P>
</FONT><P>Nach und nach werden noch andere Tatsachen an den Tag kommen, die sogar John Bull davon &uuml;berzeugen werden, da&szlig; das, was er f&uuml;r eine Truppenmeuterei h&auml;lt, in Wahrheit ein nationaler Aufstand ist.</P>
<P>Die englische Presse gibt vor, gro&szlig;e Zuversicht aus der &Uuml;berzeugung zu sch&ouml;pfen, da&szlig; der Aufstand sich noch nicht &uuml;ber die Grenzen der Pr&auml;sidentschaft Bengalen hinaus erstreckt habe und da&szlig; nicht der leiseste Zweifel an der Treue der Armeen von Bombay und Madras best&auml;nde. Diese optimistische Auffassung der Lage scheint jedoch in merkw&uuml;rdigem Widerspruch zu der Tatsache zu stehen, die uns die letzte Post mitteilt, da&szlig; eine Meuterei der Kavallerie des Nizams in Aurangabad ausgebrochen ist. Da Aurangabad die Hauptstadt des gleichnamigen Bezirks ist, der zur Pr&auml;sidentschaft Bombay geh&ouml;rt, k&uuml;ndigt die letzte Post in Wahrheit den Beginn des Aufstandes der Armee von Bombay an. Allerdings erkl&auml;rt man, die Meuterei in Aurangabad soll sofort von General Woodburn niedergeschlagen worden sein. Aber hatte man nicht auch gesagt, da&szlig; die Meuterei von Mirat sofort niedergeschlagen worden sei? Erlebte die Meuterei von Lakhnau, nachdem sie von Sir H. Lawrence erstickt worden war, nicht vierzehn Tage sp&auml;ter eine furchtbare Wiedergeburt? Erinnert man sich nicht daran, da&szlig; die allererste Mitteilung &uuml;ber eine Meuterei in der indischen Armee von der Erkl&auml;rung begleitet war, da&szlig; die Ordnung wiederhergestellt sei? Obwohl das Gros der Armeen von Bombay und Madras aus Angeh&ouml;rigen niederer Kasten besteht, gibt es doch in jedem Regiment einige Hundert Radschputen, eine Anzahl, die v&ouml;llig gen&uuml;gt, um das Verbindungsglied zu den Rebellen der bengalischen Armee zu bilden, die der oberen Kaste angeh&ouml;ren. Der Pandschab wird f&uuml;r ruhig erkl&auml;rt, doch gleichzeitig erfahren wir, da&szlig; "am 13. Juni in Firospur standrechtliche Erschie&szlig;ungen stattgefunden h&auml;tten", w&auml;hrend Vaughans Korps - das 5. Infanterieregiment des Pandschab - daf&uuml;r ger&uuml;hmt wird, "sich bei der Verfolgung des 55. Eingeborenen-Infanterieregiments ausgezeichnet gehalten zu haben". Das ist, mu&szlig; man gestehen, eine sehr eigent&uuml;mliche Art der "Ruhe".</P>
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