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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>Friedrich Engels - Die milit&auml;rische Lage in Frankreich</TITLE>
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<P ALIGN="CENTER"><A HREF="me17_180.htm"><FONT SIZE=2>&Uuml;ber den Krieg - XXVIII</FONT></A><FONT SIZE=1> </FONT><FONT SIZE=2>| </FONT><A HREF="me17_udk.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="me17_189.htm"><FONT SIZE=2>&Uuml;ber den Krieg - XXIX</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 17, 5. Auflage 1973, unver&auml;nderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 184-188.</P>
<P>Erstellt am 13.12.1998.<BR>
1. Korrektur.</P>
</FONT><H2>Friedrich Engels</H2>
<H1>Die milit&auml;rische Lage Frankreichs</H1>
<P><HR></P>
<FONT SIZE=2><P>["The Pall Mall Gazette" Nr. 1806 vom 26. November 1870]</P>
</FONT><B><P><A NAME="S184">|184|</A></B> Gestern machten wir auf die Tatsache aufmerksam, da&szlig; sich seit der &Uuml;bergabe von Sedan die Aussichten f&uuml;r Frankreich sehr gebessert haben und da&szlig; sogar der Fall von Metz, durch den etwa 150.000 deutsche Soldaten freigesetzt wurden, jetzt nicht mehr als ein so vernichtender Schlag anzusehen ist, als der er zuerst erschien. Wir kommen heute wieder auf denselben Gegenstand zu sprechen, um mit einigen weiteren milit&auml;rischen Einzelheiten die Richtigkeit dieser Ansicht zu beweisen.</P>
<P>Die Stellungen der deutschen Armeen am 24. November, soweit sie sich ermitteln lassen, waren folgende:</P>
<P>Paris ist eingeschlossen von der Dritten Armee (dem II., V., VI. und dem II. bayrischen Korps, der 21., der w&uuml;rttembergischen und der Gardelandwehrdivision) und der Vierten Armee (dem IV., XII. und dem Gardekorps); zusammen siebzehn Divisionen.</P>
<P>Die Beobachtungsarmeen, die diese Einschlie&szlig;ung sch&uuml;tzen, bestehen aus folgenden Truppen: im Norden die Erste Armee(das I. und VIII. Korps); im Westen und S&uuml;dwesten die Armee des Gro&szlig;herzogs von Mecklenburg (die 17. und 22. Division und das I. bayrische Korps); im S&uuml;den die Zweite Armee (das III., IX. und X. Korps und eine Division der Landwehr, von der Ricciotti Garibaldi in Ch&acirc;tillon einen abgezweigten Teil so ernstlich angegriffen hat); zusammen f&uuml;nfzehn Divisionen.</P>
<P>Mit besonderen Aufgaben: im S&uuml;dosten von Frankreich das XIV. Korps (unter Werder, bestehend aus zweieinhalb Divisionen) und das XV. Korps; in Metz und bei Thionville das VII. Korps; auf der Verbindungslinie wenigstens eineinhalb Divisionen Landwehr; zusammen wenigstens acht Divisionen.</P>
<B><P><A NAME="S185">|185|</A></B> Von diesen vierzig Divisionen Infanterie sind die ersten siebzehn augenblicklich vollauf vor Paris besch&auml;ftigt; die letzten acht zeigen durch ihre Unbeweglichkeit, da&szlig; sie g&auml;nzlich in Anspruch genommen sind. F&uuml;r das Feld bleiben also die f&uuml;nfzehn Divisionen verf&uuml;gbar, aus denen die drei Beobachtungsarmeen bestehen, die mit Kavallerie und Artillerie zusammen eine Gesamtstreitmacht von h&ouml;chstens etwa 200.000 K&auml;mpfern darstellen.</P>
<P>Vor dem 9. November schien kein ernstliches Hindernis vorhanden zu sein, das diese Truppenmassen h&auml;tte abhalten k&ouml;nnen, den gr&ouml;&szlig;eren Teil von Zentral- oder sogar S&uuml;dfrankreich zu &uuml;berrennen. Aber seitdem haben sich die Dinge betr&auml;chtlich ge&auml;ndert. Es ist nicht so sehr die Tatsache, da&szlig; von der Tann geschlagen und zum R&uuml;ckzug gezwungen worden ist oder da&szlig; d'Aurelle bewiesen hat, da&szlig; er wohl f&auml;hig ist, mit seinen Truppen geschickt zu operieren, was uns einen gr&ouml;&szlig;eren Respekt vor der Loire-Armee beigebracht hat, als wir, offen gestanden, bis dahin vor ihr hatten; vielmehr sind es in der Hauptsache die energischen Ma&szlig;nahmen, die Moltke getroffen hat, um ihrem vermuteten Vormarsch auf Paris entgegenzutreten, welche diese Armee in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen. Er hielt es nicht nur f&uuml;r notwendig, gegen sie den gr&ouml;&szlig;eren Teil der blockierenden Truppen auf der S&uuml;dseite der Stadt in Bereitschaft zu halten, sogar auf die Gefahr hin, da&szlig; die Einschlie&szlig;ung von Paris de facto aufgehoben w&uuml;rde; er &auml;nderte au&szlig;erdem auch sofort die Marschrichtung der beiden Armeen, die von Metz herankamen, um sie dichter an Paris heranzuziehen und somit alle deutschen Truppen rund um die Stadt zu konzentrieren. Wir h&ouml;ren jetzt, da&szlig; &uuml;berdies Schritte unternommen worden sind, den Belagerungspark mit Verteidigungsanlagen zu umgeben. Was auch andere Leute denken m&ouml;gen, Moltke betrachtet die Loire-Armee offenbar nicht als bewaffneten Haufen, sondern als richtige, ernst zu nehmende und gef&auml;hrliche Armee.</P>
<P>Die fr&uuml;here Ungewi&szlig;heit &uuml;ber den Charakter dieser Armee entsprang zum gro&szlig;en Teil den Berichten der englischen Korrespondenten in Tours. Unter ihnen scheint kein einziger milit&auml;rischer Fachmann zu sein, der imstande war, die Merkmale zu erkennen, durch die sich eine Armee von einem bewaffneten Haufen unterscheidet. Jeden Tag trafen die widerspruchsvollsten Berichte &uuml;ber Disziplin, Fortschritte der Ausbildung, Anzahl, Bewaffnung, Ausr&uuml;stung, Artillerie, Transportwesen ein - kurzum &uuml;ber alles, was zur Bildung einer Meinung wesentlich ist. Wir alle kennen die ungeheuren Schwierigkeiten, unter denen diese neue Armee gebildet werden mu&szlig;te; es fehlte an Offizieren, Waffen, Pferden, an allen Arten von Material und besonders an Zeit. Die Berichte, die wir erhielten, verweilten haupts&auml;chlich bei diesen Schwierigkeiten. Darum wurde die Loire-Armee allgemein von <A NAME="S186"><B>|186|</A></B> Leuten untersch&auml;tzt, deren Urteil sich nicht von ihren Sympathien mitrei&szlig;en l&auml;&szlig;t.</P>
<P>Jetzt sind dieselben Korrespondenten einm&uuml;tig im Lob der Loire-Armee. Sie sagen, sie sei besser mit Offizieren versehen und besser diszipliniert als die Armeen, die bei Sedan und bei Metz unterlagen. Das ist ohne Zweifel bis zu einem gewissen Grade der Fall. Sie ist offensichtlich von einem weit besseren Geist durchdrungen, als er jemals in den bonapartistischen Armeen zu finden war: von der Entschlossenheit, das Beste f&uuml;r ihr Land zu tun, einheitlich zu operieren und zu diesem Zweck Befehlen zu gehorchen. Diese Armee hat au&szlig;erdem eine sehr wichtige Sache wieder gelernt, die Louis-Napoleons Armee vollkommen vergessen hatte: den leichten Infanteriedienst, die Kunst, die Flanken und den R&uuml;cken vor &Uuml;berraschungen zu sch&uuml;tzen, den Feind zu erkunden, seine Detachements zu &uuml;berfallen, sich Nachrichten zu verschaffen und Gefangene zu machen. Der Korrespondent der "Times" beim Gro&szlig;herzog von Mecklenburg liefert Beweise daf&uuml;r. Es sind jetzt die Preu&szlig;en, die den Aufenthalt des Feindes nicht in Erfahrung bringen und im dunkeln tappen, w&auml;hrend es fr&uuml;her genau umgekehrt war. Eine Armee, die das gelernt hat, hat viel gelernt. Wir d&uuml;rfen jedoch nicht vergessen, da&szlig; die Loire-Armee, ebenso wie ihre Schwesterarmeen im Westen und Norden, noch ihre T&uuml;chtigkeit in einer allgemeinen Schlacht gegen einen zahlenm&auml;&szlig;ig etwa gleich starken Feind zu beweisen hat. Aber im gro&szlig;en und ganzen verspricht sie Gutes, und mancher Umstand spricht daf&uuml;r, da&szlig; sogar eine regelrechte Niederlage ihr nicht so schwer zusetzen wird wie sonst meist einer jungen Armee.</P>
<P>Es ist eine Tatsache, da&szlig; die Brutalit&auml;ten und Grausamkeiten der Preu&szlig;en, anstatt den Volkswiderstand zu unterdr&uuml;cken, seine Energien vervielfacht haben; und zwar in solchem Ma&szlig;, da&szlig; die Preu&szlig;en ihren Fehler offenbar eingesehen haben und wir jetzt kaum noch etwas &uuml;ber gebrandschatzte D&ouml;rfer und niedergemetzelte Bauern h&ouml;ren. Aber diese Behandlung hat ihre Wirkung ausge&uuml;bt - von Tag zu Tag nimmt der Guerillakrieg gr&ouml;&szlig;eren Umfang an. Wenn wir in der "Times" die Berichte &uuml;ber den Vormarsch des Gro&szlig;herzogs von Mecklenburg auf Le Mans lesen: kein Feind in Sicht, keine regul&auml;re Streitmacht, die auf offenem Felde Widerstand b&ouml;te, aber Kavallerie und Franktireurs in den Flanken, keine Nachrichten &uuml;ber den Aufenthalt der franz&ouml;sischen Truppen und die preu&szlig;ischen Truppen dicht zusammengeschlossen in ziemlich gro&szlig;en Verb&auml;nden, so werden wir unwillk&uuml;rlich an die Feldz&uuml;ge der Marsch&auml;lle Napoleons I. in Spanien oder von Bazaines Truppen in Mexiko erinnert. Ist der Geist des Volkswiderstands erst einmal geweckt, dann machen bei der Besetzung eines feind- <A NAME="S187"><B>|187|</A></B> lichen Landes selbst Armeen von 200.000 Mann keine raschen Fortschritte. Sie kommen sehr bald auf den Punkt, wo ihre Detachements schw&auml;cher werden als die Kr&auml;fte, die ihnen die Verteidigung entgegenstellen kann; wie bald das eintritt, h&auml;ngt ganz von der Energie des Volkswiderstands ab. Sogar eine geschlagene Armee findet rasche Zuflucht vor dem verfolgenden Feind, sofern sich nur die Bev&ouml;lkerung des Landes erhebt. Dieser Fall kann jetzt in Frankreich eintreten. Sollte sich die Bev&ouml;lkerung in den vom Feind besetzten Gebieten erheben oder nur seine Verbindungslinien wiederholt unterbrechen, so w&uuml;rde der Rahmen, in welchem die Invasion wirksam ist, noch enger werden. Wir w&uuml;rden uns zum Beispiel nicht wundern, wenn der Gro&szlig;herzog von Mecklenburg, falls er nicht von Prinz Friedrich Karl kr&auml;ftig unterst&uuml;tzt wird, bereits jetzt zu weit vorgesto&szlig;en sein sollte.</P>
<P>Gegenw&auml;rtig h&auml;ngt nat&uuml;rlich alles von Paris ab. Wenn Paris noch einen Monat aush&auml;lt - und die Berichte &uuml;ber seinen Proviantvorrat schlie&szlig;en diese Chance ganz und gar nicht aus -, kann Frankreich m&ouml;glicherweise eine Armee im Felde haben, die mit Hilfe des Volkswiderstands stark genug ist, die Einschlie&szlig;ung durch einen erfolgreichen Angriff auf die preu&szlig;ischen Verbindungen aufzuheben. Der Organisationsapparat zur Schaffung von Armeen scheint zur Zeit in Frankreich ziemlich gut zu funktionieren. Es gibt mehr Menschen, als gebraucht werden; dank den Mitteln der modernen Industrie und der Geschwindigkeit der modernen Bef&ouml;rderungsmittel werden Waffen in unerwartet gro&szlig;en Mengen aufgebracht; allein aus Amerika sind 400.000 gezogene Gewehre eingetroffen, und Gesch&uuml;tze werden in Frankreich mit einer bisher g&auml;nzlich unbekannten Schnelligkeit hergestellt; sogar Offiziere werden irgendwie gefunden oder ausgebildet. Alles in allem sind die Anstrengungen, die Frankreich seit Sedan gemacht hat, um seine nationale Verteidigung zu reorganisieren, beispiellos in der Geschichte und erfordern f&uuml;r einen fast sicheren Erfolg nur eines: Zeit. Wenn Paris nur noch einen Monat aush&auml;lt, wird das den Erfolg bedeutend n&auml;herbringen. Sollte Paris nicht f&uuml;r so lange Zeit verproviantiert sein, so kann Trochu versuchen, mit den dazu geeigneten Truppen die einschlie&szlig;enden Linien zu durchbrechen; und es w&uuml;rde gewagt sein, zu behaupten, da&szlig; er dabei keinen Erfolg haben kann. Wenn es ihm gelingen sollte, w&uuml;rde Paris dennoch eine Garnison von wenigstens drei preu&szlig;ischen Armeekorps zur Aufrechterhaltung der Ruhe erfordern, so da&szlig; Trochu mehr Franzosen freigesetzt h&auml;tte, als die &Uuml;bergabe von Paris Deutsche freisetzen w&uuml;rde. Was immer die Festung Paris bedeuten mag, wenn sie von Franzosen verteidigt wird, so ist doch klar, da&szlig; sie von deutschen Kr&auml;ften niemals gegen franz&ouml;sische Belagerer erfolgreich gehalten werden k&ouml;nnte. Es w&uuml;rden ebenso <A NAME="S188"><B>|188|</A></B> viele Truppen erforderlich sein, die Bev&ouml;lkerung von Paris niederzuhalten, wie f&uuml;r die Verteidigung der W&auml;lle gegen Angriffe von au&szlig;en. So kann der Fall von Paris den Fall Frankreichs mit sich bringen, aber er mu&szlig; es nicht.</P>
<P>Es ist gerade jetzt eine schlechte Zeit f&uuml;r Spekulationen &uuml;ber die Wahrscheinlichkeit dieses oder jenes Kriegsausgangs. Wir haben nur von einer Tatsache ann&auml;hernd Kenntnis - der St&auml;rke der preu&szlig;ischen Armeen. Die zahlenm&auml;&szlig;ige St&auml;rke der franz&ouml;sischen Truppen und ihre Qualit&auml;t kennen wir nur wenig. Au&szlig;erdem wirken hier moralische Faktoren mit, die au&szlig;erhalb jeder Berechnung stehen und von denen wir nur sagen k&ouml;nnen, da&szlig; sie alle g&uuml;nstig f&uuml;r Frankreich und ung&uuml;nstig f&uuml;r Deutschland sind. Aber so viel scheint gewi&szlig;, da&szlig; die k&auml;mpfenden Truppen gerade jetzt einander mehr die Waage halten als jemals seit Sedan und da&szlig; eine verh&auml;ltnism&auml;&szlig;ig geringe Verst&auml;rkung der Franzosen durch ausgebildete Truppen das Gleichgewicht g&auml;nzlich wiederherstellen k&ouml;nnte.</P>
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