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2022-08-25 20:29:11 +02:00

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<TITLE>Rosa Luxemburg - Einf&uuml;hrung in die National&ouml;konomie - I. 4</TITLE>
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<!--Hier war ein unzureichend terminierter Kommentar -->
<P ALIGN="CENTER"><A HREF="lu05_535.htm"><FONT SIZE=2>I. 3</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="lu05_en.htm"><FONT SIZE=2>Inhalt</FONT></A><FONT SIZE=2> | </FONT><A HREF="lu05_563.htm"><FONT SIZE=2>I. 5</FONT></A></P>
<FONT SIZE=2><P>Rosa Luxemburg - Gesammelte Werke. Herausgegeben vom Institut f&uuml;r Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Band 5. Berlin/DDR. 1975. "Einf&uuml;hrung in die National&ouml;konomie", S. 557-563.</P>
<P>1. Korrektur<BR>
Erstellt am 06.01.1999.</FONT> </P>
<FONT SIZE=4><P ALIGN="CENTER">I. 4</P>
</FONT><B><P><A NAME="S557">|557|</A></B> Kann Professor B&uuml;cher trotz alledem an eine Weltwirtschaft nicht glauben? Nein. Denn so erkl&auml;rt der Gelehrte, nachdem er sich nach allen Weltgegenden aufmerksam umgeschaut und nichts entdeckt hat: Ich kann mir nicht helfen, ich sehe gar keine "besonderen Erscheinungen", die von einer Volkswirtschaft "in wesentlichen Merkmalen abweichen" w&uuml;rden, "und es steht sehr zu bezweifeln, da&szlig; solle in absehbarer Zukunft auftreten werden".<A NAME="ZF1"><A HREF="lu05_557.htm#F1">[1]</A></A></P>
<P>Nun, so verlassen wir ganz den Handel und die Handelsstatistiken, und wenden wir uns direkt an das Leben, an die Geschichte der modernen Wirtschaftsbeziehungen. Nur ein einziges kleines Kapitel aus dem bunten Riesenbilde.</P>
<P>Im Jahre 1768 wird in Nottingham in England die erste Baumwollspinnerei mit mechanischem Betrieb von Arkwright errichtet, im Jahre 1783 erfindet Cartwright den mechanischen Webstuhl. Die n&auml;chste Folge ist in England die Vernichtung der Handweberei und die rapide Verbreitung der mechanischen Fabrikation. Anfangs des 19. Jahrhunderts gab es in England nach einer Sch&auml;tzung ca. eine Million Handweber; sie sind nun auf den Aussterbeetat gesetzt, und um das Jahr 1860 gibt es im Vereinigten K&ouml;nigreich nur noch wenige Tausende von Handwebern, daf&uuml;r <A NAME="S558"><B>|358|</A></B> aber mehr als eine halbe Million Fabrikarbeiter in der Baumwollbranche. Im Jahre 1863 spricht der Ministerpr&auml;sident Gladstone im Parlament von einer <A HREF="../../me/me23/me23_677.htm#S681">"berauschenden Vermehrung von Reichtum und Macht"</A>, die sich &uuml;ber die englische Bourgeoisie ergossen habe, ohne da&szlig; die Arbeiterklasse daran irgendeinen Anteil genommen h&auml;tte.</P>
<P>Die englische Baumwollindustrie bezieht ihren Rohstoff aus Nordamerika. Das Wachstum der Fabriken im Distrikt Lancashire rief enorme Plantagen der Baumwolle in dem s&uuml;dlichen Teil der Vereinigten Staaten hervor. Als billige Arbeitskr&auml;fte f&uuml;r die m&ouml;rderische Arbeit in den Baumwollplantagen, genauso wie f&uuml;r die Zucker, Reis und Tabakpflanzungen, wurden Neger aus Afrika importiert. In Afrika belebt sich au&szlig;erordentlich der Sklavenhandel, ganze Negerst&auml;mme werden im Innern des "schwarzen Erdteils" gejagt, von ihren H&auml;uptlingen verschachert, &uuml;ber enorme Strecken zu Lande und zu Wasser transportiert, um nach Amerika verkauft zu werden. Es entsteht eine f&ouml;rmliche schwarze "V&ouml;lkerwanderung". Am Ende des 18. Jahrhunderts, im Jahre 1790, gab es in Amerika nach einer Berechnung nur 69.000 Neger, im Jahre 1861 &uuml;ber 4 Millionen.</P>
<P>Die kolossale Ausdehnung des Sklavenhandels und der Sklavenarbeit im S&uuml;den der Union ruft einen Kreuzzug der Nordstaaten gegen diese unchristlichen Greuel hervor. Die massenhafte Einfuhr englischen Kapitals in den Jahren 1825-1860 hatte im Norden der Vereinigten Staaten einen lebhaften Eisenbahnbau, die Anf&auml;nge einer eigenen Industrie ins Leben gerufen und mit ihnen die Bourgeoisie, die f&uuml;r modernere Formen der Ausbeutung, f&uuml;r die kapitalistische Lohnsklaverei schw&auml;rmte. Die m&auml;rchenhaften Gesch&auml;fte der s&uuml;dlichen Plantagenbesitzer, die ihre Sklaven binnen 7 Jahren zu Tode schinden konnten, waren den frommen Puritanern des Nordens um so mehr ein Greuel, als die klimatischen Verh&auml;ltnisse es ihnen verboten, dasselbe Paradies in ihren Staaten zu errichten. So wurde auf Betreiben der Nordstaaten die Sklaverei f&uuml;r das ganze Gebiet der Union im Jahre 1861 durch ein Gesetz in aller Form aufgehoben. Die in ihren innersten Gef&uuml;hlen getroffenen Pflanzer des S&uuml;dens beantworteten den Streich mit einem offenen Aufruhr. Die S&uuml;dstaaten erkl&auml;rten ihre Sezession aus der Union, und der gro&szlig;e B&uuml;rgerkrieg brach aus.</P>
<P>Die n&auml;chste Wirkung des Krieges war die Verheerung und der wirtschaftliche Ruin der S&uuml;dstaaten. Produktion und Handel lagen darnieder, die Ausfuhr der Baumwolle wurde unterbrochen. So wurde die englische <A NAME="S559"><B>|559|</A></B> Industrie ihres Rohstoffs beraubt, und im Jahre 1863 bricht in England eine furchtbare Krise, der sogenannte "Baumwollhunger", aus. Im Distrikt Lancashire werden 250.000 Arbeiter ganz arbeitslos, 166.000 nur teilweise besch&auml;ftigt, und nur 120.000 Arbeiter finden noch volle Besch&auml;ftigung, doch bei L&ouml;hnen, die um 10-20 Prozent herabgedr&uuml;ckt sind. Grenzenloses Elend herrscht unter der Bev&ouml;lkerung des Distrikts, und 30.000 Arbeiter fordern in einer Petition an das englische Parlament die Bewilligung von Staatsmitteln, um mit Weib und Kind aus England auszuwandern. Die australischen Staaten, die f&uuml;r ihren beginnenden kapitalistischen Aufschwung erforderlicher Arbeitskr&auml;fte ermangeln - nachdem die eingeborene Bev&ouml;lkerung durch die europ&auml;ischen Einwanderer bis auf einen geringen Rest ausgerottet worden ist -, erkl&auml;ren sich bereit, die arbeitslosen Proletarier aus England aufzunehmen. Allein die englischen Fabrikanten protestieren heftig gegen die Auswanderung ihrer "lebendigen Maschinerie", die sie bei demn&auml;chst zu erwartendem Aufschwung der Industrie wieder selbst brauchen k&ouml;nnen. Die Mittel zur Emigration werden den Arbeitern verweigert und die Schrecken der Krise von ihnen bis auf die Neige ausgekostet.</P>
<P>Die englische Industrie sucht, nachdem die amerikanische Quelle versagt hat, sich anderweitig ihren Rohstoff zu verschaffen und richtet ihre Blicke nach Ostindien. Baumwollplantagen werden hier fieberhaft angelegt, und der Reisbau, der seit Jahrtausenden die t&auml;gliche Nahrung der Bev&ouml;lkerung liefert und ihre Existenzbasis bildet, mu&szlig; auf weiten Strecken den profitablen Aussichten der Spekulanten weichen. Im Anschlu&szlig; an diese Verdr&auml;ngung des Reisbaues stellt sich nach wenigen Jahren eine au&szlig;erordentliche Teuerung und eine Hungersnot ein, bei der 1866 in einem einzigen Distrikt, Orissa, n&ouml;rdlich von Bengalen, mehr als 1 Million Menschen vom Hungertode weggerafft werden.</P>
<P>Ein zweites Experiment wird in &Auml;gypten gemacht. Um die Konjunktur des Sezessionskrieges auszun&uuml;tzen, legt der Vizek&ouml;nig von &Auml;gypten, Ismail Pascha, schleunigst Baumwollplantagen an. Eine f&ouml;rmliche Revolution findet in den Eigentumsverh&auml;ltnissen und der Landwirtschaft des Landes statt. Das Bauernland wird auf weiten Strecken gestohlen, als k&ouml;nigliches Gut erkl&auml;rt und zu Plantagen gr&ouml;&szlig;ten Stils verwendet. Tausende von Fronbauern werden mit der Karbatsche auf die Plantagen getrieben, um f&uuml;r den Vizek&ouml;nig D&auml;mme aufzurichten, Kan&auml;le zu bauen und den Pflug zu f&uuml;hren. Der Vizek&ouml;nig aber st&uuml;rzt sich noch tiefer in Schulden bei englischen und franz&ouml;sischen Bankiers, um f&uuml;r geliehenes Geld modernste Dampfpfl&uuml;ge und Entk&ouml;rnungsanlagen aus England zu beziehen. Die <A NAME="S560"><B>|560|</A></B> gro&szlig;artige Spekulation endete schon nach einem Jahre mit dem Bankrott, als nach dem Friedensschlu&szlig; in den Vereinigten Staaten der Preis der Baumwolle in wenigen Tagen wieder auf den vierten Teil fiel. Das Ergebnis der Baumwollperiode f&uuml;r &Auml;gypten war der beschleunigte Ruin der Bauernwirtschaft, der beschleunigte Zusammenbruch der Finanzen und am letzten Ende die beschleunigte Okkupation &Auml;gyptens [durch] das englische Milit&auml;r.</P>
<P>Inzwischen macht die Baumwollindustrie neue Eroberungen. Der Krimkrieg des Jahres 1855 hatte die Zufuhr von Hanf und Flachs aus Ru&szlig;land [unterbunden], was in Westeuropa zu einer heftigen Krise in der Leinwandfabrikation f&uuml;hrte. Die Baumwolle dringt dabei vielfach an Stelle der Leinwand, die Baumwollindustrie dehnt sich auf Kosten der Leinwandproduktion immer mehr aus. In Ru&szlig;land erfolgt gleichzeitig seit dem Zusammenbruch des alten Systems im Krimkriege eine politische Umw&auml;lzung, Abschaffung der Leibeigenschaft, liberale Reformen, Freihandel und rapider Bau von Eisenbahnen. Ein neuer gewaltiger Absatzmarkt f&uuml;r Industrieprodukte wird damit im Innern des Riesenreichs er&ouml;ffnet, und die englische Baumwollindustrie dringt mit als die erste auf die russischen M&auml;rkte vor. In den sechziger Jahren wird gleichfalls nach einer Reihe blutiger Kriege China f&uuml;r den englischen Handel erschlossen. England beherrscht den Weltmarkt, und die Baumwollindustrie liefert die H&auml;lfte seiner Ausfuhr. Die Periode der sechziger und siebziger Jahre ist die Zeit der gl&auml;nzendsten Gesch&auml;fte der englischen Kapitalisten, zugleich die Zeit, wo sie am meisten geneigt sind, sich durch kleine Konzessionen an die Arbeiter die "H&auml;nde" und den "gewerblichen Frieden" zu sichern. In dieser Periode erreichen die englischen Trade-Unions, die Baumwollspinner und -weber an der Spitze, ihre bedeutendsten Erfolge, zugleich ist dies die Zeit des endg&uuml;ltigen Absterbens der revolution&auml;ren Traditionen der Chartistenbewegung und der Owenschen Ideen im englischen Proletariat und seine Erstarrung im konservativen Tradeunionismus.</P>
<P>Bald wendet sich jedoch das Blatt. &Uuml;berall auf dem Kontinent, wohin <A NAME="S561"><B>|561|</A></B> England seine Baumwollprodukte ausf&uuml;hrte, entsteht nach und nach eine eigene Baumwollindustrie. Schon 1844 spielen sich Hungeraufst&auml;nde der Handweber in Schlesien und B&ouml;hmen als die ersten Vorboten der M&auml;rzrevolution ab. Auch in den eigenen Kolonien Englands entsteht eine einheimische Industrie. Die Baumwollfabriken Bombays machen bald den englischen Konkurrenz und helfen in den achtziger Jahren das Monopol Englands auf dem Weltmarkt brechen.</P>
<P>Endlich in Ru&szlig;land inauguriert der Aufschwung einer eigenen Baumwollfabrikation in den siebziger Jahren die &Auml;ra der Gro&szlig;industrie und des Schutzzolls. Zur Umgehung der hohen Zollschranke werden aus Sachsen, aus dem Vogtlande ganze Fabriken mitsamt ihrem Personal nach Russisch-Polen &uuml;bertragen, wo neue Fabrikzentren, <I>L&oacute;dz, Zgierz, </I>mit kalifornischer Pl&ouml;tzlichkeit zu gro&szlig;en St&auml;dten anwachsen. Zu Anfang der achtziger Jahre erzwingen die Arbeiterunruhen in dem Baumwolldistrikt <I>Moskau-Wladimir </I>die ersten Arbeiterschutzgesetze des Zarenreiches. Im Jahre 1896 veranstalten 60.000 Arbeiter der Petersburger Baumwollfabriken den ersten Massenstreik in Ru&szlig;land. Und neun Jahre sp&auml;ter, im Juni 1905, errichten im dritten Zentrum der Baumwollindustrie, in <I>L&oacute;dz</I>, 100.000 Arbeiter, darunter die deutschen mit an der Spitze, die ersten Barrikaden der gro&szlig;en russischen Revolution ...<A NAME="ZF2"><A HREF="lu05_557.htm#F2">[2]</A></A></P>
<P>Wir haben hier in knappen Z&uuml;gen 140 Jahre Geschichte eines modernen Industriezweiges vor uns, eine Geschichte, die sich durch alle f&uuml;nf Weltteile windet, Millionen von Menschenleben hin&uuml;berschleudert, hier als Krise, dort als Hungersnot ausbricht, bald als Krieg, bald als Revolution aufflammt, allenthalben auf ihrem Wege Goldberge von Reichtum und Abgr&uuml;nde des Elends zur&uuml;ckl&auml;&szlig;t - ein breiter blutgef&auml;rbter Schwei&szlig;strom der menschlichen Arbeit.</P>
<P>Das sind Zuckungen des Lebens, das sind Fernwirkungen, die bis an <A NAME="S562"><B>|562|</A></B> die Eingeweide des V&ouml;lker greifen, wovon aber auch nicht ein blasser Schimmer in den trockenen Zahlen der internationalen Handelsstatistiken zu lesen ist. In den anderthalb Jahrhunderten, seitdem die moderne Industrie in England ihren Einzug gehalten, hat sich die kapitalistische Weltwirtschaft unter Schmerzen und Konvulsionen der gesamten Menschheit erst recht herausgebildet. Sie hat einen Produktionszweig nach dem anderen ergriffen, sich eines Landes nach dem anderen bem&auml;chtigt. Mit Dampf und Elektrizit&auml;t, mit Feuer und Schwert hat sie sich in die entferntesten Erdwinkel Eingang verschafft, hat alle Chinesischen Mauern niedergerissen und durch die &Auml;ra der Weltkrisen, durch gemeinsame periodische Katastrophen die wirtschaftliche Zusammengeh&ouml;rigkeit der heutigen Menschheit eingeweiht. Der italienische Proletarier, der, aus dem heimischen Elend durch das vaterl&auml;ndische Kapital vertrieben, nach Argentinien oder Kanada auswandert, findet dort bereits ein fertiges neues Joch des Kapitals, aus den Vereinigten Staaten oder aus England importiert. Und der deutsche Proletarier, der zu Hause bleibt und sich redlich n&auml;hren will, ist in seinem Wohl und Wehe auf Schritt und Tritt von dem Gang der Produktion und des Handels in der ganzen Welt abh&auml;ngig. Ob er Arbeit findet oder nicht, ob sein Lohn ausreichen wird, Weib und Kinder zu s&auml;ttigen, ob er mehrere Tage in der Woche zu erzwungener Mu&szlig;e oder Tag und Nacht zur H&ouml;lle der &Uuml;berarbeit verurteilt wird - das alles schwankt fortw&auml;hrend in Abh&auml;ngigkeit von der Baumwollernte in den Vereinigten Staaten, der Weizenernte in Ru&szlig;land, den Entdeckungen neuer Gold- oder Diamantenfelder in Afrika, den Revolutionswirren in Brasilien, den Zollk&auml;mpfen, diplomatischen Wirren und Kriegen in f&uuml;nf Weltteilen. Nichts ist heute so frappant, nichts ist von so entscheidender Bedeutung f&uuml;r die gesamte Gestaltung des heutigen sozialen und politischen Lebens wie der klaffende Widerspruch zwischen dieser jeden Tag enger und fester zusammenwachsenden wirtschaftlichen Grundlage, die alle V&ouml;lker und L&auml;nder zu einem gro&szlig;en Ganzen verbindet, und dem politischen &Uuml;berbau der Staaten, welcher die V&ouml;lker durch Grenzpf&auml;hle, Zollschranken und Militarismus k&uuml;nstlich in ebenso viele fremde und feindliche Teile zu spalten sucht.</P>
<P>Und all dies existiert nicht f&uuml;r die B&uuml;cher, Sombart und ihre Kollegen! F&uuml;r sie existiert nur der "immer vollkommenere Mikrokosmos"! Sie sehen weit und breit keine "besonderen Erscheinungen", die von einer Volkswirtschaft "in wesentlichen Merkmalen abweichen" w&uuml;rden! Ist das nicht ein R&auml;tsel? Ist eine &auml;hnliche Blindheit offizieller Vertreter der Wissenschaft f&uuml;r Ph&auml;nomene, die in ihrer F&uuml;lle und ihrer grellen, blitzartigen Leucht- <B>|563|</B> kraft auf die Sinne jedes Beobachters einst&uuml;rmen, auf irgendeinem anderen Gebiete des Wissens als dem der National&ouml;konomie denkbar? In der Naturwissenschaft w&uuml;rde jedenfalls ein Gelehrter von Ruf, der heute &ouml;ffentlich die Ansicht vertreten wollte, da&szlig; nicht die Erde um die Sonne, sondern die Sonne mit s&auml;mtlichen Gestirnen um die Erde als ihrem Mittelpunkt kreise, der behaupten w&uuml;rde, da&szlig; er "gar keine Erscheinungen kenne", die dieser seiner Ansicht "in wesentlichen Merkmalen" widerspr&auml;chen - ein solcher Gelehrter d&uuml;rfte sicher sein, dem homerischen Gel&auml;chter der ganzen gebildeten Welt zu begegnen und schlie&szlig;lich auf Betreiben der bek&uuml;mmerten Verwandten auf seinen Geisteszustand untersucht zu werden. Freilich, vor 400 Jahren wurden solche Ansichten nicht nur ungestraft verbreitet, sondern ein jeder, der es unternahm, ihre Verkehrtheit &ouml;ffentlich darzutun, lief selbst Gefahr, auf dem Scheiterhaufen zu enden. Damals lag die Aufrechterhaltung der irrigen Meinung, als ob die Erde Mittelpunkt der Welt und der Bewegung der Gestirne w&auml;re, im dringenden Interesse der katholischen Kirche, und jeder Angriff auf die eingebildete Majest&auml;t des Erdballs im Weltraum war zugleich ein Attentat auf die geistige Zwingherrschaft der Kirche und auf ihre Zehnten auf der platten Erde. Damals war also die Naturwissenschaft der kitzlige Nervenpunkt des herrschenden Gesellschaftssystems und die naturwissenschaftliche Mystifikation ein unentbehrliches Instrument der Knechtung. Heute, unter der Herrschaft des Kapitals, liegt der kitzlige Punkt des Gesellschaftssystems nicht im Glauben an die Mission der Erde im blauen Himmelsraum, sondern im Glauben an die Mission des b&uuml;rgerlichen Staates auf Erden. Und weil auf den gewaltigen Wogen der Weltwirtschaft bereits schwere Nebel aufsteigen und sich zusammenballen, weil sich dort St&uuml;rme vorbereiten, die den "Mikrokosmos" des b&uuml;rgerlichen Staates wie einen H&uuml;hnerstall vom Erdboden hinwegfegen werden, deshalb st&uuml;rzt die wissenschaftliche "Schweizergarde" der Kapitalsherrschaft vor die Tore ihrer Zwingburg, des "Nationalstaates", um sie bis zum letzten Atemhauche zu verteidigen. Das erste Wort, der Grundbegriff der heutigen National&ouml;konomie ist eine wissenschaftliche Mystifikation im Interesse der Bourgeoisie.</P>
<P><HR></P>
<P>Redaktionelle Anmerkungen</P>
<P><A NAME="F1">[1]</A> Karl B&uuml;cher: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Vortr&auml;ge und Versuche, T&uuml;bingen 1906, S. 142. <A HREF="lu05_557.htm#ZF1">&lt;=</A></P>
<P><A NAME="F2">[2]</A> Punkte in der Quelle. <A HREF="lu05_557.htm#ZF2">&lt;=</A></P>
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