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<title>"Neue Rheinische Zeitung" - Vereinbarungsdebatten ueber die Kreisstaende</title>
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<p align="center"><a href="me05_262.htm"><font size="2">Der Gesetzentwurf über die
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Zwangsanleihe und seine Motivierung</font></a> <font size="2">|</font> <a href=
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"../me_nrz48.htm"><font size="2">Inhalt</font></a> <font size="2">|</font> <a href=
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"me05_276.htm"><font size="2">Die Auflösung der demokratischen Vereine in
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Baden</font></a></p>
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<small>Seitenzahlen verweisen auf: Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 5, S. 271-275<br>
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Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971</small> <br>
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<h1>Vereinbarungsdebatten über die Kreisstände</font></p>
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<p><font size="2">["Neue Rheinische Zeitung" Nr. 56 vom 26. Juli 1848]</font></p>
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<p><b><a name="S271"><271></a></b> **<i>Köln</i>, 25. Juli. (<i>Vereinbarungssitzung
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vom 18</i>.) Unter den vielen verworrenen, zwecklosen und rein persönlichen Dokumenten und
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Verhandlungen, die am Anfang jeder Sitzung vorkommen, heben wir heute zwei Punkte hervor.</p>
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<p>Der erste ist die dem Präsidenten schriftlich eingereichte und von der Tribüne
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herab wiederholte Erklärung des Exministers <i>Rodbertus</i>: Er habe sich zwar als Redner
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<i>gegen</i> den Jacobyschen Antrag <Siehe <a href="me05_222.htm">"Die Debatte über den
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Jakobyschen Antrag"</a>> einschreiben lassen, habe aber dennoch <i>nur</i> gegen den ersten,
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den Frankfurter Beschluß mißbilligenden Teil desselben, und <i>zugleich gegen</i>
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die betreffende am 4. Juli abgegebene <i>Erklärung des Ministeriums</i> sprechen wollen.
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Wie bekannt, wurde die Debatte abgebrochen, ehe Herr Rodbertus zum Wort kam.</p>
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<p>Der zweite ist eine Erklärung des Herrn <i>Brodowski</i> im Namen sämtlicher
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polnischen Deputierten und gelegentlich einer beliebigen Erklärung der deutsch-polnischen
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Abgeordneten: Er erkenne die Einverleibung eines Teils von Posen in den Deutschen Bund gar
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nicht als zu Recht bestehend an auf Grund der Verträge von 1815 und der vom Könige
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provozierten Erklärung der Provinzialstände <i>gegen</i> die Aufnahme in den
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Bund.</p>
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<p><font size="2">"Einen späteren <i>legalen Weg</i> kenne ich nicht, denn <i>die Nation
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ist noch nicht darüber befragt worden</i>."</font></p>
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<p>Folgt die Schlußverhandlung über die Adresse. Die Adresse wurde, wie bekannt,
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verworfen unter dem Ruf der Linken: "Zweimalige Kabinettsfrage!" und allgemeinem
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Gelächter.</p>
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<p>Jetzt kam an die Reihe der Kommissionsbericht über den Antrag von 94 Abgeordneten, den
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Kreisständen die Befugnis zur Steuerausschreibung zu nehmen.</p>
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<p><b><a name="S272"><272></a></b> Wir gehen absichtlich auf diesen Gegenstand ein. Er
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führt uns wieder einmal ein Stück echter altpreußischer Gesetzgebung ins
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Gedächtnis zurück, und die steigende Reaktion hält uns mehr und mehr diese
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Gesetzgebung als unverbesserliches Muster vor, während das Ministerium der Tat, das das
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Ministerium des Übergangs nicht vertreten will, sich täglich ungenierter zum
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Lobredner des Ministeriums Bodelschwingh aufwirft.</p>
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<p>Die Kreisstände haben durch eine Anzahl Gesetze, die sämtlich jüngern Datums
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als 1840 sind, die Befugnis erhalten, Steuern mit verpflichtender Wirkung für die
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Kreisbewohner zu beschließen.</p>
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<p>Diese Kreisstände sind ein prächtiges Muster altpreußischer "Vertretung".
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Sämtliche größeren grundbesitzenden Bauern des Kreises schicken <i>drei</i>
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Abgeordnete; jede Stadt schickt in der Regel <i>einen</i>; <i>jeder Rittergutsbesitzer</i> aber
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ist <i>geborner Kreisstand</i>. Gar nicht vertreten sind in den Städten die Arbeiter und
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ein Teil der kleinen Bürgerschaft, auf dem Lande die kleinen Eigentümer und die nicht
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angesessenen Bewohner, zusammen die ungeheuere Majorität. Diese nicht vertretenen Klassen
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werden aber nichtsdestoweniger von den Vertretern, und namentlich von den Herren "gebornen
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Kreisständen" besteuert, und wie und zu welchen Zwecken, werden wir gleich sehen.</p>
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<p>Diese Kreisstände, die noch dazu über das Kreisvermögen ganz selbständig
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verfügen können, sind bei Steuerbeschlüssen an die Genehmigung, bald des
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Oberpräsidenten, bald des Königs, und außerdem noch, wenn sie in Teile gegangen
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und ein Stand ein Separatvotum abgegeben, an die Entscheidung des Ministers des Innern
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gebunden. Man sieht, wie pfiffig das Altpreußentum die "wohlerworbenen Rechte" der
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großen Grundbesitzer, zugleich aber auch das Oberaufsichtsrecht der Bürokratie zu
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wahren wußte.</p>
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<p>Daß aber dies Oberaufsichtsrecht der Bürokratie nur besteht, um etwaige Eingriffe
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der Kreisstände in die Rechte des grünen Tisches zu verhüten, nicht aber um die
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Kreisbewohner, und namentlich die gar nicht vertretenen, vor den Eingriffen der Herren
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Kreisstände zu schützen, das erkennt der Zentralkommissionsbericht ausdrücklich
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an.</p>
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<p>Der Bericht schließt mit dem Antrag, die Gesetze aufzuheben, welche den
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Kreisständen das Recht der Besteuerung erteilen.</p>
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<p>Herr <i>Bucher</i>, Referent, entwickelte den Antrag. Gerade die Beschlüsse der
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Kreisstände, welche die Nichtvertretenen am meisten drückten und erbitterten, sind
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vorzugsweise von den Regierungen bestätigt worden.</p>
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<p><font size="2">"Es ist gerade ein Fluch des Polizeistaats, der im Prinzip gefallen ist,
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leider aber tatsächlich noch bis auf diese Stunde fortbesteht, daß ein Beamter oder
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eine Behörde, je höher sie in dem Mandarinentum stehen, desto besser alles, auch
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solche Detailmaß- <a name="S273"><b><273></b></a></font> regeln zu verstehen
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glauben, obwohl sie den Lokalbedürfnissen um gerade soviel ferner stehn."</p>
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<p>Der Vorschlag empfehle sich um so mehr, als er nicht aufbauend, sondern bloß
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<i>zerstörend</i> sei.</p>
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<p><font size="2">"Es läßt sich nicht leugnen, daß die Versammlung in den
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Versuchen <i>produktiver</i> Tätigkeit bisher <i>nicht glücklich</i> gewesen ist ...
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es möchte daher geraten sein, uns einstweilen mehr einer <i>zerstörenden</i>
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Tätigkeit hinzugeben."</font></p>
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<p>Der Redner rät demnach, namentlich die seit 1815 erlassenen reaktionären Gesetze
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aufzuheben.</p>
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<p>Das war zu arg. Nicht nur das Altpreußentum, die Bürokratie und die
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Kreisstände hatte der Berichterstatter für verwerflich erklärt, er hatte sogar
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auf die bisherigen Produkte der Vereinbarungsdebatten einen ironischen Seitenblick geworfen.
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Die Gelegenheit für das Ministerium war günstig. Ohnehin durfte es aus
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Hofrücksichten nicht zugeben, daß gerade nur die unter dem jetzigen Könige
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erlassenen Gesetze aufgehoben würden.</p>
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<p>Herr <i>Kühlwetter</i> erhebt sich also.</p>
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<p><font size="2">"Die Kreisstände sind so zusammengesetzt, daß ohne Zweifel ihre
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Verfassung geändert wird, indem" - die ständische Wirtschaft überhaupt der
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Gleichheit vor dem Gesetz widerspricht? Im Gegenteil! Bloß "indem jetzt noch jeder
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Rittergutsbesitzer geborner Kreisstand ist, eine Stadt aber, wenn sie auch <i>noch so viele
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Rittergüter</i> in sich schließt, nur einen Kreisstand zu entsenden berechtigt ist
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und die bäuerlichen Gemeinden nur durch drei Deputierte vertreten werden."</font></p>
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<p>Wir tun einen Blick in die verborgenen Pläne des Ministeriums der Tat. Das
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Ständewesen mußte bei der Zentralvolksvertretung aufgehoben werden, das ließ
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sich nicht ändern. Aber in den kleineren Bezirken der Vertretung, in den Kreisen
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(vielleicht auch in den Provinzen?) wird man versuchen, die <i>ständische Vertretung zu
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erhalten</i>, indem man nur die gröbsten Übervorteilungen der Bürger und Bauern
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durch die Ritterschaft ausmerzt. Daß Herrn Kühlwetters Erklärung nicht anders
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zu fassen ist, geht daraus hervor, daß der Bericht der Zentralkommission geradezu auf
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Anwendung der Gleichheit vor dem Gesetz in der Kreisvertretung provozierte. Herr
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Kühlwetter übergeht diesen Punkt aber mit dem tiefsten Stillschweigen.</p>
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<p>Gegen den <i>Inhalt</i> des Antrags hat Herr Kühlwetter nichts einzuwenden; nur fragt
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er, ob es nötig sei, diesen Antrag im "Wege der Gesetzgebung" zur Geltung zu bringen.</p>
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<p><font size="2">"Die Gefahr, daß die Kreisstände vom Besteuerungsrecht
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Mißbrauch machen möchten, <i>ist wohl nicht so groß</i> ... Das Aufsichtsrecht
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der Regierung ist <i>keineswegs so <a name="S274"><b><274></b></a></i>
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<i>illusorisch</i>, wie dargestellt worden; dasselbe ist mit Gewissenhaftigkeit <i>stets</i>
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ausgeübt worden und dabei namentlich 'die unterste Klassensteuerstufe möglichst von
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Beiträgen befreit worden'."</font></p>
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<p>Natürlich! Herr Kühlwetter war Bürokrat unter Bodelschwingh, und selbst auf
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die Gefahr hin, das ganze Ministerium der Tat zu kompromittieren, müssen die vergangenen
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Heldentaten der Bodelschwinghschen Bürokratie verteidigt werden. Wir bemerken, daß
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Herr Hansemann abwesend war, als ihn sein Kollege Kühlwetter so mit Herrn Bodelschwingh
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fraternisieren ließ.</p>
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<p>Herr Kühlwetter erklärt, er habe bereits alle Regierungen instruiert, bis auf
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weiteres keine kreisständischen Steuern mehr zu bestätigen, und damit sei ja der
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Zweck erreicht.</p>
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<p>Herr <i>Jentzsch</i> verdirbt dem Herrn Minister das Spiel, indem er bemerkt, es sei Mode
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bei den Kreisständen, die Chausseebeiträge, die gerade meist den Rittergütern
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zugut kommen, nach der <i>Klassensteuer</i> zu repartieren, <i>von der die Rittergüter
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ganz befreit sind</i>.</p>
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<p>Herr <i>Kühlwetter</i> und Herr <i>von Wangenheim,</i> ein Beteiligter, suchen die
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Kreisstände zu verteidigen; namentlich hält der Herr Oberlandesgerichtsrat von
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Wangenheim, Kreisstand zu Saatzig, eine große Lobrede auf dies rühmliche
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Institut.</p>
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<p>Aber der Abgeordnete <i>Moritz</i> vereitelt den Effekt wieder. Was hilft die Verfügung
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des Herrn Kühlwetter? Wenn das Ministerium einmal abtreten sollte, so lassen die
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Regierungen die Verfügung unbeachtet. Haben wir so schlechte Gesetze wie diese, so sehe
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ich nicht ein, warum wir sie nicht aufheben sollten. Und was die geleugneten
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Mißbräuche angeht,</p>
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<p><font size="2">"nicht nur haben die Kreisstände die ihnen zustehende Befugnis, Abgaben
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aufzulegen, gemißbraucht in der Art, daß sie <i>persönliche
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Begünstigungen</i> eintreten ließen, daß sie Ausgaben beschlossen haben,
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welche nicht zum Gemeinnutzen des Kreises gereichten, sondern sie haben auch Chausseebauten im
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Interesse einzelner, eines bevorzugten Standes beschlossen ... Die Kreisstadt Ruppin soll mit
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der Hamburg-Berliner Eisenbahn verbunden werden. Statt die Chaussee über die Stadt
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Wusterhausen zu legen, obwohl diese Stadt sich erklärt hat, die Mehrkosten aus eignen
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Mitteln zu geben, ist dieser kleinen, nahrungslosen Stadt die Durchführung der Chaussee
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<i>von der Regierung verweigert worden</i>, und dagegen die Chaussee durch drei <i>Güter
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eines und desselben Rittergutsbesitzers</i> geführt"!!</font></p>
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<p>Herr <i>Reichenbach</i> macht darauf aufmerksam, daß die Ministerialverfügung auf
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die den Kreisständen gänzlich freigelassene Disposition über das
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Kreisvermögen gar keinen Einfluß habe.</p>
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<p>Der <i>Minister</i> antwortet einige lahme Phrasen.</p>
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<p><b><a name="S275"><275></a></b> Herr <i>Bucher</i> erklärt, er halte den Minister
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für gar nicht <i>befugt</i>, Verordnungen zu erlassen, welche bestehende Gesetze
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<i>faktisch aufheben</i>. Nur durch die Gesetzgebung könne hier gebessert werden.</p>
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<p>Herr Kühlwetter stammelt noch einige unzusammenhängende Worte, um sich zu
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verteidigen, und sodann wird abgestimmt.</p>
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<p>Die Versammlung nimmt den Zentralkommissionsantrag an, daß die Gesetze, wodurch den
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Kreisständen das Besteuerungsrecht und die Verfügung über das Kreisvermögen
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erteilt wird, aufgehoben werden, mit dem Zusatz: "unbeschadet der auf Grund dieser Verordnungen
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gefaßten kreisständischen Beschlüsse".</p>
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<p>Man sieht, die "Taten" des Ministeriums der Tat bestehen in polizeilichen Reaktionsversuchen
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und parlamentarischen Niederlagen.</p>
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<p><font size="2">Geschrieben von Friedrich Engels.</font></p>
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